1 29.03.2015 – Palmsonntag Predigt zu Joh 12,12
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1 29.03.2015 – Palmsonntag Predigt zu Joh 12,12
29.03.2015 – Palmsonntag Predigt zu Joh 12,12-19 von Pfarrer Stefan Kläs Liebe Gemeinde! Wir schreiben das Jahr 1965. Das Jahr, in dem die heute hier anwesenden Jubilarinnen und Jubilare konfirmiert worden sind. Sie sind vor 50 Jahren hier in der Petruskirche in die Gemeinde der Erwachsenen aufgenommen worden. So steht es im Gottesdienstprogramm vom 28. März 1965, das ich im Archiv der Gemeinde gefunden habe. So wie ihre Taufe den absoluten Anfang auf dem Weg des Glaubens markiert, so markiert dieses Datum ihrer Konfirmation den Anfang auf dem Weg der Erwachsenen im Glauben. Wohin hat sie dieser Weg geführt? Sie könnten sagen, er hat uns heute hierhin geführt, zurück an den Ort des Geschehens. Darüber freuen wir uns! Aber vermutlich ist das nicht die einzige Etappe, die sie auf diesem Weg der Erwachsenen im Glauben zwischenzeitlich genommen haben. Vielleicht war eine kirchliche Trauung für manche von ihnen eine solche Etappe oder Taufe und Konfirmation eines Kindes, möglicherweise sogar schon eines Enkelkindes. Oder sie haben im Laufe ihres Lebens Zweifel bekommen, ob es wirklich eine kluge Idee ist, als Christ zu leben. Ob der Glaube wirklich das Leben trägt. Zum Weg der Erwachsenen im Glauben gehört der Zweifel dazu, ist unumgänglich. Umso kostbarer, wenn solche Zweifel sich dann nicht als endgültig erwiesen haben, sondern überwunden wurden hin zu einer neuen Stufe auf dem Weg des Glaubens. Wir wissen nicht, wohin sie dieser Weg geführt hat. Vielleicht bietet der heutige Tag Gelegenheit, auch darüber ins Gespräch zu kommen. Das wäre sicherlich spannend zu hören. Vor allem auch, ob sie ihren Weg damals als Konfirmandinnen und Konfirmanden in irgendeiner Weise vorausgeahnt oder gesehen haben. Meistens sind wir ja blind für den Augenblick, solange er andauert. Das gilt nicht nur für Anfänge im Glauben, sondern für alle Anfänge im Leben. Anfänge gab es viele im Jahr 1965. Pink Floyd und die Scorpions werden gegründet. Claudia, Susanne und Petra waren die beliebtesten Vornamen bei den Mädchen, 1 Thomas, Andreas und Michael bei den Jungen. Der Wehrsold wurde von 2,30 Mark auf 2,70 Mark erhöht, die Zölle innerhalb der EWG um 10 % gesenkt. Malta wird Mitglied der UNESO und Gambia unabhängig. In Vietnam findet die erste offene Schlacht zwischen Südvietnam und Vietcong statt. Lyndon B. Johnson wird wiedergewählt. Der erste Mensch bewegt sich außerhalb einer Raumkapsel im All. Der Mont-Blanc-Tunnel, mit 11,6 km der damals längste Straßentunnel der Welt, wird eröffnet. DDR-Bürgern im Rentenalter wird es von ihrer Regierung gestattet, auch in nichtsozialistische Staaten zu reisen. Wolf Biermann wird in der DDR erstmals mit Auftrittsverbot bestraft. Die Deutsche Bundesbank gibt Banknoten über 500 Deutsche Mark aus. Die Ruhr-Universität Bochum nimmt ihren Lehrbetrieb auf. Artur Fischer erfindet Fischertechnik. Unter dem Titel „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ findet eine Aktion des Künstlers Joseph Beuys in Düsseldorf statt. Werder Bremen wird Deutscher Meister in der Fußball-Bundesliga. Franz Beckenbauer spielt gegen Schweden sein erstes Länderspiel. Maybrit Illner, Veronica Ferres und Jörg Pilawa werden geboren. Außerdem Baschar Al Assad und Dimitri Medwedew. Den Friedensnobelpreis bekommt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF. Lauter Anfänge, von denen damals keiner wusste, wohin sie führen. Der Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: „Es ist ganz wahr, … dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den andern Satz, dass vorwärts gelebt werden muss.“1 Wir können das Leben nur rückwärts verstehen, aber müssen es vorwärts leben. Das heißt auch: Im Nachhinein ist man immer klüger. Aber andererseits: Will man immer alles im Vorhinein wissen? Manches muss doch auch einfach ausprobiert und erlebt werden! Vorwärts leben, rückwärts verstehen, das ging auch den Jüngern Jesu damals am Palmsonntag nicht anders. Sie erleben zwar seinen Einzug in Jerusalem, doch sie konnten ihn nicht deuten. Die Bibel erzählt: „Das verstanden seine Jünger zuerst nicht.“ Erst als er gestorben war, „da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand“ (V.16). Erst im Rückblick auf seinen Tod und im Licht biblischer 1 Sören Kierkegaard: Die Tagebücher. Zit. nach Predigtstudien 2014/2015. Freiburg i.Br. 2014, 200. 2 Text verstehen sie, wer Jesus ist: der „König Israels“, ein ganz besonderer, einzigartiger König. Wir sind zu Beginn des Gottesdienstes miteinander in die Kirche eingezogen. Der festliche Einzug ist ein Zeichen für die Umstehenden: Hier kommen Menschen, die heute ein besonderes Fest feiern. Jesus ist in Jerusalem eingezogen. Sein Einzug wurde von hohen Erwartungen begleitet. Es hatte sich herumgesprochen: Jesus kann Kranke heilen. Er öffnet ihnen Augen und Ohren, damit sie sehen und hören, wo mitten unter uns Gottes Reich beginnt. Er stellt Menschen auf die Beine, die schon ihr halbes Leben niedergeschlagen auf dem Boden verbracht haben, und ruft sie in seine Nachfolge. Einige von denen, die Jesus in Jerusalem empfangen, sehen in ihm jedoch weit mehr als einen Wunderheiler und Wanderprediger. Sie sehen in ihm den König Israels, der Gottes Friedensreich errichten und das Volk von seinen Unterdrückern befreien wird. Das Alte Testament stellt die entsprechenden Bildwelten für diese Erwartung bereit: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer“, keiner von diesen eitlen Selbstdarstellern und Nepotisten, die nur in die eigene Tasche wirtschaften, sondern „arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin“ (Sach 9,9). Jesus, der ideale König, der macht, dass alles gut wird. Wir kennen solche Heilserwartungen aus dem Bereich des Politischen nur zu gut. Der vielleicht größte politische Selbstdarsteller unserer Tage beschäftigt Heerscharen von Beratern und Presseleuten, die ihn ins rechte Licht rücken: hoch zu Ross mit entblößtem Oberkörper, mit Gewehr, mit einem – wahlweise – Tiger, Bären oder Hecht, als Judoka, Pilot oder Fahrer schwerer Limousinen, beim Schwimmen mit Delphinen oder nach dem Fund eine antiken Amphore auf dem Grund des Schwarzen Meeres. Das Erschreckende ist: Es funktioniert! Die Macht der Bilder ist so groß, dass eine Mehrheit der Menschen sich blenden lässt. Die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen nach Bedeutung, Größe und Macht werden bewusst auf diesen einen gelenkt. Die Bilder werden wichtiger als die Politik. Ob die Erwartungen erfüllt werden, interessiert gar nicht mehr, weil ja schon die nächsten Bilder da sind, die nächsten Erwartungen geschürt werden. Jesus hat politische Erwartungen, die sich auf ihn gerichtet haben, zurückgewiesen. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt er im Verhör vor Pilatus (Joh 18,36). Was 3 im Übrigen nicht bedeutet, dass er unpolitisch war. Seine Politik bediente sich nur nicht der üblichen Methoden, sondern setzte auf Vertrauen zu Gott und Gewaltlosigkeit im Umgang miteinander. Es war diese Gewaltlosigkeit in einer gewalttätigen Welt, die Jesus ans Kreuz brachte. Der Evangelist benutzt dafür ein eigentümliches Wort: Jesus wurde „verherrlicht“. Als „Verherrlichung“ bezeichnet Johannes den Tod Jesu und meint damit: Dieser Jesus hat ein Zeichen gesetzt, das über seine Zeit hinaus hell leuchtet in der Welt. Ein Zeichen dafür, wie Gott unter uns gegenwärtig ist, ein Zeichen dafür, wie wir miteinander leben können, verbunden mit Gott und solidarisch miteinander. Dieses Zeichen, das Jesus mit seinem Leben gesetzt hat, ist auch heute noch wirksam. Wenn wir miteinander singen und beten und das Brot des Lebens teilen, dann begegnet er uns. Es ist wahr, wir können unser Leben nur rückwärts verstehen und müssen es doch vorwärts leben. Das gilt für die 50 Jahre, die seit ihrer Konfirmation vergangen sind. Das gilt aber auch für jeden anderen hier, egal wie lang die Zeiträume sind, die wir überschauen. Und dennoch gehen wir nicht gänzlich blind unseren Weg. Denn so wie Jesus damals Blinde sehend machte, so möchte er auch uns heute die Augen öffnen für seine Gegenwart, für sein Kommen zu uns. Er kommt uns entgegen wie damals den Menschen in Jerusalem und gibt auch uns sich selbst, sein Leben für uns. Heißen wir ihn willkommen und gehen mit ihm unseren Weg, heute, in dieser Karwoche, in der Zeit, die vor uns liegt. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen. 4