Intelligenter Strom
Transcription
Intelligenter Strom
U N T E R NEH M EN & M Ä R K T E „Smarte“ Energieversorgung nach Fukushima Aktuell befürwortet die Mehrheit der japanischen Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomkraft. Damit Japan seine Klimaschutzziele erreicht, müssen erneuerbare Energien, „intelligente Netze“ und Elektromobilität massiv ausgebaut werden. enn es nach den Vorstellungen des zurückgetretenen Premierministers gegangen wäre, hätten die ursprünglichen Pläne für einen Ausbau der Atomenergie bis 2030 auf mehr als 50 Prozent des Bedarfs als hinfällig aufgegeben und die Energiepolitik grundlegend überdacht werden sollen. Kan forderte die langfristige Abkehr von der Atomkraft und wollte dafür den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 von derzeit 9 auf 20 Prozent erhöhen. Ein wichtiges Gesetz dafür – den Einspeisetarif für Strom aus erneuerbaren Energieträgern - brachte er kurz vor seinem Rücktritt noch durchs Parlament. • • Von Peter Beck und Johanna Schilling W • Doch die Ausrichtung der japanischen Energiepolitik ist nach dem Kabinettswechsel wieder offen. Der neue Regierungschef hat sich zu Energiefragen bisher nur zurückhaltend geäußert. Obwohl 70 Prozent der japanischen Bevölkerung den Atomausstieg befürworten, ist also noch unsicher, welche Rolle zukünftig die Kernkraft spielen wird und welche Priorität der Ausbau alternativer Energien einnimmt. Abgesehen von der Kernkraft scheint immerhin Einigkeit bei den folgenden Zielen zu bestehen, die bis 2030 einen fundamentalen Wechsel in der Energieversorgung und -nachfrage anstreben: Erhöhung der Unabhängigkeit von Energieimporten von derzeit 38 auf 70 Prozent Erhöhung des Anteils der weitgehend emissionsfreien Energieerzeugung von derzeit 34 auf 70 Prozent. Verringerung der CO2-Emissionen im Wohnbereich um 50 Prozent Die Big Player der Energiewirtschaft wie TEPCO und andere Versorger, aber auch Industrieunternehmen wie Toshiba, Hitachi und Mitsubishi Heavy, müssen sich vor diesem Hintergrund auf grundsätzlich neue Gegebenheiten einstellen. Neue Betätigungsfelder für die Unternehmen bieten „intelligente“ Stromnetze (smart grids) und als eine Erweiterung davon der Aufbau so genannter smart communities. Intelligente Versorgungsnetze Der Aufbau von smart communities wird als ein wichtiger Baustein gesehen, um die bevorstehenden immensen Herausforderungen der japanischen Energiewirtschaft auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung zu lösen. Hinter dem in Japan geprägten Schlagwort verbergen sich regionale Versorgungsnetze, in denen Strom aus erneuerbaren Kyoto Keihanna Bezirk Yokohama Partner: Kyoto-Präfektur, Kansai Electric Power, Osaka Gas, Kansai Science City, Universität Kyoto. Ziel: Senkung des CO2-Ausstoßes von Privathaushalten um 20% Senkung des Verkehrsaufkommens um 30% (von 2005 an) Maßnahmen: • Installation von Solaranlagen in 1.000 Haushalten • E-Car-Sharing-System • Organisation von Brennstoff- und Solarzellen in einem Netz – (Visualisierung des Bedarfs) • Verleihung von „Kyoto eco-points“ bei Nutzung grüner Energien Partner: Stadt Yokohama, Toshiba, Panasonic, Meidensha, Nissan, Accenture u.a. Ziel: Senkung des CO2-Ausstoßes um 30% bis 2025 (von 2004 an) Maßnahmen: • Integrierte Energiemanagement-Systeme von Gebäuden und Haushalten • Solarenergieleistung von mindestens 27.000 kW • Nutzung von Abwärme u.a. • 4.000 „Smart Houses“, 2.000 Elektroautos Toyota Kitakyushu Partner: Stadt Kitakyushu, Fuji Electronic Systems, GE, IBM, Nippon Steel Ziel: Senkung des CO2-Ausstoßes um 50% (von 2005 an) Maßnahmen: • Echtzeit-Energiemanagement von 70 Unternehmen und 200 Haushalten • Integrierte Energiemanagement-Systeme von Gebäuden und Haushalten, die den individuellen Bedarf mit dem Gesamtnetz koordinieren 1 Smart Communities: Vier offizielle Demonstrationsprojekte 28 J A PA N M A R K T S E P TEMBER 2 0 1 1 Partner: Stadt Toyota, Toyota Motors, Chubu Electric Power, Toho Gas, Toshiba, Mitsubishi Heavy Industries, Denso, Sharp, Fujitsu, Dream Incubator u.a. Ziel: Senkung des CO2-Ausstoßes von Privathaushalten um 20%, Senkung des Verkehrsaufkommens um 40% Maßnahmen: • Nutzung von Abwärme u.a. • Bedarfsüberwachung von mehr als 70 Haushalten 3.100 Elektroautos Ryuichi Kino 1 Ladestation auf den Goto-Inseln mit einem Mitsubishi i-MiEV Quellen, Energiespeicher und Niedrigoder Null-Energiehäusern über ein intelligentes Management-System gesteuert werden. Neben der Stromerzeugung aus Sonne oder Wind, der Energiespeicherung und der Einbindung sowie Nutzung von Elektrofahrzeugen gehören auch eine intelligente und energieemissionsfreie Gebäudestruktur und ein intelligentes und faires Gebührensystem zur Ladung von Elektrofahrzeugen sowie der Einspeisung von überschüssigem Strom zu dem Konzept. In vier Regionen Japans werden derzeit solche intelligenten Netze beispielsweise mit Einsatz von geclusterten Photovoltaikanlagen und Elektroautos als Speichermedium erprobt (siehe Grafik). Um Projekte zur Realisierung von smart communities in Japan weiter voranzutreiben, wurde 2010 unter der Leitung der NEDO die Japan Smart Community Alliance gegründet. Mehr als 600 Unternehmen aus den Bereichen der Energieversorgung, Automobilindustrie, Kommunikation, IT und Maschinenbau sowie öffentliche Institutionen und Forschungseinrichtungen sind hier mittlerweile miteinander vernetzt. Aufgabe dieser Organisation ist es unter anderem, auf internationaler Ebene die Standardisierung von Technologien im Rahmen der smart grids voranzutreiben und sich gezielt auch in ähnliche Modellregionen im Ausland einzubringen und Projekte zu initiieren. Elektrofahrzeuge als ein Baustein Ein Baustein innerhalb von smart communities und intelligenten Stromnetzten sind Elektrofahrzeuge – zum einen zur Minderung des CO2-Ausstoßes, zum anderen als Speichermedium. Nach Plä- nen der Regierung sollen im Jahr 2020 bereits 80 Prozent der neugekauften Autos Hybridautos, Elektroautos oder Plug-in-Fahrzeuge sein. Experten erwarten, dass auf Japans Straßen im Jahr 2020 etwa jedes fünfte Auto en Fahrzeug der „nächsten Generation“ sein wird, 2030 etwa 30 bis 40 Prozent. Die japanische Regierung hat sich sogar für 2020 einen Anteil der neuen Fahrzeuggeneration von 20 bis 50 Prozent und für 2030 von 50 bis 70 Prozent als Ziel gesetzt. Entsprechende Förderprogramme sind aufgelegt worden. Im Mittelpunkt der F&E-Aktivitäten steht dabei unter anderem die Batterie. So stehen laut Angaben von Germany Trade & Invest für ein Vorhaben zur Entwicklung von Hochleistungsspeichersystemen für Autos der nächsten Generation im Fiskaljahr 2011/12 knapp 2,5 Milliarden Yen zur Verfügung. Auch in die Infrastruktur investiert die öffentliche Hand: bis 2020 sollen Japan-weit zwei Millionen normale Ladestationen für zu Hause oder am Arbeitsplatz sowie 5.000 Schnellladesysteme eingerichtet werden. Als Käufer werden hier Kommunen gesehen, die reine Elektro- und Plug-in-Fahrzeuge als Leihwagen zur Verfügung stellen. Best Practice-Beispiele hierzu gibt es schon: so nutzt die Stadt Kyoto Elektro- autos für touristische Stadtrundfahrten zu Tempeln und Schreinen, an denen die Fahrzeuge wieder „betankt“ werden können. 220 Nissan Leafs sind bei Autovermietern auf Okinawa im Einsatz, um das dortige Tourismus-Projekt zu unterstützen. Jährlich zieht Okinawa etwa sechs Millionen Besucher an, von denen etwa die Hälfte Mietwagen nutzen. Auf den Goto-Inseln in der südjapanischen Präfektur Nagasaki fahren ebenfalls mehr als 100 Elektroautos, um Touristen zu den Attraktionen der Inseln zu befördern (siehe Bild). Bis 2013 will die Präfektur Nagasaki 500 Elektrofahrzeuge und sogenannte Plug-In-Hybridfahrzeuge einführen sowie 500 Ladestationen mit 200 V und eine ausreichende Anzahl an Schnellladestationen zu errichten. An der Schnittstelle zu den smart communities arbeiten die Automobilhersteller und IT-Unternehmen zusammen: Anfang April 2011 gaben Toyota und Microsoft bekannt, gemeinsam eine Software für die Integration von Plugin-Hybridautos in so gennannten smart homes zu entwickeln. Die Software soll den Stromfluss zwischen Häusern und Plug-in-Hybridautos effizient kontrollieren. Toyota plant, ab 2012 Plug-inHybride auf den Markt zu bringen, die mit Hilfe dieser Technologie automatisch zuhause aufgeladen werden können. n Umweltdialogforum in Tokyo Energiemanagementsysteme, neue Speichertechnologien und die Integration der Elektromobilität in "smart communities" sind Themen des vierten Umweltdialogforums am 17. und 18. November 2011 in Tokyo. www.ecos.eu/udf2011.html Peter Beck ist Geschäftsführer von ECOS Japan Consult. E-Mail: [email protected] Johanna Schilling ist Prokuristin und Projektmanagerin bei ECOS Japan Consult. E-Mail: [email protected] S E P TEMBER 2 0 1 1 J A PA N M A R K T 29