Matthias Steffen Leiter des Arbeitskreises “Medical Apps“ FUSE
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Matthias Steffen Leiter des Arbeitskreises “Medical Apps“ FUSE
Matthias Steffen Leiter des Arbeitskreises “Medical Apps“ FUSE Healthcare Tel: +49 40 450 318-0 E-Mail: [email protected] Fragen an Matthias Steffen zu Medical Apps Was ist eine Medical App? Auf dem schnell wachsenden Markt der Mobile-Health-Anwendungen muss man unterscheiden zwischen Medizin-Apps mit medizinischen Inhalten als Orientierungshilfe für Patienten oder Ärzte und Apps, die als Medizinprodukte klassifiziert werden – also einen medizinisch-therapeutischen oder aber diagnostischen Zweck erfüllen, unter §3 des Medizinproduktegesetzes fallen und CE-zertifiziert werden müssen. Letztere erheben personenbezogene Daten ihrer Nutzer, die sie auswerten, und häufig wird der Terminus „Medical App“ im Hinblick auf diese Gruppe verwendet. Die Grenzen sind in der Praxis allerdings oft fließend. Im Unterschied dazu haben die sogenannten Gesundheits-Apps eher informierenden Charakter und helfen zum Beispiel dabei, die eigene Vorsorge und Termine zu planen. In diesem Sinne haben sie eher eine gesundheitserhaltende Funktion. Apps können in jüngster Zeit auch eine Form von digitaler Therapie sein. Das es Medical Apps gibt, die mittlerweile von Krankenkassen erstattet werden, unterstreicht Ihre Bedeutung und de Wandel in unserem Gesundheitssystem. Wo liegen die Vorteile und Risiken für Patienten, Ärzte und Klinikpersonal? Besonders bei chronischen Erkrankungen können Medical Apps Patienten dabei helfen, Zeit zu sparen, weil nicht für jede Messung der Arzt aufgesucht werden muss. Blutdruck, Blutzucker oder andere Werte können hier erfasst, Symptome eingegeben und analysiert oder die entsprechende Dosierung von Medikamenten ermittelt werden. Die per App gesammelten Werte können umgekehrt dem betreuenden Arzt dabei helfen, eine genauere Diagnose zu stellen, die Therapie zu optimieren und sich überhaupt ein besseres Bild vom Zustand des Patienten zu machen. Nebenbei werden so die Wartezimmer entlastet und der Ablauf der Sprechstunde optimiert. Eine Medical App kann und soll den Arzt jedoch nicht ersetzen. Wer sich blind auf eine Anwendung verlässt und sie ohne medizinisches Wissen zur Selbstdiagnose heranzieht, wird im schlimmsten Fall kränker statt gesünder. Auch darf man nicht vergessen, dass man den Anwendungen sensible Daten anvertraut. Bevor Patienten ihre Daten eingeben, sollten sie sich also sicher sein, dass die App aus einer seriösen Quelle stammt und technisch und medizinisch einwandfrei ist. Laut einer aktuellen Studie des Universitätsklinikums Freiburg im Auftrag der Techniker Krankenkasse ist aber genau das ein großes Manko. Unter den weltweit derzeit rund 400.000 Anwendungen am Markt, die in den Bereich Gesundheit und Lifestyle fallen, gibt es – leider – auch viele schwarze Schafe, die kommerzielle Interessen in den Vordergrund stellen, statt auf Nachhaltigkeit zu setzen. So bleibt der Nutzen der Anwendungen deutlich hinter den Erwartungen zurück. Welche Möglichkeiten haben Patienten, sich über die Qualität von Medical Apps zu informieren? Mit der wachsenden Zahl von Apps werden kompetente Bewertungsinstanzen immer wichtiger. Der Medical App Award setzt hier an. Er prämiert innovative Apps, die besonders positiv aus der Masse hervorstechen. Ein strenger Kriterienkatalog, der neben anderen Faktoren auch rechtliche und medizinische Aspekte berücksichtigt, wird bei der Bewertung zugrunde gelegt. Die Apps werden auch nach der Verleihung weiter beobachtet, so dass sich Nutzer nachhaltig auf die Güte einer Anwendung verlassen und die Auszeichnung als eindeutige Empfehlung sehen können. Institutionen wie Krankenkassen bieten Hilfestellung in Form von Beratung oder Checklisten an, die bei der Einschätzung von Apps dienlich sind. Darüber hinaus gibt es Internetplattformen wie zum Beispiel imedicalapps.com, die Apps fachlich kompetent bewerten. Zudem sind eine freiwillige Selbstkontrolle der Anbieter und deren Transparenz hinsichtlich Quellen, Datenschutz oder auch Finanzierung gute Indikatoren für eine seriöse App bzw. ermöglichen deren Einschätzung. Nicht zuletzt ist es sinnvoll, die Nutzung einer App mit dem Arzt abzuklären, dessen beratende Funktion hier in Zukunft immer wichtiger werden dürfte. Ist der Mehrwert einer Anwendung für beide Seiten nicht eindeutig feststellbar, stellt der Arzt gar medizinische Mängel fest, kommt ein weiterer Gebrauch nicht in Frage. Welche Anforderungen gibt es denn eigentlich für Medical Apps? In diesem schnell wachsenden, internationalen Markt sind die rechtlichen Rahmenbedingungen vielschichtig und hinken der rasanten technischen Entwicklung hinterher. Neben Datenschutzrichtlinien und Zertifizierungsauflagen, die im Falle von Medizinprodukten greifen, sollten Entwickler behördliche Empfehlungen berücksichtigen, wie zum Beispiel die des Bayerischen Landesamts für Datenschutzaufsicht (BayLDA). In der Praxis ist die Verzahnung von technischen Anforderungen, dem jeweiligen Realisierungsrahmen und rechtlichen Bestimmungen oft so komplex, dass die Einhaltung aller Richtlinien zur Herausforderung werden kann. Hinzu kommt, dass Empfehlungen eben nur Richtlinien sind, die momentan von behördlicher Seite nicht verbindlich eingefordert werden. Also nehmen es viele Anbieter damit nicht so genau. Wie sollten Anbieter vorgehen, die sich mit einer App positiv abheben möchten? Auftraggeber, die sich mit einer fundierten App etablieren möchten, sollten schon bei der Planung genau hinsehen: Der Programmierer sollte nicht nur die Funktionalität der Anwendung im Blick haben, sondern auch mit den gängigen Regularien vertraut sein. Hier lohnt sich ein Blick auf die Referenzen und ein Check der bisher umgesetzten Projekte aus Nutzersicht. Hilfreich ist dabei zum Beispiel die Plattform HealthOn.de, die Apps bewertet und Anbietern eine freiwillige Selbstkontrolle nach einem Ehrenkodex ermöglicht. Ratsam ist, sich stets aktuell zu informieren – und als Entwickler einschlägig zu qualifizieren. Die TÜV SÜD Akademie etwa bietet spezielle Schulungen und Seminare zum Thema CEZertifizierung von Medical Apps an. Auch während der Entstehungsphase sind Programmierer nicht auf sich allein gestellt. Neben dem bereits erwähnten Portal HealthOn.de bekommen sie zum Beispiel auch beim Johner Institut für IT im Gesundheitswesen Unterstützung bei allen Fragen rund um ihr Projekt und dessen Zertifizierung. Was macht eine gute App aus? Transparenz und Datenschutz sind die Eintrittskarte, ohne die es keine App dauerhaft auf die mobilen Endgeräte der Nutzer schaffen sollte. Bei Nichtbeachtung riskieren Anbieter aus meiner Sicht nicht weniger als ihren guten Ruf. Ferner muss das der Anwendung zugrunde liegende medizinische Wissen fundiert und die Umsetzung technisch ausgereift sein. Zu guter Letzt darf eine App nicht über den Kopf der Zielgruppe hinweg entwickelt werden. Erst, wenn sie sich im Alltag bewährt und Nutzern einen nachweislichen nachhaltigen Mehrwert bietet, wird sie sich am Markt dauerhaft etablieren können. Welchen wirtschaftlichen Nutzen haben Medical Apps für die Anbieter? Im Idealfall können die Apps dazu beitragen, neue medizinische Erkenntnisse zu gewinnen und Kosten zu sparen. Für Krankenkassen führt ihr Einsatz zu Optimierungen im administrativen Bereich. Therapien können gezielter und wirkungsvoller eingesetzt werden. Über die Früherkennung lassen sie sich gar ganz vermeiden. Aus der Sicht von Arztpraxen oder Krankenhäusern, die chronisch kranke Patienten dauerhaft betreuen, ergeben sich Entlastungen durch eine effizientere Betreuung aus der Ferne. Bei Produkten der Pharmaindustrie können Apps deren Einsatz unterstützen und einen Wettbewerbsvorteil bieten, der sich absatzfördernd auswirkt. Gleichzeitig schärft sich das Markenprofil. Die Liste lässt sich fortführen und mein Rat an alle, die sich mit der Idee tragen, eine App zu entwickeln, ist: Sprechen Sie Agenturen an, die sich im Bereich Healthcare spezialisiert und Erfahrung in der App-Entwicklung haben. In der Zusammenarbeit lassen sich fundierte Ansätze entwickeln, die Ihnen einen echten Mehrwert bieten. Wie sieht die Prognose für die Zukunft aus? Die bereits erwähnte Freiburger Studie kommt zu dem Schluss, dass sogenannte „Wereables“, also computergesteuerte Geräte, die man am Körper trägt, und das „SelfTracking“ zur Messung eigener Daten für den selbstbestimmten Umgang mit unserer Gesundheit immer wichtiger werden. Die Tatsache, dass zum Beispiel die Apple Watch bereits von Krankenkassen anerkannt wird, diese selbst eigene Apps implementieren und deren Nutzung mit Bonusprogrammen fördern, sind Beispiele, die diese Ergebnisse untermauern. mHealth wird bei der Vorsorge und laufenden Betreuung von Patienten einen festen Platz haben. Die Bereitschaft der Nutzer dazu ist bereits gegeben – und das nicht nur unter der jüngeren Generation, wie der TK-Trendmonitor des forsa-Instituts bestätigt, nach dem sich bereits heute drei Viertel der Befragten vornehmlich oder sogar ausschließlich über das Internet zu Gesundheitsthemen informieren. Die Studie „Share for Care“ von DocCheck Research im Frühjahr 2015 kommt zu ähnlichen Ergebnissen und spricht dem Arzt eine zentrale Rolle als Vertrauensperson und Gatekeeper zu. Auch die vom Zukunftsinstitut durchgeführte Gesundheitsstudie von Philips rückt den zunehmenden Wunsch von Patienten nach Eigenverantwortung in den Fokus. Das Selbstverständnis sowie das Verhältnis von Arzt und Patient wird sich demnach in der von Internet und Apps bestimmten Welt verändern. Vertrauen und Transparenz sind dabei Schlüsselfaktoren. Diese Entwicklung nimmt Ärzte und Anbieter in die Pflicht, sich verantwortungs-bewusst mit Medical Apps auseinanderzusetzen. Was die rechtlichen Grundlagen betrifft, so wird eine verbindliche Reglementierung auf Bundesebene unumgänglich sein – je eher, desto besser. Der im Mai verabschiedete Entwurf zum E-Health-Gesetz ist hier nur ein erster Ansatz, nimmt jedoch noch nicht die Themen ins Visier, die für den Bereich Medical Apps wirklich relevant sind und das Vertrauen der Nutzer fördern würden. Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf.