Der schärfste Gärtner der Stadt
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Der schärfste Gärtner der Stadt
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FOTOS: GERLINDE TRINKHAUS, FOTOLIA Der schärfste Gärtner der Stadt VON HANS JÖRG CONZELMANN Gut für Kemmlers Chili-Pflanzen. Ursprünglich stammen die scharfen Gewächse aus Mittelamerika, wo die Temperaturen höher sind als im bisher gemäßigten Deutschland. Doch ein Sommer wie dieser spielt Kemmler in die Hände. »Die Schärfe und die Konsistenz sind hervorragend«, sagt er nach ersten Geschmacksverkostungen. Zum Beispiel der gelbe Habanero, einer der schärfsten Chilis, die es auf dem Globus gibt. »Die sind so was von gut gediehen«, freut sich Kemmler. Scharfe Gewächse sind sein Ding. Mit 13 Jahren hatte er den Hang zum Gärtnern bemerkt. »Egal, was ich anfasste, es wuchs und gedieh.« Er hat wohl das, was man einen grünen Daumen nennt. Schon damals aß er gerne scharfe Sachen. Initialzündung war für den Jugendlichen, als er eine Chilischote in das Wasser eines leeren Peperoniglases einlegte und nach drei Tagen probierte: »Das war für mich ein sensationelles Geschmackserlebnis.« Er legte daraufhin Chili in das Essigwasser von Essiggurken ein und fand zu dem Hobby, das er bis heute betreibt. Zunächst zog er die Pflanzen auf dem elterlichen Balkon. Gleich neben dem Habanero steht heute ein Chili, der ins Bräunliche geht – vermutlich ein Aji Panca. Er ist das Schärfste, was Kemmler zu bieten hat. Daraus kann er nach der Ernte nur Pulver machen. Das stellt er in einer alten Kaffeemühle her, wenn er die Frucht nach der Ernte getrocknet hat. Was aber macht den Chili so feurig? Für die gewaltige Schärfe ist ein Stoff namens Capsaicin verantwortlich, ein se- Glockenchili, auch »Bishop’s Crown genannt. Ziemlich pikant scharf: »Jalapeno«. Ganz hinten, wo die Stadt ein paar Schrebergärten vermietet, hat Reiner Kemmler (60) seinen »Chiligarten« angelegt. Würde er Wein anbauen, man spräche von »Hohbuch Südlage«. Der Garten hat eine leichte Hangneigung, sodass die Pflanzen den ganzen Tag lang Sonne bekommen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dieses Jahr bekamen sie sehr viel Sonne. Denn der Sommer war ein Rekordsommer. Die Sonnenscheindauer lag in Deutschland bei 246,3 Stunden, das sind 40 Stunden mehr als im Vergleichszeitraum 1981 bis 2010 und sogar 47 Stunden mehr, wenn man die Jahre 1961 bis 1990 nimmt. Kurzum: Es war heiß, sehr heiß. »Schärfe und Konsistenz sind in diesem Jahr hervorragend« kundärer Pflanzenstoff, der sich in der Plazenta und den weißen Scheidewänden der Frucht konzentriert. Die Gemüsepaprika, die mildeste Züchtung aus dem ursprünglichen wilden Chili, enthält kaum Capsaicin. In Aji Panca-Chilis hingegen ist so viel Capsaicin enthalten, dass man sie kaum roh genießen kann. Zwischen diesen Schärfeextremen erstreckt sich das Spektrum. Klare Faustregel: Je größer die Schoten, je weniger scharf. Doch nicht nur die Größe ist entscheidend. »Je nach Reifegrad, Klima, Standort und Nährstoffen können Früchte derselben Sorte unterschiedlich scharf sein«, sagt Uta Scheffler, Autorin eines Buches, das ausschließlich von Chili handelt. Sogar in einer einzigen Frucht gibt es Unterschiede: Die Spitze ist meist milder als der Kelchansatz. In der Küche heißt das: Vorsicht bei der Verarbeitung als auch bei der Dosierung. Wer auf Nummer sicher gehen will, entfernt vor dem Zerkleinern der Früchte ihre Plazenta sowie die Innenhäute und Kerne. Aus halbierten Schoten werden diese Teile mit einem scharfen Messer herausgeschabt. Reiner Kemmlers größtes Problem in diesem Sommer war das Wasser. So sonnenreich sein Südhang ist – eine Wasserleitung gibt es nicht. Chilis aber brauchen das: In den südamerikanischen Tropen, wo sie herkommen, ist es nicht nur heiß, sondern es regnet täglich. Also muss Kemmler das lebensnotwendige Nass in Kanistern anschleppen. Aber woher nehmen? Gut, dass er mit Familie Mack befreundet ist, die ihm das Wasser geschenkt hat. 10 000 Liter hat er dieses Jahr aus Betzingen angeschleppt. Die Macks betreiben eine Autowaschanlage, und Wasser ist dort genug vorhanden. Im Frühjahr, meist Mitte Januar, zieht Kemmler die Chilis jedes Mal neu. Zuerst legt er die Samen in Kamillentee ein, dann kommen sie in den Boden und in die Wärme auf die Fensterbank. Den Samen bekommt er von Freunden aus der ganzen Welt geschenkt. Aus gemäßigteren Sorten macht Kemmler Barbeque-Soße. Zum Beispiel aus dem Chalabegno, der eher süßlich ist. Schärfere Schoten verarbeitet er zu hauseigenem Sambal Oelek und zu Tabasco. Und die Chilis, die Richtung Paprika tendieren, isst er einfach so. Denn kaum eine Frucht ist so vielfältig einsetzbar. Mit Frischkäse gefüllte Jalapeños und in Öl marinierte Cherry-Chilis machen sich gut auf dem mediterranen Vorspeisenbüfett, italienische Peperoncini finden sich in Spaghetti all arrabiata wieder. Thai-Chilis dürfen in vielen »Feuerchili«, ein Kemmler-Eigengewächs. »Tepin«, in der Wüste auch wild wachsend. »Früchte derselben Sorte können unterschiedlich scharf sein« Curry-Gerichten nicht fehlen, und selbst Kemmlers scharfe Habaneros geben dem Chili con carne den letzten Pfiff. Um den Hang zur scharfen Schote auch äußerlich zu zeigen, ließ sich Reiner Kemmler in diesem Sommer eine ganze Chilipflanze auf die Brust tätowieren. Sie windet sich mit Blättern und Frucht aus dem Kragen. So bildet der Gärtner mit seinem Chiligarten auch in optischer Hinsicht eine Einheit. (GEA/dpa) REINER KEMMLERS CHILISOßE Zutaten: 1–2 große Zwiebel, 1–3 Knoblauchzehe, kleines Stück Ingwer, 5 EL kalt gepresstes Olivenöl, 5–10 Jalapeno-Chili, je ein roter, gelber und grüner Paprika, Salz, Pfeffer, Saft einer ganzen Zitrone, 0,5 L Weißwein, 300ml Tomatenketchup, ein Bund Petersilie. Zubereitung: Die Zwiebel, Knoblauch und Ingwer schälen und ganz fein schneiden. Im Anschluss die Chili und Paprika waschen, der Länge nach halbieren, von Kernen und Innenwänden befreien und zum Schluss in kleine Stücke schneiden. Möglichst alle gleich groß. Nun das Olivenöl langsam und nicht zu heiß, in einen großen Topf erhitzen, Zwiebel, Knoblauch und Ingwer darin langsam glasig dünsten, danach die Jalapeno-Chili und den Paprika dazu fügen. Nach kurzem Anbraten mit Salz und Pfeffer würzen, den Zitronensaft und Weißwein aufgießen. Jetzt mit dem Tomatenketchup auffüllen. Dann die Soße zum Kochen bringen und bei reduzierter Hitze ein bis zwei Minuten garen. Die Jalapeno-Chili und der Paprika sollten noch bissfest sein. Zum Schluss die fein geschnittene Petersilie unterheben. Jetzt wird die Soße heiß in Gläser gefüllt und mit einem Deckel verschlossen. Oder die Soße auskühlen lassen und zu den gewünschten Grill-Spezialitäten reichen. (GEA)