Leseprobe - Schwabenverlag

Transcription

Leseprobe - Schwabenverlag
Inhalt
Vorwort
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
10
Gedanken zum Umgang mit Trauer, Abschied, Tod
Krankheit, Leiden, Sterben –
Krise, Chance, Läuterung . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
12
Kommunikation im Angesicht des Todes
.
.
.
.
.
.
.
.
15
Unter Bäumen, im Meer oder sonst irgendwo? .
.
.
.
.
.
23
.
.
.
.
28
» Du Trost der ganzen Welt«. . . . . . . . . . . . . .
31
Peter Neuhauser
Karin Kiworr
Gedanken eines Seelsorgers zum Bestattungswesen
Anton Seeberger
Beerdigungen und Trauerfeiern im Kirchenjahr
Im Advent
Die Wüste unseres Lebens wird sich verwandeln .
Wolfgang Schrenk
Zum Lied »O Heiland, reiß die Himmel auf« (GL 105)
Kathrin Buchhorn-Maurer
Adventliches Leben .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
36
Winfried Häberle
Die Fingerspitze eines Engels, die uns in der Trauer berührt
39
Karl-Heinz Feldmann
In der Weihnachtszeit
»Ich lag in tiefer Todesnacht, du warest meine Sonne«.
.
.
44
Zum Lied »Ich steh an deiner Krippe hier« (GL 141)
Wilhelm Benning
In der Fastenzeit
Bedenke, Mensch, dass du Staub bist
.
.
.
.
.
.
.
.
.
47
.
.
.
.
.
.
.
.
.
50
Anton Seeberger
Am Rande der Wüste .
.
.
.
.
.
.
Angelika Daiker
15061_Umbr.indd 5
25.06.10 13:24
In der Osterzeit
Das Tor zum Leben .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
54
»Reiß aus aller Not uns in das rechte Leben«.
.
.
.
.
.
.
57
.
60
Heribert Feifel
Zum Lied »Nun freut euch hier und überall« (GL 226)
Anton Seeberger
Zu Pfingsten
»Höchster Tröster in der Zeit« – von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Zum Lied »Komm herab, o Heilger Geist« (GL 244)
Wilhelm Benning
Trauerfeiern
für Verstorbene verschiedenen Alters
Ich habe dich beim Namen gerufen .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
66
.
.
.
.
.
.
68
Verwundete Muscheln lassen Perlen entstehen .
.
.
.
.
.
70
Tod kurz nach der Geburt
Marlies Bernhard/Doris Kellner/Ursula Schmid
Weggenommen .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Tödlicher Unfall eines fünfjährigen Kindes
Wolfgang Gramer
Tod eines kleinen Kindes
Martin Schubert
Unfassbar
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
72
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
76
Tod eines jungen Menschen
Andreas Magg
Unschuldig .
.
.
.
.
.
.
Tod eines 19-Jährigen durch Unfall
Joachim Harner
Verwaist .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
80
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
83
Tod einer jungen Mutter
Clemens Stroppel
Verunglückt .
.
.
.
.
Für einen bei einem Arbeitsunfall verstorbenen jungen Vater
Dieter Müller
15061_Umbr.indd 6
25.06.10 13:24
Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt
.
.
.
.
.
.
.
.
87
.
89
Kirchlich distanziert, nach kurzer Krankheit mitten aus dem
Leben gerissen
Anton Seeberger
Plötzlich .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Für einen Menschen, der mitten aus dem Leben gerissen wurde
Paul Weismantel
Weisheit und Torheit .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
93
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
96
Einstimmen in das Lied des Vertrauens .
.
.
.
.
.
.
.
.
100
.
.
.
.
.
104
Tod in »gesegnetem Alter«
Paul Weismantel
Seht, hier ist euer Gott
.
Unerwarteter Tod im Alter
Anton Bauer
Tod eines langjährigen kirchlichen Mitarbeiters
Martin Schniertshauer
Trauerfeiern für
besondere Sterbesituationen
Er denkt daran, wir sind nur Staub .
.
.
.
.
Tod eines drogenabhängigen und HIV-positiven Mannes
Petrus Ceelen
Vor wem sollte ich mich fürchten? .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
107
Du tauchst die Finsternis ins Licht deiner Gnade .
.
.
.
.
109
Freitod eines psychisch kranken jungen Mannes
Thomas Keller
Suizid im Alter wegen Krankheit und Einsamkeit
Karl-Heinz Feldmann
Nicht machbar .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
114
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
118
Tod bei einer Operation
Wolfgang Gramer
Unbekannt
.
.
.
.
.
Für einen Verstorbenen ohne Verwandte und Bekannte
Andreas Senn
15061_Umbr.indd 7
25.06.10 13:24
Besondere Abschiedsrituale
Segen zum Abschied
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
122
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
124
Susanne Ruschmann
Ritual bei einer Katastrophe
Annedore Barbier-Piepenbrock
Weil es dunkel ist
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
125
»So besonders angeschaut« .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
128
Segensfeier für Trauernde
Heribert Feifel
Trauerfeier an einer Schule für den Rektor
Michael Broch
Dem Herzen so nah .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
131
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
134
Zum Tod einer Mitschülerin
Anja Wiese
Hast du mich verlassen? .
.
Gemeinsames Abschiednehmen eines/einer Todkranken mit
den Angehörigen
Anton Seeberger
Ich hebe meine Augen auf
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
137
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
140
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
142
Am Totenbett
Burkhard Seeger
Die Nacht ist voller Sterne
Zur Aufbahrung
Barbara Rolf
Zurückgenommen .
.
.
.
Urnenbeisetzung mit oder ohne kirchliche/n Beauftragte/n
Christiane Bundschuh-Schramm
Gedenkfeiern im Jahreslauf –
Gedanken zu Sterblichkeit und Sterben
Rituale zum Jahresgedächtnis/an Gedenktagen für verstorbene
Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146
Marie-Luise Hildebrandt
Die Toten leben
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
150
Zum Totengedenken im November
Ludwig Mödl
15061_Umbr.indd 8
25.06.10 13:24
»… und das ewig’ Leben« .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
153
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
158
Zur Gräbersegnung
Werner Schrüfer
Unsterblich ist die Liebe .
Gedenkgottesdienst am Volkstrauertag oder Totensonntag
Paul Weismantel
Da hilft nur noch beten!? .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
163
.
.
.
.
.
.
.
167
.
.
.
.
.
.
.
171
Ökumenisches Friedensgebet
Wolfgang Tripp
Mit meinem Gott überspringe ich Mauern
9. November
Anton Seeberger
Sterne gegen das Dunkel .
.
.
.
.
.
.
Für die verstorbenen Kinder weltweit – Worldwide Candle Lighting
Kirstin Germer
Personsein abgesprochen?
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
173
Die Würde des Menschen ist mit seiner Existenz gegeben
Alfons Maurer
»Später sterbe ich gerne« .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
178
Selbstbestimmtes Sterben?
Hans Peter Rieder
Bibelstellenverzeichnis .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
182
Stichwortregister
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
183
Nachweis der Erstveröffentlichung .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
185
Quellennachweis
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
190
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
Abkürzungen bei den Liedvorschlägen: EG = Evangelisches Gesangbuch;
GL = Gotteslob; EH = Erdentöne – Himmelsklang. Neue geistliche Lieder,
Schwabenverlag, 6. Aufl. 2007; Tr = Liederbuch »Troubadour für Gott«, erw.
Aufl., hg. vom Kolping-Bildungswerk, Diözesanverband Würzburg e. V.,
Würzburg.
15061_Umbr.indd 9
25.06.10 13:24
Vorwort
Abschied, Trauer und Tod sind unumstößliche Grunderfahrungen menschlicher Existenz. Darum zu wissen ist eins, doch etwas anderes ist es, wenn der
Tod plötzlich ganz nahe kommt, weil geliebte Menschen sterben. Dann lähmt
oft das Entsetzen, Sprachlosigkeit macht sich breit oder die Frage nach dem
Warum bricht auf, die meist ohne Antwort bleibt. Die Welt – mag sie klein oder
groß sein – bricht zusammen. »Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit
dem Tod der anderen muss man leben«, sagte die Dichterin Mascha Kaléko, die
ihren Mann und ihr einziges Kind verlor.
Rituale des Abschieds oder Trauerfeiern helfen, das Geschehene zu durchleben und der Dankbarkeit über jedes gelebte Leben Raum zu geben. Für Christen ist der Tod nicht das Ende, sondern ein Weitergehen zu Gott in seine Herrlichkeit. Doch was bedeutet dies angesichts qualvollen Sterbens und »sinnloser«
Verluste? Auch für »geübte« Trauerbegleiter ist es oft nicht leicht, die richtigen
Worte zu finden. Bei Beerdigungsfeiern oder in Gottesdiensten anlässlich von
Katastrophen sind häufig auch Menschen anwesend, denen kirchliche Rituale
fremd sind. Wie kann in diesen Situationen die christliche Botschaft verständlich und tröstlich zur Sprache gebracht werden?
Die folgenden Beiträge entstanden zu Beerdigungen, Gedenkfeiern oder sonstigen Trauerfeiern oder bei der Beschäftigung mit dem Themenkreis Abschied
und Tod. Die Autoren nehmen Bezug auf das Sterben und den Tod in verschiedenen Lebensphasen oder Situationen, auf das Kirchenjahr, auf Jahrestage
und Anlässe wie Katastrophen, den Volkstrauertag oder den 9. November. Aus
der Fülle von Bausteinen und Anregungen lässt sich das Passende auswählen
und durch Texte und Rituale, die dem/der jeweiligen Verstorbenen oder seinen
Angehörigen wichtig sind bzw. waren, ergänzen.
Register am Ende des Buches erleichtern die Suche. Mit der beigelegten CDRom lassen sich die Texte schnell in eigene Entwürfe integrieren.
So bleibt noch der Wunsch, dass allen Trauernden in der Dunkelheit der Trauer
immer wieder das Licht der Auferstehung aufleuchtet.
Ulrike Voigt
15061_Umbr.indd 10
25.06.10 13:24
Gedanken zum Umgang
mit Trauer, Abschied, Tod
15061_Umbr.indd 11
25.06.10 13:24
Krankheit, Leiden, Sterben –
Krise, Chance, Läuterung
Schrifttext: Ijob 42,1–6
Predigt
12
| GEDANKEN ZUM UMGANG MIT TR AUER, ABSCHIED, TOD
15061_Umbr.indd 12
Es gibt Augenblicke im Leben, die uns vor Entsetzen verstummen lassen. Für
mich gehörte der 11. September 2001 in New York dazu, aber auch einige persönliche Erfahrungen mit tragischem Elend in nächster Umgebung. Nach dem
ersten Schock schreit mein Inneres »warum?« und mein Verstand sucht Erklärungen. Aber beide stoßen an die dunkle Wand des Unerklärlichen. Die nächste
Phase prägen Bilder wie Ijob, todkrank auf den Scherben seines Lebens, und
Jesus als Geschändeter am Kreuz. Die Bilder geben keine Antwort, aber sie
fordern zur Stellungnahme heraus.
Hinsehen gehört zu meiner ersten Reaktion. Krankheit, Leid, Tod prägen als
Grenzerfahrungen die menschliche Existenz und werden schicksalhaft empfunden. Sie stören, schrecken auf und ich möchte sie gerne wegschieben. Aber
ich konnte auch erfahren, dass ein plötzlicher Verkehrsunfall Ausdruck einer
menschlichen Krise sein kann: Nach einem Autounfall musste ich drei Wochen
ruhig liegen wegen einer schweren Gehirnerschütterung. Zuerst meinte ich,
dass mir diese Zwangsruhe ganz ungelegen kam. Ich durfte nicht lesen, starrte
an die Decke, versuchte zu beten, nachzusinnen, zu schlafen. Nach einigen
Tagen entdeckte ich, wie wichtig es war, mich mit meiner Situation im Beruf
auseinanderzusetzen, Beziehungen zu überdenken und zu ordnen. Ich stand
erholt auf und empfand den Unfall als Fingerzeig Gottes in meinem Leben.
Damals näherte ich mich erst der Tiefe des Buches Ijob. Schritt für Schritt erkennt der Leidende seine Lage und lässt sich nichts vormachen von seinen
Freunden. Weder akzeptiert er die Meinung, seine Krankheit sei eine Strafe
Gottes, noch eine Vertröstung auf Gottes Lohn. In Ijobs Worten verstand ich,
was das griechische Wort pathein bedeutet, nämlich Leidenschaft und Leiden.
Alle Fasern des Gefühls sind angespannt – das ist Realität des Leidens.
Jeder Mensch muss sein Leben leben, so wollte es der Schöpfer.
Dennoch tröstet es, wenn andere begleiten.
25.06.10 13:24
15061_Umbr.indd 13
13
| K R A N K H E I T, L E I D E N , S T E R B E N – K R I S E , C H A N C E , L ÄU T E R U N G
Mich beeindruckt die Art, wie die Freunde des Ijob sich zuerst schweigend
setzen und einfach da sind – sieben Tage und sieben Nächte. Diese Reaktion
habe ich bei mir oft entdeckt, wenn ich schwerstkranke Menschen besuchte
und froh war, die Urgesten der Sakramentenspendung, z. B. Salben, den Leib
Christi reichen, vollziehen zu können. Aber es gibt Stunden, da ist eine Antwort auf eine Frage, auf das Weinen und Klagen eines Menschen zu suchen.
Dabei sind Ausreden wie: »Es wird schon wieder«, oder: »Wer weiß, was diese
Zeit im Leben bedeutet?«, nicht gefragt. Auch bei Ijob treffen die tiefsinnigen
theologischen Betrachtungen der Freunde das Herz des Ijob nicht. Ihn versteht
letztlich nur Gott, der ihm die Zeit zum Widerstreit, zur Klage und Anklage
lässt. Ich kann verstehen, dass Ärzte die gleichen Probleme haben, Todkranken ihre Situation offen zu sagen. Beim Besuch einer schwerstkranken jungen
Mutter sprach mich die Ärztin an, ob ich der Frau nicht die Diagnose, dass
nach allem menschlichen Ermessen keine Hilfe mehr möglich ist, vermitteln
könne. Sie brachte es nicht übers Herz. Ich kannte die Frau seit ihrer Kindheit
und eröffnete ihr die Wahrheit, umarmte sie und hielt sie in ihrem Schreien
und ihrem Weinen. Nach Tagen wurde sie ruhiger, wollte ihre Tochter sehen
und ihren Mann. Schließlich wünschte sie sich die Sterbesakramente und
schlief kurz nach dem Empfang der Kommunion ein. Ich glaube daran, dass
Gott uns Menschen mit seiner Nähe – vermittelt durch Menschen, Worte, Erlebnisse, Zeichen – in unserer Seele begleitet und so sein Name »Ich bin da bei
dir« aufleuchtet.
So bedeutet für mich das Durchleben des Menschen von Grenzsituationen und
das Einstimmen in das eigene Sterben: reifen.
Die letzte Phase der Ijoberzählung beleuchtet diese Läuterung menschlicher
Existenz. »Darum widerrufe ich und atme auf in Staub und Asche« (Ijob 42,6).
Noch inmitten seiner Not erfährt Ijob die erlösende Kraft seines unerschütterlichen Glaubens an Gott. So wird er zum Bild für den Gekreuzigten, der den
Abgrund des Todes in der Auferstehung überwindet.
Wie die Begegnung mit dem Gekreuzigten in leidenden Menschen wirken
kann, dem Gebet Ijobs vergleichbar, erlebte ich bei einem MS-Kranken. Mit 25
Jahren – er war frischgebackener Diplomingenieur – begann die schleichende
Krankheit, und als ich ihn als Kaplan kennenlernte, war sie schon weit fortgeschritten. Der inzwischen Mittdreißiger versuchte alles, die Krankheit in den
Griff zu bekommen, kämpfte mit seinem Gott um das Gesundwerden. Die
letzte Hoffnung bedeutete für ihn eine Lourdes-Fahrt. Es gelang, ihm die Teil-
25.06.10 13:24
14
| GEDANKEN ZUM UMGANG MIT TR AUER, ABSCHIED, TOD
15061_Umbr.indd 14
nahme bei einer Krankenwallfahrt zu ermöglichen. Nach seiner Rückkehr
brachte ich ihm wie immer monatlich die heilige Kommunion und erlebte einen
ganz veränderten Menschen. Er erzählte mir: »Ich bin nicht körperlich geheilt,
aber meine Seele ist heil geworden. Das Erlebnis so vieler Leidensgenossen und
die Gemeinschaft von Gesunden und Kranken ließ mich erkennen: Meine
Krankheit anzunehmen gehört zu meiner Lebensberufung.« Für mich bedeutete diese Aussage ein wahres Wunder. Der MS-Kranke erzählte Witze, konnte
wieder lachen und tröstete seine Freunde und Angehörigen. Und wenn er
große Schmerzen ertragen musste, sah er auf zu dem Kreuz, das er in seiner
Blickrichtung aufhängen ließ.
Ijobs Erfahrungen im eigenen Lebenshorizont vertieften meinen Zugang zum
erlösenden Geschehen des Kreuzestodes Jesu. Die Fragen nach dem Sinn
menschlichen Leidens und Sterbens beantwortet nicht die ratio. Sie müssen
leidenschaftlich als Krise, Chance und Reifung durchlebt werden, dann öffnet
sich schließlich der Tunnel zum gleißenden Licht der Auferstehung.
Peter Neuhauser
25.06.10 13:24
Kommunikation im Angesicht des Todes
Über »die« Sprache von sterbenden Menschen ist in den vergangenen Jahren
manches geschrieben worden, eine wirkliche Analyse steht meines Erachtens
allerdings noch aus und kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden.1 Hier
kann lediglich der Ort für Beobachtungen sein, die in der Begleitung sterbender Menschen gemacht wurden.
15
Schwerkranke Menschen sprechen häufig in einer bildhaften Sprache, die
schon das Wort »sterben« bzw. »Tod« vielfach zu umschreiben sucht. Doch die
bildhafte Sprache durchdringt alle Bereiche des Erlebens. Sie gilt es zunächst
einmal wahrzunehmen, nach dem Sinn- und Bedeutungsgehalt der Bilder zu
fragen und mit dem Bild des Kranken in Kommunikation zu treten. Unbedingt
zu vermeiden ist eine vorschnelle Analyse des Bildes, weil sie wirklicher Kommunikation im Weg stehen würde.
Wenn z. B. ein kranker Mensch davon spricht, noch jemandem Geld zu schulden, dann kann er damit eine reale Schuld meinen, die er begleichen möchte.
Er kann aber auch jemandem gegenüber etwas schuldig geblieben sein, er kann
Schuld auf sich geladen haben. Es kann das Geld und nicht so sehr die Schuld
die eigentliche Metapher sein. Und es kann sich schließlich um etwas handeln,
das allein der kranken Person verständlich ist und jedem anderen Menschen
dunkel bleibt. Es gehört für die Begleiterperson Geduld und Phantasie dazu,
vielleicht auch etwas an Wissen über religiöse, mythologische oder symbolische Zusammenhänge, um einen kranken Menschen in seinem Bild verstehen
zu können. Wenn der Gesundheitszustand noch einigermaßen stabil ist, können solche Bilder gemeinsam angeschaut werden und man kann mit ihnen arbeiten. Wenn aber das Realitätsbewusstsein sich verändert, ist es meist nicht
| KO M M U N I K AT I O N I M A N G E S I C H T D E S TO D E S
Bildhafte Sprache
1 Es ist für mich allerdings erstaunlich, dass in dem Standardwerk »Die Begleitung Sterbender« der Sprache kein eigener Beitrag gewidmet ist: Spiegel-Rösing, Ina; Petzold,
Hilarion (Hg.): Begleitung. Paderborn 1984.
15061_Umbr.indd 15
25.06.10 13:24
mehr möglich. Es ist dann geboten, möglichst im Bild zu bleiben, die Antwort
aber so offen wie möglich zu halten.
16
| GEDANKEN ZUM UMGANG MIT TR AUER, ABSCHIED, TOD
Ein 90-jähriger Patient mit metastasiertem Pankreaskarzinom sagte zu mir:
»Ich liebe meine Frau wie am ersten Tag. Aber ich habe ihr zu wenig Rosen
geschenkt.« Ich versuchte ihm zu sagen, dass es doch etwas ganz Besonderes
sei, wenn er nach einer so langen Ehe sagen könnte: »Ich liebe meine Frau wie
am ersten Tag«, und dass er ihr das bestimmt immer wieder gezeigt hätte. Doch
er beharrte auf den Rosen. Ich vermutete schließlich, dass gerade dieses Zeichen der Liebe für ihn eine ganz besondere Bedeutung haben müsse – die mir
allerdings nicht bekannt war. Ich ging auch auf die Rosen ein und fragte ihn,
welche Rosen er ihr denn heute schenken würde, wenn er einkaufen würde.
Er: »Dann würde ich 50 rote Rosen kaufen, ganz dunkelrote«. Ich fragte ihn, ob
die fünfzig eine besondere Bedeutung hätten. Er schwieg. Dann fragte ich, ob
denn ein anderer – ich zum Beispiel – das für ihn tun könnte. Er: »Ich weiß
nicht, ob das etwas hilft …«. Er war dann sehr erschöpft, die Augen fielen ihm
zu. Da er Zeit seines Lebens praktizierendes Gemeindeglied gewesen war,
fragte ich ihn dann, ob er gemeinsam mit seiner Frau vielleicht das Abendmahl
feiern wollte, in dem doch Gott uns in Christus vergeben würde, wenn wir
gegen einen anderen schuldig geworden wären. Doch er sagte: »Aber das sind
keine Rosen.«
Nach dem Gespräch mit ihm – wir waren dabei alleine – hatte ich ein weiteres
Gespräch mit seiner Frau. Und sie wiederum erzählte, dass ihr Mann immer
alles ganz selbstverständlich genommen hätte, was sie geleistet hätte. Nicht
einmal zur Goldenen Hochzeit habe er ihr Rosen geschenkt – die seien von den
Kindern gekommen.
Dieses Beispiel zeigt, wie verschlüsselt die Sprache sein kann, wie wichtig aber
auch, dass verstanden wird, was gemeint ist. Voraussetzung des Verstehens
war auch hier, zunächst im Bild zu bleiben. Die Lösung aber kam in diesem Fall
durch die Frau. Das ist eine Beobachtung, die ich häufig mache: dass nahe Angehörige sich gewissermaßen in der Bilderwelt des Kranken besser auskennen
als eine Außenstehende, dass aber andererseits die persönlichen Bilder im
Mittelpunkt des Gespräches gerade mit Außenstehenden stehen.
15061_Umbr.indd 16
25.06.10 13:24

Documents pareils