Acapulco/Guerrero: Sonne, Strand und soziale Kämpfe

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Acapulco/Guerrero: Sonne, Strand und soziale Kämpfe
Acapulco/Guerrero: Sonne, Strand und soziale Kämpfe
Philipp Gerber, medico international schweiz
20.03.2008. Der südmexikanische Bundesstaat Guerrero ist ein heisser Ort voller krasser
Gegensätze. Im Hinterland des glamourösen Badeorts Acapulco wird der soziale Protest der
verarmten Bevölkerung auf brutalste Art und Weise kriminalisiert. Diese Brutalität setzt neue
Massstäbe für Mexiko und andere Länder. Die letzten Monate zeigen eine dramatische
Entwicklung im „Guerrero bronco“, dem „wilden Guerrero“.
Im Gegensatz zu Chiapas oder Oaxaca sind die sozialen Kämpfe in der bergigen Region
Guerrero hierzulande völlig unbekannt, deshalb zuerst ein paar Streiflichter auf die Geschichte.
Seit dem Scheitern der Agrarreform in den 60er Jahren hat sich die rebellische Bevölkerung
gegen die Oligarchie erhoben, mit allen möglichen Mitteln, auch bewaffnet: Der Guerillero
Lucio Cabañas wurde so etwas wie der Che Guevara Mexikos, seine Guerillatruppe namens
„Partei der Armen“ genoss die breite Unterstützung der Landbevölkerung. Die Oligarchie
versuchte, ihre ökonomischen Interessen im Tourismus, im Agrarbereich und im Bergbau zu
verteidigen. In den 70er Jahren mündete dies in einen schmutzigen Krieg, in dem die Guerilla
zerschlagen wurde. Die Armee überfiel Dörfer, welche die Guerilla vermeintlich unterstützten.
Unzählige Tote und über 400 Verschwundene sind allein im Bezirk Atoyac zu beklagen. Wegen
der völligen Straflosigkeit dieser Verbrechen bleibt der schmutzige Krieg eine offene Wunde in
der Gesellschaft Guerreros.
Erst Provokationen ...
In Guerrero zählt ein Menschenleben auch heute wenig. Der Bundesstaat befindet sich in einer
Dauerbelagerung durch das Militär, in den Städten geben die mit der Politik verbandelten
Drogenbarone den Ton an. Und in den letzten Monaten nahmen nicht nur die Abrechnungen im
Drogengeschäft zu, sondern auch die offene Gewalt gegen die politische Opposition.
Erst wurde Ende November Máximo Mojica, ein Anführer einer städtischen
Landbesetzungsorganisation namens „Tierra y Libertad“ von einer paramilitärisch agierenden
Gruppe entführt und tauchte drei Tage später in Polizeihaft auf. Mojica, ein pensionierter Lehrer,
soll zusammen mit seiner Frau für eine Entführung verantwortlich sein, die über 10 Fahrstunden
von ihrem Wohnort entfernt stattgefunden hat. Diese Entführung sei im Namen der Guerilla
ERPI geschehen. Nebst der obskuren Verhaftung und dem konstruierten Vorwurf der
Entführung ist auch die Guerillazugehörigkeit mehr als fragwürdig. Das „Komitee gegen Folter
und Straflosigkeit“ (CCTI) denunzierte, dass Mojica, der unter Diabetes leidet, massiv gefoltert
wurde und hat seine juristische Verteidigung übernommen.
Die erwähnte Guerilla ERPI (Ejercito Revolucionario del Pueblo Insurgente) ist eine von
mehreren Guerillagruppierungen in Guerrero. Sie versteht sich, ähnlich wie die EZLN in
Chiapas mit ihrem Prinzip des „gehorchend Befehlens“, als Organisation zur Selbstverteidigung
der Dörfer im Kampf gegen die Lokalfürsten und die mit ihnen verbündeten staatlichen
Repressionsorgane.
Eine Woche nachdem Mojica „verhaftet“ wurde, verschwand der Bauer Javier Torres Cruz.
Dieser hatte es gewagt, die Ermordung der Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa wieder zum
Thema zu machen: Er bezeugte, hinter deren Ermordung stecke der lokale Machtfürst von
Petatlán, Rogaciano Alba. Dieser betrieb die Abholzung der Sierra von Petatlán, u. a. im Auftrag
einer us-amerikanischen Firma. Er liess dutzende Leute in der Sierra de Petatlán entweder
ermorden oder ins Gefängnis stecken und ist heute eine zentrale Grösse im Drogengeschäft. Um
das Schicksal von Javier Torres Cruz musste man sich grösste Sorgen machen. Es wurde ein
breiter Protest organisiert.
Zehn Tage nach seinem Verschwinden tauchte Javier Torres plötzlich wieder in seiner
Gemeinde La Morena auf, mit Verletzungen von Schlägen am ganzen Körper sowie
Folterspuren an den Händen und Blutergüssen in den Augen. Beim Besuch einer
Menschenrechtsdelegation in seiner abgelegenen Gemeinde berichtete Javier Torres über die
erlittenen Qualen: Vom Militär in einer Strassensperre verhaftet, wurde er anschliessend den
Männern um Rogaciano Alba ausgeliefert, welche mit illegalen Holzabbau und Drogenhandel
ihr Geld verdienen. Diese banden ihn im Freien fest, schlugen ihn und fragten mit Bezug auf
seine Anzeige im Fall Digna Ochoa: „Warum hast du uns verraten?“ Nach mehreren Tagen ohne
Nahrungsaufnahme schaffte Javier es überraschend, zu fliehen, wurde auf der langen Flucht in
der Sierra von Petatlán von Helikoptern gesucht und mit Lautsprechern zum Aufgeben
aufgefordert. Jetzt sah er auch deutlich, dass das Militär und die Bande von Rogaciano Alba
Hand in Hand arbeiteten.
Diese abenteuerlichen Geschichten zeigen, dass die Folter und das Verschwindenlassen in
Guerrero wieder vermehrt praktiziert werden. Doch warum gerade jetzt eine solche
Verschärfung, die an den Krieg der 70er Jahre erinnert? Dazu der Aktivist und Arzt Ricardo
Loewe vom CCTI: „Die Regierung greift nicht nur mit den kombinierten Kräften des Militärs
und der Drogenmafia an, es gehört auch die Polizei dazu. Diese dreifache Streitkraft hat nun
Petatlán und Umgebung belagert, mit der Absicht, die Guerilla ERPI zu provozieren. Aber unter
diesem Staatsterror muss die ganze Bevölkerung leiden.“
... dann Tote
Im Februar spitzte sich die Lage weiter zu: Polizisten verhafteten zwei Anführer der indigenen
„Organización para el Futuro del Pueblo Mixteco Na Savi (OFPM)“ mitten aus einer
Veranstaltung heraus. Doch die Polizei schwieg sich über ihren Verbleib aus, die beiden galten
als verschwunden. Der Protest von 150 Organisationen half diesmal wenig: Eine Woche nach
ihrem Verschwinden wurden zwei schlecht verscharrte Leichen gefunden. Schnell wird klar,
dass es sich um die Körper von Raúl Lucas Lucía und Manuel Ponce Rosas, Präsident und
Sekretär der OFPM, handelt. Der Körper von Raúl Lucas wies Verbrennungen im Halsbereich
auf, er wurde mit einem Kopfschuss getötet. Manuel Ponce wurde der Schädel eingeschlagen.
Abel Barrera, der Direktor des Menschenrechtszentrums Tlachinollan, bezeichnete das
Staatsverbrechen als „doppelte aussergerichtliche Hinrichtung“.
Die beiden Indigenas wurden wohl nicht zufällig ausgewählt: Sie sind Überlebende eines
Massakers im Dorf El Charco, wo das Militär 1998 eine Versammlung von Dorfbewohnern mit
dem ERPI überraschte und elf Personen auf dem Basketballplatz per Kopfschuss hinrichtete.
Beunruhigend ist, dass nur wenige Tage vor dem Verschwinden der beiden Indigenen zwei
hochrangige Delegationen von amnesty international und der UNO diese Region besuchten, um
sich aus erster Hand über das Schicksal von fünf Indigenen zu informieren, welche der Tötung
eines Spitzels angeklagt werden und seit Juni 2008 im Knast sitzen.
„Drogenkrieg“ oder Aufstandsbekämpfung?
Währenddessen behauptet der sozialdemokratische PRD-Gouverneur von Guerrero, Zeferino
Torreblanca, die sozialen Proteste und die MenschenrechtsverteidigerInnen seien vom
Drogenhandel bezahlt. Solche Aussagen bezeugen eine neue Qualität der Kriminalisierung
sozialer Proteste. Dies wurde auch möglich, weil im Februar in einigen Städten an der
Nordgrenze zur USA plötzlich Strassenblockaden gegen die Militärpräsenz auftauchten und klar
wurde, dass hunderte vermummte Protestierende, meist Jugendliche, Frauen mit Kindern und
Alte aus den Armenvierteln, von der Drogenmafia für diese Proteste gegen Bezahlung
angeheuert wurden. Seither steht jeder Protest gleich unter dem Generalverdacht, durch die
Mafia bezahlt zu sein. So dreht sich der von der Regierung inszenierte „Krieg gegen die
Drogenmafia“ immer mehr gegen die sozialen Bewegungen. Und gleichzeitig zeigt das Beispiel
Guerrero glaskar, dass das Militär nicht selten genauso ein Bestandteil des lukrativen
Drogengeschäfts ist wie die Polizei und die Politik.