Man fühlt sich unsichtbar und ohne Rechte
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Man fühlt sich unsichtbar und ohne Rechte
NZZ Online 1 von 2 http://www.nzz.ch/2007/01/10/zh/articleERIRY.print.html 10. Januar 2007, Neue Zürcher Zeitung «Man fühlt sich unsichtbar und ohne Rechte» Erste Erfahrungen aus der Anlaufstelle für Sans-Papiers Vor anderthalb Jahren haben Gewerkschaften im Zürcher Volkshaus eine Anlaufstelle für Sans-Papiers eröffnet. Die Stellenleiterin Bea Schwager erhält Einblicke in unterschiedlichste Schicksale und will erreichen, dass die Grundrechte auch für Papierlose gelten. tox. Die junge Südamerikanerin, die sich für das Gespräch mit einer Journalistin zur Verfügung gestellt hat, erzählt ihre Geschichte in gebrochenem Deutsch. Sie sei vor vier Jahren nach Zürich gekommen, um Geld zu verdienen, damit sie ihr Studium in der Heimat abschliessen könne. In der Illegalität zu leben, habe sie in Kauf genommen. Wenn sie jemand frage, woher sie komme und was sie mache, weiche sie oft aus. «Man weiss nie, wem man trauen kann, auch unter Landsleuten.» Eine Südamerikanerin, bei der sie wohnte, habe ihre Situation ausgenutzt und ihr erspartes Geld gestohlen. Hätte sie Anzeige bei der Polizei erstattet, wäre sie ausgewiesen worden. Nun bleibe sie eben länger als geplant in der Schweiz, hüte Kinder und putze weiter, bis sie genügend Geld für ihre Pläne beisammen habe. «Ich fühle mich unsichtbar und ohne Rechte», fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. Sie versuche, möglichst nicht aufzufallen. Vor einem Sprachkurs ist sie zurückgeschreckt, als man sie im Anmeldeformular nach dem Aufenthaltsstatus fragte. Schwierige Schicksale Und doch ist die Lage der jungen Südamerikanerin für eine Person ohne Aufenthaltsbewilligung vergleichsweise gut. Der Leiterin der Beratungsstelle für Sans-Papiers, Bea Schwager, sind in den anderthalb Jahren ihrer Tätigkeit dramatischere Geschichten begegnet. Etwa die einer 19-jährigen Afrikanerin, die beim Vater in Afrika aufgewachsen war und nach dessen Tod zu ihrer regulär in der Schweiz lebenden Mutter reiste, weil sie sonst von den Verwandten zwangsverheiratet worden wäre. Nahegegangen ist ihr der Fall einer Nigerianerin, die die Polizei mit ihrem Kleinkind festnahm, weil sie keine Geburtsurkunde für das hier geborene Kind hatte. Man sagte ihr angeblich, sie könnte das Kind ja entführt haben. Mangels eigener Papiere hatte sie aber die Geburt des Kindes nicht registrieren lassen. Diese beiden Afrikanerinnen hat Schwager an die Freiplatzaktion verwiesen, die nun versucht, für sie Asyl zu erwirken. Die Ohnmacht der Betroffenen zu sehen und selbst wenig für sie tun zu können, falle ihr jeweils schwer, sagt Schwager. Ihre illegale Anwesenheit mache die Sans-Papiers erpressbar, bei Konflikten komme es immer wieder zu Denunziationen. Probleme mit Heirat und Krankenkasse Seit der Eröffnung im August 2005 haben sich 319 Personen in der Anlaufstelle im Volkshaus beraten lassen. Die meisten stammen aus Afrika und Lateinamerika, etliche auch aus Asien. Initiiert wurde die Stelle, die nur mit einem Teilzeitpensum dotiert ist, vom Gewerkschaftsbund der Stadt Zürich und von verschiedenen Gewerkschaften. Finanziert wird sie zu einem grossen Teil über Spenden. Am häufigsten wenden sich Ratsuchende wegen Problemen mit einer Krankenversicherung und wegen Heiratsplänen an die Stelle. Zwar sind die Krankenversicherungen in der Schweiz verpflichtet, auch Personen ohne Aufenthaltsbewilligung aufzunehmen. Laut Schwager werden die Papierlosen aber oft abgewimmelt, wenn sie sich selbst bei einer Versicherung melden. «Läuft die Anmeldung über unsere Stelle, so klappt es in der Regel», hat sie festgestellt. Die vielen Anfragen zum Thema Heirat haben damit zu tun, dass es den Papierlosen seit dem vergangenen Juli praktisch unmöglich ist, im Kanton Zürich zu heiraten. Melden sie sich beim Zivilstandsamt, so wird ihnen ein Formular vorgelegt, mit dem sie den eigenen Aufenthaltsstatus vom Migrationsamt bestätigen lassen müssen. Sprechen sie damit beim Migrationsamt vor, so werden sie 11.01.2007 15:39 NZZ Online 2 von 2 http://www.nzz.ch/2007/01/10/zh/articleERIRY.print.html laut Schwager auf der Stelle verhaftet und ausgeschafft. Dies sei schon mehrfach vorgekommen. Diese neue Praxis basiere auf einer Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes. Dass den Papierlosen damit das Grundrecht auf Eheschliessung verwehrt wird, findet sie höchst problematisch. Anspruch auf Grundrechte Von der Stadtpolizei wird die Beratungsstelle für Papierlose toleriert. «Wir kontrollieren nicht, wer das Haus betritt», sagt Sprecher Hans Hanselmann auf Anfrage. Die Polizei mache auch nicht spezielle Patrouillen, um Papierlose aufzugreifen. Wenn sie aber im Rahmen der üblichen Personenkontrollen auf illegal anwesende Personen stosse, würden diese dem Migrationsamt oder der Staatsanwaltschaft zugeführt. Der Regierungsrat nahm im letzten Jahr in seiner Antwort auf eine SVP-Interpellation Stellung zur neuen Anlaufstelle. Es sei nichts dagegen einzuwenden, dass eine Beratungsstelle Personen, die für die Behörden nicht greifbar seien, über ihre Rechtslage berate, schreibt die Zürcher Regierung. Die Gewerkschaften, die hinter der Anlaufstelle für Papierlose stehen, wollen es nicht bei der Beratung bewenden lassen. Sie setzen sich grundsätzlich für eine Legalisierung der Sans- Papiers ein. Da dieses Anliegen politisch wenig Chancen habe, wolle man zumindest erreichen, dass ihnen in der Schweiz die verfassungsmässigen Grundrechte gewährt würden, sagt Schwager. Der Zugang zur Schulbildung sei in der Stadt Zürich gewährleistet, Kinder von Papierlosen würden problemlos eingeschult. Diese Praxis entspricht den Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Nach Abschluss der Schulzeit könnten die Jugendlichen wegen fehlender Papiere aber keine Lehre absolvieren. Problematisch sei auch, dass Sans-Papiers kaum an ein Arbeitsgericht gelangen könnten, wenn der Arbeitgeber ihnen den Lohn schuldig bleibe. Zu gross sei die Furcht, ihre Daten könnten ans Migrationsamt weitergegeben werden. Hier wäre für Schwager wie bei der Schule eine klare Regelung nötig, damit die Papierlosen auf dem Arbeitsmarkt kein Freiwild seien. Denn auch Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung sollten in einem Rechtsstaat Anspruch auf grundlegende Menschenrechte haben, fordert sie. tox. Als Sans Papiers werden nicht nur Menschen ohne Ausweispapiere, sondern auch Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung bezeichnet. Die Schätzungen, wie viele Papierlose in der Schweiz leben und arbeiten, reichen von 50 000 bis 300 000. Die Region Zürich dürfte einen grossen Teil davon beherbergen, Zahlen dazu sind aber keine erhältlich. Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter: http://www.nzz.ch/2007/01/10/zh/articleERIRY.html Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG 11.01.2007 15:39