Der schärfste Gärtner der Stadt

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Der schärfste Gärtner der Stadt
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nen. Das birgt Gefahren
HEIMAT + WELT
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SAMSTAG, 26. SEPTEMBER 2015 – REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER
Chili ist sein Ding – schon immer. 200 Pflanzen hat der
Reutlinger Reiner Kemmler in seinem Garten stehen. Er
schätzt, dass es 50 verschiedene Sorten sind. Was er im
Frühjahr gepflanzt hat, ist jetzt reif für die Ernte. »Eine
gute Ernte«, schwärmt der gelernte Maschinenbauer, der
die Gärtnerei als Hobby betreibt. Dass er mit Leib und
Seele bei der Sache ist, sieht man am großflächigen
Chili-Tattoo, das er seit diesem Sommer auf der Brust trägt
Mit Leib und Seele
Chili-Mann: Reiner
Kemmler,
Hobbygärtner im
Hohbuch.
FOTOS: GERLINDE
TRINKHAUS, FOTOLIA
Der schärfste Gärtner der Stadt
VON HANS JÖRG CONZELMANN
Gut für Kemmlers Chili-Pflanzen. Ursprünglich stammen die scharfen Gewächse aus Mittelamerika, wo die Temperaturen höher sind als im bisher gemäßigten Deutschland. Doch ein Sommer
wie dieser spielt Kemmler in die Hände.
»Die Schärfe und die Konsistenz sind
hervorragend«, sagt er nach ersten Geschmacksverkostungen. Zum Beispiel
der gelbe Habanero, einer der schärfsten
Chilis, die es auf dem Globus gibt. »Die
sind so was von gut gediehen«, freut sich
Kemmler.
Scharfe Gewächse sind sein Ding. Mit
13 Jahren hatte er den Hang zum Gärtnern bemerkt. »Egal, was ich anfasste, es
wuchs und gedieh.« Er hat wohl das, was
man einen grünen Daumen nennt. Schon
damals aß er gerne scharfe Sachen. Initialzündung war für den Jugendlichen, als
er eine Chilischote in das Wasser eines
leeren Peperoniglases einlegte und nach
drei Tagen probierte: »Das war für mich
ein sensationelles Geschmackserlebnis.«
Er legte daraufhin Chili in das Essigwasser von Essiggurken ein und fand zu dem
Hobby, das er bis heute betreibt. Zunächst zog er die Pflanzen auf dem elterlichen Balkon.
Gleich neben dem Habanero steht
heute ein Chili, der ins Bräunliche geht –
vermutlich ein Aji Panca. Er ist das
Schärfste, was Kemmler zu bieten hat.
Daraus kann er nach der Ernte nur Pulver machen. Das stellt er in einer alten
Kaffeemühle her, wenn er die Frucht
nach der Ernte getrocknet hat.
Was aber macht den Chili so feurig?
Für die gewaltige Schärfe ist ein Stoff namens Capsaicin verantwortlich, ein se-
Glockenchili, auch »Bishop’s Crown genannt.
Ziemlich pikant scharf: »Jalapeno«.
Ganz hinten, wo die Stadt ein paar
Schrebergärten vermietet, hat Reiner
Kemmler (60) seinen »Chiligarten« angelegt. Würde er Wein anbauen, man spräche von »Hohbuch Südlage«. Der Garten
hat eine leichte Hangneigung, sodass die
Pflanzen den ganzen Tag lang Sonne bekommen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Dieses Jahr bekamen sie sehr viel
Sonne. Denn der Sommer war ein Rekordsommer. Die Sonnenscheindauer
lag in Deutschland bei 246,3 Stunden,
das sind 40 Stunden mehr als im Vergleichszeitraum 1981 bis 2010 und sogar
47 Stunden mehr, wenn man die Jahre
1961 bis 1990 nimmt. Kurzum: Es war
heiß, sehr heiß.
»Schärfe und Konsistenz
sind in diesem Jahr
hervorragend«
kundärer Pflanzenstoff, der sich in der
Plazenta und den weißen Scheidewänden der Frucht konzentriert. Die Gemüsepaprika, die mildeste Züchtung aus
dem ursprünglichen wilden Chili, enthält
kaum Capsaicin. In Aji Panca-Chilis hingegen ist so viel Capsaicin enthalten,
dass man sie kaum roh genießen kann.
Zwischen diesen Schärfeextremen erstreckt sich das Spektrum. Klare Faustregel: Je größer die Schoten, je weniger
scharf.
Doch nicht nur die Größe ist entscheidend. »Je nach Reifegrad, Klima, Standort und Nährstoffen können Früchte derselben Sorte unterschiedlich scharf sein«,
sagt Uta Scheffler, Autorin eines Buches,
das ausschließlich von Chili handelt.
Sogar in einer einzigen Frucht gibt es
Unterschiede: Die Spitze ist meist milder
als der Kelchansatz. In der Küche heißt
das: Vorsicht bei der Verarbeitung als
auch bei der Dosierung. Wer auf Nummer sicher gehen will, entfernt vor dem
Zerkleinern der Früchte ihre Plazenta sowie die Innenhäute und Kerne. Aus halbierten Schoten werden diese Teile mit
einem scharfen Messer herausgeschabt.
Reiner Kemmlers größtes Problem in
diesem Sommer war das Wasser. So sonnenreich sein Südhang ist – eine Wasserleitung gibt es nicht. Chilis aber brauchen das: In den südamerikanischen
Tropen, wo sie herkommen, ist es nicht
nur heiß, sondern es regnet täglich. Also
muss Kemmler das lebensnotwendige
Nass in Kanistern anschleppen. Aber woher nehmen? Gut, dass er mit Familie
Mack befreundet ist, die ihm das Wasser
geschenkt hat. 10 000 Liter hat er dieses
Jahr aus Betzingen angeschleppt. Die
Macks betreiben eine Autowaschanlage,
und Wasser ist dort genug vorhanden.
Im Frühjahr, meist Mitte Januar, zieht
Kemmler die Chilis jedes Mal neu. Zuerst
legt er die Samen in Kamillentee ein,
dann kommen sie in den Boden und in
die Wärme auf die Fensterbank. Den Samen bekommt er von Freunden aus der
ganzen Welt geschenkt.
Aus gemäßigteren Sorten macht
Kemmler Barbeque-Soße. Zum Beispiel
aus dem Chalabegno, der eher süßlich
ist. Schärfere Schoten verarbeitet er zu
hauseigenem Sambal Oelek und zu Tabasco. Und die Chilis, die Richtung Paprika tendieren, isst er einfach so.
Denn kaum eine Frucht ist so vielfältig einsetzbar. Mit Frischkäse gefüllte Jalapeños und in Öl marinierte Cherry-Chilis machen sich gut auf dem mediterranen Vorspeisenbüfett, italienische Peperoncini finden sich in Spaghetti all arrabiata wieder. Thai-Chilis dürfen in vielen
»Feuerchili«, ein Kemmler-Eigengewächs.
»Tepin«, in der Wüste auch wild wachsend.
»Früchte derselben Sorte
können unterschiedlich
scharf sein«
Curry-Gerichten nicht fehlen, und selbst
Kemmlers scharfe Habaneros geben dem
Chili con carne den letzten Pfiff.
Um den Hang zur scharfen Schote
auch äußerlich zu zeigen, ließ sich Reiner Kemmler in diesem Sommer eine
ganze Chilipflanze auf die Brust tätowieren. Sie windet sich mit Blättern und
Frucht aus dem Kragen.
So bildet der Gärtner mit seinem Chiligarten auch in optischer Hinsicht eine
Einheit. (GEA/dpa)
REINER KEMMLERS CHILISOßE
Zutaten: 1–2 große Zwiebel, 1–3 Knoblauchzehe, kleines Stück Ingwer, 5 EL kalt
gepresstes Olivenöl, 5–10 Jalapeno-Chili, je ein roter, gelber und grüner Paprika,
Salz, Pfeffer, Saft einer ganzen Zitrone,
0,5 L Weißwein, 300ml Tomatenketchup,
ein Bund Petersilie.
Zubereitung: Die Zwiebel, Knoblauch
und Ingwer schälen und ganz fein schneiden. Im Anschluss die Chili und Paprika
waschen, der Länge nach halbieren, von
Kernen und Innenwänden befreien und
zum Schluss in kleine Stücke schneiden.
Möglichst alle gleich groß. Nun das Olivenöl langsam und nicht zu heiß, in einen
großen Topf erhitzen, Zwiebel, Knoblauch und Ingwer darin langsam glasig
dünsten, danach die Jalapeno-Chili und
den Paprika dazu fügen. Nach kurzem
Anbraten mit Salz und Pfeffer würzen,
den Zitronensaft und Weißwein aufgießen. Jetzt mit dem Tomatenketchup auffüllen. Dann die Soße zum Kochen bringen und bei reduzierter Hitze ein bis zwei
Minuten garen. Die Jalapeno-Chili und
der Paprika sollten noch bissfest sein.
Zum Schluss die fein geschnittene Petersilie unterheben. Jetzt wird die Soße heiß
in Gläser gefüllt und mit einem Deckel
verschlossen. Oder die Soße auskühlen
lassen und zu den gewünschten Grill-Spezialitäten reichen. (GEA)