Schreiben am
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Schreiben - Medien - Beruf Herausgegeben von Eva-Maria Jakobs Dagmar Knorr Daniel Perrin Schreiben gehört in allen Berufen zum Alltag, oft als Schlüsselqualifikation. Der Schreibanteil variiert je nach Beruf, Status und Aufgabe. Das inhaltliche Spektrum ist breit: Wer schreibt, entwickelt Projekte, dokumentiert Arbeitsergebnisse, informiert Kollegen und Kunden, erzeugt Entscheidungsgrundlagen, regelt Beziehungen. Geschrieben wird im Team oder allein, per Hand oder am Computer, standardisiert oder kreativ, an verschiedenen Orten und häufig unter Zeitdruck. Die Ergebnisse des Schreibprozesses werden gedruckt, elektronisch versandt, ins lnternet gestellt, übersetzt, archiviert - Schreiben zieht eine Spur. Die Qualität der Produkte entscheidet über beruflichen Erfolg, Umsatzzahlen und Kundenresonanz. Die Reihe „Schreiben - Medien - Beruf" fragt nach den Bezügen zwischen Schreibenden, Schreibprozessen, Textprodukten und den komplexen Rahmenbedingungen beruflicher Textproduktion. Sie stellt aktuelle Forschung zum Schreiben am Arbeitsplatz zur Diskussion und leistet Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis. Eva-Maria Jakobs Katrin Lehnen Kirsten Schinder (Hrsg.) Schreiben am Arbeitsplatz Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Inhalt Eva-Maria Jakobs/Katrin LehnerdKirsten Schindler Schreiben am Arbeitsplatz. Überblick zu diesem Band .............................. 7 Eva-Maria Jakobs Writing at Work. Fragen, Methoden und Perspektiven einer Forschungsrichtung ............................................................................ 13 Teil I: Schreiben in Berufsfeldern Markus Nick1 Industrialisierung des Schreibens .......................................................... 43 Annely Rothkegel Zur Modellierung von Schreibaufgaben .................................................... 57 Vasco-Alexander Schmidt Technisches Schreiben bei SAP. Softwaredokumentation für betriebswirtschaftliche Standardsoftware .............................................. 73 1. Auflage September 2005 Alle Rechte vorbehalten O VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV ~achverlageGmbH, Wiesbaden 2005 I Lektorat: Barbara Emig-Roller / Nadine Kinne Der VS Verlag für Sozialwissenschaftenist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme. dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebungals frei zu betrachten waren und daper von jedermann benutzt werden durften Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in China - Ria BosserhofS Schreiben in der B2B-Kommunikation - über Kunden, Zielgruppen und Bewertungskriterien. Vorgehensweisen in der Schreibpraxis einer Werbeagentur .................................................... 93 Helmut Ebert Schreiben in der Verwaltung. Konzeptskizze für ein Theorie- und Praxishandbuch ............................................................... 109 Peter Handler Stilanweisungen im Medienwandel .......................................................... 127 Daniel Perrin Zwischen Vermittlung und Instrumentalisierung. Die Rekontextualisierung im Mediendiskurs ..............................................153 Helga Kessler/Otto Kruse Diskursfelder der Wissenschaftskommunikation ........................................ 179 6 Inhalt Teil 11: Schreibkompetenz vermitteln Schreiben am Arbeitsplatz Anne Beaufort Adapting to New Writing Situations. How Writers Gain New Skills .................................................................. 201 Überblick zu diesem Band Kirsten Schindler Studierende schreiben beruflich. Beobachtungen einer empirischen Studie ....................................................................... 21 7 Katrin Lehnen Vermittlung berufsbezogener Schreibkompetenzen im Studium. Am Beispiel des ,Usability Testing' ...................................... 235 Cornelia Czapla Berufliches Schreiben bei Aphasie. Theorie- und Therapiedefizite ................................................................. 25 1 Angaben zu den Autoren ....................................................................... 269 Eva-Mavia Jakobs/Katvin Lehnen/Kivsten Schindlev Wer als Ingenieur in der Industrie erfolgreich sein will, muss kommunizieren können, sowohl mündlich als auch schriftlich. Ingenieure in allen Bereichen müssen ihre Arbeit dokumentieren - für den Vorgesetzten, für den Kunden, den Geldgeber oder die Scientific Community. Sie müssen verständlich, prägnant und überzeugend vermitteln können, warum sie und ihre Arbeit gebraucht werden. Wem das nicht bewusst ist, wer keine ausreichende Kompetenz in der schriftlichen Ausdrucksfahigkeit mitbringt, ist auf lange Sicht für ein Unternehmen nicht interessant. (Hochschullehrer, Elektrotechnik) Das Zitat beschreibt einen wichtigen Aspekt der Arbeitswelt - die Notwendigkeit zu kommunizieren. In Theorie und Praxis wird Kommunikation meist auf mündliche Situationen bezogen wie Präsentieren, Verhandeln, Absprachen treffen. Dabei wird übersehen, dass im Berufsalltag viele Situationen schriftlich zu bewältigen sind. Schreiben gehört zum Alltag vieler, wenn nicht der meisten Berufe und Arbeitskontexte. In einigen Berufen ist es eine zentrale Aufgabe, so z. B. im Falle von Journalisten, Textern, Technischen Redakteuren und Juristen. In anderen Arbeitskontexten wird es als eine der „eigentlichen6' Arbeit nachgeordnete Tätigkeit gesehen, so z. B. im Falle von Ärzten, Ingenieuren und Lehrern. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber auch hier, dass insgesamt erstaunlich viel geschrieben wird. Elektronische Arbeitsmittel wie E-Mail, Textverarbeitung, MultipublishingSoftware, Internet und Intranet haben zu einer Renaissance des Schreibens geführt. Arbeitsaufgaben, die traditionell bevorzugt mündlich oder telefonisch erledigt werden (Anweisungen, Absprachen, Vereinbarungen), werden heute zunehmend schriftlich gelöst, dokumentiert oder ratifiziert. Mit dem Übergang der Industrie zur Informations- bzw. Wissensgesellschaft gewinnt Kommunikation als Wirtschaftsfaktor an Bedeutung. Die Produktdokumentation wird ähnlich wichtig wie das Produkt selbst, Wissensvermittlung erfolgt nach wie vor primär textbasiert, die Anzahl verfügbarer Kommunikationskanäle nimmt zu (und damit das Problem ihrer Abstimmung). Der schriftliche Anteil wächst mit der Standardisiemng bestimmter Arbeitsprozesse (Bsp.: Beschwerde- und Service-Kommu- 8 Eva-Maria JakobsKatrin LehnenKirsten Schindler nikation) sowie ihrer Kontrolle (z. B. die Beschreibung und Regelung von ArbeitsProzessen als Teil des Qualitätsmanagement); schriftlich Festgehaltenes dient nicht nur der Kommunikation oder der Dokumentation von Inhalten, sondern zunehmend auch der juristischen Absicherung der Betroffenen, der Organisation und Koordination von Arbeitsprozessen sowie der Beziehungsgestaltung zu Kunden, Partnern und Kollegen. Schriftsprachliche Ausdrucksfahigkeiten entscheiden häufig über Berufsund Karrierechancen - in den wenigsten Fällen werden Berufsausübende auf diesen Teil ihres Berufslebens vorbereitet. Schreiben gilt - überspitzt formuliert nicht als beruflicher Bildungsinhalt. Wie wichtig die Fähigkeit, sich schriftlich ausdrücken zu können, ist, wird vielfach erst bewusst, wenn innere oder äußere Umstände uns daran hindern, sei es der abgestürzte Server, der uns das Schreiben von E-Mails verbietet, oder - im schlimmsten Fall - Unfalle und Krankheiten, wie z. B. Aphasien nach Schlaganfällen oder Gehirnschäden, die das Wissen um Textstrukturen, Konventionen oder Formulierungsalternativen blockieren. Gezielte Investitionen in schriftsprachliche Arbeitskompetenzen (als Teil der Aus-, Um- oder Weiterbildung) erfordern die Kenntnis der Spezifika des schriftlichen Handelns in beruflichen Kontexten, der Fähigkeiten, die verlangt werden, der Bedingungen, unter denen sich Schreibprozesse vollziehen, und vieles andere. Einsichten dieser Art unterstützen nicht nur den Erwerb entsprechender Kompetenzen, sondern sind auch in anderer Hinsicht hilfreich, z. B. für die Entwicklung von aufgaben- und rollenspezifischen Schreibwerkzeugen, Optimierungskonzepten und Bewemingskriterien (z. B. für Zwecke der Qualitatsbewertung). Der vorliegende Band will Schreiben am Arbeitsplatz als ein überaus interessantes wie facettenreiches Arbeitsgebiet für Theoretiker wie Praktiker vorstellen. Die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand erlaubt neue Modellierungen von Schreibprozessen, methodisch interessante Herausforderungen sowie Einsichten in soziale, kulturelle, kognitive und organisationale Prozesse und Welten. Die Beiträge des Bandes nähern sich dem Thema aus der Sicht verschiedener Disziplinen, insbesondere der Angewandten Linguistik. Zu Wort kommen nicht nur Forscher aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA, sondern auch Praktiker. Der Beitrag von Jakobs bietet einen Überblick über den Stand der Forschung. Er beschreibt Fragestellungen, Modelle und Methoden der Forschungsrichtung Writing at Work und geht auf ausgewählte Aspekte näher ein: den Zusammenhang von Beruf, Schreibertyp und -aufgabe, den Einfluss personaler Größen (Status, Rolle und Geschlecht) und organisationaler Rahmenbedingungen (Arbeitsplatz, -situation und -0rganisation) auf das Verfassen von Memos, Notizen, E-Mails und Dokumenten, die Organisation komplexer Schreibauf- Schreiben am Arbeitsplatz 9 gaben als iterativer, interaktiver Komplex von Planen, Formulieren, Feedback geben und verarbeiten, mediale und domänenspezifische Phänomene des Schreibens arn Arbeitsplatz U. a. m. Abschließend werden Forschungsdefizite benannt. Theoretische Defizite betreffen U. a. die Modellbildung und Untersuchungsmethodik. Zu den Defiziten gehören insbesondere empirische Studien, z. B. zu Schreibaufgaben wenig untersuchter Berufe (Krankenschwester, Lehrer, Polizist) etc., zur Spezifik beruflicher Textproduktionsprozesse, zu multikulturellen und interkulturellen Schreibaufgaben wie auch zur Bewältigung von Schreib(aufgab)en durch gering qualifizierte oder durch behinderte Mitarbeiter. Dem Überblick folgen Beiträge zu Schreibaufgaben in ausgewählten Berufsfeldern (Technische Dokumentation, Public Relations, Verwaltung, Medien, Wissenschaft) sowie zu Formen und Möglichkeiten des Erwerbs von Expertise in der Ausbildung bzw. im Berufsleben. Der Band schließt mit einem Beitrag zur Rehabilitation von Berufsausübenden mit aphasisch bedingten Schreibproblemen. I 1 Schreiben in Berufsfeldern Markus Nickl diskutiert den Einfluss der industriellen Arbeitsorganisation auf Prozesse der professionellen Textproduktion. Zentrale Tendenzen der Taylorisierung wie Modularisierung, Standardisierung und Automatisierung von Arbeitsvorgängen gelten heute zunehmend auch für berufliches Schreiben. Sie zeigen sich im extensiven Einsatz von Textbausteinen, halbautomatischer Texterzeugung oder etwa Verfahren wie Multi Publishing. Nickl benennt Kosten und Nutzen der Tendenz zur Industrialisierung des Schreibens, die verstärktes linguistisches Wissen und Können erfordert. Was Automatisierung des Schreibens im Einzelnen bedeutet, zeigt der Beitrag von Annely Rothkegel zur Modellierung beruflicher Schreibaufgaben für Zwecke der elektronisch gestützten Technischen Dokumentation. Das von ihr entwickelte Modell beschreibt das komplexe Ineinandergreifen von Sach-, Text- und Dokumentationswissen, das Aufgaben dieses Typs erfordern. Das von ihr vorgeschlagene Modell ist multifunktionell - es unterstützt als heuristisches Modell die Praxis der Dokumentation, als Basiskonzept die Entwicklung von Dokumentationswerkzeugen (Software) und als theoretisches Modell die Beschreibung und empirische Untersuchung daran gebundener Prozesse. Vasco Alexander Schmidt skizziert den Alltag, die Arbeitsaufgaben und Arbeitsprozesse der Technischen Dokumentation am Beispiel des Unternehmens SAP. Die Spezifik des Textproduktionsprozesses ergibt sich hier zum einen aus Merkmalen des Unternehmens (seiner Größe, Organisation und Kultur), zum anderen aus dem Gebrauch unternehmensspezifischer Schreibwerkzeuge und den zu dokumentierenden Gegenständen (z. B. Software für Financial Services). Die 10 Eva-Maria JakobsKatrin LehnenlKirsten Schindler genannten Faktoren verlangen nicht nur ein breites Wissen unterschiedlicher Art (z. B. technisches, fachliches, textsortenspezifisches Wissen), sondern auch die Fähigkeit, komplexe Projekte zu planen und zu realisieren. Technische Redakteure müssen im Verlauf des Dokumentationsprojektes mit Vertretern verschiedener Bereiche interagieren und zwischen Interessen, Perspektiven und Kulturen vermitteln können. Dies verlangt die Fähigkeit des Zuhörens, die Bereitschaft, sich auf andere Fachwelten einzulassen und die Kunst, komplexe Sachverhalte verständlich und nachvollziehbar für professionelle Kunden aufmbereiten. Die Orientierung am Adressaten bestimmt einen anderen wichtigen Bereich der Unternehmenskommunikation, die Kommunikation mit Partnern, Zulieferern und Kunden. Viele Firmen überlassen das Erstellen kundenbezogener Kommunikationsmittel (Broschüre, Website, Mailing, Messekatalog, Verkäuferhandbuch etc.) Textagenturen. Ria Bosserhox Leiterin einer solchen Agentur, beschreibt Textprojekte als komplexen Prozess eines interagierenden Teams von Managern, Textern, Layoutern und Grafikern, in dem mündliche und schriftliche Planungs-, Gestaltungs- und Abstimmungsprozesse ineinander greifen. Erfolgreiche Textproduktionsprozesse setzen elaborierte Bewertungs- und Kontrollkriterien voraus. Bosserhoff stellt zwei Hilfsmittel zur Überprüfung der inhaltlichen Konsistenz näher vor: die Methoden des Semantischen Netzwerkes und des Textbriefings. Der Trend zur Kundenorientierung setzt sich mehr und mehr auch in Verwaltungseinheiten durch. Helmut Ebert beschreibt Grundregeln des Schreibens in kundenorientierten Serviceeinheiten (hier: Stadtverwaltung). Serviceorientierung ist nicht durch Richtlinien und Verordnungen von oben erreichbar, sondern muss von den Mitarbeitern gelebt und realisiert werden. Er setzt einen Prozess des internen Umlemens der Organisation voraus wie auch die gemeinsame Verständigung auf neue Konzepte der schriftlichen Interaktion mit dem Kunden. Ebert hat einen solchen Prozess begleitet. Das Ergebnis sind Prinzipien für das Verfassen kundenorientierter Verwaltungstexte, die in ihren konzeptuellen Grundlagen beschrieben werden. Daniel Perrin greift einen anderen Bereich auf: Schreiben als Aufgabe von Journalisten. Die Entstehung journalistischer Meldungen wird als Teil komplexer Kommunikationsprozesse beschrieben. Nachrichten bewegen sich in einem eng verwobenen Netz von Zitationsprozessen: Journalisten greifen Meldungen der Agenturen auf und betten sie in neue Zusammenhänge ein, der entstehende Text wird wiederum von anderen aufgegriffen und bearbeitet. Der zu berichtende Tatbestand entwickelt im Verlauf der Darstellungsgenese ein Eigenleben, das sich mehr und mehr vom Ausgangspunkt entfernt. Perrin diskutiert, wie dabei ablaufende Ko- und Kontextualisierungsprozesse und ihre Auswirkungen auf das Produkt systematisch mit Methoden der Medienlinguistik erhoben, analysiert und dokumentiert werden können. Schreiben am Arbeitsplatz 11 Der Beitrag von Helga Kessler und Otto Kruse befasst sich mit Schreibaufgaben zwischen fach- und populärwissenschaftlicher Darstellung. Wissenschaftler unterliegen nicht nur einem permanenten fachlichen Rezeptions- und Publikationsgebot, zu ihren Aufgaben gehört zunehmend auch die Aufbereitung und Verbreitung von Forschungsergebnissen für andere Zielgruppen, etwa in der Aus- und Weiterbildung, für die Medien oder die interessierte Öffentlichkeit. Anhand von Interviews rekonstruieren Kessler und Kruse Kommunikationswelten und Schnittpunkte zwischen diesen, die dabei auftretenden Probleme und Anforderungen sowie die subjektiven Konzepte, die die popularisierende Aufarbeitung steuern. 2 Schreibkompetenz vermitteln Anne Beaufort hat in einer Langzeitstudie den Übergang zwischen Ausbildung und Beruf aus der Sicht der Schreibkarriere von vier Mitarbeitern einer NonProfit-Organisation verfolgt. Jeder dieser Mitarbeiter hat eine akademische Ausbildung, die Schreibkurse umfasst. Ungeachtet dessen haben alle erhebliche Probleme beim Bewältigen der in der Berufspraxis auf sie zukommenden Schreibaufgaben. Die Art der Probleme variiert je nach sozialem Kontext und Schreibaufgabe. Beaufort leitet aus der Problemanalyse ein Modell für die Bewältigung neuer kontextbezogener Schreibaufgaben ab. Kirsten Schindler diskutiert Möglichkeiten der Vermittlung beruflicher Schreibkompetenz im Studium am Beispiel adressatenorientierten Schreibens. Die Diskussion basiert auf empirischen Daten; in variierenden Settings simulieren Studierende verschiedener Fachrichtungen berufliche Schreibaufgaben. Die dabei auftretenden Probleme adressatenorientierten Formulierens sind zum Teil allgemeiner berufsfeldübergreifender, zum Teil domänenspezifischer Art und bewegen sich auf verschiedenen Ebenen: Die Vermittlung adressatenspezifischen beruflichen Schreibens verlangt neben Textsortenerfahrung die Kenntnis von Stil- und Bewertungsnormen. Die Studierenden müssen sich mit der Berufswelt vertraut machen, sich in Rollen und daran gebundene Erwartungen versetzen und Handlungsalternativen kennen lernen. Eine wesentliche Voraussetzung &r die erfolgreiche Bewältigung unbekannter Schreibaufgaben scheint die Fähigkeit und der Wille zu Perspektivwechseln wie auch die Fähigkeit, zwischen den Interessen verschiedener Parteien vermitteln zu können. Katrin Lehnen skizziert am Beispiel des Usability Testing ein Konzept zur Vermittlung berufsspezifischer Schreibkompetenzen in der Hochschullehre: Teams von Studierenden haben die Aufgabe, eine elektronische Anwendung (Website) anhand ausgewählter Methoden zu testen und Optimierungsvorschläge zu erarbeiten. Der Prozess wird durch vielfältige Schreibaktivitäten begleitet, die 12 Eva-Maria JakobstKatrin LehnenKirsten Schindler sich mit Blick auf Textmuster, Adressaten und Formulierungsprinzipien meist deutlich vom wissenschaftlichen Schreibprozess im Studium unterscheiden. Hinter der Aufgabe steht ein echter Auftraggeber, der ein reales Interesse an der Optimierung seines Produkts hat. Kemidee des Konzeptes ist es, Studierende anhand der Bearbeitung eines beruflichen Auftrags exemplarisch mit domänenspezifischen Schreibanforderungen vertraut zu machen und ihnen darüber hinaus ein Berufsfeld - das Usability Testing - zu erschließen. Häufig müssen Hinweise en Passant im Arbeitsprozess erworben werden, z. B. durch den Griff zu Sprachratgebem, die es inzwischen nicht nur in Buchform, sondem auch als elektronisch vefigbare Intemettexte oder als im Textverarbeitungsprogramm integrierte Hilfen (sogenannte Checker) gibt. Peter Handler diskutiert den Wert orientierender Gestaltungsregeln und -maximen aus der Sicht von Stilentscheidungen und -anweisungen f i r elektronisch vermittelte Kommunikation (E-Mail, Textverarbeitung, Web). Mit der breiten Etablierung neuer elektronischer Darstellungsmittel wächst naturgemäß der Bedarf nach Orientierung (Was ist erlaubt? Was ist gewünscht? Was ist anders?). Rechtschreibhilfe, Style- und Grammar-Checker versprechen häufig Rat und Unterstützung, halten dieses Versprechen aber nur bedingt ein. Der Band schließt mit einem Beitrag von Cornelia Czapla, der sich mit der Frage auseinandersetzt, welche Konsequenzen der Verlust schriftsprachlicher Ausdrucksfahigkeiten im Beruf hat, und wie er therapiert werden kann, um den Betroffenen den Weg zurück in die Berufswelt zu ermöglichen. Wir danken der Vereinigung der Freunde und Förderer der RWTH Aachen (PRO-RWTH) f i r die finanzielle Unterstützung der Drucklegung dieses Bandes. Writing at Work Fragen, Methoden und Perspektiven einer Forschungsrichtung Eva-Maria Jakobs Der Beitrag gibt einen Überblick zu den Fragestellungen, Methoden und Defiziten der Forschungsrichtung. In einem Inklusionsmodell werden relevante Aspekte des Schreibens im Beruf und seiner Rahmenbedingungen erfasst und im Anschluss ausgewählte Aspekte diskutiert: der Zusammenhang zwischen Beruf, Schreibertyp und -aufgabe, Status, Stellenwert und Umfang des Schreibens, Arbeitssituation bzw. -0rganisation sowie dem Textproduktionsprozess. Der Textproduktionsprozess komplexerer Organisationen wird beschrieben als document cycling undoder kooperatives Schreiben, das institutionelle Reviewprozesse einschließt. Ein anderer Schwerpunkt betrifft mediale Aspekte (IuK) sowie domänenspezifische Formen des Schreibens am Arbeitsplatz. Abschließend werden Forschungsfelder benannt. Der Aachener Forschungsschwerpunkt gilt dem Schreiben in technikbezogenen beruflichen Kontexten (Ingenieunvissenschaften). 1 Die Forschungsrichtung Writing at Work In der Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts etabliert sich die neue Forschungsrichtung des Writing at Work. Gegenstand dieser Richtung sind Schreibprozesse in beruflichen Kontexten, zu denen eine Vielzahl von Studien entsteht. Die Forschungsrichtung ist primär angloamerikanisch geprägt, in Deutschland finden sich eher wenige, über verschiedene Disziplinen verstreute Ansätze, Schreiben am Arbeitsplatz ist hier ein in Theorie und Praxis nach wie vor unterrepräsentierter, in seiner Bedeutung noch nicht erkannter Gegenstand. Symptomatisch ist der Forschungsüberblick von Wodak (1987) zum Thema Kommunikation in Institutionen: Der Handbuchartikel behandelt ausschließlich mündliche Formen der Interaktion, ergänzt durch fachsprachliche Aspekte institutionell relevanter Textsorten. Prozesse der schriftsprachlichen Kommunikation und ihrer Einbemng in den beruflichen Alltag werden dagegen ausgeblendet. Dies verwundert insofern, als - wie zu zeigen sein wird - Schreiben im Beruf genuiner Ausdruck institutionellen Handelns ist (vgl. dazu den Überblick in Pogner 1999,89-119).