Yoriko Yamada-Bochynek KK KanjiKreativ: Ein e

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Yoriko Yamada-Bochynek KK KanjiKreativ: Ein e
Yoriko Yamada-Bochynek
KK KanjiKreativ: Ein e-Learning Programm zum Erlernen der 1945
Jōyōkanji:
„Sinisieren des Gehirns“ – Ein Plädoyer für einen
Paradigmenwechsel in der Didaktik des Japanischen als
Fremdsprache1
· · · · · · 0. Paradigmenwechsel in der JaF-Welt? – Sinisierung des
alphabetisierten Gehirns
„Was in der Zeitung steht, verstehe ich beinah alles“, behaupten chinesische
Studenten bereits direkt nach der Ankunft in Japan, wenn sie Japanisch als Fremdsprache
(hiernach: JaF) lernen wollen. In der Tat ist es unter Japanischlehrern bekannt, dass Chinesen beim Japanischerwerb am schnellsten sind.2 Es gibt in der JaF-Welt nicht umsonst
eine Differenzierung zwischen „Kanji-Regionen“(kanji-ken 漢字圏)und „Nicht-KanjiRegionen“ (hi-kanji-ken 非漢字圏 ), um die unterschiedlichen Voraussetzungen beim Japanischlernen hervorzuheben. Der Lernende aus den Regionen der ersten Kategorie hat
einen Vorsprung, weil sein Gehirn bereits sinisiert ist, also in Hinsicht auf das asiatische
logographische Schriftsystem bereits geschult ist, und der aus den übrigen Regionen befindet sich im Rückstand, weil sein Gehirn, wie im Fall eines Sprechers aus Europa, alphabetisiert ist, also nur phonographisch vorgebildet ist.
Weshalb das sinisierte Gehirn beim Japanischerwerb von Vorteil ist, liegt auf
der Hand: es verfügt bereits über ein umfangreiches mentales Lexikon, in welchem die
Kanji in Form und Bedeutung gespeichert sind. Selbstverständlich müssen die „Lautungen“
bzw. „Lesungen“ eines Zeichens auch vom sinisierten Gehirn neu gelernt werden, und
manche, insbesondere einige der Komposita,3 haben tatsächlich andere Bedeutungen als
1
2
3
Der vorliegende Aufsatz ist eine schriftliche Fassung von etwa 30 Seiten aus Powerpoint-Präsentationen, hauptsächlich gehalten als mündliche Vorträge an verschiedenen JaF-Institutionen, für Rezipienten in ganz unterschiedlichem Alter. Entstanden sind sie in der Zeit seit der Fertigstellung der KK-Version 1.0 am 25.08.2004
sowie der Version 2.0 (am 25.04.2007) bis Ende des Jahres 2007 (30.11.2007). Das Programm KK 1.0 wurde
anfangs durch ein dreiköpfiges Produktionsteam (Konzept & Materialherstellung: die Verfasserin; Graphik:
Komatsu Natsumi; Programmierung: Rainer Weihs) hergestellt, mit der finanziellen Unterstützung des Kokuritsu kokugo kenkyūjo 国立国語研究所 , dem Nationalen Sprachforschungsinstitut, im Rahmen des „E-Japan
Project 2003–2004“. Das KK in der Version 2.0 wurde im Anschluss daran durch die universitätsinterne Institution „CeDiS“, Center of Digital Systems, der Freien Universität Berlin als studienbegleitendes E-LearningProgramm gefördert, um den Japanologie-Studenten das Erlernen der Kanji zu erleichtern bzw. es effektiver zu
gestalten. Prof. Dr. Irmela Hijiya-Kirschnereit hat von Beginn an dem Projekt zugestimmt und die Umsetzung
unterstützt. Ohne ihre fachliche Unterstützung hätte sich das KK 2.0 nicht in der jetzigen Form entwickeln
können – als systematischer und inkrementeller Lernansatz. Derzeit läuft ein Folgeprojekt, im Zuge dessen das Abspeichern und der Austausch eigener Dekompositionen (Merksätze) für die Lernenden möglich werden. Daneben wird nun ein mehrsprachiger Ansatz umgesetzt – neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Japanisch. Diese erweiterte Version wird voraussichtlich im Mai 2008 fertig gestellt werden. Besonderer Dank gilt
also Prof. Dr. Irmela Hijiya-Kirschnereit für ihren persönlichen Einsatz für eine innovative Kanji-Didaktisierung.
Yamauchi 2007, S. 2. Vgl. Ishii 1998; 2005.
Wie folgende Beispiele zeigen: (1) tegami 手紙 : Brief (Japanisch) vs. shŏuzhĭ Toilettenpapier (Chinesisch); (2) bōeki
貿易 : Außenhandel (J) vs. màoyì 易 Binnenhandel (Ch); (3) rōba 老婆 : Greisin (J) vs. lăopò Gattin (Ch).
501
im Ursprungsland. Dennoch: der enorme Vorteil von Vorkenntnissen der logographischen Repräsentation von Morphemen für die Verstehensleistung ist wohl unbestritten. Das Ausmaß dieser profunden „Vorkenntnisse“ kann exemplarisch auch anhand der
Kanji-Wörter (kangoi 漢語彙 – zu denen in der Hauptsache Komposita-Bildungen gehören) im Japanischen gezeigt werden: Tokuhiro Yasuyo,4 eine japanische Forscherin im
Bereich der Didaktisierung von Kangoi, zählt ca. 30.000 davon, die sie im gegenwärtigen
Japanischen für relevant hält, und reduziert sie – unter dem Gesichtspunkt des Häufigkeits- und Vertrautheitsgrades – für den JaF-Lernenden auf die Hälfte, also auf ca. 15.000
Stück.
Angesicht dieses Tatbestandes – warum sollte das europäisch-alphabetisierte
Gehirn nicht das sinisierte „imitieren“? Die e-Learning-Anwendung KanjiKreativ (KK)
ist dafür konzipiert: Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, die vorteilhaften Ausgangsbedingungen eines sinisierten kognitiven Apparates in einem alphabetisierten Gehirn, wie wir
es in Europa antreffen, zunächst auf der Ebene von Einzelzeichen aufzubauen. Empirische Daten5 sprechen deutlich dafür, dass eine solche „Sinisierung“ durchaus erreicht
und in geeigneten Lernumgebungen erfolgreich genutzt werden kann,6 wie beispielsweise
bei JaFIX, Japanisch als Fremdsprache mit Integrativ-Kommunikativen Schritten, einem BlendedLearning-Ansatz (hiernach: BL), der Präsenzunterricht mit dem Einsatz von e-Learning
(hiernach: EL) kombiniert.7 Ein solcher Ansatz vermag dem JaF- Lernenden nicht nur
bei der Überwindung der erheblichen Hürden beim Kanji-Lernen zu helfen, sondern
erlaubt auch, den Spracherwerb überhaupt effizienter und schneller zu gestalten.
Die japanische Orthographie, eine historisch gewachsene und strukturell angepasste Mischschriftform, besteht aus drei Zeichengruppen: aus zwei Sorten Silbenschriften, ähnlich den lateinischen Buchstaben, genannt kana, mit jeweils 46 Zeichen, also
insgesamt 92, und einer dritten Gruppe, der sino-japanischen Schriftzeichen (kanji 漢字 ,
wörtlich: „chinesische Schriftzeichen“).8 Die vom japanischen Erziehungsministerium9
festgelegten „Kanji für den allgemeinen Gebrauch“ (jōyōkanji 常用漢字 ) bilden ein Repertoire von 1945 Zeichen. Das Erlernen der Kanji gilt als besonders schwierig, da es davon
nicht nur eine hohe Anzahl gibt, sondern jedes Kanji im Japanischen in der Regel auch
auf mehr als zwei Weisen gelesen werden muss. So gibt es auf der Übernahme des chinesischen Schriftsystems beruhende sino-japanische Lesungen, daneben aber auch originär
japanische Lesungen.10 Um die Sache noch zu verkomplizieren, gibt es bei vielen Kanji
mehrere sino-japanischen Lesungen, weil sie in unterschiedlichen Epochen aus China
4
5
6
7
8
9
10
Vgl. Tokuhiro 2006, S. 73. Als Ausgangsdaten gelten 360.000 Wörter, gesammelt im Zeitraum 1985–1998 aus
Zeitungsartikeln der Asahi Shinbun. Ferner vgl. Akimoto 2004.
Vgl. Yamada-Bochynek 2005. Im JaFIX-Grundkurs 1 am Japanisch-Deutschen Zentrum wurde im Zeitraum
vom 14.02.05–29.09.05 insgesamt ein 10-minütiger schriftlicher Test mit jeweils 100 Kanji (Bedeutungen auf
Deutsch) 20 Mal durchgeführt. Die durchschnittliche Punktzahl von neun Teilnehmerinnen betrug: 100, 100,
95, 93, 88, 81, 62, 55, 42.
Yamada-Bochynek 2005, S. 45. Sechs Prinzipien des KK-Lernens sind: (a) Lernen wie Verkehrszeichen; (b)
Einsatz der Mnemotechnik; (c) Entlang der kognitiven Entwicklung; (d) Kompetenz in der Kanji-Grammatik;
(e) homo ludens; (f) Ent-Kontextualisierung.
Yamada-Bochynek 2007b, S. 173. Der Zusammenhang vom BL und JaFIX ist, dass zuerst das autodidaktische
Erlernen von „Kanji-Buchstaben“ mittels KK als e-Learning geschieht, und als zweite Phase der „Kanji-Kontextualisierung“ mit den erworbenen Kenntnissen im Präsenzunterricht an der Schrift und Sprache des Japanischen gearbeitet wird, wobei JaFIX den sprachdidaktisch sehr effektiven Ansatz „körperliches Lernen“ einbezieht. Über die Methodik „JaFIX“, s. Yamada-Bochynek 2001; Dillmann und Yamada-Bochynek 1993.
Zur Schriftgeschichte der japanischen Orthographie s. Müller-Yokota 1987 und 1997; Stalph 1989 und 1996.
Ministerium für Erziehung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT).
Ein analoges Beispiel im Deutschen sei hier angeführt: Man kann „&“ sowohl als „etcetera“, lateinisch, als auch
als „und“, deutsch, lesen.
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übernommen wurden: im Wandel der Dynastien und Machthaber, die aus unterschiedlichen Regionen stammten, änderte sich in China die Aussprache. Und zu guter Letzt gibt
es für ein Zeichen auch mehrfache originär japanische Lesungen, abhängig davon, welches Wort sie in Kombination mit Silbenschriftzeichen alleinstehend bilden. Diese komplexe Natur der japanischen Orthographie erschwert ihr Erlernen dermaßen, dass viele
Lernende allein am Kanji-Erwerb scheitern.
Im Folgenden soll im Anschluss an eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Unterrichts für einen Paradigmenwechsel in der Kanji-Didaktik plädiert und eine
alternative JaF-Didaktik am Modell des Einsatzes von KanjiKreativ vorgestellt werden.
Die Darlegung erfolgt in drei Schritten:
(1)
(2)
(3)
Gegenwartsaufnahme: Die fehlende Systematik als Problem der bisherigen KanjiVermittlung
KK – die „Sinisierung“ des Gehirns als ein möglicher Ansatz zur Problembehebung
Wirkung und Implikationen der KK-Didaktisierung
· · · · · · 1. Gegenwartsaufnahme: Die fehlende Systematik als Problem
der bisherigen Kanji-Vermittlung
Im Gegensatz zu anderen Bereichen der JaF-Didaktisierung scheint die der
Kanji-Vermittlung immer noch keine klaren Linien zu haben. Warum ist hier das Problem
persistent? Um es etwas pointiert zu sagen: Weil dieses Zeichensystem nicht wirklich systematisch unterrichtet wird. Das Phänomen der fehlenden Systematik kann dabei auf drei
Ursachen zurückgeführt werden:
(1)
(2)
(3)
Der erste Grund liegt in der unsystematischen Auswahl und Reihenfolge der in der
Grundschule unterrichteten 1006 Kanji, kanonisiert in der „Tabelle der schuljahrbezogenen Verteilung“ (gakunenbetsu kanji haitō-hyō 学年別漢字配当表 : hiernach
Haitōhyō), auf Erlass des Ministeriums für Erziehung, Kultur, Sport, Wissenschaft
und Technologie (MEXT; Monkashō 文科省 ).11
Die zweite Ursache besteht in der unkritischen Übertragung des muttersprachlichen
Unterrichts in Japan (kokugo-kyōiku 国語教育 : „Japanisch als Muttersprache“, JaM),
auf den Bereich des JaF-Unterrichts.
Die dritte Ursache liegt in der äußerst unglücklichen Verschmelzung des Schrift(moji-kyōiku 文字教育 ) und Vokabel-Unterrichts (goi-kyōiku 語彙教育 ).
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, warum die drei oben genannten
Gründe letztlich zu einem in seiner Gesamtheit unsystematischen und ineffizienten Unterrichtsansatz führen.
11
MEXT (1989/98) Richtlinien für die Grundschule: März 1983,
http://www.mext.go.jp/b_menu/shuppan/sonota/890301.htm#021 (letzter Zugriff am 02.02.08); 2. Kapitel,
Paragraph 1, Japanisch: http://www.mext.go.jp/b_menu/shuppan/sonota/990301b/990301d.htm (letzter Zugriff am 02.02.08).
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· · · · · · 1.1 Haitōhyō – Die Quelle der gegenwärtigen Verwirrung
Die oben genannte Tabelle für den muttersprachlichen Kanji-Unterricht in
der japanischen Grundschule fungiert oft als Ausgangspunkt sowohl für den muttersprachlichen Unterricht als auch den Unterricht von Japanisch als Fremdsprache. Die
meisten Unterrichtenden sind als Muttersprachler in ihrer Schulzeit selbst nach diesen
gesetzlichen Richtlinien unterrichtet worden oder haben im Fremdsprachenunterricht
nach diesen Prinzipen gelernt. Die handelsüblichen Lehrbücher, aber auch der inzwischen weltweit durchgeführte standardisierte Sprachtest (Japanese Language Proficiency
Test), orientieren sich an diesem Muster – einem Muster, das allerdings selbst auf keinem
didaktischen Konzept aufbaut und in seiner historischen Zufälligkeit unsystematisch
ist,12 da die Kriterien für die Wahl und Reihenfolge unklar bleiben.13
Die graphemische Systemhaftigkeit – grapho (typographisch und piktoral) und
-emisch (kategoriebildend) – der Zeichen bleibt unerwähnt – und unberücksichtigt. Allein eine Zeile in den Begleittexten zum 3. und 4. Schuljahr weist darauf hin, dass
„Kenntnisse über linke und rechte Teile von Kanji zu erwerben sind“ (kanji no hen,
tsukuri nado no kōsei ni tsuite no chishiki wo motsu koto 漢字のへん,つくりなどの構成につ
いての知識を持つこと ).14 Allerdings wird der Inhalt dieser Kenntnisse nicht präzisiert. Ferner fehlt hier ebenfalls die Anweisung für die kontinuierliche Unterrichtung
dieser Kenntnisse, d.h. es gibt keine systematische Einübung, weder hinsichtlich einer
morphologischen Systematik, noch im Hinblick auf eine in irgendeiner Weise festgelegten Präsentationsreihenfolge. Wenn also derart unterrichtete Muttersprachler
schließlich selbst zum JaF-Lehrer werden, verfügen sie über keine ausgebildeten Kenntnisse der Systemhaftigkeit der Zeichen und sind nicht imstande, das System selbst wiederum systematisch zu vermitteln, sondern tradieren den Status quo – den Unterricht
anhand einer Tabelle, die nie vor dem Hintergrund eines didaktischen Konzepts angelegt wurde, und bei deren Zusammenstellung der Aspekt des Fremdsprachenunterrichts nie Thema war.
Die obige Diskussion legt nahe, dass eine neue Kanji-Didaktisierung sich als
erste Aufgabe dem stellen muss, was die Haitōhyō bislang versäumt hat – die Berücksichtigung der morphologischen Systemhaftigkeit des Zeichensystems und die Ausarbeitung
einer didaktisch sinnvollen Lernreihenfolge der 1945 Jōyōkanji.
12
13
14
Yamada-Bochynek (1987) verweist zusätzlich auf die Wichtigkeit, insbesondere bei der Orthographie-Vermittlung keinen metagenetischen Fehler im JaF-Unterricht zu begehen, d.h., sich nicht von den oberflächlichen
„Einfachheiten“ verwirren zu lassen. S. Ishii Isao 1983: Band II: (a) Hiragana sind schwieriger für lernbehinderte
Kinder (S. 62–64); (b) Für Schulkinder des 1. od. 2. Schuljahres ist von den Kanji „ 鳩 , 鳥 , 九 “ (Taube, Vogel,
Neun), „ 九 “ am schwierigsten, weil der Abstraktionsgrad am höchsten ist (ebd., S. 176); (c) Texte müssen von
Beginn an in der Mischschriftform präsentiert werden (ebd., S. 148–162).
Zur Unsystematik der betreffenden Tabelle s. bspw. Alprin 2002 oder auch Stalph 1989, S. 11–19.
MEXT 1998: Richtlinien für die Grundschule, 2. Kapitel „Jeweiliges Unterrichtsfach“, Paragraph 1: Kokugo,
Punkt Nr. 2 „Ziele und Inhalte des jeweiligen Schuljahrs: 3. u. 4. Schuljahr“, 2. „Sprachliche Punkte“, „Betreffend die Buchstaben“, „(2)“. http://www.mext.go.jp/b_menu/shuppan/sonota/990301b/990301d.htm
(letzter Zugriff am 22.01.08).
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· · · · · · 1.2 Die unkritische Übernahme des muttersprachlichen
Japanisch-Unterrichts (JaM-U) auf den Unterricht von Japanisch
als Fremdsprache (JaF-U)
Es ist eine gängige Schulpraxis, dass alle Lerneinheiten bezüglich eines Kanji
gleichzeitig unterrichtet wenden: die Form, japanische und sino-japanische Lesung(en), die
Schreibweise, Strichzahl, Strichfolge, Furigana (Lesehilfe für Kanji in Kana), Okurigana
(Kana für die Flexion), Komposita, Kollokationen usw. Japanische Kinder, die auf diese
Weise die Lerneinheiten in konzentrierter Verknüpfung dargeboten bekommen, verfügen
als Ausgangsbasis in ihrem mentalen Lexikon über ein beachtliches mündliches Vokabular. Laut Statistik15 verfügen japanische 12-Jährige über ein Vokabular von ca. 25.000
Wörtern, 15-Jährige über ca. 40.000 und 18–20-Jährige über ca. 45.000–50.000 Wörter.
Außerdem stehen für japanische Schüler über die neun schulpflichtigen Jahre hinweg
1727 Unterrichtsstunden für den JaM-U zur Verfügung.
Angesichts dieser Ausgangsbedingungen wird schnell klar, dass eine unkritische Übernahme dieser heterogen-simultanen Vermittlungsweise für nicht-muttersprachliche Lernende zu einem Ritt durch sieben Höllen wird. Die Lernenden besitzen
weder das mentale Lexikon eines Muttersprachlers, noch haben sie eine so große Zahl an
Lehrstunden zur Verfügung.16 Die daraus resultierenden Probleme sind:
(a)
(b)
(c)
(d)
(f)
(g)
Die Prototypen der Zeichenelemente können nicht in ihrem systematischen Zusammenhang kognitiv erschlossen und verankert werden.
Das Gehirn kann beim Schreiben keine „Wohlgeformtheit im Quadrat“ produzieren, die typographische Besonderheit der Kanji-Form.
Der kulturrelative Ausgangspunkt des jeweils vorhandenen „körperlichen und unbewussten Wissens“ wird ignoriert.17
Die Lernbelastung beim Kanji-Lernen wird unterschätzt.18
Die gestalttheoretische Effizienz der japanischen Orthographie – die Interdependenz von japanischer Morphosyntax (Inhaltswörter mit Kanji und Funktionswörter
mit Hiragana zu schreiben) und Orthographie wird völlig außer Acht gelassen. Dadurch, dass häufig Texte dem Lernenden in Silbenumschrift präsentiert werden,
entwickelt sich oft die sog. „Kanji-Allergie“, und die Vorteile der Mischschriftform
werden nicht ausgenutzt.
Eine fremdsprachendidaktische „Theorie der muttersprachlichen Interferenz“, die
besagt, dass das Kanji-System in den Kopf von „alphabetisierten Gehirnen“ nicht
hineinginge, wird zu gern von den JaF-Lehrern angenommen, obwohl diese, wie
unten noch dargestellt werden wird, eigentlich nicht stichhaltig ist. Sie dient viel15
16
17
18
Miyajima et al. 1982, S. 183. Vgl. Akimoto 2002, S. 35: „Passiv-Verstehensvokabel für japanische Erwachsene,
ca. 45.000 Wörter, aktiv-produktive davon ca. ein Drittel“.
Stalph, 1989, S. 158–160. In der Regel wird gegenwärtig die japanische Sprache an den Volkshochschulen und
in der Erwachsenenbildung 2 Unterrichtsstunden pro Woche, 2–8 in der höheren Schulbildung, 2–6 in den
universitären Sprachkursen und 12–16 in der japanologischen Sprachausbildung unterrichtet.
Ein Beispiel sei hier stellvertretend genannt: Die Finger- und Handbewegungen in alphabetischen Schriften sind
horizontal, während die der japanischen Orthographie, bedingt durch die Pinselstrichführung, vertikal sind. Aufgrund der Tatsache, dass dieser unterschiedlichen Körperbewegung keine Aufmerksamkeit geschenkt wird,
entsteht häufig die sog. „Frakturschrift“ (higemoji ひげ文字 ).
Ein Paradebeispiel: Die Kanji-Kompetenz wird anhand von Zahlen ausgedrückt, wie bspw. bei der Angabe der
Referenzwerte, „100 Kanji“ für den 4. Grad, das Anfänger-Niveau, beim JLPT. Die Zahlen sind reduktionistisch, denn, wie im Text argumentiert wird, hätte die Zahl in Anbetracht der tatsächlichen Lernbelastung zehnfach höher ausfallen müssen, also eher 1000 als 100.
505
mehr lediglich dazu, die gegenwärtige Vermittlungsproblematik zu verdecken, weil
sie die Ineffizienz seitens der JaF-Lehrer angenehmerweise entschuldigt.
Als zweiter Punkt, neben der Vernachlässigung der morphologischen Systemhaftigkeit
und der Ermangelung einer systematischen Lernreihenfolge, ergeben sich angesichts der
hier angesprochenen unkritischen Übernahme des muttersprachlichen Unterrichts auf
den Unterricht von Japanisch als Fremdsprache Konsequenzen für ein neues didaktisches
Konzept des Kanji-Unterrichts:
(a)
(b)
Die Kanji-Kompetenz muss Schritt für Schritt aufgebaut werden – zunächst mit der
Ausbildung von visuell-piktoralen Prototypen im Gehirn, wobei das Schreiben nachgeordnet ist.19
Die gestalttheoretischen Vorteile der japanischen Orthographie sollten beim JaF-U
von Beginn an ausgenutzt werden.
· · · · · · 1.3 Fatale Verschmelzung der Vermittlung von Schriftzeichen in
Kombination mit den Vokabeln
In gängigen JaF-Lehrbüchern werden die neu einzuführenden Kanji abhängig
von deren Vorkommen im Lektionstext kontext-gebunden eingeführt. Diese Kontextualisierung führt zu folgenden Konsequenzen:
(a)
(b)
(c)
Anstelle eines Schrift-Unterrichts findet ein Vokabel-Unterricht statt, d.h. anstelle
von ca. 2000 „Buchstaben“ werden ca. 16.000 Kanji-Wörter gelehrt,20 was im Übrigen mit der Einschätzung des oben zitierten Tokuhiro übereinstimmt.21 Diese
Verlagerung des Lehrgegenstands findet stillschweigend und sehr häufig unbewusst bei
den Unterrichtenden statt. Auf diese Weise bekommt der Lernende den Eindruck,
dass die Menge von Kanji – in Wirklichkeit aber Kangoi! – unendlich sei. Er ist
folglich nicht in der Lage, seine eigenen Fortschritte zu kontrollieren. Da er kein
Ende absehen und infolge dessen nicht seine eigenen Fortschritte überprüfen kann,
ist er ständig frustriert, was lernpsychologisch kaum fördernd wirkt.
Jedes Kanji wird nicht analytisch, sondern synkretistisch vermittelt, d.h. der Lernende ist nicht im Stande, mit Kanji „grammatisch“ umzugehen, also ein unbekanntes Kanji in die informationstragenden Grundelemente zu segmentieren und
dann in eine Gesamtbedeutung zu überführen. Es wird versäumt, dem Lernenden
ein Instrumentarium mitzugeben, wie der Informationsgehalt rein semantisch zu
dekodieren ist. Die Vorteile des Zeichensystems werden nicht ausgenutzt.
Die Kanji in den ungelernten Lektionen bleiben dem Lernenden für immer verschlossen, denn er hat nicht das Instrumentarium, sie zu dekodieren. So klagen
19
20
21
Vgl. Ishii 1983, S. 282–283: „Lesen (Erkennen der Kanji)“ und „Schreiben“ müssen getrennt unterrichtet werden. Vgl. auch Heisig 1977 sowie Heisig und Rauther 2005 für die Auseinanderhaltung von „Erkennen“ und
„Lesung“.
Sollte ein Japaner durchschnittlich 45.000–50.000 Vokabeln im mentalen Lexikon besitzen (s. Anm. 15; vgl.
auch „Einschätzungstest zum Vokabelquantum“ vom NTT Kommunikationsbasisforschungsinstitut, http://
www.kecl.ntt.co.jp/mtg/goitokusei/goi-test.html (letzter Zugriff am 22.01.08)), so kann die Anzahl der Kangoi
dementsprechend zwischen 15.075 und 16.750 angesetzt bzw. ca. 16.000 als Mittelwert angenommen werden,
denn lt. Yamazaki (2006) nehmen die Kangoi innerhalb der Klassifikation japanischer Vokabeln (urjapanische
Wörter, Kangoi, Lehnwörter, Mischwörter) mehr als 33.5% ein.
Siehe Anm. 4.
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selbstironisch manche der Lernenden, sie hätten viele Jahre Japanisch gelernt, aber
sie seien immer noch Analphabeten.
Die Nachteile einer Verschmelzung des Schrift- und Vokabelunterrichts machen wiederum deutlich:
(a)
(b)
(c)
(d)
Das Kanji-System muss von einem Kontext unabhängig angeboten werden, also
dekontextualisiert werden.
Der Unterricht muss sich auf die Vermittlung der Schrift, insbesondere der 1945
Jōyōkanji, konzentrieren, ohne eine Verschränkung mit dem Vokabelunterricht und
damit auch zunächst ohne Vermittlung der Lautungen bzw. Lesungen.
Dem Lernenden muss beigebracht werden, wie der Informationsgehalt des jeweiligen Kanji verarbeitet werden kann, d.h. ihm muss zuerst das analytische Vermögen
vermittelt werden, die Bestandteile (= Genshi) eines einzelnen Kanji zu erkennen, um
ihm dann anschließend zu ermöglichen, diese Teile in einem semantisch sinnvollen
Zusammenhang im Hinblick auf die Gesamtbedeutung zu rekonstruieren, um auf
diese Weise die inhärente Grammatik des Schriftsystems nutzen zu können.
Die sich derzeit über mehrere Jahre hinweg erstreckenden Lernzeiten für das
Schriftsystem müssen deutlich gekürzt werden, so dass die Lernfortschritte für den
Lernende selbst leichter ersichtlich werden („Self-Monitoring“)22 und zu weiterer
Anstrengung motivieren können.
Unter Einbezug des derzeitigen Status quo der Kanji-Vermittlung ergeben sich für eine
neue Didaktik des Schrift-Unterrichts folgende Anforderungen: Die Vermittlung der
japanischen Schrift muss systematisch, effizient und dekontextualisiert sein. Wie unten gezeigt werden wird, sind es diese Punkte, die das Konzept der e-Learning-Anwendung
KanjiKreativ charakterisieren.
· · · · · · 2. KanjiKreativ – die „Sinisierung“ des Gehirns als ein möglicher
Ansatz zur Problembehebung
Der KK-Lernende lernt die 1945 Jōyōkanji wie „Verkehrszeichen“, um damit die Ausgangsvoraussetzungen zu schaffen, über die Lernende aus einer Kanji-Region bereits verfügen. Das Kanji-Repertoire ist in der Tat ein Zeichensystem, welches dem von Verkehrszeichen oder den Symbolbildern anderer graphischer Informationssysteme ähnelt (wie
etwa die Embleme für einzelne olympische Disziplinen). Auf dieser Ebene besteht zunächst kein Bedarf, die Symbolbilder laut zu lesen oder selbst darstellen zu können; es
genügt zunächst einmal, sie sinngemäß zu verstehen. Ihre Bedeutung kann in dem eigenen mentalen Lexikon eingetragen werden, ohne dafür auf die Kenntnis einer Fremdsprache zurückgreifen zu müssen (wäre das nicht der Fall, müssten alle Japaner in der
Grundschule zunächst einmal Chinesisch lernen).
Die Aneignung der Kanji entspricht bei KanjiKreativ diesem System: Japanischkenntnisse sind zunächst nicht erforderlich, denn die Bedeutungen der Schriftzeichen werden
22
Metakognition, die Auseinandersetzung mit den eigenen kognitiven Prozessen, wird auch als „Self-Monitoring“
bezeichnet. Für eine Sammlung interessanter Ansätze im Feld der Metakognition s. Hatada 2004. Zur Anwendung der theoretisch-praktischen Entwicklung des Themas im JaF-Bereich als „Selbstkontrollierendes Lernen
(jiritsu-gakushū 自律学習 ) s. Aoki 2003.
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in der Muttersprache – in der deutschen Version also auf Deutsch – gelernt, um auf diese
Weise die piktoralen Grundelemente und auf dieser Basis die zusammengesetzten Kanji
mit der zugehörigen Bedeutung einzuprägen. Idealerweise sollte diese Sinisierung vor dem
Spracherwerb bzw. in der Prägungsphase23 stattfinden, so dass dem Lernenden später, wenn
mit dem Spracherwerb begonnen wird und die japanische Orthographie als Mischschriftform vorgestellt wird, die Kanji bereits vertraut sind.
KanjiKreativ zielt mit seinem neuen didaktischen Konzept auf folgende drei
Punkte ab:
(1)
(2)
(3)
Systematik: Aus dem gesamten Korpus der 1945 Jōyōkanji soll die Systemhaftigkeit
des Schriftsystems herausgearbeitet und in einer ausführbaren Lernreihenfolge präsentiert werden. Dem Lernendenr soll ermöglicht werden, ausgehend von einem
omnipotenten Gesichtspunkt, von dem aus er das ganze Korpus von Anfang bis
Ende überblicken kann, seinen Lernprozess eigenständig zu strukturieren und zu
koordinieren. Er ist autonom und, in Bezug auf das Lernen, selbst verantwortlich
und kann das Lerntempo in eigener Regie bestimmen.
Lerneffizienz: Die Sinisierung des Gehirns im separaten Schriftunterricht soll lernpsychologisch effizient in einem möglichst kurzen Zeitraum – vorgesehen sind insgesamt 45 Stunden – vonstatten gehen. Der Vokabel-Unterricht, zusammen mit
dem Erlernen der Aussprache bzw. der Lesungen, sowie das Schreiben, findet später
im Laufe des Japanischunterrichts statt.
Dekontextualisierung: Befreit vom hochgradig komplexen Gesamtzusammenhang
soll die Vermittlung der Schriftzeichen ohne konkrete Lerntexte erfolgen, mit dem
Fokus auf eine Kernbedeutung des Zeichens, um die mnemotechnische Verankerung der Schriftzeichen möglichst ablenkungsfrei zu ermöglichen. Statt vielfältiger
Referenzen auf ebenso unbekannte Elemente in einer noch unbekannten Fremdsprache baut der Lernprozess auf vorhandene Referenzen des beim Lernenden vorhandenen semantischen Systems auf. Der Unterricht zielt auf den Homo ludens, den
spielerisch veranlagten Menschen, und lädt ihn ein, sich visuell-kreativ mit den Mustern der Schriftzeichen zu beschäftigen, mnemotechnisch einprägsame semantische
Verbindungen selbst herzustellen und das Zeichensystem an das eigene kognitive
System anzuknüpfen.
Im Folgenden sollen nun die obigen drei Ziele der neuen Didaktik erörtert werden, wobei
die Zielsetzung des neuen didaktischen Ansatzes im letzten Kapitel im Zusammenhang
mit den praktischen Auswirkungen im Unterricht diskutiert werden soll.
· · · · · · 2.1 Die Struktur von KanjiKreativ 2.0
KK 2.024 besteht aus vier Abschnitten: (1) Intro, (2) Genshi, (3) Kanji und (4)
Lexikon, wobei der erste, „Intro“, und der letzte, „Lexikon“, Zusatzinformationen zum
23
24
Yamada-Bochynek (2001) präsentiert die JaFIX-These, dass der Lerner in der Prägungsphase (ca. 70 anfängliche
Lernstunden) folgende Grundbausteine des Spracherwerbs internalisieren soll: (a) Prosodie; (b) verbale und
nonverbale Kommunikationshaltung; (c) kontextuelle Grammatik; (d) Orthographie beider Kana-Systeme und
1945 Jōyōkanji in Form und Bedeutung. Für die Grundthese der Entwicklungsstratifikation im Erwerb der
Muttersprache und der zweiten Sprache s. Jakobson 1941. Auch Holenstein 1975; sowie Koch 1982 und 1986.
KK 2.0 fügt dem Vorgänger KK 1.0 hauptsächlich den Umbau als Lernprogramm hinzu, insbesondere auch im
zweiten Hauptteil „Kanji“, in dem eine systematisch-inkrementelle Lernprogression angelegt ist.
508
Schriftsystem anbieten. Der eigentliche Lernprozess findet in den beiden mittleren Abschnitten statt, „Genshi“ und „Kanji“.
Die erste Sektion, „Intro“, führt den Lernenden anhand der KK-eigenen Animationen
und der begleitenden Texte in die Lernanwendung ein:
(a) Dekonstruktion – das Grundprinzip der Kanji-Schriftzeichen als Kanji-Grammatik
So wie ein Satz mehrere (Satz-)Teile kombiniert, um einen Sinn zu konstituieren, werden
bei den meisten Kanji zwei oder mehr Teile (Genshi = Atome als kleinste Bedeutungseinheiten) kombiniert und konstituieren damit eine Bedeutung.
(b) Rekonstruktion – das Kanji als Kombination der Genshi, der Grundbausteine
Die Kenntnis einer überschaubaren Anzahl von Bausteinen ermöglicht es bereits, die
Jōyōkanji in ihrem Aufbau zu erschließen und die jeweilige Bedeutung mnemotechnisch
zu rekonstruieren.
Sektionen zwei und drei, der eigentliche Lernbereich – „Genshi“ und „Kanji“:
Im Verlauf des Lernbereichs gilt es, zunächst einmal die Genshi zu lernen, insgesamt 280.
Diese Genshi wurden für den Unterrichtseinsatz aus dem Korpus der 1945 Jōyōkanji
extrahiert und erlauben es, die Jōyōkanji zu rekonstruieren. Sind diese Grundbausteine
erst einmal kognitiv verankert, geht es an den zweiten Lernabschnitt, in dem die 1945
Kanji, aufgeteilt in 42 Lektionen à maximal 48 Kanji, in einer didaktisch aufgearbeiteten,
systematisch aufeinander aufbauenden Reihenfolge vermittelt werden (inkrementelles
Lernen). Jede Lektion – sowohl in der Genshi-Sektion als auch in der Kanji-Sektion –
wird in drei Etappen gelernt: Lernen Wiederholen Testen. Dem Lernenden, der
seinen Lernfortschritt stets selbst überprüfen kann, wird dabei geraten, erst dann zur
nächsten Stufe bzw. Lektion weiterzugehen, wenn mindestens 80% des aktuellen Lernstoffes gut verankert sind.
Der vierte und letzte Abschnitt, der Lexikonteil, bietet dem Lernenden Zusatzinformationen wie Genshi-, Bunshi- (Quasi-Genshi) und Kanji-Tabellen, in verschiedenen Reihenfolgen (Lernprogression, alphabetisch etc.), im PDF-Format. Zu einem späteren Zeitpunkt solle diese Sektion auch als interaktives Verzeichnis – inklusive der Angabe der
Lesungen und Bedeutungen – ausgebaut werden.
509
· · · · · · 2.2 Der Die Lernabschnitte, Sektion 2, Genshi, und Sektion 3,
Kanji
· · · · · · 2.2.1 Die Genshi: 280 Bausteine in 12 semantischen Kategorien
– Welt-Repräsentation analog zur kognitiven Welterschließung
Das Kanji-System ist eine der semiotischen Repräsentationen der menschlichen Fähigkeit, die
Alltagswelt zu segmentieren und die so entstandenen „Inhalte“ schriftsprachlich zu formulieren. Fig. 1, die Übersichtsseite der Genshi-Sektion, zeigt den Weltenaufbau in KanjiKreativ
und beinhaltet 280 Genshi,25 die von der Verfasserin26 aus dem Gesamptkorpus der Jōyōkanji
extrahiert und kanonisiert worden sind. Sie sind
Fig 1 Semantische Systematik in 12 Kategorien
die Bausteine der Kanji; sie visual-piktoral zu be280 Genshi
herrschen ist für die Sinisierung ausschlaggebend. Die Kategorisierung und Anordnung lassen sich in Bezug auf die kognitive Entwicklung und die Ausbildung der semiotischen Kompetenz eines Sprechers begründen:
Körperwahrnehmung und konkrete Gegenstände allmählich erweiterte
Perspektive auf die Umwelt vom Umgang mit Gegenständen zum Umgang mit Zeichen steigender Abstraktionsgrad Versprachlichung von Emotionen und körperlichen Wahrnehmungen kultursemiotische Entitäten und größtmögliche Abstraktion.
Die 12 Kategorien der Kanji-Welt orientieren sich entlang der onto- und phylogenetischen Entwicklung der menschlichen Versprachlichung: 1. Gesicht 2. Körper
3. Fauna 4. Flora 5. Natur 6. Haus/Gebäude 7. Artefakte/Instrumente 8. Kanji-Zeichen 9. Sprache, Richtung, Zahlen 10. Tätigkeiten/Handlungen 11.
Emotionen, Wahrnehmungen 12. Ich-Du-Unterscheidung, Hierarchie, Gesellschaft,
Ethik.
Der Lernteil jeder Genshi-Lektion beschäftigt sich mit der Einprägung von
visuell-kognitiven Prototypen. Dies geschieht per graphischer Animation, einer kurzen
filmischen Darstellung, in der das Zeichen sich in eine bildliche Repräsentation des semantischen Gehalts verwandelt und anschließend wiederum zurück in das Zeichen. Die
Identifikationsfarbe für Genshi ist Grün. Der graphische Hintergrund für die Genshi und
Kanji ist immer quadratisch, der Natur der Schriftzeichen entsprechend.
Jede Lektion des gesamten KK ist in drei Lernstufen gegliedert: Lernen Wiederholen Testen. Das Lernen kann auf diese Weise autonom und selbstbestimmt
25
26
Vgl. „485 Kanji-Grapheme“, ermittelt durch Stalph (1989, S. 72–76). Die Verfasserin hielt diese Anzahl jedoch
für den Zweck der didaktischen Vermittlung für zu zahlreich und reduzierte die Anzahl daher aus didaktischen
Gründen auf etwa die Hälfte.
Wobei die Verfasserin folgende Grundsatzentscheidung treffen musste: auf die etymologische Genauigkeit bei
der jeweiligen semantischen Bestimmung der Kernbedeutung der Genshi und Kanji sollte zugunsten einer effektiven Mnemotechnik verzichtet werden. Seit den Publikationen von Shirakawa Shizuka (2001, 2003, 2004)
müssen ohnehin die gesamten Kanji-Lexika der letzten 2000 Jahren in Bezug auf ihre etymologischen Angaben
in Frage gestellt werden, weil sie, wie Shirakawa beweiskräftig darlegt, die davor existenten archäologischen
Befunde von 1000 Jahren nicht mitberücksichtigten und folglich die Vorwürfe der „Volksetymologie“ nicht
widerlegen können. Die „Ursprungsbilder“ und Kernbedeutungen hat die Verfasserin daher aus didaktischen
Erwägungen heraus teilweise in Bezug auf die Semantik und die Selektion der Genshi „unkonventionell und
kreativ“ bestimmt.
510
nach individueller Vorliebe vonstatten gehen. Der Lernende kann selbst bestimmen, wie
hoch er die Hürde für die nächste Lernstufe bzw. Lektion anlegt. Vom Produktionsteam
wird empfohlen, mindestens 80% des aktuellen Lernstoffes gut zu beherrschen, bevor
man weitergeht.
KK-Benutzer geben folgende positive Rückmeldungen zu der Genshi-Sektion: (1) Die farbenfreudige Graphik der Animationen und der Lernmaske sind hübsch
und ansprechend; (2) das Lerntempo kann man selbst bestimmen; (3) Zuversicht und ein
100%-iges Verständnis kennzeichnen die ganzen Lernprozesse – eine völlig neue, erfreuliche Erfahrung, vor allem, wenn man bis dato oft vergeblich versucht hatte, Kanji in der
traditionellen Weise zu lernen.
· · · · · · 2.2.2 Jōyōkanji: 1945 Zeichen in 42 Lektionen à maximal 48
Kanji pro Lektion, in inkrementeller Reihenfolge
Sind die Bausteine aus der Genshi-Sektion kognitiv gut und vollständig verankert, geht es zur
nächsten Stufe: Das Erlernen der 1945
Jōyōkanji. Hier geht es vor allem um zweierlei:
(1) Das Erlernen der Form und Kernbedeutung27 des jeweiligen Kanji;
(2) das Erlernen der Methodik, wie ein Kanji
semantisch erschlossen und gelernt wird, also
Fig. 2 Lernseite des Jōyōkanji am Beispiel 束
darum, das Kanji virtuell zu segmentieren in
seine bedeutungstragenden Bestandteile, und
die Gesamtbedeutung auf dieser Folie mnemotechnisch zu rekonstruieren, und sich auf
diese Weise die Kanji-Grammatik zunutze zu machen.
Der gesamte Bestand von 1945 Zeichen wird in zwei Gruppen aufgeteilt: die
Gruppe 1 umfasst die 1219 häufig benutzten und wichtigsten Zeichen, inklusiv der oben
zitierten Jōyōkanji, dargestellt in der Farbe Schwarz. Die Gruppe 2 umfasst die restlichen
726 Zeichen, dargestellt in grau. Je nach Lust, Zeit, Leistungsfähigkeit oder aus anderen
Erwägungen heraus kann der Lernende selbst bestimmen, ob er alle Zeichen in einem
Durchgang lernt, oder in zwei Runden. Auch wenn er die Aufteilung in zwei Lernrunden
wählt, werden die entsprechend der inkrementellen Progression zugehörigen Zeichen der
jeweils anderen Gruppe im Lernteil auf der rechten Seite dargestellt und können auch
eingesehen werden, selbst wenn sie nicht für den Lerndurchgang aktiviert sind.
Fig. 2 zeigt exemplarisch eine Lernmaske, hier das Kanji „Bündel“ ( 束 ): (1)
Ganz links findet sich die Information zur jeweiligen Position im Lernprogramm; (2) in
der Mitte finden sich Zeichenform, Kernbedeutung und die Angabe der Konstituenten
(Genshi in grün und Bunshi – zusammengesetzte Elemente, die auch als Grundbausteine
wiederum Verwendung finden – in gelb), zusammen mit den jeweiligen Kernbedeutungen und einem mnemotechnischen Merksatz; (3) rechts davon die Kanji-Tabelle der Lektion, die Kanji der zwei Gruppen farblich unterschieden. Das betreffende Kanji „ 束 “
27
Eine Form, eine Bedeutung, bei 1945 Zeichen – das ist der Grundgedanke von KK. Selbstverständlich kann ein
Kanji, wie eingangs erwähnt, mehrere Bedeutungen haben, abhängig von Kontext und lautlicher Umsetzung.
Dennoch: das Programm konzentriert sich auf den Schriftunterricht und überlässt die Aufnahme des Vokabelunterrichts einem späteren Zeitpunkt, wenn der eigentliche Spracherwerb beginnt.
511
besteht aus den Genshi „ 木 “ (Baum) und „ 口 “ (Mund). Da dieses Kanji mit seiner Bedeutung auch als Grundbaustein anderer Kanji von besonderer Bedeutung ist, wird es
gesondert in gelb aufgeführt. Die mnemotechnischen Merksätze werden in den ersten
zwei Lektionen bereits als Beispiel angeboten. Die Lernenden sind aufgerufen, sich analog dazu selbst eigene Merksätze zu kreieren, die den Rekonstruktionsprozess aus den
Genshi für sich selbst möglichst gut erinnerbar wiedergeben.28
Der vorgegebene Merksatz in obigem Beispiel lautet: „Er nahm sein Bündel
in den Mund und kletterte auf den Baum“. Dieser Merksatz ist ein Angebot zum Lernen
der Kernbedeutung des betreffenden Kanji. Er ist praktisch eine Antwort auf ein Rätsel:
was bedeutet Genshi A (Mund) + Genshi B (Baum)? Diese Übung zielt darauf ab, einerseits die Kernbedeutung des Kanji zu memorieren, und andererseits die Kanji-Grammatik zu internalisieren, mittels Segmentierung und Rekonstruktion. KanjiKreativ verlangt
dem Lernenden einen kreativen Denkprozess ab, der sowohl individuell als auch in der
Gruppe durchaus spielerisches Vergnügen bei der kreativen Suche nach einer originellen
Geschichte bereiten kann, und gleichzeitig mnemotechnisch zu einer anhaltenden Verankerung der Kernbedeutung der visuellen Repräsentation, der Form des Schriftzeichens,
führt.
· · · · · · 2.3 Hauptmerkmale des KK
KK lässt sich in folgenden Punkten charakterisieren: (1) Inkrementelles Lernprinzip; (2) Verstehen der dem Schriftsystem inhärenten Kanji-Grammatik; (3) Kurze
Lernzeit. Im Folgenden werden die vier Punkte erörtert.
· · · · · · 2.3.1 Inkrementelles Lernen – Genshi als treibende Kraft der
Kanji-Gestalt
Fig. 3 visualisiert das spezifische Charakteristikum von KanjiKreativ, die inkrementelle
Methode, die in ihrem systematischen Ansatz als eine völlig neuartige Lern- und Lehrstrategie spezifisch für KK entwickelt wurde:29 Nach dem Erlernen von 280 Genshi in einer
semantisch orientierten Systematik beginnt die zweite Lernphase, die auf einer formalgraphematischen Systematik aufbaut.
28
29
Im nächsten Projekt sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Lernenden online eigene Merksätze als
Ergebnis der eigenen Dekomposition virtuell mit anderen Lernenden austauschen. Auf diese Weise werden mit
der Zeit immer bessere Merksätze zur Verfügung stehen.
Die Methode der inkrementellen Progression als Lern- u. Lehrstrategie wurde als Ergebnis der Denkarbeit des
KK-Produktionsteams geboren. Dafür ist die Verfasserin dem Team zu tiefem Dank verpflichtet, insbesondere
dem Programmierer, Rainer Weihs.
512
Die Genshi übernehmen dabei als treibende
Kraft die Rolle, neu zu lernende Kanji zu erschließen, und dabei gleichzeitig in ihrer produktiven Funktion als einstige konstituierende Elemente bei der Kanji-Bildung wahrgenommen zu
werden.
Dieses Mal wird die Lernreihenfolge durch den
Häufigkeitsgrad der Genshi bestimmt, häufigere
zuerst, seltenere später. So erscheint an erster
Fig. 3 KK-Prinzip des inkrementellen Lernens
Stelle das Genshi „口“ (Mund), das laut der Teilebestimmung der Verfasserin mit einer Produktivitätsquote von insgesamt 212 gebildeten Jōyōkanji am häufigsten gebraucht wird. Es
gibt zwei Kanji, die ausschließlich mit diesem Genshi gebildet werden (1, 2); „ 口 “, selbst
ein Jōyōkanji, und „ 品 “ („Ware, Qualität“ – drei Mal „Mund“). Im Anschluss daran werden alle Kanji aufgeführt, die mit den bisher im Kanji-Teil aufgeführten Genshi gebildet
werden (was beim allerersten Genshi naturgemäß entfällt). Sind alle entsprechenden
Kanji aufgelistet, kommt in inkrementeller Reihenfolge das nächst häufig verwendete Genshi
zum Einsatz, in diesem Fall „ 日 “ Sonne; Japan [Kürzel]. Auch dieses Genshi kann selbst
wiederum eigenständig als Kanji verwendet werden, und lässt sich auch allein mit sich
kombinieren: „ 晶 “ klar; Kristall – dreimal Sonne. Im nächsten Schritt werden dann die
Kanji aufgeführt, die mit den bisherigen zwei Genshi gebildet werden: „ 唱 “ vortragen,
intonieren (3–5). Sind die Kombinationsmöglichkeiten in Bezug auf die Jōyōkanji damit
erschöpft, kommt als nächstes Genshi „木 “ Baum, in Eigenkombination als „林“ Wäldchen
und „ 森 “ Wald sowie in Kombination mit den bisherigen Genshi: „ 束 “ Bündel, „ 東 “ Osten,
„ 棟 “ Dachfirst (6–11).
Das Prinzip des inkrementellen Lernens ermöglicht somit die Aufreihung graphemisch ähnlicher Einheiten und lässt eine formal definierte Systematik der Jōyōkanji vor
den Augen des Lernenden entstehen. Der Lernende memoriert in der ersten Lernsektion
280 Genshi, und arbeitet sich in der zweiten Phase durch 1945 Kanji, indem er alle
Grundbausteine wiederholt und sich dabei mit der Kanji-Grammatik kreativ auseinandersetzt, wie im nächsten Abschnitt erörtert wird.
· · · · · · 2.3.2 Lernen und Kanji-Grammatik: der Erwerb einer Kompetenz
für graphische Informationsverarbeitung
Wahrig definiert das Wort „Grammatik“ als „Lehre vom Bau und von den
Regeln einer Sprache“ und „Sprachwissenschaft als Lehre von den Elementen (Buchstabe, Schrift, Satz) der Sprache“.30 Das Zeichensystem Kanji besteht ebenfalls, wie oben
dargestellt, aus Elementen (Genshi, Bunshi, Kanji), und kann somit parallel zur Satzlehre,
als System einer Kanji-Grammatik31 verstanden werden. Es besteht jedoch in der Gegen30
31
Wahrig 1978, S. 1613.
Vgl. den Titel der systematischen Abhandlung über das Kanji-System von Stalph (1989), „Grundlagen einer
Grammatik der sinojapanischen Schrift“. Das e-Learningprogramm KK ist in gewisser Weise eine didaktische
Umsetzung seiner Arbeit (S. 159), dem „Kanji-Wald“ eine Systematik aufzuerlegen, auch wenn er, ausgehend
von der Jōyōkanji-Tabelle, aus grammatikalischen Gründen insgesamt 485 „Grapheme“ oder Grundelemente,
herausarbeitet.
513
wart ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Systemen: Bei Sätzen sind, solange
die Regeln ordnungsgemäß befolgt werden, die Satzelemente schöpferisch frei kombinierbar,
wie Chomsky einst mit seinem berühmten Satz „Colorless green ideas sleep furiously“ –
grammatisch korrekt, jedoch semantisch unsinnig – exemplifizierte, während bei den
Kanji diese Art von Freiheit nicht mehr gewährleistet ist, da, als kulturpolitische Festlegung, der Zeichenbildungsprozess abgeschlossen und das Repertoire kanonisiert ist. In
der Entstehungsphase von Schriftzeichen, in den historischen und prähistorischen
Zeiten, muss allerdings diese kreative Freiheit vorhanden gewesen sein – andernfalls wären „Kanji-Neologismen“ bestimmt nicht so zahlreich überliefert worden. Es sind jedoch
nach der Übernahme von Kanji aus China32 einige sog. kokuji ( 国字 nationale Schriftzeichen) entstanden, worauf die Verfasserin ihr Augenmerk lenkte: Gerade durch diese Art
von schöpferischer Kreativität wurde das Schlüsselkonzept von KanjiKreativ inspiriert – die
menschliche Fähigkeit, mit Zeichen kreativ und spielerisch umzugehen – und daher auch
der Name des Programms.
Unter den 6335 Kanji der ersten zwei Zeichengruppen der japanischen Industrienorm (JIS), JS-X0208, sind 180 selbstkreierte Kanji.33 In die Tabelle der 1945
Jōyōkanji sind nur sechs davon eingegangen; gerade einmal 0,003% macht diese Kategorie der Kanji „Made in Japan“ aus: 込 hineinkommen, 働 arbeiten, 峠 Bergpass, 畑 Trockenfeld,
匁 (Gewichtseinheit, ca. 3,75kg), 枠 Rahmen.34 Interessant dabei ist jedoch die Tatsache,
dass diese Zeichen das Ergebnis kultureller Anpassung im Sinne der Verschriftung von –
für die chinesische Kultur – fremder Realia waren. Wie am Zeichen 畑 Trockenfeld am
besten verdeutlicht werden kann, ist 畑 die Zusammenfügung von 火 Feuer und 田 wassergefülltes Reisfeld, und bezeichnet die Brandrodung für Getreide und Gemüseanbau – im Gegensatz zum Reisanbau. Die schöpferische Kraft für Kanji-Neologismen, die hier im
Falle der japanischen Kokuji verkörpert worden ist, ist genau die, die der KK-Lernende
im Laufe des Kanji-Lernens einsetzt. Was er macht, ist nicht, die Kanji Stück für Stück
stur und passiv zu pauken, sondern er kann vielmehr anhand seiner Werkzeuge zum Dekodieren von unbekannten Schriftzeichen deren Bestandteile zuerst in die vertrauten
Konstituenten segmentieren und dann die Kernbedeutung rekonstruieren. Er lernt also
mit KanjiKreativ eine – analog zum Prozess der Kanji-Kreation entwickelten – Strategie,
die sich im einzelnen Kanji verbergenden Bedeutungen herauszuholen und für die Deutung und Memorierung der Schriftzeichen zu nutzen.
· · · · · · 2.3.3 Kürzere Zeit zum Lernen – workload-Berechnung im
Kontext europaweiter Bologna-Reformen
Wie lange kann ein Lernprozess beim Einsatz der e-Learning-Anwendung
dauern? Selbstverständlich hängt die Dauer, wie bei allen Lernprozessen, von vielen Faktoren ab: Stärke und Art der Motivation, Begabung, Konzentration, Ausdauer usw. Dennoch ist es bei KanjiKreativ möglich, Lernzeiten auszurechnen, weil der Anfang und das
Ende des gesamten Lernvolumens sichtbar dargestellt ist, im Gegensatz zum in Hinsicht
32
33
34
Ōhara (1999–2000). In der Sammlung von „Kanji made-in-Japan“ (wasei-kanji 和製漢字 )“ versucht Ōhara, ein
erschöpfendes Online-Lexikon zu etablieren.
Hier kann nur eine ungefähre Zahl angegeben werden, weil die Bestimmungskriterien für Kokuji unterschiedlich ausfallen (s. Ōhara). Vgl. Sasahara 2007.
Stalph 1989, S. 26. Für das Kokuji „ 峠 “ s. Hachiya 1988.
514
auf Vollständigkeit unbestimmten „Vokabellernen“.35 Ferner hilft bei der Zeitmessung
auch die Einstellungsmöglichkeit in der e-Learning-Anwendung für die Länge des Abspiel-Intervalls.36 Bisherige empirischen Daten37 über die erforderlichen Zeiten zum Absolvieren der KK-Lektionen liegen unterhalb von 50 Stunden: ca. 3,5 – 10 Stunden für
die ersten 12 Genshi-Lektionen und unter 45 Stunden für die Jōyōkanji, d.h. pro Lektion
1 Stunde, m. a. W.: die ganzen 1945 Jōyōkanji können durchaus in einer überschaubaren
Stundenzahl gelernt werden.
Diese Berechnungsmöglichkeit kommt sowohl den JaF-Lehrern als auch -Lernenden gelegen, besonders im universitären Kontext, da im Zuge der Umsetzung der
Bologna-Reformen38 bis zum Jahr 2010 die workload-Erhebungen immer relevanter geworden sind. Für einen dreijährigen Bachelorstudiengang werden 180 Leistungspunkte,
für einen zweijährigen Masterstudiengang 120 Leistungspunkte verrechnet, und diese
Verrechnung bildet das Grundkonzept der workload-Berechnung. Als Creditierung legt man
für die Erreichung eines Leistungspunktes als „Kernelement und zentrales Organisationsprinzip der neuen Studiengänge“39 einen durchschnittlichen studentischen Arbeitsaufwand von 30 Stunden an. Demnach könnte das KK in der universitären Sprachausbildung an deutschen Hochschulen mindestens mit 2 LP mit angerechnet werden.
Die alte Zeiten, in denen es sowohl für den Lehrer als auch Lernende nahezu
unmöglich war, workloads anzugeben, scheinen in der neuen Epoche der EU-Universitätsreformen mit der Einführung von BA/MA Studiengängen endgültig zu den Akten gelegt
zu sein. Wie bereits eingangs erwähnt, wird auch vom Kanji-Unterricht im 21. Jahrhundert eine Reform verlangt, damit die „Studierbarkeit“ im europäischen Kontext gewährleistet werden kann. KK ist, wie oben dargestellt, in der Lage, auch dieser Anforderung
gerecht zu werden.
· · · · · · 3. Wirkung und Auswirkung der KK-Didaktisierung
Nach der Darstellung einer Ist-Aufnahme und der Formulierung der wünschenswerten Rahmenpunkte für eine gute Kanji-Vermittlung im ersten Abschnitt sowie
der Vorstellung eines alternativen didaktischen Ansatzes im Zusammenhang mit dem eLearning-Programm KanjiKreativ im zweiten Teil sollen nun abschließend Wirkung und
35
36
37
38
39
Siehe Punkt 1.3.
In der Voreinstellung ist das Intervall für das automatische Abspielen auf sieben Sekunden eingestellt, es kann
jedoch jederzeit vom User geändert werden.
Die Daten wurden in Form von Selbstdeklarationen gesammelt, d.h. das KK-Team bat die Benutzer um Kooperation für die Datensammlung und verteilte digital die Eintragsbögen, im Falle der FUB via Blackboard. Als
bisherige Unterstützer seien hier folgende Institutionen und Personen dankend erwähnt: Japanischgrundkurse
Stufe 1 am Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin (2004–05; 05–06; 07–08, ca. 55 Personen); zwei sog. LD
(lerning disabled) Kinder, japanische Muttersprachler mit der Diagnose Asperger Syndrom (7- und 9-jährig);
KK-Workshops (nur Genshi-Sektion; Technische Universität Dresden, 19.05.06; 35 Personen); FUB-Lernwillige (Partiell bis Jōyō-Lektion 12; 3 Personen).
Bis zum Jahre 2010 soll es einen einheitlichen europäischen Hochschulraum geben. Dieses ehrgeizige Ziel formulierten 29 Nationen am 19. Juni 1999 in der so genannten Bologna-Deklaration. Einer der Kernpunkte der
umfassenden Reform ist die europaweite Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer
Abschlüsse und eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen mit Bachelor- und Masterabschlüssen. Die
Freie Universität Berlin setzt im Rahmen ihrer eigenen zügigen Modernisierung die Bologna-Reform konsequent um: Bis zum Wintersemester 2006/2007 wurden die klassischen Magister- und Diplomstudiengänge nach
und nach von Bachelor und Master abgelöst. http://www.fu-berlin.de/campusmanagement/N1Bologna/index.html
Blüthmann et al., (2006, S. 2–3). Die Japanologie der Freien Universität Berlin bietet voraussichtlich ab dem WS
08/09 im Rahmen der ABV (allgemeinen Berufsvorbereitung) im Fachbereich der Geschichts- und Kulturwissenschaften einen einsemestrigen KanjiKreativ-Kurs als ABV-Modul mit 5 LP an.
515
Konsequenzen des JaF-Unterrichts bei einem Einsatz von KK diskutiert werden. Zunächst
soll die Wirkung des KK-Einsatzes unterrichtsnah beschrieben werden, und danach deren Auswirkung auf den JaF-Spracherwerb. Anschließend wird über die Bedeutung von
frühzeitiger und extensiver Lektüre japanischsprachiger Autoren und Autorinnen, die auf
diese Weise den Japanischlernenden ermöglicht werden kann, sprachphilosophisch nachgedacht.
· · · · · · 3.1 Resultate des Konzepts der Sinisierung unter Einsatz von
KanjiKreativ
Wie eingangs erwähnt kommt der Teilnehmer nach Absolvierung des Programms mit einem sinisierten Gehirn in die Unterrichtsstunde: er hat sich – entweder im
Voraus oder parallel zum Sprachunterricht – mit KK autodidaktisch und selbstständig beschäftigt. Im Sprachunterricht lernt er nun die japanische Sprache lautlich-auditiv sowie
orthographisch-visuell. Zu den ersten Lerneinheiten, die er innerhalb der ersten Wochen
zu absolvieren hat, gehören die 92 Silbenschriftzeichen – jeweils 46 Hiragana und Katakana (z.B. im Grundkurs für Anfänger im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin innerhalb eines Monates nach Kursbeginn). Aufgrund der Auseinandersetzung mit KK stellt
sich bereits das Gefühl einer gewissen Vertrautheit gegenüber einer mit japanischem Text
bedruckten Seite ein. Indizien dafür sind beispielsweise (1) ein bereits vorhandenes Verständnis des Kanji-Bildungsprozesses und konkrete Vorstellungen von der Entstehungsgeschichte der Schrift, (2) keine feststellbare allergische Reaktion gegenüber Texten mit
vielen Kanji, (3) eine positive und spielerische, von Interesse geprägte Einstellung gegenüber dem Lernen von Kangoi.
Wie von mir bei der Beschreibung der JaFIX-Methode bereits an anderer
Stelle dargelegt,40 definiert das, was der Lernende in der Prägungsphase in den ersten ca.
drei bis sechs Monaten beigebracht bekommt, die Art und Weise, wie sich die Ausbildung
der Sprachkompetenz entwickelt. Wenn er in dieser Zeit in einem hör- und körperbetonten Lehransatz ein gutes Gehör ausbildet, so wird er, wenn er anfängt, seine Emotionen und Gedanken eigenständig zu „versprachlichen“, im Idealfall mit der phonologischen Kompetenz eines Quasi-Muttersprachlers sprechen können. Wenn er schon von
Beginn an die japanische Orthographie als Mischform lernt, begreift er sogleich deren
Vorteile und entwickelt gleichzeitig ein Verständnis von der mehr als tausendjährigen
Entwicklungsgeschichte der orthographischen Evolution in Japan: Es gilt in der Tendenz,
die Substantiva und Wortstämme, d.h. die semantischen Teile der Sprache, mit Kanji und
die grammatischen mit Hiragana zu schreiben, ähnlich wie die Großschreibung von Substantiven im Deutschen. Werden diese Erkenntnisse berücksichtigt, entwickelt sich keine
„Kanji-Allergie“ – was als Seltenheit innerhalb des JaF-Unterrichts gelten kann.41 Statt
allergischer Reaktionen zeigen die JaFIX-Lernenden gesteigertes Interesse und sagen aus,
dass sie die Kanji-Mischschrift als Hilfestellung beim Vokabellernen und bei der Satzbil-
40
41
Yamada-Bochynek (2001, S. 68–70) plädiert für die Bildung mit folgenden Basiskompetenzen in der Prägungsphase: (a) Prosodie des Japanischen; (b) Soziokulturelle und nonverbale Kommunikation; (c) Interpersonale
Kommunikation; (d) Morphosyntax; (e) Orthographie (92 Kana und mindestens 300 Grapheme).
Yamada-Bochynek (1987, S. 21) plädiert für die Einführung der „korrekten“ Orthographie von Beginn an. Vgl.
hierzu Schulte-Pelkum et al. 1991.
516
dung empfinden.42 Die japanische Orthographie stellt in diesem Kontext insofern eher
eine intellektuelle Herausforderung dar.
Eine gute Möglichkeit, Buchstabenkenntnisse, die durch KK gewonnen worden sind, in realem Kontext zu sehen, bieten Überschriften von Tageszeitungen: Zeilen aus
den Tageszeitungen können wegen ihrer mehr oder minder ideogramm-artigen Natur als
Kontextualisierungen von einzelnen Kanji als ideales Unterrichtsmaterial eingesetzt werden, denn sie sind mit nur minimalen Grammatikkenntnissen verstehbar. Soziokulturelle
Fragen, eingebettet in den Überschriften, können auf diese Weise aktuell aufgearbeitet
werden. Im JaFIX-Unterricht werden deshalb von sehr früh an die Lernenden mit dem
sog. „Zeitungsüberschriften-Quiz“ (midashi-kuizu 見出しクイズ ), welches in der Regel
zwischen 10 und 20 Minuten beansprucht, beschäftigt. JaFIX-Lernende als homo ludens
entdecken den Spaß daran, aktuelle Nachrichten verstehen zu können. Die kurzen Überschriften können, im Anschluss an den Verstehensprozess, auch lautlich noch einmal
durchgenommen werden, was zur Wortschatzerweiterung beiträgt – eine Unterrichtsweise, die bei traditionellen Kanji-Lernenden erst nach drei bis vier Jahren auftreten würde. Der Lesebereich erweitert sich nach der ersten Phase, in der ausschließlich Überschriften durchgearbeitet werden (bis zu 70 Stunden), allmählich in den Folgephasen, so
dass die Lernenden nach einem Jahr (160 Unterrichtsstunden) in der Lage sind, aktuelle
Zeitungsartikel mit drei bis vier Abschnitten eigenständig zu verstehen. Was hier geschieht, ist also mit anderen Worten eine beschleunigte Verarbeitung von schriftlichen
Informationen.
Was sind die Gründe dafür? Offensichtlich versetzt das Lernkonzept von KK
den Lernenden in die Lage, beschleunigt Prototypen zu bilden – um es einmal mit den
Worten der kognitiven Linguistik bzw. der Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie zu
sagen. Der Blick des Lernenden lokalisiert auf der aufgeschlagenen Seite des Lehrbuchs
– wenn diese mit der normalen Orthographie geschrieben ist –, aufgrund der dunkler
zulaufenden Typographie der Kanji Ordnungspunkte, die bereits als semantisch gehaltvoll in ihrer Bedeutung wahrgenommen werden, noch bevor die in Silbenschrift notierte
Satzgrammatik im Detail entschlüsselt wird. Das versetzt ihn in die Lage, in ähnlicher
Weise Grundinformation der Texte herauszulesen wie beispielsweise ein Romanist (um
innerhalb der indogermanischen Sprachenfamilien zu bleiben), der Texte unterschiedlicher romanischer Sprachen allein aufgrund der Kenntnis gemeinsamer Semantiken erschließen kann.
Damit ist strukturell derselbe Verstehensprozess erreicht, der dem eingangs
erwähnten Chinesen möglich ist, der schon beim ersten Blick auf japanische Zeitungen
den Eindruck hat, er könne bereits etwa 90% des Geschriebenen verstehen.
· · · · · · 3.2 Resultate der KK-Didaktisierung
Die Wirkung der KK-Didaktisierung ist letztlich immer mit einer Beschleunigung des Japanischerwerbs verbunden. Von den unterschiedlichen Resultaten seien hier
folgende drei Punkte genannt: (1) KK-Lernende produzieren von Anfang an ihre schrift42
Ergebnisse der Interviews am JDZB im Zeitraum vom 23.05.–25.05.05 mit den Fragen: (a) Wie sieht Deine
Informationsaufarbeitung aus (beim Erwerb der Jōyōkanji)?; (b) Kanji-Grammatik anwendend? Beispiele?; (c)
Wieviel Zeit wurde durchschnittlich für das Lernen von 100 Jōyōkanji benötigt?; (d) Spaß oder Streß beim Test
jeden Montag mit 100 Jōyōkanji?
517
lichen Texte mit der authentischen Mischschriftform von Anfang an; (2) Rezitationen
literarischer Texte als Verwirklichung eigener Empfindungen finden statt; (3) Bestehen
des 4. bzw. 3. Kyū beim Japanese Proficiency Test, einem weltweit anerkannten standardisierten Test von der Japan Foundation, nach einem Jahr (ca. 180 Stunden).
Fig. 4 stellt ein konkretes Beispiel der Lernergebnisse des KK-Unterrichts dar, entstanden im
Rahmen der Aufgabestellung des Aufsatzschreibens. Es zeigt die bei den Teilnehmern im JaFIXKurs effektive Entwicklung der Sprachkompetenz in Wort und Schrift, unterstützt durch die semiotische Effizienz der japanischen Orthographie. Auch wenn die Zeilen hier grammatisch
fehlerhaft sind: die Funktionalität der drei Schriftkategorien – semantisch mit Kanji, grammatisch
mit Hiragana und ausländische Wörter mit Katakana – ist voll realisiert. Interessanterweise neigen
Fig. 4 Beispiel einer Komposition
im Unterschied dazu Kursteilnehmer, die in der
prägenden Anfangszeit nur mit den Silbenschriften gearbeitet haben, bereits nach ca. 2,5 Monaten (50 Stunden) dazu, vorwiegend
alles mit Hiragana zu schreiben, m. a. W., sie missachten bzw. übersehen die Ratio der japanischen Orthographie. Wie genau sich die Zusammenhänge zwischen orthographischer
und grammatischer Eigenschaften auswirken, müsste noch genauer empirisch untersucht
werden. Dennoch lässt sich erfahrungsgemäß an dieser Stelle aussagen, dass die KKLernenden langfristig die japanische Sprache schneller internalisieren. Es versteht sich im
Zeitalter des digitalen Schreibens von selbst, dass im Hinblick auf die Kompetenz zur
Textproduktion und -rezeption die Beherrschung der japanischen Orthographie den
Spracherwerb ungemein beschleunigen kann.
Sobald die Kangoi keine Hindernisse mehr in der Lektüre japanischer Texte
darstellen, wird der Weg zur japanischen Literatur frei – ganz im Gegensatz zur traditionellen Unterrichtsweise: Früher musste der Lernende normalerweise zwei, drei Jahre warten, bis die Grundgrammatik absolviert war. Die JaFIX-Lernenden mit KK-Kompetenz
können demgegenüber bereits kurz nach dem Beginn der Unterrichtsphase an japanische
Texte herangeführt werden – neben aktuellen Zeitungsüberschriften und -artikeln erschließen sich auch viele Sprichwörter, die Lyrik von Tanikawa Shuntarō, Kaneko Misuzu,
Yagi Jūkichi und anderen, Pop-Songs, Karaoke usw. Wichtig dabei ist, dass die Darbietung
der Texte bilingual geschieht, also japanisch-deutsch, denn es geht nicht darum, die Übersetzungsfähigkeit zu fördern, sondern darum, die Texte zu verstehen und zu genießen. Der
erste literarische Prosatext, den die Lernenden auf diese Weise nach 3,5 Monaten (ca. 70
Stunden) als Unterrichtsmaterial bekommen, ist „Kimi-ga sumu hoshi“ („Der Stern, auf dem
Du wohnst“) von Ikezawa Natsuki (1992), einem der gegenwärtig bedeutendsten Schriftsteller Japans. Bei dem Buch handelt es sich um eine Art Liebesroman in Briefrom: der
Reisende schickt aus unterschiedlichen Orten der Erde Briefe von mittlerer Länge an seine
Geliebte. Unterstützt wird die Wirkung durch die eindrucksvollen Photos von Ernst Haas.
Die anspruchsvollen lyrischen Texte sprechen die Kursteilnehmer durch die ewigen Themen menschlichen Seins an – Liebe, temporäre Trennung, Sehnsucht, Entdeckungen und
Erlebnisse auf der Reise. Die Lernenden können solche literarischen Texte schon von Be518
ginn an, dem Lehrer als Vorleser zeitnah folgend, laut lesen. Das Ergebnis solcher Rezitationsübungen kann am eindrucksvollsten daran beobachtet werden, dass einige Kursteilnehmer bei der finalen Sprachprüfung im Bereich „Rezitation gelernter Texte“ von der
einen oder anderen Episode zwei, drei Seiten aussuchen, perfekt auswendig lernen und als
Geschichte mit aller erzählerischen Intonation und atmosphärisch überzeugend vortragen.
Wenn sie gefragt werden, weshalb sie eine solche Arbeit auf sich genommen haben, antworten sie: „Na, weil mir die Texte einfach gut gefallen haben!“ – Äußerungen, die man
früher zu den Sätzen von Lehrbüchern kaum zu hören bekam.
Vor dem Hintergrund dieser Herangehensweise an das Lesen japanischer
Texte scheint es geradezu eine logische Folge zu sein, dass die KK-geprägten Teilnehmer
lernen, die japanische Orthographie als Hilfestellung ihrer grammatischen Konstruktionen zu benutzen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass sie nach einem Jahr zumindest das 4. Kyū, manche sogar das 3. Kyū des alljährlich von der Japan Foundation
durchgeführten Japanese Proficiency Test bestehen – letztlich ein weiterer Beweis des
beschleunigten Lernens.
· · · · · · 4. Schlussbemerkung
Am 13.03.2008 wurde das e-Learning-Programm KanjiKreativ vom Präsidenten der Freien Universität mit dem „FU e-Learning-Preis“ in der Kategorie „Einsatz in der Lehre“ prämiert.43 Dabei gab das Lenkungsgremium als Grund für die Auszeichnung Folgendes an: „Sowohl das Konzept als auch die Umsetzung von KanjiKreativ
sind sehr innovativ“.44
Die Innovation scheint glücklicherweise rechtzeitig in Gang zu kommen, denn
was von der japanischen Didaktik in Zeiten der Bologna-Reformen verlangt wird, ist die
Fähigkeit, sich kurz vor dem Zieljahr 2010 im Zeitgeist des Plurilingualismus und -kulturalismus45 in Europa im direkten Vergleich mit der Sprachdidaktik anderer Sprachen
behaupten zu können. In einer Zeit, in der die Schrift „Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen“, eine Art Deklaration der sprachund kulturphilospophischen Vereinigung Europas, bereits in 28 Sprachen übersetzt ist,
kann es sich die Didaktik des Japanischunterrichts nicht mehr leisten, ihr prinzipielles
Anderssein aufgrund einer einzigartigen Kanji-Orthographie als Grund dafür anzuführen, dass sie für ein europäisch alphabetisiertes Gehirn nahezu nicht erlernbar sei. Im
Gegenteil: Die Lernbarkeit der Sprache, einschließlich ihrer höchst reizvollen und faszinierenden Schrift, sollte stärker betont werden. Sogar ohne Japanisch-Kenntnisse sind
Europäer nicht automatisch aus der Welt der Kanji ausgeschlossen, sondern können jederzeit die ersten Schritte in diese Welt der Schrift tun. Dem modernen Menschen sind
schon viele wertvolle Schriftsysteme verloren gegangen, wie etwa das der ägyptischen
43
44
45
Der Preis ist mit 3.000 EUR dotiert. Weitere Kategorien waren „Didaktik“ sowie „Multimedia und Technik“.
http://www.fu-berlin.de/presse/fup/2008/fup_08_071/index.html. (Letzter Zugriff am 26.03.08).
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Hieroglyphen. Es wäre wunderbar, wenn in der Epoche der Globalisierung auch Europäer den Anschluss an ein Schriftsystem finden, das immerhin von 15% der Weltbevölkerung benutzt wird.
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