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Automobiltechnik Fahrwerk Vierer-Bande Die GVO 1400/2002 gilt auch für Quads und ATVs. Bislang, so scheint es, haben das weder Anbieter noch Werkstätten bemerkt, denn technische Daten für Freie sind Mangelware. Eine kritische Übersicht. S o genannte Quads und All Terrain Vehicles (ATVs) sind laut offizieller Bezeichnung leichte vierrädrige Kraftfahrzeuge, zugelassen entweder bis 45 km/h, zur Personenbeförderung, zur Güterbeförderung oder als land-/forstwirtschaftliche Zugmaschinen. Bei Fahrzeugen zur Personenbeförderung spricht man von Quads, bei Arbeitsgeräten hat sich der Begriff ATVs durchgesetzt. Markt in Bewegung Zum 1. Januar 2006 waren bundesweit 62.596 Quads und ATVs registriert – eine Steigerung von 41,8 Prozent gegenüber 1. Januar 2005. Auch die Zu- lassungszahlen der vergangenen Jahre können sich sehen lassen. 2003 wurden 16.135, 2004 24.313 und im vergangenen Jahr immerhin 19.764 Einheiten erstmals zugelassen. Hinzu kommen allein in 2005 9.974 Umschreibungen. Der Markt ist also in Bewegung. Das erste Halbjahr 2006 bestätigt das mit 9.301 neu zugelassenen Quads und ATVs, so die letzte Meldung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA).Während das KBA im Jahr 2003 noch nicht zwischen Trikes und Quads/ ATVs unterschied, fehlen bei allen Angaben die Zahlen der als land-/ forstwirtschaftliche Zugmaschinen zugelassenen und deshalb vom KBA separat erfassten Fahrzeuge. Der Markt von Quads und ATVs ist alles andere als übersichtlich. Wenigen deutschen (Boom Trikes, E-ATV) und europäischen Herstellern (GG aus der Schweiz, KVN aus Italien) steht eine Vielzahl von Importen aus Fernost und Nordamerika gegenüber. Scheinbar deutsche Marken wie Kreidler und MZ vertreiben Produkte der taiwanesischen Hersteller SMC bzw. Reinmech. Hinzu kommt, dass es bei Import- und sonstigen Vertriebsverträgen an Konstanz mangelt und in kurzen Abständen immer neue Marken auftauchen. Folglich ist es in diesem Fahrzeugsegment „besonders schwierig, zum Marktexperten zu werden“, wie es der Sachverständige Hubert A. Kirschner vorsichtig formuliert (vgl. Interview auf Seite 18). Zweiräder plus Fahrwerke Angesichts des eher rustikalen Einsatzes dürften Fahrwerkschäden keine Seltenheit sein 16 9/2006 In technischer Hinsicht handelt es sich bei Quads und ATVs um Rolleroder Motorradantriebe in um Fahrwerke erweiterten Zweiradrahmen, versehen mit Heck- oder Allradantrieb. Die Motoren wurden, zumindest was den Ölkreislauf betrifft, modifiziert, denn die Fliehkraft wirkt hier auf auch in Kurven senkrecht stehende Moto- www.autoservicepraxis.de Automobiltechnik Fahrwerk diese Daten nicht nur nicht an markenfremde Werkstätten herausgeben will, sondern schlicht nicht vorliegen hat. Stellvertretend die Antwort der Kawasaki Motors Europe GmbH, Friedrichsdorf: „Diese Informationen liegen uns nicht vor.“ Die weitere Befragung der Anbieter ergab, dass in den meisten Fällen noch nicht einmal Empfehlungen für Fahrwerksvermessungssysteme existieren. Es geht auch anders Zum 1. Januar 2006 waren bundesweit 62.596 Quads und ATVs registriert Bilder: Grüter + Gut, BAIS ren. Rahmen und Fahrwerke bestehen meist aus Stahl, seltener aus Aluminium. Bei den aus Rund- oder Vierkantprofilen gefertigten Rahmen herrschen Schweißverbindungen vor. Zudem existieren ein- und zweiteilige Hauptrahmen sowie Rahmen mit geschweißtem, geschraubtem oder integriertem Heck, mit geschweißten oder geschraubten Befestigungslaschen und mit geschraubten oder integrierten Unterzügen. Vorn kommen Doppelquerlenker- oder McPherson-Fahrwerke zum Einsatz, hinten gibt es Starrachsen-, Längslenker- oder Doppelquerlenker-Aufhängungen. Verkleidungsteile von Quads und ATVs sind in lackiertem oder durchgefärbtem Kunststoff ausgeführt und geschraubt. Damit sich bei kleineren Remplern Schäden und Reparaturen in Grenzen halten, besitzen die Fahrzeuge oft vordere Schutzbügel, so genannte Bumper. Sie sind am Hauptrahmen geschweißt oder geschraubt. Angesichts des eher rustikalen Einsatzes von Quads und ATVs dürften Beschädigungen am Fahrwerk keine Seltenheit sein. Reparaturen fallen Motorradwerkstätten schwer, denn dort sind bestenfalls Rahmenlehren, aber keine Fahrwerksvermessungs- www.autoservicepraxis.de systeme vorhanden. Beschädigte Fahrzeuge landen somit bei Autowerkstätten, wobei jeder Betrieb als markenfremd gilt.Von Vermessungsdaten fehlt jedoch, abgesehen von einer Ausnahme, jede Spur, sowohl bei den Herstellern als auch bei Importeuren und sonstigen Vertreibern. Das ergab eine Umfrage von ASP unter den Anbietern von Quads und ATVs. Die Antworten deuten darauf hin, dass man Dass es auch anders geht, beweist der Schweizer Hersteller Grüter + Gut Motorradtechnik: „Die Daten für die Fahrwerkeinstellung bekommt jede Werkstatt von uns, die bei uns anfragt.“ Zugleich nach der Freigabepraxis für allgemeine technische Daten befragt, antwortete die Mehrzahl der Anbieter, als würde die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) nicht existieren. Tatsächlich gilt die GVO 1400/2002 auch für Quads und ATVs, denn ihr Geltungsbereich erstreckt sich auf alle Fahrzeuge mit Selbstantrieb und mindestens drei Rädern, die für den Verkehr auf öffentlichen Straßen bestimmt sind. Nicht für den Verkehr auf öffentlichen Straßen be- Quads/ATVs: Roller- oder Motorradantriebe in um Fahrwerke erweiterten Zweiradrahmen 17 9/2006 Automobiltechnik Fahrwerk stimmt sind lediglich als land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen eingestufte und zugelassene Quads und ATVs, für die auch nicht die Kfz-, sondern die so genannte Schirm-GVO gilt. Das bestätigt auch Patrick Kaiser von der Abteilung Fabrikate, Tarife, Recht und Steuern des ZentralverFahrwerkschäden bleiben unerkannt oder ihnen wird mit Luxusreparaturen begegnet Drei Fragen an ... ... Hubert A. Kirschner, Dipl.-Ing. (FH) Fahrzeugtechnik, Dipl.-Ing. (FH) Sachverständigenwesen, Schweißfachingenieur, Unfallanalytiker und Vorstand des Bundesarbeitskreises für Ingenieure und Sachverständige Fahrzeugtechnik + Verkehrstechnik e. V. (BAIS). Was sind Ihre Erfahrungen mit der Datenfreigabe-Praxis der Anbieter von Quads und ATVs? H. A. Kirschner: Falls den Anbietern die erforderlichen Daten für unsere Kalkulation vorliegen, werden sie in der Regel bereitwillig an die Sachverständigen weitergegeben. Die Schwierigkeit ist oft das Fehlen von verwertbaren Informationen, etwa zu Zeitvorgaben (AW-Zahl), Reparaturvor- und -freigaben. Traut sich zudem die Werkstatt nicht, Vorgaben zu machen, ist der Sachverständige gefordert. ? Welche Folgen hat die Nichtfreigabe, insbesondere von Daten zur Fahrwerkvermessung, für Sachverständige und Werkstätten? H. A. Kirschner: Aus unserer Erfahrung sind die Kinematikdaten und -toleranzen für den Fahrwerkbereich meist gar nicht vorhanden. Messsysteme können somit nicht sinnvoll eingesetzt, eine Entscheidung, maßhaltig oder nicht, kann nicht getroffen werden. Generell haftet der Sachverständige für die Angaben in seinem Gutachten. Besteht die begründete Vermutung, das Fahrwerk könnte plastisch verformt sein, muss der Sachverständige die Erneuerung der relevanten Bauteile in seiner Reparaturkalkulation berechnen. ? Der KYMCO-Importeur MSA aus Weiden antwortete auf die Frage nach der Freigabe von Daten zur Fahrwerksvermessung wie folgt: „Wir stellen Gutachtern gegen Entgelt Kostenvoranschläge aus. Dies kann auch der Händler mit einer speziellen Funktion im geschlossenen Händlerbereich tun.“ Wie beurteilen Sie diese für ASP überraschende Antwort? H. A. Kirschner: Diese Vorgehensweise ist nicht üblich und kann so nicht hingenommen werden. Dem Sachverständigen sind die relevanten Informationen mitzuteilen. Für den Fall, dass dem Händler ein erhöhter Aufwand für die Informationsbeschaffung entsteht, kann das über eine geringe Gebühr verrechnet werden. Die Kosten kann der Sachverständige als Fremdkosten in seine Rechnung aufnehmen. Die Händler in diesem Fahrzeugsegment sind erfahrungsgemäß fachlich nicht in der Lage, korrekte Kalkulationen, vor allem bei Schäden im Bereich Fahrwerk und Rahmen, zu erstellen. ? 18 9/2006 bands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), allerdings mit der folgenden entscheidenden Einschränkung: „Mir sind für den Bereich Quads und ATVs keine gesonderten Händlerverträge bekannt, die auf der Grundlage der Kfz-GVO erstellt wurden.“ Der Rechtsanwalt weiter zu einer möglichen Änderung der Situation: „Wenn ein Händler die Rechte der Kfz-GVO für diesen Bereich geltend machen will, wird er ggf. Rechtsmittel einlegen müssen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass ein höchstrichterliches Urteil vor 2010 ergehen wird. 2010 laufen sowohl die Kfz-GVO als auch die SchirmGVO, auf deren Grundlage die Motorrad-Verträge beruhen, aus.“ Mit anderen Worten: Hier liegt etwas sichtbar im Argen, bei gleichzeitig nicht vorhandener Aussicht auf Besserung. Vorgetäuschte Einfalt Im Wissen um diese Tatsache sind einige Antworten auf die Fragen von ASP an Dreistigkeit kaum zu überbieten.Als Beispiel die Antwort der Yamaha Motor Deutschland GmbH: „Wir bieten den Service ausschließlich unseren autorisierten Vertragshändlern.“ Hätte die ASP-Redaktion einen Preis für vorgetäuschte Einfalt ausgelobt, würde diesen zweifelsfrei die Suzuki International Europe GmbH, Bensheim, erhalten. Originalton:„Leider können wir Ihre Fragen nicht beantworten. Der Umfang unseres Imports an Quads und ATVs ist viel zu gering, um hier qualifizierte Aussagen zu liefern“, formulierte ein Mitarbeiter der Abteilung Marketing und PR Motorcycle. www.autoservicepraxis.de Automobiltechnik Fahrwerk Manchen Anbietern nimmt man jedoch auch die Unwissenheit ab, beispielsweise der Kirschenhofer GmbH im österreichischen Krems,Vertreiber von Quads der Marke Generic. Freie = Brötchenbäcker? Die Fragen von ASP würden zu weit in die Tiefe gehen, freie Werkstätten wären eh nur Brötchenbäcker, die nichts können, und da man in Österreich sei, würden deutsche Gesetze wie die GVO nicht greifen, so der zuständige Kirschenhofer-Mitarbeiter auf Nachfrage zur Ablehnung der Beantwortung der Fragen. Lässt sich eine solche Naivität improvisieren? Die Folgen für Werkstätten und Kunden sind absehbar. Fahrwerkschäden, die unerkannt bleiben, kön- Dass es auch anders geht, belegt der Schweizer Hersteller Grüter + Gut Motorradtechnik: ... Übersicht Quads und ATVs – Marken, Anbieter, Technik, Daten und Ersatzteile Marke; Hersteller Bombardier Can-Am (vormals Bombardier); Bombardier Recreational Products (BRP), Kanada GG; Grüter + Gut Motorradtechnik, Schweiz Anbieter; Anbieterstatus siehe unter Can-Am Jets Marivent e. K. Burscheid; Importeur verwendete Antriebstechnik Rahmen- und Fahrwerkkonstruktion Richten und Schweißen am Rahmen freigegeben? Rotax (gehört zu BRP) Stahl nein WÜDO GmbH & Co. KG, Holzwickede; Vertreiber (beispielhaft) BMW Stahl und Aluminium nein, zumindest nicht ohne Freigabe des Herstellers Honda; Honda of South Carolina Manufacturing, Inc., USA Honda Motor Europe (North) GmbH, Offenbach; Importeur Honda (spezielle Entwickl.), Ausnahme TRX 400 EX: Antrieb aus Enduro XR 400 Rahmen und Querlenker aus Stahl, Ausnahmen TRX 650 FA und TRX 680 FA: Querlenker aus Aluminium (Schmiedeteile) nein Jets Marivent Kawasaki; Kawasaki Heavy Industries, USA siehe unter Can-Am Kawasaki Motors Europe N. V., Friedrichsdorf; Importeur Kawasaki überwiegend Stahl, bei jüngeren Modellen teilweise aus Aluminium KYMCO; Kwang Yang Motor Co. (KYMCO), Taiwan Massey Ferguson; Arctic Cat Inc., USA MSA Motor Sport Accessoires GmbH, Weiden; Importeur AGCO Vertriebs GmbH, Witzenhausen; Vertreiber Yamaha Motor Deutschland GmbH, Neuss; Importeur KYMCO (modifizierte Kleinroller-Motoren, kombiniert mit stufenloser Automatik) Suzuki Stahl Richten: generell nein; Schweißen: an Stahlrahmen nur Haltekonsolen von Anbauteilen, an Aluminiumrahmen generell nein ja, mit Schweißerprüfung Stahl keine Angabe Yamaha (spez. Entwicklung) Stahl- und kombinierte Stahl-Aluminium-Rahmen nein Yamaha; Produktionsstätten in Japan und in den USA kein Anspruch auf Vollständigkeit; Angaben der Anbieter; Stand: August 2006 keine Antworten, nicht identifizier- oder erreichbar: AEON, Arctic Cat, Barossa, Boom Trikes, E-ATV, Explorer, Gas Gas, Generic, Herkules, Kreidler, MZ, KVN, Polaris, Sachs, Seikel und SYM 20 9/2006 www.autoservicepraxis.de Automobiltechnik Fahrwerk fahr ist selbst bei namhaften Anbietern groß, was die eingetroffenen und fehlenden Antworten auf die Fragen von ASP gleichermaßen belegen. Optische Sorgfalt beim TÜV ... „Die Daten für die Fahrwerkeinstellung bekommt jede Werkstatt von uns, die anfragt.” nen auch nicht instand gesetzt werden, und offensichtlichen Schäden begegnet man aus Sicherheitsgründen mit Luxusreparaturen, denn wird ein Detail eines Schadens übersehen, haften der begutachtende Sachverständige und/oder die ausführende Werkstatt. Externe Datenanbieter wie Audacon, Weikersheim, können den Missstand nicht kompensieren, denn auch sie sind auf die Zuarbeit durch die Quad- und ATV-Anbieter angewiesen. Zudem ist der Quad- und ATV-Markt derzeit noch nicht groß genug, um deren Reparaturdaten wirtschaftlich recherchieren und anbieten zu können, wie Ralf Mühlbichler, MarketingDirektor bei Audacon, betont. Werkstätten und Autohäuser, die ihr Geschäft auf Quads und ATVs ausdehnen wollen, sollten vorab kritisch prüfen, ob sie von ihrem potenziellen Vertragspartner diesbezüglich nicht im Regen stehen gelassen werden. Die Ge- Ist man sich bei den Prüforganisationen der Problematik bewusst? Reinhard Staebler vom TÜV Süd:„Wir haben den Vorteil, dass diese Fahrzeuge nicht in den Bremsenprüfstand passen und daher einer ausführlichen Probefahrt, nicht nur in der Halle, unterzogen werden. Die mitunter besonders starke Belastung des Fahrwerks, die bereits im Straßenverkehr auftreten kann, ist hinreichend bekannt, so dass unsere Sachverständigen den entsprechenden Bauteilen eine besondere optische Sorgfalt zukommen lassen.“ Peter Diehl Datenquelle für Nicht-Vertragspartner Ersatzteilquelle für Nicht-Vertragspartner empfohlenes Messsystem Angebot von Hotline/Training techn. Ansprechpartner Abteilung Kundendienst nicht existent, (Bedienungsanleitungen unter www.brp.com) Vertragspartner keine Angabe k. A./ja (nur für Vertragspartner) Hersteller Direktvertrieb durch Vertreiber elektronische Messsysteme oder Messlatte ja/nein nicht existent Vertragspartner Laser-Spurvermessungsanlage ja/ja (nur für Vertragspartner) Sven Lietzow, Tel. 02174/7836-0, Fax 02174/7836-22, [email protected] Walter Grüter (Inhaber), Tel. +41/41/4 48 33 63, Fax +41/41/4 48 33 73, [email protected] Ralf Wissel, Tel. 0 69/83 09-5 29, Fax 0 69/83 09-512, [email protected] ggf. auf Anfrage bei Kawasaki Direktvertrieb durch Kawasaki keine Angabe ja/ja (nur für Vertragspartner) nicht existent Vertragspartner keine Angabe ja/ja (nur für Vertragspartner) http://www.masseyferguson.com/ agco/mf/de/products/agtv/250_500.htm (allgem. Daten, keine Reparaturdaten) nicht existent keine Angabe keine Angabe ja/ja (ohne weitere Angaben) keine Angabe Vertragspartner keine Angabe ja/ja (nur für Vertragspartner) keine Angabe www.autoservicepraxis.de Michael Resch, Leiter Technischer Kundendienst, Tel. 0 61 72/7 34-150, Fax 0 61 72/7 34-6150 [email protected] keine Angabe 21 9/2006