Leseprobe - Schwabenverlag
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Gedanken zum Umgang mit Trauer, Abschied, Tod Krankheit, Leiden, Sterben – Krise, Chance, Läuterung . . . . . . . . . . . . . . 12 Kommunikation im Angesicht des Todes . . . . . . . . 15 Unter Bäumen, im Meer oder sonst irgendwo? . . . . . . 23 . . . . 28 » Du Trost der ganzen Welt«. . . . . . . . . . . . . . 31 Peter Neuhauser Karin Kiworr Gedanken eines Seelsorgers zum Bestattungswesen Anton Seeberger Beerdigungen und Trauerfeiern im Kirchenjahr Im Advent Die Wüste unseres Lebens wird sich verwandeln . Wolfgang Schrenk Zum Lied »O Heiland, reiß die Himmel auf« (GL 105) Kathrin Buchhorn-Maurer Adventliches Leben . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Winfried Häberle Die Fingerspitze eines Engels, die uns in der Trauer berührt 39 Karl-Heinz Feldmann In der Weihnachtszeit »Ich lag in tiefer Todesnacht, du warest meine Sonne«. . . 44 Zum Lied »Ich steh an deiner Krippe hier« (GL 141) Wilhelm Benning In der Fastenzeit Bedenke, Mensch, dass du Staub bist . . . . . . . . . 47 . . . . . . . . . 50 Anton Seeberger Am Rande der Wüste . . . . . . . Angelika Daiker 15061_Umbr.indd 5 25.06.10 13:24 In der Osterzeit Das Tor zum Leben . . . . . . . . . . . . . . . . 54 »Reiß aus aller Not uns in das rechte Leben«. . . . . . . 57 . 60 Heribert Feifel Zum Lied »Nun freut euch hier und überall« (GL 226) Anton Seeberger Zu Pfingsten »Höchster Tröster in der Zeit« – von Ewigkeit zu Ewigkeit. Zum Lied »Komm herab, o Heilger Geist« (GL 244) Wilhelm Benning Trauerfeiern für Verstorbene verschiedenen Alters Ich habe dich beim Namen gerufen . . . . . . . . . . 66 . . . . . . 68 Verwundete Muscheln lassen Perlen entstehen . . . . . . 70 Tod kurz nach der Geburt Marlies Bernhard/Doris Kellner/Ursula Schmid Weggenommen . . . . . . . . . . . . Tödlicher Unfall eines fünfjährigen Kindes Wolfgang Gramer Tod eines kleinen Kindes Martin Schubert Unfassbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 . . . . . . . . . . . . 76 Tod eines jungen Menschen Andreas Magg Unschuldig . . . . . . . Tod eines 19-Jährigen durch Unfall Joachim Harner Verwaist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 . . . . . . . . . . . . . . 83 Tod einer jungen Mutter Clemens Stroppel Verunglückt . . . . . Für einen bei einem Arbeitsunfall verstorbenen jungen Vater Dieter Müller 15061_Umbr.indd 6 25.06.10 13:24 Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt . . . . . . . . 87 . 89 Kirchlich distanziert, nach kurzer Krankheit mitten aus dem Leben gerissen Anton Seeberger Plötzlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Für einen Menschen, der mitten aus dem Leben gerissen wurde Paul Weismantel Weisheit und Torheit . . . . . . . . . . . . . . . . 93 . . . . . . . . . . . . . 96 Einstimmen in das Lied des Vertrauens . . . . . . . . . 100 . . . . . 104 Tod in »gesegnetem Alter« Paul Weismantel Seht, hier ist euer Gott . Unerwarteter Tod im Alter Anton Bauer Tod eines langjährigen kirchlichen Mitarbeiters Martin Schniertshauer Trauerfeiern für besondere Sterbesituationen Er denkt daran, wir sind nur Staub . . . . . Tod eines drogenabhängigen und HIV-positiven Mannes Petrus Ceelen Vor wem sollte ich mich fürchten? . . . . . . . . . . . 107 Du tauchst die Finsternis ins Licht deiner Gnade . . . . . 109 Freitod eines psychisch kranken jungen Mannes Thomas Keller Suizid im Alter wegen Krankheit und Einsamkeit Karl-Heinz Feldmann Nicht machbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 . . . . . . . . . . . . . . 118 Tod bei einer Operation Wolfgang Gramer Unbekannt . . . . . Für einen Verstorbenen ohne Verwandte und Bekannte Andreas Senn 15061_Umbr.indd 7 25.06.10 13:24 Besondere Abschiedsrituale Segen zum Abschied . . . . . . . . . . . . . . . 122 . . . . . . . . . . . . 124 Susanne Ruschmann Ritual bei einer Katastrophe Annedore Barbier-Piepenbrock Weil es dunkel ist . . . . . . . . . . . . . . . . 125 »So besonders angeschaut« . . . . . . . . . . . . . 128 Segensfeier für Trauernde Heribert Feifel Trauerfeier an einer Schule für den Rektor Michael Broch Dem Herzen so nah . . . . . . . . . . . . . . . . 131 . . . . . . . . . . . . 134 Zum Tod einer Mitschülerin Anja Wiese Hast du mich verlassen? . . Gemeinsames Abschiednehmen eines/einer Todkranken mit den Angehörigen Anton Seeberger Ich hebe meine Augen auf . . . . . . . . . . . . . 137 . . . . . . . . . . . . . 140 . . . . . . . . . . . . . 142 Am Totenbett Burkhard Seeger Die Nacht ist voller Sterne Zur Aufbahrung Barbara Rolf Zurückgenommen . . . . Urnenbeisetzung mit oder ohne kirchliche/n Beauftragte/n Christiane Bundschuh-Schramm Gedenkfeiern im Jahreslauf – Gedanken zu Sterblichkeit und Sterben Rituale zum Jahresgedächtnis/an Gedenktagen für verstorbene Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Marie-Luise Hildebrandt Die Toten leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Zum Totengedenken im November Ludwig Mödl 15061_Umbr.indd 8 25.06.10 13:24 »… und das ewig’ Leben« . . . . . . . . . . . . . . 153 . . . . . . . . . . . . . 158 Zur Gräbersegnung Werner Schrüfer Unsterblich ist die Liebe . Gedenkgottesdienst am Volkstrauertag oder Totensonntag Paul Weismantel Da hilft nur noch beten!? . . . . . . . . . . . . . . 163 . . . . . . . 167 . . . . . . . 171 Ökumenisches Friedensgebet Wolfgang Tripp Mit meinem Gott überspringe ich Mauern 9. November Anton Seeberger Sterne gegen das Dunkel . . . . . . . Für die verstorbenen Kinder weltweit – Worldwide Candle Lighting Kirstin Germer Personsein abgesprochen? . . . . . . . . . . . . . 173 Die Würde des Menschen ist mit seiner Existenz gegeben Alfons Maurer »Später sterbe ich gerne« . . . . . . . . . . . . . . 178 Selbstbestimmtes Sterben? Hans Peter Rieder Bibelstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . 183 Nachweis der Erstveröffentlichung . . . . . . . . . . . . 185 Quellennachweis . . . . . . . . . . . 190 . . . . . . . . . . Abkürzungen bei den Liedvorschlägen: EG = Evangelisches Gesangbuch; GL = Gotteslob; EH = Erdentöne – Himmelsklang. Neue geistliche Lieder, Schwabenverlag, 6. Aufl. 2007; Tr = Liederbuch »Troubadour für Gott«, erw. Aufl., hg. vom Kolping-Bildungswerk, Diözesanverband Würzburg e. V., Würzburg. 15061_Umbr.indd 9 25.06.10 13:24 Vorwort Abschied, Trauer und Tod sind unumstößliche Grunderfahrungen menschlicher Existenz. Darum zu wissen ist eins, doch etwas anderes ist es, wenn der Tod plötzlich ganz nahe kommt, weil geliebte Menschen sterben. Dann lähmt oft das Entsetzen, Sprachlosigkeit macht sich breit oder die Frage nach dem Warum bricht auf, die meist ohne Antwort bleibt. Die Welt – mag sie klein oder groß sein – bricht zusammen. »Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben«, sagte die Dichterin Mascha Kaléko, die ihren Mann und ihr einziges Kind verlor. Rituale des Abschieds oder Trauerfeiern helfen, das Geschehene zu durchleben und der Dankbarkeit über jedes gelebte Leben Raum zu geben. Für Christen ist der Tod nicht das Ende, sondern ein Weitergehen zu Gott in seine Herrlichkeit. Doch was bedeutet dies angesichts qualvollen Sterbens und »sinnloser« Verluste? Auch für »geübte« Trauerbegleiter ist es oft nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Bei Beerdigungsfeiern oder in Gottesdiensten anlässlich von Katastrophen sind häufig auch Menschen anwesend, denen kirchliche Rituale fremd sind. Wie kann in diesen Situationen die christliche Botschaft verständlich und tröstlich zur Sprache gebracht werden? Die folgenden Beiträge entstanden zu Beerdigungen, Gedenkfeiern oder sonstigen Trauerfeiern oder bei der Beschäftigung mit dem Themenkreis Abschied und Tod. Die Autoren nehmen Bezug auf das Sterben und den Tod in verschiedenen Lebensphasen oder Situationen, auf das Kirchenjahr, auf Jahrestage und Anlässe wie Katastrophen, den Volkstrauertag oder den 9. November. Aus der Fülle von Bausteinen und Anregungen lässt sich das Passende auswählen und durch Texte und Rituale, die dem/der jeweiligen Verstorbenen oder seinen Angehörigen wichtig sind bzw. waren, ergänzen. Register am Ende des Buches erleichtern die Suche. Mit der beigelegten CDRom lassen sich die Texte schnell in eigene Entwürfe integrieren. So bleibt noch der Wunsch, dass allen Trauernden in der Dunkelheit der Trauer immer wieder das Licht der Auferstehung aufleuchtet. Ulrike Voigt 15061_Umbr.indd 10 25.06.10 13:24 Gedanken zum Umgang mit Trauer, Abschied, Tod 15061_Umbr.indd 11 25.06.10 13:24 Krankheit, Leiden, Sterben – Krise, Chance, Läuterung Schrifttext: Ijob 42,1–6 Predigt 12 | GEDANKEN ZUM UMGANG MIT TR AUER, ABSCHIED, TOD 15061_Umbr.indd 12 Es gibt Augenblicke im Leben, die uns vor Entsetzen verstummen lassen. Für mich gehörte der 11. September 2001 in New York dazu, aber auch einige persönliche Erfahrungen mit tragischem Elend in nächster Umgebung. Nach dem ersten Schock schreit mein Inneres »warum?« und mein Verstand sucht Erklärungen. Aber beide stoßen an die dunkle Wand des Unerklärlichen. Die nächste Phase prägen Bilder wie Ijob, todkrank auf den Scherben seines Lebens, und Jesus als Geschändeter am Kreuz. Die Bilder geben keine Antwort, aber sie fordern zur Stellungnahme heraus. Hinsehen gehört zu meiner ersten Reaktion. Krankheit, Leid, Tod prägen als Grenzerfahrungen die menschliche Existenz und werden schicksalhaft empfunden. Sie stören, schrecken auf und ich möchte sie gerne wegschieben. Aber ich konnte auch erfahren, dass ein plötzlicher Verkehrsunfall Ausdruck einer menschlichen Krise sein kann: Nach einem Autounfall musste ich drei Wochen ruhig liegen wegen einer schweren Gehirnerschütterung. Zuerst meinte ich, dass mir diese Zwangsruhe ganz ungelegen kam. Ich durfte nicht lesen, starrte an die Decke, versuchte zu beten, nachzusinnen, zu schlafen. Nach einigen Tagen entdeckte ich, wie wichtig es war, mich mit meiner Situation im Beruf auseinanderzusetzen, Beziehungen zu überdenken und zu ordnen. Ich stand erholt auf und empfand den Unfall als Fingerzeig Gottes in meinem Leben. Damals näherte ich mich erst der Tiefe des Buches Ijob. Schritt für Schritt erkennt der Leidende seine Lage und lässt sich nichts vormachen von seinen Freunden. Weder akzeptiert er die Meinung, seine Krankheit sei eine Strafe Gottes, noch eine Vertröstung auf Gottes Lohn. In Ijobs Worten verstand ich, was das griechische Wort pathein bedeutet, nämlich Leidenschaft und Leiden. Alle Fasern des Gefühls sind angespannt – das ist Realität des Leidens. Jeder Mensch muss sein Leben leben, so wollte es der Schöpfer. Dennoch tröstet es, wenn andere begleiten. 25.06.10 13:24 15061_Umbr.indd 13 13 | K R A N K H E I T, L E I D E N , S T E R B E N – K R I S E , C H A N C E , L ÄU T E R U N G Mich beeindruckt die Art, wie die Freunde des Ijob sich zuerst schweigend setzen und einfach da sind – sieben Tage und sieben Nächte. Diese Reaktion habe ich bei mir oft entdeckt, wenn ich schwerstkranke Menschen besuchte und froh war, die Urgesten der Sakramentenspendung, z. B. Salben, den Leib Christi reichen, vollziehen zu können. Aber es gibt Stunden, da ist eine Antwort auf eine Frage, auf das Weinen und Klagen eines Menschen zu suchen. Dabei sind Ausreden wie: »Es wird schon wieder«, oder: »Wer weiß, was diese Zeit im Leben bedeutet?«, nicht gefragt. Auch bei Ijob treffen die tiefsinnigen theologischen Betrachtungen der Freunde das Herz des Ijob nicht. Ihn versteht letztlich nur Gott, der ihm die Zeit zum Widerstreit, zur Klage und Anklage lässt. Ich kann verstehen, dass Ärzte die gleichen Probleme haben, Todkranken ihre Situation offen zu sagen. Beim Besuch einer schwerstkranken jungen Mutter sprach mich die Ärztin an, ob ich der Frau nicht die Diagnose, dass nach allem menschlichen Ermessen keine Hilfe mehr möglich ist, vermitteln könne. Sie brachte es nicht übers Herz. Ich kannte die Frau seit ihrer Kindheit und eröffnete ihr die Wahrheit, umarmte sie und hielt sie in ihrem Schreien und ihrem Weinen. Nach Tagen wurde sie ruhiger, wollte ihre Tochter sehen und ihren Mann. Schließlich wünschte sie sich die Sterbesakramente und schlief kurz nach dem Empfang der Kommunion ein. Ich glaube daran, dass Gott uns Menschen mit seiner Nähe – vermittelt durch Menschen, Worte, Erlebnisse, Zeichen – in unserer Seele begleitet und so sein Name »Ich bin da bei dir« aufleuchtet. So bedeutet für mich das Durchleben des Menschen von Grenzsituationen und das Einstimmen in das eigene Sterben: reifen. Die letzte Phase der Ijoberzählung beleuchtet diese Läuterung menschlicher Existenz. »Darum widerrufe ich und atme auf in Staub und Asche« (Ijob 42,6). Noch inmitten seiner Not erfährt Ijob die erlösende Kraft seines unerschütterlichen Glaubens an Gott. So wird er zum Bild für den Gekreuzigten, der den Abgrund des Todes in der Auferstehung überwindet. Wie die Begegnung mit dem Gekreuzigten in leidenden Menschen wirken kann, dem Gebet Ijobs vergleichbar, erlebte ich bei einem MS-Kranken. Mit 25 Jahren – er war frischgebackener Diplomingenieur – begann die schleichende Krankheit, und als ich ihn als Kaplan kennenlernte, war sie schon weit fortgeschritten. Der inzwischen Mittdreißiger versuchte alles, die Krankheit in den Griff zu bekommen, kämpfte mit seinem Gott um das Gesundwerden. Die letzte Hoffnung bedeutete für ihn eine Lourdes-Fahrt. Es gelang, ihm die Teil- 25.06.10 13:24 14 | GEDANKEN ZUM UMGANG MIT TR AUER, ABSCHIED, TOD 15061_Umbr.indd 14 nahme bei einer Krankenwallfahrt zu ermöglichen. Nach seiner Rückkehr brachte ich ihm wie immer monatlich die heilige Kommunion und erlebte einen ganz veränderten Menschen. Er erzählte mir: »Ich bin nicht körperlich geheilt, aber meine Seele ist heil geworden. Das Erlebnis so vieler Leidensgenossen und die Gemeinschaft von Gesunden und Kranken ließ mich erkennen: Meine Krankheit anzunehmen gehört zu meiner Lebensberufung.« Für mich bedeutete diese Aussage ein wahres Wunder. Der MS-Kranke erzählte Witze, konnte wieder lachen und tröstete seine Freunde und Angehörigen. Und wenn er große Schmerzen ertragen musste, sah er auf zu dem Kreuz, das er in seiner Blickrichtung aufhängen ließ. Ijobs Erfahrungen im eigenen Lebenshorizont vertieften meinen Zugang zum erlösenden Geschehen des Kreuzestodes Jesu. Die Fragen nach dem Sinn menschlichen Leidens und Sterbens beantwortet nicht die ratio. Sie müssen leidenschaftlich als Krise, Chance und Reifung durchlebt werden, dann öffnet sich schließlich der Tunnel zum gleißenden Licht der Auferstehung. Peter Neuhauser 25.06.10 13:24 Kommunikation im Angesicht des Todes Über »die« Sprache von sterbenden Menschen ist in den vergangenen Jahren manches geschrieben worden, eine wirkliche Analyse steht meines Erachtens allerdings noch aus und kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden.1 Hier kann lediglich der Ort für Beobachtungen sein, die in der Begleitung sterbender Menschen gemacht wurden. 15 Schwerkranke Menschen sprechen häufig in einer bildhaften Sprache, die schon das Wort »sterben« bzw. »Tod« vielfach zu umschreiben sucht. Doch die bildhafte Sprache durchdringt alle Bereiche des Erlebens. Sie gilt es zunächst einmal wahrzunehmen, nach dem Sinn- und Bedeutungsgehalt der Bilder zu fragen und mit dem Bild des Kranken in Kommunikation zu treten. Unbedingt zu vermeiden ist eine vorschnelle Analyse des Bildes, weil sie wirklicher Kommunikation im Weg stehen würde. Wenn z. B. ein kranker Mensch davon spricht, noch jemandem Geld zu schulden, dann kann er damit eine reale Schuld meinen, die er begleichen möchte. Er kann aber auch jemandem gegenüber etwas schuldig geblieben sein, er kann Schuld auf sich geladen haben. Es kann das Geld und nicht so sehr die Schuld die eigentliche Metapher sein. Und es kann sich schließlich um etwas handeln, das allein der kranken Person verständlich ist und jedem anderen Menschen dunkel bleibt. Es gehört für die Begleiterperson Geduld und Phantasie dazu, vielleicht auch etwas an Wissen über religiöse, mythologische oder symbolische Zusammenhänge, um einen kranken Menschen in seinem Bild verstehen zu können. Wenn der Gesundheitszustand noch einigermaßen stabil ist, können solche Bilder gemeinsam angeschaut werden und man kann mit ihnen arbeiten. Wenn aber das Realitätsbewusstsein sich verändert, ist es meist nicht | KO M M U N I K AT I O N I M A N G E S I C H T D E S TO D E S Bildhafte Sprache 1 Es ist für mich allerdings erstaunlich, dass in dem Standardwerk »Die Begleitung Sterbender« der Sprache kein eigener Beitrag gewidmet ist: Spiegel-Rösing, Ina; Petzold, Hilarion (Hg.): Begleitung. Paderborn 1984. 15061_Umbr.indd 15 25.06.10 13:24 mehr möglich. Es ist dann geboten, möglichst im Bild zu bleiben, die Antwort aber so offen wie möglich zu halten. 16 | GEDANKEN ZUM UMGANG MIT TR AUER, ABSCHIED, TOD Ein 90-jähriger Patient mit metastasiertem Pankreaskarzinom sagte zu mir: »Ich liebe meine Frau wie am ersten Tag. Aber ich habe ihr zu wenig Rosen geschenkt.« Ich versuchte ihm zu sagen, dass es doch etwas ganz Besonderes sei, wenn er nach einer so langen Ehe sagen könnte: »Ich liebe meine Frau wie am ersten Tag«, und dass er ihr das bestimmt immer wieder gezeigt hätte. Doch er beharrte auf den Rosen. Ich vermutete schließlich, dass gerade dieses Zeichen der Liebe für ihn eine ganz besondere Bedeutung haben müsse – die mir allerdings nicht bekannt war. Ich ging auch auf die Rosen ein und fragte ihn, welche Rosen er ihr denn heute schenken würde, wenn er einkaufen würde. Er: »Dann würde ich 50 rote Rosen kaufen, ganz dunkelrote«. Ich fragte ihn, ob die fünfzig eine besondere Bedeutung hätten. Er schwieg. Dann fragte ich, ob denn ein anderer – ich zum Beispiel – das für ihn tun könnte. Er: »Ich weiß nicht, ob das etwas hilft …«. Er war dann sehr erschöpft, die Augen fielen ihm zu. Da er Zeit seines Lebens praktizierendes Gemeindeglied gewesen war, fragte ich ihn dann, ob er gemeinsam mit seiner Frau vielleicht das Abendmahl feiern wollte, in dem doch Gott uns in Christus vergeben würde, wenn wir gegen einen anderen schuldig geworden wären. Doch er sagte: »Aber das sind keine Rosen.« Nach dem Gespräch mit ihm – wir waren dabei alleine – hatte ich ein weiteres Gespräch mit seiner Frau. Und sie wiederum erzählte, dass ihr Mann immer alles ganz selbstverständlich genommen hätte, was sie geleistet hätte. Nicht einmal zur Goldenen Hochzeit habe er ihr Rosen geschenkt – die seien von den Kindern gekommen. Dieses Beispiel zeigt, wie verschlüsselt die Sprache sein kann, wie wichtig aber auch, dass verstanden wird, was gemeint ist. Voraussetzung des Verstehens war auch hier, zunächst im Bild zu bleiben. Die Lösung aber kam in diesem Fall durch die Frau. Das ist eine Beobachtung, die ich häufig mache: dass nahe Angehörige sich gewissermaßen in der Bilderwelt des Kranken besser auskennen als eine Außenstehende, dass aber andererseits die persönlichen Bilder im Mittelpunkt des Gespräches gerade mit Außenstehenden stehen. 15061_Umbr.indd 16 25.06.10 13:24