Hanni und Nanni schnuppern Bühnenluft

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Hanni und Nanni schnuppern Bühnenluft
Unverkäufliche Leseprobe
Enid Blyton
Hanni und Nanni schnuppern Bühnenluft
188 Seiten
ISBN: 978-3-505-12835-6
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© 2011 SchneiderBuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Enid Blyton ® Text and images copyright: © Chorion Rights Limited.
Ein Brief mit Folgen
„Zwei Wochen Studienfahrt! Klingt das nicht einfach himmlisch?“ , seufzte Hanni neidisch, während sie den älteren
Schülerinnen nachblickte, die gut gelaunt die Gänge entlangschlenderten.
Es dauerte zwar noch einige Wochen bis zu den Sommerferien, doch sie hatten bereits alle Klassenarbeiten geschrieben. Das zweite Schulhalbjahr fiel in diesem Jahr besonders
lang aus, und daher hatte Frau Theobald beschlossen, die
verbleibende Zeit vor den Ferien für eine gemeinsame Studienfahrt der fünften und sechsten Klasse zu nutzen.
„Immerhin haben wir die Büffelei hinter uns und können
reinen Gewissens ein bisschen faulenzen“ , versuchte Nanni
ihre Schwester aufzumuntern.
Doch auch wenn sich die zwei Mädchen mit ihren braunen Pferdeschwänzen und den Sommersprossen äußerlich
glichen wie ein Ei dem anderen, hatte die quirlige Hanni
deutlich weniger Bedürfnis nach Ruhe als ihre Schwester.
„Ich würde viel lieber auch wegfahren, statt hierzubleiben. Zu öde, dass wir nicht mitdürfen. Dabei sind wir doch
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schon in der Vierten. Ich verstehe einfach nicht, warum das
eine Jahr so viel ausmachen soll!“
Lässig legte Bobby den rechten Arm um Hannis, den linken um Nannis Schulter. „Wenn wir schon nicht wegfahren,
sollten wir uns etwas einfallen lassen, damit in den nächsten
Wochen keine Langeweile aufkommt. Hat Hilda nicht etwas von Projektwochen läuten hören? Vielleicht bringt das
­etwas Abwechslung. Ich hätte auch schon ein paar Ideen:
Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir Lügendetektoren bauen? Oder einen Hausaufgabenroboter, der uns die tägliche
Plackerei abnimmt?“
Nanni stimmte sofort in Bobbys Lachen ein, doch Hanni
war nicht so schnell bereit, sich mit den Tatsachen abzufinden.
Unzufrieden stampfte sie auf. „Ach, Projekte! Mir wäre
ein Wunder lieber, damit wir auch mit auf die Studienfahrt
dürfen!“
„Na kommt schon, lasst uns mal sehen, was die anderen
machen“ , versuchte Nanni noch einmal, dem Gejammer ein
Ende zu bereiten.
Gerade hatten sie sich zum Gehen gewandt, als eine wohlbekannte Stimme sie zurückhielt. „Hanni, Nanni, Bobby,
das trifft sich ja bestens.“ Unerwartet sahen sie sich ihrer
­Direktorin gegenüber. „Ich hätte da ziemlich dringend etwas
mit eurer Klasse zu besprechen.“ Frau Theobald warf einen
abschätzenden Blick auf ihre Armbanduhr. „Jetzt muss ich
noch zu Mamsell, aber gleich danach habe ich Zeit. Sagt
doch bitte euren Klassenkameradinnen Bescheid, dass ich
euch in einer Stunde bei mir im Büro erwarte.“ Freundlich
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nickte sie ihnen zu, bevor sie würdevoll wie immer an ihnen
vorbei in das Lehrerzimmer verschwand.
Verdutzt sahen die Mädchen ihr hinterher.
Bobby brach als Erste das Schweigen. „Habt ihr einen
Schimmer, wem oder was wir diese spontane Einladung verdanken? Wir haben doch nichts ausgefressen, oder sehe ich
das falsch?“
Nanni antwortete im Brustton der Überzeugung: „Nein,
natürlich nicht, zumindest nicht dass ich wüsste, aber sie sah
ja eben auch nicht verärgert aus. Wenn ihr mich fragt, klang
das eher so, als hätte sie gute Neuigkeiten.“
Hannis Miene hellte sich auf. „Wer weiß – vielleicht hat
der Himmel unser Flehen erhört und wir dürfen doch mit
den Großen fahren.“
Nanni kicherte über ihren dramatischen Ton. „Jetzt mach
aber mal halblang!“
Aber ihre Schwester und Bobby fingen nun an, alle möglichen Vermutungen darüber anzustellen, was Frau Theobalds Anliegen sein könnte. „Vielleicht eine neue Schülerin?
Eher unwahrscheinlich kurz vor den Sommerferien. Oder
geht es doch um die Projektwochen?“
Wieder war es Nanni, die sie bremste: „Eins nach dem anderen, erst einmal müssen wir den anderen Bescheid sagen.“
Aufgekratzt liefen sie los, und als sie wenig später im Aufenthaltsraum ankamen, empfing sie fröhliches Stimmgewirr
und gemütliches Chaos. Doris und Marianne ließen sich
von Carlotta unter vergnügtem Lachen einen Tanzschritt
beibringen. Unbeeindruckt von der lauten Musik, die aus
dem Radio dröhnte, saß Claudine in einem der Polstersessel
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und bestickte hingebungsvoll ein Halstuch. Petras schlaue
Nase steckte wie so oft in einem dicken Buch, und neben ihr
schmökerte Hilda in einer Zeitschrift. Bei dem schwungvollen Auftritt der drei Freundinnen blickten alle erwartungsvoll hoch.
„Was ist los? Habt ihr im Lotto gewonnen?“ , fragte Hilda.
Bobby antwortete mit einer Gegenfrage. „Wer weiß?
Vielleicht haben wir das sogar? Ratet, wen wir gerade vorm
Schwarzen Brett getroffen haben!“ Aber sie ließ ihnen keine
Chance zu antworten, sondern erzählte rasch weiter: „Frau
Theobald! Sie hat uns beauftragt, euch zusammenzutrommeln. Um sechs Uhr sollen wir alle in ihr Büro kommen,
weil sie etwas mit uns zu besprechen hat – dringend!“
Hilda zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. „Hat sie
denn nicht mal angedeutet, worum es geht?“
Als Hanni verneinte, wurde es erst ganz still, doch nur
einen Moment später schwatzten alle durcheinander. Schnell
spaltete sich die Klasse in zwei Parteien. Die einen – allen
voran Bobby und Hanni – glaubten, dass es sich um gute
Nachrichten handelte.
„Vielleicht gibt es noch freie Plätze für die Studienfahrt,
und wir dürfen doch mitfahren“ , schlug Hanni vor.
Bobby machte große Augen. „Ja, vielleicht …?“
Nanni und einige andere hielten diese Hoffnungen für
verfrüht. „Wahrscheinlich geht es um etwas ganz anderes!“
Über der hitzigen Diskussion vergaßen sie ganz, auf die
Uhr zu schauen, bis Hanni sie unterbrach: „Egal, was Frau
Theobald uns zu verkünden hat, in wenigen Minuten sind
wir schlauer!“
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Es war so still, dass man ein deutliches Knarren hörte, als
die große Marianne auf ihrem Stuhl ungeduldig hin und her
rutschte. Nicht nur sie, auch alle anderen saßen gespannt
wie Flitzebögen vor dem Schreibtisch ihrer Direktorin und
warteten darauf, dass sie endlich das Wort ergriff.
„Bestimmt habt ihr euch schon gefragt, worüber ich mit
euch reden möchte!“ , leitete Frau Theobald das Gespräch
ein und schürte damit, wenn das überhaupt möglich war, die
Neugier ihrer Schülerinnen noch ein wenig mehr. Vorsichtig
zog sie einen Briefumschlag aus ihrer ledernen Schreibmappe. „Vor einigen Monaten habe ich das Feiertagswochenende bei meiner Schwester verbracht. Bei dieser Gelegenheit
haben wir uns eine Abendveranstaltung der dort ansässigen
Quentin-Schule für Künste angeschaut.“
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Die Mädchen horchten auf. Quentin?
„Ist das nicht das Internat, auf das Nadine gewechselt
ist?“ , fragte Nanni.
Frau Theobald nickte. „Ganz genau! Ich muss sagen, es
war eine wirklich fabelhafte Aufführung. Es wurden verschiedene Darbietungen gezeigt. Ein kleines Theaterstück,
Gesang, Ballett, alles begleitet von einem hervorragenden
Schulorchester. Nadine hatte ebenfalls einen Auftritt. Sie hat
sich wirklich prächtig entwickelt!“
Die Mädchen hörten teils erfreut, teils enttäuscht zu. Sie
konnten sich noch gut an ihre Überraschung erinnern, als
sich herausstellte, dass die schüchterne „graue Maus“ Nadine eine wundervolle Stimme hatte, mit der sie alle beim
legendä­ren Lindenhof-Ravenstein-Gesangswettbewerb be­
zau­bert, ja sogar zu Tränen gerührt hatte. Da war es kaum
verwunderlich, dass Nadines Eltern das Gesangstalent ihrer
Tochter fördern wollten und sie auf eine Schule mit künstlerischem Schwerpunkt geschickt hatten. Aber was gab es
denn dazu so Wichtiges zu besprechen?
„Hat Nadine Ihnen geschrieben?“ Hanni beschloss, den
Stier bei den Hörnern zu packen.
Frau Theobald entfaltete langsam den dicht beschriebenen
Briefbogen.
„Nein, dieser Brief ist nicht von Nadine“ , antwortete die
Direktorin. „Er ist von Frau Reinhoff, Quentins Direktorin.
Ich bin nach dem Konzert mit ihr ins Gespräch gekommen.
Ihr müsst wissen, Nadine hat Lindenhof ihren neuen Mitschülerinnen gegenüber in den allerhöchsten Tönen gelobt.
Frau Reinhoff wusste schon einiges über uns und wollte
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gerne noch mehr erfahren. Ich war mindestens genauso interessiert daran, mir Quentin etwas genauer anzuschauen,
daher hat sie mich gleich für den nächsten Tag eingeladen.
Ich habe den ganzen Nachmittag dort verbracht.“
Sie machte eine Pause, und ein kleines Rascheln des Papiers bewirkte, dass sich die Mädchen wie auf Knopfdruck
ein Stück nach vorn lehnten.
„Gestern habe ich nun diese Nachricht von ihr erhalten,
mit der sie euch einlädt, einige Wochen in Quentin zu verbringen!“ Die Mädchen trauten ihren Ohren nicht und
blieben mucksmäuschenstill, während Frau Theobald weitersprach. „Wir haben uns überlegt, eine Art Austauschprogramm der vierten Klassen ins Leben rufen. Unsere
Mädchen sollten die Gelegenheit bekommen, auch einmal
andere Schulformen zu erleben. Da in Quentin einige Klassen recht kurzfristig das Angebot für eine Theaterfreizeit
angenommen haben, kamen wir auf die Idee, den ersten
Austausch auf die Wochen vor den Sommerferien zu legen.
Im Gegenzug kämen dann einige Quentin-Schülerinnen vor
den Winterferien nach Lindenhof.“
Langsam begannen die Mädchen das soeben Gehörte zu
begreifen. „Soll das bedeuten, dass wir, also unsere Klasse,
tatsächlich zu Nadine nach Quentin fahren darf?“ , fragte
Hanni atemlos.
Frau Theobald steckte den Brief wieder in den Umschlag.
„Ehrlich gesagt, bin ich sehr gespannt, was ihr für Erfahrungen machen werdet. Quentin ist ebenfalls ein angesehe­nes
Mädcheninternat, hat aber ein völlig anderes Lehrkonzept.
Viele Fächer haben einen künstlerischen Bezug: Ballett,
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Choreografie, Schauspiel, Malerei und einiges mehr. Ihr
müsst wissen, Quentins regelmäßige Aufführungen sind in
Kennerkreisen hochgelobt, und nicht wenige der ehema­
ligen Schülerinnen haben große Karrieren gemacht.“
Beeindruckt lauschten die Mädchen Frau Theobalds Erklärungen. Austauschschülerinnen in einer echten Künstlerschmiede? Das hatte Flair!
„Wann genau? Und wie …?“ Hannis Stimme überschlug
sich fast.
„Ich habe das Thema mit einigen Lehrerinnen ­besprochen.
Wie ihr sicher wisst, wird Frau Roberts die Studienfahrt
begleiten. Frau Lewis möchte nach dem Unfall ihrem
­ge­brochenen Fuß etwas Ruhe gönnen und bleibt lieber hier.
Mamsell ist eine große Liebhaberin der Künste und kam aus
dem Schwärmen gar nicht mehr heraus, als ich ihr von der
Schule berichtet habe. Zudem befindet sich die dortige Französischlehrerin mit auf der Theaterfreizeit, sodass Mamsell
als Austauschlehrerin herzlich willkommen wäre.“
Die Mädchen wechselten vielsagende Blicke. Das versprach lustig zu werden. Sie alle mochten ihre temperamentvolle Französischlehrerin mit dem großen Herz.
Petra brannte jedoch eine andere Frage auf der Seele:
„Aber stimmt es, dass während der Zeit, in der die anderen
verreist sind, für die jüngeren Schülerinnen Projektwochen
stattfinden?“
„Ja“ , antwortete Frau Theobald. „Einige Mädchen aus der
Fünften fahren ja nicht mit und haben sich schon angeboten,
gemeinsam mit den Lehrerinnen ein paar Kurse zu organisieren. Warum fragst du?“
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Petra zögerte mit ihrer Antwort. „Ach, ich hatte da so eine
Idee für ein Physikprojekt.“
„Das Planungstreffen für die Projektwochen findet mor­
gen Nachmittag statt. Du bist herzlich willkommen. Vielleicht möchte eines der älteren Mädchen deine Idee aufgrei­
fen“ , schlug die Direktorin vor und richtete den Blick auf
die anderen Mädchen, die sich für Projektwochen so gar
nicht mehr interessieren konnten. In Gedanken waren sie
schon dabei, ihre Koffer für Quentin zu packen.
„Ich brauche euch nicht zu sagen, dass wir mit den Vorbe­
reitungen für den Austausch zeitlich sehr knapp dran sind.
Ich benötige selbstverständlich auch noch die Einverständniserklärung eurer Eltern, und dann müsste ich Frau Reinhoff Bescheid geben, dass wir ihre nette Einladung gerne
annehmen.“
Ohne nachzudenken, platzte Jenny heraus. „Ich kann es
kaum erwarten, endlich mal was Neues!“ Betroffen schlug
sie sich die Hände vor den Mund. „So hab ich das natürlich
nicht gemeint, ich … ich …“
Frau Theobald nahm ihr den kleinen Gefühlsausbruch
aber keinesfalls übel. „Bestimmt habt ihr jetzt eine Menge
zu besprechen. Geht und genießt euer Abendessen. Überlegt euch bis morgen, wer mitfahren möchte, und teilt mir
eure Entscheidung dann mit.“ Mit diesen Worten waren sie
entlassen und fanden sich kurz darauf auf dem Flur wieder.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, griff Hanni nach
den Händen ihrer Schwester und setzte zu einem Freudenhüpfer an. Sie liebte Abenteuer, und das sah ganz nach einem
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aus. „Quentin! Schule für Künste – das stelle ich mir unge­
heuer aufregend vor.“
Auch Doris war völlig in ihrem Element: „Mädchen, habt
ihr gehört, wie Theo erzählt hat, dass viele Quentin-Schülerinnen eine große Karriere gemacht haben? Ich wette, wenn
ich erst mal dort bin, werde ich entdeckt und gewinne irgendwann einmal einen wichtigen Filmpreis.“
Claudine schmunzelte. „Natürlich! Selbst wenn wir den
erst erfinden müssen, aber das schaffen wir auch noch. Vielleicht so was wie ‚Die goldene Linde‘?“
Die Mädchen mussten lachen.
„Pass mal auf, am Ende wirst du tatsächlich entdeckt“ ,
rief Jenny. Immerhin hatte Doris sie schon oft mit ihren
komischen Einlagen zum Lachen gebracht. Legendär war
ihr Auftritt auf Mamsells Geburtstagsfest, bei dem sie eine
liebevolle Parodie der Französischlehrerin zum Besten gegeben hatte.
Aber nun siegte der knurrende Magen doch über die großen Neuigkeiten, und sie zogen Doris in Richtung Speisesaal.
„Am liebsten würde ich sofort morgen losfahren! Auf
nach Quentin!“ , rief Doris.
Nanni teilte ihre Begeisterung. „Ganz ehrlich, das finde
ich noch besser als eine Studienfahrt oder Badeferien oder so
was. Ich meine, das kann man schließlich immer noch machen, in den Sommerferien mit Mama und Papa zum Beispiel.“
Hanni ergänzte sofort: „Ganz genau! So eine Chance
kommt nur einmal, und die darf man sich nicht entgehen
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lassen. Wer will schon in der Sonne schwitzen, wenn man
stattdessen Bühnenluft schnuppern darf?“
„Aber möchten denn tatsächlich alle mit?“ Hilda sah in
die Runde.
„Na klar wollen wir, was gibt es da zu bereden. Wir hätten
Theo gleich zusagen können!“ , begehrte Carlotta auf und
pustete sich eine ihrer wilden schwarzen Haarsträhnen aus
dem Gesicht. Sie als ehemaliges Zirkusmitglied konnte ihr
Glück kaum fassen: Da stand bestimmt auch Akrobatik auf
dem Stundenplan!
Hanni und Nanni schauten ihre Freundinnen an. Marianne, Doris, Bobby und Jenny hatten aus ihrer Vorfreude
keinen Hehl gemacht.
Pat wirkte ein bisschen stiller als sonst, und dann antwor­
tete sie Hilda: „Ich würde zu gerne mitkommen, das könnt
ihr mir glauben. Aber da gibt es ein Problem: Meine Großtante Heidelinde feiert genau dann, wenn wir in Quentin
wären, ihren neunzigsten Geburtstag. Meine Eltern veran­
stalten ein riesiges Fest mit allen Verwandten, manche von
ihnen reisen extra aus dem Ausland an. Und selbstverständlich muss Großtante Heidelindes Lieblingspatengroßnichte
dabei sein: ICH!“
„Aber kannst du nicht mitkommen und einfach zwischendurch nach Hause fahren? Das muss doch irgendwie gehen!“ , hakte Bobby nach und Jenny bekräftigte: „Du musst
mit, ohne dich wird es nur halb so lustig.“
Pat schenkte ihnen ein dankbares Lächeln. „Ihr seid lieb,
aber Quentin ist ziemlich weit weg, und wer weiß, ob meine Eltern mir erlauben, die lange Zugfahrt hin und wieder
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z­ urück allein zu machen. Oder ich müsste nach der Feier
zurück nach Lindenhof, und das fände ich auch blöd. Das
wäre dann nichts Halbes und nichts Ganzes.“
Hanni fasste sie aufmunternd am Arm. „Fragen kannst du
ja auf jeden Fall. Ein Versuch schadet nicht!“
Sie nahmen im Speisesaal Platz, und Claudine schmierte
sich gutgelaunt Butter auf ihr Brot. „Ich bekomme keinen
geraden Ton heraus. Tanzen ist mir zu anstrengend, und ob
ich schauspielerisch begabt bin, weiß ich nicht. Aber ehrlich
gesagt bin ich sehr erleichtert, der schrecklichen Sonne zu
entkom­men. Ich habe gerade gestern eine neue Sommersprosse entdeckt. Abominable – fürchterlich! Außerdem:
Ich kann doch Tant­chen unmöglich allein in die Fremde
lassen. Also auf nach Quentin!“
Die Mädchen kommentierten Claudines Bemerkung mit
einem Grinsen. Sonst war Claudine nämlich eher auf der
Flucht vor Mamsell, die immer bestrebt war, eine schützende Hand über ihre Lieblingsnichte zu halten.
Zufrieden trank Hanni einen Schluck Tee, als ihr Petra
auffiel, die nachdenklich in ihrer Tasse rührte. „Wie sieht es
mit dir aus?“
Petra sah sie bedauernd an. „Ihr habt es ja gehört: Ich habe
schon ein paar Ideen für ein Physikprojekt ausgeknobelt.
Ihr findet es vielleicht albern, aber das würde ich wirklich
gerne mit der zweiten und dritten Klasse durchführen, wenn
Frau Theobald es erlaubt.“ Sie machte eine Pause, bevor sie
fortfuhr. „Und ich bin nicht wirklich ein Show-Talent. Ich
glaube, ich warte die Projektwochenvorbesprechung ab, bevor ich mich entscheide.“
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Das waren viele Worte für die stille Petra, und es war ihr
anzumerken, wie schwer es ihr fiel, ihre Meinung zu äußern.
Vor allem, weil sie die Einzige war, die nicht mitwollte.
Jenny stutzte. „Da müsste schon die Wüste zufrieren, damit ich lieber Physik mache, als auf Entdeckungsreise zu
gehen. Aber ich bin ja auch nicht so schlau wie du, Petra.“
Sie lächelte ihr zu und konzentrierte sich sofort wieder auf
die anderen Mädchen. „Aber dann haben wir doch alle …
bis auf …“ Alle folgten Jennys Blick zu den zwei Mädchen
am Tischende. Elli und Angela schienen gar nicht mitzu­
bekommen, was gerade um sie herum geschah, so vertieft
waren sie in ihr Gespräch.
Angela fuhr sich mit der Hand über das goldblonde Haar.
„Ob ich meine Mutter bitten soll, mir mit unserem Chauffeur einen Extrakoffer schicker Kleider bringen zu lassen?
Dort brauchen wir bestimmt eine ganz andere Garderobe!“
Elli stimmte eifrig zu. „Und ich muss unbedingt noch
zum Friseur!“ Um das Gesagte zu unterstreichen, tätschelte sie ihre Haare und sah dabei so ernst und drollig drein,
dass Hanni nicht aufpasste und sich den Mund am hei­
ßen Tee verbrannte. Gleichzeitig schimpfend und lachend
­wischte sie sich den Mund mit ihrer Serviette ab.
Erst jetzt schien Angela und Elli wieder bewusst zu werden, dass sie noch nicht in Hollywood waren.
Misstrauisch sah Angela die Klassenkameradinnen an.
„Was gibt es denn da zu gaffen?“
Jenny beruhigte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag. „Ganz und gar nichts. Wir freuen uns nur, dass ihr
auch so gerne mit nach Quentin wollt.“
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Angela griff geziert nach ihrer Teetasse. „Selbstverständlich wollen wir das – endlich mal etwas nach meinem Geschmack. Ich kann es kaum erwarten!“
Hanni dachte kurz nach und verkündete: „Na bitte! Wir
haben es besprochen. Warum sollen wir noch bis morgen
warten? Wenn wir Frau Theobald gleich Bescheid sagen,
kann sie sich umso schneller mit unseren Eltern beraten und
sich um die weiteren Vorbereitungen kümmern. Lasst uns
sofort zu ihr gehen.“
Nanni runzelte die Stirn. „Aber wir haben doch gleich die
Schülerversammlung in der Aula!“
„Worum geht es noch mal?“ , seufzte Hanni ergeben und
gab sich selbst die Antwort: „Ach ja, die Abstimmung wegen unserer Schuluniformen.“
Jenny klopfte auf ihre bequemen Hosen. „Ich möchte
mich so anziehen, dass ich mich wohlfühle.“
Angela war ausnahmsweise einmal mit ihr einer Meinung:
„Es ist schon schlimm genug, dass der gewisse Schick hier
nicht so gern gesehen wird, aber eine Uniform – nein danke!“
So wurde das Thema Quentin erst einmal aufgeschoben.
Trotzdem: Hanni hatte sich fest vorgenommen, Hilda zu
bearbeiten, dass sie doch schon heute Abend zu Frau Theobald gehen sollten, um ihr ihre Entscheidung mitzuteilen.
Aber nun folgte sie den anderen in die Aula, wo schon alle
Schülerinnen versammelt waren.
Linda, die Schülervertreterin, begrüßte sie freundlich.
„Schön, dass ihr alle gekommen seid! Wie ihr wisst, steht
eine Entscheidung im Raum …“
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Schnell war man sich einig: Es sollte keine Uniform, sondern lediglich ein Lindenhof-T-Shirt werden. Das klang gar
nicht mal schlecht! Hanni war zuversichtlich: Die Abstimmung würde schneller gehen als gedacht. Doch sie hatte sich
zu früh gefreut, denn nun folgte eine Diskussion über die
unterschiedlichen Entwürfe.
Bald wurde es Hanni zu viel. „Wie kann man sich so in
Kleinigkeiten verlieren? Rosa hier, Knöpfe da, können wir
endlich abstimmen und zu Frau Theobald gehen?“
Aber Hilda appellierte an ihre Vernunft: „Du musst schon
noch dableiben! Oder möchtest du am Ende mit Angelas
­T-Shirt-Entwurf in Quietscherosa herumlaufen?“
Das Argument zog, und so harrten sie aus, bis die Abstim­
mung schließlich eine Mehrheit für das blaue Baumwoll-­
T-Shirt brachte, auf dessen Vorderseite ein fröhliches, hellrotes „L“ für Lindenhof prangte.
„Einfach, aber er macht doch was her!“ , befand Nanni
zufrieden, während Hanni leise auf Hilda einredete.
„Ich kann einfach nicht einsehen, warum wir nicht noch
zu Frau Theobald gehen sollten. Sie hat doch selbst gesagt,
dass wir nicht mehr allzu viel Zeit haben.“
Aber Hilda blieb eisern. „Es ist wirklich schon sehr spät.
Wer weiß, ob sie überhaupt noch in ihrem Büro ist. Außerdem hat sie uns gebeten, ihr die Entscheidung morgen mitzuteilen. Morgen und nicht heute!“
Hanni sah ein, dass Hilda sich nicht umstimmen lassen
würde, also gab sie murrend nach.
Nanni hakte sich bei ihrer Schwester unter und zog sie mit
sich. „Nur noch einmal schlafen, komm schon!“
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Hanni schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Ich werde bestimmt kein Auge zumachen!“
Aber natürlich tat sie es doch. Sie träumte von Preisverleihungen und einer ziemlich seltsamen Ballettaufführung,
die im Büro von Frau Theobald stattfand und bei der sie alle
rosa Glitzerpullover trugen.
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