Schreiben am

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Schreiben am
Schreiben - Medien - Beruf
Herausgegeben von
Eva-Maria Jakobs
Dagmar Knorr
Daniel Perrin
Schreiben gehört in allen Berufen zum Alltag, oft als Schlüsselqualifikation. Der Schreibanteil variiert je nach Beruf, Status und Aufgabe. Das inhaltliche Spektrum ist breit: Wer
schreibt, entwickelt Projekte, dokumentiert Arbeitsergebnisse, informiert Kollegen und
Kunden, erzeugt Entscheidungsgrundlagen, regelt Beziehungen. Geschrieben wird im Team
oder allein, per Hand oder am Computer, standardisiert oder kreativ, an verschiedenen Orten
und häufig unter Zeitdruck. Die Ergebnisse des Schreibprozesses werden gedruckt, elektronisch versandt, ins lnternet gestellt, übersetzt, archiviert - Schreiben zieht eine Spur. Die
Qualität der Produkte entscheidet über beruflichen Erfolg, Umsatzzahlen und Kundenresonanz.
Die Reihe „Schreiben - Medien - Beruf" fragt nach den Bezügen zwischen Schreibenden,
Schreibprozessen, Textprodukten und den komplexen Rahmenbedingungen beruflicher Textproduktion. Sie stellt aktuelle Forschung zum Schreiben am Arbeitsplatz zur Diskussion
und leistet Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis.
Eva-Maria Jakobs
Katrin Lehnen
Kirsten Schinder (Hrsg.)
Schreiben am
Arbeitsplatz
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Inhalt
Eva-Maria Jakobs/Katrin LehnerdKirsten Schindler
Schreiben am Arbeitsplatz. Überblick zu diesem Band ..............................
7
Eva-Maria Jakobs
Writing at Work. Fragen, Methoden und Perspektiven
einer Forschungsrichtung ............................................................................
13
Teil I: Schreiben in Berufsfeldern
Markus Nick1
Industrialisierung des Schreibens .......................................................... 43
Annely Rothkegel
Zur Modellierung von Schreibaufgaben .................................................... 57
Vasco-Alexander Schmidt
Technisches Schreiben bei SAP. Softwaredokumentation
für betriebswirtschaftliche Standardsoftware .............................................. 73
1. Auflage September 2005
Alle Rechte vorbehalten
O VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV ~achverlageGmbH, Wiesbaden 2005
I
Lektorat: Barbara Emig-Roller / Nadine Kinne
Der VS Verlag für Sozialwissenschaftenist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.
www.vs-verlag.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
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Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme. dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebungals frei zu betrachten
waren und daper von jedermann benutzt werden durften
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in China
-
Ria BosserhofS
Schreiben in der B2B-Kommunikation - über Kunden,
Zielgruppen und Bewertungskriterien. Vorgehensweisen
in der Schreibpraxis einer Werbeagentur .................................................... 93
Helmut Ebert
Schreiben in der Verwaltung. Konzeptskizze für ein
Theorie- und Praxishandbuch ............................................................... 109
Peter Handler
Stilanweisungen im Medienwandel .......................................................... 127
Daniel Perrin
Zwischen Vermittlung und Instrumentalisierung.
Die Rekontextualisierung im Mediendiskurs ..............................................153
Helga Kessler/Otto Kruse
Diskursfelder der Wissenschaftskommunikation ........................................ 179
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Inhalt
Teil 11: Schreibkompetenz vermitteln
Schreiben am Arbeitsplatz
Anne Beaufort
Adapting to New Writing Situations.
How Writers Gain New Skills .................................................................. 201
Überblick zu diesem Band
Kirsten Schindler
Studierende schreiben beruflich. Beobachtungen
einer empirischen Studie ....................................................................... 21 7
Katrin Lehnen
Vermittlung berufsbezogener Schreibkompetenzen
im Studium. Am Beispiel des ,Usability Testing' ...................................... 235
Cornelia Czapla
Berufliches Schreiben bei Aphasie.
Theorie- und Therapiedefizite ................................................................. 25 1
Angaben zu den Autoren ....................................................................... 269
Eva-Mavia Jakobs/Katvin Lehnen/Kivsten Schindlev
Wer als Ingenieur in der Industrie erfolgreich sein will, muss kommunizieren können, sowohl mündlich als auch schriftlich. Ingenieure in allen Bereichen müssen
ihre Arbeit dokumentieren - für den Vorgesetzten, für den Kunden, den Geldgeber
oder die Scientific Community. Sie müssen verständlich, prägnant und überzeugend
vermitteln können, warum sie und ihre Arbeit gebraucht werden. Wem das nicht
bewusst ist, wer keine ausreichende Kompetenz in der schriftlichen Ausdrucksfahigkeit mitbringt, ist auf lange Sicht für ein Unternehmen nicht interessant.
(Hochschullehrer, Elektrotechnik)
Das Zitat beschreibt einen wichtigen Aspekt der Arbeitswelt - die Notwendigkeit zu kommunizieren. In Theorie und Praxis wird Kommunikation meist auf
mündliche Situationen bezogen wie Präsentieren, Verhandeln, Absprachen treffen. Dabei wird übersehen, dass im Berufsalltag viele Situationen schriftlich zu
bewältigen sind. Schreiben gehört zum Alltag vieler, wenn nicht der meisten
Berufe und Arbeitskontexte. In einigen Berufen ist es eine zentrale Aufgabe, so
z. B. im Falle von Journalisten, Textern, Technischen Redakteuren und Juristen.
In anderen Arbeitskontexten wird es als eine der „eigentlichen6' Arbeit nachgeordnete Tätigkeit gesehen, so z. B. im Falle von Ärzten, Ingenieuren und Lehrern. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber auch hier, dass insgesamt erstaunlich viel geschrieben wird.
Elektronische Arbeitsmittel wie E-Mail, Textverarbeitung, MultipublishingSoftware, Internet und Intranet haben zu einer Renaissance des Schreibens
geführt. Arbeitsaufgaben, die traditionell bevorzugt mündlich oder telefonisch
erledigt werden (Anweisungen, Absprachen, Vereinbarungen), werden heute
zunehmend schriftlich gelöst, dokumentiert oder ratifiziert. Mit dem Übergang
der Industrie zur Informations- bzw. Wissensgesellschaft gewinnt Kommunikation als Wirtschaftsfaktor an Bedeutung. Die Produktdokumentation wird ähnlich
wichtig wie das Produkt selbst, Wissensvermittlung erfolgt nach wie vor primär
textbasiert, die Anzahl verfügbarer Kommunikationskanäle nimmt zu (und damit
das Problem ihrer Abstimmung). Der schriftliche Anteil wächst mit der Standardisiemng bestimmter Arbeitsprozesse (Bsp.: Beschwerde- und Service-Kommu-
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Eva-Maria JakobsKatrin LehnenKirsten Schindler
nikation) sowie ihrer Kontrolle (z. B. die Beschreibung und Regelung von ArbeitsProzessen als Teil des Qualitätsmanagement); schriftlich Festgehaltenes dient
nicht nur der Kommunikation oder der Dokumentation von Inhalten, sondern
zunehmend auch der juristischen Absicherung der Betroffenen, der Organisation
und Koordination von Arbeitsprozessen sowie der Beziehungsgestaltung zu
Kunden, Partnern und Kollegen.
Schriftsprachliche Ausdrucksfahigkeiten entscheiden häufig über Berufsund Karrierechancen - in den wenigsten Fällen werden Berufsausübende auf
diesen Teil ihres Berufslebens vorbereitet. Schreiben gilt - überspitzt formuliert nicht als beruflicher Bildungsinhalt. Wie wichtig die Fähigkeit, sich schriftlich
ausdrücken zu können, ist, wird vielfach erst bewusst, wenn innere oder äußere
Umstände uns daran hindern, sei es der abgestürzte Server, der uns das Schreiben
von E-Mails verbietet, oder - im schlimmsten Fall - Unfalle und Krankheiten,
wie z. B. Aphasien nach Schlaganfällen oder Gehirnschäden, die das Wissen um
Textstrukturen, Konventionen oder Formulierungsalternativen blockieren.
Gezielte Investitionen in schriftsprachliche Arbeitskompetenzen (als Teil
der Aus-, Um- oder Weiterbildung) erfordern die Kenntnis der Spezifika des
schriftlichen Handelns in beruflichen Kontexten, der Fähigkeiten, die verlangt
werden, der Bedingungen, unter denen sich Schreibprozesse vollziehen, und
vieles andere. Einsichten dieser Art unterstützen nicht nur den Erwerb entsprechender Kompetenzen, sondern sind auch in anderer Hinsicht hilfreich, z. B. für
die Entwicklung von aufgaben- und rollenspezifischen Schreibwerkzeugen,
Optimierungskonzepten und Bewemingskriterien (z. B. für Zwecke der Qualitatsbewertung).
Der vorliegende Band will Schreiben am Arbeitsplatz als ein überaus interessantes wie facettenreiches Arbeitsgebiet für Theoretiker wie Praktiker vorstellen. Die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand erlaubt neue Modellierungen
von Schreibprozessen, methodisch interessante Herausforderungen sowie Einsichten in soziale, kulturelle, kognitive und organisationale Prozesse und Welten.
Die Beiträge des Bandes nähern sich dem Thema aus der Sicht verschiedener
Disziplinen, insbesondere der Angewandten Linguistik. Zu Wort kommen nicht
nur Forscher aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA, sondern
auch Praktiker.
Der Beitrag von Jakobs bietet einen Überblick über den Stand der Forschung. Er beschreibt Fragestellungen, Modelle und Methoden der Forschungsrichtung Writing at Work und geht auf ausgewählte Aspekte näher ein: den
Zusammenhang von Beruf, Schreibertyp und -aufgabe, den Einfluss personaler
Größen (Status, Rolle und Geschlecht) und organisationaler Rahmenbedingungen (Arbeitsplatz, -situation und -0rganisation) auf das Verfassen von Memos,
Notizen, E-Mails und Dokumenten, die Organisation komplexer Schreibauf-
Schreiben am Arbeitsplatz
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gaben als iterativer, interaktiver Komplex von Planen, Formulieren, Feedback
geben und verarbeiten, mediale und domänenspezifische Phänomene des Schreibens arn Arbeitsplatz U. a. m. Abschließend werden Forschungsdefizite benannt.
Theoretische Defizite betreffen U. a. die Modellbildung und Untersuchungsmethodik. Zu den Defiziten gehören insbesondere empirische Studien, z. B. zu
Schreibaufgaben wenig untersuchter Berufe (Krankenschwester, Lehrer, Polizist)
etc., zur Spezifik beruflicher Textproduktionsprozesse, zu multikulturellen und
interkulturellen Schreibaufgaben wie auch zur Bewältigung von Schreib(aufgab)en
durch gering qualifizierte oder durch behinderte Mitarbeiter.
Dem Überblick folgen Beiträge zu Schreibaufgaben in ausgewählten Berufsfeldern (Technische Dokumentation, Public Relations, Verwaltung, Medien,
Wissenschaft) sowie zu Formen und Möglichkeiten des Erwerbs von Expertise
in der Ausbildung bzw. im Berufsleben. Der Band schließt mit einem Beitrag zur
Rehabilitation von Berufsausübenden mit aphasisch bedingten Schreibproblemen.
I
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Schreiben in Berufsfeldern
Markus Nickl diskutiert den Einfluss der industriellen Arbeitsorganisation auf
Prozesse der professionellen Textproduktion. Zentrale Tendenzen der Taylorisierung
wie Modularisierung, Standardisierung und Automatisierung von Arbeitsvorgängen gelten heute zunehmend auch für berufliches Schreiben. Sie zeigen sich
im extensiven Einsatz von Textbausteinen, halbautomatischer Texterzeugung
oder etwa Verfahren wie Multi Publishing. Nickl benennt Kosten und Nutzen der
Tendenz zur Industrialisierung des Schreibens, die verstärktes linguistisches
Wissen und Können erfordert.
Was Automatisierung des Schreibens im Einzelnen bedeutet, zeigt der Beitrag
von Annely Rothkegel zur Modellierung beruflicher Schreibaufgaben für Zwecke
der elektronisch gestützten Technischen Dokumentation. Das von ihr entwickelte
Modell beschreibt das komplexe Ineinandergreifen von Sach-, Text- und Dokumentationswissen, das Aufgaben dieses Typs erfordern. Das von ihr vorgeschlagene
Modell ist multifunktionell - es unterstützt als heuristisches Modell die Praxis
der Dokumentation, als Basiskonzept die Entwicklung von Dokumentationswerkzeugen (Software) und als theoretisches Modell die Beschreibung und
empirische Untersuchung daran gebundener Prozesse.
Vasco Alexander Schmidt skizziert den Alltag, die Arbeitsaufgaben und
Arbeitsprozesse der Technischen Dokumentation am Beispiel des Unternehmens
SAP. Die Spezifik des Textproduktionsprozesses ergibt sich hier zum einen aus
Merkmalen des Unternehmens (seiner Größe, Organisation und Kultur), zum
anderen aus dem Gebrauch unternehmensspezifischer Schreibwerkzeuge und den
zu dokumentierenden Gegenständen (z. B. Software für Financial Services). Die
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Eva-Maria JakobsKatrin LehnenlKirsten Schindler
genannten Faktoren verlangen nicht nur ein breites Wissen unterschiedlicher Art
(z. B. technisches, fachliches, textsortenspezifisches Wissen), sondern auch die
Fähigkeit, komplexe Projekte zu planen und zu realisieren. Technische Redakteure müssen im Verlauf des Dokumentationsprojektes mit Vertretern verschiedener Bereiche interagieren und zwischen Interessen, Perspektiven und Kulturen
vermitteln können. Dies verlangt die Fähigkeit des Zuhörens, die Bereitschaft,
sich auf andere Fachwelten einzulassen und die Kunst, komplexe Sachverhalte
verständlich und nachvollziehbar für professionelle Kunden aufmbereiten.
Die Orientierung am Adressaten bestimmt einen anderen wichtigen Bereich
der Unternehmenskommunikation, die Kommunikation mit Partnern, Zulieferern
und Kunden. Viele Firmen überlassen das Erstellen kundenbezogener Kommunikationsmittel (Broschüre, Website, Mailing, Messekatalog, Verkäuferhandbuch
etc.) Textagenturen. Ria Bosserhox Leiterin einer solchen Agentur, beschreibt
Textprojekte als komplexen Prozess eines interagierenden Teams von Managern,
Textern, Layoutern und Grafikern, in dem mündliche und schriftliche Planungs-,
Gestaltungs- und Abstimmungsprozesse ineinander greifen. Erfolgreiche Textproduktionsprozesse setzen elaborierte Bewertungs- und Kontrollkriterien voraus.
Bosserhoff stellt zwei Hilfsmittel zur Überprüfung der inhaltlichen Konsistenz
näher vor: die Methoden des Semantischen Netzwerkes und des Textbriefings.
Der Trend zur Kundenorientierung setzt sich mehr und mehr auch in Verwaltungseinheiten durch. Helmut Ebert beschreibt Grundregeln des Schreibens
in kundenorientierten Serviceeinheiten (hier: Stadtverwaltung). Serviceorientierung ist nicht durch Richtlinien und Verordnungen von oben erreichbar, sondern
muss von den Mitarbeitern gelebt und realisiert werden. Er setzt einen Prozess
des internen Umlemens der Organisation voraus wie auch die gemeinsame
Verständigung auf neue Konzepte der schriftlichen Interaktion mit dem Kunden.
Ebert hat einen solchen Prozess begleitet. Das Ergebnis sind Prinzipien für das
Verfassen kundenorientierter Verwaltungstexte, die in ihren konzeptuellen
Grundlagen beschrieben werden.
Daniel Perrin greift einen anderen Bereich auf: Schreiben als Aufgabe von
Journalisten. Die Entstehung journalistischer Meldungen wird als Teil komplexer
Kommunikationsprozesse beschrieben. Nachrichten bewegen sich in einem eng
verwobenen Netz von Zitationsprozessen: Journalisten greifen Meldungen der
Agenturen auf und betten sie in neue Zusammenhänge ein, der entstehende Text
wird wiederum von anderen aufgegriffen und bearbeitet. Der zu berichtende
Tatbestand entwickelt im Verlauf der Darstellungsgenese ein Eigenleben, das
sich mehr und mehr vom Ausgangspunkt entfernt. Perrin diskutiert, wie dabei
ablaufende Ko- und Kontextualisierungsprozesse und ihre Auswirkungen auf das
Produkt systematisch mit Methoden der Medienlinguistik erhoben, analysiert
und dokumentiert werden können.
Schreiben am Arbeitsplatz
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Der Beitrag von Helga Kessler und Otto Kruse befasst sich mit Schreibaufgaben
zwischen fach- und populärwissenschaftlicher Darstellung. Wissenschaftler
unterliegen nicht nur einem permanenten fachlichen Rezeptions- und Publikationsgebot, zu ihren Aufgaben gehört zunehmend auch die Aufbereitung und
Verbreitung von Forschungsergebnissen für andere Zielgruppen, etwa in der
Aus- und Weiterbildung, für die Medien oder die interessierte Öffentlichkeit.
Anhand von Interviews rekonstruieren Kessler und Kruse Kommunikationswelten und Schnittpunkte zwischen diesen, die dabei auftretenden Probleme und
Anforderungen sowie die subjektiven Konzepte, die die popularisierende Aufarbeitung steuern.
2
Schreibkompetenz vermitteln
Anne Beaufort hat in einer Langzeitstudie den Übergang zwischen Ausbildung
und Beruf aus der Sicht der Schreibkarriere von vier Mitarbeitern einer NonProfit-Organisation verfolgt. Jeder dieser Mitarbeiter hat eine akademische Ausbildung, die Schreibkurse umfasst. Ungeachtet dessen haben alle erhebliche
Probleme beim Bewältigen der in der Berufspraxis auf sie zukommenden
Schreibaufgaben. Die Art der Probleme variiert je nach sozialem Kontext und
Schreibaufgabe. Beaufort leitet aus der Problemanalyse ein Modell für die
Bewältigung neuer kontextbezogener Schreibaufgaben ab.
Kirsten Schindler diskutiert Möglichkeiten der Vermittlung beruflicher
Schreibkompetenz im Studium am Beispiel adressatenorientierten Schreibens.
Die Diskussion basiert auf empirischen Daten; in variierenden Settings simulieren Studierende verschiedener Fachrichtungen berufliche Schreibaufgaben. Die
dabei auftretenden Probleme adressatenorientierten Formulierens sind zum Teil
allgemeiner berufsfeldübergreifender, zum Teil domänenspezifischer Art und
bewegen sich auf verschiedenen Ebenen: Die Vermittlung adressatenspezifischen beruflichen Schreibens verlangt neben Textsortenerfahrung die Kenntnis
von Stil- und Bewertungsnormen. Die Studierenden müssen sich mit der
Berufswelt vertraut machen, sich in Rollen und daran gebundene Erwartungen
versetzen und Handlungsalternativen kennen lernen. Eine wesentliche Voraussetzung &r die erfolgreiche Bewältigung unbekannter Schreibaufgaben scheint die
Fähigkeit und der Wille zu Perspektivwechseln wie auch die Fähigkeit, zwischen
den Interessen verschiedener Parteien vermitteln zu können.
Katrin Lehnen skizziert am Beispiel des Usability Testing ein Konzept zur
Vermittlung berufsspezifischer Schreibkompetenzen in der Hochschullehre:
Teams von Studierenden haben die Aufgabe, eine elektronische Anwendung
(Website) anhand ausgewählter Methoden zu testen und Optimierungsvorschläge
zu erarbeiten. Der Prozess wird durch vielfältige Schreibaktivitäten begleitet, die
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Eva-Maria JakobstKatrin LehnenKirsten Schindler
sich mit Blick auf Textmuster, Adressaten und Formulierungsprinzipien meist
deutlich vom wissenschaftlichen Schreibprozess im Studium unterscheiden.
Hinter der Aufgabe steht ein echter Auftraggeber, der ein reales Interesse an der
Optimierung seines Produkts hat. Kemidee des Konzeptes ist es, Studierende
anhand der Bearbeitung eines beruflichen Auftrags exemplarisch mit domänenspezifischen Schreibanforderungen vertraut zu machen und ihnen darüber hinaus
ein Berufsfeld - das Usability Testing - zu erschließen.
Häufig müssen Hinweise en Passant im Arbeitsprozess erworben werden,
z. B. durch den Griff zu Sprachratgebem, die es inzwischen nicht nur in Buchform, sondem auch als elektronisch vefigbare Intemettexte oder als im Textverarbeitungsprogramm integrierte Hilfen (sogenannte Checker) gibt. Peter
Handler diskutiert den Wert orientierender Gestaltungsregeln und -maximen aus
der Sicht von Stilentscheidungen und -anweisungen f i r elektronisch vermittelte
Kommunikation (E-Mail, Textverarbeitung, Web). Mit der breiten Etablierung
neuer elektronischer Darstellungsmittel wächst naturgemäß der Bedarf nach
Orientierung (Was ist erlaubt? Was ist gewünscht? Was ist anders?). Rechtschreibhilfe, Style- und Grammar-Checker versprechen häufig Rat und Unterstützung, halten dieses Versprechen aber nur bedingt ein.
Der Band schließt mit einem Beitrag von Cornelia Czapla, der sich mit der
Frage auseinandersetzt, welche Konsequenzen der Verlust schriftsprachlicher
Ausdrucksfahigkeiten im Beruf hat, und wie er therapiert werden kann, um den
Betroffenen den Weg zurück in die Berufswelt zu ermöglichen.
Wir danken der Vereinigung der Freunde und Förderer der RWTH Aachen
(PRO-RWTH) f i r die finanzielle Unterstützung der Drucklegung dieses Bandes.
Writing at Work
Fragen, Methoden und Perspektiven einer Forschungsrichtung
Eva-Maria Jakobs
Der Beitrag gibt einen Überblick zu den Fragestellungen, Methoden und Defiziten
der Forschungsrichtung. In einem Inklusionsmodell werden relevante Aspekte des
Schreibens im Beruf und seiner Rahmenbedingungen erfasst und im Anschluss ausgewählte Aspekte diskutiert: der Zusammenhang zwischen Beruf, Schreibertyp und
-aufgabe, Status, Stellenwert und Umfang des Schreibens, Arbeitssituation bzw.
-0rganisation sowie dem Textproduktionsprozess. Der Textproduktionsprozess
komplexerer Organisationen wird beschrieben als document cycling undoder kooperatives Schreiben, das institutionelle Reviewprozesse einschließt. Ein anderer
Schwerpunkt betrifft mediale Aspekte (IuK) sowie domänenspezifische Formen des
Schreibens am Arbeitsplatz. Abschließend werden Forschungsfelder benannt. Der
Aachener Forschungsschwerpunkt gilt dem Schreiben in technikbezogenen beruflichen Kontexten (Ingenieunvissenschaften).
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Die Forschungsrichtung Writing at Work
In der Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts etabliert sich die neue
Forschungsrichtung des Writing at Work. Gegenstand dieser Richtung sind
Schreibprozesse in beruflichen Kontexten, zu denen eine Vielzahl von Studien
entsteht. Die Forschungsrichtung ist primär angloamerikanisch geprägt, in
Deutschland finden sich eher wenige, über verschiedene Disziplinen verstreute
Ansätze, Schreiben am Arbeitsplatz ist hier ein in Theorie und Praxis nach wie
vor unterrepräsentierter, in seiner Bedeutung noch nicht erkannter Gegenstand.
Symptomatisch ist der Forschungsüberblick von Wodak (1987) zum Thema
Kommunikation in Institutionen: Der Handbuchartikel behandelt ausschließlich
mündliche Formen der Interaktion, ergänzt durch fachsprachliche Aspekte institutionell relevanter Textsorten. Prozesse der schriftsprachlichen Kommunikation
und ihrer Einbemng in den beruflichen Alltag werden dagegen ausgeblendet.
Dies verwundert insofern, als - wie zu zeigen sein wird - Schreiben im Beruf
genuiner Ausdruck institutionellen Handelns ist (vgl. dazu den Überblick in
Pogner 1999,89-119).