NEWSLETTER Nr. 25

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NEWSLETTER Nr. 25
Schweizer Freundeskreis von Givat Haviva
Ende November 2010
NEWSLETTER Nr. 25
In diesem Newsletter wollen wir den Artikel von Gideon Levy: „There has never been an Israeli Peace Camp (07/03/2010) diskutieren. Unser neues Vorstandsmitglied, Sonja Weinberg, hat ihn auf Deutsch zusammengefasst und anschliessend finden Sie einige interessante Stellungnahmen von israelischen Persönlichkeiten.
Ihre Meinung dazu interessiert uns! Senden Sie uns bitte Ihre Stellungnahme per E-Mail: [email protected] oder per Post: Schweizer Freundeskreis von Givat
Haviva, z.Hd. Fr. Ursula Rosenzweig, Im Grossacher 4, 8127 Forch und wir werden sie im
nächsten Newsletter veröffentlichen.
Es gab nie ein israelisches Friedenslager
Gideon Levy, Haaretz Korrespondent (07/03/2010)
Das israelische Friedenslager ist nicht tot, sondern es hat nie existiert. Dies ist die provokante
These von Gideon Levy. Obwohl es seit 1967 immer wieder Protestkundgebungen und Versuche
von verschiedenen politischen Gruppierungen gab, gegen die israelische Besatzung anzukämpfen, blieben diese Aktivitäten in ihrem Ausmass bescheiden und ohne nennenswerten Einfluss.
Stattdessen erfährt die Demokratie in Israel ein Schlag nach dem anderen, das linke Lager wird
zusehends kleiner und schwächer, während das rechte Lager und die Siedlerbewegung immer
mächtiger werden. So ist die Meretz Partei heute verstummt, doch auch in ihren besseren Tagen,
so Levy, war diese nie ein wirkliches Friedenslager. Denn sie ignorierte, dass die Protagonisten
von Oslo die Siedlungen nie abzubauen beabsichtigten und dass Israel die Abkommen verletzte.
Den Grund für diese jämmerliche Lage der Linken führt Levy auf den Mangel an Mut, Entschlossenheit und wahrer Bereitschaft der Linken zurück, durch unbequeme Aussagen und Aktivitäten
persönliche Risiken einzugehen und dafür einen persönlichen Preis zu bezahlen. Doch der tiefere
Grund für das Problem liegt für Levy im Festhalten der Linken am historischen Zionismus, am
Festhalten der Idee eines gleichzeitig demokratischen und jüdischen Staates. Die Linke hat nicht
verstanden, so Levy, dass sie sich entscheiden muss, welchem von diesen beiden Ansprüchen
sie den Vorrang geben will. Ebenso wenig verstand sie, dass das palästinensische Problem, das
1948 und nicht 1967 kreiert wurde, nicht gelöst werden kann, ohne das Unrecht, das 1948 an den
Palästinensern begangen wurde, anzuerkennen. Die Linke verstand auch den wichtigsten Punkt
nicht, nämlich dass die Zustimmung der Palästinenser zu den Grenzen von 1967 und der Lösung
des Flüchtlingsproblems durch die Rückkehr einer symbolischen Anzahl von Flüchtlingen,
schmerzvolle Konzessionen für sie bedeuteten. Obwohl dies der einzige gerechte Kompromiss
um Frieden zu schliessen darstellt, wurde den Palästinensern ein solcher Vorschlag nie gemacht,
und es ist daher verfehlt, die Palästinenser für das Verpassen von Chancen anzuklagen. Meretz
wie auch die anderen linken Gruppierungen, jüdische wie arabische, bleiben, so das Fazit von
Levy, als kleine Gruppierungen am Rande der politischen Arena, ohne nennenswerten Einfluss.
Präsidentin: Ursula Rosenzweig
Im Grossacher 4, 8127 Forch
Tel./Fax 044 918 38 60
[email protected]
www.givathaviva.org.iI
Postcheck-Konto: 80-52653-6
Stellungnahme von Gazal Abu Raya, Direktor der „Northern Branch of Givat Haviva“,
Sakhnin
Übersetzung: Nina Kollegger
Die arabische Gesellschaft in Israel ist der Ansicht, sie spiele eine wichtige Rolle in Israels Friedensbewegung. Aus diesem Grund überlegen sich viele Parteien und Organisationen im arabischen Sektor, wie sie an die jüdische Gemeinschaft gelangen könnten, um den heutigen Zustand
im Staat zu ändern, Frieden zwischen Israel und Palästina zu stiften und Gleichheit aller zu schaffen. Ich weiss, dass die Friedensbewegung in Israel in einer schwierigen Situation steckt. In
Kriegszeiten ist es nicht einfach, über Frieden zu sprechen.
Die Friedensbewegung hat in den letzten Jahren stark abgenommen, vor allem auch die Zahl der
Aktivisten. In der Zeit von Premierminister Yitzhak Rabin war die sie sehr stark. Innerhalb von drei
Jahren war eine Bewegung von einer Kriegskultur zu einer Friedenskultur zu spüren, auch von einer Diskriminierungs- zu einer Gleichheitskultur. Nach 1995, der Ermordung von Premierminister
Yitzhak Rabin, verschlechterte sich das Klima in Israel rasant und die Leute wurden zunehmend
pessimistisch.
Die heutige Friedensbewegung ist nicht mutig, zeigt wenig Initiative, ist nicht fähig, die Leute in
den Strassen zu mobilisieren und zu Demonstrationen zu bewegen; sie arbeitet weitgehend ohne
irgend eine Strategie.
Die Partei von Liebermann gewann Legitimität in der Öffentlichkeit und es besteht die berechtigte
Befürchtung, dass ihre Meinungen vom Mainstream der Bevölkerung übernommen werden.
Sämtliche Organisationen welche sich mit Friedensarbeit betätigen, müssten zusammenarbeiten,
um den Glauben und die Hoffnung auf Frieden wieder herzustellen. Dies im Interesse Israels und
aller Nachbarn
Stellungnahme von Mossi Raz, ehemaliges Knessetmitglied von Meretz und Ko-Direktor
des israelisch-palästinensischen Radios „All for Peace“
Gideon Levy liegt richtig und falsch zugleich.
Die israelische Friedensbewegung war immer engagiert, eine Friedensvereinbarung zu erreichen,
wusste aber nie wirklich, was der Preis dafür sein sollte. Als junge Nation und junger Staat unterstützten die jüdischen Israelis mehr die Nation und den Staat als den Frieden an sich. Es ist natürlich, aber problematisch und wir können dasselbe Verhalten auf der Seite der Palästinenser sehen. Auch sie sind stärker an einem palästinensischen Staat als am Frieden interessiert. Einige
sind bereit, den Preis für ihren Staat zu bezahlen: Akzeptanz einer Friedensvereinbarung.
Viele Menschen sahen sich selbst als Friedensaktivisten und mobilisierten Tausende um zu protestieren, dies sogar während der Zeit des Libanonkrieges. Ja, das war wichtig und mutig!
Mr. Levy liegt richtig, wenn er sagt, dass während des Osloprozesses die Friedensbewegung stärker für die Räumung der Siedlungen hätten kämpfen müssen. Das ist genau das, was wir, ich und
meine Freunde von „Peace Now“ gemacht haben. Wir organisierten Treffen mit Siedlern welche
Kiryat Arba, Karney Shomron und andere Sidlungen verlassen wollten. Wir mobilisierten Tausende von Demonstranten für unser Ziel, aber Levy hat Recht, wir hätten noch mehr machen müssen. - Die wichtige Frage ist, wie die Friedenbewegung in Zukunft arbeiten wird und in diesem
Punkt stimme ich völlig mit Levy überein, dass die jüdischen und palästinensischen Bewohner zusammenarbeiten müssen.
Stellungnahme von Moshe Zuckermann
Professor an der Universität Tel Aviv
Gideon Levys Artikel verweist auf einen tragischen Grundumstand der israelischen Politik seit Bestehen des Staates: Eine wirkmächtige zionistische Friedensbewegung hat es eigentlich nie gegeben, konnte es vielleicht auch gar nicht geben. Das hat seinen primären Grund darin, daß alle
emanzipativen Bestrebungen des Landes sich ihre Grenze stets dort setzten, wo es den Anschein
haben mochte, als würde man durch ihre Überschreitung bereits die Raison des Staates infrage
stellen. Davon war der Frieden nicht ausgenommen. Mochte er sich noch so suggestiv als objektive Notwendigkeit für Israels Zukunft, ja für sein schieres Überleben erweisen – stets konnte die
politische Klasse Israels darauf zählen, daß die Friedensbewegten beim Konsens haltmachen,
sich mithin verbieten würden, diesen Konsens in seinen Grundfesten zu erschüttern. Bei jedem
ausgebrochenen Krieg hieß es sofort nach dessen Ausbruch, die Würfel seien gefallen, und man
habe zu verstummen, wenn die Kanonen donnern. Von selbst versteht sich dabei, daß diejenigen,
die aufzuzeigen trachteten, wie es zum Krieg überhaupt gekommen war, gar wie er politisch zu
vermeiden gewesen wäre, sogleich als illoyale Verräter, wenn nicht gleich als nestbeschmutzende
Israelhasser apostrophiert wurden. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Nicht von ungefähr findet sich ein Großteil von dem, was man für eine genuine israelische Friedenbewegung erachten
könnte, im Lager derer, die sich nicht mehr als Zionisten sehen bzw. bereits zu gestandenen Antizionisten avanciert sind. Nicht von ungefähr ist die zionistische Linke spätestens mit dem Zusammenbruch des Osloprozesses und dem Ausbruch der zweiten Intifada kollabiert und fristet seither
jenes politische Dasein, von dem Gideon Levy redet. Denn stets werden zionistische Linke "im
Ernstfall", wenn es ans Eingemachte geht, ihre emanzipative linke Gesinnung zugunsten der konsensuell verdinglichten Treue zum Zionismus verraten. Was ihnen dabei offenbar immer weniger
in den Sinn kommt, ist die Einsicht darin, daß sie mit ihrem Verrat objektiv eine Entwicklung unterstützen und festschreiben, die das gesamte zionistische Projekt früher oder später in den Abgrund
reißen könnte. Welchem Götzen man im nachhinein treu gewesen ist, wird sich dann vielleicht
noch feststellen lassen – aber es wird schon zu spät sein.
Den vollständigen englischen Artikel von Gideon Levy können Sie gerne bei uns bestellen:
Per E-Mail: [email protected]
oder per Post: Ursula Rosenzweig, Im Grossacher 4, 8127 Forch