Fight Club

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Fight Club
© ProLitteris / Müller Francis / Bilanz; 01.11.2004;
Ausgabe-Nr. 11; Seite 66
Boxende Manager
Der wahre Kampf
Francis Müller
Manager müssen austeilen können, aber auch mal einen Tiefschlag einstecken. Wo
lässt sich das besser üben als im Boxring? Willkommen zu «the real fight»!
Es ist ein kurzer Weg vom Londoner Börsenring zum Boxring im Grange City Hotel, doch ein
langer für die Makler, die am «City Broker Summer Bash» in diesen Ring gestiegen sind. Es ist
ein Weg der Askese, bestehend aus mehrmonatigem Training, Verzicht auf Alkohol und Nikotin.
Und ein Weg des Schmerzes, der im Ring seine Verdichtung erlebt.
Denn in einem Boxkeller beim Sparring sich die Nase brechen zu lassen, das ist eines. Wenn
dabei aber die Arbeitskollegen zuschauen und kubanische Zigarren rauchen, dann ist das eine
andere Geschichte. Entsprechend sind nicht allzu viele Männer bereit, in diesem Ring des Real
Fight Club zu boxen. 14 treten gegeneinander an, fast alle sind Broker.
Es gibt im Real Fight Club keine Punktrichter und folglich weder offizielle Gewinner noch
Verlierer. Ein Arzt steht neben dem Ring, und die Boxer können den Kampf jederzeit
abbrechen. Trotzdem kommt es gelegentlich zu einer gebrochenen Nase oder Rippe. «Das
gehört einfach zum Boxen», sagt der Venture-Capital-Spezialist Adrian King, der die Kämpfe
seit knapp drei Jahren organisiert. Zwei K.o. habe es während der dreissig von ihm
organisierten Kampfabende gegeben, sagt King.
Einer der beiden K.o. gelang einst Stuart «Lefty» Leigh, Broker bei GFI. Der 38-jährige
Linksausleger hatte schon als Jugendlicher geboxt, und als er vom Real Fight Club hörte,
motivierte ihn dies, wieder mit dem Training anzufangen. Leigh sagt: «Boxen und Börse haben
eine Gemeinsamkeit: Du darfst dich nicht unterkriegen lassen.»
Leigh lässt sich nicht unterkriegen. Im Job nicht, sonst wäre er nicht seit 1988 Broker. Und im
Boxring nicht. Sein Kampf gegen Roger «Superdodge» Cue von Steamship Insurance
Management eröffnet den Abend. Leigh zeigt sich als beweglicher Puncher, der den Nahkampf
zum grösseren «Superdodge» sucht. Er dominiert die drei Runden. Die 25 Zuschauer, die
seinetwegen an den Kampfabend gekommen sind, applaudieren so sehr, dass die Weingläser
auf den Tischen zittern. Der Einzelsport Boxen wird so zum sozialen Event: Einer kämpft. Und
die anderen fiebern mit.
Natürlich ist es ein Unterschied, ob einer wie Mike Tyson in den Ring steigt, um Schuldenberge
abzubauen, oder Leigh, der sich an der Londoner Börse dumm und dämlich verdient. Leigh
kämpft, weil er eine Herausforderung sucht. Weil er alles hat in seinem Leben: Geld, Sicherheit,
Familie. Boxen ist seine Eskapade, sein Thrill. Andererseits ist Boxen mehr als ein schneller
Adrenalinkick. Niemand kann einfach so aus einer Laune heraus in den Ring steigen, so wie
man sich spontan für einen Bungee-Jump entscheiden kann. Boxen erfordert Disziplin. Wer
nicht hart trainiert, den straft das Leben beziehungsweise der Gegner.
White Collar Boxing trendiger als GolfEntstanden ist die Idee des Manager-Boxens vor 15
Jahren in New York. Um eine Bürokeilerei zwischen zwei zerstrittenen CEOs zu verhindern,
einigte man sich darauf, den Konflikt nach einem sechsmonatigen Aufbautraining im Boxring
auszutragen. Über tausend Angestellte gingen hin. Das Blut floss in Strömen. Der Konflikt war
auszutragen. Über tausend Angestellte gingen hin. Das Blut floss in Strömen. Der Konflikt war
nach der Prügelei bereinigt, das White Collar Boxing entstanden. Beim White Collar Boxing
steigen Manager im Gleason's Gym in Brooklin in den Ring, in dem schon Muhammed Ali, Joe
Frazier und Marvin Hagler trainiert haben.
Daraufhin wurde in England der Real Fight Club gegründet, in dem jeweils eine amerikanische
Mannschaft gegen eine Londoner Auswahl antrat. Im Mutterland des Boxens ist dies bestens
angekommen, wobei die Begeisterung nicht von ungefähr kommt: An Eliteuniversitäten wie
Oxford oder Cambridge wird seit jeher geboxt, und das Boxen ist in der Biografie mancher
CEOs und Manager zu finden. Die «Financial Times» schrieb: «White Collar Boxing is the new
Golf.»
Wer gegen wen antritt, wird nicht ausschliesslich von Gewichtsklassen wie im Amateur- und
Profiboxen bestimmt, sondern von vielfältigen Kriterien wie Fitnessgrad, Alter, Ambitionen und
Boxerfahrung. Als ältester Kämpfer sei einmal ein 55-jähriger Finanzberater in den Ring
gestiegen, sagt Adrian King, und diesem habe er natürlich nicht einen 25-jährigen Haudegen
gegenüberstellen können. «Doch wenn ein junger, aggressiver Broker seinem Chef Eindruck
machen will, können wir ihn auch gegen einen harten Oxford-Studenten antreten lassen. Das
gibt klasse Fights.»
Adrian King hat in seiner Kartei etwa 2000 Kämpfer, die meisten davon in London, die meisten
Kaderleute. Wenn nun ein Banker plötzlich nach Zürich jetten muss, dann hat King innert Kürze
einen Ersatzkämpfer aufzutreiben. Auch am City Broker Summer Bash hat einer kurz vor
Kampfbeginn abgesagt; King hat als Ersatz einen gut zwei Meter grossen, glatzköpfigen
Feuerwehrmann mit der Figur eines ukrainischen Ringers geholt. Ein Typ, dem man nachts
nicht in einer dunkeln Seitenstrasse begegnen möchte. Und auch nicht im Ring.
Genau dies wagte Ian «The Mersey Beast» McDonald (34), Broker bei Numis Securities, ein
stämmiger Bursche, ursprünglich aus Liverpool. Als sich die beiden dann im Ring
gegenüberstanden, machten sich einige Zuschauer Sorgen um McDonald. Doch der Anblick der
Körper mag beim Boxen gelegentlich täuschen: Es gewinnen nicht unbedingt die Typen mit den
stählernen Muskeln. Nachdem der Gong erklungen war, ging McDonald wie eine Dampfwalze
auf den Feuerwehrmann los.
Immer wenn seine schweren Haken den Feuerwehrmann trafen, hörte man ein dumpfes
Klatschen, bei dem jeder, der selbst einmal geboxt hatte, nachhaltige Kopfschmerzen kriegte.
Und jedes Mal, wenn man das Klatschen hörte man hörte es oft , schien der mächtige Körper
des Feuerwehrmanns zu schrumpfen. Doch auch McDonald kam in den drei Runden an die
Grenzen. «Ich geh nie mehr in den Ring», sagte der Erschöpfte nach dem Kampf. Er küsste
seine Geliebte, schaute zum Ring und sagte dann: «Aber das habe ich nach meinen bisherigen
drei Kämpfen auch schon gesagt.»
Adrian King sucht zurzeit in anderen Ländern Partner für den Real Fight Club: Kämpfe in Dublin
und Dubai sind in Planung, Südafrika, Singapur und Australien tastet er ab. Deutschland oder
die Schweiz wäre heiss, sagt er. Um sich ein Bild der Begeisterungsfähigkeit der Deutschen
machen zu können, wird er im Frühjahr 2005 eine deutsche Auswahl nach London fliegen
lassen. Es beschäftigt ihn, ob er namhafte Wirtschaftsleute in den Ring kriegt, zumal die Masse
ihn nicht wirklich interessiert. Zwar geht die deutsche Wirtschaftselite gerne zum Boxen,
allerdings wird dabei der Sitzplatz am Ring bevorzugt, anstatt sich drinnen die Nase platt
schlagen zu lassen. Bei der Kampfbereitschaft zeigt sich auch die unterschiedliche Mentalität:
Während man in der angelsächsischen Welt tendenziell das Risiko schätzt, setzt man im
deutschsprachigen Raum eher auf Sicherheit.
Die Kämpfe finden wie der City Broker Summer Bash in Fünfsternehotels statt; die rund 300
Zuschauer bezahlen einen Eintrittspreis von 130 Pfund, inklusive Mehrgangmenü. Dann gibt es
Kämpfe in Lagerhallen, wo Boxfans von East End oder Brixton für 25 Pfund hingehen. So kann
Kämpfe in Lagerhallen, wo Boxfans von East End oder Brixton für 25 Pfund hingehen. So kann
Adrian King den Real Fight Club in der authentischen Boxwelt erden, was fürs Aufbautraining
der Manager wichtig ist. Denn die Manager trainieren nicht in luxuriösen Sportclubs, sondern in
traditionellen Gyms, und das mehrmals wöchentlich während rund sechs Monaten.
Die Taktik des Kneipenschlägers «Awesome» Alex «Exc»-Ells (25), der nun zum ersten Mal in
den Ring steigt, hat sich nur gerade zwei Monate auf den Kampf vorbereitet das ist ziemlich
wenig Zeit. Immerhin ist dem Broker bei der Deutschen Bank in London als Rugby-Spieler
harter Körpereinsatz kein Fremdwort. Und dieser ist allemal vonnöten. Ganz besonders, wenn
der Gegner einen Übernamen wie «The Body Snatcher» hat.
Hinter dem gefährlichen Namen verbirgt sich eine gefährliche Taktik: die des Kneipenschlägers.
Der «Body Snatcher» überrollt Alex mit Kettenfäusten, er schlägt und schlägt und schlägt und
lässt Alex keinen Raum, seine im Schnellgang erlernte Technik zu entfalten. Doch Alex zeigt
Nehmerqualitäten. Und er ist der Held des Abends. Er begeistert die Frauen wie kein anderer.
Eine so sehr, dass sie in der Kampfpause gleich in den Ring steigen will. Mehrere Männer
zerren die Frau im Minirock aus den Seilen heraus.
Die Faszination der Zuschauer hängt mit dieser direkten körperlichen Konfliktsituation
zusammen; wenn man hier nur Tischtennis spielte, käme wohl kein Mensch, um zuzuschauen.
Wer kämpft, entblösst sich, und das nicht nur körperlich. Denn in den Ring zu steigen, bedeutet
auch, Sicherheiten abzulegen und gewissermassen die Zivilisation zu verlassen. Die
amerikanische Schriftstellerin Carol Joyce Oates verglich den Boxring einmal mit einem Altar,
einem Ort, an dem die Gesetze des Staates aufgehoben seien: «Innerhalb des Rings ist es
möglich, dass ein Mann getötet wird, aber ermordet wird er nicht.»
Nun gut, im Real Fight Club wird keiner getötet. Und im Gegensatz zum Film «Fight Club» auch
nicht halb totgeschlagen. Aber man muss nur halbwegs etwas vom Boxen verstehen, um
festzustellen, dass hier richtig gekämpft wird. Und dass es bei Brokern besonders hart zur
Sache geht, liegt in der Natur der Sache.
Denn der Broker betritt im Boxring eine vertraute und zugleich fremde Welt. Vertraut ist ihm das
verschärfte Klima des Wettbewerbs, neu, dies körperlich zu erleben. Das abstrakte Machtspiel
am Börsenring wird im Boxring körperlich ausgetragen, was einem Bruch mit einigen
zivilisatorischen Etiketten gleichkommt, nicht aber mit dem Wettbewerbsprinzip. Am Morgen
nach dem Kampf im Boxring geht der Kampf am Börsenring weiter. Eines bleibt: das blaue
Auge, ein Symbol der realen Welterfahrung, das von einer alten Geschichte erzählt, vom Kampf
zweier Männer.
Francis Müller
Freier Mitarbeiter der BILANZ, [email protected]
Kai Hoffmann
«Wer kämpft, lügt nicht»
BILANZ: Was hat ein Manager im Boxring verloren?
Kai Hoffmann: Er erfährt beim Boxen durch die Nähe zum Gegner eine neue Intensität des Konflikts. Es geht also
um eine neue Form der Selbsterfahrung. Man muss im Ring spontan reagieren und den Intellekt ausschalten. Das
kognitive System wird heruntergefahren, das limbische wird aktiv.
Zeigt sich das wahre Ich nur im Kampf?
Der Charakter eines Menschen bildet sich vornehmlich aus dem Umgang mit seinen Ängsten. Und er ist körperlich
fundiert, was sich hinter der alltäglichen Etikette gut verdecken lässt. Im direkten Kampf kann man nichts vorspielen.
Wer kämpft, lügt nicht. Somit erlebt der Manager im Boxring eine Ausnahmesituation seines Charakters.
Wie kann der Erfahrungsprozess im Konkreten aussehen?
Ich hatte kürzlich einen Manager im Training, der immer zu allem Ja gesagt hatte. Im Boxring war er überwältigt
vom Gefühl, angreifen zu können. Und er konnte dann auch mal in der Arbeitswelt argumentativ nachhaken, ohne
beim ersten Widerstand nachzugeben.
Welche Rolle spielt der Gegner in diesem Selbsterfahrungsprozess?
Man muss den Gegner intuitiv erahnen können. Jedoch ist dieser Gegner oftmals eine eigene Projektion. Wenn ich
etwa meine Wut verdränge, dann projiziere ich sie automatisch auf den anderen, womit jener stärker wird. Wir
konstruieren die Welt und unsere Gegner.
Erlangen wir Weisheit, indem wir uns das Nasenbein brechen lassen?
Wenn ich einen Manager beim Training beim ersten Mal treffe, dann nimmt er das oft persönlich. Doch im Boxring
bleibt die persönliche Integrität erhalten, auch wenn man getroffen wird. Das ist eine wichtige Erfahrung, auch für
Manager.
Kai Hoffmann studierte Philosophie und Psychoanalyse. Er führt mit Managern das psychoanalytisch-systemisch
orientierte Box-Coaching durch, bei dem eine neue Form der Selbsterfahrung erlebt werden soll.

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