Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme

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Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 14 /
14. Wahlperiode
15. 02. 2010
5900
Antrag
der Abg. Veronika Netzhammer u. a. CDU
und
Stellungnahme
des Wirtschaftsministeriums
Factory Outlet Center in Wigoltingen/Schweiz
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. wie das Wirtschaftsministerium die Haltung des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee, das Factory Outlet Center in Wigoltingen/Schweiz sei
nicht genehmigungsfähig, bewertet;
2. wie man mit Blick auf mehr Verkehr, Schwächung der Innenstädte und
stärkerer Umweltbelastung der Standortwahl entgegentreten kann;
3. wie sich der Gestaltungsplan des Factory Outlet Centers auf die Versorgungsstrukturen der deutschen Städte am Hochrhein-Bodensee auswirkt;
4. wie das schutzwürdige Interesse der Region Hochrhein-Bodensee im Rahmen
des Raumordnungsrechts gegenüber dem Kanton Thurgau eingefordert
werden kann;
5. welche Kriterien oder Planungsgrundsätze beim Bau von Einkaufszentren
in der Schweiz zugrunde liegen;
6. welche Einspruchsmöglichkeiten generell bestehen;
7. welche Möglichkeiten sie hat, in dieser Angelegenheit tätig zu werden.
09. 02. 2010
Netzhammer, Schwehr, Schütz, Hoffmann, Lusche CDU
Eingegangen: 15. 02. 2010 / Ausgegeben: 12. 03. 2010
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
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Begründung
Im Schweizer Ort Wigoltingen soll ein überdimensionaler Fabrikverkauf, ein
sogenanntes Factory Outlet Center, auf rund 30.000 Quadratmetern gebaut
werden. Die Pläne stoßen in vielen Städten und Gemeinden in der Region
Hochrhein-Bodensee auf Widerstand, da mit negativen Auswirkungen auf
den Einzelhandel gerechnet wird. Der Investor zielt dabei ohne Zweifel auch
auf die Kaufkraft aus Deutschland ab.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 8. März 2010 Nr. 5–2400.17/182 nimmt das Wirtschaftsministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. wie das Wirtschaftsministerium die Haltung des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee, das Factory Outlet Center in Wigoltingen/Schweiz sei
nicht genehmigungsfähig, bewertet;
2. wie man mit Blick auf mehr Verkehr, Schwächung der Innenstädte und
stärkerer Umweltbelastung der Standortwahl entgegentreten kann;
Nach dem Kenntnisstand des Wirtschaftsministeriums wurde der mit einem
deutschen Bebauungsplan vergleichbare Gestaltungsplan „Fashion Outlet
Edelreich“ der Gemeinden Wigoltingen und Müllheim bereits auf kantonaler
Ebene einer Vorprüfung unterzogen. Diese hat offenbar die grundsätzliche
Zulässigkeit des Vorhabens ergeben.
Der Regionalverband Hochrhein-Bodensee hat gegenüber der Gemeinde
Wigoltingen eine Stellungnahme zu dem Vorhaben abgegeben. Er vertritt
darin die Auffassung, dass das Vorhaben mit dem kantonalen Richtplan des
Kantons Thurgau nicht vereinbar sei, überdies hält er noch einige Fragen für
klärungsbedürftig.
Die Landesregierung enthält sich einer Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens nach Schweizer Recht. Sie ist der Auffassung, dass die
Stellungnahme des Regionalverbands es den für das Verfahren zuständigen
Schweizer Behörden ermöglicht, eine umfassende und fundierte Entscheidung
zu treffen.
Nach Ansicht der Landesregierung sprechen nachvollziehbare Gründe gegen
die Ansiedlung eines Factory Outlet Centers der geplanten Größenordnung in
einer Gemeinde wie Wigoltingen. Dazu gehören die verkehrlichen Probleme,
die damit einhergehenden Umweltbelastungen sowie die Gefährdung des
Einzelhandels in den Innenstädten mit der Konsequenz einer Schwächung
der Zentren. Diese Auswirkungen betreffen unterschiedslos deutsche wie
Schweizer Städte und Gemeinden im Einzugsbereich des Factory Outlet
Centers. Daher wird es im weiteren Dialog mit dem Kanton Thurgau auch
darauf ankommen, diese Argumente nochmals mit Nachdruck darzulegen.
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In Baden-Württemberg sind gemäß Landesentwicklungsplan (LEP) 2002
Factory Outlet Center grundsätzlich nur in Oberzentren und ausnahmsweise
bis 5.000 qm Geschossfläche auch in Mittelzentren zulässig. Weitere Ausnahmemöglichkeiten gibt es hier nicht.
3. wie sich der Gestaltungsplan des Factory Outlet Centers auf die Versorgungsstrukturen der deutschen Städte am Hochrhein-Bodensee auswirkt;
Zur Abschätzung der Auswirkungen der Ansiedlung eines Factory Outlet
Centers in Wigoltingen auf die deutschen Städte der Region HochrheinBodensee, die sich im Einzugsbereich des geplanten Fashion Outlet Centers
befinden, haben die Städte Konstanz, Radolfzell am Bodensee und Singen
sowie der Regionalverband Hochrhein-Bodensee ein Fachgutachten in Auftrag
gegeben.
Ein vorläufiger Entwurf des Gutachtens geht davon aus, dass bei der Realisierung von 30.000 qm Verkaufsfläche, dem geplanten Endausbau, in den
relevanten Sortimentsbereichen mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen
ist. Insbesondere der innerstädtische Einzelhandel des Oberzentrums Konstanz
würde empfindlich gestört werden. Das Gutachten erwartet, dass das geplante
Vorhaben in Wigoltingen zu Geschäftsaufgaben und daraus resultierenden
Leerständen in der Innenstadt von Konstanz führen würde. Auch im Mittelzentrum Radolfzell am Bodensee wären bei Realisierung von 30.000 qm
Verkaufsfläche zum Teil erhebliche Umsatzverteilungseffekte zu erwarten.
Umsatzverteilungseffekte im nur wettbewerbsüblichen Rahmen vermutet der
Gutachter lediglich im Mittelzentrum Singen.
4. wie das schutzwürdige Interesse der Region Hochrhein-Bodensee im Rahmen
des Raumordnungsrechts gegenüber dem Kanton Thurgau eingefordert
werden kann;
Die Region Hochrhein-Bodensee hat kein sich aus dem deutschen Raumordnungs- oder Bauplanungsrecht ergebendes formales Einspruchsrecht oder eine
Klagebefugnis gegenüber dem Kanton Thurgau.
Bisherige Vereinbarungen haben den Charakter von Empfehlungen wie die
„Empfehlung der Deutsch-Schweizerischen Raumordnungskommission zur
grenzüberschreitenden Abstimmung der Bauleitplanungen/Ortsplanungen der
Gemeinden im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet“ vom 28. April 1980
oder beziehen sich auf Teilaspekte wie Umweltbelange (so die sog. ESPOOKonvention über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen aus dem Jahr 1991).
Das kantonale Planungs- und Baugesetz eröffnet zwar jedem, der durch einen
Gestaltungsplan berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse hat, die Möglichkeit der Einsprache während einer 20-tägigen Auflagefrist bei der
Gemeindebehörde. Diese Regelung richtet sich aber nur an Schweizer Rechtspersonen.
Der Regionalverband hat – ebenso wie weitere betroffene Städte und Gemeinden – in dem bereits abgeschlossenen Offenlegungsverfahren der Gemeinde Wigoltingen eine Stellungnahme abgegeben. Laut Planungs- und
Baugesetz des Kantons Thurgau entscheidet nun die Gemeinde über die Einsprachen. Das Departement für Bau und Umwelt bzw. das dortige Amt für
Raumplanung prüft anschließend als Genehmigungsinstanz, ob die Pläne und
Vorschriften rechtmäßig sind und der übergeordneten Planung und dem
Grundsatz der haushälterischen Bodennutzung entsprechen.
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Ob die Berücksichtigung der deutschen Stellungnahmen rechtlich durchsetzbar ist und ob weitere rechtliche Möglichkeiten im Rahmen des Schweizer
Rechts bestehen, müsste ggf. durch den Regionalverband oder die betroffenen
Städte und Gemeinden im Zuge eines Rechtsgutachtens geklärt werden.
Die Region ist über den Regionalverband Hochrhein-Bodensee auch in der
Internationalen Raumordnungskommission Bodensee (ROK Bodensee) vertreten, deren Zweck es u. a. ist, die Standards in der Raumplanung anzugleichen
und regional bedeutsame raumwirksame Vorhaben besser aufeinander abzustimmen. Im aktuellen Fall konnte in diesem Gremium jedoch keine gemeinsame Grundlage mit der Schweizer Seite gefunden werden. Allerdings wird
von allen Mitgliedern ein Handlungsbedarf im Hinblick auf eine bessere
grenzüberschreitende Abstimmung von grenzübergreifend wirksamen Einzelhandelsgroßprojekten gesehen, der nun abgearbeitet werden soll.
5. welche Kriterien oder Planungsgrundsätze beim Bau von Einkaufszentren
in der Schweiz zugrunde liegen;
Ähnlich wie in Baden-Württemberg ist auch im Kanton Thurgau die Ansiedlung
von Einzelhandelsgroßprojekten an ein System von zentralen Orten gebunden.
Großflächiger Einzelhandel, der im Kanton Thurgau ab einer Verkaufsfläche
von 1000 qm angenommen wird, ist gemäß Richtplan des Kantons Thurgau
grundsätzlich nur in kantonalen und regionalen Zentren möglich, zu denen
Wigoltingen nicht gehört. Die Gemeinde ist aber ein „zentraler Ort in Entwicklungsräumen“, für die in mit allen Verkehrsarten optimal erschlossenen
Gebieten nicht näher spezifizierte Ausnahmen ausdrücklich vorgesehen sind.
Einkaufszentren gehören nach dem kantonalen Richtplan zu den „verkehrsintensiven Einrichtungen“, die ebenfalls nur in kantonalen oder regionalen
Zentren zulässig sein sollen. Aber auch hier sind in den zentralen Orten in
Entwicklungsräumen in nicht näher spezifizierten Ausnahmefällen verkehrsintensive Einrichtungen in Gebieten zulässig, die mit allen Verkehrsarten
optimal erschlossen sind. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, wird ebenfalls
vom Kanton zu prüfen sein, da es sich um einen Standort handelt, der in erster
Linie autoorientiert ist.
6. welche Einspruchsmöglichkeiten generell bestehen;
Bei kantonalen Richtplänen ist eine Information und Mitwirkung der deutschen
Seite vorgesehen. Das Wirtschaftsministerium, das Regierungspräsidium
Freiburg und der Regionalverband Hochrhein-Bodensee wurden vom Kanton
Thurgau beteiligt. Der Richtplan enthält jedoch keine Regelungen, die zu
raumordnerischen Bedenken Anlass gegeben hätten.
Bei Nutzungsplänen und Baubewilligungen, insbesondere bei Gestaltungsplänen, ist nach dem Planungs- und Baugesetz des Kantons Thurgau lediglich
ein Auflageverfahren von 20 Tagen Dauer vorgesehen. Innerhalb dieser Frist
kann derjenige, der durch die Planung berührt ist und ein schutzwürdiges
Interesse hat, bei der Gemeinde Einsprache gegen die Planung erheben. Das
Amt für Raumplanung des Kantons Thurgau hat hierzu dem Regionalverband Hochrhein-Bodensee bereits im Juni 2009 mitgeteilt, dass auch Nachbarkantone und Nachbargemeinden hier keine weitere Möglichkeiten haben.
Insbesondere sei kein Rechtsmittel vorgesehen.
7. welche Möglichkeiten sie hat, in dieser Angelegenheit tätig zu werden.
Die Landesregierung hat sich der Angelegenheit bereits angenommen und hat
Gespräche mit der Thurgauer Kantonsregierung eingeleitet. Ziel ist es, im
Sinne eines gut nachbarschaftlichen Verhältnisses auf die angemessene Be-
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rücksichtigung der in den Einsprachen der Städte Konstanz, Radolfzell und
Singen sowie des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee vorgebrachten Gesichtspunkte in dem nach Schweizer Recht durchgeführten Verfahren hinzuwirken.
Das Wirtschaftsministerium hat die Anregung in die Kommission Wirtschaft
der Internationalen Bodenseekonferenz eingebracht, die grenzüberschreitenden
Auswirkungen großer Einzelhandelsprojekte grundsätzlich zu thematisieren.
Pfister
Wirtschaftsminister
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