Georges Sorel, der Theoretiker des Syndikalismus

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Georges Sorel, der Theoretiker des Syndikalismus
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H.W. Gerhard
[Gerhard Wartenberg]
Georges Sorel
der Theoretiker des Syndikalismus
(1931)
Von Georges Sorel, dem Theoretiker des französischen Syndikalismus sind in den
letzten Jahren zwei Werke deutsch erschienen: ‚Über die Gewalt’ (Verlag Wagner,
Innsbruck 1928, 885 S., Preis Brosch. 9 M., geb. 12 M.) und die ‚Auflösung des
Marxismus’ (Verlag Gustav Fischer, Jena 1930, 72 S., Preis 4 M.)
Der Titel ‚Auflösung des Marxismus’ erinnert etwas an Marxistentöterei, soll aber
mehr Weiterentwicklung des erstarrten Dogmas bedeuten, denn Sorel anerkennt
durchaus die großen Leistungen von Marx und Engels und fasst den Syndikalismus
gerade auf als den reinen Marxismus, der nichts weiter sei als die Lehre des
Klassenkampfes.
Im Vorwort verteidigt Sorel zunächst Marx gegen die unzulänglichen Angriffe der
bürgerlichen Professoren, wendet sich aber dann gegen engstirnige Auslegungen
wie die von Lafargue und gegen unfruchtbare Popularisierungen wie die von
Kautsky. Dagegen verspricht er sich viel von durchdachter Weiterentwicklung, wie
sie Bernstein 1896 versucht hatte, ohne dessen Reformismus zu teilen. Sorel
knüpft an die Bernsteinsche Auffassung an, in dem er zeigt, dass der Marxismus
zwei entgegengesetzte Bestandteile aufgenommen hat oder mit ihnen in Beziehung
steht: den Utopismus und den Blanquismus. Während aber der Reformist Bernstein
diese Unterscheidung trifft, um dem blanquistischen, revolutionären Element den
Prozess zu machen, zeigt Sorel in seiner geistreichen, gut dokumentierten Weise,
dass weder der Utopismus noch der Blanquismus mit dem Marxismus notwendig
verbunden sind, sondern dass beide zu bürgerlichen Konsequenzen führen: der
Utopismus, weil er zu sozialer Quacksalberei, vergeblichen Experimenten und
allerhand Reformen führe, die den Kapitalismus nicht beseitigen können
(Gewinnbeteiligung, Konsumvereine usw.), der Blanquismus, weil er eine
neutralistische Partei mit einem revolutionären Generalstab bedeute, der sich
später zum euren Herrn ausschwinge (Jakobinismus).
Nun taucht selbstverständlich die Frage auf, was denn vom Sozialismus übrig
bleibe, wenn man die sozialen Phantasien und die politische Revolution streiche?
Sorel antwortet und versucht nachzuweisen, dass er sich dabei in
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Übereinstimmung mit dem Kern des Marxismus (dem ‚Marxismus Marxens’)
befinde: der Klassenkampf, der revolutionäre, rein proletarische Klassenkampf, wie
ihn der Syndikalismus führt. Es sei nicht unsere Aufgabe, nur mit der künftigen
Leitung der Produktion zu befassen, die Wirtschaft leite sich sehr gut selbst. Es sei
auch nicht unsere Aufgabe, die Revolution zu leiten, das Proletariat werde seine
Revolution durch den Generalstreik schon selbst machen. Das ist die Lehre Sorels
in der ‚Auflösung des Marxismus’.
In ‚Über die Gewalt’ entwickelt er seine Auffassungen viel eingehender und gibt
auch oft Ausblicke in Nebengebiete, die stets durchdacht und geistreich sind.
Deswegen ist es schwer, die Gedankengänge Sorels kurz anzudeuten. Er gibt eben
keine Formeln, sondern geschichtliche Betrachtungen über sehr weite Gebiete.
Seine Schlussfolgerungen sind für uns nichts Neues, es sind die Grundsätze
unseres Programms. Also zum Beispiel der Kampf gegen den Reformismus und die
Politiker, gegen die heuchlerische Demokratie, für den proletarischen Generalstreik,
für eine proletarische Moral, eine Produzentenmoral. Sorel legt Wert darauf, den
proletarischen Generalstreik vom politischen Generalstreik abzugrenzen, er zeigt
weiter die Moralität der Gewalt und die Dekadenz des Pazifismus, sein Ideal ist ein
kräftiges, mutiges Proletariat, das seine Rechte energisch auch mit Gewalt
verteidigt, so auch die Bourgeoisie zum Widerstand veranlasst und den Endkampf
beschleunigt. Es steckt darin etwas von der ‚schöpferischen Entwicklung’ Bergsons
und auch ein gutes Stück vom Geiste Nietzsches. Nicht mehr ist hier die Rede von
einem wässrigen Humanitarismus, wie er im 18. Jahrhundert zeitgemäß war, nicht
mehr von den verblichenen Idealen der Französischen Revolution, von denen noch
Jaures und der ganze parlamentarische Sozialismus zehrten. Aber es tritt uns auch
nicht ein doktrinärer Marxismus á la Kautsky entgegen, sondern der proletarische
Klassenkampf in seiner Reinheit.
Wenn auch alle diese Dinge für uns nicht viel neues bringen, dann muss man doch
auf die Art und Weise der Begründung achten, die stets zwingend und geistreich ist
und ein ungeheures Material verwendet. Gerade diese Ableitungen und
gelegentlichen Blicke in verwandte Gebiete können für uns noch eine Fundgrube
für die Entwicklung unserer Ideen sein.
Es mag zutreffen, dass Sorel etwas zu sehr von der Bedeutung der Gewalt
eingenommen war und andere Faktoren zu sehr außer acht ließ. Aber man solle
sich der Tatsache bewusst bleiben, dass Sorel nicht das blinde Dreinschlagen unter
‚Gewalt’ versteht, sondern fast immer den Streik oder den Generalstreik, d.h.
einfach irgendwelche Handlungen, die dem Proletarier seinen Gegensatz zum
kapitalistischen Staat fühlbar werden lassen, ohne deshalb gleich Menschenleben
zu kosten.
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Ein weiterer Begriff Sorels, mit dem man sich auseinandersetzen muss, ist der des
Mythus. Das stark aufgetragene, begeisternde Bild des sozialen, expropriierenden
Generalstreiks, bei dem keine Einzelheit beschrieben oder diskutiert werden soll,
der ‚Mythus des Generalstreiks’ muss nach Sorel für uns das werden, was für die
ersten Christen das Reich Gottes, für die Männer der Französischen Revolution ihr
Glaube an das Reich der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit war. Sicher würde
Sorel auch den Glauben der Kommunisten Westeuropas an das Sowjetparadies
oder den Glauben der Nazis an das Dritte Reich zu den Mythen rechnen. Sorel will
diese Mythen von den Utopien getrennt wissen, die er ablehnt, bei den Mythen
kommt es auf die Ganzheit an, sie sind nichts als Bilder, während es bei den
Utopien auf die Einzelheiten ankommt, die sich im Verlaufe der Entwicklung immer
wieder ändern, wodurch die Utopien immer wieder wertlos werden.
Es wird sich schwer bestreiten lassen, dass Mythen in der Geschichte eine große
Rolle gespielt haben, auch wenn sie nicht zu dem erwarteten Ziele führten. Aber es
will mir scheinen, als ob die Mythen von uns als bewussten Revolutionären nicht
besonders gefördert zu werden brauchten – sie kommen von allein, sie sind
vielfach nur die für die Massenseele und von ihr zurechtgekneteten Ideen. Fördern
wir die Erkenntnisse, die klaren Ideen, und überlassen wir die Mythen sich selbst.
Die Masse wird die Ideen, die sich nicht vollständig aufnehmen kann, schon zu
vereinfachten Bildern machen.
Mag das Werk Sorels also auch für uns als Syndikalisten einige Angriffspunkt
bieten, so ist der Mensch Sorel in vieler Beziehung vorbildlich. Sein Leben verlief
sehr einfach. Er wurde geboren am 2. November 1847 in Cherbourg als Spross
einer bürgerlichen Familie. Nach dem Besuche der Schulen in Paris wurde er
Ingenieur. Bis zum Alter von 45 Jahren war er beim staatlichen Wegbau tätig. Er
stieg bis zum Chefingenieur auf und bekam den Orden der Ehrenlegion. 1892 legte
er sein Amt nieder, ohne die Pension zu verlangen, er wollte ganz unabhängig sein
und nur seinen Studien leben. In diesen Jahren bewältigte er eine ungeheure
Arbeit, vertiefte sich in die Sozialwissenschaften und die Philosophie und schrieb
eine große Reihe von Artikeln für sozialistische und volkswirtschaftliche Zeitungen
in Frankreich, Italien, Deutschland. 1899 war er noch kein Sozialist gewesen,
sondern empfahl die Bibel als weltliches Werk. 1894 veröffentlichte er in der ‚Ere
Nouvelle’ eine Reihe von drei Aufsätzen, ‚Die alte und die neue Metaphysik’, in der
er sich als Sozialist vorstellte, der die Einflüsse von Proudhon, Marx und Bergson
erfahren hat. 1898 schrieb er ‚Die sozialistische Zukunft der Gewerkschaften’, worin
er schon den orthodoxen Marxismus ablehnte und den syndikalistischen
Standpunkt vertat. Den revolutionären Syndikalismus arbeitete er seit 1904, seit
der großen Enttäuschung aller Ehrlichen über den Ausgang der Affäre Dreyfuß
heraus. 1906 und 1907 erschienen die Artikel, die dann zu ‚Über die Gewalt’
vereinigt wurden, noch später folgte die ‚Auflösung des Marxismus’. Einige Werke
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Sorels erschienen nur italienisch, da in Italien mehr Interesse für derartige
Gedankengänge vorhanden war. Der Weltkrieg ließ ihn resignieren, er hatte für die
heuchlerischen Schlagwörter der Entente Demokratien, Selbstbestimmung der
Völker’ usw. nichts übrig. Die russische Revolution begrüßte er und schrieb sogar
eine ‚Verteidigung für Lenin’, ohne seine eigentlichen syndikalistischen Gedanken
aufzugeben. Er starb am 28. August 1922 in der Zurückgezogenheit in Boulognesur-Seine. Sorels Charakter und Lebensführung werden von allen Zeitgenossen
sehr gut beurteilt. Er besaß keinerlei Ehrgeiz und arbeitete, seit er Sozialist war,
selbstlos und aufopfernd für das Proletariat. Seine Gegner verunglimpfte er nicht
so gehässig wie Marx, er war ein Wunder an Fleiß und führte ein sehr sauberes,
zurückgezogenes Familienleben. Er war vielleicht der erste sozialistische Denker,
der aus eigener Anschauung einen Begriff von der modernen Technik besaß und
daraus Folgerungen zog (bei Marx, Proudhon, Bakunin war das bekanntlich nicht
der Fall).
Sorel wird mitunter (so von Margherita Hirschberg-Neumeyer in ‚Die italienischen
Gewerkschaften’, Jena 1928, S. 32) als der Schöpfer des Syndikalismus bezeichnet.
Das ist unrichtig. Der Syndikalismus ist in Frankreich wie auch in den anderen
Ländern aus dem Schoße der Massen entstanden. Allenfalls könnte man Fernand
Pelloutier eine besondere Rolle bei der Entstehung des französischen Syndikalismus
zuschreiben, aber nicht Sorel, der nur Theoretiker war und gar nicht in der
Bewegung stand. Wenn er also auch nicht der Schöpfer des Syndikalismus war, so
hatte er doch auf die Arbeiterbewegung in den romanischen Ländern einen sehr
großen Einfluss, der noch heute fortdauert. Auch Mussolini kann in seiner
sozialistischen Zeit als Schüler Sorels betrachtet werden und hat die Lehre von der
Gewalt dann auf den Faschismus mit Erfolg übertragen.
Hier kann gleich auf ein anderes Märchen über Sorel hingewiesen werden: er soll
der intellektuelle Vater des Faschismus sein. So sagt der französische Faschist
Georges Valois (Le fascisme, Paris 1927) und auch der deutsche Professor von
Beckerath (Wesen und Werden des faschistischen Staates, Berlin 1927). Der
letztere zeigt allerdings gleich die Grenzen der Übereinstimmung auf.
Zwar haben Sorel und andere linksstehende Intellektuelle um 1910 Beziehungen
mit nationalistischen Kreisen angeknüpft, um eine Strecke Weges gemeinsam
gegen die beiden verhasste Demokratie zu gehen, aber deshalb ist Sorel noch nicht
einen Schritt breit von seiner rein proletarischen Einstellung gewichen, was man
von unseren Kommunisten bei ihrem Liebäugeln mit nationalbolschewistischen
Ideen nicht behaupten kann. (Radek-Reventlow 1923, das „Programm zur
nationalen und sozialen Befreiung’ usw.). Es handelte sich eben nur um eine
vorübergehende Taktik.
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Auch die Lehre von der Gewalt bedarf einer erheblichen Umänderung, ehe sie ein
faschistisches Aussehen bekommt. Sorel spricht immer von proletarischer Gewalt
und versteht darunter den Generalstreik. Selbstverständlich ist es jeder
gewalttätigen Bewegung möglich, sich auf Sorel zu berufen, denn die Gewalt kann
ebenso wenig wie eine andere Idee monopolisiert werden. Das Gewalt in der
Gesellschaft eine realere Macht darstellt als parlamentarisches Geschwätz, ist auch
schon allen früheren Revolutionären bekannt gewesen. Wenn also die Squadri
Mussolinis ihren Sieg durch Gewalt errangen, dann beweist das nichts gegen Sorel,
sondern nur etwas für Mussolini, er hat bei seinem Meister gut gelernt. Für uns
folgt daraus nichts weiter, als die Sache noch besser zu lernen, selbstverständlich
entsprechend den Gegebenheiten eines jeden Landes.
Eins ist natürlich sicher: der Faschismus stellt ein viel lebendigeres, aggressiveres,
moderneres und deshalb gefährlicheres System des Kapitalismus dar. Er hat diese
Eigenschaften durch gewisse Anleihen bei sozialistischen Denkern erreicht. Diesem
Denken ist daraus kein Vorwurf zu machen. Sonst könnte man auch Marx
anklagen, mit seiner Diktatur des Proletariats das Stichwort für die faschistische
Diktatur geliefert zu haben. Das ist natürlich kein Argument. Eher schon die
Tatsache, dass manche Einrichtungen des Faschismus aus Sowjetrussland entlehnt
worden sind (Tscheka gleich Ovra, Gewerkschaftsmonopol, Pressemonopol usw.).
Sorel hat also nicht mehr mit dem Faschismus zu tun als ein Streik mit einer
Aussperrung.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass wir nicht mit allem einverstanden zu
sein brauchen, was Sorel geschrieben hat, wie wir auch keine Bakunin- oder
Kropotkin-Scholastiker sind, dass aber in Sorels Werken noch eine Fülle von
Anregungen steckt, die von uns bisher noch nicht gehörig beachtet worden sind.
Leider ist der hohe Preis der beiden Bücher der Verbreitung in unseren Kreisen
nicht günstig, besonders für die 72 Seiten starke Broschüre ‚Die Auflösung des
Marxismus’ erscheint der Preis von 4 Mark als viel zu hoch. Vielleicht ist es dem
ASY-Verlag möglich, später einmal die Herausgabe der ‚Materiaux d’une theorie du
proletariat’ in deutscher Übersetzung ins Auge zu fassen. Besonders der in diesem
Sammelband von ‚Materialien einer Theorie des Proletariats’ enthaltene Aufsatz
‚Die sozialistische Zukunft der Gewerkschaften’ (Avenir socialiste des syndicats)
dürfte in unserem Lande eines verknöcherten Staatskapitalismus und Reformismus
interessieren, wo sich die Führer der großen Gewerkschaften noch nie mit den
sozialistischen Aufgaben der Gewerkschaften beschäftigt haben, sondern sich mit
einer unbestimmten ‚Wirtschaftsdemokratie’ begnügen.
H.W. Gerhard
Aus „Der Syndikalist“, Nr. 25/1931.
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Ernst H. Posse
Georges Sorel
Georges Sorel* ist seit zwei Jahrzehnten eine umstrittene Persönlichkeit. Rechtsund links-aktivistische Kreise beanspruchen ihn gleichzeitig als ihren Theoretiker,
besser: geistigen Führer und Lehrmeister. Theoretiker klingt nach Gebäude
systematisch geordneter Gedanken, und bei Sorel kann man wohl von einer Fülle –
und teils höchst überraschender – Gedanken, weniger von systematischer Ordnung
sprechen. Er war stolz, keine Methode zu haben. Genieblitze eines historisch,
philosophisch und ökonomisch Gebildeten und Revolutionärs. Ihm fehlt die Disziplin
des Marxisten, die dank übertriebener Marxgläubigkeit leicht Überdisziplin, das
heißt unproduktiv werden kann. In dieser Gegenüberstellung liegen die Vorteile
von Sorels Denken: er erkennt und ahnt Zusammenhänge, wo sogenannte
Marxisten haltgemacht haben, da der Weg noch nicht vorgezeichnet war.
Das Echo seines Todes war wie Leben und Werk verwirrend, zwiespältig. Während
die linksradikalen Kreise ihrer tiefen Sympathie Ausdruck gaben, taten das Gleiche
die Leute der ‘Action Française’ und Georges Valois, der Theoretiker des
französischen Faschismus. Mussolini selbst nennt sich Schüler Sorels und hat das
des öfteren betont. So antwortete er einmal auf die Frage eines Redakteurs des
‘A.B.C.’ Madrid, welcher Einfluss für seine Entwicklung der Entscheidende gewesen
sei: ‘Der Sorels. Für mich war die Hauptsache Handeln. Ich wiederhole, Sorel
schulde ich am meisten. Dieser “maître” des Syndikalismus hat durch seine
schroffen Theorien der revolutionären Taktik am meisten dazu beigetragen, die
Disziplin, Energie und Stärke der faschistischen Kohorten zu begründen’. Sorel hat
1912 in persönlichem Kontakt mit Mussolini gestanden. Aus dieser Zeit wird
folgender Ausspruch überliefert, der Mussolinis Natur und spätere Auswirkung
prophetisch erfasst: ‘Notre Mussolini n‘est pas un socialiste ordinaire. Croyez-moi:
vous le verrez peut-être un jour à la tête d‘un bataillon sacré saluer de l‘épée la
bannière italienne. C‘est un italien du quinzième siècle, un Condottière. On ne le
sait pas encore, mais c‘est le seul homme énergique capable de redresser les
faiblesses du gouvernement.’
Doch zu Sorel zurück. Vor der Andeutung seiner objektiven Leistung einige
Stichworte über die Hauptetappen seines Lebens: Geboren 1847, Schüler der école
politechnique, über zwanzig Jahre Ingenieur. Von der Schule bringt er das
naturwissenschaftliche mathematische Denken mit, im Gegensatz zu dem mehr
ideologischen der ‘normaliens’ (Schüler der école normale supérieur) – ein
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Gegensatz der von größter Bedeutung ist und bei vielen Franzosen
ausschlaggebend. Der Ingenieur-Beruf verstärkt dies rein technische Denken, das
in seinen späteren Arbeiten vorwiegt. Er beginnt erst nach dem 40. Jahre zu
schreiben. 1898 glühender Verteidiger der Dreyfus-Sache, Schulter an Schulter mit
dem reformistischen Sozialismus, voller Bewunderung für Jaurès, dessen
eigentlicher Gegenspieler er später werden sollte.
Der Ausgang der Dreyfus-Affäre und die Festigung der kleinbürgerlichen
Demokratie wandelt ihn. Einige Jahre später lehnt er den nur parteipolitischen
parlamentarischen Sozialismus als unproduktive Alterserscheinung ab. Durch
Kompromisse, Aufgehen in Nurreformismus sieht er in ihm nicht genügend élan
vital um als konstruktiver Faktor im Gesellschaftsleben gelten zu können. Genau so
wendet er sich gegen das etwas hohle Pathos des marxistischen Doktrinarismus
eines Jules Guesde und Lafargue. Bald ist er der Apologet des revolutionären
Syndikalismus geworden. Damals gab ihm Jaurès die populär gewordene
Bezeichnung ‘métaphysicien du syndicalisme’.
Um 1912 sympathisiert er mit den Doktrinen des Traditionalismus, steht mit
konservativen und nationalistischen Theoretikern in enger Verbindung. Der Krieg
enttäuscht ihn nicht als Erscheinung an sich, die unerwartete Reaktion der Massen
(und vielversprechender Einzelner!) ist es, die ihn unfähig macht, Wege in eine
klarere, geordnetere sozialistische Zukunft zu sehen. Und Hauptmotiv dieser
Depression ist eine Einsicht die für ihn charakteristisch: die Alliierten verstehen es,
mit der Parole ‘Demokratie in Gefahr!’ die Massen zu begeistern und eine
einheitliche geistige Kampffront herzustellen.
Sorel der sich von dem Glauben an die parlamentarische Demokratie abgewandt
hatte, erwartete nicht mehr eine so wirksame Resonanz demokratischer Parolen. –
Der Sieg des Bolschewismus lässt ihn, der damals im französischen Geistesleben
durch die große Reihe seiner soziologischen Werke eine Rolle spielt, angesehene
bürgerliche Zeitungen öffnen ihm ihre Spalten, zum ersten französischen
Verteidiger des Bolschewismus werden, zum ersten Verteidiger von Format, auf
dessen Worte man hört. Der vierten Ausgabe der ‘Réflexions sur la violence’ (1920)
fügt er ein vielbeachtetes Plädoyer für Lenin bei.
Über das Werk (oder die Werke, denn wie das Echo ist das Fundament nicht
einheitlich) kann hier nur ganz Allgemeines gesagt werden. Sorel basiert auf SaintSimon, Proudhon und…Marx. Doch würde das nicht allein erklären, warum er über
die sozialistische Gedankenwelt hinaus auch den aktiv traditionalistischen
Strömungen (wie action française) Lehrmeister sein kann. Der große Einfluss, den
Nietzsche und später Bergson auf Sorel ausgeübt hat, schafft – kombiniert mit der
bestehenden sozialistischen Gedankenwelt – das irrationalistische, aktivistische
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Element in seinem Werk. Und dies ist das eigentlich Neue, das Sorel, die
politischen Lehren des 20. Jahrhunderts wesentlich beeinflussend, produziert hat.
Es ist die Idee von der ‘action directe’, vom Generalstreik als Mythos (von Mussolini
umgewandelt in die Nation als Mythos. Mussolini 1922 vor dem Marsch auf Rom:
‘unser Mythos ist die Nation, die große Nation, die wir zu einer konkreten Realität
machen wollen’), weiter die grundlegende Idee von der produktiven Rolle der
Gewalt in der Geschichte. In der französischen Presse ist noch heute der Streit
nicht beendet, ob Sorel, der Lehrer Mussolinis, wohl jemals die faschistischen
Gewalttaten bejaht hätte. Wer die moralisch ethischen Motive berücksichtigt, die er
als Rechtfertigung der revolutionären Gewaltanwendung anführt, muss zu dem
Schlusse kommen: der Lehrer hätte seinen Schüler verdammt…wie er Lenin
verehrte! Oder denken wir im Sinne Sorels, lassen jede banalisierende
Vereinfachung fort und konstatieren ruhig, dass er in Mussolini zwar den Verräter
aber den großen Verräter gesehen hätte.
Die wahre Bedeutung Sorels liegt in der Wiedererweckung proudhonistischen (teils
auch bakunistischen) Geistes. Man denke nur an die Grundstimmung von ethischen
und moralischen Wertungen in seinem Werk (die Verachtung des ‘bourgeois’) die
ihn ebenso in Kampfstellung gegen die marxistischen wie alle parteisozialistischen
Bewegungen bzw. deren Führer (Guesde, Jaurès usw.) gegen die Typen der
‘Berufspolitiker’ brachte. Um es kurz auszudrücken, ihm schien die Ethik des
Sozialismus und die moralische Integrität u. Intensität des proletarischen
Befreiungskampfes wichtiger als die bloße Feststellung des Entwicklungsstandes
der Produktivkräfte. Wenn Sorel auch mit Marx den rücksichtslosen rein
proletarischen Klassenkampf betonte (das im Gegensatz zu Proudhon, der alle
‘Gutgesinnten’ einschloss das heißt auch die integeren Elemente der Bourgeoisie)
so ist doch sein Werk eine teils widerspruchsvolle aber geniale Kombination von
Proudhon und Marx, in der proudhonistischer Geist vorwiegt.
Eine solch kurze stichwortartige Übersicht muss vieles offen lassen, kann vieles nur
andeuten und mag auch vieles als Zweifel zurücklassen. Die Übereinstimmungen
im an sich sozialistischen Werk Sorels mit den Lehren des extremen Nationalismus
und Traditionalismus werden zu derartigen Zweifeln führen. Und da kann nur
allgemein gesagt werden, dass diese beiden Lager, die aus entgegengesetzten
Motiven Gegner des in Europa herrschenden bourgeoisen, parlamentarischen und
demokratischen Geistes sind, in negativen Zielen, in der Vernichtung dieses
Geistes, in der Kritik notwendigerweise übereinstimmen müssen. Erst der Aufbau
des Neuen führt sie auseinander, endgültig. In dieser Situation ist das Werk Sorels
entstanden, daher seine eigenartige Resonanz. Der Sinn seines Werkes dagegen
liegt im Sozialismus, für den er kämpfte.
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*Vor Kurzen erschien Pierre Lasserre: Georges Sorel, théoricien de l‘impérialisme.
Ses idées, Son action, in den Cahiers de la Quinzaine. Soeben erschien eine
deutsche Übersetzung der ‘Réflexions’: Über die Gewalt, von Georges Sorel. Mit
einem Vorwort von Gottfried Salomon und Nachwort von Edouard Berth,
Universitäts-Verlag Wagner, Innsbruck, 1928, 386 S. Brosch. 9 R.M. Geb. 12 R.M.
In: Internationale Revue i 10 1927-1929. [Ingeleid door Arthur Lehning]. Kraus
Reprint, Nendeln 1979, p. 155-156.
„Der Syndikalist“
Georges Sorel
(1922)
In den letzten Monaten trafen aus Frankreich mehrere Todesnachrichten ein. Die
alte Garde geht von uns. Erst es Jules Guesde, dann Marcel Sembat, und nun ist es
Georges Sorel. Während Sembat ein sozialistischer Parteipolitiker war, ragte
Guesde über viele seine Parteigenossen hinaus, und es bildete sich eine ganze
Schule, die sich nach ihm benannte.
Der bedeutendste jedoch von allen ist Georges Sorel. Er war Ingenieur,
beschäftigte sich jedoch in reiferen Jahren mit dem sozialen Problem und schrieb
einige sozialistische Werke, die über das Gros der Alltagsliteratur hinausragen.
Theoretisch stand Sorel zwischen Marx und Kropotkin. Er gehörte keiner der beiden
Schulen an, beschäftigte sich jedoch eingehen[d] mit Proudhon und wurde von
diesem gewaltigen Denker nicht wenig beeinflusst. Sorel wurde zum Fürsprecher
des freiheitlichen Sozialismus, des Syndikalismus. Er wird als bedeutender
Theoretiker des Syndikalismus angesehen. Sein Einfluss war jedoch in Italien
gröβer, als in seinem eigenen Lande Frankreich.
In seinem Werke „Der Verfall des Marxismus“ (La Décomposition du Marxisme),
das vor ungefähr 15 Jahren erschien, stellt er die Unhaltbarkeit vieler marxistischer
Thesen da[r]. Als sein Hauptwerk kann man seine „Betrachtungen über die Gewalt“
(Réflexions sur la Violence) ansehen. Für ihn war die Gewalt nichts verwerfliches,
sondern etwas kulturförderndes. Ohne die individuelle sowie spontane
Gewaltanwendung kann sich nach ihm das Proletariat nicht befreien. Man muss
Franzose oder Romane sein, um dies Werk ganz zu würdigen zu können. Obzwar
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Sorel selbst nicht all zu stark Mann der Aktion war, springen aus seinen
theoretischen Erkenntnissen die reinsten Wasser heraklitischen Geschehens. Das
Ziel ist nichts, die Bewegung alles. Das Proletariat findet in der Bewegung selbst
Befriedigung, Beglückung.
Auch in dem Punkte kam Sorel dem Anarchismus nahe, dass er nichts von den
Parteipolitikantentum wissen wollte. Der Sozialismus konnte seiner Ansicht nach
vom Parlamente kommen, sondern nur durch die direkte Aktion der Arbeiter selbst.
In Sorel verliert die Internationale Arbeiterbewegung einen ihrer aufrichtigsten
Mitkämpfer.
„Der Syndikalist“, n°38/1922 (IV. Jhg.)
Quelle:
http://raumgegenzement.blogsport.de/index.php?s=Georges+Sorel%2
C+der+Theoretiker+des+Syndikalismus+ ...... (<<< das letzte +
mitkopieren!!!)
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erlösen,
„Uns aus dem Elend zu er
lösen,
können Wir nur selbst tun!“
Dieser unmissverständliche Satz aus der „Internationalen“ ist die Richtschnur der Arbeit von
www.anarchosyndikalismus.de.vu & http://syndikalismus.wordpress.com
Wir informieren und berichten auf unseren Webseiten aus einem anarchosyndikalistischen
Selbstverständnis heraus über alles von Interesse, um dazu beizutragen uns aus dem Elend zu erlösen.
Als ArbeiterInnen, Prekäre und Erwerbslose begegnen wir täglich Ungerechtigkeiten und Elend in
vielfältigen Formen und Facetten. Sei es der Kapitalismus, die Herrschaft, der Staat, das Militär, die
Religion, der Nationalismus, Rassismus und Sexismus – dies alles hindert uns an einem
selbstbestimmten und würdevollen Leben.
Neben der aktuellen Berichterstattung und eigenen Veröffentlichungen wollen wir möglichst umfassend
über die aktuelle anarchosyndikalistische und revolutionär-syndikalistische Bewegung rund um den
Globus informieren, sowie ihre Traditionen und Geschichten darstellen. Dabei grenzen wir uns von
dogmatischen Positionen ebenso ab, wie von denjenigen Libertären, die den Anarchismus als
Modeerscheinung behandeln und die Notwendigkeit des Klassenkampfes verleugnen.
Wenn durch unsere Webseiten Menschen mit den praktischen Vorstellungen und Ideen des
Anarchosyndikalismus in Berührung kommen und sich mit ihm als Alternative zur bestehenden
ungerechten kapitalistischen Gesellschaft befassen, ist das Ziel dieser Webseite erreicht. Alles andere
wird und kann nur die Praxis im Klassenkampf erbringen, bis zur Vollendung der weltweiten Sozialen
Revolution.
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Anarcho
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Reiche Erkenntnis & viel Freude beim Lesen.
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