Endlich Eiszeit!

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Endlich Eiszeit!
Der Unilever-Konzern schluckte vor zwölf Jahren die amerikanische Eiscreme-Marke Ben & Jerry’s.
Zuerst nur als Ergänzung des Produktportfolios gedacht, gilt die ökosoziale
Marke dem Unternehmen heute als Vorbild für nachhaltiges und faires Wirtschaften
D
a sitzt er nun in der Sonne auf
dem begrünten Dach der Unilever-Zentrale in der Hamburger Hafencity. Ein Mittdreißiger in Turnschuhen
und Kapuzenpulli, der Markenchef für
Deutschland, Österreich und die Schweiz
der Fairtrade-Eiscreme Ben & Jerry’s aus
dem Unilever-Konzern. Timm Duffner ist
gerade mit dem Zug aus Lüneburg gekommen, er lebt in der Nähe auf einem BioBauernhof. Der Berater der PR-Agentur,
der den Termin vermittelt hat, wird nicht
müde, das zu erwähnen. Aus gutem Grund.
Das Gesprächsthema ist Nachhaltigkeit.
Bei Ben & Jerry’s. Und bei Unilever.
Sicher würde sie sich schön lesen, die
Geschichte von dem lässigen Öko-Aktivisten Duffner, der den Nahrungsmittel- und
Pflegemittel-Giganten Unilever von innen
umkrempelt. Von dem jungen Mann, der
in der Natur am Starnberger See aufgewachsen ist und nun versucht, Unilever
zu zeigen, wie man nachhaltig produziert.
Und all das allein durch die Vorbildwirkung seiner hippen, nachhaltig erzeugten
Eiscreme, die komische Namen trägt wie
Chunky Monkey oder Baked Alaska.
Aber die Geschichte der LeuchtturmMarke Ben & Jerry’s und ihrer Rolle im
Konzern ist komplizierter. Timm Duffner
ist nicht David, der gegen seinen Arbeitgeber Goliath kämpft. Das britisch-niederländische Unternehmen hat die amerikanische Marke Ben & Jerry’s vor zwölf
Jahren gekauft. Auch weil sie mit ihrem
Nachhaltigkeitsanspruch gut ins Portfolio
passte. Der Konsument fragt seit vielen
Jahren nach nachhaltig hergestellten Produkten, und er straft Unternehmen ab, die
sich seinem Wunsch verweigern. SozioloKleine Marke ganz groß: Timm Duffner und
Katja Wagner mit einem Pappbecher Ben & Jerry‘s
FOTO Achim Multhaupt
gen nennen das eine „Moralisierung der
Märkte“. Dass Unternehmen sich dem
Thema Nachhaltigkeit öffnen, ist nicht unbedingt ein Bewusstseinswandel, sondern
eine zukunftssichernde Maßnahme.
Unilever hat einigen Boden gutzumachen. Der Konzern gehört zu den größten
Palmöl-Verbrauchern der Welt. Das Pflanzenfett steckt in vielen seiner Produkte,
von Nahrungsmitteln bis zur Kosmetik.
„Wir sind nicht das
Feigenblatt von Unilever“,
sagt Timm Duffner
Um Palmöl herzustellen, werden – auch
von Unilever-Zulieferern – große Teile des
indonesischen Regenwalds abgeholzt und
zu Plantagen gemacht. Aber auch hier gibt
es kein Schwarz und Weiß: Unilever ist
seit Jahren dabei, seinen Rohstoffeinkauf
auf nachhaltig produziertes Palmöl umzustellen. Bis 2015 werde man den gesamten Bedarf aus zertifizierten Quellen decken, verspricht der Konzernvorstand.
Im Lebensmittelsektor führt das Unternehmen seit zwölf Jahren den Dow Jones
Sustainability Index an. Das heißt in keinster Weise, dass Unilever in Sachen Nachhaltigkeit am Ziel angekommen wäre. Aber
das Ranking zeigt, dass der Konzern im
Vergleich zu den anderen Unternehmen
der Lebensmittelbranche ganz vorn steht.
Eines der Vorhaben des sogenannten Sustainable Living Plan, den Unilever-Chef
Paul Polman unterschrieben hat,
lautet: „Bis 2020 werden wir alle landwirtschaftlichen Rohstoffe nachhaltig beschaf-
fen.“ Im Moment liegt man bei unter
30 Prozent. Und in anderen Unternehmensbereichen, der Haushaltschemie zum
Beispiel, ist auch noch eine Menge zu tun.
„Wir sind nicht das Feigenblatt von Unilever“, sagt Timm Duffner auf der Dachterrasse. Die vor zwei Jahren bezogene
neue Deutschland-Zentrale ist ein grünes
Gebäude, sie wird allein von stromsparenden LED-Leuchten erhellt. Und sie hat gerade als erstes Gebäude das Hamburger
Hafencity-Umweltzeichen in Gold erhalten. „Unsere Rolle ist es“, sagt Duffner lächelnd, „im Unternehmen Nachhaltigkeit
vorzuleben.“ Wenn es darum geht, intern
gute Beispiele vorzustellen, wird Ben &
Jerry’s am häufigsten zitiert – und nicht
die Schwestermarken wie Knorr, Rama,
Langnese, Pfanni, Duschdas oder Domestos. Vermutlich kennt jeder im Haus die
Geschichte von den Alt-Hippies Ben Cohen und Jerry Greenfield, die 1978 im USBundesstaat Vermont in einer Garage ihre
ersten Eiscremes zusammenrührten.
Ben und Jerry hatten schon damals eine
Mission: Sie wollten ein leckeres Eis aus
natürlichen Zutaten herstellen und zugleich die lokale Landwirtschaft fördern.
Sie wollten das Leben aller Beteiligten, ihrer Lieferanten, ihrer Kunden, aber auch
das der gesamten Gesellschaft ein bisschen
besser machen. Mit Programmen für ihre
Milchbauern, klimaneutraler Produktion
und fair gehandelten Zutaten. „Wir verbessern die Welt seit 1978“, steht auf der
Firmenchronik. Und darunter, augenzwinkernd: „Oder wir versuchen es zumindest.“
Ende 2011 hat Ben & Jerry’s in Europa einen Meilenstein erreicht: Jetzt stammen
100 Prozent der Zutaten aus fairem Handel. In den USA läuft die Umstellung noch.
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Wenn man Timm Duffner fragt,
wie stark der Gegenwind sei, der ihm
im Unternehmen entgegenwehe,
sagt er: „Gegenwind gibt es nur im
ersten Moment. Dann schlägt er in
Leidenschaft um, etwas zu verändern. Auch in einem zahlengetriebenen Unternehmen wie unserem.“ Er
bewege sich in einem Raum, der
weitgehend frei sei von ökonomischen Zwängen, er bekomme Unterstützung von ganz oben. Oft kämen
seine Chefs mit Ideen für noch mehr
Nachhaltigkeit in sein Büro. Man
möchte fast glauben, dass es Duffner
bei Unilever so geht wie den Kindern
antiautoritärer Eltern: keine Wände, Die Gründer Ben Cohen
(l.) und Jerry Greenfield
gegen die man rennen könnte.
verfolgten bei ihrer
Ben Cohen und Jerry Greenfield Speiseeisherstellung
wollten nicht, dass Unilever ihr Un- von Anfang an auch
ternehmen im Jahr 2000 kaufte. Aber eine „Social Mission“
die Aktien waren so weit im Streubesitz verteilt, dass die Gründer die
Übernahme nicht verhindern konnten. Ihre meinden. Um einen Job bei Ben & Jerry’s
Aktionäre lockte das große Geld. Am Kauf werde man unter den Kollegen beneidet.
von Ben & Jerry’s war auch Unilever-KonTimm Duffner ging es wohl auch so.
kurrent Nestlé interessiert. Ein dritter Bie- „Vor eineinhalb Jahren konnte ich mir nur
ter, ein Social Investment Fund, scheiterte noch einen Job bei Unilever vorstellen“:
am hohen Preis, geschätzten 326 Millio- seinen jetzigen. Er hat BWL studiert, in
nen Dollar. Ein Unilever-Manager sei da- Australien einen Master gemacht und dem
mals auf Ben und Jerry zugegangen, erzählt britischen Unilever-Chef eine Mail geDuffner, und habe sie gefragt: „Was ist schrieben. Darin erklärte er ihm, warum
euch wirklich wichtig? Was muss bleiben?“ er ihn unbedingt kennenlernen müsse. Die
Die Diskussionen endeten mit dem Ange- selbstbewusste Bewerbung klappte, Duffbot von Unilever, einen Aufsichtsrat ein- ner fing vor sieben Jahren als Trainee in
zusetzen, der die Integrität der Marke Hamburg an. Er landete im Marketing für
schützen soll. Es gibt ihn bis heute und er die Körperpflegeprodukte von Dove. Mit
ist, sagt Duffner, hauptsächlich mit Weg- den Gesetzen des Verkaufens kennt er sich
gefährten von Ben und Jerry besetzt.
aus. „Auf die Konsumenten stürmen imKatja Wagner ist seit April 2011 Nach- mer mehr Informationen ein. Sich für das
haltigkeitsmanagerin für Unilever Deutsch- richtige Produkt zu entscheiden ist eine
land, Österreich und die Schweiz. Sie war wahnsinnig komplexe Aufgabe.“ Ein paar
die Frau der ersten Stunde bei der Markt- emotionale Zutaten erleichtern sie. Ben &
einführung von Ben & Jerry’s in Deutsch- Jerry’s hat Humor. Und eine unverwechland. Als Wagner 2002 von ihrem Marke- selbare Bildsprache.
ting-Posten bei Langnese auf den Job
Sie ist bunt und fröhlich. Die Kuh auf
wechselte, den heute Timm Duffner macht, Duffners Visitenkarte, auf der statt „Senizog sie aus der Konzernzentrale aus und in or Brand Manager“ seine frei gewählte Beein kleines Büro im Hamburger Karovier- zeichnung „Fairly Farmer“ steht, trägt eine
tel. „Ben & Jerry’s wollte seine Unabhän- Halskette mit dem Peace-Zeichen. „Nachgigkeit bewahren und nicht im Großunter- haltigkeit ist der diskriminierende Faktor
nehmen unter die Räder kommen“, sagt einer Kaufentscheidung“, erklärt Duffner.
Wagner. Der Konzern wolle schließlich Natürlich muss das Produkt stimmen. Aber
von der Marke lernen und sie nicht einge- wenn der Konsument vor zwei Eiscremes
steht, die gleich gut schmecken und
ähnlich viel kosten, wird er sich für
die nachhaltig produzierte entscheiden. Sie gibt ihm auch etwas für sein
Selbstbild. Unilever musste dem
deutschen Kunden in den Anfangsjahren aber erst einmal kommunizieren, dass das Ben & Jerry’s ein leckeres Eis ist. Und erst danach von
der Weltverbesserung durchs EisEssen erzählen.
Noch hat der Konzern nicht viel
Eigenwerbung mit seiner FairtradeMarke gemacht. Sie taucht auf der
Homepage nicht auf neben Langnese oder Magnum. Ben & Jerry’s hat
eine eigene Website, und auch dort
muss man nach einem Hinweis auf
Unilever suchen. „Wir wollen das
Thema Nachhaltigkeit erst einmal
im Unternehmen kommunizieren“,
sagt Wagner. Noch geht sie auf die
Kollegen zu, regt an, weist auf Probleme hin. Sie plant interne Nachhaltigkeits-Workshops. Und trägt ihre Botschaft
dienstagmorgens auf den „Marktplatz“,
wenn sich alle Mitarbeiter versammeln.
Die meiste Überzeugungsarbeit muss sie
im Mittelbau des Unternehmens leisten,
wo die Arbeitsbelastung hoch ist und wenig Raum für ökologisch-soziale Fragen.
Wagner ist sich bewusst, dass sie das Thema auf viele Schultern verteilen muss. Damit sich keiner zurücklehnt und denkt:
„Frau Wagner macht das schon.“
Timm Duffner ist mal von einer Greenpeace-Mitarbeiterin gefragt worden,
warum er nicht zu einer NGO gehe oder
gleich zu Greenpeace. Aber am Ende des
Gesprächs habe sie ihm empfohlen: „Bleib,
wo du bist. Und verändere dort etwas.“
Duffner weiß, dass das pathetisch klingt.
„Es ist eine recht nüchterne Abwägung“,
sagt er dann, „wo man am meisten bewegen kann. Wir sitzen hier am langen Hebel. Wenn Unilever drei Prozent einspart,
hat das große Auswirkungen.“ Vor eineinhalb Jahren hat er sich für Ben & Jerry’s
entschieden. Für die Marke, die bereits
wie ein Leuchtturm strahlte. Eventuell ist
danach eine echte Herausforderung dran.
Etwas wie Knorr vielleicht. /
TEXT Christiane Langrock-Kögel
FOTO Lefteris Pitarakis/AP/ddp images
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