Harald Martenstein

Transcription

Harald Martenstein
Harald Martenstein
Die lebende Legende aus West-Berlin
Autor: U. Gellermann
Datum: 13. August 2012
Harald Martenstein ist Autor beim Berliner "Tagesspiegel". Für
Nicht-West-Berliner: Das ist eine Tageszeitung, die vor dem Fall der Mauer ihre
beste Zeit hatte. Nicht weil sie damals besser gewesen wäre. Aber der Solidarität
mit West-Berlin wegen wurde sie immer in den Presseschauen diverser
Westdeutscher Sender erwähnt. Stolz steht auf ihrer Titelseite "Zeitung für
Berlin und Deutschland" als wäre sie ein echtes überregionales Blatt. Als
Anfang der 90er Jahre der tonnenschwere Schriftzug der Zeitung auf das Dach
des Verlages an der Potsdamer Straße gehievt wurde, verkündete der Verlag:
Das ist ein neues Wahrzeichen der Stadt. Schon in dieser Zeit war Harald
Martenstein Redakteur beim "Tagesspiegel". Zum Wahrzeichen einer Zeitung,
die ihren Schriftzug für ein Wahrzeichen hält, wurde er dann später als er
regelmäßig seine Kolumnen für das Blatt schrieb.
Jüngst machte sich Martenstein mal wieder Sorgen. Es gäbe Leute, die würde
ein Vergleich der RAF mit der NSU auf die Palme bringen. Vielleicht kennt er
solche Leute. Eine öffentliche, aktuelle Debatte zu diesem Thema ist unbekannt.
Statt nun seine Bekanntschaften zu wechseln, tobt der Autor ein wenig:
Vergleicht Ulrike Meinhof mit Joseph Goebbels, fragt sich was wohl los wäre,
wenn Peter Sloterdijk heute Beate Zschäpe aufsuchen würde wie damals Jean
Paul Sartre den Andreas Bader besuchte und so fort. Dass Goebbels an
millionenfachem Morden beteiligt war, rückt ihn für Martenstein in die
unmittelbare Nähe zu Ulrike Meinhof, dass Sartres Besuch einen Proteststurm
in der Merheits-Öffentlichkeit auslöste, erwähnt er nicht. Es passt einfach nicht
in sein Kommentar-Konzept. In sein Konzept passt, sieh mal an, dass die
Mörder-Nazis weniger Leute umgebracht haben als die RAF. Selbstverständlich
zählt er die weit über hundert Morde der anderen Nazis nicht mit. Die muss er
auch vergessen haben als er nach dem Breivik-Attentat in Norwegen fürchtete:
1|3
Quelle: http://www.rationalgalerie.de/harald-martenstein.html
Heruntergeladen am 16.01.2017
"Sollte es . . . in den kommenden Jahren häufiger rechtsradikal motivierte
Morde geben, dann wird man bei einem bestimmten Tatmuster eben immer als
erstes einen rechtsradikalen Hintergrund annehmen." Es treibt ihn um den
Autor: "In den USA zum Beispiel ist die `Auschwitz-Lüge´ nicht strafbar. Ist
Obama deshalb auch ein Nazi?"
Wer Martensteins Foto sieht - gedankenschwer lastet sein Haupt in einer
krampfhaft lockeren Hand - der erkennt hinter der Pose die wilde Wut des
Allerwelts-Philosophen: "Was mich echt wild macht, ist die Verteufelung des
Wortes `Markt´, die in vielen Medien zu beobachten ist." Nicht nur von Nazis
versteht er was, der Martenstein, auch von der Ökonomie: "Wo, wenn nicht auf
`den Märkten´ wird eigentlich das Geld verdient, das wir und der Staat fröhlich
ausgeben?" Aha, Martenstein und der Staat verschleudern das Geld, das `die
Märkte´ so bitter verdient haben. Deshalb bangt er auch um unsere Reichen,
falls die heftig besteuert würden: "Aber was tut man, wenn das Geld der Reichen
aufgebraucht ist? Neue Reiche dürften ja wohl kaum nachwachsen, in dem total
gerechten System des Sozialismus." Dass die Reichen immer weniger Steuern
zahlen, hat er noch nie gehört. Und dass ohne die Reichen "Kein einziger
Radweg, kein Kindergarten" gebaut würde, ist eine seiner Weisheiten, die gerade
in der Finanzkrise, wo alle Monate der Wert von hunderttausenden
Kindergärten an die Banken verschenkt wird, so besonders gescheit daher
kommen. Sicher wird Martenstein demnächst zur Rettung des Finanzmarktes
die Schließung von Kindergärten fordern.
Natürlich ist Harald Martenstein auch ein Frauenexperte: "Es gibt Frauen mit
dem denkbar schlechtesten sogenannten`Leumund´, die tatsächlich das Opfer
einer Vergewaltigung wurden und denen anschließend niemand glaubt."
Obwohl, sagt der Satz, so ein schlechter Leumund natürlich Hinweise auf die
Verfügbarkeit der Frauen gibt. Mit dieser welterfahrenen Haltung blickt er
analytisch auf den Fall Strauss-Kahn: "Warum wird einer, dessen beruflicher
Aufstieg auch auf Selbstdisziplin beruhen muss, denn anders geht es nicht,
beim Anblick einer Hausangestellten zum wilden Tier?" fragt der Frauen- und
Männer-Versteher, um sich gleich die nächste besorgte Frage stellen: "Was
bekommt einer, der sich nach oben durchkämpft, in einer demokratischen
Gesellschaft eigentlich als Belohnung für seine Mühen? Privilegien? Kaum.
Respekt? Ruhm?" Eben leider nicht, meint Martenstein und wehmütig schreibt
2|3
Quelle: http://www.rationalgalerie.de/harald-martenstein.html
Heruntergeladen am 16.01.2017
er, "Macht und Sex haben immer zusammengehört" und "Wer die Macht hatte ?
meistens Männer, als Häuptling, als König, als Chef ?, der durfte sich nehmen,
wen er wollte." Gedankenblitzig auch Martensteins ironische Anmerkungen zur
Frauenquote in Führungspositionen: Er findet, dass die Chefs von
Bombenentschärfungskommandos, von Müllverbrennungsanlagen oder von
Antiterroreinheiten ebenfalls mit einer Frauenquote bedacht werden sollen. Bei
feuchten Herrenabenden wird der Vorschlag heftigen Jubel ausgelöst haben.
So wird dann in Martenstein-Kolumnen ein Gedicht des iranischen Präsidenten
Ahmadinedschad aus falschen Zitaten gebastelt, um ausgerechnet Günter Grass
zu unterstellen er wolle den Israelis "Naziverbrechen in die Schuhe" schieben,
Anti-Nazi-Blockaden werden mit Nazi-Methoden verglichen und der
"Solidarpakt" wird als Versuch denunziert sowjetische Verhältnisse
einzuführen. Natürlich immer locker, mit jenem Ton, den Martenstein für
ironisch-intellektuell hält und der doch nur verdruckst ist. "Vorstellen muss ich
dich nicht, du bist eh eine lebende Legende.? So begrüßte
Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt den Kolumnisten Harald
Martenstein bei einer Veranstaltung und erzählte eine tolle Anekdote: Er habe
nämlich von einer Frau gehört, die sich für eine Karnevalsfeier als Harald
Martenstein verkleiden wollte. So ist es mit den West-Berliner Legenden: Was
ihnen bleibt ist die Travestie-Show. Und vielleicht, eines Tages, wird
Martensteins Name tonnenschwer auf dem neuen Verlagsgebäude lasten. Das
wäre dann ein großes Zeichen. Eines der wenigen wahren, die man mit dem
Blatt in Verbindung bringen kann.
3|3
Quelle: http://www.rationalgalerie.de/harald-martenstein.html
Heruntergeladen am 16.01.2017