Seh(n)sucht......

Transcription

Seh(n)sucht......
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
............. Seh(n)sucht.........
Der Wunsch nach Aufmerksamkeit ist womöglich der wichtigste
Antrieb des Menschen und die Mutter aller Süchte. Liebe, Sex,
Geld, Mode und Macht sind dafür nur Chiffren. Von Ute Scheub
Armer Robbie Williams. Er ist ein Weltstar, hat 65 Millionen Alben
verkauft, watet durch ein Meer von Geld und Mädchenherzen und ist
doch tiefunglücklich. Seinen 33. Geburtstag verbrachte er in einer
Entzugsklinik, wo er sich wegen Alkohol- und Tablettensucht
behandeln ließ. Menschen, die im Zentrum der Medieninteresses
stehen - Rockstars, Sportler und Politiker - scheinen besonders
anfällig für Süchte zu sein. Aufmerksamkeitssucht ist offenbar die
Mutter aller Süchte.
„Ist Bindung eine Suchterkrankung?“, fragte Thomas Insel, Direktor
des National Institute of Mental Health in den USA, 2003 in einem
wissenschaftlichen Artikel. Die Überschrift war nicht ganz ernst
gemeint, der Text schon. Der Autor bezog sich auf ein von der
Evolution entwickeltes „Belohnungssystem“ in den Gehirnen von
Menschen und Tieren. Handlungen, die für das Überleben wichtig
sind Essen, Trinken, Sex - werden durch die Produktion von
Glücksbotenstoffen „belohnt“. Auch die Pflege sozialer Bindungen
löst eine Überschwemmung mit Dopamin, Oxytoxin, Vasopressin und
körpereigenen Opiaten Glücksgefühle aus. Nichts motiviert uns mehr
als die Aufmerksamkeit anderer Menschen, schreibt der Hirnforscher
1
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
Joachim Bauer in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“.
An dieses Motivationssystem können jedoch auch künstliche
Suchtmacher andocken. Suchtkrankheiten entwickeln sich wohl erst
dann, wenn die Sucht nach Aufmerksamkeit als ursprüngliche SehnSucht aller Menschen nicht befriedigt wird: meist durch einen
Mangel an Zuwendung, in seltenen Fällen durch ein Übermaß. In
einem
emotional vernachlässigten Kind entsteht eine furchtbare
innere Leere, die es später im Leben mit Ersatzsüchten und
Ersatzbindungen vergeblich zu stopfen versucht. Ein verzärteltes
Kind, das ständig im Mittelpunkt steht, ist ebenfalls gefährdet,
denn es lernt nie, aktiv um Zuwendung zu werben und die
Sehnsuchtsspannung bis zur Befriedigung auszuhalten; damit wird
sein Motivationssystem ebenfalls fehlprogrammiert. Entstehen
später Süchte, dann besetzen Ersatzstoffe jene Rezeptoren der
Nervenzellen, die für körpereigene Glücksstoffe vorgesehen sind:
Nikotin, Alkohol und Kokain bewirken eine Freisetzung von Dopamin;
Heroin und Opium ersetzen körpereigene Opiate. Es können sich aber
auch nichtstoffliche Abhängigkeiten entwickeln – Arbeitssucht,
Kaufsucht, Spielsucht -, die meist mit fantasierter sozialer
Beachtung einhergehen. Durch Arbeit erhofft man sich Erfolg, durch
Kauf von Statussymbolen Respekt, durch Killerspiele Anerkennung in
der Jugend-Community. Alle Süchte haben gemeinsam, dass sie die
Produktion von Glückstoffen kurzfristig anheizen und langfristig
zerstören.
In seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ erklärt
Hirnforscher Joachim Bauer, wie die Basis aller Bindungen
entsteht, die zwischen Neugeborenen und Eltern. Eine wichtige
Rolle spielt dabei das Hormon Oxytoxin, von Forschern mit
Augenzwinkern auch „Knuddelhormon“ genannt. Oxytoxin versetzt
frischgebackene Mütter und Väter in einen Glücksrausch und sorgt
dafür, dass sie sich intensiv mit ihren Babies beschäftigen.
Neugeborene ahmen schon nach wenigen Stunden oder Tagen
2
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
Gesichtsausdrücke nach, öffnen den Mund oder strecken die Zunge
heraus. Zwei Monate alte Babies bemühen sich aktiv um eine
gefühlsmäßige Übereinstimmung mit den Eltern. Sie lernen, ihre
Blicke und ihre Aufmerksamkeit nach den Blicken der Erwachsenen
auszurichten. In späteren Lebensmonaten imitieren sie spielerisch
Laute, Gesten und Bewegungen, noch später ganze Handlungsketten.
Voraussetzung dafür sind die sogenannten Spiegelneuronen in den
Gehirnen von Kindern und Erwachsenen. Diese sorgen dafür, dass wir
Mimik, Gestik und Handlungen anderer Menschen in
Sekundenbruchteilen intuitiv richtig einschätzen, weil unser
Unterbewusstsein sie simuliert. Wir gähnen, wenn wir andere gähnen
sehen. Wir lächeln, wenn wir angelächelt werden. Wir ahmen Gesten
unseres Gegenübers nach. Wir trauern mit, wenn ein Freund vom Tod
seiner Mutter berichtet. Kein Wunder: In unserem Kopf werden
dieselben Neuronen aktiv wie in dem des anderen.
Die philosophische Schlussfolgerung daraus lautet: Das Ich besteht
aus tausend Wirs. Wir sind Matrjoschkas, russische Puppen. In uns
stecken die Blicke unserer Eltern und Großeltern, die ihrerseits
die Blicke ihrer Vorfahren gespeichert haben. In uns stecken
neurologische Erinnerungsspuren an alle Menschen, denen wir je
begegnet sind, steckt die halbe Welt.
Führende Hirnforscher glauben, Spiegelzellen seien auch die
neurologische Basis von Empathie und Moral. Der US-Neurologe
Vilayanur Ramachandran nennt sie deshalb auch „Dalai-LamaNeuronen“. Moralische Vorstellungen kann man nur dann entwickeln,
wenn man sich in andere hineinversetzen kann, wenn man mitfühlt,
dass sie genauso Schmerzen, Hunger und Kälte erleiden und genauso
davon verschont werden möchten wie man selbst. Kant hat das in
seinem kategorischen Imperativ formuliert. Einfach ausgedrückt:
Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen
zu.
3
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
Diese sogenannte Goldene Regel ist in allen Weltreligionen und
Kulturen präsent - darauf weist auch Hans Küngs „Stiftung
Weltethos“ gerne hin. „Keiner von Euch ist ein Gläubiger, solange
er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selbst wünscht“, heißt
es in einem islamischen Hadith. „Man sollte sich gegenüber anderen
nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm
ist; das ist das Wesen der Moral“, besagt ein Spruch des
hinduistischen Epos Mahabharata. „Was du selbst nicht wünschst,
das tue auch nicht anderen Menschen an“, hat Konfuzius schon im
4.Jahrhundert v.Chr. Formuliert, und die empathische Haltung ist
auch der Grundgedanken der taoistischen Lehre. Religionen können
einen Rahmen für das Miteinander der Menschen und das Spiel ihrer
Spiegelneuronen und Glücksstoffe schaffen. Allerdings braucht man
für die Befolgung der Goldenen Regel nicht wirklich einen Gott,
sie funktioniert auch ohne Religion.
Fundamentalistische Religionsführer halten ihre Anhänger sogar
regelrecht davon ab, mit ihren Nächsten mitzufühlen. Aufrufe zu
Kreuzzügen und heiligen Kriegen sind genau das Gegenteil der
Goldenen Regel. Man könnte das die Schwarze Regel nennen, was
bislang jede Religion und Weltanschauung befallen hat: die
Überzeugung, man selbst sei etwas Besseres, weil von Gott
auserwählt, man habe deshalb das Recht, Andersgläubige zu
missionieren oder zu töten. Wer so vorgeht, muss das empathische
Spiel der Spiegelneuronen nachhaltig unterdrücken.
Im 19. Jahrhundert und während der Nazizeit geschah das durch die
sogenannte Schwarze Pädagogik. Sigrid Chamberlains Buch „Adolf
Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ zeichnet nach,
welche massiven Schäden die Nazi-Erziehung anrichtete. Säuglinge
sollten vom ersten Tag an in kalten Zimmern allein gelassen und
damit buchstäblich kaltgestellt werden. Überhaupt solle man sich
so wenig wie möglich mit den Kindern beschäftigen und sie nur zur
4
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
Nahrungsaufnahme hochnehmen. Das Wichtigste sei, ihnen so früh wie
möglich peinliche Sauberkeit beizubringen. Es war ein Programm,
das gestresste, gefühlsverkrüppelte, selbstmitleidige,
brutalisierte Menschen produzierte: Gelobt sei, was hart macht.
Ein deutscher Junge weint nicht. Er kennt keine Bedürfnisse, nur
die Verleugnung von Bedürfnissen. Wer solch einer Erziehung zum
Opfer fällt – und emotionale Vernachlässigung ist auch in heutigen
Zeiten ein Riesenthema! -, der hat lebenslang an den Folgen zu
tragen. Und seine Mitmenschen auch.
Das Sehen ist bei uns Menschen der wichtigste Sinn. Wir sind
Augentiere, auch unser Denken ist durch bildliche Vorstellungen
geformt. Wer wem Blicke zuwerfen darf oder die Augen
niederschlagen muss, wird in den verschiedenen Gesellschaften auf
komplexe Weise reglementiert. Auch die Kleiderordnung spielt hier
ihre Rolle: Ansehen schafft Mode und Mode schafft Ansehen. Genauso
wichtig ist das Zurückgesehen-Werden, also Re-Spekt; Ehre und
Prestige sind dafür nur andere Worte. Die Beschädigung von Ehre
und Ansehen kann Menschen töten. Wer „sein Gesicht verloren hat“,
wie es im asiatischen Raum heißt, hat nichts mehr, was angesehen
werden kann, hat kein An-Sehen mehr, fühlt sich wie tot und begeht
nicht selten Suizid.
Auch hinter dem allgegenwärtigen Streben nach Geld und noch mehr
Geld verbirgt sich oft nur Seh(n)sucht nach Anerkennung. Nur mit
Geld kann man Prestigesymbole kaufen. Renommiermobiliar. Zugang zu
Wichtigkeitsmärkten und Medienlogen. Das Gespiegeltwerden in
Tausenden von Augen.
In unserer Gesellschaft drehe sich alles um das knappe Gut
Aufmerksamkeit, meint Georg Franck, Autor des Buches „Ökonomie der
Aufmerksamkeit“. Um ihren bunten Schrott zu verkaufen, muss die
Industrie die kostbare Aufmerksamkeit der Käufer auf ihre Waren
lenken. Kostbar, weil sie so begrenzt und nur für
5
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
Sekundenbruchteile zu lenken ist. Kostbar, weil die Konkurrenz der
PR-Maschinerien um den entscheidenden Augen-Blick der Kunden so
groß ist. Heutige Industrieländer, sagt Franck in seinem zweiten
Buch „Mentaler Kapitalismus“, leben immer weniger von
Fabrikproduktion und immer mehr von der Wissensindustrie, die
ebenfalls wie ein gigantischer Aufmerksamkeitsmarkt funktioniert.
Ein Wissenschaftler akkumuliert Aufmerksamkeit, indem er zitiert
wird, Reputation entsteht durch Zitation. Die gesamte Wissenschaft
dreht sich nur noch darum, wer wo wann wie veröffentlicht, und
nicht selten werden fachliche Konkurrenten mit üblen Methoden
daran gehindert, zuerst zu veröffentlichen. Denn nur wer viel
zitiert wird, hat Chancen auf Forschungsgelder und Nobelpreise.
Francks Argumentation ist allerdings etwas zu ökonomistisch.
Wissenschaftler streben vor allem nach Macht und Einfluss - andere
Worte für die Fähigkeit, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Noch
wichtiger als die Geldsumme beim Nobelpreis ist das internationale
Prestige, die Spiegelung in den Augen von Millionen Mediennutzern.
Ein Nobelpreisträger kann sich einbilden, plötzlich millionenfach
zu existieren – als Erinnerungsspur in den Köpfen von
Fernsehzuschauern rund um die Welt. Das mindert seine Angst vor
Einsamkeit und Tod. Aber wenn er nicht zu jenen seltenen
Exemplaren gehört, die seit einer glücklichen Kindheit in sich
ruhen, beginnt bei ihm jener neurologische Teufelskreis, der nach
einem Mehr und noch Mehr von der Droge Aufmerksamkeit verlangt –
und weiteren Drogen. Doch Medien sind künstliche Augen, mediale
Aufmerksamkeit kann die echte Begegnung mit Menschen niemals
ersetzen. Im Gegenteil: Sie deformiert sie. Die meisten
Prominenten sind eitle Narzissten, mit denen man nicht befreundet
sein will.
Wie sich das bei Politikern auswirkt, schildert der Ex-„Spiegel“Journalist Jürgen Leinemann in seinem Buch „Höhenrausch“.
Leinemann beschreibt Politiker als süchtige alcoholics,
6
Ute Scheub, Seh(n)sucht, erschienen im Berliner Tagesspiegel am 1.4.2007
medialcoholics, workoholics, unersättlich nach immer neuer
rauschhafter Bestätigung ihrer Wichtigkeit. Er zitiert einen
früheren Bundesminister, der nach seinem Rücktritt „auf einmal
richtige Lebensangst“ empfand:
„Wenn du je in einer Position
warst, wo eine Anregung von dir aufgegriffen und in reale Politik
umgesetzt wird, dann erzeugt das einen Rausch... Das hat Magie. Du
bist im Zentrum. Du bist im verbotenen Zimmer, im Tempel der
Macht, weit weg von den Menschen...“
Aber vielleicht hat der vorherrschende Typus von Sucht-Politikern
auch etwas mit der deutschen Vergangenheit zu tun. Derzeit werden
wir von einer Generation von Machthabern regiert, deren Zugang zur
eigenen Psyche so verschüttet erscheint wie zu den Bombenkellern
ihrer Kindheit. Als Kinder hungerten, zitterten und froren sie,
sahen Tote, verspürten Todesangst. Später versuchten sie sich
hinter dicken Bäuchen, dicken Autos und dicken Bankkonten gegen
ihre Ängste zu schützen.
Und Robbie Williams? Nein, man muss nicht im Bombenkeller gesessen
haben, um massive Lebensangst zu entwickeln. Es reicht, wenn man
zuviel Erfolg hat und zuwenig echte Freunde. Die EUGesundheitsminister empfehlen: Nachhaltig glücklich macht nur
soziales Engagement.
7