Endlich Eiszeit!
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Endlich Eiszeit!
Seite 65 bewegen Endlich Eiszeit! Der Unilever-Konzern schluckte vor zwölf Jahren die amerikanische Eiscreme-Marke Ben & Jerry’s. Zuerst nur als Ergänzung des Produktportfolios gedacht, gilt die ökosoziale Marke dem Unternehmen heute als Vorbild für nachhaltiges und faires Wirtschaften D a sitzt er nun in der Sonne auf dem begrünten Dach der Unilever-Zentrale in der Hamburger Hafencity. Ein Mittdreißiger in Turnschuhen und Kapuzenpulli, der Markenchef für Deutschland, Österreich und die Schweiz der Fairtrade-Eiscreme Ben & Jerry’s aus dem Unilever-Konzern. Timm Duffner ist gerade mit dem Zug aus Lüneburg gekommen, er lebt in der Nähe auf einem BioBauernhof. Der Berater der PR-Agentur, der den Termin vermittelt hat, wird nicht müde, das zu erwähnen. Aus gutem Grund. Das Gesprächsthema ist Nachhaltigkeit. Bei Ben & Jerry’s. Und bei Unilever. Sicher würde sie sich schön lesen, die Geschichte von dem lässigen Öko-Aktivisten Duffner, der den Nahrungsmittel- und Pflegemittel-Giganten Unilever von innen umkrempelt. Von dem jungen Mann, der in der Natur am Starnberger See aufgewachsen ist und nun versucht, Unilever zu zeigen, wie man nachhaltig produziert. Und all das allein durch die Vorbildwirkung seiner hippen, nachhaltig erzeugten Eiscreme, die komische Namen trägt wie Chunky Monkey oder Baked Alaska. Aber die Geschichte der LeuchtturmMarke Ben & Jerry’s und ihrer Rolle im Konzern ist komplizierter. Timm Duffner ist nicht David, der gegen seinen Arbeitgeber Goliath kämpft. Das britisch-niederländische Unternehmen hat die amerikanische Marke Ben & Jerry’s vor zwölf Jahren gekauft. Auch weil sie mit ihrem Nachhaltigkeitsanspruch gut ins Portfolio passte. Der Konsument fragt seit vielen Jahren nach nachhaltig hergestellten Produkten, und er straft Unternehmen ab, die sich seinem Wunsch verweigern. SozioloKleine Marke ganz groß: Timm Duffner und Katja Wagner mit einem Pappbecher Ben & Jerry‘s FOTO Achim Multhaupt gen nennen das eine „Moralisierung der Märkte“. Dass Unternehmen sich dem Thema Nachhaltigkeit öffnen, ist nicht unbedingt ein Bewusstseinswandel, sondern eine zukunftssichernde Maßnahme. Unilever hat einigen Boden gutzumachen. Der Konzern gehört zu den größten Palmöl-Verbrauchern der Welt. Das Pflanzenfett steckt in vielen seiner Produkte, von Nahrungsmitteln bis zur Kosmetik. „Wir sind nicht das Feigenblatt von Unilever“, sagt Timm Duffner Um Palmöl herzustellen, werden – auch von Unilever-Zulieferern – große Teile des indonesischen Regenwalds abgeholzt und zu Plantagen gemacht. Aber auch hier gibt es kein Schwarz und Weiß: Unilever ist seit Jahren dabei, seinen Rohstoffeinkauf auf nachhaltig produziertes Palmöl umzustellen. Bis 2015 werde man den gesamten Bedarf aus zertifizierten Quellen decken, verspricht der Konzernvorstand. Im Lebensmittelsektor führt das Unternehmen seit zwölf Jahren den Dow Jones Sustainability Index an. Das heißt in keinster Weise, dass Unilever in Sachen Nachhaltigkeit am Ziel angekommen wäre. Aber das Ranking zeigt, dass der Konzern im Vergleich zu den anderen Unternehmen der Lebensmittelbranche ganz vorn steht. Eines der Vorhaben des sogenannten Sustainable Living Plan, den Unilever-Chef Paul Polman unterschrieben hat, lautet: „Bis 2020 werden wir alle landwirtschaftlichen Rohstoffe nachhaltig beschaf- fen.“ Im Moment liegt man bei unter 30 Prozent. Und in anderen Unternehmensbereichen, der Haushaltschemie zum Beispiel, ist auch noch eine Menge zu tun. „Wir sind nicht das Feigenblatt von Unilever“, sagt Timm Duffner auf der Dachterrasse. Die vor zwei Jahren bezogene neue Deutschland-Zentrale ist ein grünes Gebäude, sie wird allein von stromsparenden LED-Leuchten erhellt. Und sie hat gerade als erstes Gebäude das Hamburger Hafencity-Umweltzeichen in Gold erhalten. „Unsere Rolle ist es“, sagt Duffner lächelnd, „im Unternehmen Nachhaltigkeit vorzuleben.“ Wenn es darum geht, intern gute Beispiele vorzustellen, wird Ben & Jerry’s am häufigsten zitiert – und nicht die Schwestermarken wie Knorr, Rama, Langnese, Pfanni, Duschdas oder Domestos. Vermutlich kennt jeder im Haus die Geschichte von den Alt-Hippies Ben Cohen und Jerry Greenfield, die 1978 im USBundesstaat Vermont in einer Garage ihre ersten Eiscremes zusammenrührten. Ben und Jerry hatten schon damals eine Mission: Sie wollten ein leckeres Eis aus natürlichen Zutaten herstellen und zugleich die lokale Landwirtschaft fördern. Sie wollten das Leben aller Beteiligten, ihrer Lieferanten, ihrer Kunden, aber auch das der gesamten Gesellschaft ein bisschen besser machen. Mit Programmen für ihre Milchbauern, klimaneutraler Produktion und fair gehandelten Zutaten. „Wir verbessern die Welt seit 1978“, steht auf der Firmenchronik. Und darunter, augenzwinkernd: „Oder wir versuchen es zumindest.“ Ende 2011 hat Ben & Jerry’s in Europa einen Meilenstein erreicht: Jetzt stammen 100 Prozent der Zutaten aus fairem Handel. In den USA läuft die Umstellung noch. Seite 66 Wenn man Timm Duffner fragt, wie stark der Gegenwind sei, der ihm im Unternehmen entgegenwehe, sagt er: „Gegenwind gibt es nur im ersten Moment. Dann schlägt er in Leidenschaft um, etwas zu verändern. Auch in einem zahlengetriebenen Unternehmen wie unserem.“ Er bewege sich in einem Raum, der weitgehend frei sei von ökonomischen Zwängen, er bekomme Unterstützung von ganz oben. Oft kämen seine Chefs mit Ideen für noch mehr Nachhaltigkeit in sein Büro. Man möchte fast glauben, dass es Duffner bei Unilever so geht wie den Kindern antiautoritärer Eltern: keine Wände, Die Gründer Ben Cohen (l.) und Jerry Greenfield gegen die man rennen könnte. verfolgten bei ihrer Ben Cohen und Jerry Greenfield Speiseeisherstellung wollten nicht, dass Unilever ihr Un- von Anfang an auch ternehmen im Jahr 2000 kaufte. Aber eine „Social Mission“ die Aktien waren so weit im Streubesitz verteilt, dass die Gründer die Übernahme nicht verhindern konnten. Ihre meinden. Um einen Job bei Ben & Jerry’s Aktionäre lockte das große Geld. Am Kauf werde man unter den Kollegen beneidet. von Ben & Jerry’s war auch Unilever-KonTimm Duffner ging es wohl auch so. kurrent Nestlé interessiert. Ein dritter Bie- „Vor eineinhalb Jahren konnte ich mir nur ter, ein Social Investment Fund, scheiterte noch einen Job bei Unilever vorstellen“: am hohen Preis, geschätzten 326 Millio- seinen jetzigen. Er hat BWL studiert, in nen Dollar. Ein Unilever-Manager sei da- Australien einen Master gemacht und dem mals auf Ben und Jerry zugegangen, erzählt britischen Unilever-Chef eine Mail geDuffner, und habe sie gefragt: „Was ist schrieben. Darin erklärte er ihm, warum euch wirklich wichtig? Was muss bleiben?“ er ihn unbedingt kennenlernen müsse. Die Die Diskussionen endeten mit dem Ange- selbstbewusste Bewerbung klappte, Duffbot von Unilever, einen Aufsichtsrat ein- ner fing vor sieben Jahren als Trainee in zusetzen, der die Integrität der Marke Hamburg an. Er landete im Marketing für schützen soll. Es gibt ihn bis heute und er die Körperpflegeprodukte von Dove. Mit ist, sagt Duffner, hauptsächlich mit Weg- den Gesetzen des Verkaufens kennt er sich gefährten von Ben und Jerry besetzt. aus. „Auf die Konsumenten stürmen imKatja Wagner ist seit April 2011 Nach- mer mehr Informationen ein. Sich für das haltigkeitsmanagerin für Unilever Deutsch- richtige Produkt zu entscheiden ist eine land, Österreich und die Schweiz. Sie war wahnsinnig komplexe Aufgabe.“ Ein paar die Frau der ersten Stunde bei der Markt- emotionale Zutaten erleichtern sie. Ben & einführung von Ben & Jerry’s in Deutsch- Jerry’s hat Humor. Und eine unverwechland. Als Wagner 2002 von ihrem Marke- selbare Bildsprache. ting-Posten bei Langnese auf den Job Sie ist bunt und fröhlich. Die Kuh auf wechselte, den heute Timm Duffner macht, Duffners Visitenkarte, auf der statt „Senizog sie aus der Konzernzentrale aus und in or Brand Manager“ seine frei gewählte Beein kleines Büro im Hamburger Karovier- zeichnung „Fairly Farmer“ steht, trägt eine tel. „Ben & Jerry’s wollte seine Unabhän- Halskette mit dem Peace-Zeichen. „Nachgigkeit bewahren und nicht im Großunter- haltigkeit ist der diskriminierende Faktor nehmen unter die Räder kommen“, sagt einer Kaufentscheidung“, erklärt Duffner. Wagner. Der Konzern wolle schließlich Natürlich muss das Produkt stimmen. Aber von der Marke lernen und sie nicht einge- wenn der Konsument vor zwei Eiscremes steht, die gleich gut schmecken und ähnlich viel kosten, wird er sich für die nachhaltig produzierte entscheiden. Sie gibt ihm auch etwas für sein Selbstbild. Unilever musste dem deutschen Kunden in den Anfangsjahren aber erst einmal kommunizieren, dass das Ben & Jerry’s ein leckeres Eis ist. Und erst danach von der Weltverbesserung durchs EisEssen erzählen. Noch hat der Konzern nicht viel Eigenwerbung mit seiner FairtradeMarke gemacht. Sie taucht auf der Homepage nicht auf neben Langnese oder Magnum. Ben & Jerry’s hat eine eigene Website, und auch dort muss man nach einem Hinweis auf Unilever suchen. „Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit erst einmal im Unternehmen kommunizieren“, sagt Wagner. Noch geht sie auf die Kollegen zu, regt an, weist auf Probleme hin. Sie plant interne Nachhaltigkeits-Workshops. Und trägt ihre Botschaft dienstagmorgens auf den „Marktplatz“, wenn sich alle Mitarbeiter versammeln. Die meiste Überzeugungsarbeit muss sie im Mittelbau des Unternehmens leisten, wo die Arbeitsbelastung hoch ist und wenig Raum für ökologisch-soziale Fragen. Wagner ist sich bewusst, dass sie das Thema auf viele Schultern verteilen muss. Damit sich keiner zurücklehnt und denkt: „Frau Wagner macht das schon.“ Timm Duffner ist mal von einer Greenpeace-Mitarbeiterin gefragt worden, warum er nicht zu einer NGO gehe oder gleich zu Greenpeace. Aber am Ende des Gesprächs habe sie ihm empfohlen: „Bleib, wo du bist. Und verändere dort etwas.“ Duffner weiß, dass das pathetisch klingt. „Es ist eine recht nüchterne Abwägung“, sagt er dann, „wo man am meisten bewegen kann. Wir sitzen hier am langen Hebel. Wenn Unilever drei Prozent einspart, hat das große Auswirkungen.“ Vor eineinhalb Jahren hat er sich für Ben & Jerry’s entschieden. Für die Marke, die bereits wie ein Leuchtturm strahlte. Eventuell ist danach eine echte Herausforderung dran. Etwas wie Knorr vielleicht. / TEXT Christiane Langrock-Kögel FOTO Lefteris Pitarakis/AP/ddp images bewegen