Leseprobe - Torsten Rehfus

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Leseprobe - Torsten Rehfus
Leseprobe
Díego, dachte ich, ist ein tonto - und was für einer. Ein riesiger
Dummkopf, ein Idiot der Spitzenklasse, der sich ausschließlich auf
seine langatmigen, großkotzigen Volksreden spezialisierte, auf seine
ausgesprochene Affektiertheit und auf seine blauschwarze Mähne, die
er täglich mit anderthalb Tuben Wet-Gel aalglatt nach hinten gestrichen trug und es dennoch fertigbrachte, auf jedweder Vernissage
einfältig kichernde Kunst-Hochschul-Studentinnen «abzugreifen«, wie
er es nannte, um ihnen dann zu Hause in seinem Loft gnädig zu erlauben, einem wahren Kerl einen wahren Gefallen zu erweisen.
Díego, mein persönliches spanisches Synonym für Frauenhasser, für
Weiberfeind, kurzum, für SCHWEIN. Sie haben es sicherlich sogleich bemerkt, mit meiner Zuneigung für Díego ist es nicht unbedingt wohl bestellt.
»Männer sind sowieso alle muy estúpido«, grummelte ich verdrießlich in meinen nicht vorhandenen Bart, während ich kurz darauf mit
einem erfreuten Ausruf des Entzückens die gesuchten Wasserbomben
aus der Küchenschublade kramte. Als ich dieselben wenig später, prall
gefüllt mit Wasser, in meinen Büstenhalter schob, fragte ich mich mit
einem verstohlenen Blick in den Spiegel, ob nicht im Grunde doch
eher wir Leid geplagten Frauen die eigentlichen Geistesarmen sind,
dass wir überhaupt auf solch abstruse Ideen kommen, die Oberweite
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täuschend um zwei Körbchengrößen zu verdoppeln, nur um den
hirnverbrannten Mannsbildern zu gefallen. »Das ist muy estúpido,«
schoss es fuchsig aus meinem feuerrot bemalten Mund, als plötzlich
Pablo hinter mir stand und mich verdutzt von oben bis unten
musterte. »Paloma, qué haces?«
»Was ich mache? Das siehst du doch, ich mache mich schön ... für
dich. Ich möchte nicht weggehen. Lass uns endlich wieder lachende
Sonnen machen, mi cariño.«
»Lachende Sonnen? Hast du den Verstand verloren?« »Mitnichten.«
Ich griff energisch nach seiner Hand und schleifte ihn auf durchlöcherten Strumpfsocken hinter mir den Flur in Richtung Küche, um
dort herablassend auf den in kondomähnlicher Verkleidung
steckenden, abgeschmackten Armor-Magnet am Kühlschrank zu
zeigen. »Esta noche hacemos amor,« sagte ich augenzwinkernd und
tätschelte durchdringend seine niedliche Bauchfalte, während ich
Julio Iglesias’ »Amor« imitierte und meinen abgespannten Körper
taktfest mit jedem »amor, amor« rhythmisch hin- und herfallen ließ,
indem ich mithilfe seines maroden, abgewetzten Ledergürtels improvisierend Kniebeugen vollzog.
Einmal volltanken, bitte, wog ich meine Sinne durch die Lüfte,
mein Tank ist leer. Ich fahr auf bitterer Reserve!
»Lo siento, Paloma, aber ich habe Díego und den anderen schon fest
für heute zugesagt. Wir müssen das Liebemachen auf morgen verschieben.« »Morgen, morgen,« verdrehte ich entnervt die Augen,
»wenn du’s mir heute kannst besorgen, verschiebe es nicht auf
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morgen.« »Wie redest du denn! So kenne ich dich ja gar nicht. Und
was ist mit deinem Mund passiert?« »Wieso?« Mit einer brüsken
Handbewegung wehrte ich seine Finger ab, die sich geradeswegs anschickten, den sorgfältig doppelt nachgezogenen Konturenstrich
komplett zu verwischen, um mich albern und täppisch wie einen
närrischen Clown aussehen zu lassen. »Por qué, por qué ?« wiederholte Pablo kopfschüttelnd. »Du siehst irgendwie so ..., na ja, so ...«,
… »So was aus?«, unterbrach ich gereizt in verstimmtem Ton sein
Gestotter.
»So ... unnatürlich.« »Unnatürlich, ah ja,« herrschte ich ihn an. »Ich
sehe also unnatürlich aus. Ich sage dir was, esposo, unnatürlich wäre
es, sich tagelang wie du nicht die Zehennägel zu schneiden, sodass sie
sich durch sämtliche Socken bohren. Ganz recht, sieh nur zu Boden,
Du Mittel-Klasse-Romantiker für Anti-Vollblüter«, herrschte ich
Pablo an, der abwechselnd entsetzt auf seine löchrigen Socken und
wieder zurück zu mir blickte.
»Unnatürlich wäre es auch, wenn ich wie du meine abgewetzten
Jeans ohne Unterhosen trage, sie aber im Gegenzug nur alle ehrwürdigen Zeiten wasche. Unnatürlich ist es zugleich, seine vom
Mörtelstaub geschwärzten Fingernägel mit der Zahnbürste zu
reinigen, die man für die Reinigung der Zähne nur einmal am Tag
aus dem Badeschrank kramt. Unnatürlich und nicht minder unappetitlich ist es, seine benutzten Ohrenstäbchen tagelang mit
dunkelgelbem, angetrocknetem Ohrenschmalz auf der Spiegelablage
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liegen zu lassen, die ich dann fein säuberlich jeden Freitag entsorgen
darf.«
Mit jeder weiteren Wiederholung des Wortes unnatürlich klang
meine Stimme schriller, strenger und aufdringlicher, sodass Pablos
Augen indes denen eines wild quiekenden Ferkels glichen.
»Unnatürlich ist auch, wochenlang keinen Sex zu haben, seine Frau
nächtelang weder im Negligé noch im nackten Zustand auf der
anderen Seite des Bettes zu bemerken und sie morgens beim Frühstück, oder sollte ich besser sagen, während des Zeitung Lesens, kaum
anzusehen. Aber entschuldige bitte, wir sind ja auch nicht verheiratet.
Ich bin ja auch nicht deine Frau.«
Ich wetterte noch eine Weile auf diese Weise weiter, hielt jedoch
irgendwann inne, nachdem Pablo mit weit aufgerissenen Augen und
offen stehendem Mund fassungslos da stand und mit prüfenden
Blicken meine Augenbrauen untersuchte. »Cuál es ése?« »Was?« fragte
ich. »Na das,« antwortete Pablo in beinahe erbostem Ton. »Das hier,
was ist das?« Er fuhr mit seinen feuchten Fingern über meine linke
Braue und hielt mir das bräunliche, schmierige Resultat unglaubwürdig unter die Nase. »Ach das,« wehrte ich ab, »nichts, ich
habe mir die Brauen gefärbt, muss die Farbe noch abwaschen.«
»Dunkelbraun, Paloma, sus frentes son marrones, sind dunkelbraun.«
»Correcto, und?« »Dein Haar ist blond, Uni, rubio. Das sieht sehr ...
Sehr ...« »Sehr was aus?« »Unnatürlich«, brüllte Pablo, »es sieht sehr
unnatürlich aus.«
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Fabelhaft! Wir stritten noch weitere zwanzig Minuten auf diese Art
weiter. Länger hatte ich keine Zeit, schließlich musste ich die
Wimperntusche und Augenbraunfarbe abwaschen. Und irgendwie
musste ich Pablo später, nachdem sich das Resultat der Färbeaktion
besser abzeichnete, sogar Recht geben. Der Unterschied zwischen
meinem hellen, blonden Haar und den tiefbraunen Brauen wirkte
vielleicht tatsächlich etwas auffällig. Durch die Färbeaktion hatten sie
einen zaghaften Rotstich erhalten, der mich selbst bei intensiven,
prüfenden Blicken in den dämlichen Badspiegel einigermaßen
amüsierte. Ich mochte nun möglicherweise ein wenig befremdend auf
Pablo wirken, andersartig, ungewohnt, aber keinesfalls unnatürlich.
Alles, aber nicht unnatürlich. Und was schadete es schon, dass seine
Partnerin zur Abwechslung etwas anders aussah. Jeder andere Kerl
hätte diese Veränderung als durchaus willkommen und positiv erachtet. Nicht aber Pablo. Er hingegen donnerte weiter, meine Auffassung über mein Äußeres sei total artificial und überhaupt sei er
completo extrañarse de mi comportamiento indebido, was soviel heißt
wie restlos angenervt von dem bizarren Fehlverhalten eines meschugge
Blindgängers, nämlich mir. Darf ich vorstellen, Kunigunde - noch
immer währte - Kecker, Paloma nicht in Sicht, aber dafür die
meschugge Blindgängerin.
Wunderbar! Ich danke auch recht herzlich. Da will man sich für
seinen Taugenichts eines Vollblutspaniers schick machen, setzt auf
kess und sexy, um festzustellen, dass sich dessen Mutter wohl doch
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eher mit einem Esel reitenden Bauern denn eines temperamentvollen
Torero eingelassen haben muss.
Unnatürlich! Unnatürlich wäre es gewesen, wenn ich mir den
gesamten Schopf dunkelbraun gefärbt hätte, aber so. Das wirkte doch
nicht unnatürlich. Und überhaupt. Woher wollte denn er das wissen.
Er, wo er nicht einmal imstande war, in regelmäßigen Abständen
einmal monatlich eigenhändig seine Fußnägel zu schneiden.
Er, der cantante famoso, der aller Welt berühmte Barde, der bei
einem durchschnittlichen, läppischen Wasserverbrauch von 150
Litern pro Duschgang zwar röhren konnte wie ein Elch, aber von
Placido Domingos «Fidelio« nicht einen einzigen Ton passend traf
und über den immens unsäglichen Singsang völlig vergaß, zur Besänftigung meines in starke Mitleidenschaft gezogenen Riechorgans
die spanische Kernseife, Maya, zu verwenden, die seit Jahr und Tag
unberührt auf der Duschablage dörrte.
Blondes Haar hin, dunkelbraune Brauen her, drei Stunden später
standen wir um Punkt zwanzig Uhr auf der Schwelle zu Díegos
Luxus-Appartment
unweit
des
Jungfernstiegs
inmitten
der
Hamburger Innenstadt. Pablo mit seinen mir inbrünstig verhassten,
ausgelatschten Cowboystiefeln, ich mit den todschicken Gucci-Pumps
aus orange schillerndem Rindsleder, die ich von meiner letzten
Mailandreise mitgebracht hatte. Mein schulterlanges, blondes Haar
hatte ich mit einer antiken, langen Haarnadel, einem Erbstück meiner
Urgroßmutter, leger hochgesteckt, stilistisch zu annähernd hundert
Prozent dem dunkelblauen Hosenanzug eines anderen italienischen
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Modeschöpfers angepasst, den ich in einem Secondhandshop für
Designermode für sage und schreibe nachgeworfene achtzig Euro erstanden hatte. Wären wir nicht gemeinsam zur selben Zeit vor Díegos
Tür erschienen, hätte man uns glatt für Landstreicher und Fürstenkind gehalten, wie ich mit einem verächtlichen Blick auf Pablos ausnahmslose Geschmacksverirrung in Hinblick auf seinen flatterhaften
Schlabber-Auftritt feststellen musste.
»Hola, qué tal ?« Küsschen rechts, Liebkosung links, cómo estás hier,
buenos noches da.
Ich hasste es, wenn sich Pablo und Díego übereifrig zur Begrüßung
küssten, da ich mir insgeheim immerzu vorstellte, wie unsagbar
schwul die beiden Südländer auf ihre übertrieben emsige, gestellte Art
doch wirkten und wie viele leichte Bienen darüber hinaus Díego wohl
schon geknutscht haben musste, die vermutlich allesamt an irgendwelchen ekligen Geschlechtskrankheiten litten und vermutlich auf
diese Weise zu allem Übel auf Pablo übergriffen, sodass ich mich eines
Tages bei ihm anstecken würde. Wobei ... mir das Wörtchen anstecken doch etwas übertrieben erscheint in Hinblick auf unser maues,
desolates Sexualleben. Wie sollte ich mich schließlich bei Pablo über
Díegos heiße Bettaffären anstecken, wo wir doch zwischenzeitlich
ausschließlich zum müden, invaliden Umdrehen im Doppelbett einen
ermatteten Gutenachtkuss auf die Wange austauschten, nach dem ich
Sekunden später Pablos unerträgliches Schnarchen vernahm.
»Uni, du siehst heute Abend irgendwie ganz anders aus. Kommt
rein, ihr beiden. Ich freue mich, dass ihr gekommen seid.« »Ja,« ent7
gegnete ich knapp in frohlockender Szenerie gegenüber Pablo, »anders
sehe ich aus - anders, aber nicht unnatürlich,« und stöckelte auf
meinen Gucci-Pumps etwas tapsig hinter den beiden durch den Flur
ins Wohnzimmer, da man mir freundlicherweise die Tür aufgehalten
hatte und mich zuerst über den Korridor schreiten ließ. Ich weiß
nicht, wie es Südländer aus anderen Herrenländern in puncto Höflichkeit und Galanterie handhaben, aber Spanier wirken im bedauerlichen Vergleich bedingterweise schroff und ruppig, keineswegs
zuvorkommend à la Gentleman-Style.
Fünf gackernde Hühner, diesseits der Dreißig, geschminkt und gepudert, dass es für einen Formel-Eins-Auftritt in den teuersten
Nobelbars von Monte Carlo gereicht hätte, standen mit ehrfürchtigen
Blicken vor Díegos Wandmalereien und schienen vor Demut und
Achtung für seine unbeschreiblichen künstlerischen Fähigkeiten samt
ihrer anregend aufgepolsterten und aufgeregt in viel zu engen Büstenhaltern wild herum wackelnden Tittchen beinahe in lähmende Ohnmacht zu fallen.
Hervorragend! Ich liebe Abende wie diesen. Es konnte eigentlich
nur schlimmer werden. Jolly, meine beste Freundin, nicht in Sichtweite, da sie in letzter Minute abgesagt hatte, nachdem ihr irgendein
stinkreicher Bankierssohn aus Frankfurt zwei Tage lang via Telefon
und E-Mail-Verkehr den Hof gemacht und sie ihm versprochen hatte,
an diesem Samstagabend offiziell die Erlaubnis für einen ekstatischen,
außer-elektropostalen Verkehr zu erteilen. Ausgezeichnet! Ich kann es
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nur wiederholen, Dämmerstunden wie diese sind wirklich einen verdammten Spieleabend wert.
Einmal volltanken, bitte! Auf der Suche nach Kollision!
Bevor ich die magersüchtigen und heftig an rasch zur Neige
brennenden Glimmstängeln ziehenden Gerippe von fünf aufgedrehten Super-Tussen genauer mustern konnte, hatte sich Pablo
bereits einer zweiten Elle MacPherson gewidmet, die ihre endlosen,
schlanken Beine in einen schwarzen, hautengen Catsuit mit
schillerndem Samtgürtel verpackt hatte, der mit etlichen treuren
Swarovski-Steinen besetzt war. Während meine Wut auf meinen
spanischen Möchte-Gern-Lover rasant an Intensität zunahm, versuchte ich mit ungläubigen Blicken ihr Körpergewicht einzuschätzen.
Bei einer stattlichen Größe von gut einem Meter fünfundsiebzig
brachte sie vermutlich aller höchstens vierundfünfzig Kilo auf die
Waage. Und mit einem wehklagenden, bekümmerten Scharfblick auf
meine von Zellulite durchlöcherte Haut der massigen Oberschenkel,
die mit viel Gewalt zumindest noch in Größe 38 passten, vernahm ich
wie in ferner Entrückung ihre Unterhaltung:
»Buenos noches, wen haben wir denn da? Tú nombre es?«
Jeanne hieß das schöne Kind der Sonne, wie Pablo sie sogleich umtaufte, obgleich Lolita weitaus besser zu ihrer langen, fließenden
Mähne gepasst hätte, durch die sie sich in sekündlichem Abstand
wiederholt mit ihren fünf Zentimeter langen, feuerroten Nägeln fuhr.
»Bon soir, je suis Jeanne. Je suis francaise.« Französin! Wunderbar!
Das passt wirklich hervorragend ins Bild. Isch wäre auch so gerne in
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Fronkreisch geboren, wo die Menschen so eine errlische Accent
spreschen, aberrrrr, malheureusement, bin isch nur das unnatürlische
Kind eines althochdeutschen Ehepaares, geboren an der unästhetischen Nordsee, leider wenisch reizvoll, aber dafür vermutlich
immens unnatürlisch wirkend. Unnatürlisch, naturellement.
Ich funkelte sie mit einem todbringenden Cocktail aus letalem Hass
und bitterer Feindseligkeit an, aber sie bemerkte mich nicht einmal.
Ebenso wenig wie Pablo, der voller Tatendrang und in hellster Aufregung seine armseligen Französischkenntnisse an diesem wundervollen Geschöpf der Sonne erprobte.
»Que bois-tu?« Ja, was trinkt sie denn, die hübsche Dame zu seiner
Rechten, an der eigentlich ich stehen sollte, ich, das hässliche Entlein
von der Außenalster, ich, die ich seit geraumer Zeit nicht einmal mehr
düstere Sonnen mit herunter gezogenen Schmollmündern auf die
Außenseite des Küchenschranks kleben konnte, weil es meinem Herzallerliebsten an der nötigen Portion Eifer in Bezug auf meine
Wonnenseite des erbärmlichen Daseins ohne jegliche Libido und
Sinnenfreude fehlte, ich, die kühle Blonde mit den Wasserbombenbrüsten
und
den
unnatürlichen
Augenbrauen.
Unnatürlisch,
naturellement.
Meine Stimmung verriet sengende Glut, brodelnde Lava tief in
meinem aufgewühlten Seelenheil, das schon seit Jahr und Tag nicht
getätschelt, gehätschelt und liebkost worden war.
Alle Achtung, dieser Abend versprach wirklich zu einem absoluten
Fiasko der Güteklasse A zu werden.
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Nochmals volltanken, bitte! Wo zum Henker ist hier die Überholspur?
»Excusez-moi, verzeihen Sie bitte. Darf ich mich Ihnen kurz vorstellen, nachdem Sie sich derart angeregt mit meinem Mann unterhalten? Uni Kecker,« drückte ich ihr unerbeten meine vor Groll und
Rage schweißnasse Hand entgegen.
»Enchanté«, quälte sie einen vermeintlich höflichen Laut aus ihrem
vom pechrabenschwarzen, schillernden Catsuit zusammen gepferchten Brustkorb. »Ja, ja,« entgegnete ich mit einem stechenden
Blick zu Pablo, »très enchanté.«
Très enchanté war ich vor allem darüber, dass sich Pablo und Jeanne,
die liebreizende Sonnengöttin, bereits bei einem Glas Whiskey Sour
amüsierten, wohingegen ich immer noch, unbeachtet und mit Desinteresse seitens Díego und Pablo förmlich gestraft, rat- und tatlos
und nicht minder gelangweilt auf der ungemütlichen, bordeauxroten
Ledercouch hockte. Und das alles auch noch trotz sündhaft teurer
Gucci-Schühchen, frisch gefärbten Augenbrauen und feuerroten
Lippen, die letztlich nur bei französischen Erdbeermündern reizvoll
genug wirkten, um binnen Nanosekunden mit Komplimenten und
Gefälligkeiten nur so um sich zu werfen.
Doch bevor ich noch zu einer leicht gereizten Bitte nach einem
Drink für die graue, altersschwache, im Vergleich zu den vermutlich
nach jedem Stückchen Lachs-Canapée auf der Toilette wie Silberreiher kotzende Barbipuppen, übergewichtige, graue Maus ausholen
konnte, säuselte Pablo der Monte-Carlo-Mieze bereits schamlos frivol
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weitere süße Komplimente ins Ohr, sodass diese in schallendes Gelächter verfiel. Nun, was soll ich sagen, sauer macht bekanntlich
lustig, nicht wahr? Und Pablo war mindestens ebenso lustig wie der
Whiskey sauer.
»Díego,« rief plötzlich eine andere dürre Bohnenstange und lutschte
genießerisch mit erotisch dunklen Augen an ihrer edel schimmernden
Süßwasserperlenkette, »bitte, kein Rommée-Spiel, ich beherrsche
nicht einmal Mau-Mau. Und beim Strip-Poker verliere ich auch
immer«, krähte sie mit gespielt peinlichen Blicken, während sie sich
anmutsvoll wie eine Gazelle neben mich auf die Ledercouch pflanzte
und gekonnt verführerisch die zwei Meter langen, makellosen Beine
übereinanderschlug.
Das glaubte ich aufs Wort, dass diese dummen Hühner gelinde gesagt zu dämlich waren, ein Piek-Ass von einer Herz-Zehn zu unterscheiden.
»Pozo« holte Díego aus, »ich habe eine viel bessere Idee. Wie wäre es
mit Pantomime?«
Himmel, dachte ich, justamente el mimo. Das ist wirklich
fantastisch! Beinahe so fantastisch wie im betrunkenen Zustand einen
Elefanten zu reiten oder auf dem schuleigenen Abschlussball nach
einem nervraubenden Tanzkurs mit dem größten Stinktier des
Gymnasiums zu walzen.
Doch die Entscheidung der übergeschnappten Clique, der ich zu
Beginn schon nicht angehört hatte, war bereits gefallen. »Si, claro,
Pantomime es bien.« »Seguro, deja el juego Pantomime.«
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Mich hatte keiner gefragt! Vielmehr interessierte sich auch niemand
für meine Einwände. »Je ne suis pas sûr. Qu'est-ce que c'est? Wie
funktioniert das,« fragte Pablos Sonnenkind, dem er sogleich gespielt
väterlich den Arm auf die zierlichen, knochigen Schultern legte und
wild gestikulierend mit einer umständlichen Erklärung aus spanischen
und französischen Wortfetzen fortfuhr.
»Die Gruppe wird geteilt,« übertönte Díego das verbale Durcheinander und bestimmte: »Wir sind zu acht, es wird prima
funktionieren. Nana, Jeanne, Uli und Pablo bilden eine Gruppe, die
andere besteht aus dem Rest, Elisa, Nicole, Sylvie und mir. Ich habe
natürlich schon ein wenig Vorarbeit geleistet und kleine Zettelchen
ausgeschnitten, auf die jedes Team verschiedene Begriffe schreibt, die
dann von der anderen Crew mittels schauspielerische Größe erraten
werden müssen.
Atención señoritas, es darf nicht gesprochen werden, Ihr körperlicher Einsatz ist gefragt.«
Auch davon war ich wiederum gänzlich überzeugt, denn körperlicher
Einsatz war in meinen Augen der einzig wahre Grund für Dìegos arglistige Geistesblüte, fünf alleinstehende Antilopen einzuladen, die
ausschließlich mit Hilfe ihrer neidvoll ranken Körper die grauen,
halbwegs erloschenen Zellen zweier südländischer Straßenköter reizen
sollten.
Als Pablo soeben mit unserer liebreizenden und ihn auf ganz
himmlische Weise faszinierenden Diosa del Sol, seiner Sonnengöttin,
meinen Teil der Ledercouch passierte, sprang ich ihn wie ein bissiger,
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tollwütiger Schäferhund an. »Hier geblieben, Schätzchen, wir haben
dringend was zu besprechen.« »Paloma, cuál es la materia? Was ist los
mit dir?«
»Wir haben was zu bereden.« »Wirklich? Was denn, um Gottes
willen? Was ziehst du denn für ein Gesicht? Bist du sauer?«
Sauer? Oh ja, in der Tat, ich war sauer, nicht nur sauer, sondern
mächtig giftig, kolossal grimmer Stimmung, wütend und voller Groll,
kurzum, das Böse en persona, die personifizierte Bosheit mit tapfer
lächelnder Miene.
Einmal volltanken, bitte! Ich scheiß auf den Verbrauch!
Ich zerrte Pablo, der mit zuckenden Achseln und gelangweilter Mimik
seiner Sonnengöttin ein letztes, innigliches Augenblinzeln schenkte,
am Arm seines schlabbernden Schornsteinfegeraufzugs hinaus auf den
finsteren Korridor. Auf dem gebohnerten Fischgrät-Parkett verriet die
Lautstärke meiner unsanften, festen Schritte, wie es in etwa um meine
Seelenlage bestellt war.
»Jetzt hör mir mal gut zu, du Don Juan für Mittelklasseschlampen,«
seine schwarzen Augen waren Eins mit der im Korridor herrschenden
Finsternis, lediglich das Weiße seiner Augäpfel war zu sehen. Ich
fühlte mich wie die Göttin der Finsternis. Passte doch hervorragend
ins Bild dieses exzellenten Abends: Jeanne, je suis la Francaise und
spresche eine magnifique accent, sie die begehrenswerte, feenhafte
Göttin des Sonnenlichts, ich die fiese, nörgelnde Hexe der dunklen
Mächte der Finsternis.
Brillant, um nicht zu flöten, magnifique!
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Ich verformte aufgedreht in voller Erregung meine winzigen Lippen,
das Einzige, was wirklich spindeldürr an mir war, und imitierte
spottend den verstellten Dialekt der französischen Zuckerschnecke,
die außer ihren Antilopen-Stelzen und ihrer auffallenden Wespentaille
bei Leibe nichts Dünnes an sich hatte. Nicht einmal ihre ansehnliche,
formvollendete Oberweite, wie ich neidvoll zugeben musste.
»Oh là là, isch ätte auch gerne eine Whiskey Sour, s’il te plaît, aber
nicht zu sauer, biiiette. Wir wollen doch nischt, dass isch zu lustisch
werde, n’est-ce pas?« Ich zog die antike Haarnadel aus meinen
blonden Strähnen, warf gekünstelt mit geblümten Worten meine
Zotteln vor und zurück, winkelte mein linkes Bein in beinahe
schmerzhafter Grätsche an die Wand und rekelte meinen übergewichtiges Fleisch und Blut mit all seiner Masse vor Pablos sprachlosem Gesichtsausdruck.
»Tranquila, mujer, es ist alles in Ordnung. Kein Grund, sich aufzuregen.«
»Nix ist in Ordnung, Pablo. Nix y nada. No soy una idiota. Du beachtest nur sie, nur sie. Seulement la francaise. Ich bin gar nicht da.«
»Que va, Paloma. Du bist eifersüchtig, celoso«, glaubte Pablo endlich in einem gesegneten Moment der Erleuchtung die Erklärung für
das Problem gefunden zu haben.
»Papperlapapp«, wiederholte ich den einzigen ihm geläufigen Begriff, wenn es um deutsche Streitkultur ging. »Ich bin keineswegs
eifersüchtig, nicht im Geringsten, hörst du! Auf wen soll ich eifersüchtig sein? Auf ein schmächtiges, ausgemergeltes Möchte-Gern15
Mannequin mit Elite-Allüren? Qué hora es?« stach ich ihn mit meiner
Haarnadel direkten Weges in die untere Magengrube, sodass er mit
schmerzverzerrtem Gesicht zusammen sackte. »Son las nueve,«
antwortete Pablo leidend wie ein streunender Bastard, der plötzlich zu
begreifen schien, dass sein nicht mit ihm verheiratetes Frauchen in
Kürze die Zügel kürzer nehmen könnte.
»Vale, um Punkt Zehn machen wir uns hier vom Acker... und zwar
gemeinsam,« schob ich nach. »Ich schätze, ein Großteil der weiblichen
Gäste wird dann ohnehin nach Hause gehen müssen, weil Papi zu
Hause darauf wartet, die Barbipüppchen ins Bett zu bringen, zumal
sie schon das Sandmännchen verpassten.«
»Aber, Paloma, mi corazón, ich verstehe nicht. Estar en sus glorias,
solo con tú .«
»Du wirst gleich die Englein in deinem siebenten Himmel mächtig
jodeln hören, wenn du nicht sofort deine Heucheleien und erlogenen
Koseworte unterlässt. In der nächsten Stunde wirst du dich gefälligst
anständig aufführen und dich nicht wie ein liebeshungriger Wolf auf
sämtliche hier vertretenen Auslese-Callgirls stürzen. Das ist überhaupt
die nächste Frechheit.« »Was?« fragte Pablo, während er sich schmerzverzerrt den Bauch rieb. »Dass nur Frauen geladen sind. Ihr seid die
einzigen Kerle, du und dein begriffsstutziger Casanova, falls es dir vor
lauter Schäkern und Bezirzen entgangen sein sollte.«
»Niña, es ist alles in Ordnung. Beruhige dich doch endlich.« »Cierra
el pico, verdammt noch mal.« Pablo erschrak und taumelte zwei
Schritte zurück. Ich musste ihm unwillkürlich Recht geben. So hatte
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er mich lange nicht erlebt. Ich war außer mir, außer Rand und Band,
stinksauer, rasend vor Zorn und vermochte nicht, meine Aggression
länger für mich zu behalten.
»Ich lasse mich von dir nicht länger so behandeln. Entendido? Wir
gehen jetzt da rein, machen gute Miene zu bösem Spiel. Was das
heißt, weißt du ja nur zu gut aus eigener Erfahrung in Bezug auf
unser lahmes Sexualleben.« Pablo schauderte, verankerte seine betrübten Augen im blanken Fischgrät-Parkett, wagte nicht, mich anzusehen.
»Keine sexuell anrüchigen Begriffe, keine anstößigen Posen in zweideutigen Situationen und keine unanständigen Witzeleien, während
du Díegos idiotische Pantomime spielst. Haben wir uns verstanden?«
»Si«, folgte eine geknickte Antwort. »Ich rede mit dir,« hakte ich
energisch nach.
«Si, claro. Comprende. No Sex and crime ni Rock ‘n Roll.« »Das ist
kein Witz, Pablo. Ich meine es absolut ernst. Entonces, preparada
para las preguntas?« »Ich kann nur hoffen, dass mir keine obszönen
Fragen gestellt werden,« suchte er nach Ausflüchten, um sich ein
letztes Mal in jedwede Richtung abzusichern.
»Dass Du mich ja nicht zur Tobsucht bringst, Freundchen,« stieß
ich eine letzte Warnung aus. »Ich bin stinksauer. Noch eine
schleimige Courschneiderei der üblichen Sorte und du kannst deine
großartige Sonnengöttin bis zum Abwinken betören, dir heute Nacht
ein Bett in ihrer Prinzessinnen-Kemenate frei zu halten. Denn dann
spielen wir nach Díegos alberner Pantomime noch Pablo Español auf
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Freiersfüßen mit Uni als barbarische Schiedsrichterin. Haben wir uns
verstanden!«
»Caramba! Es increíble, tú es …« »Was? Was bin ich? Halt dich
bloß zurück!«
»Schon gut«, winkte er ab. »Lediglich eine, eine Bitte habe ich
noch.«
»Welche?« fragte ich weniger sprachlos als ärgerlich darüber, dass er
es tatsächlich in diesem unheilvollen Moment noch wagte, irgendwelche grotesken Bitten auszusprechen. Ein ungünstigeres Timing
konnte er dafür wohl kaum finden.
»Kannst du bitte fahren, Paloma? Ich habe doch schon was getrunken. Zuvor, los dos Whiskey Sour.«
»Zwei? Wieso zwei?« »Jeanne bekommt Bauchschmerzen, wenn sie
ihrem Magen zu viel Säure zumutet. Sie ernährt sich offenbar sehr
gesund, viel grüner Tee und Apfelessig.« »So, Bauchschmerzen bekommt das arme Ding,« schnalzte ich höhnisch und fügte hinzu: »Na,
das kenne ich. Ich bekomme auch Bauchschmerzen, wenn sich mein
Kerl wahllos an jede glucksende, gerade volljährige Modepuppe ranmacht und mit wildfremden Frauen die Drinks teilt, während ich,
von Gott und der Welt verlassen, auf der Ledercouch noch immer auf
dem Trockenen sitze. Soviel zum Thema Bauchschmerzen, denn das
kenne ich indes zur Genüge.«
»Uni, Pablo, kommt ihr? Was treibt ihr denn da so lange auf dem
Flur?« Díego, der unsympathische Holzklotz, der in gewohnter
Manier so tat, als könne er mit seinem lausigen Charakter kein
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Wässerchen trüben, streckte neugierig den Kopf durch die noch
immer leicht geöffnete Wohnzimmertür und setzte das für ihn bezeichnende Grinsen auf.
»Vamos?« fragte Pablo mit herabhängenden Achseln. »Vamos«, entgegnete ich und schlürfte hinter Díego zu den Primadonnen auf die
Ledercouch zu. »Ich trinke Wasser«, drehte ich mich kurz zu Pablo
um und machte einen entsprechenden Wink in Richtung Küche. »Si,
claro, agua para mi cariño.«
Inzwischen war mir der beißende Geruch aufgefallen, den die grüne
Flüssigkeit in sechs wahllos verteilten Schnapsgläsern verstreute, die
neben einer Packung Würfelzucker, einem Feuerzeug und drei
kleinen Teelöffeln auf dem Glastisch stand. Absinth! Na klasse! Díego
hatte die bezaubernden Sternchen bereits mit Absinth abgefüllt, um
sie bei seinem schamlosen Pantomime-Spiel entsprechend gefügig zu
machen. Buena idea, der Kerl ist wahrlich ein Fuchs!
»Nuestra primera pregunta es ...« Díego blickte zu unserem engelsgleichen Kind der Sonne, ihrer anmutigen Gazellen-Freundin Nana
und unterbrach seine Durchsage für eine einsilbige Ansage, die sich an
Pablo und mich richtete: »Gente, seid ihr bereit?«
Natürlich waren wir bereit - mehr als das. Ich war bereit, im Handumdrehen aufzuspringen, um meinen für die Sonnengöttin entflammten Südländer schleunigst von hier fortzubringen, denn dieser
Ort schien mir wahrlich die Hölle auf Erden, der Abgrund der ewigen
Verdammnis meines kläglichen Rests an anziehender, begehrenswerter
Weiblichkeit.
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Meine Güte, weshalb in Gottes Namen war ich überhaupt hierher
gefahren? Mit einem flüchtigen Blick zu Pablo drückte ich ihm die
Flasche Evian in die Nieren, ergriff im Siegestaumel den übel
riechenden Absinth, setzte die Flasche an meine Lippen und spülte
den abscheulich schmeckenden, siebzigprozentigen Alkohol mit all
seinem grässlichen Thujon-Geschmack in eiligen Pressbewegungen
herunter, um in der nächsten Sekunde nach fünf Stück Würfelzucker
zu greifen, die ich in ebenso rasantem Tempo mit meinen grünlich
verfärbten Zähnen wie ein ausgehungerter Ackergaul zermalmte.
Niemand sagte etwas, alle starrten mich an.
Einmal volltanken, bitte! Mein Motor läuft auf Hochtouren!
»Wie schon erwähnt,« gluckste ich, »Nana, die Antilope, Jeanne, la
Francaise, und Pablo, el toro, bilden eine Gruppe, une groupe avec
moi-même«, fügte ich bei. Und mit einem leutseligen Blick zu Pablo,
der völlig erstarrt auf die Flasche Absinth in meinen Händen gaffte,
setzte ich gluckernd nach: »Was ich noch sagen wollte ... - du fährst!«
Und nickte zufrieden zweimal mit dem Kopf …
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