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Standespolitik Hydras Köpfe abschlagen Buchrezension: Paul Kirchhof, „Das Gesetz der Hydra – Gebt den Bürgern ihren Staat zurück!“ Die Hydra, eine übergroße vielköpfige Wasserschlange aus der griechischen Mythologie, soll von Zeit zu Zeit dem Sumpf entstiegen sein, um Viehherden zu zerreißen und Felder zu verwüsten. In seinem neuen Buch „Das Gesetz der Hydra“ versinnbildlicht Professor Paul Kirchhof mit der Hydra die Maßlosigkeit des Staates. Aus ihrem Körper wachsen Normen, Bürokratie, Steuern, Subventionen, Schulden. B ei Kirchhof ist die nimmersatte Hydra aus der antiken Mythologie ins moderne Deutschland entwichen – doch auf ihrer Flucht ist sie schlauer und gefährlicher geworden: „Sie tritt den Menschen nicht mehr als Ungeheuer gegenüber, das den Kampfesmut weckt, sondern verkleidet sich als Wohltäter, der mit jedem seiner neun Köpfe Subventionen, Steuervergünstigungen und Privilegien verspricht.“ In der Mythologie hatte Herakles (lateinisch Hercules) schwer zu kämpfen, bis er die Hydra erlegte: Für jeden Kopf, den er ihr abschlug, wuchsen der Schlange zwei neue. Die Kirchhof’sche Hydra hat die gleichen Fähigkeiten: „Ist ein Steuerschlupfloch gestopft, hat die Beratungsindustrie schon zwei neue Lücken entdeckt. Ist eine Subvention gestrichen, haben sich schon zwei um das im Budget freigewordene Geld beworben.“ Die Folge: noch mehr Bürokratie, noch mehr Schulden. Die Bürger schlucken das süße Gift der Zuwendungen, Subventionen, Steuervergünstigungen und Privilegien. Sie werden zusehends abhängiger von der öffentlichen Hand. Auf die Menschen in diesem Land wirkt dieses System nicht aktivierend, sondern paralysierend, meint der ehemalige Bundesverfassungsrichter. Das Schwert gegen eine staatliche Zwangsversicherung Schonungslos beleuchtet Kirchhof, wie die Hydra im Gesundheitswesen wuchert: „Wer gleichbleibende Leistungen in der Renten- BZB/März/07 und der gesetzlichen Krankenversicherung verheißt, gleichzeitig aber Beitragserhöhungen ausschließt, hat entweder das Älterwerden unserer Gesellschaft und die Kosten einer erfolgreichen Medizin nicht erkannt, oder aber einen Finanzier außerhalb des Versicherungssystems im Blick, der statt der Versicherten fremde Lasten bezahlen soll“: die nächste Generation. Kirchhof führt vor Augen, dass jeder, der menschliche Arbeitskraft oder medizinische Güter in Anspruch nimmt, dem Erfordernis wirtschaftlichen Handelns unterliegt. Nun aber sei der freie Markt – herkömmliches Instrument einer kostenbewussten Verteilung – für medizinische Leistungen ungeeignet. Schließlich würde er mittellosen Kranken die notwendige medizinische Versorgung vorenthalten. Und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist durch das Grundgesetz geschützt. „Eine unterschiedliche Zuteilung der für Existenz und Würde eines Menschen notwendigen medizinischen Normalleistungen nach Zahlungsfähigkeit, aber auch nach Alter, Geschlecht, Lebensführung und Verdienst ist deshalb ausgeschlossen“, stellt Kirchhof fest. Um dennoch die Kostenspirale zu stoppen, fordert der Autor, zwischen Notwendigem, Wünschenswertem, Hilfreichem und Überflüssigem zu unterscheiden. - Notwendig ist laut Kirchhof, „den vermeidbaren Tod medizinisch zu verhindern, Krankheiten zu vermeiden und die damit verbundenen Schmerzen zu lindern“. Diese Grundversorgung definiert er als Pflichtaufgabe einer beitragsfinanzierten Medizin. - Für wünschenswerte Leistungen, die das Leben erleichtern – etwa weil sie dem Nachlassen des Gehörs entgegenwirken – erwägt Kirchhof eine Versicherung mit Zuzahlungen. - Hilfreiche Leistungen wie Pflege oder Gesundheitserziehung könnten nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers prinzipiell von Familienangehörigen übernommen werden. Für diesen Bereich stellt er die Verantwort- 9 Standespolitik spräch zwischen Staat und Betroffenen. Anlichkeit des Krankenversicherungssystems in dererseits spart der Rechtswissenschaftler Frage. nicht mit Kritik an den Interessenvertretern: Kirchhof betont, dass private KrankenversiEr beleuchtet, dass sie ihre Macht durch cherungen den Vorteil haben, dass sie einen Streiks, Boykotte und Demonstrationen entKapitalstock bilden und nur fortbestehen, falten. Sie locken mit Spenden und drohen wenn sie ihre Zukunftsrisiken vorausschaumit negativen Wahlempfehlungen. Ihr Ziel end kalkulieren. Die GKV hingegen hoffe, sind Privilegien. Kirchhof prangert an, dass „dass staatliches Budget und Abgabengewalt kleine, gut organisierte Gruppen oft stärker ihr stets aus dem Tal von Gegenwartsenge, wirken als die große Mehrheit. Das widervollmundigen Versprechen und Planungsspreche dem demokratischen Mehrheitsprinfehlern heraushelfen werden“. Der Jurazip. Die Interessenvertretungen könnten so professor plädiert dafür, das Finanzierungszum Trojanischen Pferd der Demokratie wersystem der Krankenversicherung von Grund den. Ihre Macht schwäche das Vertrauen in auf umzugestalten, sodass Leistungsfähige den Staat. „Aus den Verhandlungen zwiihren Gesundheits- oder Versicherungsbedarf schen Staat und Verband wird eine Zuselbst finanzieren, und die Allgemeinheit sammenarbeit zwischen Fachressort und nur den Bedarf von Personen mit kleinen Fachreferent“, warnt Kirchhof. Diese Logik und mittleren Einkommen finanziert – auch einer Oligarchie stärke Gruppenin Form einer ergänzenden Zuinteressen gegenüber Gemeinwendung zur Sozialhilfe. Zur „Für die Hydra gilt: wohlerfordernissen. Ergo muss Diskussion stellt Kirchhof die Die Macht des Staates der freie Bürger seine Interessen Pflicht, eine Krankenversichewurde gerufen, damit organisieren – in Parteien, Gruprung in einem Mindestumfang wir in Freiheit leben, pen und Verbänden. Bastionen abzuschließen, ähnlich wie bei nicht damit wir unsere des Staates gegen die Macht der der Kraftfahrzeugversicherung. Freiheit verlieren.“ Verbände sind nach Ansicht des Unter diesen Voraussetzungen Paul Kirchhof Verfassungsrechtlers das freie könnte sogar das gesamte GeMandat der Abgeordneten, die sundheitswesen privatwirtUnbefangenheit der Beamten und die Unschaftlich umgestaltet werden. Der finanzielparteilichkeit der Richter. le Ausgleich zwischen Arm und Reich ebenDer moderne Herakles – das sind laut Kirchso wie die beitragslose Versicherung der Kinhof die Bürger: Sie haben die Schwerter in der der oder eines erziehenden Elternteils sind Hand, mit denen sie den Staat daran hindern laut Kirchhof jedoch nicht Angelegenheit der können, weiter ungehemmt zu wuchern. Versichertengemeinschaft sondern der Allge„Das Gesetz der Hydra“ liest sich wie ein Mameinheit, folglich über Steuern zu finanzienifest zur fundamentalen Erneuerung unseren. res Landes. Lobbyisten im Holzpferd Dr. Martin Reißig Hart ins Gericht geht Kirchhof mit den LobJulika Sandt bygruppen: Er konstatiert, es gebe in Deutschland etwa 14 000 Verbände und Vereinigungen, davon haben rund 1900 Zugang Professor Dr. Dr. h. c. Paul Kirchhof, geboren 1943, war von 1987 bis 1999 Richter des Bundesverfassungszum Bundestag. 1972 waren es noch 635. Ingerichts. Im Bundestagswahlkampf 2005 gehörte der zwischen kommen dort also mehr als drei parteilose Wissenschaftler als designierter Finanzminister Verbände auf einen Abgeordneten. Kirchhof zum Kompetenzteam der CDU/CSU um Angela Merkel. Kirchhof ist Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerhebt hervor, dass all diese Verbände und Orrecht an der Universität Heidelberg. Er erhielt zahlreiche ganisationen ihre Interessen ins Gesetz und Preise und Auszeichnungen, unter anderem 2005 den in die Regierungspolitik einbringen. Er be„Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache“. schreibt einerseits die Funktionen dieser Paul Kirchhof, Das Gesetz der Hydra – Gebt den Bürgern Gruppen: Sie bieten ihr Wissen und ihre Erihren Staat zurück!, Droemer/Knaur München/Ulm fahrung an, informieren und klären auf. Sie 2006, 19, 90 Euro, ISBN 978-3-426-27407 bündeln Interessen und vermitteln das Ge- 10 BZB/März/07