Vortrag - Lehrstuhl für Angewandte Mathematik

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Vortrag - Lehrstuhl für Angewandte Mathematik
FRANK LEMPIO
DIE ERFINDUNG DES ELEKTRONISCHEN
DIGITALRECHNERS
EIN HISTORISCHER PROZESS MIT VIELEN VERDÄCHTIGEN,
DREI ANGEKLAGTEN UND EINEM URTEIL
Address of the Author:
Frank Lempio
Chair of Applied Mathematics
University of Bayreuth
D-95440 Bayreuth
E-Mail: [email protected]
Last Revision: February 19, 2004
c 2004 by Frank Lempio
Copyright Vorwort
iii
Vorwort
Bei diesem Text handelt es sich um die Kurzfassung eines Vortrages anlässlich
des 33. Kolloquiums Mathematik-Didaktik an der Universität Bayreuth am 18.
Februar 2004.
Aus Copyright-Gründen sind die meisten während dieser Fortbildungsveranstaltung verwendeten Abbildungen in dieser Kurzfassung ausgeblendet.
Für Anregungen, Ergänzungen und weitergehende Diskussionen ist der Autor jederzeit dankbar.
Bayreuth, im Februar 2004
Frank Lempio
INHALTSVERZEICHNIS
iv
Inhaltsverzeichnis
1
Ein Blick zurück
2
Neue Ideen
21
2.1
Hollerith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
2.2
Zuse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
2.3
Bell Telephone Laboratories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
3
4
1
Elektronische Digitalrechner
29
3.1
ABC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
3.2
ENIAC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
3.3
COLOSSUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
3.4
Manchester Mark I, EDSAC und EDVAC . . . . . . . . . . . . . .
50
Ausblick
56
1. Ein Blick zurück
1
1
Ein Blick zurück
Wir blicken zurück auf einen (sehr) frühen Rechner.
Er besteht aus einer
Eingabeeinheit
zur Aufnahme der Eingabedaten.
Die Darstellung dieser Daten hängt vom Datentyp
und vom verwendeten Rechner ab, sie muss keineswegs für einen außenstehenden Beobachter unmittelbar
verständlich sein.
1. Ein Blick zurück
2
Abbildung 1: Eingabe
1. Ein Blick zurück
3
Zwischenresultate werden zwischengespeichert entweder in einem (langsamen) Ein- oder Ausgabespeicher
oder in einem (schnellen)
Hauptspeicher
1. Ein Blick zurück
4
Abbildung 2: Zwischenergebnis
1. Ein Blick zurück
5
Abbildung 3: Zwischenergebnis
1. Ein Blick zurück
6
Zwischenergebnisse und Endresultat werden im
Rechenwerk
(CPU, Central Processor Unit) gewonnen, der Rechenablauf wird durch das
Steuerwerk
gesteuert.
1. Ein Blick zurück
7
Die Ausgabe erfolgt über die
Ausgabeeinheit.
Abbildung 4: Ausgabe
1. Ein Blick zurück
8
Rechenwerk und Steuerwerk ist hier ein
chinesischer Rechenmeister
Abbildung 5: Chinesischer Meister mit Rechenschachbrett
1. Ein Blick zurück
9
Er verwendet das chinesische Rechenschachbrett, das
schriftlich im 2. Jahrhundert v. Chr. überliefert wurde
und wahrscheinlich schon im 6. Jahrhundert v. Chr.
benutzt wurde.
Im Beispiel wird das lineare Gleichungssystem
2x − 3y + 8z = 88
6x − 2y − 1z = −8
3x + 21y − 3z = 54
mit einem über 2 000 Jahre alten Vorläufer des Gaußschen Eliminationsverfahren in das System umgeformt
1. Ein Blick zurück
10
71y
= 284
6x − 2y − 1z =
−5x + 9y
−8
= 26 ,
dem man die Lösung
y = 4, x = 2, z = 12
direkt ablesen kann.
1. Ein Blick zurück
11
Nachfolger dieses Rechenschachbretts sind der
Abakus,
das
Kugelrechenbrett
und das
Rechnen mit der Feder und arabischen Zahlen,
bzw. das heutige schriftliche
Rechnen mit Bleistift und Papier.
1. Ein Blick zurück
12
In den englischen Wörtern
cheque (Scheck),
to check (nachprüfen, Schach bieten),
check (Karo),
exchequer (Schatzamt),
chequer-board (Schachbrett)
klingt noch der Zusammenhang von Schachbrett und
Rechenschachbrett nach.
1. Ein Blick zurück
13
Von den wesentlichen Bestandteilen eines Rechners,
• Eingabeeinheit
• Hauptspeicher
• Steuerwerk
• Rechenwerk
• Ausgabeeinheit,
sind mit dem Rechenschachbrett nur Eingabeeinheit,
Ausgabeeinheit und rudimentäre Aufgaben des Hauptspeichers in Form einer (langsamen) Speicherung von
Zwischenergebnissen verwirklicht.
1. Ein Blick zurück
14
Die Entwicklung mechanischer Rechenmaschinen diente primär der Automatisierung des Rechenwerks.
Zu dieser Entwicklung haben beigetragen
John Neper, *1550, †1617 , Joost Bürgi, *1552, †1632
(Logarithmus, Logarithmentafeln und Rechenstäbe) ,
Wilhelm Schickard, *1592, †1635
(Zweispecies-Maschine 1623, Nachbau 1960) ,
Blaise Pascal, *1623, †1662
(Addiermaschine 1644–1645) ,
Gottfried Wilhelm Leibniz, *1646, †1716
(Vierspeziesmaschine 1674, verlässlicher Nachbau 1894,
Bedeutung des Dualsystems für den Rechnerbau).
1. Ein Blick zurück
15
Eminent wichtig waren auch Konstrukteure von Automaten wie
Friedrich von Knaus, *1724, †1789
(Konstruktion der
“Allesschreibenden Wundermaschine”
um 1760) .
1. Ein Blick zurück
16
Abbildung 6: Früher Schreibautomat
1. Ein Blick zurück
17
Besonders hervorgehoben werden muss
Charles Babbage, *1791, †1871.
Er erfand 1822 das Konzept einer
“Difference Engine”
erneut (die Idee war bereits 1786 von J.H. Müller aus
Hessen beschrieben worden). 1832 wurde zusammen
mit Joseph Clement ein Teil eines Prototyps gebaut.
1834 begann er die konzeptionelle Entwicklung einer
“Analytical Engine”,
und definierte als erster das Konzept eines programmierbaren Rechners mit
1. Ein Blick zurück
• Eingabe (über Lochkarten),
• Ausgabe (über “Drucker”),
• Hauptspeicher (“store”),
• Rechenwerk (“mill”),
• Programmsteuerung (über Lochkartenleser).
18
1. Ein Blick zurück
19
Er baut 1871 Teile der “mill” und des Druckers.
Erst 1989–91 wird vom Science Museum in London
ein funktionierender Prototyp der Analytical Engine
gebaut.
Abbildung 7: Charles Babbage
1. Ein Blick zurück
20
Charles Babbage benutzte Lochstreifen zur Steuerung mechanischer Bewegungen durch Stifte.
Lochkarten und Lochstreifen wurden (kommerziell)
zuerst von
Joseph Marie Jacquard
benutzt zur Steuerung der Kettfäden in seinem
automatischen Webstuhl.
2. Neue Ideen
2
2.1
21
Neue Ideen
Hollerith
Herman Hollerith, *1860, †1929,
hatte 1889 die Idee, mittels Lochkarten elektrische
Stromkreise zu schließen und zu öffnen und damit Zähler, Sortier- und Tabelliermaschinen zu steuern.
Er beabsichtigte, mit der Lochung Volkszählungsdaten zu codieren und diese Daten mit den Tabelliermaschinen zu verarbeiten.
2. Neue Ideen
22
Abbildung 8: Presse
2. Neue Ideen
23
Diese Idee hatte durchschlagenden Erfolg bei der
Volkszählung 1890 in den USA, führte 1924 zur Gründung der IBM und 1939–1944 zum Bau des elektromechanischen Rechners
Harvard Mark I
durch
Howard H. Aiken, *1900, †1973.
Dieser Rechner hatte 16 m Frontlänge und wurde
von 1944 bis 1955 für ballistische Berechnungen genutzt.
2. Neue Ideen
2.2
24
Zuse
Konrad Zuse, *1910, †1995,
baute ab 1935 den ersten programmgesteuerten (über
gelochte Filmstreifen) elektromechanischen Rechner mit
Dualzahlen als interner Zahldarstellung und Gleitkommaarithmetik, die später berühmt gewordene
Z3
Ein mechanischer Vorläufer, die Z1 , wurde 1938, die
Z3 im Jahre 1941 fertig gestellt.
Nur die Z4 hat den Krieg überlebt, wurde 1950 endgültig fertig gestellt und 5 Jahre lang an der ETH Zürich
und 5 weitere Jahre in Frankreich genutzt.
2. Neue Ideen
25
In einem Schreiben vom 15. Oktober 1939 berichtet
sein Mitarbeiter,
Hermann Schreyer,
über den Versuch, mittels elektronischer Röhrenschaltungen die Rechengeschwindigkeit zu erhöhen.
Ein Vorschlag für den Bau eines
Rechners mit 1 500 Elektronenröhren
wurde von der deutschen Regierung abgelehnt und
diese Entwicklungsrichtung 1942 eingestellt.
2. Neue Ideen
26
Bei einem Luftangriff wird die Z3 im Jahre 1943
zerstört. Zuses Antrag von 1941 auf Erteilung eines Patents wird 1967 vom bundesdeutschen Patentamt
“mangels Erfindungshöhe”
abgelehnt.
2. Neue Ideen
2.3
27
Bell Telephone Laboratories
George R. Stibitz, *1904, †1995,
Samuel B. Williams,
Ernest G. Andrews
begannen um 1938 in den Bell Telephone Laboratories den Bau von elektromechanischen Computern aus
typischen Telefonvermittlungskomponenten.
Ihr Relaisrechner wurde im Oktober 1939 fertig gestellt und wurde bekannt als
Model I Relay Calculator
2. Neue Ideen
28
Die Baureihe gedieh bis zum Model V, welches ein
programmgesteuerter Universalrechner war und 1946
und 1947 in zwei Exemplaren ausgeliefert wurde. Sie
lief mit dem vereinfachten Model VI endgültig aus.
Model V enthielt mehr als 9 000 Relais, 50 Fernschreiber, bedeckte eine Fläche von mehr als 100 m2
und wog ungefähr 10 Tonnen.
3. Elektronische Digitalrechner
3
3.1
29
Elektronische Digitalrechner
ABC
John Vincent Atanosoff, *1903, †1995,
Angewandter Mathematiker und Physiker in den dreißiger Jahren am Iowa State College at Ames, Iowa,
stand vor dem Problem,
“große” lineare Gleichungssysteme
zu lösen, die bei der Diskretisierung partieller Differentialgleichungen entstanden.
3. Elektronische Digitalrechner
30
In den Jahren 1936–1938 machte er eine Designstudie für den Bau eines Rechners, der folgende Prinzipien verwenden sollte:
• elektronische Röhren als Hauptmedium,
• Dualzahlsystem,
• Kondensatoren als Speichermedium mit Jogging (Regeneration, Auffrischung) zur Stabilisierung,
• logische Schaltkreise
3. Elektronische Digitalrechner
31
1939 erhielt er finanzielle Unterstützung vom Iowa
State College und vollendete zusammen mit
Clifford E. Berry, *1918, †1963
im Oktober 1939 einen Prototypen des später so genannten
ABC (Atanasoff-Berry-Computer)
In den Jahren 1940–1942 bauten sie ein produktionsreifes Modell, im Juni 1941 wurde Atanasoff von
John W. Mauchly
etwa 5 Tage lang besucht, der dabei Einblick in Atanasoffs und Berry’s Computerentwicklung nahm.
3. Elektronische Digitalrechner
32
Der Rechner wurde im wesentlichen bis Ende 1941
fertig gestellt, bis ins Frühjahr 1942 hinein getestet und
wies nur noch eine Unzuverlässigkeit (von 0.001 %)
in der Zwischenspeicherung von Daten auf Lochkarten
auf.
Mit dem Bombenangriff am 7. Dezember 1941 auf
Pearl Harbour und dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg beendeten Atanasoff und Berry ihre Arbeit an dem
ersten elektronischen Digitalrechner
Er geriet schnell in Vergessenheit, wurde 1946 wegen Platzmangels verschrottet. Übrig blieb nur ein von
einem Kollegen geretteter Zylinder, auf dem die Speicherkondensatoren befestigt waren.
3. Elektronische Digitalrechner
33
Abbildung 9: Speichertrommel des ABC
3. Elektronische Digitalrechner
34
Das folgende Bild zeigt einen Nachbau
Abbildung 10: Nachbau des ABC
3. Elektronische Digitalrechner
35
Clifford E. Berry starb 1963, angeblich durch Selbstmord.
Abbildung 11: Clifford E. Berry
3. Elektronische Digitalrechner
36
John V. Atanasoff erhielt, wenn auch sehr spät, noch
zu seinen Lebzeiten öffentliche Anerkennung.
Abbildung 12: John V. Atanasoff
3. Elektronische Digitalrechner
3.2
ENIAC
Zunächst heimsten
John W. Mauchly, *1907, †1980 ,
J. Presper Eckert, *1919, †1995,
zusammen mit John Brainerd und später
John von Neumann, *1903, †1957,
alle Anerkennung ein für den Bau des
ENIAC
(Electronic Numerator, Integrator,
Analyzer and Computer)
37
3. Elektronische Digitalrechner
38
Der Entwurf und Bau begann 1943, fertig gestellt
wurde er 1945. Er benutzte noch das Dezimalsystem,
enthielt 18 000 Röhren, hatte eine Leistungsaufnahme
von 170 kw, bedeckte 100 m2 Fläche, wog 30 Tonnen
und hatte eine Taktrate von immerhin
100 KHz = 0.1 MHz = 0.0001 GHz.
Er wurde zunächst für die Berechnung von Zieltabellen für die Artillerie und den Bombenkrieg benutzt
und entwickelte sich später zu einem wissenschaftlichen
Universalrechner.
Er wurde programmiert über eine Reihe von Steckschränken, die Einrichtung für eine Aufgabe dauerte
mehrere Tage.
3. Elektronische Digitalrechner
39
Mauchly und Eckert beantragten Patente für diesen Rechner, schieden aus ihrer Arbeitsgruppe an der
Moore School of Electrical Engineering der University of Pennsylvania, Philadelphia, aus, gründeten 1946
eine eigene Firma, die sie bereits 1950 an die Remington Rand Corporation, eine Abteilung der Sperry Rand
Corporation, verkauften.
3. Elektronische Digitalrechner
40
Die Patentrechte wurden 1964 erteilt, Rechteinhaber
wurde die
Sperry Rand Corporation
Unvorsichtigerweise wollte die Sperry Rand Corporation nun Patentgebühren von allen Firmen einziehen,
die sich weiterhin mit Rechnerentwicklung befassten.
3. Elektronische Digitalrechner
41
Sie erhob Klage gegen die
Honeywell Corporation
wegen der Verletzung des ENIAC-Patents aus dem
Jahre 1964. Die Honeywell Corporation erhob Gegenklage gegen die Sperry Rand Corporation wegen Verletzung der Antitrust-Gesetze.
Weiter erhob die Sperry Rand Corporation Klage
gegen die
Control Data Corporation
wegen einer Verletzung eines Speichersystempatents
aus dem Jahre 1953, das sie ebenfalls von Mauchly und
Eckert erworben hatte.
3. Elektronische Digitalrechner
42
Damit sind wir endlich auf
drei Angeklagte
gestoßen. Alle Prozesse wurden im wesentlichen mit der
Entscheidung von
Judge Larson
U. S. District Court
District of Minnesots, Fourth Division,
Minneapolis (Minnesota)
am 19. Oktober 1973 beendet.
3. Elektronische Digitalrechner
43
Der Prozess selbst dauerte 135 Tage und endete am
13. März 1972. 77 Zeugen wurden gehört, Honeywell
legte 25 686 Schriftstücke vor, Sperry Rand 6 968, darunter ein 496 Seiten starkes Buch über Charles Babbage.
Zum ersten Male benötigten beide Parteien intensiv
elektronische Digitalrechner, um die Prozessunterlagen
zu verwalten.
Die Gerichtsentscheidung war ein voller Erfolg — für
John V. Atanasoff
3. Elektronische Digitalrechner
44
Abbildung 13: Judge Larson’s Urteil
3. Elektronische Digitalrechner
45
Das ganze ENIAC-Patent wurde für ungültig erklärt.
Die Urteilsbegründung umfasste 248 Seiten und einen
Anhang von 60 Seiten. 1981 wurde auch der Rechtsstreit zwischen der Control Data Corporation und der
Sperry Rand Corporation durch einen Vergleich endgültig beendet —
nachdem das umstrittene Memory-Patent
bereits erloschen war.
3. Elektronische Digitalrechner
3.3
46
COLOSSUS
Die Freude von John V. Atanasoff über das Urteil von
1973 hätte ein abruptes Ende haben können, als die
britische Regierung 1975 beschloss, die Geheimhaltung
über Dechriffrierprojekte des zweiten Weltkrieges aufzuheben.
Im Laufe dieser Projekte war auch ein elektronischer
Digitalrechner gebaut worden, der
COLOSSUS
3. Elektronische Digitalrechner
47
Am Bau dieses Rechners waren beteiligt
Tommy Flowers, *1905, †1998,
M. H. Newman
und konzeptionell
Alan Turing, *1912, †1954,
3. Elektronische Digitalrechner
48
sowie ein großer Teil des
Bletchley Park Teams,
das erfolgreich die deutsche
ENIGMA
knackte.
3. Elektronische Digitalrechner
49
Der Rechner wurde zwar zu Dechriffrierzwecken gebaut, die Programmierung war aber auch anpassbar an
andere Aufgaben, er arbeitete mit 1 500 Vakuumröhren
und 5 kHz Taktfrequenz. Zum Glück für Atanasoff wurde der COLOSSUS erst im Jahre 1943 fertig.
3. Elektronische Digitalrechner
3.4
50
Manchester Mark I, EDSAC und EDVAC
Es ist daher auch nicht so verwunderlich, dass im Rahmen eines Projekts von M. H. Newman von
Freddy C. Williams, *1911, †1977
Thomas Kilburn, *1921,
im Jahre 1948 mit der
Manchester Mark I
3. Elektronische Digitalrechner
51
der erste
speicherprogrammierbare
elektronische Digitalrechner
als Prototyp fertig gestellt wurde. Später schloss sich
Alan Turing
diesem Projekt an und entwickelte eine Vorform einer Assembler-Sprache.
3. Elektronische Digitalrechner
52
Im Jahre 1949 wurde dann in Cambridge unter der
Leitung von
Maurice Wilken, *1913 –
der
EDSAC
(Electrical Delay Storage Automatic Computer)
als “Produktionsrechner” fertig gestellt.
Die Bezeichnung geht auf das “ultrasonic delay line
memory” zurück, das damals als schneller Hauptspeicher verwendet wurde. Die Taktfrequenz war 500 kHz.
3. Elektronische Digitalrechner
53
Bezeichnenderweise kam die ENIAC-Gruppe mit ihrem Nachfolgermodell
EDVAC
(Electronic Discrete Variable Automatic Computer)
zu spät, obwohl es John von Neumann war, der das
Prinzip des speicherprogrammierbaren Rechners im Jahre 1945 veröffentlicht hatte.
Er kannte die bahnbrechende Arbeit
“On Computable Numbers
with Applications to the Entscheidungsproblem”
von AlanTuring aus dem Jahre 1936.
3. Elektronische Digitalrechner
54
So kam Alan Turing, wenn auch sehr indirekt, doch
noch zu einem persönlichen Erfolg.
Abbildung 14: Alan Turing
3. Elektronische Digitalrechner
55
Sein entscheidender Beitrag zur Entschlüsselung der
ENIGMA wurde zu seinen Lebzeiten nie publik gemacht, ebenso nicht seine konzeptionellen Beiträge zum
COLOSSUS. Im Gegenteil, mehr oder weniger zufällig
wurde 1952 seine Homosexualität öffentlich bekannt. Er
wurde angeklagt, musste seine weitere Mitarbeit an der
Computerentwicklung einstellen, wurde mit Hormonen
traktiert und beging 1954 Selbstmord im Alter von 42
Jahren.
4. Ausblick
4
56
Ausblick
Die Geschichte der Entwicklung elektronischer digitaler
Rechenanlagen hat also auch “Verlierer” gehabt. Durch
ihre Portraits habe ich einige in durchaus subjektiver
Weise hervorgehoben:
Charles Babbage,
der keinen Computer zu Ende gebaut hat. Die Kommission, die seinen Nachlass sichten sollte, stellte fest,
dass “alles zu unvollständig war, um irgend einem nützlichen Zweck zugeführt werden zu können”.
4. Ausblick
57
Clifford E. Berry,
der 1963 Selbstmord beging und die Anerkennung
seiner Arbeit nicht mehr erlebte.
4. Ausblick
58
John V. Atanasoff,
der erst durch Gerichtsurteil von 1973, also in seinem
70. Lebensjahr, Anerkennung fand und danach noch einige Jahre um internationale Anerkennung gegen “etablierte” Mitglieder der Computer-Gemeinde kämpfen
musste.
Alan Turing,
dem das Rechtssystem seines Landes keinen Ausweg
ließ.
4. Ausblick
59
Die Weiterentwicklung elektronischer Rechenanlagen
ab 1950 kann hier, nicht nur aus Zeitgründen, nicht
mehr dargestellt werden.
Ein Resultat dieser Entwicklung, nämlich der Laptop, wurde in diesem Vortrag ganz nebenbei dadurch
mitgewürdigt, dass er intensiv verwendet wurde bei der
• Textverarbeitung,
• Bildverarbeitung,
• Animation mittels Filmsequenzen,
• dynamischen Einbindung ins INTERNET,
• numerischen Simulation.
4. Ausblick
60
In der Tat, man kann mit einem Computer auch noch
wirklich rechnen. Als abschließendes Beispiel soll gezeigt werden, wie die kleinen linearen Gleichungssysteme aus den Zeiten des chinesischen Rechenschachbretts
vor zwei Jahrtausenden und die linearen Gleichungssysteme mit immerhin bis zu 29 Gleichungen und Unbekannten, die Atanasoff zum Bau seines Rechners motivierten, heutzutage auf einem gängigen Laptop-Modell
“nebenbei” bis zur Dimension
1 000 000
gelöst werden können.
4. Ausblick
61
Problemstellung :
−∆u(x, y) = f (x, y)
u(x, y) = 0
((x, y) ∈ Ω) ,
((x, y) ∈ ∂Ω)
mit
f (x, y) = −12 cos(6(x − 1))y sin(6(y − 1))
+72x sin(6(x − 1))y sin(6(y − 1))
−12x sin(6(x − 1)) cos(6(y − 1)) ,
Ω = [0, 1] × [0, 1] ,
exakte Lösung :
u(x, y) = x sin(6(x − 1))y sin(6(y − 1)) .
4. Ausblick
62
DIM non-zero CPU [mm:ss] Fehler k · k∞
Nx
Ny
10
10
64
484
00:00.14
2.06 · 10−2
50
50
2304
20164
00:02.41
6.98 · 10−4
100
100
9604
85264
00:10.13
1.71 · 10−4
200
200
39204
350464
00:43.47
4.23 · 10−5
400
400 158404 1420864
03:18.07
1.05 · 10−5
800
800 636804 5721664
16:35.33
2.62 · 10−6
1000 1000 996004 8952064
30:48.20
1.68 · 10−6
4. Ausblick
Sparsity der Matrix (Nx = Ny = 10):
63
4. Ausblick
64
Lösung (Nx = Ny = 200) :
Abbildung 15: Loesung-N200-BSP1
LITERATUR
65
Literatur
[1] J. V. Atanasoff. Advent of the electronic digital
computing. Annals of the History of Computing,
6(3):229–282, 1984.
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Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet. Deutscher Taschenbuch Verlag,
München, 2001.

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