Reportage Tote, schon verwesende Pferde gehören im
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Reportage Tote, schon verwesende Pferde gehören im
Reportage PFERDEELEND mitten in Europa nachts nicht arbeiten müssen, mit alten Jalousiebändern gehobbelt (gefesselt) werden – Schnitte bis auf die Knochen. Kruppen, auf denen man das rohe Fleisch sieht – Fell und Haut waren weggeprügelt worden. Pferde, die auf den Karpalgelenken liegen, um an ein paar Grashalme zu kommen – sie leiden an so schlimmer Hufrehe, dass sie nicht mehr normal stehen können.“ Raabe redet sich in Rage, wenn er von seinem ersten Besuch erzählt. Damals beschloss er: Hier muss etwas getan werden. Auf seiner ersten Tour hat er die rumänische Tierschutzorganisation Verwesende Körper am Straßenrand gehören zum Alltag Tote, schon verwesende Pferde gehören im EU-Staat Rumänien, besonders in der Region Iaşi, zum Alltag. Sie werden verstümmelt, gequält und weggeworfen. Aus Tradition, Ignoranz und Unwissenheit. Dabei gibt es durchaus Hoffnung auf Besserung Sicherheitsleute stehen, die unerwünschten Besuchern den Zutritt verweigern.“ Diese Beobachtungen hat nicht nur Raabe gemacht. Studien des „European Roma Right Centers“ (ERRC) bestätigen, was Raabe sagt. Sache der Politik Und berichten von Stellenanzeigen, die Roma explizit ausklammern, von Kindern, denen der Schulbesuch verweigert wird und weiteren Verletzungen grundlegender Menschenrechte. Für Raabe ist all dies jedoch keine Entschuldigung: „Die Menschen in der Mongolei haben auch Die Arbeitsgeräte reißen tiefe Wunden in das Fleisch DEUTSCHLAND POLEN UKRAINE TSCHECHIEN Hufschmied Markus Raabe zeigt sachkundige Hufarbeit Solche Beschläge hat man im Mittelalter verwendet Manche Pferde können wegen Hufrehe nicht einmal mehr stehen SLOWAKEI M an kann sich das hier gar nicht vorstellen,“ sagt Markus Raabe, „ich habe Kutschpferde gesehen, denen wurde ihr äußeres Auge ausgestochen. Dann braucht man keine Scheuklappe. Bleibt ein Pferd während der Arbeit entkräftet stehen, weil es tagelang weder Wasser noch Futter gesehen hat, schneidet man kurzerhand die Ohren ein oder gleich ganz ab. Dann schüttet die Hirnanhangsdrüse Adrenalin aus und ein bis aufs Skelett abgemagertes Pferd arbeitet noch so lange weiter, bis es tot zusammenbricht. Aus demselben Grund werden Zähne ausgeschlagen, Gaumen eingeschnitten oder Schöpfe skalpiert.“ Raabe (35) ist Hufschmied und Sachverständiger für das Hufbeschlagswesen. Er lebt und arbei- 80 www.mein-pferd.de 7/2009 tet im westfälischen Harsewinkel in der Nähe von Warendorf. Die Verhältnisse in Rumänien, genauer gesagt in der Moldauregion um die Stadt Iaşi (Die Region ist mehr als doppelt so groß wie das Saarland), kennt er seit 2008. Hier, in einer der ärmsten Gegenden des Landes, geht es auch den Tieren besonders schlecht. Raabes erster Besuch ließ ihn nicht mehr schlafen. Er musste etwas tun. Was er schildert, ist unfassbar: „Die Pferde laufen einfach wild auf der Straße herum. Wenn jemand ein Pferd benötigt, um seinen Kartoffelacker zu pflügen, dann fängt er sich eins. Sollten die Pferde sich wehren, verstümmelt man ihnen die Genitalien – ohne die Wunden zu versorgen.“ Dass es Raabe nach Rumänien verschlagen hat, verdankt der Schmied seinem Beruf. Einer Tierschutzorganisation waren unter anderem die seltsamen Hufeisen aufgefallen, die den Pferden jeden Schritt zur Qual machen. Wie im Mittelalter Über den altertümlichen Beschlag – Eisen mit bis zu acht Zentimeter hohen Stollen – kann der Fachmann nur den Kopf schütteln. Sie verursachen schreckliche Wunden. Rohes Fleisch und eitrige Risse sind keine Seltenheit. „Diese Eisen stammen noch aus dem Mittelalter, als man die Pferde nur für die Feldarbeit brauchte.“ Die Tierschützer hatten Raabe Mitte letzten Jahres um Hilfe gebeten. Der Plan: Er sollte den Rumänen zeigen, wie ein Hufschmied heutzutage arbeitet. „Es sollte sich um ca. 200 Pferde handeln,“ sagt Raabe. „Ich fand zigtausende vor.“ Es ist Ende August, als Raabe zum ersten Mal die Reise nach Rumänien antritt. Mit dem Auto geht es quer durchs transsylvanische Gebirge. Über Straßen, die man eigentlich bestenfalls als Feldwege beschreiben kann. Durch Gegenden fernab jeglicher Zivilisation. Übernachtet wird im Auto. Nach drei Tagen sind Raabe und seine Mitarbeiterin Tiffany Hild endlich am Ziel, in Iaşi. „Was ich zu sehen bekam, war weit schlimmer als alles, was ich erwartet hatte: Fahrradketten und Eimerhenkel als Gebisse – zentimetertief aufgerissene Maulwinkel. Alte zusammengeschweißte Auspuffrohre als Kummet – eitrige und blutende Wunden am Widerrist. Pferde, die in den paar Stunden, die sie ÖSTERREICH IAŞI UNGARN ITALIEN SLOWENIEN RUMÄNIEN KROATIEN BOSNIEN U. HERZEGOWINA MOLDAWIEN Bukarest SERBIEN U. MONTENEGRO BULGARIEN Zentrum der Pferdequal: Die Provinz Iasi inn Ost-Rumänien Um Seuchen zu vermeiden wird diese Stute begraben „Clopotel“ kennengelernt. Der leitende Tierarzt dieser Organisation, Dr. Petre Ursache, arbeitete fortan mit Raabe zusammen. In gebrochenem Englisch versucht Ursache zu erklären, warum Pferde in Rumänien so leiden müssen. „Besonders betroffen sind die Pferde der Sinti und Roma. Die Leute haben keine Bildung, für sie sind die Pferde wie Möbelstücke. Sie brauchen sie lediglich zur Arbeit. Und das bedeutet, als Karren- oder Akkergäule.“ Markus Raabe ergänzt: „Diese Menschen sind bettelarm. Diskriminierung Sie haben kein Geld, um den Pferden Futter und Medikamente zu kaufen. Und sie werden schrecklich diskriminiert. Da gibt es Supermärkte, vor denen nicht mehr zum Leben, aber denen sind ihre Pferde heilig.“ Wenn sich die Situation der Pferde in Rumänien verbessern soll, muss sich also die Einstellung der Menschen ändern. Und die hängt eng zusammen mit ihrer sozialen Situation. Gerade aus Rumänien zurückgekehrt, wendet sich der geschockte Raabe mit dem Vorsatz, nachhaltig etwas zu verändern, an den Bundestag und wird an die Abgeordnete Undine Kurth verwiesen, die natur- und tierschutzpolitische Sprecherin der Grünen. Bei ihr stößt er auf offene Ohren. „Frau Kurth war sehr nett und bot mir spontan Hilfe an.“ Er reist nach Berlin und berichtet von seinen Erlebnissen. Mit Kurths Unterstützung findet Raabe einen Weg, künftig die Antibiotika, Schmerzmittel, ➜ 7/2009 www.mein-pferd.de 81 Reportage Angst,“ berichtet er. „Die Leute wollen nicht, dass sich Fremde – schon gar keine Ausländer – in ihre Angelegenheiten einmischen.“ Die „Dörfer“ bestehen häufig aus nicht viel mehr als zusammengehauenen Holzhütten mit Wellblechdach. Entzetzlicher Alltag Medikamente sind ein großer Mangel in Rumänien Viele Hufe sind in desaströsem Zustand Wurmkuren usw. für tausende Pferde legal nach Rumänien einzuführen, „aber Bammel habe ich trotzdem!“ Ende November 2008 macht Raabe sich zum zweiten Mal auf die Drei-TagesReise gen Osten. Außer Medikamenten hat Raabe noch mehr an Bord: Abends und am Wochenende, wenn er und sein Team nicht unterwegs sind, um deutsche Spitzensportpferde zu be- Vom Hobbeln (siehe unten) entstehen teilweise tiefe Wunden Das Pferd steht den ganzen Tag vorm Karren Gehobbelt: Die Beine werdengefesselt schlagen, fertigen sie Hufeisen für Not leidende Pferde in Rumänien an. Dankbare Menschen Die Hufeisen sind dort sehr beliebt. „Eisen bekommen von mir aber nur diejenigen, deren Pferde ausreichend genährt und frei von Misshandlungsspuren sind.“ Die dürfen sich auch über Decken und Halfter freuen, die Raabe günstig zur Verfügung gestellt bekommen hat. „Aber am wichtigsten ist, dass sich an der Einstellung der Menschen etwas verändert. Es ist unfassbar: Manche sagen ernsthaft, sie hätten den Pferden schon immer die Augen ausgestochen oder sie anders verstümmelt. Es sei Tradition. Ob das denn schlecht sei! Und wenn sie merken, dass ihre Pferde viel besser arbeiten, wenn sie Futter und Wasser bekommen, dann sind sie sehr dankbar für den Hinweis.“ Wenn Raabe im Land herumfährt, wird er in manchen Dörfern empfangen wie ein König und man schätzt seine Hilfe. „Aber in einigen Orten bin ich der ,Germanski‘. Man hat uns angeschrien und Steine aufs Auto geworfen. Wir sind geflüchtet. Da bekommt man richtig IM INTERVIEW: Markus Raabe, Hufschmied und Gründer des Hilfsvereins Eqquiwent e.V. „Mit zehn Euro monatlich könnten wir Berge versetzen.“ In der Mai-Ausgabe berichtete der St.Georg erstmals über die dramatischen Zustände in Rumänien und die Hilfsaktionen des Vereins „Equiwent Mensch & Tier e.V.“ Was sich vor Ort seitdem getan hat und wie es weitergeht erzählt Markus Raabe im Interview. 82 www.mein-pferd.de 7/2009 Mein Pferd: Hat sich die Situation seit ihrem ersten Besuch gebessert? Markus Raabe: Die Pferde, die wir zu Gesicht bekommen, haben jetzt eine Chance auf medizinische Versorgung. Wir, der aequiwent Hilfsverein sind im Juni wieder aktiv vor Ort und werden zehn Hufschmiede nach modernen Methoden ausbilden, die medizinische Notversorgung gewährleisten, Hufe korrigieren, Ketten von Kopf entfernen sowie die grausamen selbst gebastelten Gebisse gegen Wassertrensen austauschen. Wo liegen noch die größten Mißstände? Die größten Missstände liegen in der gesellschaftspolitischen Schieflage des Landes. Kurzbis mittelfristig muss die soziale Integration der Roma und Sinti erreicht werden. Wir fordern die Durchsetzung der Schulpflicht für alle, nur dann hört das Elend auf. Welche Resonanz erhielten Sie nach dem St.Georg Artikel? Wie kann man helfen? Die Resonanz war gigantisch. Wir haben Unmengen von Sachspenden erhalten. Manche haben uns auch Geld gespendet. Dieses Geld macht uns eine größere medizinische Versorgung im Juni dieses Jahr möglich. Einer der größten deutschen Fernsehsender wird uns begleiten und filmen. Doch leider benötigen wir noch mehr Fördermitglieder. Das sind Menschen die monatlich 10 Euro oder mehr überweisen. Stellen Sie sich einmal vor ich würde in Deutschland 1000 Tierfreunde finden welche dem Tierschutzverein EQUIWENT jeden Monat 10 Euro zukommen lassen würden. Mit diesem Geld könnten wir Berge versetzen. Wer uns helfen möchte, findet auf unserer Internetseite alle weiteren Informationen: www.equiwent.eu „Da hausen zwölf Menschen auf vier mal vier Metern zusammen. Unfassbar! Man kommt sich vor wie im Mittelalter.“ Die Lebensumstände der Menschen entsetzen Raabe beinahe genauso wie die mageren Klepper, die zwischen den Hütten vor ihren Karren stehen und dürres Gras am Wegesrand zupfen. Wenn sie noch können. „Ich habe Pferde gesehen, die tot vor ihrem Karren lagen. Noch im Geschirr. Zusammengebrochen vor Erschöpfung.“ Er schüttelt traurig den Kopf. Seit 2004 ist der Tierschutz in der rumänischen Verfassung verankert. Formal hätten Tierhalter die Pflicht, ihre Tiere zu pflegen, zu füttern, wenn nötig, medizinisch zu versorgen und sich um ihr Wohlergehen zu kümmern. Tatsächlich kann man bei der rumänischen Regierung anrufen und es findet sich niemand, der sich für den Bereich Tierschutz zuständig fühlt. Nach Raabes Besuch bei Undine Kurth in Berlin erklärt sie ihm, dass sie die Angelegenheit in Brüssel beim EU-Parlament vorbringen will. Rumänien ist schließlich EU-Mitglied. Dort ist Hiltrud Breyer für Tierschutzfragen zuständig: „Das ist ganz klar eine Frage der Tierhaltung und des Tierschutzes. ( … ) Ich werde diesbezüglich eine parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission einreichen. Dann werden wir hoffentlich Klarheit bekommen, ob der EU-Kommission dieser Tierschutzverstoß bekannt ist und ob die EU Rumänien tierschutzpolitisch unterstützt. Oft befürchten wir, dass die EU-Kommission nur sehr larifari antwortet.“ Die Tierschutzbeauftragte der Grünen, Undine Kurth, will selbst in Aktion treten. Sie verspricht, im Sommer gemeinsam mit Markus Raabe nach Rumänien zu fahren und zu versuchen, ob sie auf politischer Ebene etwas für die Pferde in Rumänien tun kann. „Das von Markus Raabe entwickelte Konzept ist hervorragend. Es wirkt sowohl direkt, indem die Tiere vor Ort von ihm versorgt und betreut werden und darüber hinaus durch die Schulung und Sensibilisierung der Bevölkerung vor Ort.“ Ein Engagement, das im Ausland sehr geschätzt wird. In Rumänien war das Problem anscheinend schon mal Thema in den Medien. Der Vorsitzende der rumänischen Reiterlichen Vereinigung, Alexandru Iavorovski, sagt, dass „fast alle nationalen und viele internationale TV-Kanäle über das Problem berichtet haben und dass es eine Diskussion zu dem Thema gibt.“ Die geringe Resonanz, die die Berichte bei Rumäniens Bevölkerung fanden, erklärt er so: „Wir haben keine wirkliche Horsemanship-Kultur.“ Der Präsident gibt an, die rumänische Reiterliche Vereinigung habe alles getan, um das Wohlergehen der Pferde im Land zu sichern, habe alle Auflagen der FEI erfüllt. Nur: In seinen Zuständigkeitsbereich fallen lediglich 1000 Pferde, Sportpferde. Und denen stehen ca. eine Million Pferde gegenüber, die als Arbeitstiere genutzt werden und für die sich anscheinend niemand zuständig fühlt. Klingt hoffnungslos, ist es aber nicht ganz. Raabe und der rumänische Tierarzt Dr. Ursache haben einen Plan, wie sie die Situation der Pferde in Iaşi nachhaltig verbessern können. Schon jetzt erzählt Ursache von kleinen Fortschritten: „Wenn ich jetzt die Märkte in den Dörfern ansteuere, scharen sich die Menschen inzwischen um mein Auto, um sich Rat für ihre Pferde, Wurmkuren oder Medikamente abzuholen. Weil Verletzungen unbehandelt bleiben, entzünden sie sich In ein einigen Dörfern schätzt man die Arbeit von Markus Raabe das erste Pferde-Röntgengerät Ost-Rumäniens stehen.“ Im März hat Dr. Ursache ein Praktikum bei Dr. Matthias Gossé von der westfälischen Tierklinik Boyenstein gemacht, um sich in Sachen Pferdebehandlung fortzubilden. Klingt alles toll. Aber von den Patienten wird keiner für seine Behandlung zahlen können. Die Firma Raabe nebst den Mitarbeitern Tiffany Hild und Jörg Wittkowski hat all ihre Ersparnisse in das Unternehmen Rumänien gesteckt. Reserven gibt es nicht mehr. Und doch ist Raabe überzeugt, dass es irgendwie weitergehen wird: „Dann muss ich eben hier mehr reinhauen! Wenn du diese Tiere siehst und du kannst helfen, dann gehst du abends ins Bett und fühlst dich wirklich großartig! “ Dominique Wehrmann Hoffnungsschimmer Besonders die jungen Menschen haben verstanden.“ Ursache reist mit seiner „mobilen Klinik“ herum, einem Kleintransporter, ausgestattet mit den Medikamenten und Sachspenden, die Raabe besorgt hat. Aus der mobilen Behandlungsstation soll bald eine richtige Tierklinik werden. „Ich werde zusammen mit meinem rumänischen Freund, Dr. Ursache, die erste Pferdepraxis in diesem Landstrich eröffnen,“ freut sich Markus Raabe. „Hier wird Völlig übermüdet steht das Fohlen neben seiner Mutter Eine durch Schläge verursachte, unbehandelte Wunde