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B KULTURWISSENSCHAFTEN BD LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT BDEA Griechische Literatur Personale Informationen HOMER EINFÜHRUNG 13-1 Homer oder die Geburt der abendländischen Dichtung / Thomas A. Szlezák. - München : Beck, 2012. - 254 S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 978-3-406-63729-2 : EUR 24.95 [#2825] Das vorliegende Werk des Tübinger Emeritus und Verfassers des bedeutungsvollen Werks Was Europa den Griechen verdankt1 richtet sich an „Leserinnen und Leser, die überzeugt sind, daß die großen Dichtungen früherer Epochen auch heute mit spontanem literarischen Genuß rezipiert werden können, sofern es nur gelingt, die Kluft, die der zeitliche und mentalitätsgeschichtliche Abstand geschaffen haben, zu überspringen“ (Vorwort S. 5). Diese zunächst etwas plakativ wirkende Ankündigung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ausführungen „aus jahrelanger akademischer Lehre und intensiver Auseinandersetzung mit der Fachliteratur erwachsen“ (ebd.) sind. Auf ausführliche Fußnoten wird verzichtet; auf besonders wichtige Arbeiten wird in kurzer Form in einer Klammer hingewiesen, die in der Bibliographie am Ende aufgeschlüsselt wird. Zur Orientierung sei hier zunächst die Gliederung des Buches in vier große Kapitel vorgestellt: I. Homer (S. 9 - 47), II. Ilias (S. 49 - 143), III. Odyssee (S. 145 - 215) und IV. Gilgamesch und Achilleus, Gilgamesch und Odysseus. Ähnlichkeiten und Unterschiede (S. 217 - 239). Es folgt ein Glossar und Erklärung der wichtigsten Personen- und Götternamen (S. 241 - 244), in dem nicht nur Eigennamen, sondern auch griechische Begriffe in Umschrift, wie z.B. aidōs und nóstos, erklärt werden, ein Register: Namen und Sachen (S. 245 - 247) und das Literaturverzeichnis (S. 249 - 254). Das Literaturverzeichnis ist übersichtlich aufgeteilt in Übersetzungen, Textausgaben, Kommentare mit den Abschnitten 1. Deutsche Übersetzungen, 2. Griechische Textausgaben, 3. Kommentare, 4. Altorientalische Dichtungen und Sekun- 1 Was Europa den Griechen verdankt : von den Grundlagen unserer Kultur in der griechischen Antike / Thomas Alexander Szlezák. - Tübingen : Mohr Siebeck, 2010. - 290 S. : Ill. ; 22 cm. - (UTB ; 3394). - ISBN 978-3-16-149493-2 (Mohr Siebeck) - ISBN 978-3-8252-3394-5 (UTB) : EUR 24.90. därliteratur.2 Die Herkunft der illustrierenden Abbildungen wird im Bildnachweis auf S. 255 aufgezeigt. Im ersten Kapitel Homer geht es um allgemeine Themen wie die Kritik an Homer, die griechische Sagengeschichte, die Frage nach der Historizität des Trojanischen Krieges, die Formelsprache Homers, altorientalische Einflüsse und die Datierung „Homers“. Szlezák referiert den aktuellen Stand der Forschung zu den jeweiligen Fragen. Er setzt mit Verweis auf die Unsicherheit der Datierung die Ilias um 700 v. Chr. (S. 45), die von einem anderen Dichter verfaßte Odyssee ungefähr eine Generation später an, wobei er auch hier darauf verweist, daß sicheres Wissen nicht zu erlangen ist (S. 46). Bezüglich der heftig umstrittenen Frage nach dem historischen Troja soll Szlezák hier wörtlich zitiert werden: „Doch wie anfangs schon angedeutet: für die Ilias als Dichtung ist die Frage der Historizität des Troischen Krieges gänzlich irrelevant. Ob dieser Krieg ursprünglich eine unbedeutende Stammesfehde in Mittelgriechenland war oder eine welthistorische Auseinandersetzung zwischen Asien und Europa – Homer ist so oder so nicht der Chronist irgendwelcher realer Ereignisse, sondern der Schöpfer einer eigenen, dichterischen Welt, in der alles ‚Reale’ nur Hintergrund und Material für das Entstehenlassen von Sinn und Bedeutung im Bereich des Menschlichen sein kann“ (S. 37). Dem ist nichts hinzuzufügen. Das zweite Kapitel Ilias beginnt mit Abschnitt 1 Skizze des Geschehens (S. 49 - 60). Dem möglichen Einwand, daß eine solche überflüssig sei, begegnet Szlezák mit einem Verweis auf Goethe, der selbst eine detaillierte Inhaltsangabe der Ilias verfaßt hat (S. 50). Und tatsächlich dürfte nicht nur der gebildete Laie dankbar sein für die Auffrischung seiner Kenntnis des genauen Ablaufs der Ereignisse in der Ilias, zumal es im Abschnitt 2. Literarische Form und Gestaltungsmittel (S. 60 - 109) mit den Unterabschnitten Beschränkung der Handlung auf eine ‚Episode’, Gliederung im Großen und im Kleinen, ‚Klammertechnik’ und Ringkomposition, Fernbezüge, Sukzessive Verdeutlichung. Retardation, Aufsparungen, Parallel geführte Handlungslinien, Reden,3 Charakterzeichnung4 sowie Sprache, Versmaß, Formeln; ‚Ty2 Eine Übersicht über die Sekundärliteratur zu den homerischen Werken muß zwangsläufig Auswahlcharakter haben. Ergänzen herangezogen werden sollte aber auf jeden Fall das Homer-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung / hrsg. von Antonios Rengakos und Bernhard Zimmermann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011. - VIII, 451 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 978-3-476-02252-3 : EUR 59.95. - Rez.: IFB 12-2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz309753929rez-1.pdf 3 Verbunden mit der Analyse der Kompositionstechnik homerischer Reden bietet Szlezák die für seine Deutung der homerischen Dichtung entscheidende Stellungnahme zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit: „Ohne schriftliche Konzeption wäre dieser Grad von Komplexität nicht denkbar. Mag auch der ursprüngliche Antrieb für die Ausbildung der Baukastentechnik in ihrem mnemotechnischen Nutzen für den alten aoidos gelegen haben, bei Homer dient sie dem Anzeigen von Sinnbezügen und der vertieften Charakterzeichnung“ (S. 89). Der Dichter habe Motivwiederholungen nicht nur in den Reden, sondern auch in den Handlungen bewußt gestaltet (S. 102 - 103). 4 Szlezák hält die Frage, ob das aristotelische ēthos (Poet. 1460 a9-b11) dasselbe bedeutet wie ‚Charakter’ in der modernen Literatur für müßig, da es auch inner- pische Szenen’; Motivwiederholung; Stilunterschiede; Hypsos; Gleichnisse und Epische Breite in die Details der Textinterpretation geht. Unter 3. Interpretation ausgewählter Szenen und Situationen (S. 109 - 121) werden zehn einzelne Szenen von exemplarischer Bedeutung analysiert wie z.B. die Schildbeschreibung aus dem 18. Buch (S. 110 - 111) oder der Abschied von Hektor und Andromache aus dem 6. Buch (S. 115 - 116). In 4. Himmel und Erde, Götter und Menschen. Das Weltbild der Ilias (S. 121 138) werden zusammenfassende Interpretationen unter folgenden Stichworten gegeben: Die Welt, Die Götter, Die Menschen, Homerische ‚Psychologie’: Gibt es die eigene Entscheidung?, Homerische Ethik, Gesellschaft. Auf den Punkt Homerische ‚Psychologie’: Gibt es die eigene Entscheidung? möchte ich kurz eingehen. Szlezák stimmt der Beobachtung zu, „daß die Götter den Menschen meist nur das eingeben, was zuvor schon in ihren Gedanken erwogen worden war“ (S. 131). Diese Erscheinung hat Albin Lesky mit dem Stichwort der „göttlichen und menschlichen Motivation“ bezeichnet.5 Nach Lesky hat bereits im Epos „der Mensch bei aller göttlichen Einwirkung doch selbst die volle Verantwortung zu tragen.“6 In Abschnitt 5. Bedeutung und Anspruch der Ilias (S. 138 - 143) skizziert Szlezák den Einfluß der Ilias auf Literaturgeschichte und -wissenschaft. U.a. geht er ein auf die Bedeutung der in der Ilias zweifellos vorhandenen Widersprüche für die Frage nach der Autorschaft. Er begrüßt, daß der neueste Kommentar von Martin West7 die alte Analyse teilweise wieder zu Ehren bringe, sie gleichzeitig aber auch entschieden negiere (142 - 143). Entsprechend dieser Deutung werden Widersprüche dadurch erklärt, daß nicht alle Teile des Gedichts gleichzeitig geplant wurden.8 Das Odyssee-Kapitel ist ähnlich aufgebaut wie das Ilias-Kapitel: 1. Skizze des Geschehens (145 - 155), 2. Einheit und Vielfalt in der Odyssee (S. 155 167), 3. Interpretation ausgewählter Szenen und Situationen (S. 167 - 191), halb der ‚Moderne’ unklar sei, ob etwa Goethe dasselbe unter dem Begriff verstehe wie z.B. Thomas Mann. (S. 94). Es genüge festzustellen, daß Homers Charaktere geradlinig und unverstellt handeln und reden (ebd.). - Es ist allerdings zu bedenken, daß der entscheidende Unterschied zwischen dem antiken ēthos und modernen Charakter darin besteht, daß das Handeln einer Person immer schon durch den Mythos vorherbestimmt ist. An dieser Stelle sei ein Selbstzitat gestattet: Die dramatische Technik des Aischylos / Barbara Court. - Stuttgart ; Leipzig : Teubner, 1994, S. 14 -15. 5 In Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos / Albin Lesky. - Heidelberg : Winter, 1961. - 52 S. ; 4°. - (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse ; 1961, Abh. 4). 6 A.a.O., S. 38. 7 The making of the Iliad : disquisition and analytical commentary / M. L. West. 1. publ. - Oxford [u.a.] : Oxford Univ. Press, 2011. - X, 441 S. : Kt. ; 24 cm. - ISBN 978-0-19-959007-0 : £85.00. 8 Ähnlich versucht man die Widersprüche zwischen dem zweiten und dem dritten Buch der Aeneis zu erklären, vgl. Vergils Aeneis : Epos zwischen Geschichte und Gegenwart / Werner Suerbaum. - Stuttgart : Reclam, 1999. - 425 S. : Ill. ; 15 cm. - (Reclams Universal-Bibliothek ; 17618 : Literaturstudium). - ISBN 3-15017618-2. - Hier S. 55. 4. Die Welt der Odyssee (S. 192 - 213), 5. Bedeutung und Anspruch der Odyssee. Die Leistung des Odysseedichters (S. 213 - 215). Ein Blick auf den jeweiligen 5. Abschnitt des Ilias- und des OdysseeKapitels, in denen beide Epen in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden, soll deren Einschätzung durch Szlezák verdeutlichen: Im Zusammenhang mit der Bewertung der Ilias sagt Szlezák unter Berufung auf Wolfgang Schadewaldt,9 daß der hohe Grad der Komplexität der Ilias in der Odyssee nicht mehr erreicht worden sei (S. 140). Die Ilias könne als „die Geburt der abendländischen Dichtung“, die Odyssee als der Beginn der von der Ilias bestimmten „Tradition“ gesehen werden (S. 142). Zugleich zeichnet Szlezák die Odyssee als ein „zwar weniger strenges und anspruchsvolles, gleichzeitig aber entschieden kurzweiligeres und unterhaltsameres Gedicht“ (S. 214). Uwe Walter bemerkt in seiner insgesamt sehr positiven Rezension des vorliegenden Buches10 mit Recht, daß die Odyssee Szlezák weit weniger zu faszinieren scheint als die Ilias. Dies ließe sich zu der Kritik ausweiten, daß entsprechend Szlezáks Darstellung dem Laien, für den u.a. die Einführung gedacht ist, die Odyssee als ein zwar nettes und unterhaltsames, aber etwas oberflächliches Spätwerk erscheinen könnte. Szlezák spricht zwar von einem „thematischen Zugewinn“ (S. 214) in der Odyssee, aber es fehlt der Hinweis, daß dieser z.B. in der Darstellung ‚kleiner’ Leute eine eigene Tradition begründet hat.11 Diese wirkt auch grundlegend in die lateinische Dichtung; die Aeneis des Vergil ist nicht nur in der Gestaltung der ganzen ersten Hälfte, sondern der Gesamtkomposition „der Odyssee verwandt“12. Der Eigenwert der Odyssee kommt bei Szlezák insgesamt etwas zu kurz.13 Im vierten Kapitel behandelt Szlezák die vor allem von Martin West14 untersuchten Gemeinsamkeiten zwischen dem Gilgameschepos und den homerischen Epen. Das Vorliegen solcher Gemeinsamkeiten ist nicht zu leugnen. Allerdings lehnt Szlezák mit Recht die Vorstellung einer Art „interkulturellen Dialogs“ ab und möchte lieber bei der Vorstellung des „Einflusses“ der älteren Kultur auf die jüngere bleiben, solange keine eindeutig und ausschließlich griechischen Themen und Motive in Keilschrifttexten nachgewiesen seien (S. 223). Dazu kommt, daß das Gilgameschepos mit keinem der homerischen Epen die literarische Gattung teile (S. 224) und einiges von dem, 9 Der Aufbau der Ilias : Strukturen u. Konzeptionen / Wolfgang Schadewaldt. - 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Insel-Verlag, 1975. - 95 S. ; 23 cm. - ISBN 3-45805876-9. - Hier S. 89. 10 Frankfurter Allgemeine. - 2012-10-06, S. L 33. 11 Zur Bedeutung solcher Motive im Hellenismus vgl. z.B. Rengakos in HomerHandbuch (wie Anm. 2), S. 140. 12 Werner Suerbaum, a.a.O., S. 133. 13 Zur Nachwirkung der Gestalt des Odysseus vgl. From villain to hero: Odysseus in ancient thought / Silvia Montiglio. - Ann Arbor, Mich.: University of Michigan Press, 2011.- 228 S. - ISBN 978-0-472-11774-1: £61.50. - Vgl. die Rezension in: Times literary supplement. - 2012-10-05, S. 12 - 13 (Emily Wilson). 14 The east face of Helicon : West Asiatic elements in Greek poetry and myth / M. L. West. - Oxford [u.a.] : Clarendon Press, 1997. - XXVI, 662 S. - ISBN 0-19815042-3. - S. 336 - 347 und S. 402 - 417. was von den Interpreten als Gemeinsamkeit herausgelesen wird, im Gilgameschepos nicht explizit gestaltet wird (S. 231). Szlezáks Fazit besteht darin, daß es zwar Hinweise dafür gibt, daß die griechische epische Dichtung aus dem Bereich des Alten Orients entscheidende Impulse erhalten hat, aber bei genauerer Betrachtung die Unterschiede zahlreicher und für das Verständnis bedeutsamer seien (S. 233). Insgesamt ist Szlezáks Buch bestens geeignet für interessierte Laien, Studenten und Fachwissenschaftler. Es ist praktisch frei von Druckfehlern, also offenbar sorgfältig lektoriert, was heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit ist. Die 13 illustrierenden Abbildungen, die Darstellungen „Homers“ und homerischer Motive liefern, schmücken den Text, haben allerdings nicht immer direkten Bezug zu ihm.15 In Abwandlung eines von Thomas Mann in verschiedenen Zusammenhängen über Richard Wagner gebrauchten Ausdrucks könnte man das vorliegende Werk über Homer als eines „für die Wenigen und die Vielen“ bezeichnen. Barbara Court QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz366331558rez-1.pdf 15 Z.B. auf S. 68 das Werk Dalís Die Apotheose Homers über dem Schema zum Aufbau des 1. Buchs der Ilias.