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Hartmann von Aue Iwein Mittelhochdeutsch – Neuhochdeutsch Übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Manfred Stange marixverlag Titelei Iwein.indd 3 02.01.2012 12:12:35 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Alle Rechte vorbehalten 2. Auflage 2012 © by marixverlag GmbH, Wiesbaden Übersetzung: Dr. Manfred Stange, Dossenheim Korrektorat: Stefanie Evita Schaefer, marixverlag GmbH Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin Satz und Bearbeitung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin Gesetzt in der Bodoni Old Face Gesamtherstellung: Bercker Graphischer Betrieb GmbH & Co.KG, Kevelaer Printed in Germany ISBN: 978-3-86539-273-2 www.marixverlag.de Titelei Iwein.indd 4 02.01.2012 12:12:36 INHALTSVERZEICHNIS Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . König Artus und der Artusroman . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmann von Aue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretationshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überlieferung/Form/Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iwein in der Bildenden Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 469 471 473 485 489 490 491 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Zeichen/Abkürzungen/Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 TEXT UND ÜBERSETZUNG 8 5 10 15 20 25 30 Swer an rehte güete wendet sîn gemüete, dem volget sælde und êre. des gît gewisse lêre künec Artûs der guote, der mit rîters muote nâch lobe kunde strîten. er hât bî sînen zîten gelebet alsô schôn daz er der êren krône dô truoc und noch sîn name treit. des habent die wârheit sîne lantliute: sî jehent er lebe noch hiute: er hât den lop erworben, ist im der lîp erstorben, sô lebt doch iemer sîn name. er ist lasterlîcher schame iemer vil gar erwert, der noch nâch sînem site vert. Ein rîter sô gelêret was unde ez an den buochen las, swenner sîne stunde niht baz bewenden kunde, daz er ouch tihtennes pflac (daz man gerne hœren mac, dâ kêrt er sînen vlîz an: er was genant Hartman und was ein Ouwære), der tihte diz mære. 9 Prolog Wer nach dem wahren Guten strebt, erfährt Glück vor Gott und Ansehen in der Gesellschaft. Das zeigt uns deutlich der vorbildliche König Artus, der nach feiner Ritter Art um Wertschätzung streiten konnte. Er hatte seinerzeit so glanzvoll gelebt, daß er die Krone der Ehre damals trug und die noch heute mit seinem Namen Das bestätigen | verbunden ist. seine Landsleute: sie sagen, er lebe heute noch: er hat sich Ruhm erworben, und obgleich er gestorben ist, lebt doch noch immer sein Name fort. Der ist frei von arger Schandtat, der nach seinem Vorbild lebt. Ein Ritter, der gebildet war und in Büchern las, konnte seine Zeit nicht besser nutzen, als sie mit Dichten auszufüllen, was ja wohlgefällig aufgenommen wird. Seine ganze Energie verwandte er darauf: der hieß Hartmann und war einer von Aue. Der verfaßte auch folgende Geschichte. 5 10 15 20 25 30 10 35 40 45 50 55 60 1. handlungszyklus Ez het der künec Artûs ze Karidôl in sîn hûs zeinen pfingesten geleit nâch rîcher gewonheit ein alsô schœne hôchzît daz er vordes noch sît deheine schœner nie gewan. deiswâr dâ was ein bœser man in vil swachem werde: wan sich gesament ûf der erde bî niemens zîten anderswâ sô manec guot ritter alsô dâ ouch wart in dâ ze hove gegebn in allen wîs ein wunschlebn: in liebte hof unde den lîp manec maget und wîp, die schœnsten von den rîchen. mich jâmert wærlîchen, und hulfez iht, ich woldez clagen, daz nû bî unseren tagen selch vreude niemer werden mac der man ze den zîten pflac. doch müezen wir ouch nû genesn. ichn wolde dô niht sîn gewesn, daz ich nû niht enwære, dâ uns noch mit ir mære sô rehte wol wesen sol: dâ tâten in diu werc vil wol. Artûs und diu künegin, ir ietwederz under in sich ûf ir aller willen vleiz. dô man des pfingestages enbeiz, mäneclîch im die vreude nam der in dô aller beste gezam. kalogrenants quellenabenteuer 11 Am Artushof: Kalogrenants Quellenabenteuer König Artus hatte zu Karidol an seinem Hof am Pfingstfest nach oft gepflegter Gewohnheit ein solch schönes Fest veranstaltet, wie er es vorher und danach nicht mehr prächtiger gefeiert hatte. Es ist wahr: ein übler Mensch stand dort in keinem Ansehen, denn es hatten sich auf der ganzen Erde niemals und nirgendwo so viele edle Ritter versammelt. Diese fanden dort am Hof in jeder Hinsicht ein Wunschleben vor: den Hof und die Menschen erfreuten viele Mädchen und Damen, die schönsten aus dem Artusreich. Es betrübt mich wirklich – und nützte es etwas, so würde ich’s beklagen –, daß in unserer Gegenwart solche Festesfreude nicht mehr aufkommt, wie man sie damals erlebte. Doch gilt es, unsere Gegenwart zu nutzen. Gut, daß ich damals noch nicht gelebt habe, sonst wäre ich heute nicht dabei, wo uns doch mit der Erzählung ihrer Taten so viel Angenehmes geschenkt wird: damals erfreute sie die Wirklichkeit selbst. Artus und die Königin gaben sich beide die größte Mühe, die Wünsche ihrer Gäste zu erfüllen. Als man das Pfingstmahl eingenommen hatte, gönnte sich jeder das Vergnügen, das ihm dort am besten gefiel. 35 40 45 50 55 60 12 1. handlungszyklus 65 dise sprâchen wider diu wîp, dise banecten den lîp, dise tanzten, dise sungen, dise liefen, dise sprungen, dise schuzzen zuo dem zil, dise hôrten seitspil, dise von seneder arbeit, dise von grôzer manheit. Gâwein ahte ûf wâfen: Keiî leite sich slâfen ûf den sal under in: ze gemache ân êre stuont sîn sin. Der künec und diu künegin die heten sich ouch under in ze handen gevangen und wâren gegangen in eine kemenâten dâ und heten sich slâfen sâ mê durch geselleschaft geleit dan durch deheine trâkheit. si entsliefen beidiu schiere. do gesâzen ritter viere, Dodines und Gâwein, Segremors und Îwein, (ouch was gelegen dâ bî der zuhtlôse Keiî) ûzerhalp bî der want: der sehste was Kâlogrenant. der begunde in sagen ein mære, von grôzer sîner swære und von deheiner sîner vrümekeit. dô er noch lützel hete geseit, dô erwachte diu künegin unde hôrte sîn sagen hin in. sî lie ligen den küenec ir man unde stal sich von im dan, 70 75 80 85 90 95 100 kalogrenants quellenabenteuer 13 Die einen flirteten mit den Frauen, andere gingen spazieren, einige tanzten, einige sangen, andere machten Wettläufe, andere übten Sprünge, jene schossen auf die Scheibe, diese lauschten Saiteninstrumenten, jene Geschichten von Liebesmüh, andere von Heldentaten. Gawein hielt sich an Waffenübungen. Keie legte sich mitten im Saal zum Schlafen: Bequemlichkeit und nicht Ansehen war sein Ziel. Der König und die Königin hielten sich unter ihnen – Hand in Hand – auf und waren (dann) in eine Kemenate gegangen, wo sie sich zur Ruhe legten – mehr aus Kurzweil denn aus Müdigkeit. Bald schliefen sie ein. Nun saßen da vier Ritter, Dodines und Gawein, Segremors und Iwein, (anwesend war auch der flegelhafte Keie); sie saßen außen an der Wand. Der sechste war Kalogrenant. Der begann ihnen eine Geschichte zu erzählen, wie er in große Not geriet und sich aus dieser unrühmlich rettete. Als er nur wenig erzählt hatte, erwachte die Königin und hörte ihn drinnen reden. Sie verließ ihren Gatten, stahl sich leise von ihm 65 70 75 80 85 90 95 100 469 NACHWORT König Artus und der Artusroman In historischen Quellen wird Artus (lat. Herkunft: Arcturus; brit. Arthur) als keltischer Heerführer erwähnt, der gegen die in England gelandeten Sachsen um 500 gekämpft habe. 829/30 wird er von N e n n i u s 1 in seiner › H i s t o r i a B r i t o n o r u m ‹ als siegreicher dux bellorum zum erstenmal genannt. Weitere Geschichtsquellen sprechen von ihm als einem sehr erfolgreichen Kriegshelden. Nähere Lebensumstände bleiben im Dunkeln. In der Dichtung aber bildet sich ein farbiges und differenziertes Bild heraus. Ausgangspunkt scheinen früh entstandene keltische Sagen zu sein, die in einigen kymrischen (keltischen) Dichtungen, besonders den ›Mabinogion‹2, mündlich tradiert und erst viel später schriftlich aufgezeichnet wurden. Dort ist Artus ein überaus erfolgreicher Jäger und Krieger. Eine andere Quelle sorgte ebenfalls für die Verbreitung des Bildes von Artus: die lateinische › G e s c h i c h t e d e r K ö n i g e v o n B r i t a n n i e n ‹ (›Historia regum Britaniae‹), von G e o f 1 Nennius (Ninnius), walisischer Geschichtsschreiber. Wahrscheinlich identisch mit dem Gelehrten Nemnivius, der 817 als Erfinder eines walisischen Alphabets bezeugt ist. – Ob N. wirklich der Verfasser der ›Historia Britonorum‹ ist, bleibt Hypothese. 2 ›Mabinogion‹. Titel einer Sammlung von 11 kymrischen (keltischen) Prosaerzählungen (überl. im 13. u. 14. Jh.), die in einer Märchen- und Zauberwelt spielen. Arthurianische Stoffe sind gestaltet in: ›Culwhech and Olwein‹ [Iwein], ›Peredur son of Efrwag‹ [Parzival] und ›Gereint son of Erbin‹ [Erec]. – Die Erzählungen waren schon lange vorher im mündlichen Umlauf, vorgetragen auch in England und Frankreich von Fahrenden. – Deutsche Ausgabe: Keltische Erzählungen von Kaiser Arthur, I. Nach dem Text des ›Weißen Buches‹ aus dem Mittelkymrischen übertragen von Helmut Birkhan. Wien/Köln/Graz 1985. [›Die Geschichte von der Gräfin vom Brunnen‹, S. 79–125] 470 nachwort f r e y v o n M o n m o u t h 1138 3, eine großangelegte, fiktive Erzählung des britischen Reiches in Form einer Chronik. Hier ist Artus (Bücher 8–10) ein sagenhafter britischer König mit mächtigem Herrschaftsbereich, der von seinem Neffen getötet wird. Geoffreys Werk (200 Handschriften) war weit verbreitet und wurde auch mehrfach ins Französische übersetzt, auch von Wa c e mit seinem › R o m a n d e B r u t ‹ 4. Bei Wace begegnet zum erstenmal das später weit verbreitete Motiv von König Artus mit der Tafelrunde seiner Ritter. 5 Aber erst der Nordfranzose C h r é t i e n d e Tr o y e s 6 kann als der eigentliche Schöpfer des europäischen Artusromans auf hohem sprachkünstlerischen und kompositorischen Niveau betrachtet werden. Chrétien schöpfte wahrscheinlich aus allen bisher bekannten Quellen, besonders aus den keltischen. König Artus tritt in den Artusromanen Chrétiens zugunsten einzelner Ritter der Tafelrunde als Handelnder zurück. Er ist nurmehr 3 Geoffrey von Monmouth (Galfrid, Galfred v. Monmuth, lat. Galfridus Monemutenis), * ca. 1090/1100, † 1155. Er stammte aus dem SO von Wales und ist als magister bezeugt. 1152 Priesterweihe, kurz danach zum Bischof von St. Asaph geweiht. – Weiteres Werk: ›Vita Merlini‹, ca. 1150. 4 Wace, anglonorm. Dichter, * um 1100 auf Jersey, † nach 1171. Ausgebildeter Kleriker. Sein ›Roman de Brut‹ , 1155, behandelt das Artusthema. Wace erweitert die Darstellungen bei Geoffrey von Monmouth um eigene Zutaten wie der Einführung des Round Table und des Weiterlebens König Artus’ in Avalon. – Weiteres Werk: ›Roman de Rou‹, 1174, eine Geschichte des normannischer Herrscher bis 1171. 5 Eine der bekanntesten kunsthist. Darstellungen befindet sich im West Gate des Winchester College (um 1500). 6 Chrétien de Troyes, ca. 1140–1190, urkundl. nicht bezeugt. Jurist? Waffenherold? Bekehrter Jude? Schon seinen Zeitgenossen galt er als großer Dichter. Neben seinen 5 Artusromanen übersetzte er aus Ovids ›Metamorphosen‹ – erhalten nur ›Philomena‹ – und aus der ›Ars Amatoria‹ (verloren), schuf eine Erzählung ›Von König Marke und der blonden Isolde‹ (verloren), und verfaßte Lyrik (2 Lieder erhalten). Wahrscheinlich von Chrétien verfaßt ist ›Guillaume d’Angleterere‹, ein legendenhafter Familienroman. – Eine zweisprachige Ausgabe des ›Yvain‹: Chrestien de Troyes: Yvain. Übersetzt und eingeleitet von Ilse Nolting-Hauff. ³1983 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben. Bd. 2). hartmann von aue 471 Repräsentant eines prunkvollen Hofstaates, rückt ein wenig in den Hintergrund. Ein weiteres Moment des neuen Artusromans ist die Zurückdrängung des Mythischen, Riesenhaften, Feenhaften durch die höfische, hochkultivierte Welt. Das bedeutendste Kompositionsmerkmal aber ist die neue Handlungsführung. Sie läßt den einzelnen Helden einen doppelten Weg durchlaufen: die in einer ersten Aventiurenkette errungenen Erfolge werden durch eine Krise, einen Bruch in Frage gestellt, und es bedarf eines zweiten Aventiurenweges, länger und beschwerlicher als der erste, bis der Held seine volle Bewährung vor sich selbst und der Gesellschaft absolviert hat. Chrétien schrieb 5 Artusromane: ›Erec et Enide‹ (Erec), um 1170; ›Cligés‹ (Verquickung einer byzantinische Liebesgeschichte mit dem Artuskreis), um 1176; ›Chevalier de la Charrete‹ (Der Karrennritter = Lancelot), um 1177–81; ›Yvain‹ (Iwein), um 1177–1181 und den ›Perceval‹ (Parzival), vor 1190, unvollendet. – Mit dem ›Erec‹ wird die Artusdichtung eröffnet, und schon der ›Yvain‹ stellt die vollkommenste Gattungsform dar. Im ›Perceval‹ tritt eine religiöse Erhöhung durch die Einführung der Gralswelt ein, die der Artuswelt nunmehr nur eine zweitrangige Bedeutung gibt. Nur wenige Jahre später setzt die Rezeption im deutsche Sprachraum durch Hartmann von Aue (›Erec‹, 1180 und ›Iwein‹ 1200) und Wolfram von Eschenbach (›Parzival‹, 1210/1220) ein. Hartmann von Aue Über seine Lebensumstände weiß man nur wenig. Wahrscheinlich war er Alemanne und dem unfreien Dienstadel der Ministerialen angehörig. Hartmann beherrschte Französisch und Lateinisch. Seine Schaffenszeit ist ca. 1180–1200. Unter den Dichtern der klassischen Zeit um 1200 nimmt er eine herausragende Position ein, sehr geschätzt von seinen zeitgenössischen Kollegen und Späteren. So urteilt Gottfried von Straßburg im Literaturkatalog seines ›Tristan‹ (um 1210; 4621–4630): 472 Hartmann der Ouwære, âhî, wie der diu mære beide ûzen unde innen mit worten und mit sinnen durchverwet und durchzieret! wie er mit rede figieret der der âventiure meine! wie lûter und wie reine sîniu cristallînen wortelîn beidiu sint und imer müezen sîn! nachwort Hartmann von Aue, hei, wie der die Erzählungen zugleich formal wie inhaltlich mit Worten und Gedanken gestaltet und ausschmückt! Wie er mit seiner Sprachkunst den Sinn der Aventiure trifft! Wie klar und rein seine kristallenen Worte sind und immer sein werden! Sein Werk umfaßt Lyrik und Epik, wahrscheinlich in folgender chronologischer Reihenfolge: ›Klagebüchlein‹ – ›Erec‹ – ›Gregorius‹ – ›Armer Heinrich‹ – ›Iwein‹; dazwischen Lyrik. Während Hartmanns Bearbeitung des Chrétienschen ›Erec‹ noch in freier, etwas ausmalender Form geschah 7, hält er sich beim ›Iwein‹ ziemlich genau an seine Vorlage, freilich nicht ohne eigene Akzentsetzung. In beiden Romanen versagen die Helden, nachdem sie in einem ersten Handlungszyklus allzu schnell zu Landesherrschaft und Eheglück gekommen sind, an der Forderung, Herrschaft und Liebe in Einklang zu bringen. Erec versagt durch Überbetonung der Liebe, indem er sich mit Enite im Ehebett ›verliegt‹ und seinen Herrscherpflichten nicht nachkommt – Iwein, indem er einseitig seinen Ritterpflichten auf einjährige Aventiure mit seinem Freund Gawein Genüge tut und die rechtzeitige Rückkunft zu seiner Ehefrau versäumt. Beide stürzen in eine tiefe Krise. Aber Erec ist noch Herr seiner Entschlüsse, setzt seine Ehe außer Kraft und begibt sich mit Enite in einem zweiten Handlungszyklus auf erneute Aventiurenfahrt, besteht Abenteuer und wird dadurch innerlich geläutert. Iwein jedoch fällt so tief, daß er sich zunächst nicht selbst bestimmen kann: er wird wahn7 So z. B. weniger Dialoge, aber intensiveres Argumentieren als Erzähler bis zum Lehrhaften hin. inhalt des romans 473 sinnig und vegetiert als entmenschlichtes Scheusal außerhalb der Gesellschaft in der Wildnis, ehe er seine Bewährungsfahrt beginnen kann. Beiden Protagonisten ist gemeinsam, daß sie im zweiten Handlungs-Zyklus nun nicht mehr für ihr eigenes, ganz persönliches Wohlergehen kämpfen, sondern für andere eintreten, also gesellschaftlich-soziale Interessen wahrnehmen. Unterschiedlich ist die Zeichnung der weiblichen Hauptpersonen. Während Enite für das Fehlverhalten von Erc mitverantwortlich gemacht wird und demütig als Büßerin alle Bewährungsproben neben Erec bestehen muß, bleibt Laudine die stolze Herrin der Quelle, deren verlorene Liebe Iwein nicht allein aus seiner Tapferkeit, sondern mit der List der Versöhnung zurückgewinnen muß. Inhalt des Romans P r o l o g (1–30) König Artus wird als vorbildlicher Ritter gepriesen, dessen Name und Erzählungen noch nach seinem Ableben dem Leser gegenwärtig bleiben. Hartmann stellt sich als gebildeten, aber nur nebenher dichtenden Autor vor. Vo r g e s c h i c h t e (31–944) Zu Pfingsten versammelt sich die Artusgesellschaft zu einem großen Fest in einer heiteren ländlichen Idylle. Man pflegt Kurzweil verschiedener Art und versammelt sich auch, um Erzählungen über ›Aventiuren‹ zu hören. So berichtet der Ritter Kalogrenant – nach verbalen Attacken des spöttischen Truchseß Keie – der Gesellschaft von seinem vor 10 Jahren unternommenen und mißglückten Quellabenteuer (242 ff.), das für Iwein später von großer Bedeutung sein wird: Ausritt in den Wald von Breziljan, freundliche Bewirtung und und Übernachtung auf einer Burg, Begegnung mit einem verwahrlosten Waldhirten, der den Weg zur Quelle weist und Kalogrenant nachwort 474 unterrichtet, daß bei Begießen des Steins der Quellenmauer ihm Glück (guot heil) widerfahre, wenn er ehrenvoll (mit êren) alles überstehe. Kalogrenant findet die Quelle (600 ff.), begießt den Stein und erlebt ein schreckliches Unwetter, das alles verwüstet. Nachdem sich das Wetter gelegt hatte, erscheint zornig der Herr der Quelle (Ascalon), fordert ihn zum Kampf auf und besiegt den sich kläglich Wehrenden, der als Ehrloser (êrlôser man) und Glückloser (genâdelôser man) sich auf den Rückweg macht. Iwein beschließt sofort, die Schmach seines Verwandten Kalogrenant zu rächen (803 ff.) und wird von Keie verspottet. Auch König Artus will mit seinem ganzen Heer in vierzehn Tagen den Quellenherrn angehen. Iwein beabsichtigt aber Artus zuvorkommen, muß er doch auch fürchten, daß der tüchtige Gawein als Herausforderer ihm vorgezogen werde (911–940). D ER ERSTE H ANDLUNGSZYKLUS (945–2445) So bricht Iwein heimlich auf und begibt sich auf den von Kalogrenant beschriebenen Weg. An der Quelle begießt er den Stein und bewirkt das Unwetter. Der erboste Quellenhüter Ascalon fordert ihn zum Kampf, den Iwein schließlich zu seinen Gunsten wendet (1050). Er verfolgt den tödlich verwundeten und flüchtenden Ascalon bis auf dessen Burg. Durch ein Fallgatter (slegetor, 1080), wird Iweins Pferd am Sattelpunkt regelrecht zerschnitten, Iwein aber verschont, weil er sich gerde nach vorn gebeugt hatte, um Ascalon den tödlichen Schlag zuzufügen. Ein zweites Fallgatter (1124) macht Iwein zum Gefangenen. Lunetes Hilfe (1135 ff.) ist es – als Dankerweis für einst am Artushof von Iwein zuteil gewordene Hilfe (1194–97) – die Iwein seine mißliche Lage zu überstehen hilft. Sie übergibt ihm einen Ring, der ihn unsichtbar macht und ihn vor den wütenden Suchaktionen der Burgbewohner schützt. Durch ein Fenster beobachtet er dann die ihren toten Gatten heftig beklagende Burgherrin Laudine (1301 ff.). Ihre ungewöhnliche Schönheit beeindruckt Iwein so sehr, daß er beinahe von Sinnen ist (1335 f.). Als man den toten Burgherrn vorbeiträgt, beginnen