KASAN – Kunst, Bildung und Sport in der Metropole an der

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KASAN – Kunst, Bildung und Sport in der Metropole an der
Festvortrag aus Anlaß des 90. Jubiläums der Gründung der Republik
Tatarstan zur Eröffnung der Fotoausstellun g:
„KASAN – Kunst, Bildung und Sport in der Metropole an der
Wolga“
Sehr geehrte Damen und Herren, möhtärräm hanymnar häm äfändelär, liebe Gäste!
Diese unsere Ausstellung ist der Stadt Kasan gewidmet – der Hauptstadt der Republik
Tatarstan, die sich im europäischen Teil der Russländischen Föderation befindet. Als eine
Autonome Sowjetische Sozialistische Republik wurde Tatarstan am 27. Mai 1920 gegründet,
somit feiert die Republik Tatarstan in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag. Die an der Wolga
liegende Stadt Kasan ist freilich um „einiges“ älter: Als ihr symbolisches Gründungsdatum
gilt heute das Jahr 1005, und im Jahre 2005 feierte Kasan sein Millennium, wenn auch die
Besiedlung noch einmal weiter zurück liegt.
Die Republik Tatarstan mit der Gesamtfläche von 68 Tausend Quadratkilometer und einer
Bevölkerung von rund 3 Millionen 800 Tausend Menschen gehört vor allem aufgrund reicher
Erdöl- und Gasvorkommen zu den wirtschaftlich am besten entwickelten Regionen der
Russländischen Föderation. Dabei ist Kasan mit seinen knapp 1 Million 140 Tausend
Einwohnern nicht nur politisches, wirtschaftliches und ökonomisches Zentrum der Republik,
sondern auch eine Kultur- und Sportmetropole. Seit einigen Jahren trägt Kasan den offiziellen
Titel „dritte Kulturhauptstadt Russlands“. Aufgrund seines reichen historisch-kulturellen
Erbes gehört Kasan zum Weltkulturerbe und wurde durch die UNESCO mehrfach gewürdigt1.
Wie viele Städte Osteuropas steht Kasan kulturell zwischen Europa und Asien, zwischen
Orient und Okzident. Das namengebende Volk der Republik Tatarstan – die Tataren, auch
Wolga- oder Kasantataren genannt, – gehört neben den Türkei-Türken, den Kasachen,
Usbeken, Aserbaidschanern, Baschkiren, Uiguren und vielen anderen zur Familie der
Türkvölker und spricht eine Sprache, die dem Türkei-Türkischen verwandt ist. Die
traditionelle Religion der Wolga-Tataren ist mehrheitlich der sunnitische Islam – so stellen
die Kasantataren die nördlichsten Muslime Europas dar2. Seit Jahrhunderten ist Kasan eines
der wichtigsten Zentren des Islam in Russland. Davon zeugen nicht zuletzt zahlreiche
Druckerzeugnisse – religiöse Aufklärungsliteratur, Zeitschriften, Zeitungen, ferner Poesieund Prosawerke „alter“ und „neuer“ tatarischer Schriftsteller: vom Versepos „Nuri Sadur“
(„Licht der Seele“) des Dichters Möhämmädyar (16. Jahrhundert) über die Schriften der sog.
Djadidisten, die zum Ende des 19. Jahrhunderts für die Erneuerung des Islam und eine breite
1
2
Siehe online im Internet unter URL: http://whc.unesco.org/en/list/980 [22.08.2010].
Daneben gibt es orthodox-christliche Tataren wie die Subethnien der Nagaybak und die Kräšen.
Volksbildung auftraten, bis zu den Romanen und Theaterstücken unserer Zeitgenossen Rabit
Batulla und Tufan Minnullin. Das islamische Erbe und die Wiedergeburt des Islam im
modernen Tatarstan spiegelt sich auch in der Architektur der Stadt mit ihren vielen Moscheen
wieder. Im Frühsommer 2005 wurde in Kasan die größte Moschee Europas eröffnet: die KulScharif-Moschee im Kasaner Kreml, die auch auf mehreren Fotos unserer Ausstellung zu
sehen ist3.
Doch nicht nur die Zugehörigkeit zum
Islam gehört zu den kulturellen
Dominanten des tatarischen Volkes. Die
Kasantataren sind ebenso in der
Volkskultur der Wolga-Region verankert,
die
von
den
ugrisch-finnischen,
slawischen und türkischen ethnischen
Gruppen besiedelt ist. Der schillernde
Ausdruck der tatarischen traditionellen
Kultur ist das Volksfest Sabantuj („Fest
des Pfluges“), das heute nicht nur in
Tatarstan gefeiert wird, sondern überall,
wo Tataren leben (so auch in Deutschland
dank des Engagements der Vereine
„Tatarlar Deutschland“ und „Tamga“4).
Auch unsere Ausstellung wäre ohne Fotos
von Sabantuj-Festen in Kasan nicht
denkbar und vollständig.
Kul Schärif Moschee in Kasan
Foto © FokusOst
Die Tataren stellen etwa 52% der Kasaner Bevölkerung. Die übrigen Einwohner der Stadt
sind Russen (42%), Tschuwaschen (knapp 2%), ferner Ukrainer, Juden, Russlanddeutsche
und viele andere. Die russisch-orthodoxe Kirche spielt eine wichtige Rolle im kulturellen
Leben Kasans; die christlichen Kirchenbauten gehören zu den schönsten der Stadt – siehe
beispielsweise das Foto des Peter-und-Pauls-Doms in unserer Ausstellung.
Mit der Eroberung des Kasaner Chanats durch die Truppen Iwans des Schrecklichen im Jahre
1552 siedelte das Russische Reich verstärkt russischstämmige Menschen in Kasan an. Mit den
Russen kamen auch europäische Bildungsinstitutionen wie das Gymnasium oder die berühmte
Kasaner Universität, die zu den ältesten in Russland zählt. Der erste Rektor der Kasaner
3
Tatar.: Qolşärif mäçete, Qol Şärif war der letzte Imam des Chanats von Kasan vor der Annexion 1552 durch den russischen
Zaren Iwan IV. („der Schreckliche“). Die Fotos stammen von verschiedenen Künstlern, Fotografen und Tatarstan-Reisenden
aus Deutschland sowie aus Tatarstan selbst.
4
Unter Leitung von Venera Gerssimov-Vagizova und Bari Dianov wuchsen diese Feste kontinuierlich
(http://tamga.wordpress.com/ bzw. http://www.tatarlar-deutschland.de/).
Universität war der berühmte Mathematiker Nikolai Lobatschewsky; zu den ersten
Professoren der Hochschule gehörten auch deutsche Gelehrten wie beispielsweise der
Mediziner Carl Fuchs, der bemerkenswerte ethnographische Notizen über die Kasaner
Tataren veröffentlichte5. An der Kasaner Universität studierten im Übrigen Lew Tolstoj und
Wladimir Iljitsch Lenin, was zum Thema von dichterischen und malerischen Werken nicht
nur von Kasaner Autoren und Künstlern, sondern auch in Werken von Jewgenij Jewtuschenko
oder dem in Berlin nicht unbekannten Wladimir Kaminer wurde.
Die heutige Bildungslandschaft der Stadt ist äußerst vielfältig. Neben den traditionellen
staatlichen Schulen gibt es Spezialschulen für musisch-, sprachlich oder naturwissenschaftlich
begabte Kinder. Die Unterrichtsprachen sind Russisch und (im wesentlich kleineren Maß)
Tatarisch; die Sonntagsschulen bieten auch Sprachunterricht in den Diaspora-Sprachen wie
Mari, Tschuwaschisch, Ukrainisch, Armenisch, Deutsch und anderen.
Kasan verfügt über ein breites Netz von Fachschulen, Fachhochschulen und Hochschulen:
von „A“ wie Artillerieuniversität oder Architekturakademie über „K“ wie Konservatorium
und Kunstakademie bis „Z“ wie Tatarisches Institut für Geschäftliche Zusammenarbeit –
insgesamt 44 Hochschulen. Hinzu kommen zahlreiche Forschungseinrichtungen wie die
Tatarische Akademie der Wissenschaft – oder das kleine, aber feine Institut „Prometheus“ für
Synästhesieforschung. Dessen Gründer, der vor zwei Jahren verstorbene Professor Bulat
Galeev, arbeitete eng mit innovativen Lichtkünstlern und Musikern wie der bekannten
Komponistin tatarisch-russischer Herkunft Sofia Gubaidulina zusammen und strebte eine
Synthese von verschiedenen Kunstrichtungen an. Die Ideen Bulat Galeevs beeinflussten unter
anderem den tatarisch-baschkirischen Maler Rais Khalilov, dessen Bilder auch in unserer
Ausstellung zu sehen sind. Vor 10 Jahren gründete Rais Khalilov zusammen mit Ildar
Kharissov und Nuria Khadeeva den Tatarisch-baschkirischen Kulturverein in Berlin; 2003
veranstaltete dieser Verein Tatarische Kulturtage im Berliner Museum Europäischer Kulturen,
auf denen einige Lichtwerke von Bulat Galeev zu sehen waren.
Die bereits erwähnte Komponistin Sofia Gubaidulina, die seit der Perestroika in Deutschland
lebt, gehört zu der mittlerweile ältesten Musikergeneration, die am Kasaner Konservatorium
studiert haben. Dieses im Jahre 1945 gegründete Konservatorium ist Alma Mater vieler
prominenter Pianisten, Violinisten, Jazz-Musiker, Musikwissenschaftler – und
selbstverständlich Komponisten, darunter der hier anwesenden Rezeda Achiyarova, Rashid
Kalimullin und Svetlana Zoryukova. Der Preisträger mehrerer internationaler Wettbewerbe,
Rashid Kalimullin, war längere Zeit auch der Leiter des Lehrstuhls für Komposition am
Kasaner Konservatorium. Heute ist Rashid Kalimullin Leiter des Komponistenverbands
Tatarstans und Vorstandmitglied des Komponistenverbandes Russlands. Er ist Ideengeber und
5
Die deutschen Akademiker der ersten Stunde werden mit dem Buch „Deutsche Gelehrte als Professoren der
Kasaner Universität. Zum 200. Jahrestag der Kasaner universität“ von Viktor Dietz, erschienen 200 4, geehrt.
Organisator von internationalen Musikfestivals wie „Europa-Asien“, „Klassische Gitarre im
21. Jahrhundert“, „Musiktransit“ und anderen, die regelmäßig in Kasan stattfinden (auch dies
ist auf Fotos unserer Ausstellung dokumentiert). Neben tatarischen Tonsetzern wirkten und
wirken in Kasan Komponisten verschiedener Herkunft: Russen, Juden, Mari u.a. International
besetzt sind die Kasaner Orchester, die Opern und das Ballett, zahlreiche Musikergruppen. So
ist es nicht verwunderlich, dass im Klesmer-Ensemble Simha6 die Musiker zu 40% Tataren
sind oder dass der Komponist ukrainisch-jüdisch-russischer Herkunft Leonid Ljubovsky sein
Ballett „Die Jusuf-Legende“ in Zusammenarbeit mit dem tatarischen Dichter Renat Haris
komponierte – im Übrigen bekamen sie vor 5 Jahren für dieses Ballett den höchsten
russischen Kunstpreis verliehen.
International besetzt sind naturgemäß auch die Sportteams Kasans: man denke nur an den
bekannten Kasaner Fußballclub „Rubin“ – vor einiger Zeit wollte der Verein Miroslav Klose
engagieren, wurde dieses Ziel auch nur knapp verfehlt. Der „Rubin Kasan“ wurde 2008
Russländischer Fußballmeister, der Erfolg konnte im Jahr 2009 wiederholt werden. Zu den
angesehenen Kasaner Sportmannschaften gehört auch der Eishockeyverein „Ak Bars“
(Schneeleopraden), der in der Kontinentalen Hockey-Liga spielt. In der Superleague Russland
spielt der Basketballverein „Unics“ Kasan, und die Volleyballvereine „VK Zenit-Kasan“
(Herren) und „VK Dynamo“ Kasan (Damen) verteidigen die Sportehre der tatarischen
Hauptstadt in der Volleyball-Superliga.
Auch andere Sportarten sind in Kasan beliebt und werden staatlich unterstützt. In den letzten
Jahren wurden zahlreiche Sporteinrichtungen gebaut bzw. grundlegend saniert: das
Hyppodrom, mehrere Stadien, Einrichtungen für Wassersportarten, Sportzentren für breite
Bevölkerungsschichten etc. Nicht umsonst spricht man von Kasan als einer der in sportiver
Hinsicht meistentwickelten Metropole in Russland. 2009 erhielt Kasan den Nationalpreis
„Das goldene Team Russland“ in der Kategorie „Die Sporthauptstadt“. All das macht
nachvollziehbar, dass gerade Kasan zum Austragungsort der Studentischen Weltsportspielen
Universiade im Sommer 2013 werden wird. Die Vorbereitungen zu diesem Sportereignis
laufen auf höchsten Touren, man rechnet mit einer Besucherzahl, die die von Besuchern
Olympischer Spiele übertrifft. Doch solange dies nicht eingetreten ist, kann man in Kasan
auch Stille und Beschaulichkeit genießen, im ruhigen Durchgang durch alte Gassen Bauten
des 19. Jahrhunderts bewundern und dabei in die „Melodie der Seele“ einstimmen, die der
Stadt im Herzen eines aufgeschlossenen Passanten entstehen lässt. Auch das ist das Thema
unserer heutigen Ausstellung.
Wir danken für die Aufmerksamkeit! Bik zur räxmät sizgä!
Ildar Kharissov & Mieste Hotopp-Riecke
6
S.: http://www.youtube.com/watch?v=D9gxFdWalQQ&NR=1 [22.9.2010].

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