Was gibts da zu lachen?

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Was gibts da zu lachen?
PFLEGEKULTUR
Basler Humor-Kongress
Was gibts da zu lachen?
Ist therapeutischer Humor
das neue Wundermittel für
Gesundheit und Wohlbefinden in den Spitälern,
Heimen und in der Spitex?
Lachen kann tatsächlich
viel bewirken. Der Basler
Humor-Kongress zeigte
aber auch deutlich, dass
die wissenschaftliche Forschung über die Wirkung
von Humor noch grosse
Lücken aufweist.
Am Basler Kongress wurde nicht nur über
Humor gesprochen. In praktischen Übungen
wurde die Wirkung am eigenen Leib getestet.
URS LÜTHI
A L S die krebskranke Frau den Briefkasten leert, fällt eine ihrer beiden
künstlichen Brüste zu Boden. Ihr Hund
schnappt das Ding und rennt davon,
die Frau schreiend hinterher. Ist das
lustig? Das liess Paul McGhee bei seinem Referat am vierten Basler HumorKongress offen. Aber diese groteske
Situation habe die Wirkung gehabt,
dass die Frau nach Jahren schwerster
Belastung zum ersten Mal wieder richtig habe lachen können, sagte der emeritierte Professor für Entwicklungspsychologie. McGhee, einer der amerikanischen Pioniere des therapeutischen
Humors, ist überzeugt: «Humor hilft,
wenn die Tage schwieriger werden.»
In der Wirtschaft und im Besonderen
im Gesundheitswesen haben Arbeitsbelastung und Stress zugenommen, die
Daumenschrauben wurden angezogen,
wie es Paul McGhee formulierte. In solchen Situationen sei der Sinn für Humor für das Überleben wichtig. Er demonstrierte mit praktischen Übungen,
wie Lachen die Muskeln entspannt und
die Energie wieder zurück bringt.
Lachen sei ein wirksames Mittel, um
aufgestaute Wut, Frustration, Angst
und Depressionen abzubauen. Nur wer
das am Arbeitsplatz und zu Hause
angesammelte «emotionale Zeug» loslasse, könne effektiv arbeiten. Und
dazu sei eben der Humor ein wirksames Mittel.
Stressabbau in der Klinik
In der gerontopsychiatrischen Klinik
in Bonn, in der Rolf D. Hirsch als Chefarzt tätig ist, wird der Humor seit einigen Jahren gezielt zum Stressabbau bei
PatientInnen und MitarbeiterInnen
eingesetzt. «Statt uns eine Stunde darüber zu unterhalten, wie ausgelaugt
und überfordert wir sind, können wir
uns als Mitarbeiter einer Institution ein
paar Witze erzählen», brachte Hirsch
sein Rezept auf einen einfachen Nenner. Er sei sich durchaus bewusst, sag-
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te der Gerontopsychiater in seinem
Referat, dass sich nicht einfach alle
Probleme mit einem Witz verändern
liessen. Sowohl die PatientInnen wie
auch die MitarbeiterInnen kämen mit
ihrer ganzen Lebenswelt in die Klinik,
seien Zwängen ausgesetzt und müssten
Teamprobleme bewältigen.
Aber der Humor könne Farbe in die
Klinik bringen und Ängste abbauen. Es
lohne sich dafür etwas zu tun. So würden in seiner Klinik wissenschaftlich
begleitete Humorgruppen mit psychisch kranken und meist depressiven
alten Menschen gebildet. Es gibt eine
klinikeigene Humorzeitschrift. Witze
und Anekdoten werden gesammelt und
prämiert. Im Angebot sind humorvolle
Veranstaltungen oder Filmvorführungen. Statt «depressive Don Quijote-Bilder», so Hirsch, hängen in den Gängen
lustige Cartoons. Für Rolf D. Hirsch ist
gerade in Institutionen, in denen man
angeblich nur liebevoll, beseelt und
ernsthaft sein darf, Humor ein Menschenrecht. «Ein Baum sprengt jeden
Beton, und das kann Humor auch», ist
er überzeugt.
Mehr als ein Trend?
Der in vierter Auflage durchgeführte
Basler Kongress, an dem gegen 700
Fachleute und Interessierte teilnahmen, zeigte deutlich, dass die Anwendung von Humor in allen therapeutischen Bereichen – in der Gesundheits–
und Krankenpflege, der Heilpädagogik,
der Geriatrie oder der Psychotherapie –
im Trend liegt. In der Psychotherapie
geht es in erster Linie darum, das
psychologische Potential des Humors
emotional, kognitiv und kommunikativ
zu entwickeln und für KlientIn und
TherapeutIn nutzbar zu machen. So
demonstrierte der Psychotherapeut
Michael Titze zusammen mit dem
Komiker und Pantomimen Alfred Gerhards, wie mit dem Einsatz von Clowns
in der Therapie die oft beschämende
Die Spitalclowns
der Stiftung Theodora
Nicht mehr wegzudenken in vielen Schweizer
Kinderspitälern sind die von der Fondation
Theodora vermittelten Clowns- oder Traumdoktoren. Sie nehmen sich Zeit für die kleinen
Patienten und geben ihnen einen kurzen Augenblick lang die Möglichkeit, aus der verunsichernden Welt des Spitals zu entfliehen. Die
Clowns arbeiten eng mit den Pflegenden und
Ärzten zusammen.
Kontaktadresse: Fondation Theodora, Chemin des Mouettes 1, 1027 Lonay, Tel. 021 811 51 91, www.theodora.org.
SBK Bildungszentrum:
Humor
als Pflegekonzept
«Humor – die Entdeckung eines Pflegekonzepts», gehört seit fünf Jahren zu den beliebtesten Weiterbildungs-Angeboten des SBK Bildungszentrums. Der von Iren Bischofberger
geleitete vierstufige Kurs (Grundkurs, Aufbaukurse I, II und III) macht Pflegenden Mut zur
Reflexion und Umsetzung von Humor in der
Pflegepraxis, bei der Gesundheitsförderung
und im Bildungsbereich.
Kontaktadresse: SBK Bildungszentrum, Dienerstrasse 59,
8004 Zürich, Tel. 01 297 90 70.
“HumorCare”
zur Förderung des Humors
Die 1998 gegründete Gesellschaft zur Förderung von Humor in Therapie, Pflege und Beratung, «HumorCare», hat sich zum Ziel gesetzt,
die internationale Zusammenarbeit von Fachpersonen auf diesem Gebiet zu intensivieren.
Der Verein mit eigenen ethischen Richtlinien
informiert über Humoranwendung und -forschung, organisiert Aus-, Fort- und Weiterbildungen.
Kontaktadresse: HumorCare, Postfach 4960, 8022 Zürich,
Tel. 079 605 78 88, www.humor.ch.
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senschaftliche Forschungsbasis in diesem Bereich. Es gebe zwar etliche empirische Studien: «Aber man kann auf
Grund dieser Studien nicht klar und
deutlich aussagen, dass Humor in
Stresssituationen eindeutig messbare
positive Auswirkungen hat.» Martin
unterscheidet in seinen Untersuchungen zwischen gesundem und ungesundem Humor. Während gesunder Humor helfen könne, mit Stress fertig zu
werden, zwischenmenschliche Spannungen abbaue, das Selbstbewusstsein
oder Kontakte fördere, diene negativer
Humor (wie zum Beispiel Sarkasmus)
dazu, Probleme zu verdrängen, sich
über andere lustig zu machen, sie zu
Die Clownnase allein genügt noch nicht – aber
gezielt eingesetzt, kann
therapeutischer Humor bei
Patienten zu einer positiven Entwicklung beitragen.
beeinflussen, dass Lachen Schmerz reduzieren sowie Stressabbau, Durchblutung und Verdauung fördern oder helfen kann, den Blutdruck zu senken».
Die Ansätze und Ergebnisse in diesen
Bereichen seien viel versprechend, eine Bestätigung der Befunde auf breiter
Basis stehe jedoch noch aus.
Die negative Komponente
Am Kongress bemängelte insbesondere der kanadische Psychologieprofessor Rod A. Martin die schmale wis-
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Humor bei Angehörigen
Einen Beitrag zur Deckung dieses
Forschungsdefizits leistet Iren Bischofberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Pflegewissenschaft an
der Universität Bielefeld und Kursleiterin zu Humor als Pflegekonzept am
SBK Bildungszentrum in Zürich. Im
Rahmen eines Forschungsprojektes zu
pflegenden Angehörigen von HIV-positiven Menschen untersucht sie die Bedeutung des Humors. Bei den durchgeführten explorativen Interviews mit
pflegenden Angehörigen hat Iren Bischofberger festgestellt, dass Aussagen
zu Humor meistens erst gegen Schluss
Fotos: Pino Covino
und entmutigende Einengung kommunikativer Möglichkeiten überwunden
werden kann.
Gleichzeitig wurde am Kongress
auch klar, dass vieles, was über die
Wirkung des Humors behauptet wird,
wissenschaftlich auf eher wackeligen
Füssen steht. Seit Beginn der 90er
Jahre gibt es zwar auch im deutschsprachigen Raum zum Thema Humor
und Gesundheit eine grosse Fülle an
Publikationen, Fachtagungen und Kursen. Laut Peter Hain, Psychologe und
Präsident von HumorCare (vgl. Kasten), kann zudem die Gelotologie
(Lachforschung) nachweisen, dass
«Humorreaktionen das Immunsystem
manipulieren oder sich selbst zu erniedrigen. Rod A. Martin weist in seinen Studien zum Beispiel nach, dass
Männer stärker zur negativen oder aggressiven Form von Humor neigen,
Frauen hingegen eher zur positiven
Spielart. Um schlüssige Aussagen nicht
nur über die Häufigkeit, sondern auch
den Grund des Lachens machen zu
können, brauche es aber dringend
mehr Forschung und klarere Definitionen des Humors und des Sinns für
Humor.
des Gesprächs auftauchen. Diese Tatsache könnte dahingehend interpretiert werden, dass die InterviewpartnerInnen, die alle aus dem westlichen
Kulturraum stammen, Humor nicht mit
einem chronisch-progredienten Krankheitsverlauf verknüpfen. Sie betrachten diese Verbindung möglicherweise
gar als etwas, für das sie sich gegenüber Aussenstehenden rechtfertigen
müssen. «Das Lachen haben wir trotzdem nicht verlernt», sagt im Interview
plötzlich der Freund und Betreuer eines aidskranken Mannes. Iren Bischof-
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berger macht hier eine Verbindung zur
Volksweisheit «Humor ist, wenn man
trotzdem lacht» sowie zum Konzept
der Salutogenese, das von Antonovsky
entwickelt wurde. Anders gelagert ist
die Ursache bei der Tochter, die ihre Eltern pflegt, und sagt: Die Quelle ihrer
Kraft sei das Lachen ihrer Mutter. Sie
spricht damit das Konzept der Durchhaltekraft als unerschöpflicher Energiequelle an sowie die Reziprozität in
der Pflegebeziehung.
Der Humor mancher Angehöriger
Langzeitkranker ist hingegen der Kategorie des Galgenhumors zuzuordnen.
Eine Mutter pflegt ihren HIV-positiven
Sohn, der recht deutliche Brüste bekommen hat, weil durch den Hepatitisbedingten Leberschaden die Hormone
seit längerer Zeit nicht mehr genügend
abgebaut werden. Wegen der weiblichen Brust habe sie im Spass gesagt:
«Du bekommst von mir einen Büstenhalter.» Nach dem Motto «Spassen um
nicht zu Weinen» verschaffe sich die
Mutter mit einer solchen Aussage möglicherweise Erleichterung, interpretiert
Iren Bischofberger. Mit dieser Deutung
in der Nähe des Galgenhumors befinde
sich die pflegende Angehörige im Kreis
vieler VertreterInnen der Gesundheitsberufe. Diese witzelten öfters über Patienten, vor allem um die eigenen
Ängste und Sorgen abzubauen und diejenigen Aspekte des Tragischen abzuwehren, die man eigentlich verhindern
möchte – wie zum Beispiel den Tod.
Geläufig ist jener Witz, bei dem die eine Krankenschwester zur andern sagt:
«Du, der Simulant im Zimmer 13 ist
gestorben.» Die Kollegin antwortet
empört: «Also jetzt übertreibt er wirklich.»
Es sei Aufgabe sowohl der PraktikerInnen wie auch der Forschung, die
verschiedenen Humorformen wahrzunehmen, auf ihre Bedeutung hin zu
hinterfragen, resümierte Iren Bischofberger. Oder wie es die Mitorganisatoren Michael Titze und Peter Hain schon
vor dem Beginn des Kongresses an
einer Medienorientierung dargelegt
hatten – es sei nicht in erster Linie das
Ziel, die Patienten um jeden Preis zum
Lachen zu bringen. «Es soll vielmehr
ein Prozess angeregt werden, der zu
einer selbst bejahenden, mutigen Einstellung führt, die mit Heiterkeit und
Lebensfreude einher geht.»
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Humor in der Pflege
Lachen befreit
Lebenskräfte
Lachen und Humor in der Pflege richten die Optik
auf die Ressourcen statt die Defizite. Gezielte Humorinterventionen in der Klinik beeinflussen den Pflegealltag und den Umgang mit den Patienten positiv. Ein
Hilfsmittel dafür kann eine «Lachkiste» (s. Bild) sein.
C O R N E L I A B I L L , E LV I R A U R E C H
M O R G E N S früh in einem Männerzimmer: Es befinden sich drei ältere
schlafende Herren darin. Einer von
ihnen, Herr XY, ist leicht verwirrt und
muss plötzlich dringend auf die Toilette. Obwohl sich das WC im Zimmer befindet, reicht es ihm nur bis zum Bett
seines Nachbarn, der schläft. XY setzt
sich ans Fussende des fremden Bettes
und verrichtet dort sein «grosses Geschäft». So trifft die Pflegende beim
Eintritt ins Zimmer die Patienten an.
Unterdessen sind auch die zwei Mitpatienten aufgewacht und haben sich ein
Bild dieser Situation gemacht. Der Patient, dessen Bett zweckentfremdet
wurde, zeigt viel Verständnis für Herrn
XY und stimmt daraufhin mit allen Anwesenden ein schallendes Gelächter
an.
Ressourcen statt Defizite
Diese Situation zeigt deutlich, wie die
Situationskomik über eine peinliche Situation hinweg helfen kann. Im Rahmen unserer Arbeit haben wir mehr
über den Hintergrund und die Auswirkungen des Lachens erfahren. Wir
möchten ein kreatives Instrument entwickeln, um unseren Teams das Thema
Lachen fundiert und erlebnisreich
näher zu bringen. Ausgangspunkt
dafür ist das von Aron Antonovsky beschriebene Konzept, das in der Pflege
einen Paradigmenwechsel von der Pathogenese zur Salutogenese anstrebt.
Das Augenmerk soll auf die Ursachen
der Gesundheit, der Gesundheitserhaltung und -förderung statt auf die Ursachen der Krankheit gerichtet werden,
auf die Ressourcen statt auf die Defizite
und Probleme, auf die Erfolgsstrategien statt auf die Misserfolge. Lachen ist
für uns Selbstpflege und beeinflusst das
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Team und die Patienten positiv, wie Liliane Juchli sagt: «Pflege deinen Nächsten wie dich selbst.» Humor und Lachen im Spital verbessert die Lebensqualität der Pflegenden. Und Krankenschwestern und -pflegern, denen es gut
geht, können besser pflegen. Somit
wird auch die Pflegequalität gefördert,
die PatientInnen werden ganzheitlicher betreut.
Die Steigerung der Lebensqualität
durch Lachen ist auch naturwissenschaftlich bewiesen. Henri Rubinstein
Elvira Urech
pflegt mit Humor
in der urologischen
Klinik des Berner
Inselspitals.
Cornelia Bill
arbeitet in einer medizinisch-chirurgischen Abteilung in
einem Privatspital in
Bern.
hat in seinem Buch «Lachen macht gesund» die physiologische Wirkung des
Lachens auf die Organe und das psychische Wohlbefinden aufgezeigt. Lachen ist der Ausdruck eines Gefühls der
Harmonie und des Gleichgewichts jedes einzelnen Menschen. Es kennzeichnet den Zustand des Körpers, die
Harmonie seiner Schönheit und Energie. Lachen durchlüftet Körper und
Seele. Lachen schafft ein sympathisches Gleichgewicht, bewirkt eine Massage der Gesichtszüge und gibt dem
Gesicht seine Schönheit und Geschmeidigkeit wieder zurück. Es verleiht dem
Blick wieder Glanz und lässt die Lebensfreude neu entfachen. Zahlreiche
Untersuchungen belegen, dass Lachen
Stress, Schmerz, Schlaf, Atmung, Verdauung, Herz- und Gefässsysteme positiv beeinflussen kann.
Heilkraft des Humors
«Lachen ist (und macht) gesund»,
sagt der Volksmund, und «Humor ist,
wenn man trotzdem lacht». Dieses
«Trotzdem» ist wohl das Bezeichnend-
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ste, wenn wir von Humor im Zusammenhang mit Krankheit, Gesundheitsund Krankenpflege sprechen wollen.
Lachen bedeutet grundsätzlich in
Spiellaune zu sein, weshalb es das
erste Ziel der Lachtherapie ist, diese
Spiellaune zu fördern oder wieder herzustellen. Die Spiellaune entspricht
letztlich der Grundstimmung des Kindes; und es gilt dieses lachende Kind,
das in uns allen steckt, neu zu entdecken, wieder werden wie die Kinder.
Aber das heisst eigentlich nichts anderes, als dass man wieder mehr für sich
selber leben, sich selbst sein, sich in
seiner eigenen Haut wohl fühlen muss
und darf. Darin wird sichtbar, was
schon Sigmund Freud festgestellt hat:
Das Lachen weist eine egoistische
Komponente auf; es ist das Ich, das sich
weigert, sich durch äussere Wirklichkeit Leid auferlegen zu lassen. Hier
liegt der prophylaktische Ansatz des
Humors. Wo Leid, Schmerz und Krankheit jedoch schon aufgetreten sind,
geht es auch um dies: Alles, was die
Aufmerksamkeit von Schmerz und Leid
ablenkt, wird diese verringern.
Lachen auf der Station
Es ist noch nicht so lange her, da war
das Lachen in der Gesundheits- und
Krankenpflege verpönt. Schwestern
hatten sich an Anstandsregeln zu halten, wie «Der feine Mensch lächelt
nur», «Nur leise und gesittet umhergehen» oder «Witze sind Ausdruck von
Unfeinheit und deshalb zu unterlassen». Nach den heutigen Erkenntnissen kommt jedoch dem Humor in der
Pflege eine wichtige Bedeutung zu:
• Lachen ist auf der Station, im Krankenzimmer nicht nur erlaubt, sondern erwünscht – allerdings nicht unter allen Umständen.
• Lachen befreit blockierte Lebenskräfte in allen Bereichen der Aktivitäten
des täglichen Lebens (z.B. die mechanische Wirkung auf die Bauchmuskulatur, Entspannung bei Schlafproblemen, vergrössert das Atemvolumen).
• Lachen gehört zum täglichen Therapieprogramm. Es sollte ebenso bewusst verteilt werden wie die chemischen Medikamente. Die Rezeptur
kann viele Geschmacksrichtungen
haben und hängt natürlich auch von
den Mitteln ab, die uns zur Verfügung
stehen. Nicht alle können anregende Witze erzählen.
• Humor ist die leisere Seite des Lachens und ist im Krankenzimmer oft
wirkungsvoller.
• Humor ist wie eine Leiter. Man kann
sie brauchen, wenn Schwierigkeiten
übermächtig zu drohen werden und
wenn man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren. Humor ist dann
das Mittel, das uns hilft, den Dingen
die Schärfe zu nehmen, die Möglichkeit, eine andere Ebene zu erreichen,
eine neue Sinnperspektive zu finden.
Humorinterventionen
Die Humor-Forscherin Iren Bischofberger (vgl. auch Artikel über den Humor-Kongress) hat die Erfahrung gemacht: Je mehr Humor sie am Arbeitsplatz zuliess, desto mehr bemühte sie
sich um tadellose Pflege und Professionalität. Für sie ist der Einbezug von
Humor in der Pflegeanamnese wichtig.
Darum sollten die Patienten oder deren
Angehörige beim Eintrittsgespräch
nach ihrem Sinn für Humor gefragt
werden. Wahrscheinlich wird diese
Frage Erstaunen auslösen, aber auch
wichtige Informationen beinhalten.
ul
Urs
Lachen und Humor im Spital können
die Lebensqualität der Patientinnen
und Pflegenden verbessern.
Wichtig ist, dass Humor so ernst genommen wird, dass auch eine schriftliche Dokumentation der erhaltenen Informationen vorgenommen wird.
Die Lachkiste
Humorinterventionen können gelernt und gezielt angewendet werden.
Sie sollen ihren Platz zusätzlich zum situationsbedingten Humor finden. Mögliche Instrumente um Humorinterventionen anzuwenden, haben wir in einer
«Lachkiste» zusammengestellt. Wieso
eine «Lachkiste»? Manchmal gibt es
Momente, in denen die Situationskomik für sich selber spricht und die Pflegenden und die Patienten lachen lässt.
Oft wäre es aber auch hilfreich, Dinge
zur Hand zu haben, die uns helfen, Humor in den Pflegealltag einfliessen zu
lassen. Wir haben deshalb einige Hilfsmittel zusammengestellt und in unse-
aM
ark
us
rer «Lachkiste» verpackt. Die Pflegenden können beim Durchwühlen der
Kiste die Salutogenese lernen und
somit den Arbeitsalltag positiv beeinflussen. Auch die PatientInnen sollen
einen direkten Nutzen davon haben,
indem wir ihnen je nach Bedarf einzelne Gegenstände oder gar die ganze Kiste zum Gebrauch ins Zimmer geben.
Unsere «Lachkiste» enthält folgende
Gegenstände:
• Als «visuellen Anker» einen Ansteckknopf mit der Aufschrift «Smiles are
welcome here», der von allen Personen getragen werden könnte, die mit
den Patienten in Kontakt treten
möchten.
• Das Bilderbuch «Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf
den Kopf gemacht hat» (von Werner
Holzwarth und Wolf Erlbruch). Indem
das Buch eine alltägliche, für die Patienten oft peinliche Thematik von
einer humorvollen Seite betrachtet,
kann es für sie Entspannung und
Natürlichkeit in die Situation bringen.
• Die Kassette mit dem Musical «Vom
kleinen Maulwurf, der wissen wollte,
wer ihm auf den Kopf gemacht hat»
(Werner Holzwarth, Patmos Verlag).
• Die Cartoonbücher «Irre(n)ärzte»
(von Gunter Krämer und Jan Tomaschoff) und «Du siehst heute schon
viel besser aus» (von Ulli Stein).
• Ein Tagebuch zum Festhalten
von lustigen humorvollen Erlebnissen auf der Abteilung.
Mit unserer Arbeit wollen wir
aufzeigen, dass Lachen im
Spital willkommen, geschätzt
und erwünscht ist, dass sich
Lachen in den Spitalalltag integrieren lässt. Lachen ja,
aber nicht um jeden Preis. Der
Humor wird in seiner Vielfältigkeit von jedem Menschen anders
aufgefasst, wie wir dies alle aus
eigener Erfahrung kennen. Im Spitalalltag gibt es auch Momente, in
denen das Lachen kaum angebracht
ist. In diesem Punkt vertrauen wir voll
und ganz auf die Intuition der Pflegenden, die selber spüren, wann gelacht
werden darf. Wir erlebten auch PatientInnen, die sich bei diesem Thema
überfordert fühlten, da sie von ihrer
Persönlichkeitsstruktur Humor anders
erleben als wir. Es ist uns wichtig, dass
wir solche Äusserungen und Situationen ernst nehmen.
■
Quelle: Lachen wäre eine prima Alternative,
HöFa-I-Abschlussarbeit, Bern 1999. Bearbeitung
durch die Redaktion.
Literaturverzeichnis
Holzwarth, W., Erlbruch, W.: Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf
gemacht hat, Peter Hammer Verlag.
Krämer, G., Tomaschoff, J.: Irre(n)ärzte, Thieme
Verlag, 1996.
Rubinstein, H.: Lachen macht gesund, mvg Verlag, 1987.
Stein, U.: Du siehst heute schon viel besser aus,
Lappan Verlag, 1993.
Anonovsky, A.: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, DGVT Verlag 1997.
Bischofberger I.: Achtung! Humor kann Ihrer
Krankheit schaden, in: Krankenpflege, 1994,
9, 8–12.
Humor
Gesundheitsförderung
Pflegemodelle
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