Wissenstransfer Berufskrankheiten

Transcription

Wissenstransfer Berufskrankheiten
w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e
Arbeitnehmerkammer
Bremen
Praxis
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und
Berufe. Im Land Bremen werden jährlich mehr als 1.000
Erkrankungen als Berufskrankheit angezeigt – davon
anerkannt aber nur 350. In der vorliegenden Veröffentlichung sind Erfahrungen und Erkenntnisse aus mehr
als 180 Beratungsfällen eingeflossen, die im Rahmen des
Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung
von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
gemacht wurden. Sie zeigt auf, welche Schwierigkeiten sich
für die Betroffenen ergeben, wie das Anerkennungsverfahren aufgebaut ist und weche Präventionsmöglichkeiten
es gibt, um Beschäftigte vor Berufskrankheiten zu schützen.
Praxis
Wissenstransfer
Berufskrankheiten
Wissenstransfer Berufskrankheiten
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
2|2014
Wissenstransfer
Berufskrankheiten
2
Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von
Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
Praxis
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Arbeitnehmerkammer
Bremen
Die Beratungszeiten
weichen teilweise von den
Öffnungszeiten ab – bitte
erfragen Sie diese telefonisch oder bei Ihrem
HER AUSGEBER
nächsten Besuch oder
informieren Sie sich im
Orte und Zeiten für Beratungen
Arbeitnehmerkammer Bremen
Internet.
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
Telefon 0421· 36301- 0
Geschäftsstelle Bremen
Telefax 0421·36301- 89
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
Telefon: 0421· 36301-0
Telefax: 0421· 36301-89
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de
R E DA K T I O N
V E R FA S S E R I N N E N / V E R FA S S E R
Barbara Reuhl
Annette Düring,
DGB-Regionsvorsitzende Bremen-Elbe-Weser
GR AFISCHE GESTALTUNG
Harm Ehmke,
Designbüro Möhlenkamp, Bremen
ehem. Betriebsrat bei der Airbus Deutschland GmbH,
Marlis Schuldt
ehem. Vorstandsvorsitzender der BG ETEM auf Versichertenseite
Jörg Möhlenkamp
❚ Allgemeine Öffnungszeiten
Montag bis Donnerstag
8.00 –18.30 Uhr
Freitag
8.00 –13.00 Uhr
Prof. Dr. jur. Joachim Heilmann,
Professor für Zivil- und Arbeitsrecht i. R.
FOTOS
Dr. Wolfgang Hien,
Kay Michalak,
Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie,
Marlis Schuldt,
Bremen, wissenschaftlicher Berater im Projekt
Handwerkskammer Bremen,
Dr. Frank Hittmann,
Fotostudio Penz,
Landesgewerbearzt Bremen,
Landesinstitut für Schule,
Referat Arbeitsschutz beim Senator für Gesundheit Bremen
LianeM – Fotolia.com,
Andrea Im Sande,
Berufsgenossenschaft Holz und Metall
DRUCK
Vertreterin der DGUV im Projekt
Girzig & Gottschalk, Bremen
Corinna Mahlstedt,
AOK Bremen / Bremerhaven
Stand: Dezember 2013
Petra Müller-Knöß,
IG Metall Vorstand, Abt. Sozialpolitik
H Straßenbahn
2, 3, 4, 5, 6, 8
Bus 24, 25
P Parkhaus
Violenstraße
Geschäftsstelle Bremerhaven
Barkhausenstraße 16
27568 Bremerhaven
Telefon: 0471· 92235-0
Telefax: 0471· 92235-49
[email protected]
Martin-Donandt-Platz
Barbara Reuhl,
Referentin für Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik
bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, Projektleiterin
Tuku Roy-Niemeier,
Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzberaterin
❚ Allgemeine Öffnungszeiten
Montag und Mittwoch
8.00 –18.30 Uhr
Dienstag und Donnerstag
8.00 –16.30 Uhr
Freitag
8.00 –13.00 Uhr
bei der Handwerkskammer Bremen
Rolf Spalek,
Lloydstraße/VHS
H Bus
505, 506
Martin-DonandtPlatz
502, 508, 509
Loydstraße/VHS
ehem. Betriebsrat der Bremer Vulkan AG,
Berufskrankheiten-Berater im Projekt
Dr. Henning Wriedt,
Beratungsstelle ›Arbeit und Gesundheit‹, Hamburg
Geschäftsstelle Bremen-Nord
Lindenstraße 8
28755 Bremen
Telefon: 0421· 66950-0
Telefax: 0421· 66950-41
[email protected]
❚ Allgemeine Öffnungszeiten
Montag und Donnerstag
8.00 –18.30 Uhr
Dienstag und Mittwoch
8.00 –16.30 Uhr
Freitag
8.00 –13.00 Uhr
H Bus
91/92, 94
Fährgrund
PR AXIS
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
2|2014
Wissenstranfer
Berufskrankheiten
Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von
Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
Gefördert mit Mitteln aus dem Europäischen Strukturfonds (EFRE)
Praxis
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Arbeitnehmerkammer
Bremen
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Inhalt
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Vorwort Arbeitnehmerkammer Bremen
Geleitwort Senator für Gesundheit
Grußwort Verein ›Arbeit und Zukunft e.V.‹
Berufskrankheiten: ›Altes‹ Thema, neue Herausforderungen
Berufskrankheiten: Eine unendliche Geschichte?
Wolfgang Hien, Barbara Reuhl
Berufskrankheiten im Land Bremen
Barbara Reuhl
Das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung
von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ –
Ergebnisse und Erfahrungen
Barbara Reuhl
Strukturelle Hürden für die Anerkennung von Berufskrankheiten
Wolfgang Hien
Meine Erfahrungen als Berater für Berufskrankheiten-Betroffene
Rolf Spalek
Prävention von Berufskrankheiten: Ohne Aufsicht geht es nicht!
Annette Düring
Das Beispiel Asbest
Wolfgang Hien, Barbara Reuhl
3
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4
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Die Last mit den Beweisen
Die Notwendigkeit von Beweiserleichterungen im Recht
der Berufskrankheiten
Joachim Heilmann
Entwicklung einer Berufskrankheiten-Datenbank zur
Beweissicherung und als Grundlage für Epidemiologie
und Prävention: Überlegungen zur Konzeption
Wolfgang Hien
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Zusammenarbeit:
Die Gesetzliche Unfallversicherung und die Krankenkassen
Berufskrankheiten – wie beraten die Träger der Gesetzlichen
Unfallversicherung?
Andrea Im Sande
Die AOK Bremen / Bremerhaven als Kooperationspartner
des EU–Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung
von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
Corinna Mahlstedt
Die Arbeitsweise in den Renten- und Widerspruchsausschüssen
aus Sicht der Versicherten verbessern!
Harm Ehmke
Am besten: Vorbeugen! Handlungsmöglichkeiten im Betrieb
›Hautschutz bei der Arbeit – machen Sie es wie die Profis!‹ –
Ein Beispiel für erfolgreichen Wissenstransfer in die Betriebe
Tuku Roy-Niemeier
Wie können Berufskrankheiten-Verfahren für eine
bessere Prävention genutzt werden?
Henning Wriedt
Arbeitsmedizinische Vorsorge
Frank Hittmann
Minimierung krebserzeugender Stoffe – ein Ansatz zur
Verminderung arbeitsbedingter Krebserkrankungen
Henning Wriedt
Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten
im Zusammenhang mit Berufskrankheiten
Petra Müller-Knöß
Anmerkungen
Anhang
Projektflyer
Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen
Liste der Berufskrankheiten
Faltblatt Beratung für Berufskrankheiten
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Vorwort
Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und Berufe. Häufig kommen Hauterkrankungen, Lärmschwerhörigkeit, bandscheibenbedingte Erkrankungen, Lungenkrebs und Schädigungen der Knie vor.
Jedes Jahr werden im Land Bremen durchschnittlich etwas mehr als
eintausend Erkrankungen als Berufskrankheit bei den zuständigen
Unfallversicherungsträgern angezeigt, jedoch jeweils nur etwas mehr
als 350 Fälle anerkannt. Als Spätfolge der Asbestbelastung früherer
Jahre im Hafenumschlag und im Schiffbau ist das Land Bremen in
besonderem Maß durch Berufserkrankungen betroffen. Bezogen auf
die Zahl der jährlichen Anzeigen wird mit mehr als einem Drittel ein
größerer Teil der angezeigten BK-Fälle anerkannt als im Bund. Auch
BK-Renten werden in mehr Fällen gezahlt, und es kommt zu mehr
Todesfällen infolge einer Berufserkrankung.
Die Berufskrankheiten sind ein Sonderfall der arbeitsbedingten
Erkrankungen. Nur diejenigen Krankheiten, die in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt sind, können unter eng definierten Kriterien als
Berufskrankheit anerkannt werden. Bis dahin können sich den Betroffenen viele Hürden in den Weg stellen, auch weil es oft Jahre dauert,
bis sich Krankheitssymptome zeigen.
Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus mehr als 180 Beratungsfällen im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von
Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ sind in die vorliegende Veröffentlichung eingegangen. Sie belegen, dass viele Verfahren
daran scheitern, dass die Betroffenen den Nachweis für die berufliche
Verursachung ihrer Erkrankung nicht erbringen können:
Weil sich Symptome möglicherweise erst nach vielen Jahren zeigen
und dann die Arbeitsgeschichte nicht vollständig nachverfolgt werden
kann, weil beim Arbeitgeber keine Unterlagen über die Arbeitsbelastungen vorliegen, wenn der Betrieb erloschen ist, wenn der Arbeitsplatz oft gewechselt oder in Leiharbeit gearbeitet wurde. Möglicherweise hat auch die Berufsgenossenschaft die Arbeitsbelastungen nicht
gründlich genug ermittelt. In vielen Fällen macht es Sinn, die Beweislast umzukehren oder zumindest zu erleichtern, denn sie bringt die
Betroffenen in Beweisnot. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die
Absicht der Bremer Politik, in diesem Punkt auf Bundesebene weiterhin aktiv zu werden.
Um Betroffene in dem meist aufwendigen und langwierigen Verwaltungsverfahren zur Klärung ihrer Ansprüche zu unterstützen, wurde auf Beschluss der Bremischen Bürgerschaft, mit Mitteln aus dem
Europäischen Strukturfonds gefördert, in dem Projekt ein unabhängiges, fachkundiges Beratungsangebot entwickelt. Das Vorhaben wurde
in Trägerschaft der Arbeitnehmerkammer Bremen durchgeführt,
getragen von einer erfolgreichen Kooperation, an der Politik, Verwaltung, die Gesetzliche Unfallversicherung, Krankenkassen, die Bremische Evangelische Kirche, Kammern, Gewerkschaften beteiligt waren.
Allen Projektpartnern sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt.
Viele Ratsuchende haben durch die Beratung Unterstützung erfahren,
weil sie schneller und sicherer ihre Ansprüche klären konnten. Die
Betroffenen, aber auch die Sozialversicherungssysteme und die Arbeitgeber haben Vorteile, wenn Ansprüche der Versicherten zügiger abgeklärt und die Aktivitäten zur Prävention von Berufskrankheiten verbessert werden. Ziel des Projekts war es deshalb auch, Erkenntnisse
aus der Beratung für die gezielte betriebliche Prävention von Berufskrankheiten zu nutzen.
Auch wenn die Arbeitsbedingungen heutzutage stark durch psychische Belastungen geprägt sind – die ›alten‹ Belastungen sind nicht
verschwunden. Sie sind vielleicht nur weniger sichtbar, wenn Beschäftigte zunehmend in flexibler oder prekärer Beschäftigung oder in
Leiharbeit tätig sind. Berufskrankheiten sind immer noch ein aktuelles Thema, und gerade die ›neuen‹ Belastungen spielen eine gewichtige Rolle dabei. Denn Zuständigkeiten sind oft unklar und das Arbeitsschutzniveau ist eher niedriger, wenn Arbeit flexibler und dereguliert
wird. Bei häufigeren Arbeitsplatzwechseln, bei Umstrukturierungen
und bei Betriebsinsolvenzen wird es schwieriger, Belastungen im
Nachhinein nachzuweisen, wie im Fall einer Berufskrankheit zu leisten. Hier ist der Arbeitsschutz gefordert, neue Konzepte und Aktivitäten zu entwickeln, die den Schutz der Gesundheit sichern. Politik ist
an dieser Stelle gefordert, die Kapazitäten der staatlichen Gewerbeaufsicht und der Unfallversicherungsträger zu erhalten und sie an den
Stellen, wo sie nicht ausreichend sind auszubauen.
Es stellt einen großen Erfolg für alle Beteiligten dar, dass es gemeinsam gelungen ist, nach Abschluss des Projekts ›Wissenstransfer zur
präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von
Berufskrankheiten‹ ein dauerhaftes Beratungsangebot zu etablieren.
Es wird durch das Land Bremen finanziert und hat seit Mitte 2013
seinen Sitz in der Arbeitnehmerkammer Bremen. Das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ hat auch überregional große Aufmerksamkeit gefunden. Inzwischen werden von Gewerkschaften, federführend die IG Metall, für alle Bundesländer unabhängige Beratungsangebote für Berufskrankheiten gefordert.
Die Arbeitnehmerkammer Bremen begrüßt es sehr, dass die im
Projekt aufgebaute Vernetzung weiter besteht. Damit ist ein wichtiger
Schritt getan, um auch in Zukunft gemeinsam darauf hinzuwirken,
dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen gesunde
und sichere Arbeitsbedingungen vorfinden.
Peter Kruse
Ingo Schierenbeck
Präsident
Hauptgeschäftsführer
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Geleitwort
Der Schutz der seelischen und körperlichen Unversehrtheit hat in
unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Um ihn zu gewährleisten nimmt das Arbeitsschutzrecht die Arbeitgeber in die Verantwortung. Nach dem nationalen und dem europäischen Recht müssen
Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass ›eine Gefährdung für Leben
und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird‹ (Arbeitsschutzgesetz).
Allen Bemühungen zum Trotz kommt es zu Unfällen und Erkrankungen durch die Arbeit. Die angemessene Behandlung, bestmögliche
Rehabilitation und gerechte Entschädigung der Gesundheitsschäden
ist durch den Gesetzgeber in die Hand der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften und Unfallkassen) gelegt, die Arbeitgeber finanzieren diese durch Mitgliedsbeiträge.
Viele Berufskranke haben sich in der Vergangenheit an die Politik
gewandt, weil sie bei der Frage: Habe ich eine Berufskrankheit und
wie erlange ich einen gerechte Entschädigung? Rat und Hilfe suchten.
Wurde durch eine Beschäftigung bei einem Arbeitgeber eine seelische
oder körperliche Krankheit oder als Folge eines Unfalles eine Behinderung erworben, so ist es nur recht und billig, wenn eine angemessene
Entschädigung gewährt wird, es sei denn, durch optimale Behandlung
können die gesundheitlichen Folgen geheilt werden.
In Deutschland wurde schon vor mehr als 125 Jahren die gesetzliche Unfallversicherung eingerichtet, von den Arbeitgebern finanziert
soll sie diese Sozialleistungen erbringen, wenn die Verursachung
durch die Tätigkeit ausreichend gesichert ist. Zwar soll die Unfallversicherung selbst prüfen, ob sie leistungspflichtig ist, fehlende Beweise
gehen aber zu Lasten des Erkrankten. Immer wieder wird der Verdacht
ausgesprochen, dass Ermittlungen nicht in der nötigen Tiefe geführt
werden, um eine Leistungspflicht zu vermeiden. Beweisnot trifft viele
Berufskranke, die erst lange Jahre oder Jahrzehnte nach der Einwirkung krebserzeugender Stoffe erkrankt sind und Hilfe benötigen, zu
einem Zeitpunkt, wenn die Informationen über den Arbeitsplatz trotz
eindeutiger Aufbewahrungspflichten von bis zu 40 Jahren, nicht mehr
verfügbar sind und vom Arbeitgeber schon lange vernichtet wurden.
In dieser Situation werden die Beschäftigten bestraft, die ihre
Gesundheit durch die Beschäftigung eingebüßt haben, belohnt werden die Arbeitgeber, die pflichtwidrig Beweise nicht dokumentiert
und aufbewahrt haben. Das Sozialrecht gehört wegen dieser Frage auf
den Prüfstand, denn es verpflichtet die Antragsteller, ihre Ansprüche
zu beweisen, sie gehen bei fehlenden Beweisen leer aus, auch dann,
wenn der Informationsverlust nicht durch die Erkrankten selbst
zu verantworten ist. Eine Korrektur der Beweisregel im Sinne der
Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr für diese Konstellation ist dringend geboten. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen
ist auf Beschluss der Bremischen Bürgerschaft deshalb bereits initiativ
geworden. Die Länder haben die Bundesregierung zu entsprechenden
Änderungen des Sozialrechtes aufgefordert. Diese Initiative wird weiter verfolgt werden.
Unabhängig von dem Bemühen, das Recht umzugestalten, muss
den Betroffen geholfen werden. Viele suchen eine unabhängige
Beratungsstelle, weil sie der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung
durch die Unfallversicherungsträger misstrauisch gegenüberstehen.
Die rege Nachfrage bei der im Rahmen des Projektes eingerichteten
Beratungsstelle zeigt wie viele Fragen bestehen und belegt, dass sich
die Betroffenen von einer unabhängigen Beratungsstelle neutrale
Auskünfte, Hilfestellungen und Orientierung versprechen.
Obwohl umfangreiche Meldeverpflichtungen bei Berufskrankheiten
bestehen, werden Beratungen auch zu der Frage abgefordert, ob die
eigene Krankheit überhaupt eine Berufskrankheit sein kann und wie
eine Berufskrankheiten-Anerkennung erlangt werden kann.
Der vorliegende Projektbericht greift viele dieser Fragen auf und
zeigt Erfolge, aber auch Defizite an. Grund zum Handeln – im Hinblick auf eine Erleichterung und Unterstützung der Betroffenen auf
dem Wege zur Anerkennung einer Berufskrankheit, aber besonders
mit dem Ziel, Bedingungen am Arbeitsplatz zu schaffen, die nicht
krank machen. Hier ist die abgestimmte und koordinierte Beratung
und Überwachung durch die Gewerbeaufsicht und die Unfallversicherungsträger dringend erforderlich. Entsprechende Aktivitäten werden
mit der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) verfolgt.
Die vielen Ratsuchenden bieten gute Gründe, die Beratung für
Berufskranke im Lande Bremen dauerhaft einzurichten. Der Senat
der Freien Hansestadt Bremen hat deshalb mit der Arbeitnehmerkammer vereinbart, dass eine Beratungsstelle eingerichtet wird und die
Finanzierung für diese Beratungsstelle zugesagt. Diese Vereinbarung
wurde inzwischen mit der Festeinstellung eines Beraters umgesetzt.
Die Beratungen sind weiterhin gut nachgefragt.
Dr. Hermann Schulte-Sasse
Freie Hansestadt Bremen
Senator für Gesundheit
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Grußwort
Dieses Lesebuch hat eine lange Vorgeschichte, die mit dem Betriebsrat
der Bremer Vulkan-Werft und dem kirchennahen Verein ›Arbeit und
Zukunft‹ verbunden ist:
Am 15. August 1997, dem Tag, an dem die Tore der Vulkan-Werft
endgültig schlossen, haben wir – der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der ev. Kirche u. a. – eine sogenannte Trauerfeier veranstaltet, in
deren Mittelpunkt ein Fragezeichen stand. Es sollte ein Versprechen
symbolisieren: Wir fragen nach, was aus Euch, den Vulkanesen geworden ist, auch wenn es nicht mehr die großen Schlagzeilen gibt. Wir
hatten damals den Verein Arbeit und Zukunft gegründet, der der Träger einer neuen Beratungsstelle für Arbeitslose am Sedanplatz wurde.
Am 1. Mai 97 wurde sie eröffnet.
Nach dieser Trauerfeier kam frühere Betriebsrat des Vulkan, Rolf
Spalek auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, dass der
Verein Mitträger eines Forschungs- und Beratungsprojektes zur Berufskrankheitensituation der ehemaligen Vulkanesen werden könnte, das
von Dietrich Milles und Wolfgang Hien von der Universität Bremen
zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung initiiert werden sollte.
Schon ab Herbst 1997 hat Rolf Spalek dann in der Beratungsstelle
am Sedanplatz einmal wöchentlich seine ehemaligen Kollegen unter
anderem in Fragen der Asbestose ehrenamtlich beraten. Er setzte
damit sein Engagement fort, das er bis dato im Betriebsrat der VulkanWerft ausgeübt hatte.
1999 bis 2001 konnte er das zusammen mit Gisela Rexhausen auf
einer ABM-Stelle hauptberuflich im Rahmen des Forschungsprojektes
fortführen. 2001 nach Abschluss des Forschungsprojektes drohte das
Ende dieser Beratungsarbeit, die sehr intensiv angenommen worden
war. Die Bremische Politik konnte oder wollte die Eigenmittel nicht
bereitstellen, die nötig waren um Rolf Spalek weiter zu beschäftigen.
Uns, dem Verein Arbeit und Zukunft, ist es zum Glück gelungen,
private Mittel zu organisieren, so dass Rolf von 2001 bis 2004 diese
Arbeit im ehemaligen Betriebsratsgebäude fortsetzen konnte. Seit seiner Verrentung 2005 bis zum Mai 2001 hat er die Beratung dann
wieder ehrenamtlich fortgeführt, der Verein stellte seitdem die eher
geringen Sachkosten zur Verfügung.
Im Mai 2011 wurde dann diese Tätigkeit in die Beratungsstelle der
Arbeitnehmerkammer in Bremen-Nord überführt und nach dem Ende
des hier den Rahmen bietenden Projektes endlich zu einer Dauerreinrichtung in Bremen.
15 Jahre lang hat Rolf Spalek Arbeitnehmer in Bremen-Nord – keineswegs nur Vulkanesen – bezahlt und unbezahlt in Fragen von Berufskrankheiten beraten, wissenschaftlich begleitet von Wolfgang Hien.
Beide zusammen haben sich in außerordentlichem Maß verdient
gemacht um das Lebensschicksal vieler betroffener Arbeitnehmer.
Wir sind ebenso der Arbeitnehmerkammer dankbar, dass sie 2011
ermöglicht hat diese Arbeit fortzusetzen und auch offiziell für alle
betroffenen Arbeitnehmer zugänglich zu machen. ›Am Ende ein neuer
Anfang?‹ war der Titel der ersten wissenschaftlichen Studie von 2001
über die Arbeitslosigkeit der ehemaligen Vulkanesen. Am Ende ein
neuer Anfang! – das gilt hoffentlich für die Berufskrankenberatung in
Bremen. Dafür möge auch dieses Buch stehen.
Reinhard Jung
Verein ›Arbeit und Zukunft e.V.‹
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Berufskrankheiten:
Eine unendliche Geschichte?
Berufskrankheiten:
›Altes‹ Thema – neue
Herausforderungen
1
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Berufskrankheiten werden rechtlich auf
der Basis des Sozialgesetzbuches (SGB)
VII, § 9, geregelt. Als Berufskrankheit
(BK) werden Erkrankungen bei Personen
anerkannt, die in erheblich höherem
Grade als die übrige Bevölkerung über
viele Jahre hinweg – als Faustformel gilt
hier: mindestens zehn Jahre oder länger
– schweren oder sehr schweren beruflichen Belastungen ausgesetzt waren. Die
Rechtsprechung verlangt eine ›überwiegende Wahrscheinlichkeit‹ des beruflichen Einwirkungsfaktors – der Exposition (übersetzt: Ausgesetztsein) – für die
Verursachung der Krankheit. Denn die
berufliche Exposition muss mehr wiegen als alle anderen Faktoren des privaten Lebensstils zusammen. Hierdurch
soll eine Trennungslinie zur ›normalen‹,
alters- und schicksalsbedingten Krankheit und Invalidität gezogen werden.
Auch in der aktuellen Fachdebatte
wird zwischen arbeits- und berufsbedingten Erkrankungen unterschieden.
›Arbeitsbedingt‹ soll heißen, dass Arbeit
ein ursächlicher Faktor unter anderen
ist; ›berufsbedingt‹ soll heißen, dass die
Arbeit die hauptsächliche Krankheitsursache ist. Dieses sogenannte KausalitätsPrinzip ist nach wie vor geltendes Recht.
Die Berufsgenossenschaften sind –
allein schon aus ökonomischen Gründen
– angehalten, Berufskrankheiten ›mit
allen Mitteln‹ zu verhüten. Das heißt,
den betrieblichen Arbeitsschutz durch
zielgerichtete Prävention, Beratung und
Kontrolle zu verbessern. Es wirkt jedoch
gewissermaßen auch ›verhütend‹, wenn
die Hürden für eine Anerkennung durch
eine Reihe weiterer Bedingungen wie
z. B. die Aufgabe der Tätigkeit, sehr hoch
gesetzt werden. Die meisten arbeitsbedingten Erkrankungen sind im Sinne des
BK-Rechts nicht anerkennungsfähig. Im
Jahr 2012 wurden in Deutschland 70.566
Anzeigen auf Berufskrankheit erstattet,
davon wurden lediglich 15.291 anerkannt, das sind rund 22 Prozent. Im gleichen Zeitraum gab es 4.924 neue BK-Ren-
WOLFGANG HIEN I
BARBARA REUHL
ten und 2.454 Todesfälle infolge einer
Berufskrankheit.
Die derzeit gültige BerufskrankheitenListe (BK-Liste) umfasst 73 Positionen
und ist in folgende Kapitel gegliedert:
1. durch chemische Einwirkungen
verursachte Krankheiten wie z. B.
Metalle, Erstickungsgase, Lösemittel,
Schädlingsbekämpfungsmittel
2. durch physikalische Einwirkungen
verursachte Erkrankungen
3. durch Infektionserreger verursachte
Krankheiten
4. Erkrankungen der Atemwege
5. Hautkrankheiten und
6. Sonstige.
Ein Blick in die Geschichte der
Gesetzlichen Unfallversicherung
1884 wurde unter Bismarck das Unfallversicherungsgesetz erlassen, das den am Arbeitsplatz verunfallten
Arbeitern und Arbeiterinnen wenigstens eine
gewisse Entschädigung zubilligte.1 Darauf beruhende
Unfallrenten – damals noch in bescheidener Höhe –
wurden von den neu gegründeten Berufsgenossenschaften gezahlt. Das bedeutete eine Ablösung der
Haftpflicht der Unternehmer; sie wurden durch
die Berufsgenossenschaften entlastet. Es dauerte Jahrzehnte, bis auf massiven Druck der Gewerkschaften
und der Sozialdemokratie hin erreicht wurde, dass
einige schwere Erkrankungen, die sich Arbeiter und
Arbeiterinnen ursächlich durch ihre Tätigkeit zugezogen hatten, den Unfällen gleichgestellt wurden und
somit dem Prinzip nach entschädigt werden konnten.2
Die erste Berufskrankheiten-Verordnung von 1925
listete 13 Erkrankungen auf. Vorwiegend handelte
es sich um Erkrankungen durch die Einwirkung
gefährlicher Arbeitsstoffe, beispielsweise durch
Blei, Phosphor, Quecksilber, Arsen und Benzol hervorgerufene Krankheiten sowie Hautkrebs durch Ruß,
Paraffin, Teer, Grauer Star bei Glasmachern, Erkrankungen durch Röntgenstrahlung, die Wurmkrankheit
der Bergleute und die Schneeberger Lungenkrankheit,
der durch radioaktive Erze verursachte Lungenkrebs.
1929 kamen weitere Erkrankungen hinzu, wie die
schwere Staublungenerkrankung (Silikose) der Bergleute, Lärmschwerhörigkeit und Infektionskrankheiten in Heilberufen.
12
13
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Das Berufskrankheiten-Verfahren (BKVerfahren) ist ein Verwaltungsverfahren
mit festgelegtem Ablauf. Es kommt nur
in Gang, wenn eine BerufskrankheitenAnzeige beim zuständigen Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft
oder Unfallkasse; nachfolgend BG)3
gestellt wird. Dies kann jeder tun, der
einen begründeten Verdacht hegt, dass
zwischen einer Erkrankung und der
beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht: Der oder die Betroffene
selbst, Angehörige, der Betriebsrat, die
Krankenkasse oder die Rentenversicherung. Der Arbeitgeber und Ärzte sind
dazu verpflichtet.
Die BG muss dann ermitteln, ob im
vorliegenden Fall die in der BK-Liste
beschriebene, genau definierte schädigende Einwirkung ( = Exposition) bei der
beruflichen Tätigkeit vorgelegen hat.
Kann dies belegt werden, wird im nächsten Schritt der Zusammenhang zwischen Einwirkung und Krankheit durch
ein medizinisches Gutachten abgeklärt
und das Ausmaß der gesundheitlichen
Schädigung beurteilt.
Abb. 1:
Stationen des Berufskrankheitenverfahrens
Anzeige auf
Verdacht einer BK
e
Stationen
des BerufskrankheitenVerfahrens
e
Staatlicher
Gewerbearzt
Berufsgenossenschaft
e
Betroffene,
Angehörige,
Betriebsräte
können
die Anzeige
stellen
Erhebung
der Arbeitsgeschichte
Medizinisches
Zusammenhangsgutachten
e
Ärzte/
Unternehmen
müssen
Feststellung
über das Vorliegen
einer BK
e
e
›Ermittlung
von Amts wegen‹
Rentenausschuss:
Entscheidung
Widerspruch
Klage
Die Schere zwischen Anzeigen und Anerkennungen von Berufskrankheiten klafft
weit auseinander, weil die Hürden aus
den rechtlichen Vorgaben, aber auch
wegen der Praxis des Anerkennungsverfahrens hoch sind.
Die Beweislast wird im Sozialgerichtsverfahren streng gesehen. Je mehr Zeit
zwischen der beruflichen Belastung und
dem Auftreten der Krankheit vergangen
ist, umso schwieriger wird es für die
Betroffenen, wie auch die Erfahrungen
aus mehr als 180 Beratungsfällen im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven
Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ zeigen:
In vielen Fällen stehen die Chancen
auf Anerkennung einer Berufskrankheit
schlecht, wenn beispielsweise die mit
der beruflichen Tätigkeit verbundenen
Belastungsfaktoren nicht qualifiziert
beschrieben oder im Betrieb keine Unterlagen über Arbeitsstoffe mehr vorhanden sind. Manche Arbeitsstoffe werden
deshalb nicht bei Arbeitsplatzmessungen oder arbeitsmedizinischen Untersuchungen berücksichtigt, weil sie nicht
als problematisch wahrgenommen wurden; der Einsatz von Krebs erzeugenden
Stoffen wurde oftmals nicht wie vorgeschrieben dokumentiert.
Viele der Ratsuchenden können ihre
berufliche Biografie auch deshalb nicht
vollständig belegen, weil sie als Leiharbeiter oder als Beschäftigter einer
Fremdfirma in verschiedenen Unternehmen eingesetzt waren, oder weil Betriebe nicht mehr existieren. Das trifft
beispielsweise auf den Hafenumschlag
zu. Der Bremer Überseehafen war bis in
die 70er Jahre Deutschlands Hauptumschlagsplatz für Asbest. Um jedoch im
konkreten Fall eine Asbestexposition zu
beweisen, braucht es oft detektivischen
Spürsinn. Ein wesentlicher Teil der Beratung besteht darin, die Ratsuchenden
bei der Zusammenstellung der beruflichen Vorgeschichte zu unterstützen:
Welche Belege können helfen, gibt es
frühere Kollegen, die als Zeugen befragt
werden können oder selbst von einer
Berufskrankheit betroffen sind? Hier hat
die AOK Bremen / Bremerhaven mit
der Entwicklung der Hafenkarte wahre
Pionierarbeit geleistet.
Abb. 2:
Beweisschritte im Berufskrankheiten-Verfahren
Die Beweislast liegt bei den Betroffenen
versicherte
Tätigkeit
e
schädigende
Einwirkung
= Haftungsbegründete Kausalität
Von einer Berufskrankheit Betroffene
sind häufig älter, schwer krank und im
Umgang mit Verwaltung und Formalitäten ungeübt. Für sie ist es schwer zu
durchschauen, ob die BG wirklich ordnungsgemäß ermittelt hat – so wie in
etlichen Fällen, als nicht im Betrieb
nachgeforscht, sondern nur der Betroffene befragt worden war.
Selbst wenn die Berufsgenossenschaft
nicht ordnungsgemäß ermittelt hat oder
wenn der Arbeitgeber keine Unterlagen
(mehr) hat, geht das Verfahren zu Lasten
des Betroffenen aus, wie ein Urteil des
Bundessozialgerichts festgestellt hat.
Wer die oft körperlich und psychisch
belastende medizinische Begutachtung
ablehnt, die zur Feststellung einer
Berufskrankheit dazugehört, riskiert die
Ablehnung des Antrags durch die Berufsgenossenschaft wegen fehlender Mitwirkung.
Wenn eine Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird, muss die
zuständige BG für Behandlungs- und
Reha-Kosten aufkommen und – je nach
e
Erkrankung
= Haftungsausfüllende Kausalität
Ausmaß der gesundheitlichen Schädigung als BK-Folge – auch eine BK-Rente
zahlen.
Einige Berufskrankheiten werden nur
dann anerkannt, ›wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben,
die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich waren oder sein
können‹, so § 9 Siebtes Sozialgesetzbuch.
Auf die neun Krankheiten, die von dieser
einschränkenden Bedingung betroffen
sind entfallen mehr als die Hälfte aller
BK-Anzeigen, darunter Haut-, Sehnenscheiden- und Wirbelsäulenerkrankungen. Anerkannt oder gar mit einer
BK-Rente entschädigt werden aber die
wenigsten von ihnen. Die erlernte Tätigkeit aufgeben und sich beruflich neu
orientieren zu müssen, wiegt für die
Betroffenen schwer. Bei niedrigem Bildungs- und Qualifikationsniveau kann
es schwierig werden, eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln, auch
wenn die BG die berufliche Rehabilitation finanziert und begleitet.
Berufskrankheitenrente
Eine BK-Rente ist nicht mit einer Altersrente
gleichzusetzen. Entschädigt wird die ›Minderung der Erwerbsfähigkeit‹ (MdE), die ausdrückt, in welchem Grad der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt durch die Berufserkrankung beeinträchtigt ist. Durch eine
abstrakte Schadensberechnung auf Grundlage des Jahresarbeitsverdienstes (JAV)4, maßgeblich das Arbeitseinkommen im Jahr bevor
die Berufserkrankung aufgetreten ist, wird
die Rente festgesetzt. Der Zahlbetrag errechnet sich als Prozentsatz, analog dem Prozentsatz der MdE. Gezahlt wird erst ab einer MdE
von 20 Prozent – dieser Wert wird jedoch bei
vielen Berufserkrankungen nicht erreicht –
bis zur sogenannten Vollrente, die bei einer
MdE von 100 Prozent maximal zwei Drittel
des JAV beträgt.
Die BK-Rente ist ein abstrakt berechneter
Wert und wird zusätzlich zum Gehalt
gezahlt, auf Alters- oder Erwerbsminderungsrente aber teilweise und auf Hartz IVLeistungen voll angerechnet.
Frauen sind häufig nicht direkt, sondern
als Angehörige oder Hinterbliebene von
einer Berufskrankheit betroffen. Witwen
oder auch Kinder haben Anspruch auf
Rente, die jedoch auf Erwerbseinkommen,
Altersrenten und Hartz IV-Leistungen
angerechnet wird.
14
15
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Tab. 2:
Berufskrankheiten im Land Bremen 2008 bis 2012
BARBARA REUHL
Jährlich werden im Land Bremen durchschnittlich etwas mehr als eintausend
Fälle von Verdacht auf Vorliegen einer
Berufskrankheit bei den zuständigen
Unfallversicherungsträgern angezeigt,
wie aus der Statistik der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
für 2008 bis 2012 ersichtlich. Die Raten
der abgelehnten und anerkannten
BK-Fälle bleiben über die Jahre etwa
gleich. In deutlich mehr Fällen wurden
jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so dass die
Berufskrankheit nicht anerkannt wurde.
Es werden in der Tendenz auch mehr
Renten neu festgesetzt; leider sind auch
die Todesfälle aufgrund einer anerkannten Berufskrankheit ansteigend.
Im Land Bremen kam es in den Jahren 2008 bis 2011 zu 15 tödlichen
Arbeitsunfällen. Die Zahl der Todesfälle
infolge einer Berufserkrankung übersteigt die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle erheblich (vgl. Tabelle 1), mit steigender Tendenz hauptsächlich wegen
der asbestbedingten Erkrankungen.
Berufskrankheiten ziehen sich durch
alle Branchen und Berufe. Häufig kommen Hauterkrankungen, Lärmschwerhörigkeit, Bandscheibenbedingte Erkrankungen, Lungenkrebs und Schädigungen
der Knie vor. Tätigkeiten, Berufe oder
Branchen, die mit Berufskrankheiten in
Verbindung gebracht werden können,
sind beispielsweise:
❚ Frisör-, Maler- und Lackiererhandwerk,
Drucker/in, Gesundheitsberufe, Baugewerbe, Reinigungsberufe, Metallverarbeitung: Hauterkrankungen (BK 5101,
BK 5102)
❚ Baugewerbe, Holz- und Metallindustrie:
Lärmschwerhörigkeit (BK 2301)
❚ Bauberufe, Möbelträger, Beschäftigte
in der Alten-, Kranken- oder Behindertenpflege: Bandscheibenbedingte
Erkrankungen (BK 2108)
❚ Fliesenleger-, Dachdecker-, Malerhandwerk, Installation, Betonbau,
Schweißen, Schiffbau, Gärtnerei:
Gonarthrose (BK 2112)
❚ Schiffbau, Hafenumschlag, Asbestzementindustrie, Isoliergewerbe, AsbestEntsorgung, Hoch- und Tiefbau, Klima-,
Lüftungs- und Heizungsbau, Tätigkeiten mit Schweißrauchen, Teerdämpfen
oder radioaktiven Strahlen: Lungenkrebs (BK 4112, BK 4113, BK 4114).
Mehr als ein Drittel der BK-Anzeigen
im Land Bremen entfallen auf die Branchen Reparatur und Installation von
Maschinen und Ausrüstungen, Hochbau,
Metallerzeugung und -bearbeitung sowie
Herstellung von Metallerzeugnissen.
Das zeigt sich auch beim Blick auf die
Verteilung der Berufskrankheiten auf die
verschiedenen Unfallversicherungsträger: Mit Abstand am häufigsten ist die
BG Holz und Metall betroffen, gefolgt
von der BG Bau und der BG Handel
und Warendistribution, zu der auch die
Hafenumschlagsbetriebe gehören.
Tab. 1:
Berufskrankheiten-Geschehen 2012 Bund – Land Bremen im Vergleich
BK bestätigt, versicherungsrechtliche Voraussetzungen
nicht erfüllt
Neue
BK-Rente
Tod
infolge BK
BK-Anzeigen
Abgelehnte
BK
Anerkannte
BK
2008
966
483
352
85
150
81
2009
1070
477
363
95
161
91
2010
1222
490
378
184
163
75
2011
1098
440
365
185
184
94
2012
1118
469
373
233
170
99
Berufskrankheiten im Land Bremen
Quelle: DGUV-Statistik
Land Bremen:
Asbest spielt eine Hauptrolle
Bezogen auf die Zahl der Anzeigen
kommt es im Land Bremen insgesamt
häufiger zu einer Anerkennung einer
Berufserkrankung und zur Zahlung
einer BK-Rente, aber auch zu mehr
Todesfällen. Dafür ein Blick auf die Zahlen aus dem Jahr 2012, in dem im Land
Bremen 1.118 Fälle auf Verdacht einer
Berufskrankheit angezeigt wurden. Im
selben Zeitraum wurde in 373 Fällen
eine Berufskrankheit neu anerkannt
(33,4 Prozent) und in 170 Fällen eine
Berufskrankheiten-Rente (15,2 Prozent)
neu festgesetzt. Es kam aber auch zu
99 Todesfällen (9 Prozent) infolge einer
Berufserkrankung (vgl. Tabelle 2). Die
entsprechenden Anteile, bezogen auf die
Zahlen für den Bund sind durchgängig
niedriger – erklären lässt sich dies durch
die Folgen der hohen Asbestexposition
im Land Bremen in früheren Jahren.
In den 1960er und 1970er Jahren gab
es im Land Bremen eine Vielzahl von
Arbeitsplätzen in der Werftindustrie und
im Hafenumschlag. Dort kamen viele
Beschäftigte in Kontakt mit Asbest, was
sich bis heute in der BerufskrankheitenStatistik zeigt. Mehr als 30 Prozent der
angezeigten Berufskrankheiten im Land
Bremen entfiel in den letzten Jahren auf
die BK 4103 / Asbestose, die BK 4104 /
Lungen- oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbest sowie auf die BK 4105 /
Mesotheliom. Deutschlandweit machen
die Asbesterkrankungen dagegen nur
gut zwölf Prozent aller angezeigten
Berufskrankheiten aus.
Diese Krankheiten verursachten auch
die Überzahl der BK-bedingten Todesfälle
im Land Bremen, wie in Tabelle 3 und
in Abbildung 1 dargestellt.
Abb. 1: Todesfälle infolge von
Berufskrankheiten im Land Bremen 2008 bis 2012
0
10
20
30
40
50
§ 9 Abs. 2 SGB VII
4301 Atemwegserkrankung allergisch
4109 Nickel
4112 Lungenkrebs, Quarz
Tab. 3: Asbestbedingte Berufskrankheiten Land Bremen: angezeigte und
anerkannte Fälle und Todesfälle5
4105 Mesotheliom, Asbest
4104 Lungen-/Kehlkopfkrebs, Asbest
4103 Asbestose
BK 4103, 4104, 4105
Land Bremen
Bund
Zahl der Fälle
Anteil an den
angezeigten
Fällen
Zahl der Fälle
Anteil an den
angezeigten
Fällen
4101 Silikose
Angezeigte
BK
Anerkannte
BK
Todesfälle
2008
400
253
77
2009
420
241
83
15.949
21,7 Prozent
373
33,4 Prozent
2010
444
248
69
neue Renten
5.053
6,9 Prozent
170
15,2 Prozent
2011
402
258
90
Todesfälle
2.468
3,4 Prozent
99
8,9 Prozent
2012
362
256
95
73.574
Angezeigte BKen
Anerkennungen
Quelle: Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2012; DGUV Statistik
1.118
3101 Infektionskrankheiten
1318 Benzol
1302 Halogenkohlenwasserstoffe
Quelle: DGUV-Statistik
1301 Aromatische Amine
Quelle: DGUV-Statistik
2012
2011
2010
2009
2008
16
17
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Abb. 2: Angezeigte und anerkannte Berufskrankheiten im Land Bremen
2008 bis 2012, bezogen auf die sechs am häufigsten angezeigten BK-Ziffern
BK 20108
Wirbelsäule
BK-Anzeigen
anerkannte BK
BK 2301 Lärm
BK 4103
Asbestose
BK 4104 Lungenoder Kehlkopfkrebs/Asbest
BK 4105
Mesotheliom
BK 5101 Haut
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
Quelle: DGUV-Statistik
Auch bei den anerkannten Berufskrankheiten führen asbestbedingte Erkrankungen die Statistik für das Land Bremen an:
In den Jahren 2008 bis 2012 wurde bei
insgesamt 809 von Asbestose (BK 4103)
Betroffenen und bei 298 von Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) Betroffenen
eine Berufskrankheit anerkannt. Im
Gegensatz dazu wurde bundesweit die
Lärmschwerhörigkeit am häufigsten
anerkannt (insgesamt 28.657 Fälle), erst
dann folgte – mit insgesamt 9.286 Fällen
mit einem deutlichen Abstand – die BK
4103 (Asbestose).
Außer den asbest- und lärmbedingten
Berufskrankheiten werden auch die BK
2108 (Lendenwirbelsäule, Heben und Tragen) sowie die BK 5101 (Hautkrankheiten) im Land Bremen häufig angezeigt.
Sechs Erkrankungen machen also den
größten Teil des BK-Geschehens im Land
Bremen aus (vgl. Abbildung 2).
in Frage kommen, unterlassen haben.
Diese Bedingung trifft auf nur neun
Erkrankungen der insgesamt inzwischen
73 Positionen umfassenden BK-Liste zu:
BK 1315
Erkrankungen durch Isocyanate
BK 2101
Erkrankungen der Sehnen oder des
( = obstruktive Atemwegserkrankung, COPD )
Sehnengleitgewebes sowie der Sehnenoder Muskelansätze
BK 2104
Vergleicht man die Statistik der DGUV
mit den Zahlen des Landesgewerbearztes, die in den jährlichen Berichten der
Gewerbeaufsicht des Landes Bremen veröffentlicht sind, fällt eine Differenz auf
(vgl. Tabelle 3). Die Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit gelangen,
anders als die Berufskrankheiten-Verordnung in § 3 Abs. 1 und in § 4 vorschreibt
nicht vollzählig zur Kenntnis des Landesgewerbearztes. Denn die zuständigen
Unfallversicherungsträger leiten nicht
immer die Anzeigen auf Verdacht einer
Berufskrankheit an die staatlichen
Arbeitsschützer weiter. In manchen Fällen gelangte die Anzeige einer berufsbedingten Hauterkrankung beispielsweise nur über den behandelnden Hautarzt oder über die Krankenkasse an den
Landesgewerbearzt.
Wenn nicht das gesamte Geschehen
wahrgenommen werden kann, werden
Chancen für die Prävention verschenkt –
ein Umstand, der dringend verbesserungswürdig ist. Denn der Landesgewerbearzt und die Gewerbeaufsicht haben
eine wichtige Scharnierfunktion bei der
Prävention von Berufskrankheiten.
Vibrationsbedingte Durchblutungs-
BK 2108
Bandscheibenbedingte Erkrankungen
der Lendenwirbelsäule durch langjähriges
Heben und Tragen schwerer Lasten
oder durch langjährige Tätigkeiten in
extremer Rumpfbeugehaltung
BK 2109
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Tab. 3: Vergleich der angezeigten Fälle 2008 bis 2012 in der
DGUV-Statistik und in der Statistik des Landesgewerbearztes Bremen
Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen
schwerer Lasten auf der Schulter
BK 2110
Angezeigte Fälle
Bandscheibenbedingte Erkrankungen
2008
2009
2010
2011
2012 gesamt
Statistik DGUV
913
997
1123
1098
1118
5249
Statistik Landesgewerbearzt
708
712
814
806
770
3810
Differenz
205
285
309
292
348
1439
der Lendenwirbelsäule durch langjährige,
Ganzkörperschwingungen im Sitzen
BK 4301
Durch allergisierende Stoffe verursachte
obstruktive Atemwegserkrankungen
(einschließlich Rhinopathie)
Bei Abbildung 2 fällt auf, dass es im
Gegensatz zur großen Zahl der Anzeigen
bei den BK 5101 (Hauterkrankungen)
und BK 2108 (Lendenwirbelsäule, Heben
und Tragen) nur verhältnismäßig selten
zur Anerkennung als Berufskrankheit
kommt. Sie zählen zu den Erkrankungen, die nur als BK anerkannt werden
können, wenn die Betroffenen alle Tätigkeiten, die als Ursache für die Krankheit
Lücken in der Statistik: Chancen
für die Prävention verschenkt
störungen an den Händen
vorwiegend vertikale Einwirkung von
Der Unterlassungszwang –
hohe Hürde für die Anerkennung
einer Berufskrankheit
Neben dem Nachweis, dass die ›passende‹
berufliche Belastung bestanden hat, und
dass sie ursächlich für die Erkrankung
war oder ist, stellt diese Bedingung eine
erhebliche Hürde für die Betroffenen
dar, beispielsweise weil sie Bedenken
haben, ob sie einen anderen Arbeitsplatz
finden, und aus finanziellen Gründen.
Wer die verursachende Tätigkeit aufgibt, hat zwar laut § 3 Abs. 2 der Berufskrankheiten-Verordnung bis zur Entscheidung über die Berufskrankheit
Anspruch auf eine Übergangsleistung
der zuständigen BG. Diese liegt auf jeden
Fall deutlich unter dem normalen Einkommen, denn sie wird auf Grundlage
der sogenannten Vollrente berechnet, die
zwei Drittel des vor dem Unfall oder der
Berufskrankheit erzielten Jahresarbeitsverdienstes beträgt. Die Übergangsleistung wird bis maximaler Höhe der Vollrente, entweder als Einmalzahlung oder
für höchstens fünf Jahre anteilig monatlich gezahlt.
Über die Jahre lässt sich beobachten,
dass die Fälle zunehmen, in denen die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht vorlagen.6 Bei Hauterkrankungen kommt das sogenannte
›Hautarztverfahren‹ hinzu.
BK 4302
Durch chemisch-irritativ oder toxisch
wirkende Stoffe verursachte obstruktive
Atemwegserkrankungen
BK 5101
schwere oder wiederholt rückfällige
Hauterkrankungen
Übersicht 1: Für diese Berufskrankheiten gilt die versicherungsrechtliche
Voraussetzung der Unterlassung aller
Tätigkeiten, ›die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können‹.
Quelle: DGUV-Statistik, sowie Jahresberichte der Gewerbeaufsicht des Landes Bremen.
18
19
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Das Hautarztverfahren – BK 5101
Hier wird versucht durch Beratung
der Betroffenen und durch Hautschutz- und Arbeitsschutzmaßnahmen eine Abheilung der Hauterkrankung zu erreichen. Betroffene müssen
sich – oft jahrelang – in hautärztliche
Behandlung begeben. Häufig erfolgt
nur eine medizinische Behandlung
durch den Hautarzt, ohne dass der
Betriebsarzt beteiligt wird und somit
wird die Chance, durch Änderungen
der Arbeitsbedingungen ein langfristiges Verbleiben des Betroffenen am
Arbeitsplatz zu ermöglichen, vertan.
Die unabhängige Expertise des Landesgewerbearztes kann zur Qualitätssicherung des BK-Verfahrens wesentlich
beitragen. Ziel muss es neben der
Abklärung des Einzelfalls sein, dass
Berufskrankheiten-Risiken in den Unternehmen erkannt und gezielte Präventionsmaßnahmen wie die arbeitsmedizinische Vorsorge und die Beseitigung oder
Minimierung von Risiken durchgeführt
werden. Der Landesgewerbearzt kann
seine Überwachungsaufgabe nur dann
wahrnehmen, wenn ihm vollständige
Informationen darüber vorliegen, in welchen Branchen und bei welchen Tätigkeiten besondere Risiken für das Entstehen von Berufskrankheiten bestehen.
Diese Erkenntnisse kann auch die staatliche Gewerbeaufsicht systematisch einbeziehen, beispielsweise bei der Kontrolle der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation und bei der Beratung zur Verbesserung der Gefährdungsbeurteilung.
Wenn der Landesgewerbearzt beispielsweise erst von berufsbedingten Hauterkrankungen erfährt, nachdem die
Berufserkrankung anerkannt wurde,
In diesen Fällen kommt es nach
Wiederaufnahme der Tätigkeit immer
wieder zu Rückfällen, zusätzlich können Allergien auftreten, die Hauterkrankung nimmt einen chronischen
Verlauf und letztendlich ist dann die
Tätigkeitsaufgabe nicht zu umgehen.
Nur wenn die Betroffenen nachweisen können, dass alle Präventionsmaßnahmen ausgeschöpft wurden
und trotzdem keine Abheilung
erreicht werden konnte, besteht die
Möglichkeit ein BK-Verfahren einzuleiten.
haben die Betroffenen ihre Tätigkeit aufgegeben und davor meist jahrelang am
Hautarztverfahren teilgenommen. In dieser Zeit hätten im betreffenden Betrieb
bereits gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention angestoßen
werden können – auch um weitere
Beschäftigte vor Hautschädigungen zu
bewahren.
Beschäftigte in Leiharbeit sind über
den Verleihbetrieb gesetzlich unfallversichert. Wenn für einen Leiharbeitnehmer
oder eine Leiharbeitnehmerin eine BKAnzeige gestellt wird, erfährt dies der
ausleihende Betrieb häufig nicht. Dann
kann der Arbeitgeber, in dessen Betrieb
die Berufskrankheit verursacht wurde,
möglicherweise den Präventionsbedarf
nicht erkennen und Schutzmaßnahmen
werden versäumt. Falls Verleih-Unternehmen den Sitz nicht im Land Bremen
haben, gehen diese betreffende BKAnzeigen zudem nicht in die Statistik
für das Land Bremen ein und kommen
auch nicht auf den Tisch des Landesgewerbearztes. Auch dies führt dazu, dass
Schwerpunkt-Branchen oder risikoreiche
Tätigkeiten und Verbesserungsbedarf
im Arbeitsschutz nur unzureichend
identifiziert werden können.
BARBARA REUHL
Das Projekt ›Wissenstransfer zur
präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung
von Berufskrankheiten‹ – Ergebnisse und Erfahrungen
Weil das Land Bremen in hohem Maß
durch asbestbedingte Erkrankungen
betroffen ist, wurde das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung
von Berufskrankheiten‹ eingerichtet, mit
dem Auftrag, eine Beratungsstelle für
von Berufskrankheiten Betroffene zu entwickeln und dauerhaft zu sichern. Das
Vorhaben wurde von Mai 2011 bis Ende
Juni 2013 mit Mitteln aus dem Europäischen Strukturfonds (EFRE) gefördert
und in Trägerschaft der Arbeitnehmerkammer Bremen durchgeführt.
Kooperationspartner des Projekts
waren:
❚ Senator für Gesundheit
❚ Landesgewerbearzt
❚ Gewerbeaufsicht des Landes Bremen
❚ Landesarbeitskreis für Arbeitsschutz
❚ Deutsche Gesetzliche
Unfallversicherung
❚ AOK Bremen / Bremerhaven
❚ DGB Bremen-Elbe-Weser
❚ Handwerkskammer Bremen
❚ Handelskammer Bremen
❚ Verein Arbeit & Zukunft e. V.
❚ Deutsche Rentenversicherung
Warum brauchen die
Betroffenen Unterstützung?
Das Berufskrankheiten-Modell baut auf
dem Verständnis des Unfallversicherungsrechts auf: eine (eindeutige) Ursache erzeugt eine (eindeutige) Wirkung.
Der Zusammenhang zwischen einem
Unfallereignis und dem Unfallschaden
leuchtet ein, denn sie liegen in der Regel
zeitlich nahe beisammen. Bis sich die
Symptome einer Berufserkrankung
bemerkbar machen, vergehen aber meist
mehrere Jahre, bei Asbest- und Krebserkrankungen oft Jahrzehnte.
Für die Anerkennung einer Berufskrankheit sind Tatsachenbeweise (reduziert auf das Wesentliche: Einwirkung
und Krankheit) als Grundlage für die
Beurteilung des Zusammenhanges gefordert. Dies beruht auf dem im Sozialrecht
geltenden Grundsatz der objektiven
Beweislast. Kann ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung
nicht ›festgestellt‹, d.h. bewiesen werden,
geht dies zu Lasten des/der Versicherten:
Die Mehrzahl der BK-Anzeigen führt
denn auch nicht zur Anerkennung oder
gar Entschädigung einer Berufskrankheit, wie Abbildung 1 zeigt.
Abb. 1:
Berufskrankheitenkennzahlen 1960 bis 2012
Fälle in
Tsd.
ab 1991 mit Daten aus den neuen Bundesländern
Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit
Anerkannte Berufskrankheiten
Neue Berufskrankheitenrenten
Todesfälle Berufserkrankter mit Tod infolge der BK
120
100
73.574
80
60
40
20
15.949
5.053
2.468
0
1960
1970
1980
1990
Quelle: Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, 2012, eigene Darstellung
2000
2010
20
21
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Dass auf dem Weg zur Anerkennung
einer Berufskrankheit viele Hürden auftauchen können, zeigen auch die Erfahrungen aus mehr als 180 Beratungsfällen
im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur
Verhinderung von Berufskrankheiten‹.
Ergebnisse und Erkenntnisse
aus der Beratungstätigkeit
Im Zeitraum vom 17. Mai 2011 bis
27. Juni 2013 wurden insgesamt 279
Beratungen durchgeführt, davon 178
Erstberatungen und 101 Folgeberatungen, denn in vielen Fällen waren mehrere Beratungstermine erforderlich, um
den komplexen Sachverhalt zu erheben.
28 der Betroffenen hatten einen Migrationshinweis. 131 der beratenen Personen
stammten aus dem Land Bremen, 35
wohnten im Umland. Entsprechend der
Struktur des Berufskrankheiten-Konzepts
Abb. 2:
Struktur des Projekts
Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven
Unterstützung von Betrieben zur
Verhinderung von Berufskrankheiten‹
e
e
Wissensmanagement,
Wissenstransfer,
Vernetzung
Aufbau
einer
Beratungsstelle
Beratung
Betroffener
Prävention von
Berufskrankheiten
Üb.ersicht 1: Berufe und Berufskrankheiten,
Beratung im Rahmen des Projekts
›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹
Berufe / Branchen
BK-Gruppe
BK-Ziffer
Schiffbauer, Isoliertechnik,
Asbest
BK 4103
82
BK 4104
27
BK 4105
6
BK 2108
11
Asbestentsorgung, außerd.
Schlosser, Tischler, Maurer
Gesundheitsdienst,
Lenden-
Fälle
Baugewerbe
wirbelsäule
Gesundheitsdienst,
Halswirbelsäule
BK 2109
5
Schiffbauer
Lärm
BK 2301
14
Druckereien,
Chemische
BK 1101
1
Isoliertechnik
Einwirkungen /
1108
1
Stoffe
1202
1
1301
4
1310
1
1315
1
1317
2
1318
4
Baugewerbe
sind eher Männer als Frauen direkt
betroffen, wie sich auch in den Zahlen
des Projekts widerspiegelt: Es wurden
152 männliche und 23 weibliche Ratsuchende beraten – davon zwei Frauen, die
durch das Waschen der Arbeitskleidung
ihrer früher als Werftarbeiter tätigen
Ehemänner mit Asbest in Kontakt
gekommen waren, was jedoch nicht als
Berufserkrankung zählt.
Die meisten beratenen Personen (52)
sind bei der AOK Bremen/Bremerhaven
krankenversichert, gefolgt von der BKK
firmus (51) und der HKK (14); die übrigen
Ratsuchenden verteilen sich auf andere
gesetzliche Krankenkassen oder sind
nicht Mitglied der GKV.
In knapp zwei Dritteln (115) der Beratungsfälle ging es um Erkrankungen
durch Asbest, was sich aus der hohen
Betroffenheit des Landes Bremen durch
Asbestumschlag und -verarbeitung
erklärt.
Gründe, die BerufskrankheitenBeratung aufzusuchen, waren:
❚ Allgemeine Information
über das BK-Verfahren: 32 Fälle
❚ BK-Verdachtsanzeige: 71 Fälle
❚ Widerspruch: 35 Fälle
❚ Klage: 12 Fälle
❚ Verschlimmerungsanzeige: 12 Fälle
Die am häufigsten betroffenen, für die
in der Beratung am meisten vorkommenden BK-Ziffern maßgeblichen Berufe
sind aus Übersicht 1 ersichtlich.
Die Beratung sollte Lotsendienste
leisten, wenn eine Berufskrankheit und
Ansprüche gegenüber der gesetzlichen
Unfallversicherung abzuklären waren. Es
ging aber auch wesentlich darum, die
Erkenntnisse und Erfahrungen aus den
Beratungsfällen für die Prävention
nutzbar zu machen, und so Betriebe
beim Arbeits- und Gesundheitsschutz
zu unterstützen (vgl. Abb. 2).
Als Berater war ein ehemaliger Vulkan-Betriebsrat im Projekt tätig, der
bereits seit 2001 mit Unterstützung des
Vereins Arbeit und Zukunft ehrenamtlich auf dem ehemaligen Gelände der
Vulkan-Werft Berufskrankheiten-Betroffene beraten hatte (vgl. den Erfahrungsbericht von Rolf Spalek in dieser Veröffentlichung).
Die praktische Beratungstätigkeit
wurde wissenschaftlich begleitet, mit
dem Auftrag, ein Konzept für eine
Berufskrankheiten-Datenbank zu ent-
wickeln (siehe dazu den Beitrag von
Wolfgang Hien). Für die Arbeitsanamnese von Betroffenen, die auf Werften eingesetzt waren, konnte auf das umfangreiche Archiv der Gesundheitsakten des
Bremer Vulkan zurückgegriffen werden,
das der Verein Arbeit und Zukunft dem
Projekt überließ. In Fällen, wo die Betroffenen im Hafen tätig waren, konnten
Erkenntnisse und Belege durch Unterstützung der AOK Bremen/Bremerhaven
(Hafenkarte; vgl. den Beitrag von Corinna Mahlstedt) herangezogen werden.
Neben den persönlichen Beratungen
in der Geschäftsstelle der Arbeitnehmerkammer fanden auch telefonische Beratungen durch den wissenschaftlichen
Mitarbeiter des Projekts statt, um spezifische fachliche Aspekte zu klären. Es handelte sich überwiegend (in zwölf Fällen)
um Nachfragen, die sich aus der persönlichen Beratung ergaben. In weiteren
acht Fällen wurde Betroffenen oder
deren Angehörigen aus Regionen außerhalb Bremens Auskunft gegeben. Etliche
Anfragen bezogen sich auf die Berechnung von Asbestfaserjahren, in zwei
Fällen ging es um die nachzuweisenden
›Benzoljahre‹:
Erfolgreicher Widerspruch
durch Neuberechnung der
beruflichen Schadstoffbelastung
Zwei an Leukämie erkrankte Maler hatten Spritzarbeiten zur Reinigung mit
benzolhaltigen Lösemitteln ausgeführt.
Bei ihnen wurde eine Berufskrankheit
dem Grunde nach anerkannt, aber eine
Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE)
nicht festgestellt. Deshalb wurde ihnen
auch keine Rente zuerkannt. Dagegen
haben sie mit Unterstützung des
Berufskrankheiten-Beraters Widerspruch eingelegt. Dabei war ausschlaggebend, dass die Schadstoffbelastung
von dem wissenschaftlichen Begleiter
im Projekt neu berechnet werden konnte. Mit dem Ergebnis wurde – nach
längerem Verfahren und neuen Begutachtungen – eine rentenberechtigende
MdE durchgesetzt.
Zudem war Hilfestellung hinsichtlich
chemischer Zusammensetzung, toxikologischer Eigenschaften und Wirkungsmechanismen bestimmter Produkte
oder Nebenprodukte gefragt, mit denen
Betroffene Kontakt hatten. Die hauptsächlichen Berufsgruppen waren hier
die Werftarbeiter. Bei einigen Anfragen
ging es um Tätigkeiten mit Farbstoffen,
die möglicherweise krebserzeugende
aromatische Amine beinhalteten. Die
betroffenen Berufsgruppen waren KfzLackierer und Drucker. Andere Anfragen
drehten sich um diverse weitere Themenfelder wie z. B. das Interpretieren
von amtlichen Merkblättern und wissenschaftlichen Begründungen von Berufskrankheiten.
Im Ergebnis konnte den beratenen
Personen nicht immer ein BK-Verfahren
empfohlen werden, weil wichtige
Grundinformationen, beispielsweise
über die früher verwendeten Arbeitsstoffe fehlten oder nicht ausfindig gemacht
werden konnten. Die BK-Verfahren standen zumeist an der Schwelle zum Widerspruch, zwei Fälle an der Schwelle zum
Sozialgericht. Seitens der telefonisch
beratenen Betroffenen kamen zumeist
keine weiteren Rückmeldungen, sodass
nicht weiterverfolgt werden konnte,
wie das BK-Verfahren eingeleitet wurde
beziehungsweise weiter verlief.
Die Betroffenen haben vielfältige Probleme, Formulare auszufüllen, mit den
Fragen und dem Verhalten der berufsgenossenschaftlichen Sachbearbeiter
umzugehen sowie medizinische Diagnosen zu verstehen. Schwierigkeiten macht
es vor allem, wenn Unterlagen zur
Arbeitsvorgeschichte, vor allem meist
Messwerte und Expositionsangaben fehlen. Viele der Betroffenen kamen, wie
die hohe Zahl der Folgeberatungen zeigt,
zwei- oder mehrfach in die Beratung.
Die Beratungsarbeit im Rahmen des Projekts lässt ich schwerlich standardisieren. Zu unterschiedlich sind die Fälle
und die jeweiligen Arbeitshintergründe,
zu unterschiedlich die beratenen Personen, wie der nachfolgende Überblick zeigt:
❚ Ein Schwerpunkt der Beratungstätigkeit lag bei der Lärmschwerhörigkeit
(BK-Nr. 2301, 14 Fälle, darunter mehrere Schiffbauer) und bei Erkrankungen
des Muskel-Skelett-Apparates. Hier ging
es zum einen um Bandscheiben-Schädigungen der Lendenwirbelsäule (BK-Nr.
2108, elf Fälle) und der Halswirbelsäule
(BK 2109, fünf Fälle); betroffen waren
die Berufe Gerüstbauer, Kranfahrer,
Krankenschwester.
❚ Ein Werftschweißer, der viele Jahre in
kniender Haltung gearbeitet hatte, wurde wegen einer Kniegelenkserkrankung
(Gonarthrose, BK-Nr. 2112) beraten.
23
22
BERUFSKR ANKHEITEN
❚ Weitere, dem Bereich der sogenannten
mechanischen Berufskrankheiten zugerechnete Fälle waren erschütterungsund vibrationsbedingte Erkrankungen
(BK-Nr. 2103 und 2104/Gartenbau) und
die Druckschädigung der Handnerven
(BK-Nr. 2106/Fotografie).
❚ Um Harnblasenkrebs (BK-Nr. 1301), verursacht durch aromatische Amine bzw.
Farbstoffe, die solche Amine freisetzen
können, ging es in drei Fällen (Schiffszimmermann, Lackierer, Drucker).
❚ Weitere Beratungen betrafen Spätfolgen vom Unfällen, Hepatitis C, Kehlkopfkrebs durch Schwefelsäure,
Halswirbelsäule und Burnout.
Wie sorgfältig nachgefragt und
recherchiert werden muss, zeigt der
Bericht des Beraters über einen Fall
von Leukämie
›Der Betroffene, Anfang 40, hat über
zehn Jahre als Fährmann auf Fährschiffen mit drei Schichten, jeweils acht
Stunden, gearbeitet. Tag für Tag sind es
über 1.600 Fahrzeuge, die auf die Fähre
und wieder herunter fahren. In einem
so ungewöhnlichen Fall muss die Tätigkeit genau beschrieben werden, um
die Gefahrstoffbelastung zu begründen.
Außerdem muss die Belastung berechnet werden:
Wenn die Autos angelassen werden,
um von der Fähre herunter zu fahren,
bekommt der Fährmann diesen ›ersten
Schwall‹ mit Benzol ab. Daraus alleine
lässt sich aber der rechnerische Nachweis nicht führen. In der kalten Jahreszeit lassen die Autofahrer den Motor
jedoch laufen, damit das Wageninnere
beheizt ist und die Scheiben nicht
beschlagen. In diesen Abgasen steht er
täglich. Er ist an Leukämie erkrankt
und es geht ihm sehr schlecht. Als die
Ehefrau in die Beratung kam, hatte er
bereits seit Wochen eine sehr starke
Chemotherapie. Seine Frau hat auf
eigene Faust Hilfe gesucht und die
Berufskrankheiten-Beratungsstelle im
Internet gefunden. Sie hat mit meiner
Unterstützung den Antrag auf Verdacht
einer Berufskrankheit an die Berufsgenossenschaft gestellt.
Weder von einem niedergelassenen
Arzt noch vom Krankenhaus wurde der
mögliche berufliche Zusammenhang
angezeigt, obwohl Ärztinnen und
Ärzte dazu verpflichtet sind.
PR AXIS
Sie müssten eigentlich nur ein Formular ausfüllen, weitere Arbeit fällt für
sie nicht an, denn dann muss die BG in
Aktion treten.
In der Beratung unterstütze ich den
Betroffenen bzw. seine Ehefrau dabei,
die beruflichen Stationen und Belastungen zusammenzutragen, damit
beim Nachweis der Exposition wirklich
alle Faktoren in Betracht gezogen
werden. Über die von der BG erhobene
Anamnese hinaus konnte ich im
Gespräch mit dem Betroffenen nämlich herausfinden, dass er vor seiner
Tätigkeit als Fährmann über einige Jahre auf Tankschiffen gearbeitet hatte.
Dort wurden unter anderem schwere
Kraftstoffe transportiert, wie z. B. Heizöl oder Benzin. Durch Tankwache und
ähnliche Arbeiten wurden die Hände
mit dem Heizöl verschmutzt. Da an
Bord keine gute Seife existierte und es
mit Seife auch zu lange gedauert hätte
und Heizöl am besten mit Diesel abzuwaschen ist, wurden halt die Hände
mit Lösemitteln gewaschen, was eine
sehr hohe Exposition darstellt. Ferner
mussten alle zwei Wochen für je 1,5
Stunden die zwölf Tanks gereinigt werden. Dies wurde seiner Aussage nach
ohne jeglichen Atemschutz gemacht,
solange bis man nicht mehr konnte
und eine Pause brauchte. Auch hier
wurden Arme und Beine nass von den
Kraftstoffen. Die Aufnahme über die
Haut war also sehr oft bis ständig gegeben. Das wirft natürlich wieder ein
ganz anderes Bild auf die Krebserkrankung und ihre Ursache. Es ist erstaunlich, dass die BG dies bei ihrer Ermittlung nicht herausgefunden hat!‹
Erkrankte kamen nicht immer nur, um
den sachlichen Teil ihrer BK-Anzeige
oder ihres BK-Verfahrens zu besprechen.
Es ging ihnen auch darum, ihr Leid zu
klagen und von den vielfältigen Schwierigkeiten zu erzählen, unter denen sie
ihr momentanes Leben zu bewältigen
hatten. Hierbei vermischten sich BKSachverhalte mit Themen psychosozialer
Art, was wiederum in engem Zusammenhang mit der ablehnenden Haltung
der Berufsgenossenschaften zu sehen ist,
wie ein Fall veranschaulicht:
Bessere finanzielle Absicherung nach
erfolgreichem Widerspruch
›Ein 60 Jahre alter früherer Isolierer kam
in die Beratung, weil bei ihm eine
Asbestose als Berufskrankheit (BK) anerkannt worden war, jedoch ohne Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), da
sein Lungenvolumen noch sehr gut sei.
Er ist inzwischen zwar immer noch bei
einer Isolierfirma beschäftigt, jedoch
in gehobener Stellung. Er hat bundesund weltweit an den Arbeitsstellen
der Firma zu tun, mit einer Funktion
ähnlich einem Baustellenkoordinator.
Die Diagnose der Asbestose hat ihn psychisch sehr belastet. Acht seiner Kollegen, mit denen er viele Jahre zusammengearbeitet hatte, sind inzwischen
an Asbestose verstorben, alle vor dem
60. Lebensjahr. Er ist als einziger übrig
geblieben. Er machte sich Gedanken,
ob er auch in einem halben Jahr tot
sein würde. Hinzu kamen finanzielle
Sorgen, denn er hatte vor einigen
Jahren erst gebaut, und die Kredite
waren noch nicht abgezahlt. Was sollte
aus seiner einige Jahre jüngeren Frau
und aus dem Haus werden? Gesundheitlich war er wegen seiner Asbesterkrankung und wegen der psychischen
Belastung sehr angeschlagen.
Gegen den ablehnenden Bescheid hat
er mit meiner Unterstützung Widerspruch eingelegt und begründet. Die
BG hat daraufhin – allerdings erst nach
einiger Zeit – eine erneute Begutachtung veranlasst. Es wurde nachträglich
zum Bescheid auf Anerkennung der
BK eine MdE von 20 Prozent festgestellt.
Da sein Gesundheitszustand sich seit
dem Anerkennungsbescheid jedoch
weiter verschlechtert hatte, wurde
schließlich eine MdE von 30 Prozent
anerkannt und eine entsprechende
BK-Rente festgesetzt. So steht er finanziell besser da, und auch seine Frau
wäre damit im Falle seines Todes besser
abgesichert.‹
Viele Betroffene können einfach nicht
verstehen, warum sie mit ihrem Leiden,
mit ihrer Geschichte, die ihrer Meinung
nach eindeutig die Berufsbedingtheit
ihrer Krankheit beweist, nicht ernst
genommen werden. Auch der Umgang
mancher Ärzte, die nicht oder nur sehr
oberflächlich nach der Arbeitsvorgeschichte fragen, erleben sie als verlet-
zend. BK-Verfahren ziehen sich in der
Regel lange hin. Nicht selten dauert es
ein Jahr oder länger, bis ein Bescheid
kommt. Dies wird von den Erkrankten
als quälende Verzögerung erlebt. Es wundert daher nicht, dass manche Ratsuchende immer wieder die BK-Beratung
aufsuchten. Insbesondere Angehörige
schwer Erkrankter oder bereits Verstorbener sind oftmals völlig hilflos und
erhoffen sich von der BK-Beratung Hilfe.
Viele BK-Verfahren sind langwierig,
und nicht alle Personen, die sich beraten
ließen, haben mitgeteilt, wie ihr Fall
weitergegangen oder ausgegangen ist. Es
konnte auch nicht erwartet werden, dass
Anerkennungen von BK-Fällen, positive
Rentenbescheide oder höhere Einstufung des Schädigungsgrades noch
während der Laufzeit des Projekts als
Beratungserfolge sichtbar würden. Etliche Verfahren konnten jedoch verfolgt
werden: In 18 Fällen kam es zu einem
positiven oder im Sinne der Betroffenen
besseren Bescheid als vor der Beratung.
Darunter waren 13 Fälle von asbestbedingten Erkrankungen, in fünf dieser
Fälle ging es um Witwenrenten. Zweimal
wurden Leukämie und je einmal Blasenkrebs und Lärmschädigung anerkannt,
in einem Fall ging es um Krankheit als
Folge eines Arbeitsunfalls. Acht der beratenen Personen entschieden sich im
Lauf des Projekts für den Klageweg. Fünf
Ratsuchende haben es aufgegeben, ihr
Anliegen weiterzuverfolgen. Es sind
jedoch auch 14 der Beratenen während
der Projektlaufzeit verstorben, davon
13 durch eine Asbesterkrankung.
Projektaktivitäten
Die Berufskrankheiten-Konferenz
Zusätzlich zur wissenschaftlichen Begleitung wurden – auch zur Förderung der
notwendigen professionellen Distanz –
in der von Expertinnen und Experten
besetzten Berufskrankheiten-Konferenz
beispielhaft Beratungsfälle anonymisiert
ausgewertet sowie Arbeitshilfen für die
Erkennung von Berufskrankheiten und
die Beratung entwickelt, beispielsweise
❚ Entwicklung eines Leitfadens für
die Beratungsarbeit
❚ Interne Liste der Krankenkassen
und Unfallversicherungsträger mit
Ansprechpartnerinnen und -partnern
24
25
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
❚ Entwurf eines Fragebogens für
(Lungen-)Krebspatientinnen und -patienten, zur Abfrage und Identifikation
möglicher BK-relevanter beruflicher
Risiken bei der ärztlichen Anamnese
(s. Anhang).
Vernetzung
Zum Aufbau einer tragfähigen Vernetzung fand eine Reihe von Fachgesprächen statt, unter Beteiligung von
Projektpartnern und weiteren Expertinnen und Experten, wie in Übersicht 2
dargestellt.
Außerdem wurde über die Arbeit des
Projekts im Landesarbeitskreis für
Arbeitsschutz Bremen, im Rahmen eines
Strategietreffens von ver.di- Selbstverwaltern, bei einer Fortbildungsveranstaltung der Ärztekammer Bremen, im Rahmen einer Veranstaltung der Bremer
Krebsgesellschaft, sowie bei einer
Tagung des IG-Metall-Arbeitskreises
Ü.bersicht 2:
Fachgespräche im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹
Thema des Fachgesprächs
Beiträge
Erfahrungen aus der Berufskrankheiten-Beratung bei
der Beratungs- und Informationsstelle
Arbeit & Gesundheit Hamburg
❚ Beratungskonzeption und Schwerpunkte der Beratungs- und Infor-
mationsstelle Hamburg (Cornelia Schubert, Infostelle Hamburg)
❚ Erfahrungen bei der Anamnese, insbesondere zur Asbestfaserstaub-
belastung (Dr. Henning Wriedt, Infostelle Hamburg)
❚ Konzept einer Berufskrankheiten-Datenbank (Dr. Wolfgang Hien)
Fachgespräch ›Beratung für
Betroffene von Berufskrankheiten –
Möglichkeiten und Nutzen‹
Fachgespräch ›Beratung für Betroffene
von Berufskrankheiten – Möglichkeiten
einer wohnortnahen Beratung‹
❚ Identifikation von Berufskrankheiten auf der Basis von
Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung
(Dr. Anke Siebeneich, Team Gesundheit, Essen)
❚ Meldefrist für die Meldung von Berufskrankheiten
(Ulrich Hübschmann, LSG Niedersachsen / Bremen)
❚ Erfahrungen bei der Ermittlung von Berufskrankheiten am Beispiel
der AOK (Corinna Mahlstedt, AOK Bremen / Bremerhaven)
❚ Bearbeitung von Berufskrankheiten-Anzeigen aus der Sicht der Berufs-
genossenschaft (Andrea Im Sande, BGHM, Bernd Tietje, BGHW)
❚ Die Asbestose-Sprechstunde der BG ETEM
(Andreas Meyer, Rainer Keye, BG ETEM)
Fachgespräch mit
Lungenfach- und Klinikärztinnen
und -ärzten zur Verbesserung
der Situation der Patienten mit
Lungenkrankheiten durch
Asbest und andere Stoffe
❚ Verbesserung der Situation der Patienten mit Lungenkrankheiten
durch Asbest und andere Stoffe (Andreas Stute, BGHM)
❚ Asbestbedingte Berufskrankheiten – Leitlinien
(Prof. Dr. Dieter Ukena, Klinikum Bremen-Ost)
❚ Therapie des malignen Pleuramesothelioms
(Prof. Dr. Albert Linder, Klinikum Bremen-Ost)
❚ Verbesserung der Situation der Patienten mit
Lungenkrankheiten durch Asbest und andere Stoffe
(Prof. Dr. Klaus Junker, Klinikum Bremen-Mitte)
Fachgespräch mit Studierenden und
Lehrenden des Fachbereichs 6 (Recht)
der Universität Bremen: ›Berufskrankheiten-Anerkennungsverfahren – Lehren
für die Prävention‹
❚ Vorstellung des Projekts ›Wissenstransfer…‹ (Barbara Reuhl)
Einladung der Projektpartner
❚ Bilanzierung der Projektarbeit (Barbara Reuhl),
❚ Hürden im Anerkennungsverfahren – Beispiele aus der Beratung
(Rolf Spalek, Dr. Wolfgang Hien)
❚ Berufskrankheiten: Betriebliche Prävention –
Pflichten des Arbeitgebers und Mitbestimmung (Dr. Frank Hittmann)
Diskussion: Künftige Vernetzung
Erfahrungsaustausch mit Mitbestimmungs- und Technologieberatung der
Arbeitnehmerkammer Bremen
Bezirk Küste berichtet und im Hinblick
auf die Erfahrungen und Kompetenzen
des jeweiligen Teilnehmerkreises über
Möglichkeiten der Prävention von
Berufskrankheiten, einer verbesserten
Praxis der Identifikation und Anerkennung sowie einer Vernetzung diskutiert.
›Hautschutz bei der Arbeit – machen
Sie es wie die Profis!‹ ist der Titel einer in
Kooperation mit der Handwerkskammer
Bremen, der Bremer Friseurinnung und
der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege erstellten
Folienserie, die im Rahmen der Veranstaltung ›Hair Fashion 2012‹ der Bremer
Friseurinnung in Bremen-Nord eingesetzt wurde. (Ausführliche Darstellung
im Beitrag von Tuku Roy-Niemeier)
Die in Kooperation mit dem DGB Bremen-Elbe-Weser durchgeführte ›Arbeitsschutzkonferenz zum Recht der Berufskrankheiten‹ im Oktober 2012 wendete
sich an betriebliche Praktiker, vor allem
an Betriebsräte. Es ging um die Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von
Betriebsräten zur Prävention von Berufskrankheiten, vor allem um die systematische Gefährdungsbeurteilung und
Dokumentation, sowie um die Beweislastumkehr. Die Konferenz fand im Speicher XI statt – im Hinblick auf das Thema Berufskrankheiten handelt es sich
hierbei um einen historischen Veranstaltungsort, denn im Speicher XI des früheren Überseehafens wurde auch Asbest
umgeschlagen.
In dem Gebäude, in dem die Arbeitsschutzkonferenz stattfand, ist auch das
Hafenmuseum angesiedelt. Im Rahmen
der Veranstaltung stellte eine Mitarbeiterin das Hafenmuseum vor, und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten
im Anschluss an die Konferenz die Möglichkeit an einer Führung durch das
Museum teilzunehmen. In den Beständen des Hafenmuseums befindet sich ein
Schuppenbuch, aus dem sich die Asbestexposition in konkreten Berufskrankheiten-Fällen belegen ließ.
❚ Perspektiven der Beratung für von Berufskrankheiten Betroffene:
Erfahrungen aus dem Projekt ›Wissenstransfer‹
(Dr. Frank Hittmann, Barbara Reuhl, Rolf Spalek);
Diskussion: Mitbestimmung bei der betrieblichen Prävention
Öffentlichkeitsarbeit
Der Projektflyer ist im Anhang enthalten. In dem von der Arbeitnehmerkammer herausgegebenen Bremer ArbeitnehmerMagazin (BAM) erschien eine Serie
von Beiträgen zu den Themen
❚ Asbestose-Erkrankte kämpfen um
ihre Rechte: Beratungsstelle für
Berufskrankheiten (BAM 4/Mai 2011)
❚ Stichwort: Berufskrankheiten
(BAM 6/August 2011)
❚ Berufskrankheiten –
(k)ein aktuelles Thema?
❚ Teil 1: Asbestbedingte Erkrankungen
(BAM 1/Januar 2012)
❚ Teil 2: Asbest – leider auch heute noch
aktuell (BAM 2/Februar 2012)
❚ Teil 3: Schwere Hauterkrankungen
(BAM 3/April 2012)
❚ Möglicherweise berufsbedingt:
Blut- und Lymphdrüsenkrebs
durch Benzol (BAM 6/August 2012)
❚ Berufskrankheiten durch
mechanische Einwirkungen
❚ Teil 1: Wirbelsäulenerkrankungen und
Kniegelenksarthrosen:
›Knochen kaputt?!‹
(BAM 7/Oktober 2012)
❚ Teil 2: Das Carpaltunnelsyndrom:
Anerkennung bleibt ungewiss.
(BAM 8/Dezember 2012)
❚ Hepatitis und Co:
Infektionsgefahren bei der Arbeit
(BAM 2/Februar 2013)
Mit der Reihe ›Arbeitspapiere Berufskrankheiten‹ sollen Akteure des betrieblichen und überbetrieblichen Arbeitsschutzes, Interessenvertretungen, Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Fachinstitutionen angesprochen werden. Die Reihe
soll dazu beitragen, den Wissenstransfer
zur Identifikation und Prävention von
Berufskrankheiten zu verbessern. Dabei
wurden insbesondere auch Erkenntnisse
zu Berufserkrankungen von Frauen
einbezogen.
Im Rahmen des Projekts erschienen
die Ausgaben
❚ Arbeits- und berufsbedingte obstruktive Lungenerkrankungen – Kenntnisstand und Hinweise für die Praxis
des Berufskrankheitenverfahrens
❚ Die Problematik der Muskel-Skeletterkrankungen bei weiblichen Erwerbstätigen
❚ Arbeits- und berufsbedingte Krebserkrankungen: Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unter besonderer
Berücksichtigung weiblicher Krebsformen
Die Ausgaben sind ausschließlich in
elektronischer Form verfügbar.
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BERUFSKR ANKHEITEN
Aus Fehlern und Versäumtem
lernen: Eine bessere Prävention
tut not
Die Berufskrankheiten sind ein Sonderfall der arbeitsbedingten Erkrankungen.
Nur diejenigen Krankheiten, die in der
Berufskrankheiten-Liste (BK-Liste) aufgeführt sind, können unter eng definierten Kriterien als Berufskrankheit anerkannt werden und fallen dann nicht wie
andere Erkrankungen in die Zuständigkeit der Krankenversicherung. Kostenträger bei Berufskrankheiten ist die Gesetzliche Unfallversicherung, die Berufsgenossenschaft bzw. die Unfallkasse (im
Folgenden BG). Dieser Zweig der Sozialversicherung wird ausschließlich aus
Beiträgen der Arbeitgeber finanziert,
denn die gesetzliche Unfallversicherung
übernimmt die Haftpflicht des Arbeitgebers, wenn Beschäftigte einen Schaden
erleiden. Die BG zahlt die infolge von
Unfällen oder Berufskrankheiten anfallenden Behandlungskosten, gesundheitliche und berufliche Rehabilitationsleistungen sowie Renten zur Kompensation von Erwerbsminderung.
Wird der Verdacht auf Vorliegen einer
Berufskrankheit angezeigt7, ist die zuständige BG von Amts wegen verpflichtet
zu ermitteln, ob bei der beruflichen
Tätigkeit die in der BK-Liste beschriebene, genau definierte schädigende Einwirkung ( = Exposition) vorgelegen hat. Ist
das der Fall, wird der Zusammenhang
zwischen Einwirkung und Krankheit
durch ein medizinisches Gutachten
abgeklärt. Wird überhaupt erkannt, dass
eine Erkrankung im Zusammenhang
mit der beruflichen Tätigkeit steht, und
wird dies dann auch angezeigt? Nach
den Erkenntnissen des Projekts ›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹ besteht hierzu in den Betrieben, bei Arbeitsschutzinstitutionen und auch im ambulanten
und stationären Gesundheitswesen
ein deutlicher Verbesserungsbedarf.
Wenn es zu einer Berufskrankheit
kommt, wird Verbesserungsbedarf beim
betrieblichen Arbeitsschutz sichtbar. Das
kommt insbesondere auch bei den aktuellen Entwicklungen in der Erwerbsarbeit zum Tragen. Denn in neuen Branchen werden Belastungen nicht immer
ausreichend erkannt. Wer aufgrund von
Leiharbeit oder anderweitig prekärer
Beschäftigung nicht zur Kernbelegschaft
PR AXIS
zählt, wird im Arbeitsschutz oftmals
nicht angemessen einbezogen.
Neben der Beratung hatte das Projekt
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ deshalb
auch den Auftrag, zur Prävention von
Berufserkrankungen beizutragen. Die
Frage, was aus dem Berufskrankheitengeschehen und insbesondere aus der
Beratungstätigkeit für die Verbesserung
des Arbeitsschutzes und eine gezielte
Prävention gelernt werden kann und
welche betrieblichen und überbetrieblichen Handlungsmöglichkeiten gefördert
werden können, war deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Projektarbeit.
Durch Vernetzung mit Organisationen, Fachleuten und durch Informationen für Betriebe wurde Wissen aus dem
Projekt für Betriebe, für den überbetrieblichen Arbeitsschutz, für Akteure im
Gesundheitswesen und auch für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
entwickelt und zur Verfügung gestellt.
So waren die verbesserte Einbeziehung
von BK-Risiken in die Checkliste der
Gewerbeaufsicht des Landes Bremen zur
Systemkontrolle sowie der Entwurf eines
Patientenfragebogens für Lungenerkrankte Ergebnisse des fachlichen Austauschs. Schwerpunkt der ›Arbeitsschutzkonferenz zum Recht der Berufskrankheiten‹, die in Kooperation mit dem DGB
Bremen-Elbe-Weser stattfand, war die
Prävention. Insbesondere ging es um die
Frage, welche Mitbestimmungs- und
Gestaltungsmöglichkeiten die Betriebliche Interessenvertretung bei der Prävention von Berufskrankheiten hat. Aber
auch die Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter
im Rentenausschuss und in der Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger wurden diskutiert.
Die Beiträge der vorliegenden Veröffentlichung stellen weitere Ansatzpunkte für eine bessere Prävention von
Berufskrankheiten vor, die im Rahmen
des Projektes erarbeitet und diskutiert
wurden: Durch verbesserte Dokumentation und Recherche hinsichtlich der
gesundheitlichen Risiken, gute Rahmenbedingungen für die Arbeitsschutzaufsicht, mit der Einbeziehung in die
Gefährdungsbeurteilung und die Durchführung der Arbeitsmedizinischen Vorsorge, sowie durch die Mitbestimmung
der betrieblichen Interessenvertretung.
WOLFGANG HIEN
Strukturelle Hürden für die Anerkennung
von Berufskrankheiten
Nur bei langjähriger schwerster
Arbeit anerkannt:
Durch mechanische Faktoren
verursachte Berufskrankheiten
Wie sehr die Schere zwischen Anzeigen
und Anerkennungen auseinanderklafft,
sei am Beispiel der mechanischen Berufskrankheiten verdeutlicht: Von 4.806 Fällen der Bandscheibenerkrankungen der
Lendenwirbelsäule (BK 2108), die 2012
in Deutschland als BK angezeigt wurden,
wurde nur in 370 Fällen eine Anerkennung erreicht (das sind knapp acht Prozent). Wiederum nur ein Teil der Betroffenen bekam eine Entschädigung. Chancen einer Anerkennung haben tatsächlich nur diejenigen, die langjährig
schwerste Arbeit geleistet haben: In der
Baubranche, im Lager oder in der Pflege,
sofern langjährig für sehr schwere und
unbewegliche Patienten und Patientinnen zuständig. Die zweithäufigste
Berufskrankheit im Bereich der durch
mechanische Faktoren verursachten
Berufserkrankungen sind die Kniegelenksarthrosen (Gonarthrose, BK 2112),
gefolgt von Meniskusschäden (BK 2102),
Bandscheibenschäden der Halswirbelsäule (BK 2109), Erkrankungen der Sehnenscheiden (BK 2101), der Schleimbeutel (BK 2105), Vibrationsschäden (BK
2110) und Druckschädigung der Nerven
(BK 2106).
›Knien und Hocken beanspruchen
die Kniegelenke stärker als gedacht‹ war
eine Meldung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) betitelt.8 Doch bei einer Kniegelenksarthrose
besteht nur dann eine Chance auf Anerkennung, wenn die ›spezifische Tätigkeit
im Knien, Hocken oder Kriechen‹ –
z. B. als Fliesenleger, Installateur oder
Dachdecker – eine Gesamtdauer von
mindestens 13.000 Stunden erreicht hat.
Zusätzlich sind weitere Kriterien zu
erfüllen, so z. B. bestimmte Körperhal-
tungen oder die Winkelstellung zwischen Unter- und Oberschenkel. Im Jahr
2011 wurden 1.301 Fälle von Kniegelenksarthrosen als Berufskrankheit angezeigt und nur 78 dem Grunde nach
anerkannt (sechs Prozent). Entschädigt
wurden 52 Erkrankungsfälle. Dem Bremer Landesgewerbearzt lagen 14 Fälle
vor, von denen er vier (28 Prozent) positiv beurteilte.9 Argumente, die einer
Anerkennung in den Weg gelegt werden,
sind beispielsweise der Verweis auf die
Konstitution, auf ›schwache Gelenke‹,
eine Fehlstellung der Beine, alterstypische Degeneration oder auf ›Fettleibigkeit‹. Hier deutet sich ein Wandel in der
Rechtsprechung an: Sofern die 13.000Stunden-Dosis der beruflichen Belastung
und die Spezifik der schweren Tätigkeit
gegeben sind, hatten die medizinischen
Argumentationen, die auf die Konstitution verweisen vor einem Sozialgericht
keinen Bestand.10
2009 hat der ärztliche Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für
Arbeit und Sozialordnung empfohlen,
das Carpaltunnelsyndrom (CTS) – eine
sehr schmerzhafte Drucklähmung der
Handgelenksnerven – in die BK-Liste aufzunehmen, bislang ohne Erfolg. Dennoch ist eine Anzeige über die sogenannte Öffnungsklausel nach § 9 Abs. 2 SGB
VII möglich und sinnvoll, damit eine
Erkrankung ›wie eine Berufskrankheit‹
anerkannt wird. Das CTS ist eine überaus häufige Erkrankung. Nach Schätzungen sind in Deutschland in der Altersgruppe der 25- bis 74-Jährigen mindestens 818.000 Frauen und mindestens
570.000 Männer von einem CTS betroffen, bei Fließbandarbeit mindestens jede
bzw. jeder Vierte.11 Anerkannt wird eine
Berufskrankheit jedoch sehr selten. So
müsste eine Kassiererin beispielsweise
zugleich mit sehr schweren Waren und
in sehr ungünstiger Körperhaltung über
längere Zeit hantiert haben. Eine Pflege-
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Wie gelangt eine Erkrankung in die Berufskrankheitenliste?
Derzeit finden sich 73 Berufskrankheiten in der BK-Liste (siehe Anhang).
Wenn es darum geht, eine Krankheit
in die BK-Liste aufzunehmen, hat
der ärztliche Sachverständigenbeirat
Berufskrankheiten beim Bundesarbeitsministerium eine beratende
Funktion. Beim ärztlichen Sachverständigenbeirat handelt es sich um
ein ehrenamtliches Gremium. Der Beirat wertet wissenschaftliche Erkenntnisse aus, um Belege dafür zu finden,
ob für bestimmte Erkrankungen ein
höheres Risiko durch die berufliche
Tätigkeit gegeben ist. Er empfiehlt
dann möglicherweise, eine Erkrankung neu in die BK-Liste aufzunehmen. Letztlich entscheidet dies jedoch
die Bundesregierung. Die personellen
kraft müsste eine langjährige Dauertätigkeit mit sehr schweren Patienten nachweisen. Die Arbeit an der Computertastatur könne – so die Meinung der Sachverständigen – zwar zu schmerzhaften
Hand-Armschäden führen, doch die
zugrundeliegende Belastung reiche
nicht aus, den Kriterien einer Berufskrankheit zu entsprechen.
Definierte Einzelursachen –
definierte Einzelwirkungen:
Die Schweißerlunge
An einem Beispiel aus dem Bereich der
Atemwegserkrankungen kann gezeigt
werden, wie restriktiv das deutsche Sozialrecht die Berufskrankheiten definiert
und wo eventuell Chancen einer sozialrechtlichen Wende liegen könnten: Die
Schweißerlunge (BK 4115), im Fachjargon
›Siderofibrose‹, die im Jahr 2009 vom
Bundesarbeitsministerium in die Liste
der anerkennungsfähigen Berufserkrankungen aufgenommen wurde. Das
bedeutet: Erst wenn neben kleinen Eisenablagerungen in der Lunge auch das
Bindegewebe in den Lungen auf Kosten
des aktiven Lungengewebes wächst –
was den Betroffenen ›die Luft nimmt‹ –
handelt es sich um eine Schweißerlunge
im Sinne des BK-Rechts.
und finanziellen Ressourcen des Expertengremiums, insbesondere angesichts
der Fülle von heranzuziehenden wissenschaftlichen Studien, sind knapp.
Bis eine neue Position in die Liste
kommt, können Jahre vergehen. Auch
wenn die Erkenntnisse der Wissenschaft schon längst belegen, dass eine
berufliche Ursache sehr wahrscheinlich ist: Dafür muss nachgewiesen
sein, dass das berufliche Risiko doppelt so hoch ist wie das allgemeine
Risiko der Bevölkerung, die betreffende Krankheit zu erwerben. Experten
halten diese Voraussetzung für zu
hoch, denn sie sehen es bereits bei
einem 1,5-fach erhöhten beruflichen
Risiko als gerechtfertigt an, dass eine
Erkrankung als Berufskrankheit gilt.
Aber für eine Anerkennung reicht dies
immer noch nicht. Hierfür müssen sehr
viele weitere (›die Kausalität begründende‹) Bedingungen erfüllt sein: Ein
Schweißer muss mindestens 15.000 Stunden und dies zugleich unter extremsten
Bedingungen gearbeitet haben, d. h. ›bei
eingeschränkten Belüftungsverhältnissen, z. B. in Kellern, Tunneln, Behältern,
Tanks, Containern, engen Schiffsräumen
etc.‹. Die meisten Schweißer haben also
im Rahmen des herrschenden BK-Rechts
keine Chance, eventuell aber ein Werftschweißer, falls er nachweisen kann,
dass er mehr als zehn Jahre lang fast
ausschließlich in beengten Räumlichkeiten gearbeitet hat.12
Viele Stähle, die geschweißt werden
sind beschichtet, z. B. mit Primern,
Klebern oder schlichtweg mit Ölen.
Dadurch entstehen erhebliche rußähnliche Rauchgasbelastungen. Je nachdem,
um welche Beschichtungen es sich handelt, enthalten sie verschiedene Schadstoffe, hauptsächlich aber sogenannte
polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die nachweislich sowohl
zu obstruktiven Atemwegserkrankungen
als auch zum Lungenkrebs führen. Beide
PAK-Erkrankungen sind als BK 4113 und
4114 verzeichnet, doch sind auch hier
die Hürden so hoch gelegt, dass nur
wenige Betroffene auf eine Anerkennung
hoffen können.
In der Wirklichkeit der Arbeitswelt
kommen häufig Kombinationen der
Belastungen und somit auch der Erkrankungsbilder vor. Doch angesichts eines
Rechtskonzepts, das mono-kausal ausgerichtet ist, entsteht die absurde Situation, dass die ursächlichen, durch die
Arbeit bedingten Faktoren unzweifelhaft
vorliegen, doch die einzelnen Expositionen sowie die medizinischen Einzelbefunde nicht ausreichen, um die Kriterien
einer ›Einzel‹-Berufskrankheit zu erfüllen. Zwar hat das BK-Recht durch die
Aufnahme einer Kombinations-Exposition von Asbest und PAK am Horizont eine
›sozialpolitische Wende‹ aufscheinen
lassen, doch wird die Praxis der kommenden Jahre zeigen, ob hier tatsächlich
eine Wende eingeleitet wird.
Das Argument, derartige Belastungen
seien Altlasten, die bald aufgrund weiterer Technologiesprünge überwunden
seien, kann nicht überzeugen. Nach wie
vor werden Eisen, Stahl oder andere
Metalle oder auch neue Werkstoffe, wie
Kunststoffe, eingesetzt, oftmals kombiniert mit neuen Fügetechniken wie etwa
die des Klebens.
Anerkennung nur, wenn die berufliche Tätigkeit aufgegeben wird:
Berufsbedingte Hauterkrankungen
Epoxidharze, aus denen Boote, Surfbretter oder Rotorflügel für Windkraftanlagen hergestellt werden,13 können oftmals
schon nach kurzer Zeit erhebliche Hautschädigungen verursachen und das
Arbeitsleben zur Qual machen: Gerötete
und rissige Hände, blutende und
schmerzende Stellen, Bläschen und
juckende Ekzeme. Beim Laminieren und
beim Schleifen von Epoxidharzen
kommt die Haut in Kontakt mit den
Arbeitsstoffen. Sie kann direkt geschädigt werden; zugleich können außerdem
Immunreaktionen auftreten, die sich
letztlich als Allergie gegen das eigene
Gewebe richten. Da die Arbeitsstoffe
auch in der Luft sind, können alle nicht
bedeckten Hautstellen, auch das Gesicht,
schwer geschädigt werden.
Von den etwa 70.000 Erkrankungen,
die pro Jahr als Berufskrankheit angezeigt werden, stellen die Hauterkrankungen (BK 5101) die weitaus größte Gruppe
dar. Bestätigt werden durchschnittlich
etwa drei Viertel der Fälle, woraus sich
Reha- und Behandlungsmaßnahmen
ableiten. Nur in gut zwei Prozent davon
wurde im Jahr 2011 eine Berufskrankheit anerkannt, von diesen jedoch bei
nur einem Drittel eine Rente gezahlt.
Eine wesentliche Hürde steht im Weg,
bevor eine Hauterkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird: Die ›schädigende Tätigkeit‹ – im Klartext: der Beruf
– muss laut Definition der BK 5101 aufgegeben worden sein (vgl. Tabelle 1).
Wenn die auslösenden Belastungen
vermieden werden, können die Symptome abklingen – sie lassen sich jedoch
nicht wieder ungeschehen machen, sondern die Betroffenen müssen lernen,
mit der geschädigten Haut zu leben. Um
chronischen Hauterkrankungen vorzubeugen, muss deshalb die Prävention
an erster Stelle stehen. Der Arbeitsschutz
im Betrieb muss funktionieren: Mittels
einer fachgerechten Gefährdungsbeurteilung muss festgestellt werden, welche
Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Je
nachdem, mit welchen Stoffen gearbeitet
wird, ist auch die regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorge erforderlich. Das
Arbeitsschutzgesetz wie alle dazugehöri-
Tab. 1:
BK 5101 Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder
das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Angezeigte und entschiedene Fälle 2012.
BK 5101
Deutschland
Land Bremen
Angezeigte
Fälle
BK-Verdacht
bestätigt
insgesamt
davon
als BK
anerkannt
24.385
20.028 (82 %)
581 (2,4 %)
345
238 (69 %)
11 (3,2 %)
Quelle: DGUV Statistik, eigene Berechnungen
Berufliche Verursachung festgestellt,
besondere vers.
rechtl. Voraussetzungen nicht erfüllt
neue
BK-Rente
19.447 (79,7 %) 144 (0,6 %)
232 (67,2 %)
5 (1,4 %)
30
31
BERUFSKR ANKHEITEN
gen Vorschriften und Regeln sehen eine
Rangfolge von Schutzmaßnahmen vor:
Vorrangig sind technische und organisatorische Maßnahmen, dann erst kommen personenbezogene Maßnahmen in
Betracht und dies nicht als Dauermaßnahme. Für die Arbeit mit Epoxidharzen
heißt dies: Vorrangig sind sichere, spritzund verwirblungsarme Arbeitsverfahren
in möglichst geschlossenen Anlagen,
Direktabsaugung usw. Erst als ›letzte‹
Maßnahme kommt der individuelle
Haut- und Atemschutz – dann aber mit
geeigneten, auf die Arbeitsstoffe und
-verfahren abgestimmten Handschuhen
und Schutzmasken. Denkbar und in
manchen Bereichen erprobt ist auch der
Einsatz von Ganzkörperschutzanzügen
und fremdluftbetrieben Atemschutzhelmen, doch nur dann, wenn ausreichende bezahlte Erholzeiten gewährt werden,
nach arbeitswissenschaftlichem Ermessen sind dies mindestens zehn Minuten
pro Stunde.
Die betroffenen Arbeitnehmer müssen über die Gefährdungen und die
Schutzmaßnahmen regelmäßig unterrichtet werden. Beschäftigte in prekären
Beschäftigungsverhältnissen und in Zeitarbeit genießen jedoch oftmals nicht die
Vorzüge eines gut organisierten Arbeitsschutzes, weil die Schutzmaßnahmen
unzulänglich sind, oder weil Schulungen fehlen und die Aufsicht durch die
zuständigen Berufsgenossenschaften
nicht ausreicht, wie der Bericht des Bremer Landesgewerbearztes 2009 belegt.
Chronische Hauterkrankungen traten in
einigen Fällen so schnell auf, dass die
Betroffenen noch in der Probezeit ihre
Arbeit wieder verloren – ohne Konsequenz für den Betrieb, der die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen
verantwortet.
PR AXIS
Die BK-Liste: Lückenhaft
und mit blinden Flecken
Berufliche Faktoren können Ursache für
Erkrankungen sein, die bisher nicht ausreichend im Zusammenhang mit dem
Berufskrankheitengeschehen im Blick
sind: Krebserkrankungen, die ›mechanischen‹ Berufskrankheiten und psychische Erkrankungen. Krebserkrankungen
sind, nach international übereinstimmenden Schätzungen, zu etwa fünf Prozent arbeits- und berufsbezogenen Faktoren geschuldet.14 Bei 480.000 neuen
Erkrankungsfällen pro Jahr in Deutschland wären demnach 24.000 Krebserkrankungen zumindest in einem epidemiologisch messbaren Maß wesentlich
durch Einflüsse des Arbeitsplatzes und
des Berufes verursacht. Unter der Annahme, dass davon mindestens die Hälfte im
Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit als arbeits- und berufsbedingt
anzusehen sind, also dem Kriterium
einer Berufskrankheit entsprechen, läge
– bei etwa 2.200 anerkannten Berufskrebsfällen pro Jahr – die Dunkelziffer
immer noch bei über 80 Prozent. Die
BK-Liste ist lückenhaft, sie berücksichtigt
zahlreiche krebserzeugende Stoffe und
Faktoren am Arbeitsplatz nicht. Dazu
gehören auch Stoffe, die im Tierversuch
eindeutig krebserzeugend wirken, für
die jedoch beim Menschen noch keine
eindeutigen epidemiologischen Beweise
vorliegen, zum Teil schlicht deshalb,
weil noch nicht genügend Zeit verstrichen ist, zum Teil aber auch deshalb,
weil Daten der Sozialversicherungsträger
nicht oder nicht hinreichend ausgewertet und somit Zusammenhänge nicht
erkannt werden.
Das bedeutet auch, Chancen für die
Verhütung von schweren, oftmals tödlichen Erkrankungen zu vertun, obwohl
wissenschaftliche Erkenntnisse zum
Berufskrebs und somit auch für die
Prävention vorliegen sollten.15 So verdichten sich die Hinweise, dass berufliche Einflüsse bei Brustkrebs von großer
Bedeutung sind: Die Arbeit mit Pestiziden in der Landwirtschaft, mit Ethylenoxid beim Sterilisieren, aber auch die
Belastung durch starke elektromagnetische Felder bei Elektrikerinnen, die
Höhenstrahlung bei Flugbegleiterinnen
und die Nachtschichtarbeit in der Kranken- und Altenpflege.16 Spätestens beim
Thema Krebs zeigt sich, dass die dogmatisch strenge Unterscheidung zwischen
›arbeitsbedingt‹ und ›berufsbedingt‹
gesundheitspolitisch problematisch ist.
Ein epidemiologisch nachweisbarer
Anteil der Arbeit ist ein ›wesentlicher‹
Anteil – dennoch reicht er bei der Durchschnittsbetrachtung nicht aus, um als
›überwiegender‹ Anteil gelten zu können. Das heißt aber zugleich, dass jeder
Fall geprüft werden sollte, hinter dem
hohe Belastungen vermutet werden, ob
über die Öffnungsklausel eine Berufskrankheit anzuzeigen ist. So würde
zugleich auch die Aufmerksamkeit für
Arbeitsschutz und Prävention verstärkt.
Neben dem Carpaltunnel-Syndrom
(s. o.) entsprechen einige weitere Schädigungen des Muskel-Skelett-Apparates
schon längst den Kriterien einer Berufskrankheit. Sie müssten also in die
BK-Liste aufgenommen werden. Dazu
gehören das Hypothenar-Hammersyndrom, Schulter-Sehnenerkrankungen17
und Hüftgelenksarthrose18. Bei einer
mehr als zehnjährigen Tätigkeit mit
andauernder Lastenhandhabung und
Gewichten von über 20 Kilogramm – so
z. B. in Bau-, aber auch in Metallberufen
– ist eine berufliche Bedingtheit klar
gegeben. Sind nach menschlichem
Ermessen die BK-Kriterien – also langjährige Tätigkeit mit den genannten
extremen Belastungen – erreicht oder
gar übererfüllt, sollte die Erkrankung als
BK angezeigt werden.
Psychische Erkrankungen
als Berufskrankheit?
Sollten nicht auch schwere psychische
Erkrankungen, wenn ein Zusammenhang mit der Arbeit anzunehmen ist, als
BK anerkannt werden? Diese Frage ist
nicht leicht zu beantworten, auch deswegen, weil in der Gruppe der psychischen
Erkrankungen viele verschiedene Krankheiten zusammengefasst sind. Eine Vielzahl epidemiologischer Studien belegt
den signifikanten Beitrag schlechter
Arbeitsbedingungen als Risiko für die
Entstehung schwerer Depressionserkrankungen, wie hohe Anforderungen bei
geringem Handlungsspielraum, mangelnde soziale Unterstützung, Job-Angst,
Mobbing. Sie sind allerdings ein Faktor
unter mehreren, d. h. sie erreichen
epidemiologisch nicht eindeutig
die Schwelle der ›überwiegenden Wahrscheinlichkeit‹.
Eine internationale Arbeitsgruppe um
den Londoner Psychatrie-Epidemiologen Stephen Stansfeld hat in den letzten Jahren die für die Entstehung psychischer Erkrankungen verantwortlichen Faktoren in mehreren sehr sorgfältigen Großstudien systematisch
abgesucht.19 Es wurde sehr streng zwischen arbeitsbezogenen und privaten
Ursachen unterschieden. Die bekannten Arbeits-Stressoren erwiesen sich
erneut als starke Risikofaktoren,
zugleich aber zeigten auch private Einflüsse wie z. B. Scheidung, häusliche
Gewalt, finanzielle Krisen oder private
Pflegearbeit ein Risikopotential. Entscheidend war, dass beide Bereiche als
unabhängige Risikofaktoren bestehen
blieben, auch wenn sie gegeneinander
gerechnet wurden. Auch wenn psychische Vorerkrankungen im Kindesalter
berücksichtigt wurden, verschwanden
die arbeitsbezogenen Risiken keineswegs, aber sie lagen deutlich unter
dem relativen Risiko von 2, d. h.
der krankheitsverursachende Anteil
der Arbeitswelt lag unter 50 Prozent,
somit die Nicht-Arbeits-Faktoren über
50 Prozent.
In verschiedenen Arbeitssituationen ist
es denkbar und auch epidemiologisch
identifiziert20, dass von einer jahrelangen Extrembelastung ausgegangen
werden muss, wie z. B. die Arbeit im
Rettungsdienst, in der Intensivpflege
oder bei der Feuerwehr. Die damit verbundene Problematik muss auf mehreren Ebenen diskutiert und geklärt werden. Ein sich über Jahre erstreckender
Dauerstress, verbunden mit der Unmöglichkeit oder Unfähigkeit, längere
Phasen der Entspannung einzuschieben,
wirft seinen langen Schatten auf das
gesamte Leben. Hier liegen die Risiken
deutlich über 2, d. h. der den Arbeitsfaktoren zuzuschreibende Anteil liegt in
diesen besonderen Fällen über 50 Prozent. Das Problem wird hier freilich der
Einzelfallbeweis in ganz besonderem
Maße sein.
32
33
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
ROLF SPALEK
Meine Erfahrungen als Berater
für Berufskrankheiten-Betroffene
Seit 1975, als ich das erste Mal in den
Betriebsrat des Bremer Vulkan gewählt
wurde, habe ich Kolleginnen und Kollegen geholfen und sie beraten, wenn sie
gegenüber der Berufsgenossenschaft
eine Berufskrankheit geltend machen
wollten. Nach dem Konkurs des Bremer
Vulkan ging es weiter, zunächst in
einem Projekt der Uni Bremen, später
über die Evangelische Kirche und den
Verein Arbeit und Zukunft. Anschließend war ich fünf Jahre lang ehrenamtlicher Berater auf dem früheren Vulkangelände, das inzwischen der LürssenWerft gehört. Von Mai 2011 bis Juni 2013
habe ich dann bei der Arbeitnehmerkammer Bremen beraten, im Projekt
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹. Insgesamt
habe ich mich 37 Jahre lang mit dem
Thema Berufskrankheiten befasst.
Bei der Beratung ging es um ganz verschiedene Berufskrankheiten, angefangen mit der Lärmschwerhörigkeit, über
durch Lösemittel bedingte Krankheiten
bis zu Bandscheibenerkrankungen. Mein
Schwerpunkt lag aber stets bei den
durch Asbest bedingten Erkrankungen.
Dazu möchte ich kurz ein paar Zahlen
nennen: Bis 2011 haben insgesamt über
600 Betroffene, die beim Bremer Vulkan
tätig waren, eine Anzeige auf Verdacht
einer asbestbedingten Berufskrankheit
gestellt. Im Projekt Wissenstransfer ging
es bei mehr als 140 Beratungen um
Asbesterkrankungen. Die Spitze des Eisbergs ist noch nicht erreicht: Sie wird
von Medizinern und Wissenschaftlern
für das Jahr 2017 etwa vorhergesagt. Das
hängt damit zusammen, dass es so viele
Jahre und manchmal Jahrzehnte dauert,
bis eine Asbestberufserkrankung überhaupt erkannt wird.
Wie sieht nun eine Beratung aus?
Bei etlichen Betroffenen wurde der
Verdacht auf eine Berufskrankheit von
einem Arzt bei der BG angezeigt. Daraufhin bekamen sie einen umfangreichen
Fragebogen von der BG, den sie ausfüllen
sollten. Die meisten sind damit überfordert und kommen nicht damit zurecht.
Deshalb kamen sie in die Beratung und
ich habe sie über das BerufskrankheitenVerfahren aufgeklärt und auf die wichtigsten Details hingewiesen. Zunächst
geht es darum, alle Beschäftigungszeiten
seit der Lehrzeit bis zum Ausscheiden
aus dem Beruf bzw. bis zur Gegenwart
lückenlos aufzulisten. Außerdem
braucht es eine genaue Beschreibung
über die gefährdenden Tätigkeiten, die
sie bei der Arbeit verrrichtet haben. Warum? Weil der Betroffene beweisen muss,
dass er von der beruflichen Tätigkeit
krank geworden ist. Für die meisten ist
es nicht ohne weiteres zu bewältigen,
das ganze Arbeitsleben zu erinnern und
zu dokumentieren. Deshalb habe ich
dabei geholfen, die verschiedenen Stationen und Belastungen zu dokumentieren,
die für die Berufskrankheit eine Rolle
spielen könnten. Dann konnte der Kollege seine Unterlagen an die BG schicken.
Was bei der Beratung gefragt ist, zeigt
das folgende Beispiel.
Nachweis der beruflich
bedingten Asbestbelastung durch
die Arbeitsanamnese
Bei einem verstorbenen ehemaligen
Arbeiter des Bremer Vulkan wurde
durch eine Obduktion bestätigt,
dass eine Asbestose-Erkrankung die
Todesursache war. Die Berufsgenossenschaft (BG) hatte nur sehr oberflächlich, durch Nachfrage bei der Witwe
ermittelt, wo er gearbeitet und ob eine
Asbestexposition vorgelegen hatte.
Anhand der Arbeitsanamnesen von
ehemaligen Vulkanesen mit vergleichbaren Tätigkeiten konnte ich dabei
helfen, die berufliche Verursachung
nachzuweisen.
Der Ehefrau wurde dann tatsächlich
eine Witwenrente zuerkannt. Nach
dem Bescheid der BG hat sie abgewartet, ob die BK-Rente auf die Altersrente
angerechnet wird. Es empfiehlt sich, so
lange das Geld von der BG nicht auszugeben. In diesem Fall war es entscheidend, dass der Mann vor seinem Tode
entschieden hatte, dass er obduziert
werden möchte, und seine Witwe hat
dies auch durchführen lassen.
Oftmals lehnt die Berufsgenossenschaft
den Antrag auf Anerkennung einer
Berufskrankheit ab, weil in ihren Augen
nicht genügend Beweise erbracht sind.
Der Betroffene muss dann innerhalb
einer Frist Widerspruch einlegen. Wenn
der auch abgelehnt wird, muss er später
vielleicht sogar klagen, manchmal über
mehrere Instanzen. Das erfordert viel
Arbeit und Zeit und ist für die betroffenen, meistens schwer kranken Kollegen
sehr belastend.
In einem anderen Beratungsfall hatte
die Witwe die Obduktion des Verstorbenen abgelehnt. Da wir hier außerdem
den Asbestkontakt durch die berufliche
Tätigkeit durch die Arbeitsanamnese
nicht belegen konnten, wurde der
Antrag auf Hinterbliebenenrente aufgrund einer Berufskrankheit negativ
beschieden.
Der hohe Aufwand, bis eine Berufskrankheit anerkannt und entschädigt wird
könnte verhindert oder wenigstens verkürzt werden. Diejenigen, die für den
Arbeitsschutz zuständig sind, vor allem
Betriebsräte, Vertrauensleute, Sicherheitsbeauftragte, aber auch die Mitglieder in den Selbstverwaltungen, müssen
mehr darauf achten, dass in den Betrieben die Gefährdungsbeurteilung erstellt
und die Arbeitsbedingungen dokumentiert und festgehalten werden.
Im Falle des Vulkan-Konkurses war es
so, dass der Konkursverwalter als erstes
alle Unterlagen des Einkaufs vernichtet
hat. Damit wurden wichtige Belege für
Arbeitsstoffe und andere Bedingungen,
die in vielen Berufskrankheitenfällen
wichtig gewesen wären, unwiederbringlich vernichtet. Wenn dann im Berufskrankheitenverfahren die BG der Auffassung war, dass bestimmte Belastungen
nie vorgelegen hätten, war es für die
früheren Vulkanesen sehr schwer, das
Gegenteil zu beweisen.
Weil ich die Arbeit auf der Werft
selbst kennengelernt habe, verfüge ich
natürlich über viel Erfahrung. Glücklicherweise konnten durch das Uni-Projekt sehr viele Unterlagen über die
Arbeitsbedingungen und -stoffe, mit
denen auf dem Bremer Vulkan gearbeitet wurde, vor dem Reißwolf gerettet
werden. Dadurch konnten wir in vielen
Berufskrankheiten-Fällen Beweise für die
Asbestbelastung erbringen.
34
35
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
ANNETTE DÜRING
Prävention von Berufskrankheiten:
Ohne Aufsicht geht es nicht!
›Unternehmen werden gegründet, um
gute Geschäfte zu machen; der Rest
kommt danach. Sicherheit ist eine gute
Sache, aber natürlich kommt sie erst
nach der Rentabilität‹, so die Antwort
einer Führungskraft bei einer europaweiten Befragung zur Wahrnehmung der
Sicherheit am Arbeitsplatz und ihrer
Umsetzungsstrategie21. Dass Arbeitssicherheit dazu beiträgt, dass der Betrieb
wirtschaftlichen Erfolg hat, ist belegt
und dem Management vieler Unternehmen wohl bekannt. Allein es führt oft
nicht zum praktischen Handeln, wie die
Ergebnisse einer europaweiten Umfrage
der europäischen Arbeitsschutzagentur
zeigen22. Danach ist für neun von zehn
Arbeitgebern die ›Erfüllung gesetzlicher
Verpflichtungen‹ der wichtigste Grund
sich mit Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb zu befassen – unabhängig von Größe und Branche des
Unternehmens. Weitere Motive sind z. B.
die Forderung von Beschäftigten oder
Interessenvertretungen und auch der
Druck der Arbeitsschutzaufsicht. Das
schafft europaweit für fast 60 Prozent, in
Deutschland sogar für 80 Prozent der
befragten Unternehmen den Anlass, sich
um den Arbeitsschutz zu kümmern.
❚ Arbeitsbedingte Erkrankungen verursachen hohe Kosten: Über 33 Milliarden
Euro jährlich entstehen in Deutschland
nach Berechnungen des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen an
direkten und indirekten Kosten für
arbeitsbedingte Arbeitsunfähigkeit,
mehr als zehn Milliarden Euro für
arbeitsbedingte Frühverrentung23.
❚ Oft ist zu hören, dass die ›klassischen‹
Arbeitsbelastungen keine Rolle mehr
spielten, wie gefährliche Stoffe, körperlich schwere Arbeit, Staub, Schmutz
oder Lärm. In erster Linie seien ›neue‹
wie z. B. psychische Belastungen relevant. Doch die altbekannten Belastungen gefährden die Gesundheit vieler
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nach wie vor. Als eine Folge der Deregu-
lierung von Arbeit sind sie nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar. Sie
prägen in besonderem Maß die Arbeitsbedingungen von prekär Beschäftigten.
Leiharbeitskräfte, geringfügig, befristet
oder mit Werkvertrag Beschäftigte
werden vom Arbeitsschutz jedoch eher
vernachlässigt. Wenn die ›schmutzige‹
Arbeit gar aus unseren Breiten in
Schwellenländer verlagert wird, wie
beispielsweise das Ausschlachten von
elektronischen Geräten durch Kinderarbeit in Afrika, oder das Zerlegen von
asbestverseuchten Schiffen in Indien,
›verschwinden‹ die Gefahren aus dem
europäischen Blickfeld.
❚ Viele Folgen von ›alten‹ Belastungen
zeigen sich erst heute. So vergeht
manchmal eine lange Zeit zwischen
der Einwirkung schädigender Faktoren
und dem Auftreten von asbestbedingten Berufskrankheiten oder beruflich
verursachtem Krebs.
Bei den Berufskrankheiten handelt es
sich um eine verhältnismäßig kleine
Gruppe im gesamten Geschehen der
arbeitsbedingten Erkrankungen. Jedoch
stellen Berufserkrankungen in der Regel
schwere, chronische, häufig auch lebensbedrohlich oder tödlich verlaufende
Erkrankungen dar, beispielsweise berufsbedingter Krebs. Knapp auf den Punkt
gebracht könnte man sagen, dass immer
dann, wenn es zu einer Berufskrankheit
kommt, der Arbeitsschutz mangelhaft
ist oder versagt hat.
Damit sich dies bessert und die
Beschäftigten bei der Arbeit gesund bleiben, hat es für den Bremer DGB inzwischen Tradition, das Thema Arbeitsschutz auf den Tisch zu bringen: In den
Jahren 1994 und 1995 wurden eine Reihe von Veranstaltungen zum Recht der
Berufskrankheiten, in Kooperation mit
dem Bremer Landesgewerbearzt und der
damaligen Angestelltenkammer die Veranstaltungsreihe zum Recht der Berufskrankheiten durchgeführt (Übersicht 1).
Seit 1997 lädt der DGB Bremen-ElbeWeser mindestens einmal jährlich zur
Arbeitsschutzkonferenz ein, um gesundheitsbezogene Gestaltungsmöglichkeiten
der Akteure, insbesondere der Betriebsund Personalräte vorzustellen und zu
diskutieren. Die Veranstaltungen haben
unterschiedliche Schwerpunkte; so
behandelte die 19. Konferenz wiederum
das Thema Berufskrankheiten.
Übersicht 1:
Veranstaltungsreihe zum Recht
der Berufskrankheiten, 1994 / 95
Eine Kooperation von DGB Bremen, Landesgewerbearzt Bremen und Angestelltenkammer Bremen
27.04.1994 Grundlagen des
Berufskrankheitenverfahrens
06.07.1994 Lärmschwerhörigkeit
28.09.1994 Asbestose
30.11.1994 Durch Asbest verursachte
Krebsleiden
22.02.1995 Obstruktive Atemwegserkrankungen
03.05.1995 Wirbelsäulenschäden
Eigentlich ist alles klar: Der Arbeitgeber
ist dafür verantwortlich die Gesundheit
und Sicherheit der Beschäftigten bei der
Arbeit in seinem Betrieb zu verbessern.
Dazu muss er laut Arbeitsschutzgesetz
bei der Organisation der Abläufe in seinem Betrieb stets berücksichtigen, ob
Arbeitsschutzmaßnahmen erforderlich
sind. Die Grundlage dafür liefert die
Gefährdungsbeurteilung. Damit kann
der Arbeitgeber für seinen Betrieb konkret ermitteln, was er tun muss. Arbeitsschutz, das ist heutzutage kein starres
Vorschriftenwerk mehr. Das Arbeitsschutzgesetz gibt vielmehr einen Rahmen vor, der in den einzelnen Betrieben
mit Leben gefüllt werden muss. Welche
Maßnahmen dann ergriffen werden,
richtet sich ebenfalls nach der betrieblichen Situation. Der Betriebs- oder Personalrat verfügt beim Arbeitsschutz über
umfangreiche Rechte für eigene Initiativen, Mitbestimmung und Mitgestaltung.
Hinweise und Vorgaben zur Verhütung
von Berufskrankheiten ergeben sich
aus den Vorschriften der Unfallversicherungsträger.
Es muss stets darum gehen, Gefährdungen zunächst an der Quelle zu
bekämpfen: Durch technische Maßnahmen. Wo dies nicht möglich ist oder
nicht ausreicht, kommen auch arbeitsor-
ganisatorische Maßnahmen in Betracht,
wie Pausenregelungen oder Qualifizierung und erst als letzte Möglichkeit der
personenbezogene Schutz. Die Arbeitsschutzmaßnahmen müssen dokumentiert und auf Wirksamkeit überprüft
werden. Anhand der Dokumentation
könnten im Falle einer Berufserkrankung die maßgeblichen gesundheitlichen Risiken nachgewiesen werden.
Diese auf den jeweiligen Betrieb maßzuschneidernde Vorgehensweise bietet
politisch und von der Wirtschaft gewollte Freiheiten. Das macht die Aufgabe
allerdings nicht leichter, wenn sie ernst
genommen wird – für den Arbeitgeber
und die Führungskräfte nicht, aber auch
nicht für die betriebliche Interessenvertretung.
Beim Aufspüren und Bewerten von
Gefährdungen brauchen beide Betriebsparteien fachkundige Unterstützung
und Beratung. Betriebsintern sind dafür
zunächst die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt oder die
Betriebsärztin da. Ihre Aufgabe ist es,
den Arbeitgeber zu beraten und dabei
auch mit der betrieblichen Interessenvertretung zusammenzuarbeiten. Auch
überbetriebliche Organisationen wie die
Gewerbeaufsicht und die zuständige
Berufsgenossenschaft bieten Beratung
an. Sie haben aber zunächst hoheitliche
Kontrollaufgaben. Sie müssen vor Ort
überprüfen, ob der Arbeitsschutz richtig
organisiert ist, ob Vorschriften eingehalten werden und ob die betrieblichen
Maßnahmen zielführend und ausreichend sind. Und da haben sie nach Lage
der Dinge noch eine Menge zu tun.
In den letzten Jahren wurden die personellen Kapazitäten der staatlichen und
berufsgenossenschaftlichen Aufsichtsinstitutionen mit dem Argument der Entbürokratisierung jedoch drastisch reduziert. In einigen Bundesländern wurde
die staatliche Gewerbeaufsicht zerschlagen, in andere Behörden eingegliedert
oder anderen unterstellt. Der Personalstand alleine gibt aber kein realistisches
Bild, denn zugleich mussten die Aufsichtsbehörden neue, den Arbeitsschutz
ergänzende oder nicht zum Arbeitsschutz gehörende Aufgaben übernehmen.
Mit Beratung alleine ist es aber nicht
getan: Obwohl das Arbeitsschutzgesetz
seit 1996 besteht, wurde bisher nur in
36
37
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
etwa der Hälfte der Betriebe in Deutschland überhaupt eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Das ergab eine
Auswertung von Studien zum Thema.24
Am besten schneiden die Großbetriebe
ab: Je kleiner das Unternehmen, desto
geringer die Chance, dass die Frage nach
der Gefährdungsbeurteilung mit Ja
beantwortet wurde. Eine repräsentative
Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Jahr 2011
bei Arbeitgebern und Führungskräften
in eintausend kleinen und kleinsten
Unternehmen ergab, dass in nur 38 Prozent der befragten Betriebe Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt wurden.25
Bedenkt man, dass die Mehrzahl der
Beschäftigten in kleinen und mittleren
Unternehmen tätig ist – auch im Land
Bremen –, verschiebt sich das Ungleichgewicht weiter (vgl. Tabelle 1):
Die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer ist demnach von
mangelhaftem Gesundheitsschutz bei
der Arbeit betroffen.
Tab. 1: Betriebe und Beschäftigte
nach Betriebsgröße im Land Bremen
Betriebsgröße /
Zahl der Beschäftigten
über 500
Zahl der
Betriebe
Zahl der
Beschäftigten
52
68.568
250 bis 499
115
39.876
100 bis 249
348
52.071
50 bis 99
523
36.837
20 bis 49
1.284
39.192
10 bis 19
1 bis 9
1.763
23.969
12.003
36.066
Quelle: Jahresbericht der Gewerbeaufsicht des Landes Bremen 2012, S. 78
Es bestehen außerdem offenbar Diskrepanzen zwischen den Angaben von
Arbeitgebern und Führungskräften
und dem, was bei den Beschäftigten
ankommt. So zeigte sich bei der Befragung im Rahmen des DGB-Index Gute
Arbeit 2008, dass fast ein Drittel der
befragten Beschäftigen nicht wusste, ob
eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde, 40 Prozent verneinten und
nur 30 Prozent gaben an, dass ein oder
mehrmals eine Gefährdungsanalyse
bei der Arbeit stattgefunden hatte.26
Die ohnehin nicht sehr große Zahl
durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen sagt noch nichts über deren Qualität
aus. Gründe, warum keine Gefährdungsbeurteilung im Betrieb stattgefunden
hat, sind nach Auffassung von Betriebsräten, dass niemand weiß, wie eine
Gefährdungsbeurteilung zu machen ist,
dass das Thema Gesundheit hinter anderen Erfordernissen im Betrieb zurücksteht und dass die Verantwortlichkeiten
beim Arbeitgeber häufig nicht klar sind.
Gründe gibt es also genug, den
Arbeitsschutz zu verbessern. Das beginnt
damit, wie der Arbeitsschutz im Betrieb
organisiert ist: Wie ist geregelt, dass die
betrieblichen Pflichten im Arbeitsschutz
wahrgenommen werden, wer hat welche
Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, sind die Gefährdungen und die
Schutzmaßnahmen dokumentiert? Deshalb ist die ›Verbesserung der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes‹
auch eines der drei Ziele der Deutschen
Arbeitsschutzstrategie in den Jahren
2013 bis 2018. Die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung und die staatliche Gewerbeaufsicht arbeiten dabei
zusammen. Auf Basis der sogenannten
Systemkontrolle ermitteln sie gemeinsam mit den Betrieben, welche Elemente
der Arbeitsschutzorganisation im
Betrieb schon vorhanden sind und wo
noch nachzuarbeiten ist.
Und es gibt noch eine Menge nachzuarbeiten, wie die Statistik der Bremer
Gewerbeaufsicht zeigt. Bei der Systemkontrolle wird die betriebliche Arbeitsschutzorganisation bewertet. Es
geht darum, die Kapazitäten der Aufsicht bedarfsorientiert einzusetzen,
indem diejenigen Betriebe ermittelt werden, deren Arbeitsschutzstrukturen
nicht oder nur eingeschränkt wirksam
sind. Dabei wurden in den Jahren 2009
bis 2011 zahlreiche Mängel festgestellt,
wie die Antwort des Senats auf eine
Kleine Anfrage zur Entwicklung
des Arbeitsschutzes im Lande Bremen
Ende 2012 ergab:
❚ ›Fehlende Aufgabenübertragung
und deren Überwachung
Führungskräfte und Funktionsträger
nehmen Aufgaben im Bereich des
Arbeitsschutzes wahr. Der Verantwortungsbereich mit zugehörigen erforderlichen Kompetenzen wird nicht festgelegt und schriftlich fixiert.
❚ Erfüllung der Organisationspflichten
aus dem Arbeitssicherheitsgesetz
Fachkräfte für Arbeitssicherheit und
Betriebsärzte werden nicht bestellt
oder die organisatorische Einbindung
erfolgt nicht angemessen.
❚ Organisation der Durchführung
der Gefährdungsbeurteilung
Es werden keine oder vereinzelte
Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt. Die systematische Vorgehensweise fehlt. Unzureichende Integration
der Gefährdungsbeurteilung in den
Betriebsalltag insbesondere das Fehlen
der Wirksamkeitskontrolle der Arbeitsschutzmaßnahmen.
❚ Fehlende Durchführung und
Dokumentation der Unterweisungen
Arbeitsplatz- und aufgabenbezogene
Unterweisungen werden nicht durchgeführt oder nur sporadisch. Gründe für
notwendige Unterweisungen (Unfall,
neue Maschinen) werden nicht festgelegt und erfolgen nur zufällig.‹27
Insgesamt stellen sich die Ergebnisse
der Systemkontrolle in den Jahren 2009
bis 2011 wie in Tabelle 2 abgebildet dar.
Nur bei knapp der Hälfte der überprüften Betriebe lag die Gefährdungsbeurteilung vollständig vor. Begonnen
worden war sie in einem Viertel der
Unternehmen, die restlichen 26 Prozent
hatten noch nicht begonnen, die Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Am
besten schnitten Großbetriebe ab:
In allen Betrieben mit mehr als 500
Beschäftigten lag eine vollständige
Gefährdungsbeurteilung vor, in Unternehmen mit 20 bis 499 Beschäftigten
waren es immerhin noch 65 Prozent.
Doch jedes fünfte Unternehmen hatte
noch nicht mit der Gefährdungsbeurteilung begonnen. Die kleinen und Kleinstunternehmen – das sind laut Jahresbericht 2010 der Gewerbeaufsicht 13.199
von insgesamt 15.375 Betriebsstätten mit
insgesamt mehr als 56.000 Beschäftigten
im Land Bremen28 – haben den größten
Nachholbedarf: 38 Prozent der Betriebe
mit weniger als 20 Beschäftigten hatten
eine Gefährdungsbeurteilung, doch
fast die Hälfte hatte noch nicht einmal
damit begonnen.
Die Bewertungen ›geeignete Arbeitsschutzorganisation‹, ›teilweise geeignete
Arbeitsschutzorganisation‹ bzw. ›ungeeignete Arbeitsschutzorganisation‹ trafen im Jahr 2012 jeweils auf ein Drittel
der Betriebe zu, die von der Bremer
Gewerbeaufsicht überprüft worden
waren29.
Tab. 2:
Ergebnis der Systemkontrolle
Bewertung der Arbeitsschutzorganisation (2009 bis 2011) in Prozent
Kategorie
Land Bremen
Bremen
Bremerhaven
I
sehr gute Arbeitsschutzorganisation
4
4
3
II
gute Arbeitsschutzorganisation
34
29
40
III
befriedigende Arbeitsschutzorganisation
25
24
29
IV
gesetzliche Vorgaben
nicht erfüllt
23
27
17
V
gesetzliche Vorgaben
nicht erfüllt
14
16
11
Quelle: Bremische Bürgerschaft, Drucksache 18/614
Beratung spielt bei der Etablierung einer
tragfähigen betrieblichen Arbeitsschutzorganisation eine wesentliche Rolle,
aber die Behörden können auch Mängel
rügen, Maßnahmen anordnen oder gar
Bußgelder verhängen, denn in vielen
Fällen geht es nicht ohne Druck. Jedoch
wurden in den letzten Jahren die entsprechenden Anstrengungen der Behörden nicht verstärkt, sondern flächendeckend die Kapazitäten und auch die
Kontrolltätigkeit zurückgefahren, wie
die Antwort auf eine kleine Anfrage der
Grünen an den Deutschen Bundestag im
Sommer 2012 belegt30. Danach ging,
bezogen auf Betriebe aller Größenklassen, bundesweit die Zahl der stattgefundenen Betriebsbesuche der staatlichen
Gewerbeaufsicht von fast 400.000 im
Jahr 2005 bis auf gerade einmal 300.000
im Jahr 2010 zurück. Derselbe Trend
zeigt sich bei den Berufsgenossenschaften, deren Besichtigungen im gleichen
Zeitraum von fast 650.000 auf knapp
500.000 reduziert wurden.
Weniger Besichtigungen, aber mehr
Grund zu Beanstandungen: Auch die
Anordnungen, Verwarnungen, Bußgeldbescheide und Strafanzeigen in den
Jahren 2005 bis 2010 wurden für die
genannte Bundestagsanfrage ausgewertet – das Ergebnis gibt zu denken: Es
zeigt einerseits, dass bei einer zielgerichteten Kontrolle möglicherweise eher die
›schwarzen Schafe‹ in den Blick geraten
als diejenigen, die ihre Hausaufgaben
gut oder einigermaßen gut erledigen.
Das ist erfreulich, es zeigt andererseits
jedoch auch, dass es im Arbeitsschutz
noch viel zu verbessern gibt.
38
39
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Handlungsbedarf besteht
auf verschiedenen Ebenen
Die Betriebe
Zuallererst hier müssen die Kontrollpflichten wahrgenommen werden –
angesichts von Deregulierung und Entbürokratisierung nimmt die Verantwortung der betrieblichen Parteien zu. Der
Arbeitgeber hat angesichts seiner Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit
der Beschäftigten die Pflicht zur Selbstkontrolle – diese muss er auch wahrnehmen. Dazu könnte er die Checkliste der
Systemkontrolle der Gewerbeaufsicht31
nutzen, die eine gute Struktur vorgibt
um zu erkennen, was betrieblich organisiert werden muss.
Betriebs- und Personalräte haben laut
Betriebsverfassungsgesetz (§ 80 Abs. 1
Nr. 1 BetrVG) die Durchführung der
rechtlichen Vorschriften, die für den
Betrieb gelten zu überwachen. § 87 Abs.
1 Nr. 7 BetrVG eröffnet viele Möglichkeiten, beim Arbeitsschutz mitzubestimmen. Die aktive Mitarbeit im Arbeitsschutzausschuss ist Basis, aber es stehen
weit mehr Instrumente zur Verfügung,
um Aktivitäten zum Schutz der Gesundheit anzustoßen, für Qualität zu sorgen
und die Maßnahmen kritisch zu begleiten. Dazu zählen Betriebsvereinbarungen, gesteuerte Vorgehensweisen, die
Mitbestimmung bei der Bestellung von
Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft
oder auch die Entwicklung und Umsetzung von beteiligungsorientierten Verfahren der Gefährdungsbeurteilung.
Kontrolle sollte aber auch betriebsintern veranlasst werden, in dem z. B. die
Überprüfung, ob Arbeits- und Gesundheitsschutz in den einzelnen Betriebsteilen gelebt, zum Gegenstand von Jahresgesprächen und Zielvereinbarungen für
Führungskräfte gemacht und als Kriterium für ihren Erfolg herangezogen wird.
Die Aufsichtsinstitutionen
Bei der betrieblichen Systemkontrolle
sollte im Hinblick auf Berufskrankheiten
einbezogen werden, ob der Aufsicht
führenden Behörde Erkenntnisse über
Berufskrankheiten in der jeweiligen
Branche oder dem Betrieb vorliegen.
Wenn dies der Fall ist, sollten die betroffenen Betriebe auf alle Fälle auf die
Liste der zu besuchenden Unternehmen
gesetzt werden, denn hier zeigt sich
besonderer Handlungsbedarf. Unfälle
und Berufserkrankungen von Leiharbeitnehmern, die beim Verleiher und nicht
beim entleihenden Betrieb aktenkundig
werden, sowie Ereignisse, die anderweitig prekär Beschäftigte betreffen,
müssen dabei ebenfalls erfasst werden.
Auch die Politik muss nachlegen
Damit die Arbeitsschutzaufsicht ihrer
Aufgabe gerecht werden kann, sind ausreichende personelle und materielle
Kapazitäten erforderlich. Die Zahl der
Aufsichtspersonen darf nicht weiter heruntergefahren werden – es wird vielmehr angesichts zunehmender prekärer
und ungeregelter Arbeitsverhältnisse
und eines erheblichen Nachholbedarfs
der Unternehmen im Arbeitsschutz
mehr qualifiziertes Personal benötigt.
Das Beispiel Asbest
WOLFGANG HIEN I
BARBARA REUHL
Asbest
Das Wort ›Asbest‹ stammt aus dem
Altgriechischen und bedeutet ›unvergänglich‹. Asbest ist ein faserförmiges, natürlich vorkommendes SilikatMineral. Es wird vor allem in Kanada,
aber auch in Russland und China
Im Land Bremen wurde Asbest vor allem
im Schiffbau verwendet, und auch im
Hafen kamen viele Beschäftigte damit in
Kontakt: Der Bremer Überseehafen war
jahrzehntelang bis zu seiner Schließung
1991 Hauptumschlagsplatz für Rohasbest-Lieferungen an die deutsche Industrie. So zählte die AOK Bremen/Bremerhaven insgesamt 202 Schiffe mit Asbestladung, die in von 1950 bis 1964 im Bremer Überseehafen abgefertigt wurden32.
Der Asbest wurde in Jutesäcken geliefert.
Die Säcke waren oftmals beschädigt.
›Die Stauer standen dann im dicksten
Nebel und wateten tief im Asbeststaub‹,
so ein ehemaliger Hafenarbeiter.33
Umgang mit Asbest hatten auch
Beschäftigte in anderen Branchen, so
im Handwerk: Fußbodenbeläge, Bremsund Kupplungsbeläge, Bauprodukte
zur Abdichtung, zum Spachteln und
als Feuerschutz, Textilien und Schutzkleidung sowie Pappen, Papiere, Straßenbeläge und Filter enthielten in vielen
Fällen Asbest.
Die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Asbest waren bereits in den
1920er und 1930er Jahren bekannt, aber
erst seit 1942 wurde er als krebserzeugender Stoff in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen. Doch in den Wirtschaftswunderjahren interessierte das
niemanden. Man arbeitete mit Asbest,
als sei es das Harmloseste auf der Welt.
abgebaut. Asbest ist, wie der Name
sagt, höchst beständig, unbrennbar
und kann auf verschiedenste Weise
verarbeitet werden. Es gibt verschiedene Asbestarten; hauptsächlich wird
Weißasbest (Chrysotil) verarbeitet.
Seit den 1960er Jahren sind die zerstörerischen Folgen dieser unverantwortlichen massenhaften Anwendung einer
industriellen Technik auch durch große
wissenschaftliche Studien gesichert.34
Es wurde nachgewiesen, dass das Krankheitsrisiko bei Arbeiten mit Asbest deutlich, oftmals um ein Vielfaches höher
liegt als das Krankheitsgeschehen in der
Normalbevölkerung. Was schädigt, ist
nicht der gebundene Asbest, sondern die
Fasern bzw. die Faserstäube, die beim
Verarbeiten frei werden. Die Asbestfasern
setzen ihre Schädigung im Lungengewebe fort. Es können Jahre, oftmals
Jahrzehnte vergehen, bis die Schäden
sichtbar und als Krankheit wahrgenommen werden – deshalb haben es die
Betroffenen meistens schwer, den Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu beweisen.
Das Fatale: Der Krankheitsprozess ist
nicht wirklich aufhaltbar, es gibt keine
ursächlichen Therapien. Wird man der
Asbestose gewahr, hat sich in der Lunge
oder am Lungenfell schon sehr viel Negatives entwickelt. Erst kommt die Luftnot,
dann zeigt sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nach vielen Jahren eine
asbestbedingte Krebserkrankung. Nicht
in jedem Fall aber geht einem AsbestLungenkrebs eine Asbestose voraus,
dann kommt der Krebs ›wie aus heiterem Himmel‹. Derzeit sind es weltweit
40
41
BERUFSKR ANKHEITEN
über 100.000 Tote jährlich, die aufgrund
einer Asbestkrankheit sterben.
Erst Anfang der 1990er Jahre kamen
die längst überfälligen gesetzlichen
Asbestverbote. Aufgrund der langen Latenzzeiten bis zum Ausbruch der Krankheiten sind die Zahlen jedoch immer
noch steigend. Was besonders traurig ist:
Kanada, Russland, China und einige weitere Länder stellen ihre ökonomischen
Interessen – genauso wie es auch die
hiesige Asbestindustrie jahrzehntelang
getan hat – weiterhin über die der
Gesundheit.
Da mit Asbest in erster Linie in typischen ›Männerbranchen‹ umgegangen
wurde, sind in der Mehrzahl Männer von
den Erkrankungen betroffen. Aber auch
Ehefrauen und Kinder konnten durch
Asbest belastet sein, wenn beispielsweise
die Arbeitskleidung – was noch in den
sechziger Jahren üblich war – zu Hause
gewaschen wurde. Betroffen können
Frauen und Kinder aber auch als
Angehörige oder Hinterbliebene sein.
PR AXIS
Es können außerdem Frauen, die im
Zusammenhang mit dem Hafenumschlag mit Hilfs- oder Zulieferarbeiten
beschäftigt waren, mit Asbest in Kontakt
gekommen sein, beispielsweise bei der
Weiterverarbeitung von Säcken, mit
denen loses Asbest befördert worden
war. Neue Erkenntnisse geben zudem
Anlass zur Annahme, dass Asbest auch
Ursache für eine Krebserkrankung der
Eierstöcke sein kann.
Bis zu 30 Jahre oder länger können
zwischen Asbestkontakt und dem Ausbruch der Krankheit vergehen. Mehrere
Berufskrankheiten (BK) werden durch
Asbest verursacht:
❚ BK 4103 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch
Asbeststaub verursachte Erkrankung
der Pleura
❚ BK 4104 Lungen- oder Kehlkopfkrebs,
in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose), in Verbindung
mit durch Asbeststaub verursachter
Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen
Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz
von mindestens 25 Faserjahren
❚ BK 4105 Durch Asbest verursachtes
Mesotheliom des Rippenfells, des
Bauchfells oder des Perikards
Ein Blick auf die Statistik
Asbest hat traurige Berühmtheit erlangt,
denn die Asbest-Erkrankungen nehmen
mit 3.638 anerkannten Fällen in der
Rangfolge des aktuellen BK-Geschehens –
nach den Lärmerkrankungen – den
zweiten Platz ein. Bei etwa jeder fünften
anerkannten Berufskrankheit handelt es
sich um eine asbestbedingte Erkrankung. Bei etwa 40 Prozent der angezeigten Asbesterkrankungen wird die BK
anerkannt. Dies hängt auch damit zusammen, dass Asbestschäden in der
Regel sehr spezifisch sind: Durch eine
gute Diagnostik sind sie mehr oder weniger gut von anderen Erkrankungen
bzw. anderen Verursachungen zu unterscheiden. Dennoch ist für ein erfolgreiches BK-Verfahren die genaue Arbeitsgeschichte – die Arbeitsanamnese –
unersetzlich.
42
43
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Mehr als jede dritte BerufskrankheitenAnzeige und gut zwei Drittel aller anerkannten Fälle im Land Bremen entfallen
auf asbestbedingte Erkrankungen,
wie Tabelle 1 zeigt. In Bremen liegen
aufgrund der früheren hohen Zahl an
Werften die Raten der Asbest-Neuerkrankungen bzw. -Todesfälle deutlich
höher als im Bundesdurchschnitt.
Die Asbest-Tragödie – Historisches
1968 warnte die bremische Gewerbeaufsicht in einem ausführlichen Schreiben
die Betriebsleitungen der Werftindustrie
vor den Asbestgefahren. Die Betriebsleitungen ignorierten dies und gingen
gegen Verfügungen der Gewerbeaufsicht
mit juristischen Mitteln vor. Auch in den
Belegschaften war es nicht einfach, mit
diesem Thema ›anzukommen‹. Erst als
eine Gruppe mutiger Vulkan-Betriebsräte, die Gruppe ›Echolot‹, 1974 damit
begann, systematisch und fortlaufend
über die Gefahren des Asbests und anderer Gefahrstoffe aufzuklären, änderte
sich etwas. In der europäischen Gesamtschau kann heute gesagt werden, dass
ohne die Arbeit der Echolot-Gruppe das
Asbestverbot wahrscheinlich noch länger hätte auf sich warten lassen. Daran,
dass jetzt immer mehr Asbestkrankheiten auftraten, war jedoch nichts mehr
zu ändern. Rolf Spalek, Mitglied der
Echolot-Gruppe, hat seit 1974 Berufserkrankte beraten, die überwiegende
Mehrheit davon ehemalige VulkanArbeiter, viele von ihnen inzwischen
verstorben.
Für die Betroffenen ist es in vielen Fällen
schwer, den beruflichen Zusammenhang
nachzuweisen, denn sie verfügen meist
nicht selbst über die entsprechenden
Belege. Als Beispiel: Arbeiter, die 1978
über mehrere Monate hinweg Reparaturarbeiten auf dem Schiff ›Kungsholm‹
ausführten, waren extrem asbestbelastet.
Das damalige Staubforschungsinstitut
der Berufsgenossenschaften versuchte,
die Faserkonzentration in der Atemluft
am Arbeitsplatz zu messen. Die Konzentration war so hoch, dass die Messköpfe
verstopften, sie lagen aber sicher über
90 Fasern pro Kubikzentimeter. Am
schlimmsten betroffen waren die sogenannten Bystander, d. h. Arbeiter, die in
der Nähe eines Tischlers standen, der
mit der Flex-Säge Asbestplatten bearbeitete. Viele Asbestose- und Krebs-Erkrankte bekamen jedoch die Auskunft, dass
keine Messwerte vorlägen. Erst mittels
Zeugenaussagen ehemaliger Kollegen
oder durch den Vergleich mit bereits
abgeschlossenen anerkannten Fällen
konnte in diesen Fällen den Betroffenen
geholfen werden.
Noch schwieriger ist die Situation
ehemaliger Hafenarbeiter, die in verschiedenen Betrieben und an wechselnden Stellen im Hafen tätig waren. Über
die 1960er und 1970er Jahre, in denen
sehr große Mengen an Rohasbest umgeschlagen wurden, gab es nach der
Hafenschließung so gut wie keine Unterlagen mehr.
Genauer: Über diejenigen Betriebe,
die schon meist in den 1980ern ihre
Existenz aufgaben, erloschen auch die
Unterlagen bei der zuständigen Berufsgenossenschaft.
Tab. 1:
Asbestbedingte Berufskrankheiten 2012 Bund – Land Bremen zum Vergleich35
Bund
Angezeigte BK Anerkannte BK
Bremen
Todesfälle
Angezeigte BK Anerkannte BK
Todesfälle
BK 4103
3.470
1.846
113
217
152
8
BK 4104
3.996
810
585
82
52
36
BK 4105
1.362
982
832
63
52
46
BK 4103, 4104, 4105 gesamt
8.828
3.638
1.530
362
256
90
Alle BK-Ziffern
70.566
15.291
2.454
1118
373
99
Anteil BK 4103, 4104, 4105
an allen BKen
12,5
Prozent
23,8
Prozent
62,3
Prozent
32,4
Prozent
68,6
Prozent
90,9
Prozent
Im Fall einer über 70-jährigen
Bremerhavenerin ging es um eine
Hinterbliebenenrente, wie
der Projektmitarbeiter berichtet:
›Der im Jahr 2010 verstorbene Ehemann
hatte bei seiner Tätigkeit im Hafen in
Bremerhaven Asbestkontakt. Die Berufsgenossenschaft (BG) wollte einen
Anspruch auf Witwenrente nicht anerkennen, weil das ärztliche Gutachten
nicht vorlag. Die Betroffene war damit
überfordert, nach den fehlenden Unterlagen zu forschen.
Es war ein sehr langwieriger und arbeitsintensiver Vorgang, bis die Todesursache des Ehemannes als berufsbedingte
Asbesterkrankung anerkannt wurde.
Durch viele telefonische und schriftliche
Kontakte mit der Hausärztin, die den
Verstorbenen begleitet hatte, mit dem
Bremerhavener Krankenhaus, in dem er
verstorben war und mit der zuständigen
BG wurde die Sachlage klarer. Zunächst
habe ich im Namen der Witwe eine
schriftliche Beschwerde an die BG
geschickt. Die Hausärztin bestätigte,
dass die Todesursache nach ihrer
Erkenntnis eine Asbesterkrankung war.
Nach längerer Zeit und häufigem Nachhaken teilte die BG schließlich mit, dass
eine Anerkennung als Berufskrankheit
(BK) nicht möglich sei, weil keine Lungenfunktionsprüfung von dem Verstorbenen durchgeführt worden wäre. Ohne
diese würde der Vorgang nicht bearbeitet bzw. eine Anerkennung der Witwenrente abgelehnt. Doch ist es kaum vorstellbar, dass jemandem, der schwerstkrank ist und im Sterben liegt, eine so
belastende Untersuchung wie eine
Lungenfunktionsprüfung zugemutet
werden soll. Mit dieser Argumentation
habe ich wiederum bei der BG interveniert, denn die berufliche Belastung
durch Asbest war ja dokumentiert. Die
BG hat schließlich nochmals ihren beratenden Arzt konsultiert. Schließlich –
zwei Jahre nach dem Tod des Ehemannes – wurde die BK Asbestose als Todesursache anerkannt und die Witwe
erhielt einen Bescheid über eine Witwenrente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung von 300 Euro monatlich.
Da ihre Altersrente lediglich 600 Euro
beträgt, steht sie durch die Anerkennung der Berufskrankheit finanziell
deutlich besser da.‹
Die AOK Bremen und Bremerhaven, bei
der zahlreiche durch Asbesterkrankungen Betroffene krankenversichert sind,
entwickelte in einem bundesweit einmaligen Verfahren eine Hafenkarte, in
der Orte ausgewiesen sind, an denen
mit Asbest gearbeitet wurde.36 Dies hat
wesentlich dazu beigetragen, dass im
Land Bremen ehemalige Hafenarbeiter
und deren Witwen oder Kinder eine
deutlich bessere Chance auf Anerkennung und Entschädigung einer berufsbedingten Asbesterkrankung haben.
Die Asbest-Tragödie – Aktuelles
Das Mesotheliom (BK 4105) ist eine hochspezifische Erkrankung – als Ursache
kommt nur Asbest in Frage. Anders liegt
der Fall bei Lungenkrebs. Diese Erkrankung ist sehr unspezifisch, d. h. sie kann
sowohl durch Tabakrauch, durch verschiedene Umwelteinflüsse und schließlich durch verschiedene Einflüsse am
Arbeitsplatz verursacht werden. Auch
gibt es hier hochkomplexe Kombinationswirkungen, die zum Teil noch nicht
oder nicht gut erforscht sind. Deshalb ist
beim Lungenkrebs, wenn er als asbestbedingt anerkannt werden soll (BK 4104),
die Arbeitsanamnese entscheidend für
die Anerkennung des Zusammenhangs
zwischen beruflicher Tätigkeit und
Asbestbelastung.
Zur Beurteilung dieses als ›Kausalität‹
bezeichneten Zusammenhangs wurde die
Hilfsgröße der ›Faserjahre‹ entwickelt37.
Betroffene können häufig nur unter
erschwerten Bedingungen nachweisen,
dass ihre Lungenkrebserkrankung beruflich bedingt ist. Die Erkenntnisse aus der
amtlichen Ermittlung durch die zuständige Berufsgenossenschaft sind nicht
immer zufriedenstellend, sodass das für
die Anerkennung einer BK vorausgesetzte Ausmaß der stattgehabten Exposition
nicht belegt wird.
44
45
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Das Faserjahre-Konzept
Wenn jemand am Arbeitsplatz ein
Jahr lang eine Konzentration von
einer Faser pro Kubikzentimeter eingeatmet hat, bemisst sich seine
über die Zeit angehäufte Exposition
auf ›1 Faserjahr‹. Hat er die gleiche
Konzentration 10 Jahre lang eingeatmet, so hat er 10 Faserjahre erreicht.
Hat er bei einer Atemluftkonzentration von 10 Fasern pro Kubikzentimeter
10 Jahre lang gearbeitet, so hat er die
enorme Menge von 100 Faserjahren
erreicht.
An einem Fall aus der Beratung im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer zur
präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ lässt sich zeigen, welche Schwierigkeiten sich die Betroffenen auf dem
Weg zur Anerkennung ausgesetzt sehen:
Ein Arbeiter war bei einer Firma beschäftigt, die Sanierungs- und Entsorgungsarbeiten vorwiegend im Bereich Schiffsreparaturen mit hohen Asbestbelastungen durchführte, d.h. im sogenannten
Schwarzbereich. Gearbeitet wurde
unter Atemschutz mit Vollmaske der
Partikelstufe 3. Der betreffende Arbeiter, aktuell an Lungenkrebs erkrankt,
war insgesamt 4,4 Jahre an den hochbelasteten Arbeitsplätzen beschäftigt.
Er wurde nicht oder nur ungenügend
eingewiesen, wie der Atemschutz
korrekt zu tragen war.
Die zuständige Berufsgenossenschaft
lehnte das Vorliegen einer BK ab
mit dem Argument, der Versicherte
habe mit Vollschutz gearbeitet und
könne allenfalls gegenüber einer Faser
pro Kubikzentimeter exponiert gewesen sein. Es ergäben sich demnach
lediglich 4,4 Faserjahre – also weit
unterhalb der Anerkennungsschwelle.
Die Größe der Faserjahre wird also im
Prinzip durch die Multiplikation der
Konzentration mit den Arbeitsjahren
ermittelt. Der toxikologische und epidemiologische Erkenntnisstand führte zu einer Abschätzung der für die
Anerkennung notwendigen Exposition. Diese Schwelle beträgt 25 Faserjahre. Nur wer die 25 Faserjahre
erreicht oder übersteigt, hat eine
Chance auf Anerkennung.
Dabei wurde Bezug genommen auf den
Report ›Faserjahre‹, der beim trockenen
Entfernen von Spritzasbest eine Konzentration von 300 Fasern pro Kubikzentimeter annimmt.38 Zugleich wurde unterstellt, dass der Atemschutz zu beinahe
einhundert Prozent funktioniert habe,
sodass die Konzentration – einer entsprechenden BG-Regel39 zufolge – mit
einem Faktor von bis zu 400 rechnerisch abgesenkt wurde.
Interessant ist nun aber, dass der Faserjahre-Report von einer wesentlich
ungünstigeren Annahme ausgeht: Demzufolge beträgt bei geeignetem Atemschutz die Konzentration hinter dem
Atemschutz immer noch zehn Prozent.
Dann betrüge im dargestellten Fall die
kumulative Exposition immer noch
mehr als 120 Faserjahre. Nehmen wir
an, dass teilweise feucht gearbeitet
wurde, würde sich die Expositionsgröße
vermindern, jedoch nicht so stark, dass
sie unter die Schwelle von 25 fiele. Die
Ermittlung durch den technischen Aufsichtsbeamten belegt in diesem Fall
durchaus nicht, dass durchgängig Atemschutz getragen und auch nicht, dass
fachgerecht geschult und gewartet wurde. Im Bericht heißt es lediglich, dass
der Versicherte bei einem ›renommierten Entsorgungsunternehmen‹ angestellt gewesen und daher von korrekten
Arbeitsverhältnissen auszugehen sei.
Wenn die berufliche Verursachung von
Erkrankungen nicht belegt wird, steigt
die Dunkelziffer und es schwinden
auch die Chancen für eine wirksame
Prävention, wie im Beitrag von Henning
Wriedt in diesem Buch dargestellt.
Auch konträre wissenschaftliche Positionen können dazu führen, dass nicht
anerkannt oder der Nachweis erschwert
wird, dass eine konkrete Asbesterkrankung durch eine konkrete berufliche
Belastung verursacht wurde: Weißasbest
(Chrysotil) – hat eine geringere Biobeständigkeit als Braun- und Blauasbest
(Amphibol). Es löst sich im Verlauf der
Jahre im Lungengewebe langsam auf,
sodass nach Jahrzehnten Asbestfasern
oder Asbestkörperchen im Lungengewebe oftmals nicht mehr nachweisbar sind.
Daraus ziehen einige Wissenschaftler
den Schluss, dass chronische Schäden –
somit auch Krebs – von Weißasbest nicht
zu erwarten sind, sondern lediglich von
Beimengungen anderer Asbestarten.40 So
auch die Auffassung, die vom Deutschen
Mesotheliomregister der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung am
Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum vertreten wird, die sich
auf Daten aus Tierversuchen stützen.41
Das hat fatale Folgen für die Betroffenen, denn nach dieser Logik ist ein
BK-Antrag abzulehnen. Und in der Tat
zeigt sich seit einigen Jahren ein Trend
erhöhter Ablehnungsquoten beim
Lungenkrebs, der mit Gutachten des
Mesotheliomregisters begründet wird.
So wurde der BK-Antrag eines an Lungenkrebs erkrankten Isolierers trotz gesicherter Exposition von über 25 Faserjahren von der BG abgelehnt mit dem
Argument, in seiner Lunge seien nicht
genügend Asbestkörperchen vorhanden.42 Eine sorgfältige Auswertung aller
verfügbaren epidemiologischen Studien
zu Asbest, die am Zentralinstitut für
Arbeitsmedizin am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf durchgeführt
wurde, zeigt jedoch, dass ›Unterschiede
bei Chrysotil- im Vergleich zu AmphibolAsbest kaum feststellbar sind‹ und daher
dem Chrysotil ein ebenso hohes Krebspotential zugesprochen werden müsse
wie anderen Asbestarten.43
46
47
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
JOACHIM HEILMANN
Die Notwendigkeit von Beweiserleichterungen im Recht der Berufskrankheiten
Ausgangslage
Die Last
mit den Beweisen
2
⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇
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Das mehrfache Elend der versicherten Erkrankten ist in der Literatur und in den
Begründungen für Gesetzesinitiativen
mehrfach eingehend beschrieben worden: Von der Exposition über die Krankheit bis zur Nichtanerkennung und damit zur Nichtleistung des Unfallversicherungsträgers (UVT). Am Ende von Reformvorschlägen kommen regelmäßig Forderungen nach Hilfen für den Versicherten in seiner Beweisnot, aus Sicht des
Verfassers völlig zu Recht, werden doch
(gerichtliche) Verfahren sehr oft über die
Hilfskonstruktion der Beweislasttragung
entschieden. Natürlich müssen Gerichte
eine Entscheidung fällen, doch ist dies
bei nichterweislichen erheblichen Tatsachen unbefriedigend und führt in aller
Regel nicht zum Rechtsfrieden.
Zu den Voraussetzungen einer sachlichen Diskussion dieses rechtspolitisch
brisanten Themas gehören folgende Tatsachen: Die Expositionen bei der beruflichen Tätigkeit liegen zumeist Jahre, oft
sogar Jahrzehnte zurück. Erinnerungen
und private Aufzeichnungen des Versicherten gehören zu den Ausnahmen. Sie
hätten als Parteiaussagen ohnehin kein
großes Gewicht. Betriebliche Dokumentationen sind zwar hinsichtlich der
Gefährdungsbeurteilungen seit 1996
Rechtspflicht, sind indessen noch immer
nicht in gehöriger Art und Weise und
flächendeckend vorhanden. Für länger
zurückliegende Zeiten gilt dies erst
recht. Gutachterliche Bemühungen bewegen sich notgedrungen in abstrakten
Ursache-Wirkungsbeziehungen, weil die
historisch-konkreten Umstände nicht
bekannt sind. Die Interessenlage wird
im Kausalitätsgeschehen vom Gegensatz
Versicherter – Unternehmer gekennzeichnet, im Anerkennungsverfahren wird
dieser vom Streit zwischen Versichertem
und UVT abgelöst. Dabei ist eine objektive Interessenallianz zwischen Unternehmer und UVT nicht von der Hand zu
weisen. Schließlich liegt die endgültige
Sachentscheidung bei Gutachtern, über
deren verlässliche Gründlichkeit, Objektivität und Neutralität immer wieder
Zweifel auftauchen.
Rechtliche Basis
Gerichte entscheiden auf der Grundlage
festgestellter Sachverhalte, die aus
gerichtsbekannten, unstreitigen und bewiesenen Tatsachen bestehen. Sind
entscheidungserhebliche streitige Tatsachen nicht bewiesen, geht deren Unerweislichkeit zu Lasten der Partei, die aus
deren Vorliegen eine ihr günstige Rechtsfolge herleitet (z. B. BVerwGE 61,176).
Kurz gesagt trägt der Beweispflichtige
das Risiko der Nichterweislichkeit. In
dieser grundsätzlich klaren und zutreffenden Risikozuweisung wird noch nicht
berücksichtigt, dass Parteien in unterschiedlicher Weise auf die streitige Tatsache und deren Beweisbarkeit zugreifen
können. Daher gilt auch folgende Modifizierung: An der Aufklärung erheblicher Tatsachen müssen diejenigen mitwirken, die es rein faktisch auch können.
Dies führt zu entsprechenden Mitwirkungs- und Darlegungslasten als Vorstufen zur Beweislasttragung.
Ferner greift die gerichtliche Praxis
zu Beweiserleichterungen wie etwa zum
Anscheinsbeweis, bei dem das Vorliegen
hinreichender Indiztatsachen auf das
Vorliegen der zu beweisenden Tatsache
schließen lässt. Der anderen Seite verbleibt das Recht, diese Schlussfolgerung
substantiell zu entkräften, indem sie das
Gegenteil beweist. Die sog. Vermutungswirkung knüpft an das Vorliegen festgelegter Verhaltensweisen oder tatsächlicher Voraussetzungen die Annahme
zugunsten eines Normadressaten, bestimmte Pflichten erfüllt zu haben. Beispiele hierfür bieten aus dem Arbeitsschutzrecht die §§ 3a Abs. 1 Satz 3
ArbStättV, 7 Abs. 2 Satz 3 GefStoffV und
3 Abs. 1 Satz 3 ArbMedVV.
48
49
BERUFSKR ANKHEITEN
Ähnliche Fallgestaltungen
Im Arbeitsvertragsrecht bestimmt § 619a
BGB, dass der Arbeitgeber, der von seinem Arbeitnehmer Schadensersatz
wegen einer Pflichtverletzung begehrt,
auch zu beweisen hat, dass dies schuldhaft geschehen ist. Im übrigen Schuldrecht gilt nach § 280 Abs. 1 BGB, dass der
Schuldner ( = Pflichtverletzer) nur dann
nicht für den Schaden haftet, wenn er
selbst beweisen kann, dass er nicht
schuldhaft gehandelt hat. Damit trifft
das Risiko der Nichterweislichkeit der
ein Verschulden begründenden Tatsachen im Arbeitsvertrag den Arbeitgeber.
Beim Kündigungsschutz wird einer
betriebsbedingten Kündigung trotz eines
betrieblichen Kündigungsgrundes die
Wirkung versagt, wenn der Arbeitgeber
bei der Sozialauswahl Fehler gemacht
hat. § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG besagt, dass
der Arbeitnehmer die aus seiner Sphäre
stammenden persönlichen und sozialen
Umstände darzulegen und zu beweisen
hat.
§ 22 des AGG wählt zur Beweislasttragung folgenden Weg: Sind Indizien
vorgetragen und belegt, also bewiesen,
die eine Vermutung begründen, es
liege eine Benachteiligung im Sinne von
§ 1 AGG vor (wegen Rasse, ethnischer
Herkunft, Geschlecht, Religion etc.),
trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorgelegen hat.
Die Regeln über den Verbrauchsgüterkauf entlasten den Konsumenten, indem
gem. § 476 BGB beim Auftreten eines
Sachmangels innerhalb von 6 Monaten
nach dem Gefahrübergang (praktisch
dem Erhalt der Sache) die Vermutung
aufstellt, dieser Mangel habe bereits
beim Erhalt der Sache vorgelegen. Dagegen kann sich der Verkäufer nur wehren,
wenn er beweist, dass aus ›der Art der
Sache oder des Mangels‹ die Vermutung
falsch ist.
Ist zwischen Mieter und Vermieter
streitig, ob die Mietsache rechtzeitig
überlassen wurde, so trifft die Beweislast
dafür den Vermieter, § 543 Abs. 4 Satz 2
BGB. Das Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen ist zeitlich befristet. Ist
der Fristbeginn streitig, so trifft die
Beweislast den Unternehmer, § 355 Abs. 3
Satz 3 BGB. Auch im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird die
PR AXIS
Bedeutung der Beweislast deutlich,
wenn § 309 Ziff. 12 BGB eine Klausel für
unwirksam erklärt, durch die der Verwender ( = der Unternehmer) die Beweislast zum Nachteil des anderen Teils ändert. Nach dem Produkthaftungsgesetz
trägt der Geschädigte die Beweislast für
den Fehler, den Schaden und die Kausalität zwischen beiden, der Produzent
hingegen für die Ausnahmetatbestände
von der Haftpflicht, § 1 Abs. 4 ProdHaftG.
Das Arzt- und Krankenhaushaftungsrecht kennt eine Vielzahl von Beweiserleichterungen44 und Umkehrungen der
Beweislast45 zugunsten des Patienten.
Das Patientenrechtegesetz reiht in
§ 630h BGB Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten bei Behandlungsund Aufklärungsfehlern auf. Gesetzliche
Vermutungsregeln betreffen den Fehler
selbst, die Kausalität und auch das
Verschulden.
Den hier aufgeführten Vorschriften
und gerichtlichen Erkenntnissen liegt
die Idee zugrunde, dass es dem ›eigentlich‹ Beweispflichtigen aus tatsächlichen
Gründen oder infolge des Machtunterschieds nicht oder wesentlich schlechter
als dem anderen Teil gelingt, entsprechende Tatsachen oder Indizien zu
erkennen, vorzutragen und notfalls zu
beweisen.
Berufskrankheiten
Der Reformgesetzgeber hatte in § 9 Abs.
3 SGB VII bereits eine gewisse, aber nicht
ausreichende Beweiserleichterung zugunsten des Versicherten geschaffen.
Vom Wortlaut dieser Vorschrift aus sollte ein weiterer Reformschritt erfolgen:
›Erkranken Versicherte, die infolge der
besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße
der Gefahr der Erkrankung an einer
Berufskrankheit i. S. der Berufskrankheiten-Verordnung (BK-VO) ausgesetzt
waren, an einer solchen Krankheit und
können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten
Tätigkeit nicht festgestellt werden,
wird vermutet, dass diese infolge der
versicherten Tätigkeit verursacht
worden ist.‹
Der Denkansatz, die Ursächlichkeit in
der versicherten Tätigkeit zu vermuten,
ist dem Grunde nach zutreffend. Nur
sorgen die Voraussetzungen, unter denen
diese Vermutung greift, für allzu starke
Restriktionen, die am Ende das zu beseitigende Regel-Ausnahme-Verhältnis wieder herstellen. Vielmehr ist dem Regelfall, also der betrieblichen Verursachung,
auch zum forensischen Durchbruch zu
verhelfen, ohne die denkbare Ausnahme
in Gestalt anderweitiger Ursachenverläufe zu vernachlässigen.
Zunächst ist nicht einzusehen, warum
es sich um besondere Bedingungen der
versicherten Tätigkeit als kausale Faktoren handeln muss, reichen doch gerade
die konkreten und alltäglichen Tätigkeitsbedingungen allemal aus. Außerdem ist eine Abgrenzung von Tätigkeitsbedingungen und besonderen Tätigkeitsbedingungen nicht nur schwierig,
sondern eröffnet ein Feld für Auseinandersetzungen, die nur das Ziel verfolgen,
einen Versicherungsfall zu verneinen.
Schließlich zwingt die Logik einer Berufskrankheit keineswegs dazu, nur
›besondere‹ Tätigkeitsumstände als Ursachen zuzulassen.
Ebenso verhält es sich mit der Formel,
dass Erkrankte in erhöhtem Maße der Erkrankungsgefahr an einer BK ausgesetzt
(gewesen) sein müssen, um die Vermutung auszulösen. Auch hier gelten die im
vorigen Absatz formulierten Argumente.
Eine Erkrankungsgefahr ist als Anknüpfungspunkt für die Ursachenvermutung
notwendig, aber auch ausreichend. Verbinden sich nun noch die besonderen
Bedingungen mit der erhöhten Gefahr,
verdoppelt sich gleichsam die Hürde zur
Anerkennung.
Auf der anderen Seite dürfen keine
Anhaltspunkte für eine andere Ursachenreihe festgestellt worden sein.46 Spätestens resultiert aus dem erfolgreichen
Auffinden solcher Anhaltspunkte durch
Gutachter die Forderung, die möglichen
Alternativverläufe außerhalb der versicherten Tätigkeit mit größerer Sicherheit dingfest zu machen als nur mithilfe
von ›Anhaltspunkten‹. Deren Vielfalt
reicht bekanntlich von individuellem
Fehlverhalten über unspezifische Umwelteinflüsse bis zur genetischen (Prä-)
Disposition. Wenn auch viele dieser Mutmaßungen ganz oder teilweise zutreffen
mögen, so lassen sie doch letztlich offen,
ob die gesundheitsgefährdenden Umstände bei der versicherten Tätigkeit
nicht wenigstens mitursächlich gewesen
sind und somit die BK ausgelöst haben.
Es erscheint zumindest ungereimt, das
Risiko der Nichterweislichkeit einer betrieblichen Mitverursachung allein dem
Versicherten aufzubürden. Denn im Ergebnis führt die Praxis genau zu diesem
Zustand, wenn nur ›Anhaltspunkte‹ auftauchen. An deren Stelle müsste streng
genommen die Feststellung einer anderweitigen Alleinursächlichkeit treten,
um die versicherte Tätigkeit als Ursache
auszuschließen. Da für diese Feststellung allein ärztlicher Sachverstand in
Betracht kommt, ist es denknotwendiger
Weise auch erforderlich, derartige Kausalketten mit Ausschließlichkeitscharakter zu erkennen und zu benennen. Dies
erscheint aus ärztlicher Perspektive
(noch lange) nicht möglich, so dass es im
Ergebnis sinnlos wäre, diese Rechnung
ohne den Wirt zu machen.
Alternativ könnten die Anforderungen an die Arbeitgeberseite zum Nachweis all dessen gesteigert werden, was
eine berufsbedingte Erkrankung zu verhüten bestimmt und geeignet ist. Hierzu
zählt die Einhaltung aller nationalen
und supranationalen Schutz- und Präventionsvorschriften, aller technischen
und vergleichbaren Regeln von Ministerien auf gesetzlicher Basis, die eine
Vermutungswirkung47 erzeugen, sowie
weiterer untergesetzlicher Normen und
Standards, die von zuständigen, anerkannten Stellen erlassen und veröffentlicht worden sind. Obergrenze derartiger
Aufwendungen wären technische Machbarkeit und wirtschaftliche Leistbarkeit.
Bei diesen Schranken ist indessen zu
berücksichtigen, dass bei präventiven
Maßnahmen nicht nur deren Kosten zu
berücksichtigen sind, sondern auch
die Tatsache, dass diese sich mit einem
so genannten ›Return on Prevention‹
(RoP) von über 1,0, nach neueren Berechnungen von 2,7 für das Unternehmen
lohnen.
Mit diesen drei Änderungen im Wortlaut würde sich § 9 Abs. 3 SGB VII einer
Beweislastumkehr annähern, weil die
zentralen Ablenkungswege von der betrieblichen, tätigkeitsbezogenen Ursachenreihe verstellt wären. In der Sache
wäre damit den Versicherten wesentlich
geholfen, würde doch die gesetzliche
50
51
BERUFSKR ANKHEITEN
Vermutung eher greifen und schwerer
zu widerlegen sein. Die Vorschrift
könnte folgendermaßen lauten:
›Erkranken Versicherte, die infolge der
Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung an
einer in der Rechtsverordnung nach
Abs. 1 genannten Krankheit ausgesetzt
waren, an einer solchen Krankheit und
kann nicht bewiesen werden, dass
der Arbeitgeber alles Zumutbare zur
Schadensverhütung unternommen hat,
wird vermutet, dass diese infolge
der versicherten Tätigkeit verursacht
worden ist.‹
Argumente für den neuen Wortlaut
In den hier betrachteten Fällen geht es
um eine Berufskrankheit, die es immerhin geschafft hat, in die Liste der Berufskrankheitenverordnung aufgenommen
zu werden. Das ist schon eine starke Leistung, wie man kritisch anmerken kann.
Der Wortbestandteil ›Beruf‹ stellt klar,
dass es sich um das Ergebnis einer versicherten Tätigkeit in einem bestimmten
beruflichen Umfeld handeln muss. Die
Verbindung zwischen dem Menschen
in betrieblicher Arbeit und dem Gesundheitsschaden ist damit hergestellt. Erkrankt ein Berufstätiger an einer Berufskrankheit, stammt diese aus der beruflichen Arbeit. Die in der Begrifflichkeit
abgebildete Logik macht deutlich: Beruf
führt zur Berufskrankheit, oder umgekehrt: eine Berufskrankheit kommt von
der Berufsarbeit. Daraus folgt für diejenigen Fälle einer Berufskrankheit, in
denen diese begrifflich zwingende Verknüpfung zu verneinen ist, dass dies von
demjenigen darzulegen und zu beweisen
ist, der von der Ausgangslogik: Berufskrankheit abweicht. Alles andere würde
nicht erklären können, warum überhaupt von Berufskrankheiten gehandelt
wird, weil wie in allen Fällen offener Beweislage die Beweislast von demjenigen
zu tragen ist, der sich von der streitigen
Tatsache einen Vorteil verspricht. In dieser Situation befinden sich Versicherte,
die an einer Krankheit leiden, die nicht
in der BK-VO steht. Dann ist unabweisbar,
alle Anspruchsvoraussetzungen einschließlich der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung
darzulegen und nötigenfalls zu beweisen.
PR AXIS
Eine Parallele bildet der Arbeitsunfall.
Zunächst erscheint der Zusammenhang
zwischen der beruflichen Arbeit und
dem plötzlichen Ereignis mit Schadensfolge für den Versicherten offensichtlich
und kann nicht standardisiert verneint
oder verleugnet werden. Etwas weniger
deutlich stellt sich die Kausalität beim
Wegeunfall dar; dazu existiert eine hoch
differenzierte Rechtsprechung. In beiden
Fallgestaltungen bleibt es dem UVT und
dem Arbeitgeber selbstverständlich unbenommen, einen abweichenden Kausalverlauf darzutun und zu beweisen. Auch
diese ›Ausnahme‹ vom Normalverlauf
deckt sich mit der richtig verstandenen
Situation nach Auftreten einer Berufskrankheit.
Für die vorgeschlagene Änderung
des § 9 Abs. 3 SGB VII sprechen
ferner folgende Argumente:
Das gesamte vor allem europäisch geschaffene Rechtsarsenal zugunsten eines
umfassenden präventiven Arbeits- und
Gesundheitsschutzes spricht dafür und
erfordert, betriebliche Ursachen für
Schäden und Beschwerden ernst zu nehmen, sie vorbeugend zu ermitteln und
rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dieses Paket enthält bislang eine
Reihe wichtiger Werkzeuge:
Die Gefährdungsbeurteilung nach
§ 5 ArbSchG und einigen Arbeitsschutzverordnungen ist die Basis für jedwede
verpflichtende Präventivmaßnahme.
Ohne (eventuelle) festgestellte Gefährdungsmerkmale bleiben gesetzlich vorgesehene oder empfohlene Maßnahmen
beliebig, theoretisch und allenfalls
zufällig wirksam.
Fachkräfte nach dem Arbeitssicherheitsgesetz, Betriebsärzte und Fachkräfte
für Arbeitssicherheit (FaSi) wie auch die
Sicherheitsbeauftragten nach dem SGB
VII haben Aufgaben zu erfüllen, die sich
in erster Linie gesunden, nicht gefährdenden Arbeitsbedingungen widmen.
Verstärkt wird die Effektivität des Einsatzes der Betriebsärzte und FaSi durch
die Vorschrift 2 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV),
welche eine flexiblere, konkretere und
schwerpunktorientierte Tätigkeit dieser
Fachkräfte ermöglicht.
Ebenfalls mit präventivem Auftrag tritt
das System arbeitsmedizinischer Vorsorge an. Die Wunsch-, Angebots- und
Pflichtvorsorge bezieht sich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im
weitesten Sinne sowie bei unvermeidbaren Restgefährdungen auf ausreichenden
Schutz der Beschäftigten.
Wenn auch die (interessierten?) Missverständnisse unter Arbeitgebern noch
immer verbreitet sind, gilt auch das verpflichtend vom Arbeitgeber anzubietende Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gem. § 84 Abs. 2 SGB IX der
Zielerreichung verringerter Gefährdungspotentiale an den Arbeitsplätzen.
Ausgehend von einer über sechswöchigen Erkrankung eines Beschäftigten
muss der Arbeitgeber im Rahmen des
BEM auf der Grundlage einer aktuellen
und vollständigen Gefährdungsbeurteilung des betreffenden Arbeitsplatzes
und der dort ausgeführten Tätigkeit(en)
prüfen, ob Faktoren zu ermitteln sind,
welche die Erkrankung verursacht oder
mitverursacht haben könnten. Es handelt sich damit um verhältnisbezogene
Analysen und nicht, wie von Arbeitgeberseite oft fehlverstanden, verhaltensbezogene Untersuchungen und Maßnahmen.
Im Vollzug eines BEM können letztere
freilich einbezogen werden, wenn und
soweit die Verhältnisse am Arbeitsplatz
erschöpfend untersucht und möglicher
Weise erforderliche Maßnahmen getroffen worden sind und es darüber hinaus
Anlass und Raum für personenbezogene
Hilfen und Empfehlungen gibt.
Schließlich tritt auch die Betriebliche
Gesundheitsförderung der gesetzlichen
Krankenkassen i. S. des § 20a SGB V an,
die gesundheitliche Situation im Betrieb
zu verbessern. Hierbei und bei der Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen
haben die Krankenkassen mit den Unfallversicherungsträgern zusammenzuarbeiten (§§ 20a, Abs. 2 und 20b SGB V).
In allen Fällen steht der Präventionsgedanke im Vordergrund. Erst in dem
Maße, wie alle präventiv eingesetzten
Maßnahmen ganz oder teilweise versagen, kann es zu arbeitsbedingten Erkrankungen kommen. Erkrankt ein Versicherter im Rahmen der versicherten
Tätigkeit an einer Krankheit i. S. der
BK-VO, ist die betriebliche/berufliche
Verursachung bis zum Beweis des Gegenteils gegeben. Und dieses Gegenteil, dass
nämlich der Arbeitgeber alle Präventivmaßnahmen wirksam ergriffen und
kontrolliert hat, substantiiert zu behaupten und zu beweisen, muss dem
UVT selbstverständlich möglich sein und
bleiben.Sollte sich indessen nichts an
der bestehenden Rechtslage und deren
gerichtlicher Umsetzung ändern, ist zumindest eine Umbenennung des SGB VII
in Bezug auf Berufskrankheiten zu fordern, handelt es sich doch in Wirklichkeit um ein ›Gesetz zur Versicherung
von Berufskrankheiten, deren Voraussetzungen vom Versicherten beweisbar
sind‹.
Weiterer Reformbedarf
In der BK-VO werden bei manchen
Krankheiten Mindestexpositionsjahre
vorausgesetzt: 25 Faserjahre bei der BK
4104, 3. Unterfall, (nach Formeln berechneter) 100 Feinstaubjahre bei der BK
4111 und 100 Benzo[a]pyren-Jahre bei der
BK 4113. In zahlreichen Fällen sind diese
Nachweise von den Versicherten nicht
zu erbringen. Aufzeichnungen oder
Dokumentationen existieren nicht oder
nur lückenhaft, der Versicherte selbst ist
weder zu eigenen Aufzeichnungen verpflichtet noch für ihr Fehlen verantwortlich. Vielmehr gehört die Dokumentation zu den Arbeitgeberpflichten; vgl.
nur § 6 ArbSchG.
Diese Mindesteinwirkzeiten sind daher zu streichen und könnten ersetzt
werden durch das Wort ›langjährig‹. Besser wären allerdings fest umrissene Einwirkmaße, seien sie zeitlich oder quantitativ beschrieben, um die Verlagerung
der Diskussion um die Bedeutung von
›langjährig‹ zum Nachteil der Versicherten auf unbegrenzte Gutachterfehden
zu vermeiden. Hierzu wären fachliche,
etwa medizinische und toxikologische
Hinweise und Ideen erforderlich.
52
53
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
WOLFGANG HIEN
Entwicklung einer BerufskrankheitenDatenbank zur Beweissicherung und als
Grundlage für Epidemiologie und
Prävention: Überlegungen zur Konzeption
Die hier dargestellten Überlegungen
haben eine lange Vorgeschichte. Sie
hängen mit einer Reihe von Aspekten
zusammen, die im Folgenden stichwortartig genannt werden sollen.
Warum sollte in Bremen eine wissensbasierte BerufskrankheitenDatenbank aufgebaut werden?
Die Großregion Bremen ist von Berufskrankheiten (BK) deutlich stärker betroffen als andere Bundesländer. Bis Anfang
1990 war Bremen der Hauptumschlagsplatz für Rohasbest in Deutschland. Im
damaligen Bremer Überseehafen wurde
Asbest angeliefert, zumeist in Jutesäcken,
in verschiedenen Schuppen und Speichern gelagert und schließlich per Kahn
und hauptsächlich per Güterzug in die
anderen Regionen der Bundesrepublik
Deutschland transportiert. Zugleich gab
es zwei Großwerften in Bremen, die in
großem Umfang Asbest, Asbestplatten,
Asbestzement und Asbestisolierungen
verwendeten. Noch bis in die 1990er Jahre wurde auf der Bremer Vulkan-Werft
Asbest vielfältig und massenhaft verwendet. Viele Beschäftige wussten jedoch
nicht, dass sie mit asbesthaltigem Material arbeiteten. Die Erfahrungen aus
langjähriger Beratung zu Berufskrankheiten und vielfältige ArbeitsplatzBeschreibungen ehemaliger Hafen- und
Werftarbeiter sind wertvolle Hilfen
für neu hinzukommende Betroffene.
Ein weiterer Aspekt, der in den Überlegungen zu einer BerufskrankheitenDatenbank eine wichtige Rolle spielt, ist
der Umstieg auf neue Werkstoffe, der
seit den 1990er Jahren in vielen Betrieben Bremens erfolgte. Jachtenbau, Bootsbau, die Herstellung von Rotorblättern
für Windkraftanlagen, Flugzeugbau,
Automobilbau, Karosseriebau und viele
weitere Arbeitsbereiche arbeiten mit
neuen Werkstoffen, z. B. mit Polyesterharzen, Expoxidharzen und Isocyanaten.
Hinzu kommen vielfältige Zusatzstoffe,
die alle einen mehr oder weniger komplexen Chemismus aufweisen. Die
Kenntnisse darüber sind bei allen Beteiligten mangelhaft – bei Arbeitgebern,
Beschäftigten, Fachkräften, Betriebsärzten/ Betriebsärztinnen, Allgemein- und
Fachärzten/Allgemein- und Fachärztinnen und anderen.
Ein dritter Aspekt betrifft die mechanischen Belastungen. Viele Beschäftigte
in der bremischen Industrie und im bremischen Handwerk leisten nach wie vor
körperliche Arbeit. Die daraus entstehenden Dauerbelastungen für Rücken und
Gelenke sind teilweise erheblich. Verschleißerkrankungen werden bislang
nur zu einem kleinen Teil auf berufliche
Verursachungen untersucht. Umgekehrt
heißt dies: Die Dunkelziffer bei den sogenannten mechanischen Berufserkrankungen ist enorm. Hier gibt es massive
Informationsdefizite. Wie bei anderen
Expositionsfaktoren auch, besteht auch
hier bei allen Beteiligten ein nur sehr
lückenhaftes Wissen. Es gibt massive
Mängel bei Arbeitsanamnese, Belastungsund Expositionsabschätzungen. Es fehlen gezielte fachliche Hinweise, beispielsweise eine über ein Erwerbsleben
gesammelte Gesamtexposition zu ermitteln.
Das Thema ›Berufskrankheit‹ ist sowohl in den technischen wie den medizinischen und rechtlichen Fächern leider
immer noch ein Randthema. Informationen zu den BKen (Amtliche Merkblätter,
Informationen aus Arbeitswissenschaft,
Arbeitsmedizin, Sozialrecht usw.) sind
weit verstreut und nirgendwo zentral
gesammelt und entsprechend verfügbar. Wer zu Berufskrankheiten berät,
braucht deshalb eine EDV-gestützte Hilfe
im Beratungsprozess. In der BK-Beratung
bestehen prinzipiell zwei Problem- oder
Fragerichtungen: Zum einen handelt es
sich um kompensative Fragestellungen
(d.h. Fragestellungen, die sich nach Auftreten einer BK stellen), zum anderen
geht es um präventive Fragestellungen
(d.h. Fragestellungen zur gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung).
Kompensative Problemstellungen:
Themen und Beispiele
Stets geht es hierbei um die Frage, ob
spezifische Bedingungen der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden
Kausalität erfüllt sind, d. h. ob die spezifischen Expositionsbedingungen und die
spezifische Erkrankung gegeben sind.
Dies bedeutet für die Beratungsarbeit im
Einzelnen (vgl. Abb. 2):
❚ Hilfestellung bei BK-Anzeigen
(Betroffene, Ärzte, Sachbearbeitung
in Krankenkassen u. a.)
❚ Hilfestellung bei Arbeitsanamnesen
(für Betroffene, auch in Kooperation
mit den BGen)
❚ Hilfestellung beim BG-lichen
Verwaltungsverfahren und beim
Widerspruch gegenüber der BG
❚ Hilfestellung bei Entscheidungsfindung vor einem eventuellen
Gerichtsverfahren.
Beispiel 1
Häufig auftretende Folgen
einer unergonomischen Gestaltung
von Arbeitsplätzen:
❚ Liegen Bandscheibenschäden
(ICD-Klassifizierung M40-M54) vor,
so ist, wenn wir berufliche Einflüsse
in Betracht ziehen, an BK Nr. 2108 zu
denken. Anhand des BK-Merkblattes
können dann Fragen an den oder die
Betroffene formuliert werden.
❚ Wenn eine Gonarthrose (M17) besteht,
so ist, wenn berufliche Einflüsse
erwogen werden, an die BK Nr. 2112 zu
denken, d.h. es sollten anhand des BKMerkblattes entsprechende Fragen an
den oder die Betroffene gestellt werden.
❚ Bei einer Hüftgelenksarthrose
(ICD-Diagnosen M16, M16.1, M16.2)
ist bei bestimmten Berufen, in denen
Schwerstarbeit üblich ist, unter Umständen eine BK-Anzeige gemäß SGB VII,
§ 9, Abs. 2 (Öffnungsklausel) zu
empfehlen.
❚ Das Karpaltunnelsyndrom (ICD-Diagnose G56.0) tritt in bestimmten Arbeitsbereichen gehäuft auf und sollte bei
entsprechender Datenlage als BK angezeigt (SGB VII, § 9, Abs. 2), werden.
Beispiel 2
Chronisch Obstruktive Atemwegserkrankungen durch Einwirkung von
Inhalationsnoxen
(ICD-Klassifikation J41–J44 sowie J68)
Dazu ein Auszug aus dem Merkblatt
zur BK Nummer 4302:
›Die Noxen können in Form von
Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen
vorkommen und lassen sich folgendermaßen gruppieren:
❚ leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe: z. B. Acrolein, Athylenimin,
Chlorameisensäureäthylester, Formaldehyd, Phosgen
❚ schwer flüchtige organische
Arbeitsstoffe: z. B. einige Härter für
Epoxidharze, bestimmte Isocyanate
(BK Nr. 1315), Maleinsäureanhydrid,
Naphthochinon, Phthalsäureanhydrid,
p-Phenylendiamin
❚ leicht flüchtige anorganische
Arbeitsstoffe: z. B. Nitrose Gase, einige
Phosphorchloride, Schwefeldioxid
❚ schwer flüchtige anorganische
Arbeitsstoffe: z. B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen
(BK Nr. 1110), Cadmiumoxid (BK Nr.
1104), Vanadiumpentoxid (BK Nr. 1107)‹
Auf zahlreiche weitere in der Literatur
genannte Stoffe wird hingewiesen.
Hier zeigt sich beispielhaft die ganze
Komplexität des BK-Problems: In einer
detektivischen Arbeit muss der/die
Betroffene nachweisen, dass die Arbeitsstoffe, mit denen sie oder er zu tun
hatte, chemische Inhaltstoffe enthielten,
die im Merkblatt bzw. in der seither erschienenen wissenschaftlichen Literatur
aufgeführt werden.
54
55
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Präventive Problemstellungen:
Themen und Hinweise
e
e
e
e
e
e
e
e
auswählen
Liste der möglichen Berufe /Tätigkeiten öffnen;
parallel: Listen der passenden
Arbeitsstoffe/Einwirkungen öffnen
eine oder mehrere anklicken
es werden die möglichen BKen angezeigt
auswählen
auswählen
e
Liste
Links zu
Suchfunk- den extertion
nen u.
(Fenster) internen
Dokumenten
es werden die möglichen
Arbeitsstoffe/Einwirkungen angezeigt
e
Prävention
es werden die möglichen BKen angezeigt
e
Links zu den
intern abgelegten
Dokumenten
Diagnos.
(Trivialu. med.
Bez./ICD )
eine oder mehrere Krankheiten anklicken
e
Links zu den
externen
Dokumenten
(z. B. Univ. Rostock)
Fallgesch.,
Gutachten
eine oder mehrere Krankheiten anklicken
e
Listen für
Suchfunktion
(Fenster mit
jeweiliger Liste)
BKwiss. Be- weiteres
Merkblatt gründung
Mat.
e
Arbeitsstoffe/
Einwirkungen
Liste der passenden
Berufe/Tätigkeiten öffnen
e
Berufe/
Tätigkeit
Liste der passenden Krankheiten
(mit ICD-Nummern) öffnen
Suchwort / Such-Teil
e
BKBezeichnung
Suchrichtung Beruf Prävention
Suchwort / Such-Teil
e
BKNummer
Suchrichtung Krankheit BK
e
Gliederung/Organisation der BK-Datenbank
Abb. 3: Suchstrategie bei
präventiver Beratung eines Betriebes
e
Abb. 1:
Wie könnte eine BK-Wissens-Datenbank prinzipiell aufgebaut sein?
Abb. 2: Suchstrategie beim Vorliegen
einer vermuteten BK-Erkrankung
e
Dies ist sicherlich das eigentliche Ziel
der BK-Beratungsarbeit: Die Arbeitsplätze
so zu gestalten, dass Berufserkrankungen erst gar nicht auftreten. Hierfür
müssen Arbeitgeber wie Beschäftigte immer wieder fachlich beraten werden. Zu
denken ist an die Zusammenarbeit mit
Wirtschaftskammern, Berufsverbänden
und Gewerkschaften, aber auch mit Sicherheitsfachkräften, Betriebsärzten, Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht
und anderen Institutionen, die selbst
Betriebe beraten und die ggf. auch kollegiale Hilfe benötigten. Anzumerken ist
an dieser Stelle, dass eine konsequente
Prävention von Berufserkrankungen
ganz erhebliche Vorteile für die betriebliche Präventionskultur schaffen und damit auch den Hauptteil der Maßnahmen
abdecken kann, die zur Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen nötig sind.
Die präventiv orientierte Beratungsarbeit kann im Einzelnen heißen
(vgl. Abb. 3):
❚ Hilfestellung bei Fragen der ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes
❚ Hilfestellung bei Arbeitsprozessen mit
neuen Werkstoffen (z. B. Epoxidharze)
❚ Hilfestellung bei der Verwendung
toxischer oder allergisierender
Materialien, z. B.
❚ Nickel (Gießen, Schweißen usw.)
❚ Beryllium im Werkzeugbau
❚ Arylamine im Friseurgewerbe
❚ Isocyanate
(Polyurethanwerkstoffe).
Es gibt eine fast unübersehbare Fülle
von Verordnungen, technischen Regeln,
berufsgenossenschaftlichen Regeln und
Informationen, Leitfäden und Informationsmaterial der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie
internationale, europäische und nationale epidemiologische, arbeitsmedizinische, arbeitshygienische und sonstige
arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse,
die für präventive Fragestellungen herangezogen werden müssen. Vieles ist
den betrieblichen und überbetrieblichen
Fachberatern der Betriebe bekannt;
doch einzelne Fragestellungen, die im
Zusammenhang mit dem BK-Geschehen,
insbesondere dem bremischen BK-Geschehen, für einzelne Arbeitsplätze und
Arbeitsbereiche in unserer Wirtschaftsregion relevant sein können, bedürfen
ggf. einer spezifischen Beratung.
Die Beispiele sind vielfältig und sollen
an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt
werden. Es sollte reichen, auf die bei
kompensatorischen Fragestellungen angegebenen Beispiele zu verweisen. Die
dort angeführten Probleme lassen sich
nämlich zwanglos in eine präventive
Fragerichtung umdrehen:
❚ Was kann getan werden, um
schweren arbeits- und berufsbedingten
Muskel-Skelett-Erkrankungen
vorzubeugen?
❚ Was kann getan werden, um arbeitsund berufsbedingten schweren obstruktiven Atemwegserkrankungen
vorzubeugen?
weitere Dokumente:
Merkblätter, wissenschaftliche Begründungen,
Fallgeschichten, Gutachten usw.
Liste der Präventionsmöglichkeiten
mit Links zu weiteren Dokumenten
(z.B. BGls)
Abschließende Bemerkungen
Es gibt bei einigen Krankenkassen bereits heute EDV-gestützte Routinen zur
Prüfung einer BK-Relevanz beim Vorliegen bestimmter Erkrankungen; es wurden positive Erfahrungen gesammelt.
Es wäre wünschenswert, wenn es zu
einer Zusammenarbeit der Kassen untereinander (das war einmal mit dem
›Präventionsgesetz‹ beabsichtigt) und mit
der unabhängigen BK-Beratungsstelle
in Bremen kommen würde. Es wäre zugleich auch wünschenswert, wenn sich
auch die Zusammenarbeit mit den Sachbearbeitern und Sachbearbeiterinnen
der Berufsgenossenschaften verbessern
würde, wobei durchaus arbeitsteilige
Absprachen denkbar sind.
Die besondere Bedeutung einer gesonderten BK-Wissensdatenbank für das
Land Bremen läge darin, dass die in der
langjährigen Beratungspraxis der BK-Beratungsstelle in Bremen-Nord (1997 bis
2011 als Projekt des Vereins Arbeit und
Zukunft, teilweise ehrenamtlich, 2011
bis Mitte 2013 als Projekt und inzwischen verstetigt, in Trägerschaft der Arbeitnehmerkammer) gesammelten Fälle
einen wertvollen Fundus an beispielhaften Fallgeschichten, Arbeitsplatzbeschreibungen und Gutachten bereitstellen. Diese Erfahrungen sollten in
einer solchen Datenbank in geordneter
und systematischer Weise aufbewahrt
und genutzt werden, auch und insbesondere für die Beratungsarbeit.
Eine solche umfassende Datenbank
(vgl. Abb. 1) aufzubauen erfordert einen
hohen technischen und personellen Aufwand. Auf der Basis der bestehenden BKListe und der zugeordneten Merkblätter
und Begründungen müssten
❚ Berufe und Tätigkeitsbereiche
im Klartext
❚ Arbeitsstoffe (chemische, physikalische
und biologische Einwirkungen)
❚ mechanische Einwirkungen
❚ Diagnosen im Klartext
❚ sowie ICD-Nummern
zusätzlich verschlagwortet und integriert werden.
Zu hinterlegen (als interner Link)
wären Fallgeschichten und Gutachten.
Ferner müssten Links gelegt werden zu
Hintergrundmaterial wissenschaftlicher
oder technischer Art und zu präventiv
orientierten Informationen (Rechtsverordnungen, technische Regeln, berufsgenossenschaftliche Regeln und
Informationen, weitere technische und
organisatorische Hinweise).
Die technische Realisierung einer
solch umfangreichen Datenbank bedarf
einer gesonderten Projektstruktur und
Projektfinanzierung. Unerlässliche
Voraussetzung einer funktionierenden
Datenbank wäre außerdem eine kontinuierliche Pflege.
56
57
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
ANDREA IM SANDE
Berufskrankheiten – wie beraten die
Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung?
Zusammenarbeit
Die Gesetzliche Unfallversicherung
und die Krankenkassen
3
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Die Beratung der Versicherten steht auch
für die Unfallversicherungsträger ganz
oben auf ihrer Prioritätenliste. Doch wie
kann diese möglichst gut verwirklicht
werden?
Beratung ist wichtig. Wie beeinträchtigt mich meine Erkrankung? Kann ich
weiter arbeiten? Im bisherigen Beruf?
Was kann und muss dafür getan werden?
Welche Hilfe bekomme ich, wenn ich
meinen Beruf aufgeben muss? Diese und
andere sind wichtige Fragen, mit denen
sich viele Personen im Laufe ihres Berufslebens konfrontiert sehen. Ein Wechsel
fällt nicht immer leicht, hat man sich
doch nach seinen Interessen und Talenten für einen bestimmten Beruf entschieden.
Die Unfallversicherungsträger (UV-Träger) stehen für eine solche Beratung mit
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
an allen Standorten zur Verfügung.
Dabei richtet sich der Umfang unserer
Beratung vor allem danach, wie sehr die
oder der Verletzte betroffen ist.
Bei besonders schwer verletzten oder
schwer erkrankten Versicherten suchen
wir schnell den persönlichen Kontakt,
damit zu den gesundheitlichen Sorgen
möglichst nicht noch finanzielle hinzutreten. Geschulte und kompetente
Außendienstmitarbeiter/innen geben
erste Informationen und erläutern die
Vorgehensweise der Unfallversicherungsträger. Sie organisieren bei Bedarf auch
erste Leistungen (z. B. Hilfsmittel u. ä.).
Sie bieten sich als Ansprechpartner an.
Viel häufiger stehen medizinische
Fragen im Vordergrund. Ist die Diagnose
richtig gestellt? Sind alle Beschwerden
umfassend und richtig erfasst? Wie können die Beschwerden gelindert werden?
Und ganz wichtig: Wie kann ich an
meinem Arbeitsplatz vor einer weiteren
Belastung geschützt werden?
Hier ist schnelle, unbürokratische
Hilfe erforderlich.
Dies ist nicht ohne medizinischen Sachverstand zu klären. An unterschiedlichen Stellen sind daher Kompetenzzentren entstanden. Dort treffen Versicherte
auf versierte Ärzte und Therapeuten,
die sich die erforderliche Zeit nehmen,
um die Situation mit den Betroffenen zu
klären. Dies ermöglicht eine gute erste
Arbeits- und Krankheitsanamnese.
Einige Beispiele, in denen dies
besonders gut gelingt, möchte ich
hervorheben:
Zum Thema Haut
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)
versichert Berufe, die sich als sehr hautbelastend erwiesen haben. Dort ist schon
lange bekannt, dass der häufige Kontakt
mit Wasser die Haut auf Dauer so schädigen kann, dass der Beruf aufgegeben
werden muss. Betroffen sind nicht nur
Frisörinnen und Frisöre, sondern auch
Pflegekräfte, Beschäftigte im Bereich der
Hauswirtschaft und andere.
An ihren Standorten hat die BGW
daher Schulungs- und Beratungszentren
gegründet (›schu.ber.z‹). Hier steht die
schnelle Hilfe im Vordergrund. Rechtliche Fragen treten zunächst in den Hintergrund. Die Betroffenen erfahren in
Hautschutzseminaren, mit welcher persönlichen Schutzausrüstung und mit
welchen modernen Arbeitstechniken
eine gefährdungsfreie Tätigkeit in ihrem
Beruf möglich ist. Die Seminarteilnehmer/innen erhalten sofort die Ausrüstung, die sie an ihrem Arbeitsplatz
benötigen. Die UV-Träger erteilen sofort
einen Behandlungsauftrag (Facharzt,
wohnortnah nach Wunsch der Betroffenen) und übernehmen auch die Kosten
der Behandlung. In den meisten Fällen
erholt sich die Haut und das Verfahren
kann ohne Berufsaufgabe erfolgreich
abgeschlossen werden.
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59
BERUFSKR ANKHEITEN
Wie gelingt dies? Spezialisierte Dermatologen untersuchen die Betroffenen,
stellen eine genaue Diagnose und veranlassen so die richtige medizinische
Behandlung. Sie empfehlen auch geeignete Maßnahmen, wie die Haut am bisherigen Arbeitsplatz geschützt werden
kann. Dies erfolgt in aller Regel durch
eine auf die einzelne Person abgestimmte Persönliche Schutzausrüstung. Auch
die Arbeitgeber unterstützen das Verfahren. Mit Hilfe des UV-Trägers können
die Betroffenen unterschiedliche Mittel
oder Salben ausprobieren. Die Arbeitgeber können daher nach Abschluss des
Verfahrens sicher sein, dass ein geeigneter Hautschutz gefunden wurde und
die betroffene Person ohne Gefährdung
ihrer Gesundheit weiter im Betrieb
arbeiten kann. (Weitere Informationen
erhalten Sie auf folgender Seite:
www.bgw-online.de/internet/generator/
Navi-bgw-online/NavigationLinks/
Kundenzentrum/schu.ber.z/navi.html)
Dieses gute Beispiel macht Schule.
Andere Träger schlossen sich dem an
und nutzten die Beratungszentren ebenfalls. Die Berufsgenossenschaft Holz und
Metall und ihre Vorgängerinnen nutzen
bereits seit sieben Jahren die Expertise
der Zentren auch für die eigenen Versicherten. Denn auch Kühlschmierstoffe
setzen der Haut vieler Beschäftigter zu.
In der Metallbranche sind vor allem Männer beschäftigt und dadurch betroffen.
Hier ist eine zielorientierte Beratung
besonders wichtig. Schutz und Pflege der
Haut ist diesen Betroffenen oft fremd.
Wird bei der eigenen Ehefrau oder Lebensgefährtin die Pflege der Haut durchaus geschätzt, so wird sie doch für die
eigene Haut spöttisch abgelehnt. Offene
Verletzungen der Haut werden sogar als
ganz ›normal‹ empfunden.
Zum Thema Atemwege
Kaum etwas lieben wir Deutschen so
sehr wie frisches Brot. Was viele jedoch
nicht wissen: Selbst Mehl – ein unverzichtbares Nahrungsmittel – kann bei
seiner Verarbeitung allergische Reaktionen der Atemwege auslösen und so zu
Erkrankungen führen (im Volksmund oft
Bäckerasthma genannt). Die zuständige
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel
und Gastgewerbe setzt deshalb hier einen
Schwerpunkt ihrer Präventionstätigkeit.
PR AXIS
Erfahrene Techniker beraten Bäckermeister vor Ort, wie sie in ihrem Betrieb den
Mehlstaub verringern können und welcher Atemschutz für sie in Frage kommt.
Angeboten werden auch allgemeine
Seminare, bei denen Beschäftigte des
Backgewerbes gemeinsam mit Kollegen
lernen, welche organisatorischen und
technischen Änderungen in ihrem jeweiligen Betrieb erfolgversprechend sind.
Außerdem unterstützt die BG – mit
dem behandelnden Arzt – die richtige
medizinische Versorgung im Einzelfall.
Gerne können Sie weitere Informationen
z. B. auf der entsprechenden Internetseite abfragen, siehe unter:
www.praevention.portal.bgn.de/
3270/4801?wc_lkm=9921
Doch auch durch andere Arbeitsstoffe
können Atemwegserkrankungen ausgelöst werden. Betroffen sind vor allem
Personen, die noch berufstätig sind. Ähnlich wie bei den Hauterkrankungen geht
es daher vor allem darum, die Situation
am Arbeitsplatz möglichst schnell und
unbürokratisch zu verbessern.
Da in der Medizin Haut- und Atemprobleme nah beieinander liegen, nutzen
wir dafür auch die für die Hauterkrankten aufgebaute Infrastruktur. Gemeinsam mit den Netzwerkpartnern sichern
wir die Diagnose und erstellen eine erste
Arbeitsanamnese.
Im Rahmen so genannter Atemwegssprechstunden prüfen Spezialisten
die Diagnose und fragen nach möglichen
Einwirkungen am Arbeitsplatz. Die Betroffenen erhalten wertvolle erste Hinweise für Verbesserungen in ihrem
Umfeld. Die UV-Träger erhalten Informationen, die ihnen zielgerichtete Ermittlungen am Arbeitsplatz erleichtern.
Auch hier steht die schnelle Hilfe im
Vordergrund, damit die Betroffenen ihre
bisherige Tätigkeit möglichst weiter
ausüben können.
Mit diesen Beratungsangeboten unterstützen wir Betroffene, die noch arbeitstätig sind. Viele andere erkranken erst,
nachdem sie ihre berufliche Laufbahn
bereits beendet haben. Die UV-Träger
prüfen dann, welche Leistungen zu erbringen sind.
Zur traurigen Berühmtheit
gelangte das Mineral Asbest
Der Stoff erfreute sich für einige Jahrzehnte als ›Mineral der 1000 Möglichkeiten‹ größter Beliebtheit. Das Wort Asbest
kommt aus dem Griechischen und
bedeutet ›nicht brennbar‹. Diese Eigenschaft war ausschlaggebend für den Einsatz von Asbest z. B. in Isolierungen.
Außerdem musste das Mineral nicht aufwändig, also künstlich produziert werden. Vielmehr war es einfach und somit
günstig abzubauen, was sogar noch heute geschieht, beispielsweise in Südafrika
und in der Türkei. In Deutschland ist der
Einsatz von Asbest seit 1993 verboten.
Für viele Beschäftigte der Werften, Autobauer oder Isolierer zu spät. Sie haben
die tückischen Fasern bereits eingeatmet.
Diese wandern dann durch die Luftröhre
so weit in die Lunge, bis sie im Gewebe
stecken bleiben. Der Körper erkennt diese Fremdkörper, die er nun beseitigen
möchte. Die Nadeln werden von Gewebe
umgeben, um die Eindringlinge aufzulösen. Vergeblich, weil Asbest durch nichts
aufzulösen ist. Aus der Umkapselung
wird vernarbtes Lungengewebe, das die
Dehnbarkeit der Lunge einschränkt. Die
Folge ist Atemnot. Diese tritt erst Jahre
nach der Belastung, also nach dem Einatmen der Fasern auf. Dies hat auch dazu
gerührt, dass das tatsächliche Ausmaß
der Gesundheitsschäden durch Asbest
nicht früh genug erkannt wurde.
Viele Betroffene reagieren schockiert
auf die Diagnose ›Asbestose‹.
2012 erhielten die Unfallversicherungsträger knapp 71.000 Anzeigen, dass
eine Berufskrankheit vorliegen könnte.
Davon entfallen 3.470 Anzeigen auf die
Asbestose (BK 4103), 3.996 Anzeigen auf
einen Lungen- oder Kehlkopfkrebs durch
Asbest (BK 4104) und schließlich 1.362
auf das Vorliegen eines Pleuramesothelioms durch Asbest (BK 4105). Betroffen
ist vor allem die Metallbranche. Die in
diesem Bereich tätigen Berufsgenossenschaften erhalten die meisten Verdachtsanzeigen.
Aus vielen Gesprächen mit Betroffen
wissen sie, dass diese Diagnosen eine einschneidende Erfahrung darstellen. Viele
Betroffene rechnen mit ihrem baldigen
Tod. In Berichterstattungen wird oft
nicht herausgestellt, woran die Betroffenen tatsächlich sterben. Eine Asbestose
wird oft mit einer Krebserkrankung
gleich gestellt.
Hier setzt die Beratung der Berufsgenossenschaften BG ETEM (Energie Textil
Elektro Medienerzeugnisse) und BG Holz
und Metall an. Eine Asbestose ist in aller
Regel nicht tödlich, jedoch auch nicht
heilbar. Das einmal geschädigte Lungengewebe kann nicht ›repariert‹ werden.
Eine spätere Krebserkrankung ist nicht
ausgeschlossen.
Im Rahmen einer so genannten Asbestose-Sprechstunde erhalten die Betroffenen Informationen zu der Erkrankung
und warum sie erst so spät festgestellt
wurde. Alle Versicherten, bei denen das
Risiko einer Asbestose gegeben ist, erhalten eine Einladung. Die Erfahrung zeigt,
dass die Betroffenen im Praxisbetrieb
ihrer Ärzte oft nicht dazu kommen, ihre
Fragen zu stellen. In der Sprechstunde
steht ihnen ein Facharzt Rede und Antwort. Er beschreibt, wie die Erkrankung
entsteht. Er erläutert den Unterschied
zwischen einer Asbestose und einem
durch Asbest verursachten Lungen- oder
Rippenfellkrebs. Schließlich informiert
er über mögliche Therapien. Mitarbeiter / innen der Unfallversicherungsträger
stellen sich vor und erläutern den Ablauf
des Verfahrens. Welche Informationen
sind für eine mögliche Leistung entscheidend? Welche Unterlagen oder Auskünfte benötigt der UV-Träger? Welche
Ermittlungen werden durchgeführt?
Wir hoffen, unser Verfahren und
unsere Vorgehensweise auf diese Art und
Weise für die Versicherten transparenter
zu gestalten. Aus vielen Gesprächen
wissen wir, dass es für viele Betroffene
eine Hemmschwelle gibt, mit den Unfallversicherungsträgern Kontakt aufzunehmen. Durch die persönliche Beratung in
unserem Haus hoffen wir, diese Hemmschwelle abzubauen und das erforderliche Vertrauen für das weitere Verfahren
aufzubauen. Die Versicherten lernen ihre
BG persönlich kennen und dadurch fällt
es ihnen leichter, mit uns zu sprechen.
Die bis dahin unpersönliche Berufsgenossenschaft erhält ein Gesicht.
In Bremen hat sich außerdem eine
ambulante Asbestose-Reha bewährt. Obwohl die Erkrankung nicht geheilt werden kann, können doch die Beschwerden
durch gezielte therapeutische Maßnahmen gelindert werden. Die Erfahrungen
zeigen außerdem, dass die Stärkung der
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BERUFSKR ANKHEITEN
körperlichen Konstitution die Lebensqualität insgesamt erhöht. Den Betroffenen
wird verdeutlicht, dass sie sich wegen
der Asbestose nicht schonen müssen und
ihr Leben wie gewohnt fortsetzen können. Im Anschluss an die Therapie überführen wir die Teilnehmer in eine wohnortnahe Trainingseinrichtung. Dies kann
ein Sportverein, der Tennisclub oder ein
Schwimmbad sein. Wichtig ist, dass die
Betroffenen lebenslang trainieren. Denn
nur dann bewahren sie sich die guten
Ergebnisse der Therapie. Das Konzept der
BG setzt auf Nachhaltigkeit. Wird die
Therapie beendet, vermindern sich die
positiven Effekte. Daher ist uns das
lebenslange Trainieren so wichtig. Wir
sind sehr stolz, dass es uns hier gelungen
ist, eins der ersten wirklich nachhaltigen
Konzepte in der Rehabilitation umzusetzen.
Die Beratungen beziehen sich jedoch
nicht nur auf die medizinischen Fragen.
Entscheidend ist auch, ob eine bestimmte Gefährdung bzw. Einwirkung vorgelegen hat. Zwischen Erkrankung und
Schädigung liegen oft Jahre oder sogar
Jahrzehnte. Gibt es den Betrieb oder den
Arbeitsplatz noch? Welche Zeitzeugen
gibt es? Wer kann etwas über die Stoffe
sagen, mit denen gearbeitet wurde? Dies
sind die häufigsten Fragen, die zu klären
sind. Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Oft war den Betroffenen
nicht bekannt, mit welchen Stoffen sie
gearbeitet haben. Noch heute schwören
Versicherte, dass auf ›ihrer‹ Werft nicht
mit Asbest gearbeitet worden sei. Eine
gute Arbeitsplatzbeschreibung und Analyse ist daher sehr wichtig. Hilfe erhalten
die Betroffenen von bei den Unfallversicherungsträgern beschäftigten Ingenieuren, Chemikern und Meistern. Sie bitten
die Betroffenen um eine Beschreibung
ihrer Arbeitsplätze und schätzen dann
deren Einwirkungen ein. Sie greifen
dabei auf unterschiedliche Unterlagen
und Forschungsergebnisse zurück.
PR AXIS
In vielen Fällen fällt diese Einschätzung
nicht schwer (Meniskusschäden oder
Lungenerkrankungen im Bergbau, Lärmschwerhörigkeiten bei Werftarbeitern
oder Autobauern). Hier sind die maßgeblichen Einwirkungen bekannt. In den
Betrieben erfolgten Lärmmessungen in
den relevanten Betriebsteilen, so dass
oft umfangreiche Ermittlungen in Einzelfällen nicht mehr erforderlich sind.
Besteht der Betrieb noch, werden
die Arbeitsplatzbedingungen in einem
gemeinsamen Gespräch im Betrieb
(wenn vorhanden mit Beteiligung des
Betriebsrates) geklärt. Ist der Betroffene
nicht mehr berufstätig, erfolgt dieses
Gespräch entweder beim Betroffenen zu
Hause oder in der Verwaltung. Gemeinsam wird dann eine Anamnese erstellt:
Wo wurde wann wie gearbeitet? Welche
Stoffe können die vorliegende Erkrankung auslösen und wo könnte die Person
Kontakt genau zu diesen Stoffen gehabt
haben? Dies erfordert teilweise detektivische Arbeit.
Liegen keine Daten vor, kann eine Einschätzung auf der Grundlage möglicher
vergleichbarer Arbeitsplätze erfolgen.
Oft sind Einwirkungen auch bereits
aus anderen Verfahren bekannt, die für
einen neuen Fall mitberücksichtigt
werden können. Unabhängig von den
Aussagen der Betroffenen kann anhand
bekannter Daten die Einwirkung nachgewiesen werden.
Liegt eine Berufskrankheit vor, veranlassen die Unfallversicherungsträger die
erforderliche Therapie und stellen fest,
welche Leistungen zu erbringen sind.
Sie bleiben dann lebenslang Ansprechpartner für die Betroffenen.
CORINNA MAHLSTEDT
Die AOK Bremen/Bremerhaven als Kooperationspartnerin
des EU-Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung
von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
Berufskrankheiten-Management bei
der AOK Bremen / Bremerhaven
Die AOK Bremen/Bremerhaven beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem
Thema Berufskrankheiten. Auslöser war
die gesetzliche Grundlage, dass Krankenkassen für Leistungen im Zusammenhang mit Berufskrankheiten (BK) nicht
zuständig sind (Beitragszahler sind Versicherte und Arbeitgeber), Kostenträger für
diese Leistungen sind die Berufsgenossenschaften (Beitragszahler sind die
Arbeitgeber). Was zunächst als Erfüllung
eines gesetzlichen Auftrags begann, hat
sich über die Jahre zu einem fachlich
fundierten Management entwickelt, das
immer mehr auch dem einzelnen Betroffenen zugute kommt.
Im Hause der AOK Bremen/Bremerhaven wurde eine effiziente Organisation
in Form eines engmaschigen Netzwerkes
etabliert. In allen Bereichen, in denen
Leistungen gewährt werden (Krankenhausbehandlung, Reha-Maßnahmen,
Hilfsmittel, Krankengeld, Pflege usw.)
gibt es besonders geschulte Mitarbeiter,
die sogenannten BK-Ansprechpartner.
Außerdem gibt es zwei BK-Spezialisten,
die sich ausschließlich mit dem Thema
Berufskrankheiten befassen und über die
alle Aufgaben im Zusammenhang mit
Berufskrankheiten koordiniert werden.
Das Netzwerk der AOK Bremen / Bremerhaven erstreckt sich aber auch auf Stellen außerhalb des Hauses. Es wird eng
mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen und dem Landesgewerbearzt
zusammengearbeitet. Durch die Teilnahme an dem Projekt ›Wissenstransfer zur
präventiven Unterstützung von Betrieben
zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
hat sich dieses Netz immer mehr ausgeweitet, ist aber auch engmaschiger
geworden, so dass der AOK Bremen/Bremerhaven kompetente Ansprechpartner
auf medizinischer und auf arbeitstechnischer Basis zur Verfügung stehen.
Wirtschaftliches Arbeiten und Kundenservice schließen sich nicht aus. Ganz
besonders wichtig ist der AOK Bremen/
Bremerhaven die Unterstützung der
Betroffenen im BK-Feststellungsverfahren.
Von der Anzeige einer möglichen Berufskrankheit bis zum Abschluss des Feststellungsverfahrens (zum Teil auch darüber
hinaus) steht die AOK ihren Versicherten
als kompetente Ansprechpartnerin zur
Seite. Es wird über die Hintergründe
einer Berufskrankheit aufgeklärt:
❚ Worauf begründet sich der Berufskrankheitenverdacht?
❚ Was ist eine Berufskrankheit?
❚ Welche Voraussetzungen müssen
erfüllt sein?
❚ Welche Vorteile kann die Anerkennung
dem Betroffenen bringen?
❚ Wie läuft das Feststellungsverfahren? ...
Für Betroffene, die sich plötzlich mit
einer Fülle von Fragen und Bürokratie konfrontiert sehen, ist dies oft
eine wertvolle Hilfe. Darüber hinaus helfen die Spezialisten der AOK ihren Versicherten auch beim Ausfüllen der Fragebögen der Berufsgenossenschaften. Mit
Hilfe von archivierten Mitglieds- und
Krankheitszeiten kann in vielen Fällen
das gesamte Berufsleben nachvollzogen
werden. In persönlichen Gesprächen –
auch in Form von Hausbesuchen – werden die Fragen der Berufsgenossenschaft
so genau wie möglich beantwortet, um
die Chance auf die Anerkennung einer
Berufskrankheit zu erhöhen. Da die
Beweislast immer noch bei den Betroffenen liegt, ist die ausführliche Darlegung
aller maßgeblichen Tatsachen (ausführliche Arbeitsanamnese) die unverzichtbare Grundlage für die Prüfung einer
Berufskrankheit.
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BERUFSKR ANKHEITEN
Zur Verdeutlichung: Stellen Sie sich vor,
Sie bekommen heute einen Fragebogen
und sollen Ihren gesamten beruflichen
Werdegang seit dem ersten Tag Ihrer
Beschäftigung schildern, und zwar mit
Angabe
❚ aller Arbeitgeber mit genauem
Beschäftigungszeitraum
❚ aller Arbeitsplätze
(genaue Ortsangabe im Betrieb)
❚ der ausgeführten Tätigkeiten
(genaue Beschreibung der
einzelnen Tätigkeiten).
❚ Wie oft pro Schicht wurde jede
einzelne Tätigkeit ausgeübt?
❚ Welche Körperhaltung wurde
dabei eingenommen?
Wie oft pro Arbeitsschicht?
❚ Mit welchen Gefahrenstoffen hatten
Sie Kontakt? Wie oft und lange pro
Arbeitsschicht?
❚ Trugen Sie Schutzkleidung?
Aus welchem Material?
Wie lange pro Arbeitsschicht?
❚ Was wurde am Nachbararbeitsplatz
gemacht?
PR AXIS
Mit Hilfe Ihrer Unterlagen und den Aufzeichnungen im Betrieb ist das vielleicht
noch zu schaffen.
Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind seit
vielen Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, Sie sind über 70 Jahre alt
und krank. Ihre Erwerbstätigkeit begann
kurz nach dem zweiten Weltkrieg.
Viele der Firmen, in denen Sie gearbeitet
haben, gibt es nicht mehr. Der Lohn
wurde meistens bar ausgezahlt, Unterlagen über Beschäftigungen sind nicht
vorhanden.
Genau in dieser Situation befinden
sich viele Betroffene von Berufskrankheiten. Ein Beantworten der Fragen der
Berufsgenossenschaften ist oft einfach
unmöglich – der Fragebogen landet im
Papierkorb, eine Berufskrankheit wird
gar nicht erst geprüft.
Um das zu vermeiden, versuchen an dieser Stelle die Spezialisten der AOK mit
ihrer Erfahrung und gezielten Fragestellungen zu helfen. Es ist erstaunlich,
welche Erinnerungen geweckt werden,
wenn gezielte Fragen zu den einzelnen
Beschäftigungen gestellt werden. Auf
diese Weise können die Fragen der
Berufsgenossenschaften letztendlich
doch beantwortet und das Feststellungsverfahren durchgeführt werden.
Sehr häufig geht es bei den beantragten Berufskrankheiten um asbestbedingte Erkrankungen. Diese Tatsache hat die
AOK Bremen/Bremerhaven dazu bewegt,
ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt
durchzuführen:
Die ›Digitale Hafenkarte‹
Das Thema ›Asbest‹ ist im Lande Bremen
von großem Interesse. Der Bremer Hafen
war seit den 50er Jahren der HauptUmschlagplatz für losen Asbest und somit lag dort auch eine Hauptursache für
Berufskrankheiten durch Asbest. Das
Gefährliche an diesem Stoff ist, dass er in
losem Zustand staubig ist und so nicht
nur für diejenigen gefährlich war, die
direkt damit gearbeitet haben. Auch
Leute, die im Umfeld tätig waren (sogenannte Bystander), haben diese Stäube
eingeatmet und können ebenfalls an
Asbestose erkranken. Diese Betroffenen
haben aber das Problem, der Berufsgenossenschaft zu beweisen, dass ihre
Krankheit tatsächlich durch die berufliche Tätigkeit hervorgerufen wurde,
denn sie haben ja schließlich nicht selbst
mit Asbest gearbeitet.
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65
BERUFSKR ANKHEITEN
Diese Problematik hat die AOK Bremen/
Bremerhaven zum Anlass genommen,
ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt
zu starten, um den Betroffen bei der
Beweisführung gegenüber den Berufsgenossenschaften zu helfen.
In mühevoller Recherche hat die AOK
Bremen/Bremerhaven Daten über das
Asbest-Vorkommen im Bremer Hafen
gesammelt und Beweise dafür gesichert.
In Museen, Archiven, Vereinen, Unternehmen, Behörden, Weser-Kurier und
Instituten wurde an insgesamt 45 Stellen
recherchiert. Gefunden wurden unter
anderem ›Schuppenkontrollbücher‹,
›Wochen-, Monats- und Jahresübersichten
der Weserhafenbehörde‹, ›Bremer Schiffsliste‹, ›Bremer Schiffsbewegungen – zu
erwartende Schiffe‹.
Insgesamt konnten 202 Schiffe mit
Asbest-Ladung für den Zeitraum 1950 bis
1966 dokumentiert werden. Auch die
Angaben über Schiffsankünfte, Liegeplätze und Abfahrtshäfen konnten neben der
Ladung (auch Menge) gesichert werden.
Zusätzlich wurden mit knapp einhundert Hafenarbeitern Interviews durchgeführt, die der AOK Bremen / Bremerhaven
detaillierte Angaben zum Asbestkontakt
für den Zeitraum 1946 bis 1992 benennen konnten.
All diese Angaben und gesicherten
Beweise wurden nun in eine digitale
Hafenkarte übertragen. Die endgültige
Programmierung läuft zurzeit.
Erhält die AOK Bremen/Bremerhaven
weitere gesicherte Hinweise, werden
diese natürlich weiter in die Hafenkarte
eingearbeitet.
PR AXIS
Mit dieser Karte möchte die AOK Bremen/Bremerhaven den Betroffenen
helfen, einen beruflichen Asbest-Kontakt
gegenüber der Berufsgenossenschaft zu
beweisen und somit die Chance auf
die Anerkennung einer Berufskrankheit
erhöhen.
Im Rahmen der Arbeitsschutzkonferenz zum Recht der Berufskrankheiten
wurde die Hafenkarte im Oktober 2012
von der AOK Bremen/Bremerhaven im
Speicher XI vorgestellt. Der Zuspruch in
den Medien war enorm und hat zu vielen
Anfragen von Betroffenen und Interessierten bei der AOK geführt.
Ergebnisse des Projekts
›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹
aus Sicht der AOK Bremen /
Bremerhaven
Durch die Teilnahme an dem aus
Mitteln der EU geförderten Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung
von Berufskrankheiten‹ hat sich unsere
ursprüngliche Intention bestätigt:
Gemeinsam sind wir stärker!
Es hat sich gezeigt, dass Stärken und
Schwächen an verschiedenen Stellen
bestehen. Durch den Erfahrungsaustausch konnten gemeinsam ganz neue
Wege beschritten werden, um den von
Berufskrankheiten Betroffenen zu helfen.
Im Projekt wurde z. B. zusammen mit
Ärzten aus Lungenkliniken in und um
Bremen ein Patientenfragebogen entwickelt, der auf möglichst einfache Weise
den Ärzten in den Krankenhäusern dabei
helfen soll, Berufskrankheiten zu erkennen und bei den Berufsgenossenschaften
anzuzeigen. Wir erhoffen uns damit, die
Dunkelziffer der nicht erkannten bzw.
nicht gemeldeten Berufskrankheiten zu
senken.
Nicht zuletzt profitieren wir natürlich
von dem aufgebauten Netzwerk. Der
Kontakt zu den Berufsgenossenschaften
wurde verbessert, der Kontakt zur Berufskrankheiten-Beratungsstelle bei der
Arbeitnehmerkammer in Bremen-Nord
besteht seit ihrer Einrichtung im Mai
2011. Bei Fragen zu arbeitsmedizinischen
oder arbeitstechnischen Problemen
stehen uns jetzt die entsprechenden
Projektteilnehmer hilfreich zur Seite.
Was bringt die Zukunft?
Die große Hoffnung aller Teilnehmer des
Projekts ist, dass das Thema Berufskrankheiten nach Projektende nicht in der
Versenkung verschwindet. Das Thema
sollte durch regelmäßige Treffen (›Runder Tisch‹) ›am Kochen‹ gehalten werden,
um weitere Ideen und Visionen zu entwickeln und einen Erfahrungsaustausch
aller beteiligten Stellen zu gewährleisten.
Dank des EU-Projektes ist das Thema
Berufskrankheiten in Bremen auf breiter
Basis als wichtiges Thema wahrgenommen worden, das Einsatz und Engagement im Sinne der Kranken verdient hat.
Es wurde ein Netzwerk aufgebaut und
viele gute Maßnahmen auf den Weg
gebracht, die hoffentlich in der Zukunft
weiter ausgebaut werden. Im Mittelpunkt steht hierbei immer der betroffene Mensch.
Die AOK Bremen/Bremerhaven ist
immer präsent und wird auch weiterhin
an Veranstaltungen zum Thema Berufskrankheiten teilnehmen und ihren Versicherten beim Thema Berufskrankheiten
als verlässlicher Partner zur Seite stehen.
Als die AOK Bremen/Bremerhaven
gefragt wurde, ob sie an dem EU-Projekt
teilnehmen würde, stellte sich zunächst
einmal die Frage: Welchen Nutzen haben
wir von der Teilnahme? Auf dem Gebiet
des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist die AOK schon seit Jahren aktiv
und auch die Beratung von Versicherten,
die von Berufskrankheiten (BK) betroffen
sind, läuft seit vielen Jahren sehr intensiv. Was waren also die Vorteile einer
Teilnahme?
Nach einigen Überlegungen und Abwägungen kamen wir dann zu dem Schluss,
dass wir gemeinsam nur noch stärker
werden können! Also nahmen wir an
14 Sitzungen, Veranstaltungen und Diskussionsrunden teil und stellten unter
anderem mit zwei Präsentationen die
Tätigkeiten der AOK Bremen/Bremerhaven zum Thema Berufskrankheiten vor.
Insgesamt haben wir uns mit über
90 Arbeitsstunden an dem Projekt beteiligt. Es gab zwei Themenkreise: fachlich
und praktisch und politisch und strategisch. In beiden Themenfeldern hat
die AOK Bremen/Bremerhaven die Projektarbeit engagiert unterstützt.
Wir haben aber nicht nur Wissen und
Arbeit eingebracht, sondern auch von
dem Projekt profitiert. Durch die Ausweitung unseres ›BK-Netzwerks‹ können
wir unsere Versicherten jetzt noch kompetenter beraten und haben die Möglichkeit, auf Ansprechpartner aus vielen
Fachbereichen zurückzugreifen.
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BERUFSKR ANKHEITEN
❚ Die Hafenkarte der AOK Bremen/Bremerhaven: Rot markiert sind die Bereiche
und Gebäude, wo nachweislich Asbest umgeschlagen und gelagert wurde.
PR AXIS
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
HARM EHMKE
Die Arbeitsweise in den Renten- und
Widerspruchsausschüssen aus Sicht der
Versicherten verbessern!
Ein ›Herzensanliegen‹ ist es mir darauf
hinzuweisen, dass sich die Arbeitsweise
in den Renten- und Widerspruchsausschüssen sowie die Zusammenarbeit
dieser Ausschüsse mit den Selbstverwaltungsorganen ändern müssen.
Denn überwiegend befinden sich die
Renten- und Widerspruchsausschussmitglieder der Versichertenseite in einer
isolierten Situation. Sie haben häufig keinen systematisch organisierten Kontakt
zu dem Vorstandsorgan, welches ja die
Rentenausschussmitglieder entsendet.
Demzufolge besteht kaum ein Informationstransfer aus dem Geschehen im Rentenausschuss zu den Vorstandsmitgliedern der Versichertenbank. Aufgrund
dieser Kommunikationslücke kann im
Vorstand auch kaum ein inhaltlicher
Disput über die Auffälligkeiten zu Versicherungsvorgängen – insbesondere zu
BK-Vorgängen – entstehen.
Ebenso ist die Feststellung leider zu
treffen, dass viele Kolleginnen und Kollegen in den Renten- und Widerspruchsausschüssen kaum schriftlich aufzeichnen, was an Auffälligkeiten in den Sitzungen auftritt. Das mag vielleicht mit
erklären, dass es dem Thema ›Berufskrankheiten‹ an Lebhaftigkeit oder gar
Lebendigkeit mangelt. Zwar beklagen wir
alle diesen momentanen Zustand, aber
es ist auch nicht erkennbar, wann das
Nischendasein des Themas ›Berufskrankheiten‹ überwunden sein wird. Gerade
aus der Historie der BK-Verdachtsanzeigenentstehung aber können wertvolle
Erkenntnisse über Präventionsansätze
zur zukünftigen Vermeidung von schädigenden Arbeitsbedingungen gewonnen
werden, wenn denn diese Erkenntnisse
aufgezeichnet und in geeigneter Form
im BG-System verarbeitet würden.
Darum schlage ich vor: Unbedingt sollten die Mitglieder in den Renten- und
Widerspruchsausschüssen obligatorisch
bei Sitzungen nach der Gefährdungsbeurteilung in den Betrieben fragen, in
denen unsere geschädigten Kolleginnen
und Kollegen tätig gewesen sind. Darüber hinaus ist von der Verwaltung zu
erwarten, dass in der Akte der betroffenen Versicherten auch ein geeignetes
Dokument zur durchgeführten Gefährdungsbeurteilung enthalten ist. Denn
die nach wie vor bestehenden Unzulänglichkeiten im Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben müssen konkret
sichtbar gemacht werden.
Wenn nicht von Selbstverwaltungsmitgliedern bei entsprechenden Versicherungsvorgängen, von wem denn
dann? Meine überwiegenden Erfahrungen sind die, dass die BG-Verwaltung bei
der Behandlung von Unfall- und BK-Verdachtsanzeigenvorgängen immer noch
keine wirkungsvolle Prozesssystematik
zur nachhaltigen Mängelvermeidung in
den Mitgliedsbetrieben etabliert hat. Die
Zusammenarbeit zwischen Reha- und
Präventionsbereich bei der Bearbeitung
von Unfall- und BK-Verdachtsanzeigenvorgängen wird nicht durchgängig und
nachhaltig praktiziert, wenn sie denn
überhaupt gelebt wird. Es ist eher dem
Zufall geschuldet, wenn denn aufgrund
einer Renten- oder Widerspruchssausschusssitzung dem Präventionsbereich
Informationen über Mängel im betrieblichen Arbeitsschutz zugeführt werden.
Die Verwaltung muss von den ehrenamtlichen Renten- und Widerspruchsausschussmitgliedern anhand konkreter
Vorgänge angeregt werden, unverzüglich
auf die Mitgliedsbetriebe in geeigneter
Form einzuwirken. Und genau darüber
sind die Vorstandsmitglieder zu informieren. Nur dann kann im Vorstand eine
qualifizierte Auseinandersetzung zu
den auffälligen Versicherungsvorgängen
stattfinden und die Verwaltung zu einer
Veränderung ihres Wirkens auf die entsprechenden Mitgliedsbetriebe gedrängt
werden. Täte man das systematisch,
würde auch eines Tages Nachhaltigkeit
zu spüren sein. So bedauerlich es ist,
dass die Mehrheit der Vorgänge in den
Renten- und Widerspruchsausschüssen
nach den geltenden Regeln nicht im
Sinne der geschädigten Versicherten entschieden werden kann, umso mehr muss
das Präventionswirken durch die BG
auf die jeweiligen Mitgliedsbetriebe zur
Geltung kommen. Nur so kann für die
Zukunft eine wirkungsvolle Schadensvermeidungsstrategie aus den vorliegenden
Vorgängen entwickelt werden.
Die Konfliktbereitschaft, aber auch die
Konfliktfähigkeit unserer eigenen Kolleginnen und Kollegen in der Selbstverwaltung zum Umgang mit den auffälligen
Versicherungsvorgängen sowie im
Umgang mit der BG-Verwaltung muss
allerdings auch verbessert werden. Wir
müssen als Vertreterinnen und Vertreter
der Versichertenbank in den Gremien
der gesetzlichen Unfallversicherung
mutiger werden, wenn wir den gegenwärtigen Zustand beklagen.
Ich meine: Der Zustand muss verbessert werden, und er kann nur durch uns
selbst verändert werden.
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
TUKU ROY-NIEMEIER
›Hautschutz bei der Arbeit – machen Sie
es wie die Profis!‹ – Ein Beispiel für
erfolgreichen Wissenstransfer in die Betriebe
Am besten:
Vorbeugen!
Handlungsmöglichkeiten im Betrieb
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Im Jahr 2011 wurden im Land Bremen
1118 Berufskrankheiten-Anzeigen gestellt
– fast ein Drittel davon, nämlich 345
Fälle, entfielen auf eine berufsbedingte
Hauterkrankung (BK 5101). Das Handwerk ist besonders betroffen, denn bei
Friseurinnen und Friseuren, bei Beschäftigten im Metall- und Baubereich sowie
bei Malern und Lackierern, daneben
aber auch bei Reinigungspersonal
kommt es am häufigsten zu Hauterkrankungen durch die Arbeit – Grund genug
für die Handwerkskammer Bremen, sich
für eine gute Prävention einzusetzen.
Im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer
zur präventiven Unterstützung von
Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ wurde ein Konzept zur
gezielten Ansprache von Bremer Handwerksbetrieben erarbeitet. Gemeinsam
mit der Friseurinnung Bremen, dem Landesgewerbearzt Bremen und der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst
und Wohlfahrtspflege sollten Friseurbetriebe zur Verbesserung des Arbeitsschutzes, insbesondere des Hautschutzes
angesprochen werden.
Das Handwerk ist durch eine überwiegend kleinbetriebliche Struktur geprägt.
Waren vor zehn Jahren noch bundesweit
durchschnittlich acht bis elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Handwerksbetrieb beschäftigt, liegt Bremen
aktuell mit ca. 30.000 Beschäftigten im
Bundestrend von sechs Mitarbeitern je
Betrieb. Das bedeutet, dass relativ wenige
Ressourcen für den Arbeitsschutz in den
Unternehmen zur Verfügung stehen,
auch im Friseurhandwerk. In der Regel
sind hier die Betriebsinhaberinnen und
-inhaber selber nicht nur die Verantwortlichen, sondern auch die ›Kümmerer‹
in den Betrieben.
Für die Berufsgenossenschaft und für
die staatliche Gewerbeaufsicht ist es
trotz intensiver Tätigkeit kaum zu schaffen, alle 587 Friseurbetriebe im Land
Bremen zu besuchen und die Inhaberinnen und Inhaber zu beraten. Deshalb
wurde ein besonderer Weg gewählt, den
Gesundheitsschutz den Friseurbetrieben
zu vermitteln: Die jährlich stattfindende
›Hair Fashion‹, eine von der Bremer Friseurinnung organisierte sehr wichtige
Veranstaltung, in der die Jahresbesten
des Gewerks gekürt und neue Frisurentrends präsentiert werden, wurde zum
Anlass genommen, das Thema‹ Hautschutz‹ so aufzubereiten, dass vorbildliche Regelungen in prominenten Bremer
Friseurbetrieben dargestellt wurden.
In einer Computer-unterstützten
Präsentation stellten drei Friseurmeisterinnen aus dem Vorstand der Bremer
Friseurinnung ihre auf den Hautschutz
bezogenen Arbeitsschutzmaßnahmen
vor und betonten damit den hohen Stellenwert, den der Schutz der Gesundheit
für ein professionelles Arbeiten im
Handwerk haben muss.48 Diese Präsentation wurde während der Hair Fashion
2012 in Bremen-Vegesack an prominenter Stelle gezeigt. Sie fand sehr großen
Anklang und löste Diskussionen und
Nachfragen aus, wurde auch der Friseurinnung für die Weitergabe an die Mitgliedsbetriebe zur Verfügung gestellt
und bei anderen Veranstaltungen
gezeigt.
Im Focus stand weniger die Vermittlung von hautschädigenden Prozessen
(siehe Faktensammlung) und deren
Vermeidungsstrategien, sondern der
Impuls, die Prävention in den Friseurbetrieben als selbstverständlichen
Bestandteil professioneller Arbeit und
einer systematischen Betriebsorganisation umzusetzen und damit gesundheitsbewusstes Verhalten auch als Trend
an die Kundschaft zu vermitteln.
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73
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
›Gesunde Haut ist mir wichtig,
deshalb tragen alle in meinem Salon
die richtigen Handschuhe, ob beim
Waschen, Färben oder beim Putzen.‹
›Gesunde Haut ist mir wichtig,
im Hautschutzplan habe ich genau
festgelegt, welche Handschuhe
für welche Tätigkeiten richtig sind,
wie die Haut gereinigt und gepflegt
werden muss.‹
Salon Rita Höpfner
Salon N & G La Mirage de Coiffeur
Faktensammlung:
Berufsbedingte Hautbelastungen
Hautbelastend sind die Arbeitsbedingungen beispielsweise, wenn mit chemischen Substanzen wie Färbemitteln,
Stäuben, Säuren oder Laugen oder auch
Reinigungsmitteln umgegangen werden
muss. Auch Arbeiten in Nässe oder im
feuchten Milieu sowie aggressive Materialien wie Lösemittel und Verletzungen
durch raue, kantige oder scharfe Werkzeuge und Materialien können die Haut
reizen und schädigen. Wenn der Hautschutz bei der Arbeit fehlt oder mangelhaft ist, können sich dann – meist an
den Händen – entzündliche, rötliche
Hautreaktionen bilden, ein sogenanntes
Kontaktekzem. Neun von zehn berufsbedingten Hautkrankheiten sind Kontaktekzeme:
❚ Wenn schädigende Stoffe,
beispielsweise Laugen oder Säuren
direkt an die Haut gelangen:
Toxisches Kontaktekzem
❚ Durch eine oft langjährige
Einwirkung von hautschädigenden
Substanzen in nicht unmittelbar
hautreizender Konzentration:
Toxisch-degeneratives Kontaktekzem
❚ Wenn die Haut gegen einen Stoff,
beispielsweise Nickel, Chrom
oder Epoxidharz im Lauf der Zeit
überempfindlich geworden ist und
allergisch reagiert:
Allergisches Kontaktekzem.
In allen Fällen wird die Haut unumkehrbar geschädigt. So entfallen über die Jahre 2008 bis 2011 betrachtet bundesweit
durchschnittlich etwa ein Viertel der bei
der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege angezeigten Berufskrankheiten der Haut (BK
5101) auf die Friseurbranche.49 Doch nur
in den allerwenigsten Fällen wird die
Hauterkrankung auch als Berufskrankheit anerkannt.
Angenommen, dass wie im Bund etwa
ein Viertel der Anzeigen auf Verdacht
einer berufsbedingten Hauterkrankung
(BK 5101) auf das Friseurhandwerk entfällt, wären im Land Bremen bei 314 Fällen in 2011 etwa 80 Friseurinnen oder
Friseure betroffen. Im Jahr 2011 wurde
im Land Bremen, bezogen auf die BK
5101, in zwei Fällen eine BK-Rente neu
gezahlt, sechs Fälle wurden ohne Zahlung einer BK-Rente anerkannt, in
49 Fällen wurde der BK-Verdacht nicht
bestätigt.50 In 174 Fällen wurde er
bestätigt, es waren aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht
erfüllt, weil die Betroffenen in ihrem
Beruf weitergearbeitet hatten: Denn es
besteht für einige Berufskrankheiten, so
auch bei der BK 5101, eine versicherungsrechtliche Hürde: Nur wenn die verursachende Tätigkeit aufgegeben wird, ist
auch die Voraussetzung dafür erfüllt,
dass die bestätigte BK anerkannt wird –
angesichts ungewisser Perspektiven auf
dem Arbeitsmarkt und für die soziale
Absicherung ein sicherlich für die
meisten schwerer Schritt.
Lediglich unter den genannten
174 Fällen in 2011 weist die Statistik der
DGUV für das Land Bremen acht Betroffene aus der Gruppe der Friseure aus, anerkannt oder gar entschädigt wurde hier
in dieser Berufsgruppe kein einziger Fall.
Wenn die Haut berufsbedingt geschädigt
ist, kommt zudem zunächst das sogenannte Hautarztverfahren in Gang: Ein
Senida Frisör-Salon
von der zuständigen Berufsgenossenschaft gesteuertes und finanziertes
Programm, in dem die Betroffenen oft
jahrelang beraten und vom Hautarzt
behandelt werden. Ziel ist es, dass die
Symptome abheilen und die Haut besser
geschützt wird. Wenn der Arbeitsund Hautschutz im Betrieb aber nicht
zugleich verbessert wird, kommt es
möglicherweise zum erneuten Auftreten
der Erkrankung, die chronisch werden
kann – dann lässt es sich nicht mehr
vermeiden, dass der Beruf nicht mehr
ausgeübt werden kann.
Wenn die auslösenden Belastungen
vermieden werden, können die Symptome abklingen – die Erkrankung an sich
kann jedoch nicht wieder ungeschehen
gemacht werden. Die Betroffenen müssen lernen, mit der geschädigten Haut
zu leben, was neben allen körperlichen
Beschwerden auch eine erhebliche seelische Belastung darstellen kann. Denn
die Haut und die Hände sind für unsere
Wirkung auf andere, für den Kontakt
mit anderen Menschen und für das
Selbstgefühl prägend. Dazu kommt der
Druck, eine andere Qualifikation zu
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BERUFSKR ANKHEITEN
erwerben und einen neuen Arbeitsplatz
zu finden. Den Wunsch- oder Traumberuf aufzugeben, fällt nicht leicht,
auch wenn dies im Fall einer Berufskrankheit von der Berufsgenossenschaft
finanziert und begleitet wird.
Deshalb ist eine zielgerichtete Prävention unverzichtbar – der Arbeitsschutz
im Betrieb muss funktionieren, damit es
nicht zu chronischen Hauterkrankungen
kommt. Ausgehend von einer systematischen Gefährdungsbeurteilung müssen
die erforderlichen Schutzmaßnahmen
ermittelt werden. Diese stehen in einer
Rangfolge, wie vom Arbeitsschutzgesetz
vorgegeben, und die Gefahren sind
an der Quelle anzugehen: Zunächst kommen technische und organisatorische
Maßnahmen in Betracht: Beispielsweise
indem mit nicht oder mit weniger belastenden Stoffen und Verfahren gearbeitet
wird. Wenn die technischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft
sind oder nicht ausreichen, kommen
personenbezogene Maßnahmen, wie
Schutzhandschuhe und Hautschutzmittel zum Einsatz. Je nach den vorliegenden Gefährdungen muss auch eine regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorge
durchgeführt werden. Die Ergebnisse der
Gefährdungsbeurteilung und die Schutzmaßnahmen sind zu dokumentieren,
und die betroffenen Beschäftigten müssen darüber unterrichtet werden, welche
Gefährdungen bei ihrer Arbeit bestehen
und wie sie dagegen geschützt werden:
❚ Benutzung von Einmalhandschuhen
mit ausreichend langer Stulpe
zum Haare waschen (z. B. aus Vinyl
oder Nitril), um das Hineineinlaufen
von Wasser in den Handschuh zu
verhindern
❚ Verwendung von Einmalhandschuhen
(z. B. aus Vinyl- oder Nitrilkautschuk)
zum Haare schneiden, Auftragen von
Chemikalien bzw. Kosmetika oder
Finish-Produkten etc.
❚ Verwendung von chemikalienfesten
Haushaltshandschuhen
(z. B. aus PVC oder Nitrilkautschuk)
für Reinigungsarbeiten im Salon
(auch im häuslichen Bereich)
PR AXIS
❚ Zur Reduktion des Schwitzens/
Okklusionseffektes Verwendung von
nahtfreien Baumwollunterziehhandschuhen bei längeren Handschuhtragezeiten, Wechsel spätestens
bei beginnender Durchfeuchtung
❚ Anwendung von Hautschutzmittel
zur Reduktion des Schwitzens/
Okklusionseffektes unter
Handschuhen, möglichst duftund konservierungsstofffrei
❚ Regelmäßige Hautpflege
(auch während der Arbeit) mit einem
möglichst duft- und konservierungsstofffreien Produkt
❚ Händereinigung (wenn nötig, möglichst selten) mit pH-hautneutralen,
seifenfreien, duft- und konservierungsstofffreien Produkten.
Die im Arbeitsschutz erforderlichen
Fachkenntnisse muss der Arbeitgeber
nicht selbst beherrschen, sondern er
kann sich fachkundig unterstützen
lassen. Dabei kann er den Betriebsarzt
und die Fachkraft für Arbeitssicherheit
heranziehen. Aber auch die zuständige
Berufsgenossenschaft und die staatliche
Gewerbeaufsicht können beim Arbeitsschutz unterstützen. Die Arbeits-,
Gesundheits- und Umweltschutzberatung der Handwerkskammer Bremen
berät ihre Mitgliedsbetriebe über die
gesetzlichen Vorgaben und Möglichkeiten, die sich hieraus ergeben. In vielen
Betrieben ist es beispielsweise durchaus
sinnvoll, dass die Betriebsinhaber sich
selber mit Hilfe der Berufsgenossenschaft schulen lassen, um den notwendigen Aufgaben des Gesundheitsschutzes
nachzukommen.
HENNING WRIEDT
Wie können Berufskrankheiten-Verfahren
für eine bessere Prävention genutzt werden?
Im Mittelpunkt von BerufskrankheitenVerfahren stehen stets die Frage der Anerkennung eines Gesundheitsschadens
einer oder eines Beschäftigten als arbeitsbedingt und die Entschädigung des Schadens. Nicht ausgeblendet werden sollte
jedoch die untrennbar mit dem Verfahren verknüpfte Frage, ob der betriebliche
Arbeitsschutz, mit dem einer Berufskrankheit (BK) vorgebeugt werden sollte,
ausreichend und wirksam war. Ein BKVerfahren kann immer auch als Anhaltspunkt dafür angesehen werden, dass
der betriebliche Arbeitsschutz Mängel
aufweisen könnte. Deshalb sollte es in
einem wirkungsvoll organisierten
Arbeitsschutzsystem für die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger
und der Länder eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, bereits die Einleitung
eines BK-Verfahrens zum Anlass zu
nehmen um zu prüfen, ob der betriebliche Arbeitsschutz in den von dem
Verfahren betroffenen Betrieben ausreichend und wirksam ist oder ob er möglicherweise Mängel aufweist.
Ausgehend von diesem Gedanken
wird im folgenden Beitrag zwei Fragen
nachgegangen:
❚ Werden BK-Verfahren ausreichend
für die Verbesserung der betrieblichen
Prävention genutzt?
❚ (Wie) lassen sich BK-Verfahren nutzen,
um die betriebliche Prävention zu
verbessern?
Angesichts der Entwicklungen der vergangenen zwanzig Jahre wird die erste
Frage mit einem ›sicherlich nicht‹ zu
beantworten sein. Auf staatlicher Seite
sind die Kapazitäten der Arbeitsschutzbehörden drastisch reduziert worden,
während auf Seiten der UV-Träger eine
Schwerpunktverschiebung von der Kontrolle hin zur Beratung vorgenommen
worden ist, ohne dass sich erkennen lässt,
wie Beratung und Kontrolle miteinander
verzahnt werden, damit Beratung nicht
unverbindlich und folgenlos bleibt.
Verschärfend kommt hinzu, dass es noch
immer keine abgestimmte Strategie
zwischen UV-Trägern und staatlichen
Aufsichtsdiensten gibt mit der sichergestellt wird, dass letztere betriebsbezogen
über BK-Ermittlungsverfahren informiert
werden, geschweige denn dass ihre eigenständigen Erkenntnisse über die betrieblichen Gegebenheiten systematisch
in die BK-Verfahren einbezogen werden.
Zwar ist das Thema ›Datenaustausch‹
auch Gegenstand der Gemeinsamen
Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA),
doch haben hier institutionelle Blockaden bisher erkennbare Fortschritte
behindert. Von Fachleuten der Bundesländer wird kritisiert, dass einige UVTräger datenschutzrechtliche Bedenken
geltend machen, die aus Ländersicht
nicht nachvollziehbar sind, da es sich bei
den fraglichen Informationen nicht um
personenbezogene Daten handelt. Vielmehr geht es um die Identifizierung von
Betrieben, in denen Ermittlungen im
Rahmen eines BK-Verfahrens angestellt
werden. Wie kann die als Teil der GDA
gesetzlich vorgegebene Festlegung eines
abgestimmten Vorgehens der für den
Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden und der UV-Träger bei der Beratung
und Überwachung der Betriebe, wie in
§ 20 a Abs. 2 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz
(ArbSchG) beschrieben, realisiert werden,
wenn selbst über eine derart elementare
Frage auch nach fünf Jahren noch
keine Verständigung erzielt worden ist?
Selbst in den Bundesländern, in denen
die Staatlichen Gewerbeärzte noch über
Arbeitskapazitäten verfügen, um sich
über die Ermittlungsergebnisse von
BK-Verfahren informieren zu lassen, ist
damit keineswegs gewährleistet, dass
die in den Verfahren gewonnenen Ermittlungsergebnisse den staatlichen Aufsichtsdiensten zugänglich gemacht werden. Es ist nicht erkennbar, dass die
Aufsichtsdienste der Länder gegenwärtig
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BERUFSKR ANKHEITEN
die Möglichkeit erhalten, BK-Verfahren
systematisch als Anknüpfungspunkte
für eine gezielte Identifizierung betrieblicher Arbeitsschutzdefizite zu nutzen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen
Diskussion in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz über die Grundsätze
für eine risikoorientierte Überwachung
einschließlich eines einheitlichen
Beschwerdemanagements ist dies erst
recht nicht nachvollziehbar, da jede
BK-Verdachtsanzeige als eine implizite
Beschwerde anzusehen ist und sie deshalb von den Arbeitsschutzverwaltungen
der Länder registriert und entsprechend
behandelt werden sollte.
Wie sieht es nun bei den Aufsichtsdiensten der verschiedenen UV-Träger
aus? Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus der Selbstverwaltung lassen
zwar erkennen, dass in einigen Unfallversicherungen BK-Verfahren durchaus zum
Anlass genommen werden, um einen
genaueren Blick darauf zu werfen, ob der
betriebliche Arbeitsschutz in den jeweiligen Betrieben Mängel aufweist. Beispielsweise gibt es im Bereich der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medien-
PR AXIS
erzeugnisse (BG ETEM) seit mehreren
Jahren eine interne Dienstanweisung
über das Zusammenwirken von Bezirksverwaltungen und Präventionsabteilung
bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Es ist aber nicht zu erkennen, dass
die Verzahnung von BK-Verfahren und
Überprüfung des betrieblichen Arbeitsschutzes Praxis der Mehrheit, geschweige
denn aller UV-Träger ist. Lediglich für
zwei Berufskrankheiten (BK 2301 Lärmschwerhörigkeit und BK 5101 berufsbedingte Hauterkrankung) gibt es seitens
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) festgelegte Verfahren,
um die Präventionsabteilungen mit einzubinden.
Im Folgenden wird an zwei aktuellen
Beratungsprozessen der Hamburger
Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit beispielhaft illustriert, welche Unterschiede
seitens der UV-Träger bei der Nutzung
von BK-Verfahren für die Verbesserung
der Prävention bestehen.
Lungenfibrose eines Schweißers
Als Teil der BK-Anzeige, die der erkrankte
Kollege selber gestellt hat, sind der zuständigen Berufsgenossenschaft medizinische Diagnosen übermittelt worden, in
denen eindeutig der ›Verdacht auf Lungenfibrose, Schweißerlunge‹ formuliert
war. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurde dieser Verdacht durch zusätzlich übermittelte medizinische Unterlagen erhärtet. Aus dem Anhörungsbogen
des erkrankten Schweißers ging zudem
hervor, dass er seit 35 Jahren täglich
etwa neun Stunden Schweißarbeiten ausgeführt hatte. Im Anhörungsbogen des
Unternehmens war ergänzend angegeben, dass zu keinem Zeitpunkt betriebliche Messungen der Schweißrauchbelastungen durchgeführt worden waren.
Ausgestattet mit diesem Vorwissen
hatte die Technische Aufsichtsperson
der BG die Arbeitsplatzexposition zu
ermitteln. Die durchgeführte Ermittlung beschränkte sich ausschließlich
auf ein persönliches Gespräch mit dem
Schweißer. Weder fand eine Besichtigung
des durchaus noch vorhandenen Arbeits-
platzes in der Schweißerei statt, in der
mehr als 30 Schweißer arbeiten, noch
wurde Einsicht in die Dokumentation
der Gefährdungsbeurteilung des Unternehmens genommen oder gar Arbeitsplatzmessungen veranlasst. Ohne vor Ort
gewesen zu sein, unterstellte die Aufsichtsperson, dass alle Schweißarbeitsplätze abgesaugt seien, und kam so zu
der durch keine Tatsachen gestützten
Beurteilung, dass ›von Grenzwerteinhaltungen‹ ausgegangen werden könne.
Gestützt auf diese Bewertung wurde im
Feststellungsverfahren die Anerkennung
der Lungenfibrose, die im von der BG
beauftragten medizinischen Gutachten
als Siderofibrose/Schweißerlunge ausgewiesen wird, als Berufskrankheit (BK
4115) abgelehnt, da die erforderlichen
›arbeitstechnischen Voraussetzungen‹
nicht gegeben seien.
Das Augenmerk soll hier nicht auf die
Folgen der völlig inakzeptablen Expositionsermittlung für das BK-Verfahren
selber und damit für den erkrankten Kollegen gelenkt werden, da eine Korrektur
der Entscheidung im Widerspruchsverfahren durchaus möglich erscheint –
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79
BERUFSKR ANKHEITEN
trotz der extrem hohen Belastungsanforderung für die Anerkennung einer BK
4115. Vielmehr sollen die – unterbliebenen – Konsequenzen für die Prävention
und damit für die weiterhin unter unzureichenden Arbeitsschutzbedingungen
arbeitenden übrigen Kollegen in den
Blick genommen werden: Bereits die
Aktenlage (Selbstauskunft des Unternehmens: keine Expositionsmessungen)
weist auf Arbeitsschutzdefizite hin.
Dies hat der erkrankte Schweißer im
Gespräch mit der Beratungsstelle
bestätigt (nicht vorhandene Arbeitsplatzabsaugungen, nur zeitweilig genutzte
Hallenlüftung). Eine Besichtigung bzw.
eine Revision des Betriebes hätte eine
Selbstverständlichkeit für die BG sein
müssen, nähme sie ihren Präventionsauftrag nach § 1 SGB VII ernst – arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen
geeigneten Mitteln zu verhindern.
Das Unterlassen einer Intervention
in dem Betrieb seitens des Aufsichtsdienstes der BG kann deshalb nur als grobe Pflichtverletzung und als billigende
Inkaufnahme der Schädigung der Gesundheit der übrigen Schweißer bewertet werden.
Weißfinger-Krankheit
durch Reparaturarbeiten
an Bussen und Bahnen
Angestoßen durch eine Beratungsanfrage
mehrerer Kollegen, die offensichtlich
unter Gelenkerkrankungen der Hände
bzw. einer beginnenden WeißfingerKrankheit leiden (BK 2103 und BK 2104),
ist die Beratungsstelle vor kurzem auf
eine Gesundheitsgefährdung gestoßen,
die seit mehreren Jahren an speziellen
Arbeitsplätzen auftritt und mit der sich
bereits seit etwa 2009 Fachleute der
UV-Träger intensiv befassen.
Ursächlich für die Erkrankungen im
Bereich der Hände sind Schwingungsbelastungen bei der Benutzung spezieller
Werkzeuge, sogenannter Oszillationsmesser (oder Vibrationsmesser), mit
denen eingeklebte Scheiben bei der Reparatur von Bussen und Bahnen gelöst werden. Nachdem erstmals 2008 mehrere
Anzeigen auf Verdacht einer solchen
Berufskrankheit von Beschäftigten eines
Betriebes angezeigt worden waren, ist
die betreffende Berufsgenossenschaft –
die ehemalige BG Bahnen, die jetzt Teil
PR AXIS
der Verwaltungs-BG (VBG) ist – gemeinsam mit dem Institut für Arbeitssicherheit (IFA) der DGUV aktiv geworden und
hat Vibrationsmessungen an den betreffenden Arbeitsplätzen vorgenommen.
Die Ergebnisse zeigten erschreckend
hohe Schwingungsbelastungen im
Bereich der Hände. Sie wurden daraufhin 2010 im Rahmen einer IFA-Veröffentlichung (›Aus der Arbeit des IFA‹) unter
dem Titel ›Hand-Arm-Vibration: Gefährdungsanalyse von Oszillationsmessern‹
publiziert. Ebenfalls zu diesem Thema
erschien im selben Jahr ein Beitrag in
der Zeitschrift ›ÖPNV / Bahnen – das
warnkreuz. Sicherheitsreport Spezial der
VBG‹ unter dem Titel ›Gesundheitsschutz: Auf Messers Schneide‹, in dem
Tipps für einen schonenden Umgang bei
der Verwendung von Schneidemaschinen gegeben werden.
Damit war das Thema für die damit
befassten Fachleute der UV-Träger aber
nicht beendet, zumal weitere BK-Anzeigen aus anderen Bus-Reparaturbetrieben
aufliefen. Dadurch wurde auch deutlich,
dass in den betroffenen Betrieben die
Gefährdungsbeurteilung in Bezug auf
Tätigkeiten mit Schwingungsbelastungen vielfach mangelhaft war. Seitdem
sucht die Projektgruppe nach technischen und organisatorischen Lösungen,
um derartige Belastungen zu reduzieren
oder durch Verwendung anderer Werkzeuge vollständig zu eliminieren. Ein
Ergebnis dieser Bemühungen ist 2012 in
einem weiteren Artikel in ›ÖPNV/Bahnen
– das warnkreuz‹ unter dem Titel
›Schwer auf Draht: Schneidedrahtsysteme
minimieren Vibrationsbelastung‹ vorgestellt worden. Ziel der Arbeiten der
Projektgruppe ist die Herausgabe einer
umfassenden Handlungsanleitung für
den gesundheitsschonenden Ausbau
eingeklebter Scheiben.
Dem Gesundheitsproblem liegt eine
konstruktive Veränderung an Bussen
und Bahnen seit etwa den neunziger Jahren zugrunde: Für die immer größer –
und damit gleichzeitig schwerer – werdenden Scheiben, speziell die Frontscheiben von Bussen, reichten die früher verwendeten Gummidichtungen für eine
stabile Befestigung nicht mehr aus. Stattdessen wurden die Scheiben nun einge-
klebt. Damit entstand beim Ausbau der
Scheiben ein Arbeitsschutzproblem, das
allerdings erst Jahre später in Erscheinung trat, als Reparaturen an den Bussen
anfielen. Eine Methode zur Zerstörung
der Klebung war die Verwendung eines
erhitzten Drahtes. Hierbei entstanden
jedoch thermische Zersetzungsprodukte
des Klebers. Handelte es sich um einen
Kleber auf Polyurethan-Basis, konnten
sich dabei durchaus Isocyanate bilden,
die nicht nur stark atemwegsreizend
sind, sondern auch allergisches Asthma
verursachen können. Als Alternative zur
Vermeidung einer Gefahrstoffbelastung
kamen dann Oszillationsmesser zum
Einsatz.
Müssen nur gelegentlich Scheiben
ausgewechselt werden und wird daher
das Werkzeug nur sporadisch verwendet,
besteht keine sehr hohe Gefährdung –
die Messungen des IFA zeigen, dass der
untere Auslösewert für die tägliche
Belastung gemäß Lärm- und VibrationsArbeitsschutzverordnung nach sechs
Minuten, der obere Auslösewert nach weniger als 30 Minuten überschritten sein
kann. Gesundheitsschäden sind dann zu
erwarten, wenn die belastenden Tätigkeiten häufig verrichtet werden und die
Auslösewerte regelmäßig überschritten
werden. Dies ist nach den Beobachtungen der Fachleute vor allem dort der Fall,
wo die Reparaturarbeiten in Zentralwerkstätten durchgeführt werden oder einige
Beschäftigte auf das Auswechseln der
Scheiben spezialisiert sind.
Die Aktivitäten der UV-Experten
haben auch dazu geführt, dass einige
Hersteller von Bussen und Bahnen inzwischen konstruktive Änderungen an ihren
Fahrzeugen vorgenommen haben, die
einen gesundheitsschonenderen Ausbau
der Scheiben ermöglichen sollen. Allerdings weisen die Experten auch darauf
hin, dass das Lösen eingeklebter Scheiben nicht die einzige Tätigkeit ist, bei der
durch den Einsatz von Spezialwerkzeugen erhöhte Schwingungsbelastungen
auftreten. Dies ist beispielsweise der Fall
bei der Verwendung von Karosseriesägen
zum Entfernen von Plastik-Beplankungen
an Bussen, aber auch im Bau-Bereich
bei der Verwendung von Oszillationsmessern zum Lösen geklebter Fußbodenbeläge.
Aus Schaden klug?
Die beiden Beispiele werfen nicht nur
ein Schlaglicht auf das unterschiedliche
Handeln verschiedener UV-Träger, sondern liefern auch unmittelbare Anhaltspunkte für die Beantwortung der zweiten Eingangsfrage: Wie lassen sich BKVerfahren nutzen, um die betriebliche
Prävention zu verbessern?
Im Fall der Belastung an den Schweißarbeitsplätzen hätte seitens der Berufsgenossenschaft nicht nur die für das
BK-Verfahren zwingend erforderliche
fachgerechte Ermittlung der Schweißrauchexposition vorgenommen werden
müssen, sondern zum unmittelbaren
Schutz der anderen dort Beschäftigten
hätte zudem und unabhängig vom Ausgang des BK-Verfahrens das Vorhandensein einer Gefährdungsbeurteilung bzw.
deren Angemessenheit überprüft werden
müssen. Darüber hinaus hätte der Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft
die staatliche Gewerbeaufsicht informieren und ein koordiniertes Vorgehen
abstimmen müssen.
Im Fall der Belastung beim Auswechseln von Fensterscheiben an Bussen und
Bahnen liegt ein betriebsübergreifendes
Problem vor, das vergleichbare Tätigkeiten in allen Betrieben der entsprechenden Branchen betrifft. Es ist als beispielhaft zu begrüßen, dass das Problem
unmittelbar nach Eingang der ersten
BK-Anzeigen analysiert worden ist, die
gewonnenen Erkenntnisse umgehend
kommuniziert worden sind und an
einer nachhaltigen Lösung des Problems
gearbeitet wird.
Allerdings verbleibt ein Wermutstropfen: Es wäre auch wünschenswert gewesen, wenn diese Erkenntnisse zusätzlich
gezielt und zeitnah an die Aufsichtsdienste aller möglicherweise betroffenen
UV-Träger herangetragen worden wären
um diese so in die Lage zu versetzen, das
Problem in den Katalog ihrer aktuellen
betrieblichen Aktivitäten aufzunehmen.
So hätten die zwei Jahre seit der Identifizierung des Problems ebenfalls dazu
genutzt werden können, betroffene
Betriebe systematisch zu identifizieren,
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BERUFSKR ANKHEITEN
sie auf das Problem hinzuweisen und, bei
Interesse, in die Suche nach Lösungen
für die betroffenen Tätigkeiten einzubeziehen. In diesem Fall wäre ebenfalls
eine umgehende Information der
Gewerbeaufsichten aller Bundesländer
angezeigt gewesen.
Beide Fälle illustrieren, dass etliche
BK-Verfahren ein spezifisches Präventionspotential aufweisen, das unbedingt
für Verbesserungen des Arbeitschutzes
genutzt werden sollte. Andere BK-Verfahren, bei denen ein solches spezifisches
Präventionspotential nicht vorhanden ist,
können dennoch ein allgemeines Präventionspotential aufweisen, sofern der
Betrieb noch existiert, in dem die im
Rahmen des BK-Verfahrens untersuchten
Belastungen aufgetreten sind. Selbst
wenn die betreffenden Arbeitsplätze
nicht mehr oder nicht mehr in derselben
Form wie zu der für das BK-Verfahren
maßgeblichen Zeit bestehen, sollten
Arbeitsschutzdefizite, die für die damalige Zeit festgestellt worden sind, gleichwohl als Hinweis auf mögliche heutige
Unzulänglichkeiten angesehen werden,
völlig unabhängig davon, ob das BK-Verfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit geführt hat oder nicht. Wies
der Arbeitsschutz in der Vergangenheit
Mängel auf, dann sollte unbedingt
geprüft werden, ob sie inzwischen konsequent behoben worden sind.
Konkret sollten also nicht nur gegenwärtige Mängel, sondern auch solche der
Vergangenheit die Aufsichtsdienste veranlassen, sowohl einen genauen Blick
auf die aktuelle betriebliche Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG zu
werfen als sich auch erläutern zu lassen,
wie die in § 3 (2) ArbSchG geforderte
›geeignete Organisation‹ des Arbeitsschutzes betrieblich realisiert ist.
PR AXIS
Nachtrag
Der Diskussion des Entwurfs dieses Beitrages mit Kollegen verdanke ich einen
Hinweis auf ein Projekt der – damaligen
– Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt
am Main, über das 2004 in der Zeitschrift ›Die BG‹ berichtet worden ist51.
Mit dem Projekt wurde die Nutzung von
BK-Anzeigen für die Prävention angestrebt – sowohl für die oder den Erkrankten und somit für den Arbeitsplatz, wie
auch für den Gesamtbetrieb sowie, falls
möglich, für die Branche insgesamt.
Begrenzt war das Projekt auf angezeigte
Haut- und obstruktive Atemwegserkrankungen (BK-Nr. 5101 sowie 4301 und
4302). Die in dem Aufsatz zitierten
Grundsätze wie auch die Vorgehensweise
klingen vorbildlich und verdienten es,
wieder in Erinnerung gerufen zu werden.
Heute, mehr als acht Jahre später,
drängt sich fast zwangsläufig die Frage
auf, ob das Projekt zu einem Erfolgsmodell geworden und weiter verstetigt worden ist und seit dem Zusammenschluss
der Bau-BGen zur BG Bau deutschlandweit zur Anwendung kommt? In einem
Gespräch hat jetzt ein Kollege der BG
Bau auf den seinerzeit noch nicht vorhergesehenen Fusionsprozess der Bau-BGen
hingewiesen, durch den der Ansatz ausgebremst worden ist.
Wäre es jetzt nicht allmählich an der
Zeit den Stillstand zu überwinden, die
damaligen Ideen neu zu beleben – nicht
nur innerhalb der BG Bau, sondern
flächendeckend auf Ebene der DGUV,
und dabei den Ansatz gleichzeitig auf
weitere Listen-Berufskrankheiten auszudehnen? Der Autor dieses Beitrages ist
auf die Antwort der Verantwortlichen in
der BG Bau wie in der DGUV sehr
gespannt.
FRANK HITTMANN
Arbeitsmedizinische Vorsorge
Geschichtliches
Zu den ältesten Dokumenten, die beim
Landesgewerbearzt Bremen vorliegen,
zählen Regeln über die Durchführung
von Überwachungsuntersuchungen bei
Arbeitern in der Bleiverarbeitung. Die
›Verordnung über die Einrichtung und
den Betrieb von Anlagen zur Herstellung
von Bleifarben und anderen Bleiverbindungen‹ vom 31. Januar 1920 gibt
wichtige Arbeitsschutzmaßnahmen vor,
darunter auch eine Überwachungsuntersuchung der Arbeiter. Diese ärztliche
Überwachungsuntersuchung soll Anzeichen einer Bleivergiftung bei den Arbeitern aufdecken. ›Der Arzt muss jeden
Arbeiter vor der Einstellung untersuchen
und ihn dabei über die Gefahren der Bleierkrankung belehren‹. Darüber hinaus
gibt die Verordnung regelmäßige Untersuchungen der Arbeiter im Betrieb vor
(vierteljährlich oder häufiger). Finden
sich ›Anzeichen einer Bleierkrankung‹,
so ist ein Beschäftigungsverbot bis
zur ›völligen Genesung‹ auszusprechen,
besonders empfindliche Arbeiter sollen
dauernd von der Beschäftigung ausgeschlossen werden.
Im überblickbaren Zeitraum hat es
aber auch andere Denkweisen zum Thema Untersuchungen gegeben, ein prominenter Vertreter in der ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts war Gunther
Lehmann52. Mit dem Schlagwort ›Den
rechten Mann an den rechten Platz‹
beschreibt er eine Auslese bei den Arbeitern durch Eignungsprüfungen nach
rein körperlichen Gesichtspunkten und
geistigen Qualitäten. ›Menschenmaterial‹
wird typisiert, um ›aus einem gegebenen
Material eine Auslese zu treffen.‹ Und zur
vom Arzt getroffenen Beurteilung; ›Es
handelt sich stets um das Aussieben von
Minderwertigen‹. Dieses Vorgehen ist
damals wie heute nicht hinnehmbar und
ist keine arbeitsmedizinische Vorsorge,
arbeitsmedizinische Vorsorge soll den
Beschäftigten dienen und nicht in menschenverachtender Weise ›olympiareife‹
Belegschaften‹ aussieben. Allerdings
ist die Idee der Auslese auch später noch
vertreten worden, so schreibt Holstein
noch 194853 zu den Blei-Überwachungsuntersuchungen, ›Alkoholiker, Arteriosklerotiker, Syphilitische, Nierenkranke
sowie Tuberkulöse und Schwächliche …
sind von der Bleiarbeit auszuschließen‹
dagegen dürften ›Schrumpfnierenkranke
und Arbeiter mit beginnender chronischer Enzephalopathie54 … soweit möglich an ihrem Arbeitsplatz belassen werden, da eine Heilung nicht zu erwarten
ist …‹. Blei tritt als Gefahrstoff am
Arbeitsplatz auch heute noch auf, z. B.
als ›Bleimennige‹ an Stahlkonstruktionen. Wenn die Beschichtung an Brücken
oder Leitungsmasten erneuert werden
muss, kann eine erhebliche Einwirkung
auf die Beschäftigten bestehen, was
regelmäßige Untersuchungen und ein
Monitoring der Bleikonzentration im
Blut erforderlich werden lässt.
Moderne arbeitsmedizinische
Vorsorge
Was ist aus dieser Rückschau abzuleiten?
Die Zeit der Überwachungsuntersuchungen mit der Auslesewirkung sollte
Geschichte sein und bleiben. Sie hat mit
Sicherheit zu vielfältigen Benachteiligungen geführt und ist einer demokratisch verfassten freiheitlichen Gesellschaft unwürdig. Die Arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung55 (ArbmedVV)
fordert keine gesundheitliche Eignung
und legt die Entscheidung, welches
gesundheitliche Risiko eingegangen wird
in die Hand der Beschäftigten selbst. Die
arbeitsmedizinische Vorsorge kann aus
einer Anamnese und einer arbeitsmedizinischen Beratung bestehen. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit ist nur in
anderen Rechtsvorschriften (Druckluftverordnung, Bergrecht, Strahlenschutz)
82
83
BERUFSKR ANKHEITEN
gefordert. Moderne arbeitsmedizinische
Vorsorge soll die Beschäftigten im Hinblick auf die Gefahren am Arbeitsplatz so
früh wie möglich beraten und – wenn
die Untersuchung nach arbeitsmedizinischer Meinung erforderlich ist und nicht
durch die Beschäftigten abgelehnt wird –
erste Regelabweichungen vom Gesundheitszustand aufdecken, mit dem Ziel,
eine ernsthafte Erkrankung gar nicht
erst entstehen zu lassen. Hierzu wird in
erster Linie der Arbeitsplatz sicher gestaltet, auch im Interesse der anderen dort
Beschäftigten. Erst wenn dieses nicht
gelingt, ist durch den Arbeitgeber ein
anderer Arbeitsplatz zu suchen, bei dem
keine Gesundheitsgefahren bestehen. Die
Kündigung der oder des Beschäftigten
ist nicht Ziel der arbeitsmedizinischen
Vorsorge. Aus dem Regelwerk folgt auch,
dass die arbeitsmedizinische Vorsorge
nicht an erster Stelle steht, sie zählt zu
den ›individuellen Schutzmaßnahmen‹.
Vorrangig sind die Arbeitsplätze so zu
gestalten, dass gesundheitliche Risiken
nicht oder nur in geringem Maße bestehen – so verlangt es § 4 Arbeitsschutzgesetz.56 Die Notwendigkeit der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist im Rahmen
der Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(§ 5 Arbeitsschutzgesetz) durch den
Arbeitgeber mit zu prüfen. Die praktische Durchführung ist mit dem Betriebsarzt zu vereinbaren, bzw. bei Betrieben,
die an der ›Alternativen Betreuung‹ teilnehmen, ist ein entsprechender Auftrag
durch den Arbeitgeber zu erteilen.
Weitergehende Regelungen finden sich
in der DGUV Vorschrift 2.57 Auch die
arbeitsmedizinische Beratung der Beschäftigten auf kollektiver Ebene ist bei
der Gefährdungsbeurteilung festzulegen.
Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Bleiarbeitern findet sich – mit verfeinerten
Untersuchungsmethoden – auch im
aktuellen Regelwerk der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Durch Bestimmung der
Bleikonzentration im Blut kann allerdings eine bedenkliche Aufnahme von
Blei in den Körper der Beschäftigten so
frühzeitig erkannt werden, dass Krankheitszeichen nicht abgewartet werden
müssen. Ähnliche Untersuchungen gibt
es für viele andere Stoffe. Sind aus ärztlicher Sicht bessere Schutzmaßnahmen
am Arbeitsplatz erforderlich, sind diese
an den Arbeitgeber mitzuteilen (§ 6 Absatz 4 ArbmedVV). Bevor die Beschäftig-
PR AXIS
ten ihren Arbeitsplatz wechseln oder gar
verlieren, muss der Arbeitgeber seine Gefährdungsbeurteilung überprüfen und
unverzüglich die erforderlichen zusätzlichen Schutzmaßnahmen treffen (§ 8 ArbmedVV). Kann die Tätigkeit auch nicht
mit erweiterten Schutzmaßnahmen fortgesetzt werden, muss der Arbeitgeber
dem oder der Beschäftigten eine andere
Tätigkeit zuweisen. Nur bei individuellen
Risiken, die einen Tätigkeitswechsel
erfordern, muss der/die Beschäftigte der
ärztlichen Mitteilung an den Arbeitgeber
zustimmen. Bei diesen Fragen ist der
Betriebs- oder Personalrat zu beteiligen.
Benachteiligungen wegen individueller
Risiken sind weitgehend zu vermeiden
Rechtliche Regelung zur
arbeitsmedizinischen Vorsorge
Durch die bereits zitierte Verordnung
zur arbeitsmedizinischen Vorsorge
(ArbmedVV) wurden im Jahr 2008 verschiedene staatliche und berufsgenossenschaftliche Vorschriften zu einem einheitlichen Regelwerk zusammengefasst.
Regelungen zur arbeitsmedizinischen
Vorsorge finden sich aktuell aber auch
in weiteren Rechtsvorschriften:
❚ Arbeitszeitgesetz58 § 6 Absatz 2
❚ Strahlenschutzverordnung59 § 60
❚ Röntgenverordnung60 § 37
❚ GesundheitsschutzBergverordnung61 § 2
❚ Gesetz über Betriebsärzte,
Sicherheitsingenieure und andere
Fachkräfte für Arbeitssicherheit62
§ 3 Absatz 1 Nummer 2
Die Regelungen der Verordnung
zur arbeitsmedizinischen Vorsorge
An dieser Stelle sollen die Regelungen
der ArbmedVV näher erläutert werden.
Danach besteht arbeitsmedizinische Vorsorge verpflichtend aus Anamnese und
Beratung. Eine Untersuchung ist nur
dann geboten, wenn sie aus ärztlicher
Sicht erforderlich ist und die Beschäftigten nicht widersprechen.
Die Vorsorge wird unterschieden in
❚ Pflichtvorsorge – nur Untersuchte
dürfen beschäftigt werden
❚ Angebotsvorsorge – das Angebot
muss von den Beschäftigten
nicht angenommen werden
❚ Wunschvorsorge – die Beschäftigten
haben einen Anspruch nach § 11
Arbeitsschutzgesetz63, es sei denn ›auf
Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen ist nicht mit einem
Gesundheitsschaden zu rechnen.‹
dieses Biomonitoring im § 6 Absatz 2 ein,
jedoch nicht gegen den Willen der
Beschäftigten. Weitergehende Hinweise
bietet das Technische Regelwerk.65
nach dem Zeitpunkt
1. Arbeitsmedizinische Vorsorge vor
Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit
2. Arbeitsmedizinische Vorsorge
während einer bestimmten Tätigkeit
oder anlässlich ihrer Beendigung
3. Arbeitsmedizinische Vorsorge
nach Beendigung bestimmter Tätigkeiten, bei denen nach längeren
Latenzzeiten Gesundheitsstörungen
auftreten können.
Zur Wahrung der Fachkunde bei der
arbeitsmedizinischen Vorsorge dürfen
nur Ärztinnen oder Ärzte mit der Zusatzbezeichnung ›Betriebsmedizin‹ oder mit
der Facharztbezeichnung ›Arbeitsmedizin‹ beauftragt werden; bei Tropenaufenthalten ausnahmsweise eine Ärztin
oder ein Arzt für Tropenmedizin. Die
Ärztinnen oder Ärzte sind verpflichtet,
sich Kenntnisse über den individuellen
Arbeitsplatz zu verschaffen, bei der
arbeitsmedizinischen Vorsorge und
Untersuchung bestimmte Regeln einzuhalten, die Untersuchungsunterlagen
auszuwerten und die Untersuchungsergebnisse schriftlich zu fixieren. Zur
Beweissicherung, z. B. für spätere
Berufskrankheitenfragestellungen sind
die Unterlagen aufzubewahren, für
bestimmte Untersuchungen bis zu 40
Jahren66. Die Ärztin/der Arzt findet für
den Untersuchungsgang eine Hilfestellung bei den DGUV Grundsätzen für
arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen67. Mit den Nummern G 25
und G 41 enthält diese Sammlung
allerdings auch zwei Untersuchungsgrundsätze, die Eignungsuntersuchungen betreffen und deshalb nicht den
Regelungen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge unterliegen.
Pflicht- und Angebotsvorsorge sind durch
den Arbeitgeber vor und während der
Tätigkeit zu veranlassen. Sie sollen
während der Arbeitszeit erfolgen. Zum
Nachweis ist eine Vorsorgekartei zu
führen. Eine körperliche Untersuchung
ist nicht immer erforderlich, je nach
Situation am Arbeitsplatz kann auch
eine Beratung ausreichen. Bescheinigungen für den Arbeitgeber über die erfolgte
Teilnahme werden ohne Befund ausgestellt. Bei Angebotsvorsorge wird eine
Bescheinigung lediglich an die Beschäftigten gegeben. Eine Anleitung, wie Vorsorge angeboten werden kann, bietet
eine Arbeitsmedizinische Regel64, wichtig
ist, dass die Beschäftigten keine Nachteile durch Teilnahme oder Nichtteilnahme
erleiden dürfen.
Biomonitoring:
Wann und warum soll es erfolgen?
Schon am Beispiel der Bleiuntersuchungen war der Hinweis auf die Bestimmung
des Gefahrstoffes im Blut erfolgt. Ein solches ›Biomonitoring‹ ist für viele andere
Stoffe und Reaktionsprodukte im
menschlichen Körper ebenfalls möglich.
Es kann eine schädliche Einwirkung
schon dann aufzeigen, wenn Krankheitszeichen noch nicht erkennbar sind –
zum Nutzen für einzelne Beschäftigte. Es
kann aber auch einen grundsätzlichen
Verbesserungsbedarf für den Arbeitsschutz aufzeigen – zum Nutzen für alle
Beschäftigten, die von der Einwirkung
betroffen sind. Die ArbmedVV fordert
Welcher Arzt / welche Ärztin
darf die Vorsorge durchführen?
Wann ist eine Pflichtoder Angebotsuntersuchung
erforderlich?
Wann arbeitsmedizinische Vorsorge
stattfinden muss, findet sich im
Anhang der Verordnung, gegliedert
nach Tätigkeiten mit
❚ Gefahrstoffen
❚ biologischen Arbeitsstoffen
❚ physikalischen Einwirkungen
❚ sonstige.
Achtung!
§ 5 Abs. 2 der ArbmedVV verlangt
eine Angebotsuntersuchung
auch bei einem aktuellen beruflichen
Erkrankungsrisiko.
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85
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
nen Betrieben große Defizite bestehen –
ist anzunehmen, dass insbesondere in
kleinen Betrieben auch die Arbeitsmedizinische Vorsorge nicht bedacht wird.
Lücken werden auch durch eigene Beobachtungen bei der Aufsichtstätigkeit
deutlich. Offensichtlich besteht bei der
Vorsorge durch Betriebs-ärzte ein
mehrschichtiges Bild – in Abhängigkeit
vom jeweiligen Arbeitgeber.
Bei großen Arbeitgebern wird über die
vorgeschriebene Arbeitsmedizinische
Vorsorge hinaus vielfach eine allgemeine
Vorsorgeuntersuchung angeboten. Wird
dabei eine behandlungsbedürftige
Gesundheitsstörung aufgedeckt, erfolgt
eine Beratung der Beschäftigten, diese
sollen die Behandlung bei ihrem Hausarzt suchen. Bei unmittelbarer Gefahr
soll die Behandlung aber auch durch den
Betriebsarzt eingeleitet werden.
Arbeitsmedizinische Vorsorge
bei krebserzeugenden Stoffen
Welche Stärken und Schwächen
finden sich bei der
Arbeitsmedizinischen Vorsorge?
Wie oben schon ausgeführt sind die
Regelungen noch auf verschiedene
Rechtsvorschriften verteilt. Stärke der
Verordnung zur arbeitsmedizinischen
Vorsorge ist die Vereinheitlichung der
Vorsorge nach dem Arbeitsschutzgesetz.
Schwäche ist, dass die Regelungen nach
dem Arbeitszeitgesetz und im Strahlenschutz nicht einbezogen sind.
Eine Übersicht, welche Untersuchungen in den Betrieben in Deutschland
erfolgen, existiert nicht. Eine systematische Auswertung der bei der Vorsorgetätigkeit erhobenen Befunde soll
in den Betrieben erfolgen, damit die
Beobachtungen in die Beurteilung
der Arbeitsbedingungen einbezogen
werden können.
Bundesweit existiert nicht einmal
eine Statistik, welche Maßnahmen der
arbeitmedizinischen Vorsorge insgesamt
durchgeführt werden. Dabei wären
zusätzlich Auswertungen wie sie z. B. in
Frankreich beschrieben werden68 sinnvoll.
Hier hat man zu einer bestimmten
Erkrankung der Sehnengleitgewebe im
Rahmen der Vorsorge Untersuchungsbefunde und Daten erhoben, die ausgewertet Hinweise für die Prävention am
Arbeitsplatz geliefert haben. Umfangreichere Erhebungen im Rahmen der Vorsorge hat der Arbeitsmedizinische Dienst
der Bau-Berufsgenossenschaft vorgelegt69.
Diese Auswertung der Untersuchungsbefunde von Beschäftigten in der Bauindustrie konnte berufliche und außerberufliche Präventionspotentiale aufzeigen.
Die Serie wurde bis 2002 fortgesetzt.
Eine zielgerichtete Auswertung könnte
einerseits Hinweise auf generelle Probleme an gleichartigen Arbeitsplätzen und
damit Informations- und Regelungsbedarf sichtbar machen, andererseits Hinweise zum Erkennen und zur wissenschaftlichen Begründung von neuen
Berufskrankheiten bieten. Hierzu wäre
die Verordnung um Meldepflichten
durch die Ärzte zu erweitern.
Aufgrund des Zahlenwerkes zur
Gefährdungsbeurteilung in den Betrieben – eine aktuelle Übersicht von Beck
und anderen70 zeigt, dass gerade bei klei-
Ein besonderes Kapitel sind die krebserzeugenden Stoffe. Die Auflistung in
Teil 1 Nummer 1 des Anhanges enthält
eine ganze Reihe krebserzeugender
Gefahrstoffe, jedoch nicht alle, für die
ausreichende Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung beim Menschen
bestehen. Nicht für alle aufgelisteten
Stoffe sind Grenzwerte bekannt gegeben,
so dass lediglich eine Angebotsvorsorge
erfolgen muss – außer es besteht Hautkontakt.
Für krebserzeugende Gefahrstoffe ist
häufig ein gesundheitlich unbedenklicher Grenzwert nicht abzuleiten. Der
Ausschuss für Gefahrstoffe hat deshalb
ein Stufenmodell entwickelt, das mit der
Betrachtung der Krebsrisiken in Abhängigkeit von der Rate erwarteter Krebskrankheiten bei lebenslanger Einwirkung arbeitet. Als Akzeptanzschwelle,
unterhalb derer das Krebsrisiko hingenommen wird, soll eine Einwirkung gelten, bei der zunächst nicht mehr als vier
von zehntausend Beschäftigten erkranken, ab 2018 sollen nicht mehr als vier
von einhunderttausend Exponierten an
Krebs durch die Belastung erkranken.
Oberhalb einer (Toleranz-) Grenze von
vier erwarteten Erkrankten von 1.000
Beschäftigten sind verstärkter persönli-
cher Arbeitsschutz und weitere Risikominderungsmaßnahmen einzuhalten.
Arbeitsmedizinische Vorsorge, insbesondere eine Beratung der Beschäftigten,
ist für Arbeiten mit krebserzeugenden
Stoffen sehr wichtig.
Zusammenfassung
Moderne Arbeitsmedizinische Vorsorge
soll den Beschäftigten dienen und insbesondere arbeits- und berufsbedingte
Gesundheitsstörungen verhindern.
Sie umfasst Beratung, Untersuchung und
Maßnahmen am Arbeitsplatz, um gesundheitliche Risiken zu minimieren.
Die Beschäftigten sollen besonders
an Arbeitsplätzen mit krebserzeugenden
Stoffen sorgfältig über das Risiko beraten
werden, damit sie selbst entscheiden
können, unter welchen Bedingungen sie
arbeiten wollen. Die Arbeitsmedizinische
Vorsorge muss durch fachlich qualifizierte Ärztinnen oder Ärzte für Arbeitsmedizin oder Betriebsmedizin durchgeführt werden. Sie ist sorgfältig von Eignungsuntersuchungen und von Einstellungsuntersuchungen zu unterscheiden.
Die Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge regelt die Arbeitsmedizinische Vorsorge für den Rechtsbereich
des Arbeitsschutzgesetzes. Ähnlich wie
bei anderen Verordnungen gibt es
Arbeitsmedizinische Regeln, die zum Teil
erst entwickelt werden.
Weiterführende Fragen beantwortet
eine Veröffentlichung des Ausschuss für
Arbeitsmedizin: Arbeitsmedizinische
Prävention – Fragen und Antworten
(FAQ) aus dem April 2014, zu finden
unter: www.baua.de / de /
Themen-von-A-Z / Ausschuesse / AfAMed /
aus-dem-AfAMed.html
Weitere nützliche Informationen:
DGUV Grundsätze,
www.dguv.de / inhalt / praevention /
themen_a_z / arbmed /
bgliche_grundsaetze / index.jsp
Betriebsarztsuche, z. B. unter
www.vdbw.de /
www.gelbeseiten.de /
aerzte-arbeitsmedizin
www.bremen.de / leben-in-bremen /
gesundheit / aerztesuche
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
HENNING WRIEDT
Minimierung krebserzeugender Stoffe –
ein Ansatz zur Verminderung
arbeitsbedingter Krebserkrankungen
Einleitung
Berufsbedingte Krebserkrankungen
machen einen bedeutenden Teil der anerkannten Berufskrankheiten aus – jedenfalls auf den ersten Blick. Blendet man
jedoch die asbestbedingten Krebserkrankungen aus, zeigt sich hingegen ein deutlich anderes Bild: Der Anteil von Krebserkrankungen an den anerkannten
Berufskrankheiten, der nicht in Asbestbelastung begründet ist, ist sehr gering.
Allerdings wäre es ein Kurzschluss hieraus zu folgern, dass auch das berufsbedingte Krebsgeschehen sehr gering ist.
Anders als asbestbedingte Krebserkrankungen gibt es bei Lungenkrebs, der
durch andere Arbeitsstoffe verursacht
wird, in der Regel keine direkten
Anhaltspunkte, die auf die Ursache hinweisen. Nur zu schnell wird dann das
Rauchen als Ursache vermutet. Ähnlich
sieht es bei einem zweiten verbreiteten
Berufskrebs aus, dem Blasenkrebs. Da
Rauchen ebenfalls mit einem deutlich
erhöhten Risiko für Blasenkrebs einhergeht, wird auch hier die Ursache häufig
vorschnell dem Rauchen zugeschrieben.
Insgesamt ist davon auszugehen, dass
die Dunkelziffer der nicht als berufsbedingt erkannten Krebserkrankungen
erheblich ist. Nach epidemiologischen
Schätzungen sind zwischen vier Prozent
und zehn Prozent aller Krebserkrankungen als berufsbedingt anzusehen. Bei
mehr als 400.000 Krebserkrankungen,
die pro Jahr in Deutschland diagnostiziert werden, wären das zwischen 16.000
und 40.000 Fälle. Als Berufskrankheit
anerkannt wurden 2010 jedoch nur 2.144
Krebserkrankungen. Das tatsächliche
Ausmaß der Diskrepanz zwischen beruflich verursachten und als berufsbedingt
anerkannten Krebserkrankungen wird
noch deutlicher, wenn man die Zahl der
als berufsbedingt anerkannten Erkran-
kungen um diejenigen bereinigt, bei
denen eine Asbestbelastung die Ursache
ist, da hier eine deutlich niedrigere Dunkelziffer besteht. 2010 lag die Zahl der
durch Asbestbelastungen verursachten
Krebserkrankungen bei 1650, damit
beträgt die Zahl der 2010 anerkannten
berufsbedingten Krebserkrankungen
aufgrund anderer Ursachen als einer
Asbestbelastung gerade einmal 494.
Auch wenn ein Teil der berufsbedingten Krebserkrankungen auf die Einwirkung ionisierender Strahlen, UV-Strahlung oder auf gestörte Biorhythmen
durch Schichtarbeit zurückzuführen
sein dürfte, sind Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen für den Löwenanteil
verantwortlich. Deshalb ist davon auszugehen, dass mit der Reduzierung der
Belastung durch solche Stoffe am
Arbeitsplatz ein beträchtliches präventives Potential genutzt werden kann.
Schutz vor krebserzeugenden
Stoffen am Arbeitsplatz:
längst geregelt, aber lückenhaft
umgesetzt
Zwar ist der Schutz vor krebserzeugenden Stoffen am Arbeitsplatz seit langem
im Grundsatz durch die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und die europäische
Krebs-Richtlinie geregelt, doch ist die
betriebliche Umsetzung der Vorgaben
häufig schwierig. Die beste Lösung wäre
allemal die Substitution, also der Ersatz
des krebserzeugenden Stoffes durch
einen weniger gefährlichen Stoff oder
durch ein anderes Verfahren, das ganz
ohne den Einsatz von Gefahrstoffen auskommt. In der Wirklichkeit ist dieser
Weg allerdings eher die Ausnahme als
die Regel. Auch die Verwendung des
krebserzeugenden Stoffes in einem
geschlossenen System lässt sich zumeist
nur für Arbeitsprozesse verwirklichen,
die sich auf einem hohen technischen
Niveau bewegen. Die eigentlichen Problembereiche sind Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen, die sich in halboffenen oder offenen Systemen befinden.
Darauf weist auch eine aktuelle Studie
aus Großbritannien hin, in der die
wichtigsten Ursachen für Berufskrebserkrankungen abgeschätzt worden sind.
Genannt werden dort Quarzstaub, Dieselabgase, gebrauchte Mineralöle, Passivrauchen, Dioxine, Schweißrauche sowie
Metallstäube und -rauche (insbesondere
Arsen, Chrom VI-Verbindungen und
Kobalt).
Schutz vor diesen Stoffen, die durchweg nicht in geschlossenen Systemen
verwendet werden, kann dann nur eine
konsequente Minimierung der daraus
erwachsenden Belastung bieten. Allerdings lässt sich bislang für keinen von
ihnen eine Schwelle angeben, unterhalb
derer eine krebserzeugende Wirkung
nicht mehr zu befürchten ist. Deshalb
muss die Belastung mit ihnen so weit
reduziert werden, wie dies technisch
möglich ist.
Um einen Anhaltspunkt zu haben,
welche Belastungen gemäß des Standes
der Technik unterschritten werden konnten, waren seit Mitte der siebziger Jahre
für wichtige am Arbeitsplatz vorkommende krebserzeugende Stoffe die entsprechenden Konzentrationswerte ermittelt worden. Als ›Technische Richtkonzentrationen‹ (TRK-Werte) bildeten sie bis
Ende 2004 Grenzwerte für mehr als 70
krebserzeugende Stoffe. Das Verdienst
dieses Konzepts technischer Grenzwerte
war es, die Belastung mit diesen Stoffen
zu begrenzen. Nicht zu übersehen waren
aber auch die Schattenseiten des Konzepts: In vielen Betrieben wurden sie
gesundheitsbasierten Grenzwerten
gleichgesetzt, d.h. es wurde fälschlich
unterstellt, dass bei ihrer Unterschreitung keine Krebsgefährdung mehr
bestünde. Zu oft wurde deshalb bei Einhaltung des TRK-Wertes eine weitere
Reduzierung der Exposition versäumt,
auch wenn dies betrieblich durchaus
möglich gewesen wäre. Ein Vergleich der
bei Dauerbelastung in Höhe des TRK-Wertes verbleibenden statistischen Krebsrisiken zeigt zudem beträchtliche Risikounterschiede, die von zehn Prozent bis zu
1 :1.000.000 reichen, sich also über fünf
Zehnerpotenzen erstrecken. Angesichts
dieser Schwachpunkte und weil eine
Integration in das gesundheitsbasierte
Grenzwertkonzept der im Jahr 2005 an
europäische Vorgaben neu angepassten
Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) nicht
möglich erschien, wurde das TRK-Konzept zu jenem Zeitpunkt aufgegeben.
Seit 2006 hat der Ausschuss für
Gefahrstoffe (AGS) stattdessen ein risikobasiertes Konzept zur Minimierung
krebserzeugender Stoffe erarbeitet,
dessen Grundzüge im Jahr 2008 als
›Bekanntmachung für Gefahrstoffe 910 –
Risikowerte und Exposition-Risiko-Beziehungen für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen‹ in das Technische
Regelwerk für Gefahrstoffe aufgenommen worden sind. Bisher wurden für
zwölf Stoffe Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB) veröffentlicht, weitere stehen
zur Beratung im AGS an. In einer ersten
Runde werden für etwa dreißig wichtige
krebserzeugende Stoffe deren ERB
abgeleitet, so dass für sie das Konzept
greifen kann. Im Jahr 2013 wurde in der
GefStoffV ein Hinweis auf das Konzept
aufgenommen, die vollständige Integration in die GefStoffV ist für Mitte 2015 vorgesehen. Die Grundzüge des Konzepts
sind im folgenden Abschnitt beschrieben.
Grundzüge des neuen
Minimierungskonzepts
Grundlage des Konzepts ist die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen der
Exposition mit einem krebserzeugenden
Stoff und der daraus folgenden Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung
zahlenmäßig zu beschreiben. Ausgehend
von einer solchen statistischen Bezifferung des Krebsrisikos sind im Konzept
drei Risikobereiche festgelegt worden:
hohes Risiko – mittleres Risiko – niederes
Risiko. Diesen ist ein Paket von Einzelmaßnahmen zugeordnet worden, mit
denen eine Minimierung der Exposition
erreicht werden soll.
Zu diesen Maßnahmen gehören unter
anderem Informationspflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde, die Aufstellung eines Maßnahmenplans, transparente Information der Beschäftigten über
das Ausmaß von Exposition und Krebsrisiko sowie differenzierte Vorgaben für
die Verwendung von Atemschutz. Durch
die Stufung der Maßnahmen soll unterschiedlicher Druck aufgebaut und so
88
89
BERUFSKR ANKHEITEN
eine Dynamik der Minimierung in Gang
gesetzt werden: Je höher das Risiko, desto
umfangreicher die Minimierungsmaßnahmen und desto höher auch der
Druck für eine Verminderung des Risikos.
Damit die Minimierung tatsächlich in
Angriff genommen wird, müssen Betriebe bei Tätigkeiten im Bereich hohen und
mittleren Risikos einen Maßnahmenplan
erstellen. Darin ist zu beschreiben, wie
die weitere Expositionsminderung
erreicht werden soll. In dem Plan muss
konkret angegeben werden, welche Maßnahmen in welchem Zeitraum umgesetzt werden sollen und welches Ausmaß
an Expositionssenkung davon erwartet
wird. Weil der Maßnahmenplan der
Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung beizufügen ist, wird die weitere
Minimierung kontrollierbar.
Die drei Risikobereiche werden durch
zwei Risikogrenzen voneinander abgegrenzt. Sie kommen übergreifend für
alle krebserzeugenden Stoffe zur Anwendung. Die obere Grenze markiert den
Übergang zwischen hohem und mittlerem Risiko und wird als ›Toleranzrisiko‹
bezeichnet. Bei Belastungen oberhalb
dieser Grenze muss Atemschutz zwingend verwendet werden, und die Belastungen sind umgehend unter diese
Grenze abzusenken. Die untere Grenze,
die den Übergang zwischen mittlerem
und niederem Risiko markiert und als
›Akzeptanzrisiko‹ bezeichnet wird, ist
eine Zielgröße. Sie ist an dem Wert ausgerichtet, der auch für die Belastung der
Bevölkerung mit krebserzeugenden Stoffen in der allgemeinen Umwelt als Zielgröße verwendet wird.
Voraussetzung für die Anwendung des
Konzepts auf einen krebserzeugenden
Stoff ist, dass dessen ERB abgeleitet ist.
Dies ist nicht schlagartig für viele Stoffe
gleichzeitig möglich, sondern nur
schrittweise. Anfang 2013 war die Arbeit
für 16 Stoffe abgeschlossen, Mitte 2014
könnte das gegenwärtige Ziel von rund
30 Stoffen erreicht sein. Ein solcher allmählicher Aufbau ist keine Besonderheit
des neuen Konzepts – für das frühere
TRK-Konzept hat es nach dessen Start
Mitte der siebziger Jahre über 20 Jahre
gedauert, bis es schließlich Anwendung
für rund 70 Stoffe oder Stoffgruppen
gefunden hatte.
PR AXIS
Transparenz für Beschäftigte und
erweiterte Kontrollmöglichkeiten
für Betriebsräte
Elemente des Maßnahmenteils des Konzepts, die eine besondere Bedeutung für
die Mitwirkung von Beschäftigten und
Betriebsräten haben, sind Risikotransparenz und Kommunikation sowie die
Aufstellung eines Maßnahmenplans und
dessen Umsetzung.
Der Arbeitgeber wird verpflichtet, im
Rahmen der in der GefStoffV vorgeschriebenen Unterweisung die Belastungen
mit krebserzeugenden Stoffen offenzulegen und die sich daraus ergebenden statistischen Krebsrisiken ihnen gegenüber
zu beziffern. Vor dem Hintergrund der
vom AGS abgeleiteten Risikozahlen und
ihrer Bewertung als ›hoch‹, ›mittel‹ und
›niedrig‹ erhalten Beschäftigte damit die
Möglichkeit, die für ihren Arbeitsplatz
ermittelten statistischen Krebsrisiken
auch selbst einzuordnen. Gleichzeitig
kann die Transparenz über die aktuell
noch bestehenden Risiken ebenfalls dazu
beitragen, sich nicht unterschiedslos
allen Belastungen mit krebserzeugenden
Stoffen zuzuwenden, sondern den Fokus
zunächst auf hohe Risiken zu richten
und prioritär deren Verminderung in
Angriff zu nehmen.
Letzteres weist ebenfalls auf eine
wichtige Aufgabe für Betriebsräte hin:
Sie sollten verlangen, dass Krebsrisiken
auf systematische Weise reduziert werden. Dazu können sie den Maßnahmenplan zur Grundlage nehmen, ohne den
eine Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen künftig unvollständig ist. Fehlt ein solcher Maßnahmenplan oder werden die darin festgeschriebenen Termine nicht eingehalten,
sollten sie ihre Überwachungs- und Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz konsequent nutzen,
um den Schutz der Gesundheit der
Beschäftigten zu gewährleisten. Zeigt
sich der Arbeitgeber uneinsichtig, sollte
konsequent die Gewerbeaufsicht eingeschaltet werden.
Ausblick
Bereits bei der Einführung des neuen
Konzepts und der Ableitung von ERB
sind für einzelne Stoffe Tätigkeiten mit
sehr hohen Risiken sichtbar geworden.
Damit hat sich die Möglichkeit eröffnet,
bestimmte Belastungsschwerpunkte zu
bearbeiten und die dort herrschenden
Risiken gezielt zu verringern. Dass sich
dies mittelfristig in einer Verringerung
von Krebserkrankungen niederschlägt,
die als Berufskrankheit anerkannt werden, ist unwahrscheinlich. Vielmehr ist
zu hoffen, dass sich die Dunkelziffer
beruflich bedingter Krebserkrankungen
deutlich reduziert, für die weder heute
noch in Zukunft eine Chance besteht als
Berufskrankheit anerkannt zu werden.
90
91
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Einige erforderliche
Konsequenzen:
PETRA MÜLLER-KNÖ ß
Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten
von Betriebsräten im Zusammenhang mit
Berufskrankheiten
Ausgangslage
Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren erheblich gewandelt. Immer
mehr Beschäftigte müssen in unsicheren,
befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten,
Leiharbeit und Werkverträge haben
ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. Die Arbeitszeiten werden wieder grenzenlos, Schicht- und Nachtarbeit
sowie Arbeit an den Wochenenden nehmen zu.
Psychische Belastungen aufgrund steigender Arbeitshetze und Stress haben
in nahezu allen Arbeitsbereichen in den
vergangenen Jahren ebenfalls deutlich
zugenommen. Sie sind Ursache eines
großen Teils der von den Krankenkassen
ausgewiesenen Arbeitsunfähigkeitstage.
Erkrankungen als Folge psychischer
Belastungen in der Arbeit stehen mittlerweile an dritter Stelle aller gemeldeten
Krankheitstage.
Doch auch die ›alten‹, eher körperlichen Belastungen sind noch immer in
den Betrieben weit verbreitet. So müssen
nach wie vor Beschäftigte unter ungünstigen Arbeitsumgebungsbedingungen
arbeiten. Sie sind Lärm, Kälte, Hitze oder
Gefahrstoffen ausgesetzt. Sie müssen
ständig die gleichen Handgriffe verrichten oder dauernd im Stehen arbeiten.
Und trotz umfangreicher arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten müssen viele Beschäftigte in so genannten Zwangshaltungen ihre Arbeit verrichten oder auch
schwere Lasten heben und tragen. Diese
Arbeitsbedingungen belasten die Beschäftigten und sie machen krank.
Das schlägt sich auch im Berufskrankheitengeschehen nieder. Jedes Jahr werden mehr als 70.000 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit (BK) gestellt
(2012 = 73.574). Fast ein Drittel dieser
Anzeigen erfolgt wegen Hauterkrankungen. Lärmschwerhörigkeit und Erkran-
kungen der Lendenwirbelsäule bzw.
Erkrankungen aufgrund schweren
Hebens und Tragens stehen an zweiter
bzw. dritter Stelle der Verdachtsanzeigen.
Und auch die BK-Anzeigen wegen der
Folgen von Asbest stellen nach wie vor
einen großen Anteil am BK-Geschehen
und nehmen sogar noch zu. Dass diese
Meldungen jetzt noch ansteigen, obwohl
die Verwendung von Asbest seit einigen
Jahren verboten ist hat mit der langen
Latenzzeit, also der Zeit zwischen dem
Umgang mit dem Stoff und dem späteren Ausbruch einer Erkrankung zu tun.
Längst nicht alle BK-Verdachtsanzeigen führen letztlich auch zur Anerkennung einer Berufskrankheit. So wurden
im Jahr 2012 lediglich 15.949 Fälle anerkannt. Auch diejenigen Betroffenen,
deren Antrag auf Anerkennung einer
Berufskrankheit abgelehnt wurde, waren
erkrankt. Es gelang ihnen jedoch nicht,
den Nachweis über die besondere berufliche Einwirkung ihrer Erkrankung
zu führen. Das liegt an den umfangreichen formalen Anforderungen, die im
BK-Recht an den Nachweis einer Berufskrankheit gestellt werden.
Der Bericht zur ›Sicherheit und
Gesundheit bei der Arbeit‹ (Suga) aus
dem Jahr 2009, der von der Bundesregierung herausgegeben wurde, brachte dieses, in den Zahlen zum Ausdruck kommende Problem folgendermaßen auf den
Punkt: ›Ein Vielfaches größer ist ... die
Zahl der Fälle, bei denen die Anerkennung nicht erfolgte, weil die besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ... nicht erfüllt waren. Hinter diesen
Zahlen stehen schwerwiegende Schicksale.‹
Aus dieser skandalösen und unbefriedigenden Situation ergeben sich mehrere
Konsequenzen und Anforderungen.
Einige seien hier genannt:
❚ An erster Stelle ergeben sich Anforderungen an die Prävention in den Betrieben. Je besser der Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben ausgestaltet wird, desto weniger wird die
Gesundheit der Beschäftigten gefährdet.
Arbeit darf nicht krank machen. Dies
muss der zentrale Ansatzpunkt sein,
damit menschliches Leid verhindert
wird.
❚ Zum zweiten muss das Berufskrankheitenrecht dahingehend weiterentwickelt
werden, dass berechtigte Ansprüche der
Versicherten auf Anerkennung und Entschädigung des erlittenen Gesundheitsschadens auch erfüllt werden können.
❚ Darüber hinaus ergeben sich Anforderungen an die Durchführung der BKVerfahren. Das muss Auswirkungen auf
die Arbeit der Berufsgenossenschaften
haben, die den Gesundheitsschaden
›regulieren‹. Ihre Aufgabe muss es sein
alles dafür tun, dass die Nachweise
im Sinne der Versicherten auch zusammengetragen werden. Daran werden
seit Jahren immer wieder Zweifel laut.
❚ Es resultieren aus dieser Situation auch
Anforderungen zur Unterstützung
der Betroffenen. Diese befinden sich in
einer sehr schwierigen belastenden
Situation und sind dann aufgrund des
Berufskrankheitenrechtes auch noch
verpflichtet, die Beweise über das Vorliegen einer Berufskrankheit selbst
zu erbringen. In den Fällen, in denen
die Hinterbliebenen das Verfahren
betreiben, ist die Situation oft sogar
noch problematischer.
Im Folgenden sollen die Handlungsanforderungen und -möglichkeiten, die daraus
an die Betriebsräte resultieren, etwas
genauer betrachtet werden. Fragen des
BK-Rechtes oder auch zur Ausgestaltung
von Aufsicht und Beratung können hier
nicht betrachtet werden.
Handlungsansätze und Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte
in Berufskrankheiten-Verfahren
Für den Betriebsrat kann es unterschiedliche Anlässe geben im Arbeits- und
Gesundheitsschutz tätig zu werden.
Beschwerden von Beschäftigten, Hinweise der Arbeitssicherheit oder auch des
Betriebsarztes gehören ebenso dazu wie
etwa hohe Krankenstände oder auch
Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
Berufskrankheiten sind immer auch
Ausdruck von Arbeitsbedingungen, in
denen die Gesundheit der Beschäftigten
beeinträchtigt bzw. nicht genügend
geschützt wurde. Das muss für Betriebsräte, deren Aufgabe es auch ist, darüber
zu wachen, dass der Arbeitgeber die
Vorschriften zum Schutz der Gesundheit
der Beschäftigten auch tatsächlich
durchführt (§ 80 (1) 1 BetrVG) Anlass
sein, sich mit dem BK-Geschehen in ihrer
Branche und insbesondere in ›ihrem‹
Betrieb auseinander zu setzen.
Auf die Anforderungen an einen
präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz soll an späterer Stelle kurz eingegangen werden. Zunächst sollen hier
einige Handlungsanforderungen an die
Betriebsräte bei konkreten BK-Verfahren
betrachtet werden.
Im Rahmen des BK-Verfahrens eines
Beschäftigten gibt es für den Betriebsrat
des Betriebes, in dem der Beschäftigte
arbeitet, unterschiedliche Handlungsansätze und -möglichkeiten. Diese bestehen an verschiedenen Stellen im BK-Verfahren.
Wird eine Anzeige auf Verdacht
einer Berufskrankheit gestellt, so muss
die Berufsgenossenschaft ermitteln,
inwiefern
1. ein Zusammenhang zwischen
der schädigenden Einwirkung und
der Tätigkeit des Versicherten besteht
(so genannte haftungsbegründende
Kausalität) und
2. inwiefern zwischen dieser schädigenden Einwirkung und der Krankheit ein
Zusammenhang besteht (so genannte
haftungsausfüllende Kausalität).
Für den Nachweis des ersten Zusammenhangs muss die Berufsgenossenschaft die
Arbeitsgeschichte des Versicherten, die
so genannte Arbeitsanamnese, erheben.
Darin werden Informationen von allen
92
93
BERUFSKR ANKHEITEN
Tätigkeiten aus dem Erwerbsleben des
Versicherten zusammengetragen. Der
Zusammenhang zwischen der Einwirkung und der Krankheit wird durch ein
medizinisches Gutachten, das so genannte medizinische Zusammenhangsgutachten, geprüft bzw. dargelegt.
Beide Zusammenhänge müssen sachgerecht nachgewiesen werden. Wenn aus
der Arbeitsanamnese ein Zusammenhang erkennbar ist, erfolgt der zweite
Schritt, das medizinische Gutachten.
Für die Erhebung der Arbeitsanamnese werden von der Berufsgenossenschaft
teilweise Fragebögen eingesetzt. Darin
wird der Verlauf der Tätigkeiten des Versicherten festgehalten. Treten beim Ausfüllen dieser Fragebögen Fehler auf, was
aufgrund der besonderen Erkrankungsund Belastungssituation der Betroffenen
oder auch aufgrund der lange zurückliegenden Tätigkeiten vorkommen kann,
so verschlechtert dies die Chancen auf
Anerkennung einer BK. Auch das medizinische Zusammenhangsgutachten
nimmt die Akten der Arbeitsanamnese
zur Grundlage. Daher dürfen bei der
Ermittlung der Einwirkungen keine Fehler vorkommen.
Betriebsräte erhalten Kenntnis davon,
wenn eine BK-Anzeige in dem Betrieb
vorliegt und wenn die Berufsgenossenschaft im Betrieb wegen einer BK ermittelt. Mit diesem Wissen besteht für den
Betriebsrat auch die Möglichkeit, selbst
aktiv zu werden. Wenn irgend möglich
sollte der Betriebsrat dem Versicherten
unverzüglich Unterstützung beim Ausfüllen der Erhebungsbögen anbieten bzw.
ihm Ansprechpartner dafür vorschlagen.
Der Betriebsrat sollte darauf hinwirken, dass eine gründliche Erhebung der
Betriebsdaten durch den Technischen
Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft erfolgt. Zeugenaussagen von anderen Beschäftigten und von Vorgesetzten,
betriebliche Unterlagen, etwa Sicherheitsdatenblätter, Lärmkataster oder
ähnliches und insbesondere – wenn vorhanden – die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung, sollten für die Arbeitsanamnese herangezogen werden. Dies
unterstreicht im Übrigen die hohe
Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung,
die nach Arbeitsschutzgesetz (§ 5 ArbSchG) erforderlich ist.
PR AXIS
Die Berufsgenossenschaft hat in dem
gesamten Verfahren immer einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung gegenüber den Betroffenen. Deshalb brauchen
die Betroffenen Unterstützung. Betriebsräte haben aufgrund ihrer teils mehrjährigen Funktion als betriebliche Interessenvertreter oft auch Erfahrungen mit
BK-Verfahren und können dieses Wissen
für die Beschäftigten einsetzen. So
können sie z. B. bei der Erstellung der
Arbeitsanamnese unterstützen, indem
sie an den Gesprächen teilnehmen, sie
können bei der Akteneinsicht helfen,
können selbst beraten oder Kontakt zu
(gewerkschaftlicher) Beratung und ggf.
Rechtsschutz herstellen. Sie können evtl.
auch bei der Auswahl der Gutachter für
das medizinische Zusammenhangsgutachten helfen und wichtige Hinweise
geben, da sie zuvor in anderen BK-Verfahren möglicherweise Erfahrungen mit
einzelnen Gutachtern gemacht haben.
Über den Einzelfall hinaus
Für den Betriebsrat ist aber nicht nur der
Einzelfall wichtig. Treten gehäuft Fälle
von Verdachtsanzeigen im Betrieb auf,
lassen sich daraus Schlüsse für den
betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz ziehen. Wo die Arbeit bei einzelnen Beschäftigten dazu geführt hat die
Gesundheit zu schädigen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch andere
davon betroffen sein können.
Das bedeutet für das Handeln der
Betriebsräte, dass sie sich nicht nur um
den einzelnen Betroffenen kümmern
sollten. Es unterstreicht darüber hinaus,
wie wichtig die Ermittlung und Beurteilung von Gefährdungen für die Gesundheit im Betrieb ist.
Handlungsansatz Prävention
Die Arbeitsschutzgesetzgebung verlangt
von den Betrieben nicht nur die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten, sondern auch Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit.
Dieser Grundgedanke der Prävention ist
seit den 90er Jahren im Arbeitsschutzrecht besonders entwickelt worden.
Dazu gibt das Arbeitsschutzgesetz
Grundsätze vor, nach denen vorzugehen
ist. In § 4 ArbSchG werden diese
Grundsätze beschrieben als Vorgehen,
nach dem die Gefährdungen zu vermeiden bzw. zu minimieren sind. Dafür ist
der Stand der Technik, Arbeitsmedizin
und Arbeitswissenschaft zu nutzen. Als
Rangfolge für den der Schutz wird das so
genannte S-T-O-P-Prinzip entwickelt. Das
bedeutet, dass Gefahren an der Quelle
zu bekämpfen sind – bei Gefahrstoffen
gefährliche Stoffe zu substituieren, also
durch weniger gefährdende zu ersetzen
sind. Als nächste Schritte sind technische
und organisatorische Maßnahmen zu
ergreifen und an letzter Stelle individuelle, persönliche Schutzmaßnahmen.
Aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 5
ArbSchG sollen Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Damit bestehen gute
Voraussetzungen für die Prävention.
Zahlreiche Untersuchungen belegen,
dass der Stand der Umsetzung der
Arbeitsschutzgesetzgebung in den Betrieben sehr unzureichend ist. Etwa die
Hälfte der Betriebe verfügt nach wie vor
nicht über eine Gefährdungsbeurteilung.
Betriebe mit einer so genannten ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung, in
der auch die psychischen Belastungen
ermittelt und Schutzmaßnahmen abgeleitet werden, sind nach wie vor die Ausnahme. Formelle Strukturen und Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind allenfalls in Großbetrieben stärker verbreitet.
Je kleiner der Betrieb, desto unzureichender werden die Vorgaben der Arbeitsschutzgesetzgebung umgesetzt. Über die
Gründe für dieses Vorgehen befragt,
antworten etwa zwei Drittel der Betriebe
ohne Gefährdungsbeurteilung, es fehle
ihnen an Expertenwissen71.
Hier besteht also erheblicher Nachholbedarf. Über die Kraft des guten Argumentes gegenüber den Unternehmensleitungen scheint hier nur begrenzt eine
positive Entwicklung zu erzielen zu sein.
Davon können Betriebsräte zahlreich
berichten. Stattdessen gibt es deutliche
Hinweise aus vorliegenden Studien, dass
Unternehmen vor allem aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen, durch den Druck
der Arbeitsschutzaufsicht sowie durch
die Forderungen der Beschäftigten und
ihrer Vertreter – also der Betriebsräte –
zu motivieren sind, etwas für den Schutz
der Gesundheit der Beschäftigten zu tun.
Da aufgrund des Personalabbaus bei den
Aufsichtsbehörden in den vergangenen
Jahren von dieser Seite nur begrenzt
Druck aufgebaut werden kann, kommt
auch vor diesem Hintergrund den Betriebsräten eine wichtige Funktion zu.
Mit dem bestehenden Mitbestimmungsrecht und Initiativrecht nach § 87 (1) 7
BetrVG bestehen gute Voraussetzungen,
Maßnahmen der Prävention voran zu
bringen.
Erhalten Betriebsräte durch BK-Verdachtsanzeigen bzw. -Anerkennungen
Hinweise darauf, dass in einzelnen
Arbeitsbereichen bzw. an Arbeitsplätzen
Erkrankungen aufgetreten sind, so muss
dies immer ein Warnsignal sein, den
Stand des Arbeits- und Gesundheitsschutzes kritisch zu überprüfen. Insbesondere vor dem Hintergrund der BK-Verfahren wird deutlich, wie wichtig die
Beurteilung der Gefährdungen an den
Arbeitsplätzen ist und welche hohe
Bedeutung der Dokumentation der
Ergebnisse zukommt.
Zukünftige Herausforderungen
Die Informationen über die Arbeitsbedingungen in den Betrieben, über
die Arbeitsverfahren oder den Stand der
Technik waren in der Vergangenheit
bereits schwer zusammen zu tragen.
Wenn keine Aufzeichnungen vorlagen
oder Zeugen von Arbeitsverfahren und
Arbeitsbedingungen nicht hinzugezogen
werden konnten, fehlen oft die erforderlichen Informationen. Auch nicht
alle Gutachter verfügen über das erforderliche Know-how aufgrund eigener
Erfahrungen und Anschauung.
Zukünftig wird mit weiteren Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Arbeitsanamnese zu rechnen sein. Aufgrundder
prekären Beschäftigungssituation von
immer mehr Versicherten durch Leiharbeit oder Werkverträge ist mit erheblichen Schwierigkeiten beim Nachweis
einer Berufskrankheit durch die Beschäftigten zu rechnen. Bereits bisher bestanden für Beschäftigte häufig große Probleme, möglichst lückenlos und sachgerecht Zusammenhänge nachzuweisen.
Wenn zukünftig Versicherte aufgrund
permanent wechselnder Einsatzorte bzw.
Betriebe unzählige Arbeitsplätze ›erinnern‹ sollen, steht zu befürchten, dass
dies zu einem unlösbaren Problem für
viele Betroffene wird.
94
95
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Anmerkungen
1
damit verbundenen Einzelfällen vgl.:
Michael Ertel, Martina Morschhäuser:
versicherung: Regel ›Benutzung von
4
Jahresbericht 2009 der Gewerbeauf-
Gefährdungsbeurteilung bei psychi-
Atemschutzgeräten‹ BGR / GUV-R 190.
Ein Beispiel für erfolgreichen
die zuletzt durch Artikel 5 Absatz 6 der
Historische Beispiele, aktuelle Analysen.
sicht der Freien Hansestadt Bremen,
schen Belastungen. Verbreitung, hem-
Eigenverlag, St. Augustin 2009,
Wissenstransfer in die Betriebe
Verordnung vom 26. November 2010
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988,
S. 83–87 (im Internet verfügbar unter:
mende und fördernde Bedingungen;
S. 26 (Tabelle 1).
48 Beteiligt waren die Innungsmeisterinnen
S. 113 ff.
www.umwelt.bremen.de / sixcms / media.
in: Prävention und Gesundheits-
Berufskrankheiten:
Eine unendliche Geschichte?
1 Vgl. Wolfhard Weber: Arbeitssicherheit.
13 Zum Thema Epoxidharze und einigen
2 Ebenda, S. 148 ff. sowie S. 216 f.
php / 13 / 10_08_01%20JB%202009%
3 Im Folgenden wird der Begriff der
20%20 Endfassung%28korr%29.pdf)
Berufsgenossenschaften (BGen), zu
14 Vgl. Lesley Rushton / Sanjeev Bagga /
39 Deutsche Gesetzliche Unfall-
24 David Beck, Gabriele Richter,
40 Volker Neumann et al.: Neue Aspekte
zur Pathologie der Asbestose. In:
förderung 2 / 2012, S. 115 – 119.
Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umwelt-
25 Cordula Sczesny, Sophie Kleindorf,
medizin, Jg. 46, 2011, S. 569 – 579.
Patrick Droß: Kenntnisstand von Unter-
41 Statement ›Asbestos panel member
denen auch die Unfallkassen des Bun-
Ruth Bevan et al.: Occupation
nehmen auf dem Gebiet des Arbeits-
des, der Länder und der Kommunen
and cancer in Britain. In: British
und Gesundheitsschutzes in KMU,
previously paid by industry‹ in: Canadi-
sowie die Landwirtschafts-BGen
Journal of Cancer, Band 102, 2010,
Ergebnisse einer repräsentativen
an Medical Association Journal (CMAJ),
gehören, synonym mit dem Begriff der
Unfallversicherungsträger (UVT) benutzt.
S. 1428–1437.
15 Hans-Joachim Woitowitz /
›Hautschutz bei der Arbeit –
machen Sie es wie die Profis!‹
Nuray Özalp, Senida Huremovic
und Rita Loerchner.
49 www.bgw-online.de;
Zugriff: 19.11.2013.
61 Gesundheitsschutz-Bergverordnung
vom 31. Juli 1991 (BGBl. I S. 1751),
(BGBl. I S. 1643) geändert worden ist.
62 Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte
für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (BGBl. I S. 1885), das zuletzt
50 Quelle: DGUV-Statistik.
durch Artikel 226 der Verordnung vom
Wie können Berufskrankheiten-
geändert worden ist.
31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407)
Befragung von Inhaber / innen /
October 21, 2008, S. 179: Das
Verfahren für eine bessere
63 Vgl. Anmerkung 56.
Geschäftsführer / innen in Klein- und
toxikologische Institut, aus dem die
Prävention genutzt werden?
64 AMR Nr. 1 zu § 5 ArbMedVV
51 E. Teich et al.; Optimierung der
Klaus Norpoth: Ethische Aspekte im
Kleinstunternehmen. Dortmund /
tierexperimentellen Daten stammen,
begrenzt. Die Werte sind teilweise nach
Zusammenhang mit tödlich verlaufen-
Berlin / Dresden 2011 (Bundesanstalt
wird von der kanadischen und kali-
BK-Prävention bei der Bau-Berufsgenos-
arbeitsmedizinischen Vorsorgeunter-
BG und Ost- oder Westdeutschland
den Berufskrankheiten. In: Xaver Baur /
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin,
fornischen Asbestindustrie finanziert.
senschaft Frankfurt am Main;
suchungen‹ – Bek. d. BMAS v.
unterschiedlich: Mindest-JAV knapp
Stephan Letzel / Dennis Nowak (Hg.):
20.000 Euro, Höchst-JAV zwischen
Ethik in der Arbeitsmedizin,
4 Der JAV ist nach unten und oben
62.000 und 84.000 Euro.
5 Quelle: DGUV Referat Statistik sowie
Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin
Arbeitsmedizinische Vorsorge
Biologische Grenzwerte. TRGS 903
der Universität Gießen, anlässlich
52 Gunther Lehmann: Die physische
Ausgabe: Dezember 2006 geändert:
evidence. The connection between
zu wenig bei Beschäftigten an; in:
eines Asbest-Workshops des Bundes-
Arbeitseignung. In: Körper und Arbeit.
GMBl 2011 S. 1024 [Nr. 49 – 51]
breast cancer and the environment.
Gute Arbeit 9 / 2008, S. 27–29.
verbandes der Asbestose-Selbst-
Handbuch der Arbeitsphysiologie.
Bekanntmachung von Empfehlungen
hilfegruppen am 18. Januar 2012 in
Hg.; Prof. Dr. Edgar Atzler, Georg Thie-
von Arbeitsmedizinischen Regeln hier:
Hamburg berichtet.
me Verlag Leipzig 1927, S. 329 – 386.
www.dguv.de / inhalt / zahlen / bk /
In: International Journal of Environment
and Health, Band 15, 2009, S. 43–78.
17 Andreas Seidler et al: Schultersehnen-
27 Bremische Bürgerschaft,
Drucksache 18 / 614 vom 23.12.2012.
43 Xaver Baur, Joachim Schneider,
28 Der Senator für Bildung,
53 Ernst Holstein: Grundriss der
kennung von Berufskrankheiten‹ und
Erkrankungen als Berufskrankheit?
Wissenschaft und Gesundheit (Hrsg.),
Hans-Joachim Woitowitz, Marcial
Arbeitsmedizin. Johann Ambrosius
den Beitrag von Tuku Roy-Niemeier in
In: Albert Nienhaus et al. (Hg.):
Jahresbericht 2010 der Gewerbeauf-
Valasco-Garrido: Gibt es Unterschiede
Barth Verlag Leipzig 1949 S. 257.
der vorliegenden Veröffentlichung.
Arbeitsmedizin in sozialer Verantwor-
sicht der Freien Hansestadt Bremen.
in den gesundheitlichen Wirkungen
tung. Festschrift für Prof. Dr. Gine
Das Projekt ›Wissenstransfer
zur präventiven Unterstützung
Elsner. Hamburg: VSA, S. 37–46.
18 Ulrich Bolm-Audorff: Hüftgelenks-
von Betrieben zur Verhinderung
arthose als Berufskrankheit.
von Berufskrankheiten‹ –
In: Albert Nienhaus et al. (Hg.):
Ergebnisse und Erfahrungen
a. a. O., S. 47–54.
7 Eine Berufskrankheitenanzeige kann
19 Clark, C. et al.: The contribution of
54 Die Enzephalopathie ist eine
krankhafte Veränderung des Gehirns,
Unterlagen‹ – Bek. d. BMAS
z. B. als Folge einer Bleivergiftung.
v. 15.09.2011 – IIIb1-36628-.1
sicht der Freien Hansestadt Bremen.
S. 497–506.
30 Deutscher Bundestag, Drucksache
Vorsorge vom 18. Dezember 2008
17 / 10229, vom 03.07.2012.
31 www.gewerbeaufsicht.bremen.de /
sixcms/detail.php?gsid=bremen156.c.2
55 Verordnung zur arbeitsmedizinischen
2
sorgeuntersuchungen 5. Auflage 2010,
erleichterungen im Recht der
der Verordnung vom 23. Oktober 2013
Gentner-Verlag Stuttgart.
Berufskrankheiten
44 Vgl. M. Terbille , Hrsg., Medizinrecht,
(BGBl. I S. 3882) geändert worden ist.
Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik
Tätigkeit gegeben sieht – der oder die
Adult Psychiatric Morbidity Survey.
(Hrsg.), Grundsätze der behördlichen
45 Ebda., S. 225f., 237f.
durch das Bundesunfallkassen-
Betroffene selbst, Angehörige, der
In: Psychological Medicine, Band 42,
Systemkontrolle, März 2011 (LV 54).
46 Als typischer Fall kann das Rauchen
Neuordnungssgesetz vom 19.10.2013
Strukturelle Hürden für die Anerkennung von Berufskrankheiten
8 Meldung vom 05.07.2012;
Grundsätze für arbeitsmedizinische Vor-
(BGBl. I S. 2768), die durch Artikel 1
common mental disorders in the 2007
München 2009, S. 249 f.
des Versicherten gelten; vgl. nur BSG,
S. 829–842.
67 Arbeitsmedizinische Vorsorge – DGUV
Die Notwendigkeit von Beweis-
zwischen Erkrankung und beruflicher
und Ärzte müssen es tun.
hier: AMR Nr. 1 zu § 6 ArbMedVV
›Fristen für die Aufbewahrung ärztlicher
In: Pneumologie, Band 66, 2012,
290.de, sowie Länderausschuss für
20 Am Beispiel der Pflege: Mealer,
von Arbeitsmedizinischen Regeln
von Chrysotil- und Amphibol-Asbest?
work and non-work stressors to
Rentenversicherung. Der Arbeitgeber
AMR Nr. 1 zu § 6 ArbMedVV.
66 Bekanntmachung von Empfehlungen
Jahresbericht 2012 der Gewerbeauf-
29 Der Senator für Gesundheit (Hrsg.),
jeder stellen, der einen Zusammenhang
Betriebsrat, die Krankenkasse oder die
15.09.2011 – IIIb1-36628-1.
65 Technische Regeln für Gefahrstoffe.
DGB-Index Gute Arbeit zeigt:
index.jsp; Zugriff Dezember 2013.
6 Vgl. ›Strukturelle Hürden für die Aner-
Die BG, 10 / 2004, 545–547.
Prof. Joachim Schneider, Institut und
Gefährdungsbeurteilungen kommen
Ecomed, Landsberg, S. 121–144.
16 Janet Gray et al.: State of the
Berufskrankheiten im Land Bremen
42 Dieses Fallbeispiel wurde von
Forschung, Projekt F 1913).
26 Sara Koch, Hans-Joachim Schulz:
›Anforderungen an das Angebot von
Das Beispiel Asbest
Urt. vom 30.1.2007 – Az.: B 2 U 15 /
56 Arbeitsschutzgesetz vom 7. August
1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt
geändert worden ist.
57 Unfallverhütungsvorschrift Betriebs-
68 Petit Le Manac’h, A. et al.: Risk factors
for de Quervain’s disease in French
working population. Scand J Work
Environ Health; 37(5): 394 – 401.
69 Schriftenreihe Arbeitssicherheit und
Arbeitsmedizin in der Bauwirtschaft.
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft
32 Siehe dazu auch den Beitrag
05 R in: SozR 4–5671 Anl. 1 Nr. 4104
ärzte und Fachkräfte für Arbeitssicher-
of post traumatic stress disorder
von Corinna Mahlstedt in
Nr. 2. Auch die Instanzgerichte folgen
heit (DGUV Vorschrift 2) – abgestimm-
An der Festeburg 27–29,
and burnout syndrome in nurses.
der vorliegenden Veröffentlichung.
diesem Muster, so dass de facto von
ter Mustertext – in der Fassung vom
80389 Frankfurt am Main, 1993.
M. et al.: The prevalence and impact
In: Depress Anxiety, Band 26, 2009,
S. 1118–1126.
Quelle: www.dguv.de / inhalt / presse /
der Bau-Berufsgenossenschaften,
der Vermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII
1. Januar 2012, www.dguv.de / inhalt /
Gefährliche Ladung in Jutesäcken.
noch nicht Gebrauch gemacht worden
praevention / vorschr_regeln / docu-
beurteilung bei psychischen Belastun-
Weser-Kurier vom 2. März 2007, S. 16.
ist. Vgl. dazu Peter Frese, Beweis-
ments / dguv-vorschrift2-muster.pdf.
gen in Deutschland. Verbreitung,
33 Vgl. dazu: Krischan Förster:
34 Samuel S. Epstein:
lastumkehr (§ 9 Abs. 3 SGB VII), Vortrag
70 Beck, D. et al.: Gefährdungs-
hemmende und fördernde Bedingungen.
2012 / Q3 / kniebelastungen / indes.jsp;
Prävention von Berufskrankheiten:
Zugriff am 17.07.2012.
Ohne Aufsicht geht es nicht!
The Politics of Cancer. Revised
auf dem 2. Asbestose-Workshop in
(BGBl. I S. 1170, 1171), das zuletzt
Präv Gesundheitsf 2012, 7:115 – 119.
21 Du Pont, Why are we not doing better?
and expanded edition. Anchor Books,
Hamburg am 18.1.2012.
durch Artikel 15 des Gesetzes
Online publiziert: 17. Februar 2012.
vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1583)
Springer Verlag 2012.
9 Persönliche Mitteilung des Bremer Landesgewerbearztes an den Verfasser.
10 Vgl. Hessisches Landessozialgericht,
The Story of the Persistence of
Workplace Safety Incidents in Europe,
New York 1979, S. 79–102.
47 S. o. zu II. Die Einhaltung solcher
35 Quelle: DGUV Referat Statistik sowie
Regeln, z. B. der TRGS ( = Technische
Urteil des 9. Senats vom 18.11.2011,
2011; Quelle: www2.dupont.com /
www.dguv.de / inhalt / zahlen / bk /
Regeln Gefahrstoffe), zieht zugunsten
Aktenzeichen L 9 U 66 / 07.
Sustainable_Solutions / en_US /
index.jsp; Zugriff Dezember 2013.
des Arbeitgebers die gesetzliche
11 Klaus Giersiepen / Michael Spallek:
Karpaltunnelsyndrom als Berufs-
knowl_center / emea / safety_monitoring.html; Zugriff 22.07.2013.
36 Ausführlicher im Beitrag von
Corinna Mahlstedt in der vorliegenden
58 Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994
geändert worden ist.
59 Strahlenschutzverordnung vom
20. Juli 2001 (BGBl. I S. 1714; 2002 I
Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von Betriebs-
Vermutung nach sich, alle Pflichten
S. 1459), die zuletzt durch Artikel 5
räten im Zusammenhang
erfüllt zu haben. Diese Vermutung ist
Absatz 7 des Gesetzes vom
mit Berufskrankheiten
71 Europäische Unternehmenserhebung
freilich widerleglich. Das bedeutet,
24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212)
37 Berufskrankheiten-Verordnung.
dass ein Geschädigter dartun kann
geändert worden ist.
(EU-OSHA) Europäische Unternehmens-
Empfehlung des Ärztlichen
und beweisen muss, dass es trotz
wissenschaftlichen Begründungen der
erhebung über neue und aufkommende
Sachverständigenbeirats – Sektion
Regeleinhaltung zu einer schädigenden
Bekanntmachung vom 30. April 2003
Arbeitsschutzagentur, 2010;
BKen, verfügbar auf der Website
Risiken (ESENER), 2010.
›Berufskrankheiten‹. Bek. des BMA
Kausalkette gekommen ist und dies
(BGBl. I S. 604), die durch Artikel 2
www.osha.europa.eu / de /
v. 24. April 1996 – IVa 4-45212/18.
vom Arbeitgeber zu vertreten ist.
der Verordnung vom 4. Oktober 2011
esener-enterprise-survey.
krankheit. In: Deutsches Ärzteblatt,
Jg. 108, 2011, S. 238–242.
12 Vgl. die amtlichen Merkblätter und
der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin (BAUA) unter dem
Stichwort ›Berufskrankheiten‹.
22 Europäische Agentur für Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
23 BKK Bundesverband (Hrsg.),
Die Kosten arbeitsbedingter
Erkrankungen und Frühberentung
in Deutschland, Essen 2008.
Veröffentlichung beschrieben.
Bundesarbeitsblatt 6-1996, S. 25–28.
38 Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften: BK-Report 1 /
2007: Faserjahre. Eigenverlag,
St. Augustin 2007, S. 159.
60 Röntgenverordnung in der Fassung der
(BGBl. I S. 2000) geändert
worden ist.
über neue und aufkommende Risiken
(ESENER), Befragung der Europäischen
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97
BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
KOSTENLOSES BER ATUNGSANGEBOT
Beratung zu Berufskrankheiten
Das kostenlose Beratungsangebot für von
Berufskrankheiten Betroffene unterstützt
bei der Abklärung von Ansprüchen aus der
gesetzlichen Unfallversicherung.
Beratungsschwerpunkte sind:
Orientierung über den Ablauf eines Berufskrankheiten-Verfahrens,
Unterstützung bei der Antragstellung und bei einem Widerspruch,
Hilfe bei der Erstellung der Arbeitsanamnese,
Beratung zu Fragen wie medizinische Begutachtung.
Die Beratungsstelle wendet sich an:
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch die Tätigkeit
in einem Betrieb im Land Bremen betroffen sind,
Bürgerinnen und Bürger des Landes Bremen sowie
Angehörige.
Beratungszeiten
Die Beratungsstelle ist Teil des bis Ende 2012 befristeten Projekts
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben
zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹. Die Trägerschaft
liegt bei der Arbeitnehmerkammer Bremen.
Jeweils mittwochs
von 8.30 bis 12.30 Uhr
Arbeitnehmerkammer Bremen
Geschäftsstelle Bremen-Nord
Lindenstraße 8
28755 Bremen
Telefon: 0421· 66950 - 0
Fax: 0421· 66950 - 41
E-Mail: [email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/
beratung-zu-berufskrankheiten
Die Geschäftsstelle ist barrierefrei.
DAS PROJEK T
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben
zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
Anhang
5
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Als Berufskrankheit gilt eine
Erkrankung nur dann, wenn sie in
der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt ist. Im konkreten Fall
müssen Betroffene einen doppelten
Nachweis erbringen: Es müssen
erheblich höhere berufsbedingte
Belastungen als für die übrige
Bevölkerung bei der Arbeit vorgelegen und die betreffende Krankheit verursacht haben. Weil Berufskrankheiten-Verfahren oft
lange dauern und für die Betroffenen mit hohen Hürden verbunden sind, brauchen sie Unterstützung. Wenn Berufskrankheiten auftreten, zeigt dies aber
auch, dass der betriebliche Arbeitsschutz verbessert werden muss.
Das Projekt hat deshalb eine
doppelte Zielsetzung:
Aufbau einer Beratungsstelle für von
Berufskrankheiten Betroffene: Denn sie
brauchen unabhängige Unterstützung
bei der Abklärung ihrer Ansprüche.
Prävention von Berufserkrankungen:
Das Wissen, wie man die Gesundheit
der Beschäftigten schützen kann,
wird Betrieben, für den Arbeitsschutz
zuständigen Stellen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch
regionale Vernetzung zur Verfügung
gestellt.
Das Projekt, das mit Mitteln aus
dem Europäischen Strukturfonds
gefördert wird, ist bis Ende 2012
befristet.
Das Projekt wird gefördert mit Mitteln der:
Arbeitnehmerkammer
Bremen
Projektpartner sind Senatorin für
Bildung, Wissenschaft und Gesundheit, Landesgewerbearzt Bremen,
Gewerbeaufsicht des Landes Bremen, Landesarbeitskreis für Arbeitsschutz, Deutsche Gesetzliche
Unfallversicherung, AOK Bremen/
Bremerhaven, Handwerkskammer
Bremen, Handelskammer Bremen,
DGB Region Bremen-Elbe-Weser,
Verein Arbeit und Zukunft e.V.,
Deutsche Rentenversicherung.
Kontakt
Projektleitung
Barbara Reuhl,
Arbeitnehmerkammer Bremen
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
0421· 36301- 991
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Durch den Fragebogen sollen die folgenden Berufskrankheiten abgedeckt werden:
1103 Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen
1104 Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen
Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen
1108 Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen
1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide
4104 Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
Freie
Hansestadt
Bremen
Arbeitsgruppe „Berufskrankheiten“ bei
Die Senatorin für Bildung,
Wissenschaft und Gesundheit
- Landesgewerbearzt Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit,
- Landesgewerbearzt- Rembertistraße 8-12, 28195 Bremen
An Thoraxchirurgie/Pneumologie/HNO
Auskunft erteilt
Dr. Hittmann
Zimmer 10.24
T (04 21) 3 61 15119
F (04 21) 3 61 15929
Email
[email protected]
Datum und Zeichen
Ihres Schreibens
Mein Zeichen
(bitte bei Antwort angeben)
406-21-03/7
B
Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir legen Ihnen einen Fragebogen zur Unterstützung Ihrer Arbeitsanamnese vor.
Der Fragebogen ist in erster Linie für Patientinnen und Patienten mit einem
Mesotheliom, Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs konzipiert und soll Hinweise auf
eine berufliche Ursache aufdecken.
Warum sollen berufliche Risiken erkannt werden? In erster Linie geht es um
den Patienten, der von berufsgenossenschaftlichen Leistungen profitieren kann –
sowohl in Bezug auf die Heilbehandlung als auch eine zusätzliche finanzielle
Absicherung. Aber auch die gesetzliche Krankenversicherung und die Berufsgenossenschaften sind aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages an den Berufskrankheiten-Meldungen interessiert. Nicht zuletzt besteht ein Interesse des Staates,
der auswerten kann, in welchen Betrieben Berufskrankheiten entstehen und bei
Bedarf mit Überwachung und Entwicklung von Arbeitsschutzvorschriften
reagiert. Deshalb bestehen gesetzliche Anzeige-Verpflichtungen:
❙ Eine Anzeigepflicht für alle Ärztinnen und Ärzte – unabhängig von der
Einwilligung der Patientin oder des Patienten beim Gewerbearzt oder
der zuständigen Berufsgenossenschaft. (§ 202 Sozialgesetzbuch VII)
❙ Eine Mitteilungspflicht für Ärztinnen und Ärzte in der vertragsärztlichen
Versorgung gegenüber den Krankenkassen bei Berufskrankheiten, Arbeitsunfällen und weiteren Risiken (§ 294 a Sozialgesetzbuch 5), eine ausführlichere Darstellung der gesetzlichen Pflichten ist als Anlage beigefügt.
❙ Eine Berufskrankheiten-Meldung mit dem beigefügten Anzeigenformular
sollte bereits dann erfolgen, wenn die Diagnose gesichert ist und die Patientin oder der Patient ein Feld auf dem Fragebogen angekreuzt hat.
❙ Ein elektronisches Formular der Berufskrankheiten-Anzeige finden Sie hier:
www.dguv.de/formtexte/aerzte/F_6000/F6000.doc
Für die Meldung an die zuständige Krankenkasse genügt eine Kopie des
Fragebogens.
❙ in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)
❙ in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
❙ bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am
Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 x 10 (hoch) 6 ((Fasern/cbm) X Jahre))
4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards
4109 Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder
seine Verbindungen
4110 Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase
4112 Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO(tief )2) bei
nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose)
4113 Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(g/m3) x Jahre]
4114 Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen
aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis,
die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der
Anlage 2 entspricht
Nähere Informationen zu allen Berufskrankheiten finden Sie bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin:
❙ www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Berufskrankheiten/Dokumente/Merkblaetter.html
Sie empfinden die Informationen und den Fragebogen hilfreich? Warum geben Sie die
Unterlagen nicht an Kolleginnen und Kollegen weiter? Für Rückmeldungen zur Verbesserung
des Fragebogens oder über Schwierigkeiten der Patienten beim Ausfüllen des Fragebogens
sind wir dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Anhang 1 Formular BK-Anzeige
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Anlage 2 Erläuterungen zur Anzeigepflicht
§ 202 SGB VII Anzeigepflicht von Ärzten bei Berufskrankheiten
1 Haben Ärzte oder Zahnärzte den begründeten Verdacht, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht, haben sie dies dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen
Arbeitsschutz zuständigen Stelle in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen
Form (§ 193 Abs. 8) unverzüglich anzuzeigen. 2 Die Ärzte oder Zahnärzte haben die Versicherten
über den Inhalt der Anzeige zu unterrichten und ihnen den Unfallversicherungsträger und die
Stelle zu nennen, denen sie die Anzeige übersenden. 3§ 193 Abs. 7 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
Begründeter Verdacht (BKV E §202 SGB VII):
Die Anzeige ist nicht nur zu erstatten, wenn der Arzt das Vorliegen einer Berufskrankheit für
sicher oder für wahrscheinlich hält, sondern bereits, wenn er bei einem Versicherten Krankheitserscheinungen beobachtet, die den Verdacht auf eine Berufskrankheit begründen.
Verstößt der Arzt gegen die Anzeigepflicht, so kann für den Betroffenen und nach seinem Tod
für seinen Sonderrechtsnachfolger ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch entstehen.
Die gesetzliche Anzeigepflicht des Arztes bleibt von der datenschutzrechtlichen Einwilligung
unberührt, weil es sich um eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis handelt. Der Gesetzgeber
hat den Versicherten bei der bestehenden gesetzlichen Anzeigepflicht kein ausdrückliches
Widerspruchsrecht konzediert, deswegen ist der Arzt trotz des Widerspruchs des Betroffenen
zur Meldung an den UV-Träger oder die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle
verpflichtet.
Die Anzeige ist unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Verzögern zu erstatten, und zwar
entweder dem Versicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen
Stelle – in der Regel dem staatlichen Gewerbearzt.
Mitteilungspflicht gegenüber den Krankenkassen
§ 294a SGB V Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten Gesundheitsschäden
(1) 1Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Krankheit eine Berufskrankheit im Sinne der
gesetzlichen Unfallversicherung oder deren Spätfolgen oder die Folge oder Spätfolge eines Arbeitsunfalls, eines sonstigen Unfalls, einer Körperverletzung, einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes oder eines Impfschadens im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ist oder
liegen Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden vor, sind die an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach § 108 verpflichtet, die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen. 2Für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, die nach § 116 des Zehnten Buches auf die Krankenkassen übergehen, übermitteln
die Kassenärztlichen Vereinigungen den Krankenkassen die erforderlichen Angaben versichertenbezogen.
Absatz 1 eingefügt durch G vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190). Satz 1 geändert durch G
vom 28.05.2008 (BGBl I S. 874).
Ärzte und Krankenhäuser sind verpflichtet, den Krankenkassen bei Anhaltspunkten auf eine
Berufskrankheit, die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den
möglichen Verursacher mitzuteilen.
Vorschlag: eine Kopie des Fragebogens wird an die zuständige Krankenkasse übersandt
Arbeitsgruppe „Berufskrankheiten“
Bremen, 26.02.2014
Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen
Liebe Patientin, lieber Patient,
wir legen Ihnen einen Fragebogen vor, mit dem ermittelt werden kann, ob eine Auslösung Ihrer Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit möglich ist. Viele Möglichkeiten haben wir schon bedacht.
Wenn Sie weitere Hinweise oder Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Ihre Stationsärztin oder Ihren Stationsarzt/an ………
Warum dieser Fragebogen sinnvoll ist: Wenn eine Berufskrankheit erkannt wird, können Leistungen von der Gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften) erfolgen, z. B. durch Übernahme von Zuzahlungen oder eine bessere soziale Absicherung. Auch Ihre Krankenkasse wird entlastet, wenn die Heilbehandlung durch die Berufsgenossenschaft bezahlt wird.
Bitte sehen Sie den Bogen sorgfältig durch und machen ein Kreuz, wenn eine Frage auf Sie zutrifft.
Auskünfte zu beruflichen Erkrankungen und Berufskrankheiten können Sie zusätzlich erhalten:
In Bremen:
In Niedersachsen
Landesgewerbearzt
Rembertiring 8 – 12
28199 Bremen
Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Hannover
Gewerbeärztlicher Dienst
Am Listholze 74
30177 Hannover
Telefon: (0511) 9096-0
Telefax: (0511) 9096-199
Tel. 0049421 36115119
Fax 0049421 36115929
Rat und Hilfe können Sie in Bremen jeden Mittwoch auch bei der Berufskrankheiten-Beratung erhalten, Sie ist bei der
Arbeitnehmerkammer in Bremen-Nord
Lindenstraße 8
28755 Bremen
Telefon 0421 6695036 zu erreichen.
Vielen Dank für Ihre Mühe
102
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BERUFSKR ANKHEITEN
PR AXIS
Fragebogen für Patientinnen und Patienten
In welchem der folgenden
Berufe waren Sie tätig?
Oder haben Sie eine der folgenden Tätigkeiten ausgeübt?
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Aufzugsmonteur
Bauberufe
Brandschutztürenhersteller
Bootsbauer
Chemiearbeiter
Dachdecker
Elektriker
Elektromaschinenbauer
Estrichleger
Fernmeldehandwerker
Feuerungsmaurer
Fliesen-, Platten-,
Mosaik- und Bodenleger
Flugzeugmechaniker
Gießer/Former
Gleisbauer
Hafenumschlagarbeiter
Hüttenfacharbeiter
Instandhaltungspersonal
Heizer (Maschinist)
Heizungsmonteur
Installateur
Isolierer
Kaminkehrer
Kessel- und Behälterbauer
Kfz-Mechaniker
Korrosionsschutzwerker
Kraftfahrer
Kunststoffverarbeiter
Lüftungsbauer
Maler/Anstreicher/Lackierer
Mangeler/Bügeler
Maschinenbauer/techniker
Maschinenwärter
Ofensetzer/Luftheizungsbauer
Rohrnetzbauer
Sackreiniger
Säureschutzmonteur
Schiffsingenieur/Maschinist
Schlosser
Schmuckhersteller (Goldschmied)
Schweißer
Steinmetz
Straßenbauer,
Asphalt-Mischanlagen-Führer
Stuckateur
Textilarbeiter
Tischler
Trockenbau-, Akustik- Bauund Brandschutzbaumonteur
Waggonbauer
Werftarbeiter
Zahntechniker
Zimmerer
Mein Beruf ist nicht aufgführt,
ich bin:
Schiffbau
Schiffsausrüstung
Schiffsreparaturen
Reparaturen an Bahnfahrzeugen
Abbruch-, Sanierungs-, und
Instandhaltungsarbeiten
□ Errichtung, Aufbau und Reparatur
von Kraftwerken
□ Arbeiten im industriellen Rohr- und
Behälterbau
□ Umgang mit Asbestzement
□ Wellplattenverarbeitung
□ Umgang mit Asbesttextilien (Garne,
Zwirne, Schnüre, Hitzeschutzbekleidung
– evtl. auch selbst getragen)
□ Rohrleitungsarbeiten
□ Wärmeisolierung (z. B. von Turbinengehäusen und Rohrleitungen, Isolierung
von Blech-, Lüftungs- und Klimakanälen)
□ Spritzisolierungen mit Asbest
(z. B. Waggonbau)
□ Bearbeitung von Isolierungen
und Schalldämmplatten
□ Umgang mit Dichtungen, Isolierungen,
Bremsbelägen und Kupplungen
im Kfz-Bereich
□ Reinigungs- und Wartungsarbeiten
an Kaminen
□ Arbeiten mit Bitumen,
Dach- und Dichtungsbahnen
□ Umgang mit asbesthaltigem Talkum
□ Arbeiten mit Dichtungen
□ Umgang mit dem Bunsenbrenner
□ Hohlglasfertigung
□ Metallerzeugung, Metallverarbeitung
□ Maschinenbau
□ Arbeiten in enger Nachbarschaft zu diesen
Gewerken:=>Chrom, Nickel, Kokereigase,
ionisierende Strahlung, PAK
□ Schweißen/Flammspritzen
□ Arbeiten in einer Kokerei
□ Arbeiten im Erzbergbau
□ Arbeiten mit Strahlenpass/Dosimeter
□ Arbeiten im Hochofenbereich
(Eisen- und Stahlerzeugung)
□ Glanz- und Hartverchromung
in der Galvanotechnik
Liste der Berufskrankheiten
Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV),
zuletzt aktualisiert durch die Zweite Verordnung zur Änderung
der Berufskrankheiten-Verordnung vom 11. Juni 2009
1
Hatten Sie beruflich mit den
folgenden Stoffen zu tun, selbst
oder durch Nachbararbeitsplätze?
11
1101
□ Asbest
□ Chromverbindungen/Chromate
□ Nickelverbindungen
□ Arsenverbindungen
□ Steinkohlenteer, Steinkohlenöl
□ Mineralöle, Ruße, Rohparaffine, Anthrazen
□ Holz-, Lederstaub, Eichen-,
Buchenholzstaub
□ Pyrolyseprodukte (z. B. in der Kokerei,
als Gaswerker, Schornsteinfeger,
Asphaltarbeiter oder Dachdecker)
□ Ionisierende Strahlen/Röntgenstrahlen
□ Dioxine/PCB
1102
1103
1104
1105
1106
1107
Bitte ausfüllen, wenn mindestens ein Kreuz gesetzt wurde
Name, Vorname:
1108
Geb. am:
1109
Anschrift:
1110
Zeitraum der angekreuzten Tätigkeit von:
Bei welchem Arbeitgeber
bis:
12
1201
1202
(bei mehreren Arbeitgebern bitte den letzten angeben)
Anschrift:
Mir ist bekannt, dass diese Informationen zur Prüfung einer Berufskrankheit
an die Berufsgenossenschaft weitergeleitet werden
ja
nein
13
Datum, Unterschrift
1301
Wurde bei Ihnen bereits eine Berufskrankheit anerkannt oder abgelehnt?
ja
nein
1302
Wenn ja, welche Berufskrankheit?
1303
Von welcher Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse?
1304
Durch chemische Einwirkungen
verursachte Krankheiten
Metalle und Metalloide
Erkrankungen durch Blei oder
seine Verbindungen
Erkrankungen durch Quecksilber
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Chrom
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Cadmium
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Mangan
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Thallium
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Vanadium
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Arsen
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch Phosphor
oder seine anorganischen
Verbindungen
Erkrankungen durch Beryllium
oder seine Verbindungen
Erstickungsgase
Erkrankungen durch Kohlenmonoxid
Erkrankungen durch
Schwefelwasserstoff
Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und
sonstige chemische Stoffe
Schleimhautveränderung, Krebs
oder andere Neubildungen der
Harnwege durch aromatische Amine
Erkrankungen durch
Halogenkohlenwasserstoffe
Erkrankungen durch Benzol,
seine Homologe oder durch Styrol
Erkrankungen durch Nitrooder Aminoverbindungen des
Benzols oder seiner Homologe
oder ihrer Abkömmlinge
1305
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1308
1309
1310
1311
1312
1313
1314
1315
1316
1317
1318
Erkrankungen durch
Schwefelkohlenstoff
Erkrankungen durch Methlyalkohol
(Methanol)
Erkrankungen durch
organische Phosphorverbindungen
Erkrankungen durch Fluor
oder seine Verbindungen
Erkrankungen durch
Salpetersäureester
Erkrankungen durch halogenierte
Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide
Erkrankungen durch halogenierte
Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide
Erkrankungen der Zähne durch Säuren
Hornhautschädigungen
des Auges durch Benzochinon
Erkrankungen durch
para-tertiär-Butylphenol
Erkrankungen durch Isocyanate,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung
oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich waren oder
sein können
Erkrankungen der Leber
durch Dimethylformamid
Polyneuropathie oder Enzephalopathie
durch organische Lösungsmittel
oder deren Gemische
Erkrankungen des Blutes, des
blutbildenden und des lymphatischen
Systems durch Benzol
Zu den Nummern 1101 bis 1110, 1201 und
1202, 1303 bis 1309 und 1315: Ausgenommen
sind Hauterkrankungen. Diese gelten
als Krankheiten im Sinne dieser Anlage
nur insoweit, als sie Erscheinungen einer
Allgemeinerkrankung sind, die durch
Aufnahme der schädigenden Stoffe in den
Körper verursacht werden, oder gemäß
Nummer 5101 zu entschädigen sind.
104
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BERUFSKR ANKHEITEN
2
21
2101
2102
2103
2104
2105
2106
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2108
2109
2110
Durch physikalische Einwirkungen
verursachte Krankheiten
Mechanische Einwirkungen
Erkrankungen der Sehnenscheiden
oder des Sehnengleitgewebes
sowie der Sehnen- oder Muskelansätze,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder
das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können
Meniskusschäden nach mehrjährigen
andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten
Erkrankungen durch Erschütterung
bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen
oder gleichartig wirkenden
Werkzeugen oder Maschinen
Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die
zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder
das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können
Chronische Erkrankungen der
Schleimbeutel durch ständigen Druck
Druckschädigung der Nerven
Abrissbrüche der Wirbelfortsätze
Bandscheibenbedingte Erkrankungen
der Lendenwirbelsäule durch
langjähriges Heben oder Tragen
schwerer Lasten oder durch
langjährige Tätigkeiten in extremer
Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können
Bandscheibenbedingte Erkrankungen
der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf
der Schulter, die zur Unterlassung
aller Tätigkeiten gezwungen haben,
die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren
oder sein können
Bandscheibenbedingte Erkrankungen
der Lendenwirbelsäule durch
langjährige, vorwiegend vertikale
Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unter-
PR AXIS
2111
2112
lassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können
Erhöhte Zahnabrasionen durch mehrjährige quarzstaubbelastende Tätigkeit
Gonarthrose durch eine Tätigkeit
im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer kumulativen
Einwirkungsdauer während des
Arbeitslebens von mindestens
13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt
einer Stunde pro Schicht
22
2201
Druckluft
Erkrankungen durch Arbeit
in Druckluft
23
2301
Lärm
Lärmschwerhörigkeit
24
2401
2402
Strahlen
Grauer Star durch Wärmestrahlung
Erkrankungen durch ionisierende
Strahlen
3
Durch Infektionserreger oder
Parasiten verursachte Krankheiten
sowie Tropenkrankheiten
Infektionskrankheiten, wenn der
Versicherte im Gesundheitsdienst,
in der Wohlfahrtspflege oder in
einem Laboratorium tätig oder durch
eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders
ausgesetzt war
Von Tieren auf Menschen
übertragbare Krankheiten
Wurmkrankheit der Bergleute,
verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis
Tropenkrankheiten, Fleckfieber
4103
4104
4105
4106
4107
4108
4109
3101
3102
3103
3104
4110
4111
4112
4113
4
41
4101
4102
Erkrankungen der Atemwege
und der Lungen, des Rippenfells
und Bauchfells
Erkrankungen durch anorganische
Stäube
Quarzstaublungenerkrankung
(Silikose)
Quarzstaublungenerkrankungen
in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose)
4114
Asbeststaublungenerkrankung
(Asbestose) oder durch Asbeststaub
verursachte Erkrankungen der Pleura
Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
❙ in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)
❙ in Verbindung mit durch
Asbeststaub verursachter
Erkrankung der Pleura oder
❙ bei Nachweis der Einwirkung einer
kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis
am Arbeitsplatz von mindestens
25 Faserjahren
{25 x 106 [(Fasern / m³) x Jahre]}
Durch Asbest verursachtes
Mesotheliom des Rippenfells, des
Bauchfells oder des Perikards
Erkrankungen der tieferen Atemwege
und der Lungen durch Aluminium
oder seine Verbindungen
Erkrankungen an Lungenfibrose
durch Metallstäube bei der
Herstellung oder Verarbeitung
von Hartmetallen
Erkrankungen der tieferen Atemwege
und der Lungen durch Thomasmehl
(Thomasphosphat)
Bösartige Neubildungen der Atemwege
und der Lungen durch Nickel
oder seine Verbindungen
Bösartige Neubildungen der Atemwege
und der Lungen durch Kokereirohgase
Chronische obstruktive Bronchitis
oder Emphysem von Bergleuten
unter Tage im Steinkohlebergbau
bei Nachweis der Einwirkung
einer kumulativen Dosis von in
der Regel 100 Feinstaubjahren
[(mg / m³) x Jahre]
Lungenkrebs durch die Einwirkung
von kristallinem Siliziumdioxid
(SiO2) bei nachgewiesener
Quarzstaublungenerkrankung
(Silikose oder Siliko-Tuberkulose)
Lungenkrebs durch polyzyklische
aromatische Kohlenwasserstoffe
bei Nachweis der Einwirkung
einer kumulativen Dosis von
mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren
[(µg / m³) x Jahre]
Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und
polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der
Einwirkung einer kumulativen Dosis,
die einer Verursachungswahrschein-
4115
42
4201
4202
4203
43
4301
4302
5
5101
5102
6
6101
lichkeit von mindestens 50 Prozent
nach der Anlage 2 [der Berufskrankheiten-Verordnung, Anmerkung
der Verfasser] entspricht
Lungenfibrose durch extreme
und langjährige Einwirkung von
Schweißrauchen und Schweißgasen
(Siderofibrose)
Erkrankungen durch
organische Stäube
Exogen-allergische Alveolitis
Erkrankungen der tieferen
Atemwege und der Lungen durch
Rohbaumwoll-, Rohflachsoder Rohhanfstaub (Byssinose)
Adenokarzinome der Nasenhauptund Nasennebenhöhlen durch
Stäube von Eichen- oder Buchenholz
Obstruktive
Atemwegserkrankungen
Durch allergisierende Stoffe
verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich
Rhinopathie), die zur Unterlassung
aller Tätigkeiten gezwungen haben,
die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können
Durch chemisch-irritativ oder
toxisch wirkende Stoffe verursachte
obstruktive Atemwegserkrankungen,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung
oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich waren oder
sein können
Hautkrankheiten
Schwere oder wiederholt rückfällige
Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können
Hautkrebs oder zur Krebsbildung
neigende Hautveränderungen
durch Ruß, Rohparaffin, Teer,
Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe
Krankheiten sonstiger Ursache
Augenzittern der Bergleute
106
107
BERUFSKR ANKHEITEN
AN
ÜR BERUFSKR
BER ATUNG F
PR AXIS
KHEITEN
BER ATUNG FÜR BERUFSKR ANKHEITEN
Beratung für
Berufskrankheiten
Haben Sie den Verdacht, dass eine Erkrankung
durch Ihre Er werbstätigkeit entstanden ist? Dann
sollte abgeklär t werden, ob eine Ber ufskrankheit
(BK) vorliegt. Möglicher weise besteht Anspr uch auf
Versicher ungsleistungen, beispielsweise medizinis c h e B e h a n d l u n g u n d Re h a b i l i t a t i o n , b e r u f l i c h e
Reha-Maßnahmen wie zum Beispiel Umschulungen,
die Anpassung des Arbeitsplatzes oder der Wohnung
sowie eine Rente.
Wenn Sie die zuständige Ber ufsgenossenschaf t
(BG) oder Unfallkasse infor mieren, wird diese ermitteln, ob eine Ber ufskrankheit vorliegt. Im ersten
Schritt muss bewiesen werden, dass Sie bei der
b e r u f l i c h e n T ä t i g ke i t d e n f ü r d i e b e t r e f f e n d e E r k r a n k u n g m a ß ge b l i c h e n E i n w i r k u n ge n a u s ge s e t z t s i n d
oder waren. Im zweiten Schritt wird durch ein medizinisches Gutachten geklär t, ob die konkrete Erkrankung durch diese Einwirkung hervorger ufen wurde.
Um Ihr Anliegen unabhängig beur teilen zu
lassen, können Sie sich von der Ber ufskrankheitenB e r a t u n g d e r A r b e i t n e h m e r k a m m e r B r e m e n u n te r s t ü t z e n l a s s e n . D i e B e r a t u n g s s te l l e b e r ä t
Unser Service für Sie
Die Beratungsstelle für Berufskrankheiten wird aus Mitteln des
Senators für Gesundheit f inanziert. Die Beratung ist kostenlos.
Beratung für
n
Berufskrankheite
w w w. a r b e i t n
ehmerkamme
r. d e
Kontakt
www.arbeitnehmerkkammer.de
Beratungsstelle für Berufskrankheiten
Arbeitnehmerkammer Bremen
Niklas Wellmann
Telefon 0421 · 66950 -36 | Fax 0421 · 66950 - 46
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de/bk-beratung
Bremen-Stadt
Sprechzeiten
Sprechzeiten
Donnerstag
13 bis 17.30 Uhr
b e i d e r M e l d u n g e i n e r B e r u f s k ra n k h e i t
beim Ausfüllen der Fragebögen
wenn ein Widerspr uch zu einem Bescheid
for mulier t werden muss
wenn Akteneinsicht er forderlich ist
u m d a s m e d i z i n i s c h e G u t a c h te n z u e r l ä u te r n
bei möglichen Ver fahrensfehler n.
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
mer
H
Straßenbahn
2, 3, 4, 5, 6, 8
Bus 24, 25
Bremen-Nord
Sprechzeiten
Sprechzeiten
Lindenstraße 8
28755 Bremen
H
Bremerhaven
B u s 91 / 9 2 , 9 4
Sprechzeiten
Sprechzeiten
Foto: Handwerkskammer Bremen
Mittwoch
10 bis 12 Uhr und
15 bis 17 Uhr
Dienstag
13 bis 17.30 Uhr
M
a r t i n - D o n a n d tt Platz
Martin-Donandt-Platz
L
loydstraße/VHS
Lloydstraße/VHS
Barkhausenstraße 16
27568 Bremerhaven
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Bus 501/506,
502/508/509
Juli / 2014
Arbeitnehmerkam
Bremen
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i n i g u n g s b e r u fe ,
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Lu n g e n k r e b s : S
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T ä t i g k e i te n m i t
Schweißrauchen
, Teerdämpfen
oder radioaktive
n St r a h l e n
108
BERUFSKR ANKHEITEN
Die Beratungszeiten
weichen teilweise von den
Öffnungszeiten ab – bitte
erfragen Sie diese telefonisch oder bei Ihrem
HER AUSGEBER
nächsten Besuch oder
informieren Sie sich im
Orte und Zeiten für Beratungen
Arbeitnehmerkammer Bremen
Internet.
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
Telefon 0421· 36301- 0
Geschäftsstelle Bremen
Telefax 0421·36301- 89
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
Telefon: 0421· 36301-0
Telefax: 0421· 36301-89
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de
R E DA K T I O N
V E R FA S S E R I N N E N / V E R FA S S E R
Barbara Reuhl
Annette Düring,
DGB-Regionsvorsitzende Bremen-Elbe-Weser
GR AFISCHE GESTALTUNG
Harm Ehmke,
Designbüro Möhlenkamp, Bremen
ehem. Betriebsrat bei der Airbus Deutschland GmbH,
Marlis Schuldt
ehem. Vorstandsvorsitzender der BG ETEM auf Versichertenseite
Jörg Möhlenkamp
❚ Allgemeine Öffnungszeiten
Montag bis Donnerstag
8.00 –18.30 Uhr
Freitag
8.00 –13.00 Uhr
Prof. Dr. jur. Joachim Heilmann,
Professor für Zivil- und Arbeitsrecht i. R.
FOTOS
Dr. Wolfgang Hien,
Kay Michalak,
Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie,
Marlis Schuldt,
Bremen, wissenschaftlicher Berater im Projekt
Handwerkskammer Bremen,
Dr. Frank Hittmann,
Fotostudio Penz,
Landesgewerbearzt Bremen,
Landesinstitut für Schule,
Referat Arbeitsschutz beim Senator für Gesundheit Bremen
LianeM – Fotolia.com,
Andrea Im Sande,
Berufsgenossenschaft Holz und Metall
DRUCK
Vertreterin der DGUV im Projekt
Girzig & Gottschalk, Bremen
Corinna Mahlstedt,
AOK Bremen / Bremerhaven
Stand: Dezember 2013
Petra Müller-Knöß,
IG Metall Vorstand, Abt. Sozialpolitik
H Straßenbahn
2, 3, 4, 5, 6, 8
Bus 24, 25
P Parkhaus
Violenstraße
Geschäftsstelle Bremerhaven
Barkhausenstraße 16
27568 Bremerhaven
Telefon: 0471· 92235-0
Telefax: 0471· 92235-49
[email protected]
Martin-Donandt-Platz
Barbara Reuhl,
Referentin für Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik
bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, Projektleiterin
Tuku Roy-Niemeier,
Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzberaterin
❚ Allgemeine Öffnungszeiten
Montag und Mittwoch
8.00 –18.30 Uhr
Dienstag und Donnerstag
8.00 –16.30 Uhr
Freitag
8.00 –13.00 Uhr
bei der Handwerkskammer Bremen
Rolf Spalek,
Lloydstraße/VHS
H Bus
505, 506
Martin-DonandtPlatz
502, 508, 509
Loydstraße/VHS
ehem. Betriebsrat der Bremer Vulkan AG,
Berufskrankheiten-Berater im Projekt
Dr. Henning Wriedt,
Beratungsstelle ›Arbeit und Gesundheit‹, Hamburg
Geschäftsstelle Bremen-Nord
Lindenstraße 8
28755 Bremen
Telefon: 0421· 66950-0
Telefax: 0421· 66950-41
[email protected]
❚ Allgemeine Öffnungszeiten
Montag und Donnerstag
8.00 –18.30 Uhr
Dienstag und Mittwoch
8.00 –16.30 Uhr
Freitag
8.00 –13.00 Uhr
H Bus
91/92, 94
Fährgrund
w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e
Arbeitnehmerkammer
Bremen
Praxis
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und
Berufe. Im Land Bremen werden jährlich mehr als 1.000
Erkrankungen als Berufskrankheit angezeigt – davon
anerkannt aber nur 350. In der vorliegenden Veröffentlichung sind Erfahrungen und Erkenntnisse aus mehr
als 180 Beratungsfällen eingeflossen, die im Rahmen des
Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung
von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
gemacht wurden. Sie zeigt auf, welche Schwierigkeiten sich
für die Betroffenen ergeben, wie das Anerkennungsverfahren aufgebaut ist und weche Präventionsmöglichkeiten
es gibt, um Beschäftigte vor Berufskrankheiten zu schützen.
Praxis
Wissenstransfer
Berufskrankheiten
Wissenstransfer Berufskrankheiten
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN
2|2014
Wissenstransfer
Berufskrankheiten
2
Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt
›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von
Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹
Praxis
⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇
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Arbeitnehmerkammer
Bremen