Begriff und Konsequenzen der Gewerbsmässigkeit in der Aviatik
Transcription
Begriff und Konsequenzen der Gewerbsmässigkeit in der Aviatik
CFAC-Forum Haftung und Versicherung Begriff und Konsequenzen der Gewerbsmässigkeit in der Aviatik Prof. Dr. Roland Müller Rechtsanwalt und Fluglehrer Präsident CFAC-HSG www.cfac.ch Folie 1 Zielsetzungen des Impulsreferates Klarstellen der verschiedenen Definitionen der Gewerbsmässigkeit Aufzeigen der Konsequenzen aus der Qualifikation eines Fluges als gewerbsmässig Empfehlungen abgeben zur Vermeidung von Problemen im Zusammenhang mit der Unterscheidung privater und gewerbsmässiger Flug Impulse vermitteln zur Erarbeitung weiterer Lösungsansätze www.cfac.ch Folie 2 Prof. Dr. Roland Müller 1 Gliederung des Impulsreferates 1. Überblick über die grundsätzliche Einteilung von Flügen und die Anwendungsbereiche 2. Die Gewerbsmässigkeit im Luftrecht 3. Die Gewerbsmässigkeit im Haftpflichtrecht 4. Die Gewerbsmässigkeit im Abgaberecht 5. Zusammenfassung und Empfehlungen www.cfac.ch Prof. Dr. Roland Müller Folie 3 Übersicht über die Unterteilung der Flüge Linienverkehr Charter Freizeitaviatik Ausbildungsflüge Firmeneigener Werksverkehr Nicht gewerbsmässig Arbeitsflüge Werkflüge Taxiverkehr Charterverkehr Extraflug Planmässiger Flug Gewerbsmässig General Aviation www.cfac.ch Folie 4 2 Unterschiedliche Anwendungsbereiche Definition Gewerbsmässigkeit Definition im Luftrecht Definition im Haftpflichtrecht Definition im Abgaberecht • Internationales Luftrecht (ICAO) • Regionales Luftrecht (JAA/EASA) • Nationales Luftrecht (NAA) • Warschauer Abkommen • Montrealer Übereinkommen • EG-VO 2027/97 und 889/2002 • Mehrwertsteuer • Unternehmenssteuern • Mineralölsteuer • Zollabgaben www.cfac.ch Folie 5 Gliederung des Impulsreferates 1. Überblick über die grundsätzliche Einteilung von Flügen und die Anwendungsbereiche 2. Die Gewerbsmässigkeit im Luftrecht 3. Die Gewerbsmässigkeit im Haftpflichtrecht 4. Die Gewerbsmässigkeit im Abgaberecht 5. Zusammenfassung und Empfehlungen www.cfac.ch Folie 6 Prof. Dr. Roland Müller 3 Gewerbsmässigkeit nach ICAO ¾ Im Abkommen von Chicago wird der Begriff Gewerbsmässigkeit nicht definiert; lediglich in Art. 5 wird von "nichtgewerblichen Landungen" bzw. "stops for non-traffic purposes" gesprochen. ¾ Im Annex 1 (Personnel Licensing) wird unter Ziff. 1.1 Commercial air transport operation wie folgt definiert: An aircraft operation involving the transport of passengers, cargo or mail for remuneration or hire. Problematik Es ist unklar, was unter "remuneration" zu verstehen ist. Gehört dazu jede geldwerte Leistung oder nur ein eigentlicher Lohn? Ist Kostenaufteilung zulässig? Werbung ist jedenfalls dazu nicht notwendig! www.cfac.ch Folie 7 Restriktive Auslegung durch US-NTSB Kosten des Fluges dürfen unter den Insassen des Flugzeuges (inkl. Pilot) aufgeteilt werden, doch sind die anrechenbaren Kosten beschränkt Mietkosten des Flugzeuges (sofern nicht eigenes) Treibstoff und Schmierstoff Flugsicherungs-, Lande- und Abstellgebühren Spezielle Versicherungen für diesen Flug Spezielle Umrüstkosten für diesen Flug Beim eigenen Flugzeug werden Abschreibungen, Zinsen, Versicherungen, Hangarkosten, etc. nicht zugelassen. www.cfac.ch Folie 8 Prof. Dr. Roland Müller 4 Gewerbsmässigkeit nach JAA ¾ Per 30. Juni 2009 wurden die JAA aufgelöst; ihre Aufgaben wurden weitgehend durch die EASA übernommen. ¾ In JAR–1(Definitions and Abbreviations) wurde mit dem NPA 1-7 folgende Definition aufgenommen: Commercial Air Transportation means the transportation by air of passengers, cargo or mail for remuneration or hire. Problematik Auch hier ist unklar, was unter "remuneration" zu verstehen ist. Die JAA haben deshalb nicht zur Klärung der ICAO-Vorgabe beigetragen. www.cfac.ch Folie 9 Gewerbsmässigkeit nach EASA (1. Teil) ¾ In Art. 3 lit. i) der VO-EG Nr. 216/2008 des europ. Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit wurde der Begriff gewerbliche Tätigkeit wie folgt definiert: Betrieb eines Luftfahrzeugs gegen Entgelt oder sonstige geldwerte Gegenleistungen, der der Öffentlichkeit zur Verfügung steht oder der, wenn er nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, im Rahmen eines Vertrags zwischen einem Betreiber und einem Kunden erbracht wird, wobei der Kunde keine Kontrolle über den Betreiber ausübt. www.cfac.ch Folie 10 5 Gewerbsmässigkeit nach EASA (2. Teil) ¾ 1. Voraussetzung ist in jedem Fall ein Entgelt oder eine sonstige geldwerte Gegenleistung für den Flug ¾ 2. Voraussetzung ist alternativ entweder: • öffentliche Verfügbarkeit des Fluges, oder • Vertrag zwischen Operator und Kunde, wobei der Kunde keine Kontrolle über den Operator ausübt. ¾ Nach FCL.205.A ist der Inhaber einer PPL aber nur berechtigt, Flüge ohne Vergütung als PIC oder Kopilot auszuführen Problematik Was ist unter Kontrolle des Kunden über den Operator zu verstehen? Wie ist der Widerspruch zur konkreten Berechtigungseinschränkung der Lizenz zu lösen? www.cfac.ch Folie 11 Gewerbsmässigkeit nach EASA (3. Teil) Wird ein Flug öffentlich angeboten (Werbung) darf überhaupt kein Entgelt angenommen werden, sonst liegt Gewerbsmässigkeit vor! Eine Kontrolle des Operators durch den Kunden dürfte wohl in folgenden Fällen gegeben sein: Operator ist Gesellschaft bzw. Verein, und Kunde ist stimmberechtigter Gesellschafter bzw. stimmberechtigtes Vereinsmitglied, oder Kunde ist Organ der Gesellschaft bzw. Verein und kann selbst Willensbildung vornehmen www.cfac.ch Folie 12 Prof. Dr. Roland Müller 6 Vorgesehene Änderung per 1.1.2014 ¾ Mit Schreiben vom 16.7.2013 teilte das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit, die VO-EU 965/2012 und die VO 1178/2011 würden per 1.1.2014 ergänzt bzw. präzisiert, so dass auch Privatpiloten u.U. Flüge gegen Entgelt durchführen können ¾ Nicht als gewerbsmässig sollen folgende Flüge gelten: Selbstkostenflüge mit Flugzeugen bis zu 6 Plätzen, sofern die Flugkosen durch alle Insassen geteilt werden Wettbewerbs- oder Schauflüge, wobei hier auch Preisgelder angenommen werden dürfen Einweisungsflüge durch Vereine oder Flugschulen Absetzflüge von Fallschirmspringern Schleppflüge für Segelflugzeuge Kunstflüge durch Vereine oder Flugschulen www.cfac.ch Folie 13 Gewerbsmässigkeit in der Schweiz (Teil 1) Art. 100 LFG: Gewerbsmässigkeit 1 Flüge gelten als gewerbsmässig, wenn: a. für sie in irgend einer Form ein Entgelt entrichtet wird, das mehr als die Kosten für Luftfahrzeugmiete, Treibstoff sowie Flugplatz- und Flugsicherungsgebühren decken soll; und b. sie einem nicht bestimmten Kreis von Personen zugänglich sind. 2 ... 3 Bei nicht gewerbsmässigen Flügen, für die ein Entgelt entrichtet wird, sind die Passagiere vor dem Abflug auf den privaten Charakter des Fluges und auf die damit verbundenen Folgen hinsichtlich des Versicherungsschutzes hinzuweisen. ¾ Ohne Werbung kann Entgelt in beliebiger Höhe entgegengenommen werden, mit Werbung jedoch nicht mehr als "Selbstkosten", sonst gilt der Flug als gewerbsmässig! www.cfac.ch Folie 14 7 Gewerbsmässigkeit in der Schweiz (Teil 2) Problematik Wie soll die Formulierung "einem nicht bestimmten Kreis von Personen zugänglich" ausgelegt werden? Genügt es, wenn im Flugpreis die Kosten für eine Vereinsmitgliedschaft enthalten sind? Klarstellung durch das BAZL: Verein muss tatsächlich operativ sein Fluggast muss tatsächlich Mitglied des Vereins sein (Anmeldung, Statuten, Mitgliederliste) Zwischen Anmeldung zum Verein und Flug muss eine Wartefrist liegen (gewünscht sind 30 Tage) Nur Vereinsmitglieder dürfen gegen Entgelt befördert werden www.cfac.ch Folie 15 Gliederung des Impulsreferates 1. Überblick über die grundsätzliche Einteilung von Flügen und die Anwendungsbereiche 2. Die Gewerbsmässigkeit im Luftrecht 3. Die Gewerbsmässigkeit im Haftpflichtrecht 4. Die Gewerbsmässigkeit im Abgaberecht 5. Zusammenfassung und Empfehlungen www.cfac.ch Folie 16 Prof. Dr. Roland Müller 8 Aufteilung nach Montrealer Übereinkommen Private Flüge Unentgeltliche Flüge Gewerbsmässige Flüge Entgeltliche Flüge Unbeschränkte Haftung nach OR mit dem ganzen Vermögen Geschädigter muss Verschulden beweisen Versicherungsobligat. Unbeschränkte Haftung nach LTrV Kein Beförderungsschein möglich, evtl. Verzichtserklärung Beförderungsschein (LTrV) mit Hinweis gem. LFV, Art. 100 Verschuldensvermutung/Enthaftungsmöglichkeit Versicherungsobligat. Unentgeltliche Flüge Entgeltliche Flüge Unbeschränkte Haftung gemäss Montreal Übereinkommen und der EU-Verordnung 785/2004. Bis SZR 100'000 Kausalhaftung, darüber unbeschränkte Verschuldenshaftung / 1 SZR = ca. CHF 2 / Versicherungsobligatorium gem. LFV mind. SZR 250'000 pro Pax-Sitz Vorauszahlung bei Tod/Verl. 16'000 Bedingungen auf Beförderungsschein und Pax-Orientierung www.cfac.ch Folie 17 Passagierhaftpflichtversicherung ¾ Die Deckung geht mit dem Luftfahrzeug ¾ Deckt Ansprüche von Passagieren (inkl. mitgeführte Sachen bis CHF 5‘000.– und Verspätungsschäden bis max. SZR 4'150 je Reisenden) ¾ Ist gesetzlich vorgeschrieben: - generell gilt eine Garantiesumme von mind. SZR 250'000 pro Passagier - privat entgeltlich bis 2'699 kg MTOM kann diese tiefer sein: in der Schweiz mind. SZR 100'000 p.P. ¾ Beförderungsscheine gemäss Übereinkommen von Montreal und der Verordnung über den Lufttransport (LTrV) ausstellen. Diese können auch elektronisch ausgestellt werden! www.advoca t.ch Folie 18 Prof. Dr. Roland Müller 9 Gliederung des Impulsreferates 1. Überblick über die grundsätzliche Einteilung von Flügen und die Anwendungsbereiche 2. Die Gewerbsmässigkeit im Luftrecht 3. Die Gewerbsmässigkeit im Haftpflichtrecht 4. Die Gewerbsmässigkeit im Abgaberecht 5. Zusammenfassung und Empfehlungen www.cfac.ch Prof. Dr. Roland Müller Folie 19 Gewerbsmässigkeit und Mehrwertsteuer Das Entgelt für Flüge im Inland unterliegt der Mehrwertsteuer. Die überwiegende Nutzung im Ausland ist von der MWST befreit. Luftrechtliche Qualifikation ist irrelevant Art und Wartung des Luftfahrzeuges ist irrelevant Lizenz des Piloten ist irrelevant Versicherung und Kosten sind irrelevant Massgebend ist Distanz Zielort zur Schweizer Grenze Der Operator hat für jeden einzelnen Flug die überwiegende Nutzung im Ausland nachzuweisen, wenn er die MWST-Befreiung geltend machen will www.cfac.ch Folie 20 Prof. Dr. Roland Müller 10 Gewerbsmässigkeit und Einfuhrsteuer (Fakt) Die Einfuhrsteuer wird von der Zollverwaltung erhoben. Massgebend ist deshalb Zollgesetz und das Istanbuler Übereinkommen bzw. Anlage C über Beförderungsmittel bei gewerblicher Nutzung muss Luftfahrzeug nach dem Transport wieder ins Ausland bei privater Nutzung kann das Luftfahrzeug innert 12 Monaten jeweils 6 Monate im Land verbleiben Problematik Die Zollverwaltung entscheidet völlig unabhängig von der luftrechtlichen Qualifikation, ob eine gewerbsmässige Nutzung vorliegt oder nicht! www.cfac.ch Folie 21 Prof. Dr. Roland Müller Gewerbsmässigkeit und Einfuhrsteuer (Fall) www.cfac.ch Folie 22 Prof. Dr. Roland Müller 11 Gewerbsmässigkeit und Einfuhrsteuer (Fall) Am 11. Internat. Seaplane Meeting auf dem Brienzersee 2013 haben zwei schweiz. Zollfahnder das amerikanisch immatr. Flugzeug eines Teilnehmers an die Kette gelegt (vgl. Bericht in den Skynews vom August 2013, S. 10). Der Teilnehmer musste mit dem Linienflugzeug nach Hause reisen und sein eigenes Flugzeug in der Schweiz lassen. Damit er sein Flugzeug wieder mitnehmen konnte, musste er eine Kaution von über CHF 15'000 hinterlegen. Begründung der Zollverwaltung (nicht rechtskräftig) Der Pilot hat vom Club einen Anteil am Entgelt aus einigen Rundflügen erhalten. Dies sei ein Verstoss gegen das Istanbul Übereinkommen und die Zollverordnung. Die Qualifikation als nicht gewerbsmässige Flüge nach Luftrecht bzw. BAZL sei irrelevant. Zulässig wären solche Flüge nur bei vorgängiger Zollanmeldung; dies hätte dann eine Besteuerung des eingenommen Entgelts mit Schweizer MWST zur Folge. www.cfac.ch Folie 23 Prof. Dr. Roland Müller Gliederung des Impulsreferates 1. Überblick über die grundsätzliche Einteilung von Flügen und die Anwendungsbereiche 2. Die Gewerbsmässigkeit im Luftrecht 3. Die Gewerbsmässigkeit im Haftpflichtrecht 4. Die Gewerbsmässigkeit im Abgaberecht 5. Zusammenfassung und Empfehlungen www.cfac.ch Folie 24 Prof. Dr. Roland Müller 12 Konsequenzen der Gewerbsmässigkeit (2. Teil) Unternehmen, die gewerbsmässige Flüge anbieten, benötigen eine entsprechende Betriebsbewilligung Bei gewerbsmässigen Flügen sind zahlreiche zusätzliche Vorschriften einzuhalten, insbesondere bezüglich Arbeitszeit Nur Piloten mit einer CPL oder ATPL dürfen gewerbsmässige Flüge durchführen Die medizinischen Anforderungen an gewerbsmässig tätige Piloten sind erhöht Nur Flugzeuge mit entsprechender Ausrüstung und Wartung dürfen gewerbsmässig eingesetzt werden Ein gewerbsmässiger Flug bedarf, im Gegensatz zum Privatflug, der Gewährung der benötigten Verkehrsrechte www.cfac.ch Folie 25 Konsequenzen der Gewerbsmässigkeit (1. Teil) Die Durchführung gewerbsmässiger Flüge ohne entsprechende Bewilligung und ohne Einhaltung der Vorschriften kann ein strafrechtliches Delikt darstellen Die gewerbsmässige Qualifikation hat Auswirkungen im Haftpflichtrecht und damit auch im Versicherungsbereich, grundsätzlich gilt eine verschärfte Haftung Bei gewerbsmässigen Flügen aus dem Ausland wird eine Einfuhrsteuer erhoben, wenn das Luftfahrzeug in der Schweiz verbleibt Innerstaatliche Flüge gegen Entgelt können zollmässig als gewerblich qualifiziert werden, womit Verzollung nötig ist Bei gewerbsmässigen Flügen ins Ausland kann eine Befreiung von der Mineralölsteuer geltend gemacht werden www.cfac.ch Folie 26 13 Empfehlungen zur Problemvermeidung In jedem Land ist die luftrechtliche Definition der Gewerbsmässigkeit individuell abzuklären und zu berücksichtigen; gewerbsmässige Flüge ohne Bewilligung und Einhaltung aller Vorschriften strikte vermeiden! Die haftungsrechtliche Definition der Gewerbsmässigkeit ist unabhängig von der luftrechtlichen Definition; verschärfte Haftungsbestimmungen und Anforderungen an die Versicherungen strikte beachten! Die steuer- und zollrechtliche Definition der Gewerbsmässigkeit ist unabhängig von der luftrechtlichen Definition; frühzeitig mögliche steuer- und zollrechtliche Probleme abklären und gegebenenfalls Ruling einholen! www.cfac.ch Folie 27 Prof. Dr. Roland Müller 14