Vortrag - Lehrstuhl für Angewandte Mathematik
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Vortrag - Lehrstuhl für Angewandte Mathematik
FRANK LEMPIO DIE ERFINDUNG DES ELEKTRONISCHEN DIGITALRECHNERS EIN HISTORISCHER PROZESS MIT VIELEN VERDÄCHTIGEN, DREI ANGEKLAGTEN UND EINEM URTEIL Address of the Author: Frank Lempio Chair of Applied Mathematics University of Bayreuth D-95440 Bayreuth E-Mail: [email protected] Last Revision: February 19, 2004 c 2004 by Frank Lempio Copyright Vorwort iii Vorwort Bei diesem Text handelt es sich um die Kurzfassung eines Vortrages anlässlich des 33. Kolloquiums Mathematik-Didaktik an der Universität Bayreuth am 18. Februar 2004. Aus Copyright-Gründen sind die meisten während dieser Fortbildungsveranstaltung verwendeten Abbildungen in dieser Kurzfassung ausgeblendet. Für Anregungen, Ergänzungen und weitergehende Diskussionen ist der Autor jederzeit dankbar. Bayreuth, im Februar 2004 Frank Lempio INHALTSVERZEICHNIS iv Inhaltsverzeichnis 1 Ein Blick zurück 2 Neue Ideen 21 2.1 Hollerith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2 Zuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3 Bell Telephone Laboratories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3 4 1 Elektronische Digitalrechner 29 3.1 ABC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.2 ENIAC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.3 COLOSSUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.4 Manchester Mark I, EDSAC und EDVAC . . . . . . . . . . . . . . 50 Ausblick 56 1. Ein Blick zurück 1 1 Ein Blick zurück Wir blicken zurück auf einen (sehr) frühen Rechner. Er besteht aus einer Eingabeeinheit zur Aufnahme der Eingabedaten. Die Darstellung dieser Daten hängt vom Datentyp und vom verwendeten Rechner ab, sie muss keineswegs für einen außenstehenden Beobachter unmittelbar verständlich sein. 1. Ein Blick zurück 2 Abbildung 1: Eingabe 1. Ein Blick zurück 3 Zwischenresultate werden zwischengespeichert entweder in einem (langsamen) Ein- oder Ausgabespeicher oder in einem (schnellen) Hauptspeicher 1. Ein Blick zurück 4 Abbildung 2: Zwischenergebnis 1. Ein Blick zurück 5 Abbildung 3: Zwischenergebnis 1. Ein Blick zurück 6 Zwischenergebnisse und Endresultat werden im Rechenwerk (CPU, Central Processor Unit) gewonnen, der Rechenablauf wird durch das Steuerwerk gesteuert. 1. Ein Blick zurück 7 Die Ausgabe erfolgt über die Ausgabeeinheit. Abbildung 4: Ausgabe 1. Ein Blick zurück 8 Rechenwerk und Steuerwerk ist hier ein chinesischer Rechenmeister Abbildung 5: Chinesischer Meister mit Rechenschachbrett 1. Ein Blick zurück 9 Er verwendet das chinesische Rechenschachbrett, das schriftlich im 2. Jahrhundert v. Chr. überliefert wurde und wahrscheinlich schon im 6. Jahrhundert v. Chr. benutzt wurde. Im Beispiel wird das lineare Gleichungssystem 2x − 3y + 8z = 88 6x − 2y − 1z = −8 3x + 21y − 3z = 54 mit einem über 2 000 Jahre alten Vorläufer des Gaußschen Eliminationsverfahren in das System umgeformt 1. Ein Blick zurück 10 71y = 284 6x − 2y − 1z = −5x + 9y −8 = 26 , dem man die Lösung y = 4, x = 2, z = 12 direkt ablesen kann. 1. Ein Blick zurück 11 Nachfolger dieses Rechenschachbretts sind der Abakus, das Kugelrechenbrett und das Rechnen mit der Feder und arabischen Zahlen, bzw. das heutige schriftliche Rechnen mit Bleistift und Papier. 1. Ein Blick zurück 12 In den englischen Wörtern cheque (Scheck), to check (nachprüfen, Schach bieten), check (Karo), exchequer (Schatzamt), chequer-board (Schachbrett) klingt noch der Zusammenhang von Schachbrett und Rechenschachbrett nach. 1. Ein Blick zurück 13 Von den wesentlichen Bestandteilen eines Rechners, • Eingabeeinheit • Hauptspeicher • Steuerwerk • Rechenwerk • Ausgabeeinheit, sind mit dem Rechenschachbrett nur Eingabeeinheit, Ausgabeeinheit und rudimentäre Aufgaben des Hauptspeichers in Form einer (langsamen) Speicherung von Zwischenergebnissen verwirklicht. 1. Ein Blick zurück 14 Die Entwicklung mechanischer Rechenmaschinen diente primär der Automatisierung des Rechenwerks. Zu dieser Entwicklung haben beigetragen John Neper, *1550, †1617 , Joost Bürgi, *1552, †1632 (Logarithmus, Logarithmentafeln und Rechenstäbe) , Wilhelm Schickard, *1592, †1635 (Zweispecies-Maschine 1623, Nachbau 1960) , Blaise Pascal, *1623, †1662 (Addiermaschine 1644–1645) , Gottfried Wilhelm Leibniz, *1646, †1716 (Vierspeziesmaschine 1674, verlässlicher Nachbau 1894, Bedeutung des Dualsystems für den Rechnerbau). 1. Ein Blick zurück 15 Eminent wichtig waren auch Konstrukteure von Automaten wie Friedrich von Knaus, *1724, †1789 (Konstruktion der “Allesschreibenden Wundermaschine” um 1760) . 1. Ein Blick zurück 16 Abbildung 6: Früher Schreibautomat 1. Ein Blick zurück 17 Besonders hervorgehoben werden muss Charles Babbage, *1791, †1871. Er erfand 1822 das Konzept einer “Difference Engine” erneut (die Idee war bereits 1786 von J.H. Müller aus Hessen beschrieben worden). 1832 wurde zusammen mit Joseph Clement ein Teil eines Prototyps gebaut. 1834 begann er die konzeptionelle Entwicklung einer “Analytical Engine”, und definierte als erster das Konzept eines programmierbaren Rechners mit 1. Ein Blick zurück • Eingabe (über Lochkarten), • Ausgabe (über “Drucker”), • Hauptspeicher (“store”), • Rechenwerk (“mill”), • Programmsteuerung (über Lochkartenleser). 18 1. Ein Blick zurück 19 Er baut 1871 Teile der “mill” und des Druckers. Erst 1989–91 wird vom Science Museum in London ein funktionierender Prototyp der Analytical Engine gebaut. Abbildung 7: Charles Babbage 1. Ein Blick zurück 20 Charles Babbage benutzte Lochstreifen zur Steuerung mechanischer Bewegungen durch Stifte. Lochkarten und Lochstreifen wurden (kommerziell) zuerst von Joseph Marie Jacquard benutzt zur Steuerung der Kettfäden in seinem automatischen Webstuhl. 2. Neue Ideen 2 2.1 21 Neue Ideen Hollerith Herman Hollerith, *1860, †1929, hatte 1889 die Idee, mittels Lochkarten elektrische Stromkreise zu schließen und zu öffnen und damit Zähler, Sortier- und Tabelliermaschinen zu steuern. Er beabsichtigte, mit der Lochung Volkszählungsdaten zu codieren und diese Daten mit den Tabelliermaschinen zu verarbeiten. 2. Neue Ideen 22 Abbildung 8: Presse 2. Neue Ideen 23 Diese Idee hatte durchschlagenden Erfolg bei der Volkszählung 1890 in den USA, führte 1924 zur Gründung der IBM und 1939–1944 zum Bau des elektromechanischen Rechners Harvard Mark I durch Howard H. Aiken, *1900, †1973. Dieser Rechner hatte 16 m Frontlänge und wurde von 1944 bis 1955 für ballistische Berechnungen genutzt. 2. Neue Ideen 2.2 24 Zuse Konrad Zuse, *1910, †1995, baute ab 1935 den ersten programmgesteuerten (über gelochte Filmstreifen) elektromechanischen Rechner mit Dualzahlen als interner Zahldarstellung und Gleitkommaarithmetik, die später berühmt gewordene Z3 Ein mechanischer Vorläufer, die Z1 , wurde 1938, die Z3 im Jahre 1941 fertig gestellt. Nur die Z4 hat den Krieg überlebt, wurde 1950 endgültig fertig gestellt und 5 Jahre lang an der ETH Zürich und 5 weitere Jahre in Frankreich genutzt. 2. Neue Ideen 25 In einem Schreiben vom 15. Oktober 1939 berichtet sein Mitarbeiter, Hermann Schreyer, über den Versuch, mittels elektronischer Röhrenschaltungen die Rechengeschwindigkeit zu erhöhen. Ein Vorschlag für den Bau eines Rechners mit 1 500 Elektronenröhren wurde von der deutschen Regierung abgelehnt und diese Entwicklungsrichtung 1942 eingestellt. 2. Neue Ideen 26 Bei einem Luftangriff wird die Z3 im Jahre 1943 zerstört. Zuses Antrag von 1941 auf Erteilung eines Patents wird 1967 vom bundesdeutschen Patentamt “mangels Erfindungshöhe” abgelehnt. 2. Neue Ideen 2.3 27 Bell Telephone Laboratories George R. Stibitz, *1904, †1995, Samuel B. Williams, Ernest G. Andrews begannen um 1938 in den Bell Telephone Laboratories den Bau von elektromechanischen Computern aus typischen Telefonvermittlungskomponenten. Ihr Relaisrechner wurde im Oktober 1939 fertig gestellt und wurde bekannt als Model I Relay Calculator 2. Neue Ideen 28 Die Baureihe gedieh bis zum Model V, welches ein programmgesteuerter Universalrechner war und 1946 und 1947 in zwei Exemplaren ausgeliefert wurde. Sie lief mit dem vereinfachten Model VI endgültig aus. Model V enthielt mehr als 9 000 Relais, 50 Fernschreiber, bedeckte eine Fläche von mehr als 100 m2 und wog ungefähr 10 Tonnen. 3. Elektronische Digitalrechner 3 3.1 29 Elektronische Digitalrechner ABC John Vincent Atanosoff, *1903, †1995, Angewandter Mathematiker und Physiker in den dreißiger Jahren am Iowa State College at Ames, Iowa, stand vor dem Problem, “große” lineare Gleichungssysteme zu lösen, die bei der Diskretisierung partieller Differentialgleichungen entstanden. 3. Elektronische Digitalrechner 30 In den Jahren 1936–1938 machte er eine Designstudie für den Bau eines Rechners, der folgende Prinzipien verwenden sollte: • elektronische Röhren als Hauptmedium, • Dualzahlsystem, • Kondensatoren als Speichermedium mit Jogging (Regeneration, Auffrischung) zur Stabilisierung, • logische Schaltkreise 3. Elektronische Digitalrechner 31 1939 erhielt er finanzielle Unterstützung vom Iowa State College und vollendete zusammen mit Clifford E. Berry, *1918, †1963 im Oktober 1939 einen Prototypen des später so genannten ABC (Atanasoff-Berry-Computer) In den Jahren 1940–1942 bauten sie ein produktionsreifes Modell, im Juni 1941 wurde Atanasoff von John W. Mauchly etwa 5 Tage lang besucht, der dabei Einblick in Atanasoffs und Berry’s Computerentwicklung nahm. 3. Elektronische Digitalrechner 32 Der Rechner wurde im wesentlichen bis Ende 1941 fertig gestellt, bis ins Frühjahr 1942 hinein getestet und wies nur noch eine Unzuverlässigkeit (von 0.001 %) in der Zwischenspeicherung von Daten auf Lochkarten auf. Mit dem Bombenangriff am 7. Dezember 1941 auf Pearl Harbour und dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg beendeten Atanasoff und Berry ihre Arbeit an dem ersten elektronischen Digitalrechner Er geriet schnell in Vergessenheit, wurde 1946 wegen Platzmangels verschrottet. Übrig blieb nur ein von einem Kollegen geretteter Zylinder, auf dem die Speicherkondensatoren befestigt waren. 3. Elektronische Digitalrechner 33 Abbildung 9: Speichertrommel des ABC 3. Elektronische Digitalrechner 34 Das folgende Bild zeigt einen Nachbau Abbildung 10: Nachbau des ABC 3. Elektronische Digitalrechner 35 Clifford E. Berry starb 1963, angeblich durch Selbstmord. Abbildung 11: Clifford E. Berry 3. Elektronische Digitalrechner 36 John V. Atanasoff erhielt, wenn auch sehr spät, noch zu seinen Lebzeiten öffentliche Anerkennung. Abbildung 12: John V. Atanasoff 3. Elektronische Digitalrechner 3.2 ENIAC Zunächst heimsten John W. Mauchly, *1907, †1980 , J. Presper Eckert, *1919, †1995, zusammen mit John Brainerd und später John von Neumann, *1903, †1957, alle Anerkennung ein für den Bau des ENIAC (Electronic Numerator, Integrator, Analyzer and Computer) 37 3. Elektronische Digitalrechner 38 Der Entwurf und Bau begann 1943, fertig gestellt wurde er 1945. Er benutzte noch das Dezimalsystem, enthielt 18 000 Röhren, hatte eine Leistungsaufnahme von 170 kw, bedeckte 100 m2 Fläche, wog 30 Tonnen und hatte eine Taktrate von immerhin 100 KHz = 0.1 MHz = 0.0001 GHz. Er wurde zunächst für die Berechnung von Zieltabellen für die Artillerie und den Bombenkrieg benutzt und entwickelte sich später zu einem wissenschaftlichen Universalrechner. Er wurde programmiert über eine Reihe von Steckschränken, die Einrichtung für eine Aufgabe dauerte mehrere Tage. 3. Elektronische Digitalrechner 39 Mauchly und Eckert beantragten Patente für diesen Rechner, schieden aus ihrer Arbeitsgruppe an der Moore School of Electrical Engineering der University of Pennsylvania, Philadelphia, aus, gründeten 1946 eine eigene Firma, die sie bereits 1950 an die Remington Rand Corporation, eine Abteilung der Sperry Rand Corporation, verkauften. 3. Elektronische Digitalrechner 40 Die Patentrechte wurden 1964 erteilt, Rechteinhaber wurde die Sperry Rand Corporation Unvorsichtigerweise wollte die Sperry Rand Corporation nun Patentgebühren von allen Firmen einziehen, die sich weiterhin mit Rechnerentwicklung befassten. 3. Elektronische Digitalrechner 41 Sie erhob Klage gegen die Honeywell Corporation wegen der Verletzung des ENIAC-Patents aus dem Jahre 1964. Die Honeywell Corporation erhob Gegenklage gegen die Sperry Rand Corporation wegen Verletzung der Antitrust-Gesetze. Weiter erhob die Sperry Rand Corporation Klage gegen die Control Data Corporation wegen einer Verletzung eines Speichersystempatents aus dem Jahre 1953, das sie ebenfalls von Mauchly und Eckert erworben hatte. 3. Elektronische Digitalrechner 42 Damit sind wir endlich auf drei Angeklagte gestoßen. Alle Prozesse wurden im wesentlichen mit der Entscheidung von Judge Larson U. S. District Court District of Minnesots, Fourth Division, Minneapolis (Minnesota) am 19. Oktober 1973 beendet. 3. Elektronische Digitalrechner 43 Der Prozess selbst dauerte 135 Tage und endete am 13. März 1972. 77 Zeugen wurden gehört, Honeywell legte 25 686 Schriftstücke vor, Sperry Rand 6 968, darunter ein 496 Seiten starkes Buch über Charles Babbage. Zum ersten Male benötigten beide Parteien intensiv elektronische Digitalrechner, um die Prozessunterlagen zu verwalten. Die Gerichtsentscheidung war ein voller Erfolg — für John V. Atanasoff 3. Elektronische Digitalrechner 44 Abbildung 13: Judge Larson’s Urteil 3. Elektronische Digitalrechner 45 Das ganze ENIAC-Patent wurde für ungültig erklärt. Die Urteilsbegründung umfasste 248 Seiten und einen Anhang von 60 Seiten. 1981 wurde auch der Rechtsstreit zwischen der Control Data Corporation und der Sperry Rand Corporation durch einen Vergleich endgültig beendet — nachdem das umstrittene Memory-Patent bereits erloschen war. 3. Elektronische Digitalrechner 3.3 46 COLOSSUS Die Freude von John V. Atanasoff über das Urteil von 1973 hätte ein abruptes Ende haben können, als die britische Regierung 1975 beschloss, die Geheimhaltung über Dechriffrierprojekte des zweiten Weltkrieges aufzuheben. Im Laufe dieser Projekte war auch ein elektronischer Digitalrechner gebaut worden, der COLOSSUS 3. Elektronische Digitalrechner 47 Am Bau dieses Rechners waren beteiligt Tommy Flowers, *1905, †1998, M. H. Newman und konzeptionell Alan Turing, *1912, †1954, 3. Elektronische Digitalrechner 48 sowie ein großer Teil des Bletchley Park Teams, das erfolgreich die deutsche ENIGMA knackte. 3. Elektronische Digitalrechner 49 Der Rechner wurde zwar zu Dechriffrierzwecken gebaut, die Programmierung war aber auch anpassbar an andere Aufgaben, er arbeitete mit 1 500 Vakuumröhren und 5 kHz Taktfrequenz. Zum Glück für Atanasoff wurde der COLOSSUS erst im Jahre 1943 fertig. 3. Elektronische Digitalrechner 3.4 50 Manchester Mark I, EDSAC und EDVAC Es ist daher auch nicht so verwunderlich, dass im Rahmen eines Projekts von M. H. Newman von Freddy C. Williams, *1911, †1977 Thomas Kilburn, *1921, im Jahre 1948 mit der Manchester Mark I 3. Elektronische Digitalrechner 51 der erste speicherprogrammierbare elektronische Digitalrechner als Prototyp fertig gestellt wurde. Später schloss sich Alan Turing diesem Projekt an und entwickelte eine Vorform einer Assembler-Sprache. 3. Elektronische Digitalrechner 52 Im Jahre 1949 wurde dann in Cambridge unter der Leitung von Maurice Wilken, *1913 – der EDSAC (Electrical Delay Storage Automatic Computer) als “Produktionsrechner” fertig gestellt. Die Bezeichnung geht auf das “ultrasonic delay line memory” zurück, das damals als schneller Hauptspeicher verwendet wurde. Die Taktfrequenz war 500 kHz. 3. Elektronische Digitalrechner 53 Bezeichnenderweise kam die ENIAC-Gruppe mit ihrem Nachfolgermodell EDVAC (Electronic Discrete Variable Automatic Computer) zu spät, obwohl es John von Neumann war, der das Prinzip des speicherprogrammierbaren Rechners im Jahre 1945 veröffentlicht hatte. Er kannte die bahnbrechende Arbeit “On Computable Numbers with Applications to the Entscheidungsproblem” von AlanTuring aus dem Jahre 1936. 3. Elektronische Digitalrechner 54 So kam Alan Turing, wenn auch sehr indirekt, doch noch zu einem persönlichen Erfolg. Abbildung 14: Alan Turing 3. Elektronische Digitalrechner 55 Sein entscheidender Beitrag zur Entschlüsselung der ENIGMA wurde zu seinen Lebzeiten nie publik gemacht, ebenso nicht seine konzeptionellen Beiträge zum COLOSSUS. Im Gegenteil, mehr oder weniger zufällig wurde 1952 seine Homosexualität öffentlich bekannt. Er wurde angeklagt, musste seine weitere Mitarbeit an der Computerentwicklung einstellen, wurde mit Hormonen traktiert und beging 1954 Selbstmord im Alter von 42 Jahren. 4. Ausblick 4 56 Ausblick Die Geschichte der Entwicklung elektronischer digitaler Rechenanlagen hat also auch “Verlierer” gehabt. Durch ihre Portraits habe ich einige in durchaus subjektiver Weise hervorgehoben: Charles Babbage, der keinen Computer zu Ende gebaut hat. Die Kommission, die seinen Nachlass sichten sollte, stellte fest, dass “alles zu unvollständig war, um irgend einem nützlichen Zweck zugeführt werden zu können”. 4. Ausblick 57 Clifford E. Berry, der 1963 Selbstmord beging und die Anerkennung seiner Arbeit nicht mehr erlebte. 4. Ausblick 58 John V. Atanasoff, der erst durch Gerichtsurteil von 1973, also in seinem 70. Lebensjahr, Anerkennung fand und danach noch einige Jahre um internationale Anerkennung gegen “etablierte” Mitglieder der Computer-Gemeinde kämpfen musste. Alan Turing, dem das Rechtssystem seines Landes keinen Ausweg ließ. 4. Ausblick 59 Die Weiterentwicklung elektronischer Rechenanlagen ab 1950 kann hier, nicht nur aus Zeitgründen, nicht mehr dargestellt werden. Ein Resultat dieser Entwicklung, nämlich der Laptop, wurde in diesem Vortrag ganz nebenbei dadurch mitgewürdigt, dass er intensiv verwendet wurde bei der • Textverarbeitung, • Bildverarbeitung, • Animation mittels Filmsequenzen, • dynamischen Einbindung ins INTERNET, • numerischen Simulation. 4. Ausblick 60 In der Tat, man kann mit einem Computer auch noch wirklich rechnen. Als abschließendes Beispiel soll gezeigt werden, wie die kleinen linearen Gleichungssysteme aus den Zeiten des chinesischen Rechenschachbretts vor zwei Jahrtausenden und die linearen Gleichungssysteme mit immerhin bis zu 29 Gleichungen und Unbekannten, die Atanasoff zum Bau seines Rechners motivierten, heutzutage auf einem gängigen Laptop-Modell “nebenbei” bis zur Dimension 1 000 000 gelöst werden können. 4. Ausblick 61 Problemstellung : −∆u(x, y) = f (x, y) u(x, y) = 0 ((x, y) ∈ Ω) , ((x, y) ∈ ∂Ω) mit f (x, y) = −12 cos(6(x − 1))y sin(6(y − 1)) +72x sin(6(x − 1))y sin(6(y − 1)) −12x sin(6(x − 1)) cos(6(y − 1)) , Ω = [0, 1] × [0, 1] , exakte Lösung : u(x, y) = x sin(6(x − 1))y sin(6(y − 1)) . 4. Ausblick 62 DIM non-zero CPU [mm:ss] Fehler k · k∞ Nx Ny 10 10 64 484 00:00.14 2.06 · 10−2 50 50 2304 20164 00:02.41 6.98 · 10−4 100 100 9604 85264 00:10.13 1.71 · 10−4 200 200 39204 350464 00:43.47 4.23 · 10−5 400 400 158404 1420864 03:18.07 1.05 · 10−5 800 800 636804 5721664 16:35.33 2.62 · 10−6 1000 1000 996004 8952064 30:48.20 1.68 · 10−6 4. Ausblick Sparsity der Matrix (Nx = Ny = 10): 63 4. Ausblick 64 Lösung (Nx = Ny = 200) : Abbildung 15: Loesung-N200-BSP1 LITERATUR 65 Literatur [1] J. V. Atanasoff. Advent of the electronic digital computing. Annals of the History of Computing, 6(3):229–282, 1984. [2] Arthur W. Burks and Alice R. Burks. The ENIAC: First general-purpose electronic computer. Annals of the History of Computing, 3(4):310–399, 1981. [3] H. H. Goldstine. The Computer from Pascal to von Neumann. Princeton University Press, Princeton, N. J., 1972. [4] G. Ifrah. Universalgeschichte der Zahlen, 2. Auflage. Campus Verlag, Frankfurt am Main, 1991. LITERATUR 66 [5] Wolfgang König, editor. Propyläen Technikgeschichte. Propyläen Verlag, Berlin, 1990–1992. [6] Clark R. Mollenhoff. Atanasoff—Forgotten Father of the Computer. Iowa State University Press, Ames, Iowa, 1988. [7] B. Randell. The Origins of Digital Computers— Selected Papers, Third Edition. Springer-Verlag, Berlin–Heidelberg–New York, 1982. [8] R. K. Richards. Electronic Digital Systems. Wiley, 1966. [9] B. Sendov. John Atanasoff—The Electronic Prometheus. St. Kliment Ohridski University Press, Sofia, 2003. LITERATUR 67 [10] S. Singh. Geheime Botschaften—Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2001.