Wissenstransfer Berufskrankheiten
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Wissenstransfer Berufskrankheiten
w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e Arbeitnehmerkammer Bremen Praxis SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und Berufe. Im Land Bremen werden jährlich mehr als 1.000 Erkrankungen als Berufskrankheit angezeigt – davon anerkannt aber nur 350. In der vorliegenden Veröffentlichung sind Erfahrungen und Erkenntnisse aus mehr als 180 Beratungsfällen eingeflossen, die im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ gemacht wurden. Sie zeigt auf, welche Schwierigkeiten sich für die Betroffenen ergeben, wie das Anerkennungsverfahren aufgebaut ist und weche Präventionsmöglichkeiten es gibt, um Beschäftigte vor Berufskrankheiten zu schützen. Praxis Wissenstransfer Berufskrankheiten Wissenstransfer Berufskrankheiten SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN 2|2014 Wissenstransfer Berufskrankheiten 2 Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ Praxis ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Arbeitnehmerkammer Bremen Die Beratungszeiten weichen teilweise von den Öffnungszeiten ab – bitte erfragen Sie diese telefonisch oder bei Ihrem HER AUSGEBER nächsten Besuch oder informieren Sie sich im Orte und Zeiten für Beratungen Arbeitnehmerkammer Bremen Internet. Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon 0421· 36301- 0 Geschäftsstelle Bremen Telefax 0421·36301- 89 Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon: 0421· 36301-0 Telefax: 0421· 36301-89 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de R E DA K T I O N V E R FA S S E R I N N E N / V E R FA S S E R Barbara Reuhl Annette Düring, DGB-Regionsvorsitzende Bremen-Elbe-Weser GR AFISCHE GESTALTUNG Harm Ehmke, Designbüro Möhlenkamp, Bremen ehem. Betriebsrat bei der Airbus Deutschland GmbH, Marlis Schuldt ehem. Vorstandsvorsitzender der BG ETEM auf Versichertenseite Jörg Möhlenkamp ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag bis Donnerstag 8.00 –18.30 Uhr Freitag 8.00 –13.00 Uhr Prof. Dr. jur. Joachim Heilmann, Professor für Zivil- und Arbeitsrecht i. R. FOTOS Dr. Wolfgang Hien, Kay Michalak, Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie, Marlis Schuldt, Bremen, wissenschaftlicher Berater im Projekt Handwerkskammer Bremen, Dr. Frank Hittmann, Fotostudio Penz, Landesgewerbearzt Bremen, Landesinstitut für Schule, Referat Arbeitsschutz beim Senator für Gesundheit Bremen LianeM – Fotolia.com, Andrea Im Sande, Berufsgenossenschaft Holz und Metall DRUCK Vertreterin der DGUV im Projekt Girzig & Gottschalk, Bremen Corinna Mahlstedt, AOK Bremen / Bremerhaven Stand: Dezember 2013 Petra Müller-Knöß, IG Metall Vorstand, Abt. Sozialpolitik H Straßenbahn 2, 3, 4, 5, 6, 8 Bus 24, 25 P Parkhaus Violenstraße Geschäftsstelle Bremerhaven Barkhausenstraße 16 27568 Bremerhaven Telefon: 0471· 92235-0 Telefax: 0471· 92235-49 [email protected] Martin-Donandt-Platz Barbara Reuhl, Referentin für Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, Projektleiterin Tuku Roy-Niemeier, Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzberaterin ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag und Mittwoch 8.00 –18.30 Uhr Dienstag und Donnerstag 8.00 –16.30 Uhr Freitag 8.00 –13.00 Uhr bei der Handwerkskammer Bremen Rolf Spalek, Lloydstraße/VHS H Bus 505, 506 Martin-DonandtPlatz 502, 508, 509 Loydstraße/VHS ehem. Betriebsrat der Bremer Vulkan AG, Berufskrankheiten-Berater im Projekt Dr. Henning Wriedt, Beratungsstelle ›Arbeit und Gesundheit‹, Hamburg Geschäftsstelle Bremen-Nord Lindenstraße 8 28755 Bremen Telefon: 0421· 66950-0 Telefax: 0421· 66950-41 [email protected] ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag und Donnerstag 8.00 –18.30 Uhr Dienstag und Mittwoch 8.00 –16.30 Uhr Freitag 8.00 –13.00 Uhr H Bus 91/92, 94 Fährgrund PR AXIS SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN 2|2014 Wissenstranfer Berufskrankheiten Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ Gefördert mit Mitteln aus dem Europäischen Strukturfonds (EFRE) Praxis ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Arbeitnehmerkammer Bremen BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Inhalt 4 6 8 1 10 11 14 19 27 32 34 39 2 46 47 52 Vorwort Arbeitnehmerkammer Bremen Geleitwort Senator für Gesundheit Grußwort Verein ›Arbeit und Zukunft e.V.‹ Berufskrankheiten: ›Altes‹ Thema, neue Herausforderungen Berufskrankheiten: Eine unendliche Geschichte? Wolfgang Hien, Barbara Reuhl Berufskrankheiten im Land Bremen Barbara Reuhl Das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ – Ergebnisse und Erfahrungen Barbara Reuhl Strukturelle Hürden für die Anerkennung von Berufskrankheiten Wolfgang Hien Meine Erfahrungen als Berater für Berufskrankheiten-Betroffene Rolf Spalek Prävention von Berufskrankheiten: Ohne Aufsicht geht es nicht! Annette Düring Das Beispiel Asbest Wolfgang Hien, Barbara Reuhl 3 56 57 61 68 4 70 71 75 81 Die Last mit den Beweisen Die Notwendigkeit von Beweiserleichterungen im Recht der Berufskrankheiten Joachim Heilmann Entwicklung einer Berufskrankheiten-Datenbank zur Beweissicherung und als Grundlage für Epidemiologie und Prävention: Überlegungen zur Konzeption Wolfgang Hien 86 90 94 5 96 97 98 103 106 Zusammenarbeit: Die Gesetzliche Unfallversicherung und die Krankenkassen Berufskrankheiten – wie beraten die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung? Andrea Im Sande Die AOK Bremen / Bremerhaven als Kooperationspartner des EU–Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ Corinna Mahlstedt Die Arbeitsweise in den Renten- und Widerspruchsausschüssen aus Sicht der Versicherten verbessern! Harm Ehmke Am besten: Vorbeugen! Handlungsmöglichkeiten im Betrieb ›Hautschutz bei der Arbeit – machen Sie es wie die Profis!‹ – Ein Beispiel für erfolgreichen Wissenstransfer in die Betriebe Tuku Roy-Niemeier Wie können Berufskrankheiten-Verfahren für eine bessere Prävention genutzt werden? Henning Wriedt Arbeitsmedizinische Vorsorge Frank Hittmann Minimierung krebserzeugender Stoffe – ein Ansatz zur Verminderung arbeitsbedingter Krebserkrankungen Henning Wriedt Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten im Zusammenhang mit Berufskrankheiten Petra Müller-Knöß Anmerkungen Anhang Projektflyer Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen Liste der Berufskrankheiten Faltblatt Beratung für Berufskrankheiten 4 5 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Vorwort Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und Berufe. Häufig kommen Hauterkrankungen, Lärmschwerhörigkeit, bandscheibenbedingte Erkrankungen, Lungenkrebs und Schädigungen der Knie vor. Jedes Jahr werden im Land Bremen durchschnittlich etwas mehr als eintausend Erkrankungen als Berufskrankheit bei den zuständigen Unfallversicherungsträgern angezeigt, jedoch jeweils nur etwas mehr als 350 Fälle anerkannt. Als Spätfolge der Asbestbelastung früherer Jahre im Hafenumschlag und im Schiffbau ist das Land Bremen in besonderem Maß durch Berufserkrankungen betroffen. Bezogen auf die Zahl der jährlichen Anzeigen wird mit mehr als einem Drittel ein größerer Teil der angezeigten BK-Fälle anerkannt als im Bund. Auch BK-Renten werden in mehr Fällen gezahlt, und es kommt zu mehr Todesfällen infolge einer Berufserkrankung. Die Berufskrankheiten sind ein Sonderfall der arbeitsbedingten Erkrankungen. Nur diejenigen Krankheiten, die in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt sind, können unter eng definierten Kriterien als Berufskrankheit anerkannt werden. Bis dahin können sich den Betroffenen viele Hürden in den Weg stellen, auch weil es oft Jahre dauert, bis sich Krankheitssymptome zeigen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus mehr als 180 Beratungsfällen im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ sind in die vorliegende Veröffentlichung eingegangen. Sie belegen, dass viele Verfahren daran scheitern, dass die Betroffenen den Nachweis für die berufliche Verursachung ihrer Erkrankung nicht erbringen können: Weil sich Symptome möglicherweise erst nach vielen Jahren zeigen und dann die Arbeitsgeschichte nicht vollständig nachverfolgt werden kann, weil beim Arbeitgeber keine Unterlagen über die Arbeitsbelastungen vorliegen, wenn der Betrieb erloschen ist, wenn der Arbeitsplatz oft gewechselt oder in Leiharbeit gearbeitet wurde. Möglicherweise hat auch die Berufsgenossenschaft die Arbeitsbelastungen nicht gründlich genug ermittelt. In vielen Fällen macht es Sinn, die Beweislast umzukehren oder zumindest zu erleichtern, denn sie bringt die Betroffenen in Beweisnot. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die Absicht der Bremer Politik, in diesem Punkt auf Bundesebene weiterhin aktiv zu werden. Um Betroffene in dem meist aufwendigen und langwierigen Verwaltungsverfahren zur Klärung ihrer Ansprüche zu unterstützen, wurde auf Beschluss der Bremischen Bürgerschaft, mit Mitteln aus dem Europäischen Strukturfonds gefördert, in dem Projekt ein unabhängiges, fachkundiges Beratungsangebot entwickelt. Das Vorhaben wurde in Trägerschaft der Arbeitnehmerkammer Bremen durchgeführt, getragen von einer erfolgreichen Kooperation, an der Politik, Verwaltung, die Gesetzliche Unfallversicherung, Krankenkassen, die Bremische Evangelische Kirche, Kammern, Gewerkschaften beteiligt waren. Allen Projektpartnern sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Viele Ratsuchende haben durch die Beratung Unterstützung erfahren, weil sie schneller und sicherer ihre Ansprüche klären konnten. Die Betroffenen, aber auch die Sozialversicherungssysteme und die Arbeitgeber haben Vorteile, wenn Ansprüche der Versicherten zügiger abgeklärt und die Aktivitäten zur Prävention von Berufskrankheiten verbessert werden. Ziel des Projekts war es deshalb auch, Erkenntnisse aus der Beratung für die gezielte betriebliche Prävention von Berufskrankheiten zu nutzen. Auch wenn die Arbeitsbedingungen heutzutage stark durch psychische Belastungen geprägt sind – die ›alten‹ Belastungen sind nicht verschwunden. Sie sind vielleicht nur weniger sichtbar, wenn Beschäftigte zunehmend in flexibler oder prekärer Beschäftigung oder in Leiharbeit tätig sind. Berufskrankheiten sind immer noch ein aktuelles Thema, und gerade die ›neuen‹ Belastungen spielen eine gewichtige Rolle dabei. Denn Zuständigkeiten sind oft unklar und das Arbeitsschutzniveau ist eher niedriger, wenn Arbeit flexibler und dereguliert wird. Bei häufigeren Arbeitsplatzwechseln, bei Umstrukturierungen und bei Betriebsinsolvenzen wird es schwieriger, Belastungen im Nachhinein nachzuweisen, wie im Fall einer Berufskrankheit zu leisten. Hier ist der Arbeitsschutz gefordert, neue Konzepte und Aktivitäten zu entwickeln, die den Schutz der Gesundheit sichern. Politik ist an dieser Stelle gefordert, die Kapazitäten der staatlichen Gewerbeaufsicht und der Unfallversicherungsträger zu erhalten und sie an den Stellen, wo sie nicht ausreichend sind auszubauen. Es stellt einen großen Erfolg für alle Beteiligten dar, dass es gemeinsam gelungen ist, nach Abschluss des Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ ein dauerhaftes Beratungsangebot zu etablieren. Es wird durch das Land Bremen finanziert und hat seit Mitte 2013 seinen Sitz in der Arbeitnehmerkammer Bremen. Das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ hat auch überregional große Aufmerksamkeit gefunden. Inzwischen werden von Gewerkschaften, federführend die IG Metall, für alle Bundesländer unabhängige Beratungsangebote für Berufskrankheiten gefordert. Die Arbeitnehmerkammer Bremen begrüßt es sehr, dass die im Projekt aufgebaute Vernetzung weiter besteht. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um auch in Zukunft gemeinsam darauf hinzuwirken, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen gesunde und sichere Arbeitsbedingungen vorfinden. Peter Kruse Ingo Schierenbeck Präsident Hauptgeschäftsführer 6 7 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Geleitwort Der Schutz der seelischen und körperlichen Unversehrtheit hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Um ihn zu gewährleisten nimmt das Arbeitsschutzrecht die Arbeitgeber in die Verantwortung. Nach dem nationalen und dem europäischen Recht müssen Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass ›eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird‹ (Arbeitsschutzgesetz). Allen Bemühungen zum Trotz kommt es zu Unfällen und Erkrankungen durch die Arbeit. Die angemessene Behandlung, bestmögliche Rehabilitation und gerechte Entschädigung der Gesundheitsschäden ist durch den Gesetzgeber in die Hand der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften und Unfallkassen) gelegt, die Arbeitgeber finanzieren diese durch Mitgliedsbeiträge. Viele Berufskranke haben sich in der Vergangenheit an die Politik gewandt, weil sie bei der Frage: Habe ich eine Berufskrankheit und wie erlange ich einen gerechte Entschädigung? Rat und Hilfe suchten. Wurde durch eine Beschäftigung bei einem Arbeitgeber eine seelische oder körperliche Krankheit oder als Folge eines Unfalles eine Behinderung erworben, so ist es nur recht und billig, wenn eine angemessene Entschädigung gewährt wird, es sei denn, durch optimale Behandlung können die gesundheitlichen Folgen geheilt werden. In Deutschland wurde schon vor mehr als 125 Jahren die gesetzliche Unfallversicherung eingerichtet, von den Arbeitgebern finanziert soll sie diese Sozialleistungen erbringen, wenn die Verursachung durch die Tätigkeit ausreichend gesichert ist. Zwar soll die Unfallversicherung selbst prüfen, ob sie leistungspflichtig ist, fehlende Beweise gehen aber zu Lasten des Erkrankten. Immer wieder wird der Verdacht ausgesprochen, dass Ermittlungen nicht in der nötigen Tiefe geführt werden, um eine Leistungspflicht zu vermeiden. Beweisnot trifft viele Berufskranke, die erst lange Jahre oder Jahrzehnte nach der Einwirkung krebserzeugender Stoffe erkrankt sind und Hilfe benötigen, zu einem Zeitpunkt, wenn die Informationen über den Arbeitsplatz trotz eindeutiger Aufbewahrungspflichten von bis zu 40 Jahren, nicht mehr verfügbar sind und vom Arbeitgeber schon lange vernichtet wurden. In dieser Situation werden die Beschäftigten bestraft, die ihre Gesundheit durch die Beschäftigung eingebüßt haben, belohnt werden die Arbeitgeber, die pflichtwidrig Beweise nicht dokumentiert und aufbewahrt haben. Das Sozialrecht gehört wegen dieser Frage auf den Prüfstand, denn es verpflichtet die Antragsteller, ihre Ansprüche zu beweisen, sie gehen bei fehlenden Beweisen leer aus, auch dann, wenn der Informationsverlust nicht durch die Erkrankten selbst zu verantworten ist. Eine Korrektur der Beweisregel im Sinne der Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr für diese Konstellation ist dringend geboten. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen ist auf Beschluss der Bremischen Bürgerschaft deshalb bereits initiativ geworden. Die Länder haben die Bundesregierung zu entsprechenden Änderungen des Sozialrechtes aufgefordert. Diese Initiative wird weiter verfolgt werden. Unabhängig von dem Bemühen, das Recht umzugestalten, muss den Betroffen geholfen werden. Viele suchen eine unabhängige Beratungsstelle, weil sie der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung durch die Unfallversicherungsträger misstrauisch gegenüberstehen. Die rege Nachfrage bei der im Rahmen des Projektes eingerichteten Beratungsstelle zeigt wie viele Fragen bestehen und belegt, dass sich die Betroffenen von einer unabhängigen Beratungsstelle neutrale Auskünfte, Hilfestellungen und Orientierung versprechen. Obwohl umfangreiche Meldeverpflichtungen bei Berufskrankheiten bestehen, werden Beratungen auch zu der Frage abgefordert, ob die eigene Krankheit überhaupt eine Berufskrankheit sein kann und wie eine Berufskrankheiten-Anerkennung erlangt werden kann. Der vorliegende Projektbericht greift viele dieser Fragen auf und zeigt Erfolge, aber auch Defizite an. Grund zum Handeln – im Hinblick auf eine Erleichterung und Unterstützung der Betroffenen auf dem Wege zur Anerkennung einer Berufskrankheit, aber besonders mit dem Ziel, Bedingungen am Arbeitsplatz zu schaffen, die nicht krank machen. Hier ist die abgestimmte und koordinierte Beratung und Überwachung durch die Gewerbeaufsicht und die Unfallversicherungsträger dringend erforderlich. Entsprechende Aktivitäten werden mit der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) verfolgt. Die vielen Ratsuchenden bieten gute Gründe, die Beratung für Berufskranke im Lande Bremen dauerhaft einzurichten. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat deshalb mit der Arbeitnehmerkammer vereinbart, dass eine Beratungsstelle eingerichtet wird und die Finanzierung für diese Beratungsstelle zugesagt. Diese Vereinbarung wurde inzwischen mit der Festeinstellung eines Beraters umgesetzt. Die Beratungen sind weiterhin gut nachgefragt. Dr. Hermann Schulte-Sasse Freie Hansestadt Bremen Senator für Gesundheit 8 9 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Grußwort Dieses Lesebuch hat eine lange Vorgeschichte, die mit dem Betriebsrat der Bremer Vulkan-Werft und dem kirchennahen Verein ›Arbeit und Zukunft‹ verbunden ist: Am 15. August 1997, dem Tag, an dem die Tore der Vulkan-Werft endgültig schlossen, haben wir – der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der ev. Kirche u. a. – eine sogenannte Trauerfeier veranstaltet, in deren Mittelpunkt ein Fragezeichen stand. Es sollte ein Versprechen symbolisieren: Wir fragen nach, was aus Euch, den Vulkanesen geworden ist, auch wenn es nicht mehr die großen Schlagzeilen gibt. Wir hatten damals den Verein Arbeit und Zukunft gegründet, der der Träger einer neuen Beratungsstelle für Arbeitslose am Sedanplatz wurde. Am 1. Mai 97 wurde sie eröffnet. Nach dieser Trauerfeier kam frühere Betriebsrat des Vulkan, Rolf Spalek auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, dass der Verein Mitträger eines Forschungs- und Beratungsprojektes zur Berufskrankheitensituation der ehemaligen Vulkanesen werden könnte, das von Dietrich Milles und Wolfgang Hien von der Universität Bremen zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung initiiert werden sollte. Schon ab Herbst 1997 hat Rolf Spalek dann in der Beratungsstelle am Sedanplatz einmal wöchentlich seine ehemaligen Kollegen unter anderem in Fragen der Asbestose ehrenamtlich beraten. Er setzte damit sein Engagement fort, das er bis dato im Betriebsrat der VulkanWerft ausgeübt hatte. 1999 bis 2001 konnte er das zusammen mit Gisela Rexhausen auf einer ABM-Stelle hauptberuflich im Rahmen des Forschungsprojektes fortführen. 2001 nach Abschluss des Forschungsprojektes drohte das Ende dieser Beratungsarbeit, die sehr intensiv angenommen worden war. Die Bremische Politik konnte oder wollte die Eigenmittel nicht bereitstellen, die nötig waren um Rolf Spalek weiter zu beschäftigen. Uns, dem Verein Arbeit und Zukunft, ist es zum Glück gelungen, private Mittel zu organisieren, so dass Rolf von 2001 bis 2004 diese Arbeit im ehemaligen Betriebsratsgebäude fortsetzen konnte. Seit seiner Verrentung 2005 bis zum Mai 2001 hat er die Beratung dann wieder ehrenamtlich fortgeführt, der Verein stellte seitdem die eher geringen Sachkosten zur Verfügung. Im Mai 2011 wurde dann diese Tätigkeit in die Beratungsstelle der Arbeitnehmerkammer in Bremen-Nord überführt und nach dem Ende des hier den Rahmen bietenden Projektes endlich zu einer Dauerreinrichtung in Bremen. 15 Jahre lang hat Rolf Spalek Arbeitnehmer in Bremen-Nord – keineswegs nur Vulkanesen – bezahlt und unbezahlt in Fragen von Berufskrankheiten beraten, wissenschaftlich begleitet von Wolfgang Hien. Beide zusammen haben sich in außerordentlichem Maß verdient gemacht um das Lebensschicksal vieler betroffener Arbeitnehmer. Wir sind ebenso der Arbeitnehmerkammer dankbar, dass sie 2011 ermöglicht hat diese Arbeit fortzusetzen und auch offiziell für alle betroffenen Arbeitnehmer zugänglich zu machen. ›Am Ende ein neuer Anfang?‹ war der Titel der ersten wissenschaftlichen Studie von 2001 über die Arbeitslosigkeit der ehemaligen Vulkanesen. Am Ende ein neuer Anfang! – das gilt hoffentlich für die Berufskrankenberatung in Bremen. Dafür möge auch dieses Buch stehen. Reinhard Jung Verein ›Arbeit und Zukunft e.V.‹ 10 11 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Berufskrankheiten: Eine unendliche Geschichte? Berufskrankheiten: ›Altes‹ Thema – neue Herausforderungen 1 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Berufskrankheiten werden rechtlich auf der Basis des Sozialgesetzbuches (SGB) VII, § 9, geregelt. Als Berufskrankheit (BK) werden Erkrankungen bei Personen anerkannt, die in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung über viele Jahre hinweg – als Faustformel gilt hier: mindestens zehn Jahre oder länger – schweren oder sehr schweren beruflichen Belastungen ausgesetzt waren. Die Rechtsprechung verlangt eine ›überwiegende Wahrscheinlichkeit‹ des beruflichen Einwirkungsfaktors – der Exposition (übersetzt: Ausgesetztsein) – für die Verursachung der Krankheit. Denn die berufliche Exposition muss mehr wiegen als alle anderen Faktoren des privaten Lebensstils zusammen. Hierdurch soll eine Trennungslinie zur ›normalen‹, alters- und schicksalsbedingten Krankheit und Invalidität gezogen werden. Auch in der aktuellen Fachdebatte wird zwischen arbeits- und berufsbedingten Erkrankungen unterschieden. ›Arbeitsbedingt‹ soll heißen, dass Arbeit ein ursächlicher Faktor unter anderen ist; ›berufsbedingt‹ soll heißen, dass die Arbeit die hauptsächliche Krankheitsursache ist. Dieses sogenannte KausalitätsPrinzip ist nach wie vor geltendes Recht. Die Berufsgenossenschaften sind – allein schon aus ökonomischen Gründen – angehalten, Berufskrankheiten ›mit allen Mitteln‹ zu verhüten. Das heißt, den betrieblichen Arbeitsschutz durch zielgerichtete Prävention, Beratung und Kontrolle zu verbessern. Es wirkt jedoch gewissermaßen auch ›verhütend‹, wenn die Hürden für eine Anerkennung durch eine Reihe weiterer Bedingungen wie z. B. die Aufgabe der Tätigkeit, sehr hoch gesetzt werden. Die meisten arbeitsbedingten Erkrankungen sind im Sinne des BK-Rechts nicht anerkennungsfähig. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 70.566 Anzeigen auf Berufskrankheit erstattet, davon wurden lediglich 15.291 anerkannt, das sind rund 22 Prozent. Im gleichen Zeitraum gab es 4.924 neue BK-Ren- WOLFGANG HIEN I BARBARA REUHL ten und 2.454 Todesfälle infolge einer Berufskrankheit. Die derzeit gültige BerufskrankheitenListe (BK-Liste) umfasst 73 Positionen und ist in folgende Kapitel gegliedert: 1. durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten wie z. B. Metalle, Erstickungsgase, Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel 2. durch physikalische Einwirkungen verursachte Erkrankungen 3. durch Infektionserreger verursachte Krankheiten 4. Erkrankungen der Atemwege 5. Hautkrankheiten und 6. Sonstige. Ein Blick in die Geschichte der Gesetzlichen Unfallversicherung 1884 wurde unter Bismarck das Unfallversicherungsgesetz erlassen, das den am Arbeitsplatz verunfallten Arbeitern und Arbeiterinnen wenigstens eine gewisse Entschädigung zubilligte.1 Darauf beruhende Unfallrenten – damals noch in bescheidener Höhe – wurden von den neu gegründeten Berufsgenossenschaften gezahlt. Das bedeutete eine Ablösung der Haftpflicht der Unternehmer; sie wurden durch die Berufsgenossenschaften entlastet. Es dauerte Jahrzehnte, bis auf massiven Druck der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie hin erreicht wurde, dass einige schwere Erkrankungen, die sich Arbeiter und Arbeiterinnen ursächlich durch ihre Tätigkeit zugezogen hatten, den Unfällen gleichgestellt wurden und somit dem Prinzip nach entschädigt werden konnten.2 Die erste Berufskrankheiten-Verordnung von 1925 listete 13 Erkrankungen auf. Vorwiegend handelte es sich um Erkrankungen durch die Einwirkung gefährlicher Arbeitsstoffe, beispielsweise durch Blei, Phosphor, Quecksilber, Arsen und Benzol hervorgerufene Krankheiten sowie Hautkrebs durch Ruß, Paraffin, Teer, Grauer Star bei Glasmachern, Erkrankungen durch Röntgenstrahlung, die Wurmkrankheit der Bergleute und die Schneeberger Lungenkrankheit, der durch radioaktive Erze verursachte Lungenkrebs. 1929 kamen weitere Erkrankungen hinzu, wie die schwere Staublungenerkrankung (Silikose) der Bergleute, Lärmschwerhörigkeit und Infektionskrankheiten in Heilberufen. 12 13 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Das Berufskrankheiten-Verfahren (BKVerfahren) ist ein Verwaltungsverfahren mit festgelegtem Ablauf. Es kommt nur in Gang, wenn eine BerufskrankheitenAnzeige beim zuständigen Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse; nachfolgend BG)3 gestellt wird. Dies kann jeder tun, der einen begründeten Verdacht hegt, dass zwischen einer Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht: Der oder die Betroffene selbst, Angehörige, der Betriebsrat, die Krankenkasse oder die Rentenversicherung. Der Arbeitgeber und Ärzte sind dazu verpflichtet. Die BG muss dann ermitteln, ob im vorliegenden Fall die in der BK-Liste beschriebene, genau definierte schädigende Einwirkung ( = Exposition) bei der beruflichen Tätigkeit vorgelegen hat. Kann dies belegt werden, wird im nächsten Schritt der Zusammenhang zwischen Einwirkung und Krankheit durch ein medizinisches Gutachten abgeklärt und das Ausmaß der gesundheitlichen Schädigung beurteilt. Abb. 1: Stationen des Berufskrankheitenverfahrens Anzeige auf Verdacht einer BK e Stationen des BerufskrankheitenVerfahrens e Staatlicher Gewerbearzt Berufsgenossenschaft e Betroffene, Angehörige, Betriebsräte können die Anzeige stellen Erhebung der Arbeitsgeschichte Medizinisches Zusammenhangsgutachten e Ärzte/ Unternehmen müssen Feststellung über das Vorliegen einer BK e e ›Ermittlung von Amts wegen‹ Rentenausschuss: Entscheidung Widerspruch Klage Die Schere zwischen Anzeigen und Anerkennungen von Berufskrankheiten klafft weit auseinander, weil die Hürden aus den rechtlichen Vorgaben, aber auch wegen der Praxis des Anerkennungsverfahrens hoch sind. Die Beweislast wird im Sozialgerichtsverfahren streng gesehen. Je mehr Zeit zwischen der beruflichen Belastung und dem Auftreten der Krankheit vergangen ist, umso schwieriger wird es für die Betroffenen, wie auch die Erfahrungen aus mehr als 180 Beratungsfällen im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ zeigen: In vielen Fällen stehen die Chancen auf Anerkennung einer Berufskrankheit schlecht, wenn beispielsweise die mit der beruflichen Tätigkeit verbundenen Belastungsfaktoren nicht qualifiziert beschrieben oder im Betrieb keine Unterlagen über Arbeitsstoffe mehr vorhanden sind. Manche Arbeitsstoffe werden deshalb nicht bei Arbeitsplatzmessungen oder arbeitsmedizinischen Untersuchungen berücksichtigt, weil sie nicht als problematisch wahrgenommen wurden; der Einsatz von Krebs erzeugenden Stoffen wurde oftmals nicht wie vorgeschrieben dokumentiert. Viele der Ratsuchenden können ihre berufliche Biografie auch deshalb nicht vollständig belegen, weil sie als Leiharbeiter oder als Beschäftigter einer Fremdfirma in verschiedenen Unternehmen eingesetzt waren, oder weil Betriebe nicht mehr existieren. Das trifft beispielsweise auf den Hafenumschlag zu. Der Bremer Überseehafen war bis in die 70er Jahre Deutschlands Hauptumschlagsplatz für Asbest. Um jedoch im konkreten Fall eine Asbestexposition zu beweisen, braucht es oft detektivischen Spürsinn. Ein wesentlicher Teil der Beratung besteht darin, die Ratsuchenden bei der Zusammenstellung der beruflichen Vorgeschichte zu unterstützen: Welche Belege können helfen, gibt es frühere Kollegen, die als Zeugen befragt werden können oder selbst von einer Berufskrankheit betroffen sind? Hier hat die AOK Bremen / Bremerhaven mit der Entwicklung der Hafenkarte wahre Pionierarbeit geleistet. Abb. 2: Beweisschritte im Berufskrankheiten-Verfahren Die Beweislast liegt bei den Betroffenen versicherte Tätigkeit e schädigende Einwirkung = Haftungsbegründete Kausalität Von einer Berufskrankheit Betroffene sind häufig älter, schwer krank und im Umgang mit Verwaltung und Formalitäten ungeübt. Für sie ist es schwer zu durchschauen, ob die BG wirklich ordnungsgemäß ermittelt hat – so wie in etlichen Fällen, als nicht im Betrieb nachgeforscht, sondern nur der Betroffene befragt worden war. Selbst wenn die Berufsgenossenschaft nicht ordnungsgemäß ermittelt hat oder wenn der Arbeitgeber keine Unterlagen (mehr) hat, geht das Verfahren zu Lasten des Betroffenen aus, wie ein Urteil des Bundessozialgerichts festgestellt hat. Wer die oft körperlich und psychisch belastende medizinische Begutachtung ablehnt, die zur Feststellung einer Berufskrankheit dazugehört, riskiert die Ablehnung des Antrags durch die Berufsgenossenschaft wegen fehlender Mitwirkung. Wenn eine Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird, muss die zuständige BG für Behandlungs- und Reha-Kosten aufkommen und – je nach e Erkrankung = Haftungsausfüllende Kausalität Ausmaß der gesundheitlichen Schädigung als BK-Folge – auch eine BK-Rente zahlen. Einige Berufskrankheiten werden nur dann anerkannt, ›wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können‹, so § 9 Siebtes Sozialgesetzbuch. Auf die neun Krankheiten, die von dieser einschränkenden Bedingung betroffen sind entfallen mehr als die Hälfte aller BK-Anzeigen, darunter Haut-, Sehnenscheiden- und Wirbelsäulenerkrankungen. Anerkannt oder gar mit einer BK-Rente entschädigt werden aber die wenigsten von ihnen. Die erlernte Tätigkeit aufgeben und sich beruflich neu orientieren zu müssen, wiegt für die Betroffenen schwer. Bei niedrigem Bildungs- und Qualifikationsniveau kann es schwierig werden, eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln, auch wenn die BG die berufliche Rehabilitation finanziert und begleitet. Berufskrankheitenrente Eine BK-Rente ist nicht mit einer Altersrente gleichzusetzen. Entschädigt wird die ›Minderung der Erwerbsfähigkeit‹ (MdE), die ausdrückt, in welchem Grad der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt durch die Berufserkrankung beeinträchtigt ist. Durch eine abstrakte Schadensberechnung auf Grundlage des Jahresarbeitsverdienstes (JAV)4, maßgeblich das Arbeitseinkommen im Jahr bevor die Berufserkrankung aufgetreten ist, wird die Rente festgesetzt. Der Zahlbetrag errechnet sich als Prozentsatz, analog dem Prozentsatz der MdE. Gezahlt wird erst ab einer MdE von 20 Prozent – dieser Wert wird jedoch bei vielen Berufserkrankungen nicht erreicht – bis zur sogenannten Vollrente, die bei einer MdE von 100 Prozent maximal zwei Drittel des JAV beträgt. Die BK-Rente ist ein abstrakt berechneter Wert und wird zusätzlich zum Gehalt gezahlt, auf Alters- oder Erwerbsminderungsrente aber teilweise und auf Hartz IVLeistungen voll angerechnet. Frauen sind häufig nicht direkt, sondern als Angehörige oder Hinterbliebene von einer Berufskrankheit betroffen. Witwen oder auch Kinder haben Anspruch auf Rente, die jedoch auf Erwerbseinkommen, Altersrenten und Hartz IV-Leistungen angerechnet wird. 14 15 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Tab. 2: Berufskrankheiten im Land Bremen 2008 bis 2012 BARBARA REUHL Jährlich werden im Land Bremen durchschnittlich etwas mehr als eintausend Fälle von Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit bei den zuständigen Unfallversicherungsträgern angezeigt, wie aus der Statistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für 2008 bis 2012 ersichtlich. Die Raten der abgelehnten und anerkannten BK-Fälle bleiben über die Jahre etwa gleich. In deutlich mehr Fällen wurden jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so dass die Berufskrankheit nicht anerkannt wurde. Es werden in der Tendenz auch mehr Renten neu festgesetzt; leider sind auch die Todesfälle aufgrund einer anerkannten Berufskrankheit ansteigend. Im Land Bremen kam es in den Jahren 2008 bis 2011 zu 15 tödlichen Arbeitsunfällen. Die Zahl der Todesfälle infolge einer Berufserkrankung übersteigt die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle erheblich (vgl. Tabelle 1), mit steigender Tendenz hauptsächlich wegen der asbestbedingten Erkrankungen. Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und Berufe. Häufig kommen Hauterkrankungen, Lärmschwerhörigkeit, Bandscheibenbedingte Erkrankungen, Lungenkrebs und Schädigungen der Knie vor. Tätigkeiten, Berufe oder Branchen, die mit Berufskrankheiten in Verbindung gebracht werden können, sind beispielsweise: ❚ Frisör-, Maler- und Lackiererhandwerk, Drucker/in, Gesundheitsberufe, Baugewerbe, Reinigungsberufe, Metallverarbeitung: Hauterkrankungen (BK 5101, BK 5102) ❚ Baugewerbe, Holz- und Metallindustrie: Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) ❚ Bauberufe, Möbelträger, Beschäftigte in der Alten-, Kranken- oder Behindertenpflege: Bandscheibenbedingte Erkrankungen (BK 2108) ❚ Fliesenleger-, Dachdecker-, Malerhandwerk, Installation, Betonbau, Schweißen, Schiffbau, Gärtnerei: Gonarthrose (BK 2112) ❚ Schiffbau, Hafenumschlag, Asbestzementindustrie, Isoliergewerbe, AsbestEntsorgung, Hoch- und Tiefbau, Klima-, Lüftungs- und Heizungsbau, Tätigkeiten mit Schweißrauchen, Teerdämpfen oder radioaktiven Strahlen: Lungenkrebs (BK 4112, BK 4113, BK 4114). Mehr als ein Drittel der BK-Anzeigen im Land Bremen entfallen auf die Branchen Reparatur und Installation von Maschinen und Ausrüstungen, Hochbau, Metallerzeugung und -bearbeitung sowie Herstellung von Metallerzeugnissen. Das zeigt sich auch beim Blick auf die Verteilung der Berufskrankheiten auf die verschiedenen Unfallversicherungsträger: Mit Abstand am häufigsten ist die BG Holz und Metall betroffen, gefolgt von der BG Bau und der BG Handel und Warendistribution, zu der auch die Hafenumschlagsbetriebe gehören. Tab. 1: Berufskrankheiten-Geschehen 2012 Bund – Land Bremen im Vergleich BK bestätigt, versicherungsrechtliche Voraussetzungen nicht erfüllt Neue BK-Rente Tod infolge BK BK-Anzeigen Abgelehnte BK Anerkannte BK 2008 966 483 352 85 150 81 2009 1070 477 363 95 161 91 2010 1222 490 378 184 163 75 2011 1098 440 365 185 184 94 2012 1118 469 373 233 170 99 Berufskrankheiten im Land Bremen Quelle: DGUV-Statistik Land Bremen: Asbest spielt eine Hauptrolle Bezogen auf die Zahl der Anzeigen kommt es im Land Bremen insgesamt häufiger zu einer Anerkennung einer Berufserkrankung und zur Zahlung einer BK-Rente, aber auch zu mehr Todesfällen. Dafür ein Blick auf die Zahlen aus dem Jahr 2012, in dem im Land Bremen 1.118 Fälle auf Verdacht einer Berufskrankheit angezeigt wurden. Im selben Zeitraum wurde in 373 Fällen eine Berufskrankheit neu anerkannt (33,4 Prozent) und in 170 Fällen eine Berufskrankheiten-Rente (15,2 Prozent) neu festgesetzt. Es kam aber auch zu 99 Todesfällen (9 Prozent) infolge einer Berufserkrankung (vgl. Tabelle 2). Die entsprechenden Anteile, bezogen auf die Zahlen für den Bund sind durchgängig niedriger – erklären lässt sich dies durch die Folgen der hohen Asbestexposition im Land Bremen in früheren Jahren. In den 1960er und 1970er Jahren gab es im Land Bremen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in der Werftindustrie und im Hafenumschlag. Dort kamen viele Beschäftigte in Kontakt mit Asbest, was sich bis heute in der BerufskrankheitenStatistik zeigt. Mehr als 30 Prozent der angezeigten Berufskrankheiten im Land Bremen entfiel in den letzten Jahren auf die BK 4103 / Asbestose, die BK 4104 / Lungen- oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbest sowie auf die BK 4105 / Mesotheliom. Deutschlandweit machen die Asbesterkrankungen dagegen nur gut zwölf Prozent aller angezeigten Berufskrankheiten aus. Diese Krankheiten verursachten auch die Überzahl der BK-bedingten Todesfälle im Land Bremen, wie in Tabelle 3 und in Abbildung 1 dargestellt. Abb. 1: Todesfälle infolge von Berufskrankheiten im Land Bremen 2008 bis 2012 0 10 20 30 40 50 § 9 Abs. 2 SGB VII 4301 Atemwegserkrankung allergisch 4109 Nickel 4112 Lungenkrebs, Quarz Tab. 3: Asbestbedingte Berufskrankheiten Land Bremen: angezeigte und anerkannte Fälle und Todesfälle5 4105 Mesotheliom, Asbest 4104 Lungen-/Kehlkopfkrebs, Asbest 4103 Asbestose BK 4103, 4104, 4105 Land Bremen Bund Zahl der Fälle Anteil an den angezeigten Fällen Zahl der Fälle Anteil an den angezeigten Fällen 4101 Silikose Angezeigte BK Anerkannte BK Todesfälle 2008 400 253 77 2009 420 241 83 15.949 21,7 Prozent 373 33,4 Prozent 2010 444 248 69 neue Renten 5.053 6,9 Prozent 170 15,2 Prozent 2011 402 258 90 Todesfälle 2.468 3,4 Prozent 99 8,9 Prozent 2012 362 256 95 73.574 Angezeigte BKen Anerkennungen Quelle: Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2012; DGUV Statistik 1.118 3101 Infektionskrankheiten 1318 Benzol 1302 Halogenkohlenwasserstoffe Quelle: DGUV-Statistik 1301 Aromatische Amine Quelle: DGUV-Statistik 2012 2011 2010 2009 2008 16 17 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Abb. 2: Angezeigte und anerkannte Berufskrankheiten im Land Bremen 2008 bis 2012, bezogen auf die sechs am häufigsten angezeigten BK-Ziffern BK 20108 Wirbelsäule BK-Anzeigen anerkannte BK BK 2301 Lärm BK 4103 Asbestose BK 4104 Lungenoder Kehlkopfkrebs/Asbest BK 4105 Mesotheliom BK 5101 Haut 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 Quelle: DGUV-Statistik Auch bei den anerkannten Berufskrankheiten führen asbestbedingte Erkrankungen die Statistik für das Land Bremen an: In den Jahren 2008 bis 2012 wurde bei insgesamt 809 von Asbestose (BK 4103) Betroffenen und bei 298 von Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) Betroffenen eine Berufskrankheit anerkannt. Im Gegensatz dazu wurde bundesweit die Lärmschwerhörigkeit am häufigsten anerkannt (insgesamt 28.657 Fälle), erst dann folgte – mit insgesamt 9.286 Fällen mit einem deutlichen Abstand – die BK 4103 (Asbestose). Außer den asbest- und lärmbedingten Berufskrankheiten werden auch die BK 2108 (Lendenwirbelsäule, Heben und Tragen) sowie die BK 5101 (Hautkrankheiten) im Land Bremen häufig angezeigt. Sechs Erkrankungen machen also den größten Teil des BK-Geschehens im Land Bremen aus (vgl. Abbildung 2). in Frage kommen, unterlassen haben. Diese Bedingung trifft auf nur neun Erkrankungen der insgesamt inzwischen 73 Positionen umfassenden BK-Liste zu: BK 1315 Erkrankungen durch Isocyanate BK 2101 Erkrankungen der Sehnen oder des ( = obstruktive Atemwegserkrankung, COPD ) Sehnengleitgewebes sowie der Sehnenoder Muskelansätze BK 2104 Vergleicht man die Statistik der DGUV mit den Zahlen des Landesgewerbearztes, die in den jährlichen Berichten der Gewerbeaufsicht des Landes Bremen veröffentlicht sind, fällt eine Differenz auf (vgl. Tabelle 3). Die Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit gelangen, anders als die Berufskrankheiten-Verordnung in § 3 Abs. 1 und in § 4 vorschreibt nicht vollzählig zur Kenntnis des Landesgewerbearztes. Denn die zuständigen Unfallversicherungsträger leiten nicht immer die Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit an die staatlichen Arbeitsschützer weiter. In manchen Fällen gelangte die Anzeige einer berufsbedingten Hauterkrankung beispielsweise nur über den behandelnden Hautarzt oder über die Krankenkasse an den Landesgewerbearzt. Wenn nicht das gesamte Geschehen wahrgenommen werden kann, werden Chancen für die Prävention verschenkt – ein Umstand, der dringend verbesserungswürdig ist. Denn der Landesgewerbearzt und die Gewerbeaufsicht haben eine wichtige Scharnierfunktion bei der Prävention von Berufskrankheiten. Vibrationsbedingte Durchblutungs- BK 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BK 2109 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Tab. 3: Vergleich der angezeigten Fälle 2008 bis 2012 in der DGUV-Statistik und in der Statistik des Landesgewerbearztes Bremen Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter BK 2110 Angezeigte Fälle Bandscheibenbedingte Erkrankungen 2008 2009 2010 2011 2012 gesamt Statistik DGUV 913 997 1123 1098 1118 5249 Statistik Landesgewerbearzt 708 712 814 806 770 3810 Differenz 205 285 309 292 348 1439 der Lendenwirbelsäule durch langjährige, Ganzkörperschwingungen im Sitzen BK 4301 Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie) Bei Abbildung 2 fällt auf, dass es im Gegensatz zur großen Zahl der Anzeigen bei den BK 5101 (Hauterkrankungen) und BK 2108 (Lendenwirbelsäule, Heben und Tragen) nur verhältnismäßig selten zur Anerkennung als Berufskrankheit kommt. Sie zählen zu den Erkrankungen, die nur als BK anerkannt werden können, wenn die Betroffenen alle Tätigkeiten, die als Ursache für die Krankheit Lücken in der Statistik: Chancen für die Prävention verschenkt störungen an den Händen vorwiegend vertikale Einwirkung von Der Unterlassungszwang – hohe Hürde für die Anerkennung einer Berufskrankheit Neben dem Nachweis, dass die ›passende‹ berufliche Belastung bestanden hat, und dass sie ursächlich für die Erkrankung war oder ist, stellt diese Bedingung eine erhebliche Hürde für die Betroffenen dar, beispielsweise weil sie Bedenken haben, ob sie einen anderen Arbeitsplatz finden, und aus finanziellen Gründen. Wer die verursachende Tätigkeit aufgibt, hat zwar laut § 3 Abs. 2 der Berufskrankheiten-Verordnung bis zur Entscheidung über die Berufskrankheit Anspruch auf eine Übergangsleistung der zuständigen BG. Diese liegt auf jeden Fall deutlich unter dem normalen Einkommen, denn sie wird auf Grundlage der sogenannten Vollrente berechnet, die zwei Drittel des vor dem Unfall oder der Berufskrankheit erzielten Jahresarbeitsverdienstes beträgt. Die Übergangsleistung wird bis maximaler Höhe der Vollrente, entweder als Einmalzahlung oder für höchstens fünf Jahre anteilig monatlich gezahlt. Über die Jahre lässt sich beobachten, dass die Fälle zunehmen, in denen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht vorlagen.6 Bei Hauterkrankungen kommt das sogenannte ›Hautarztverfahren‹ hinzu. BK 4302 Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen BK 5101 schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen Übersicht 1: Für diese Berufskrankheiten gilt die versicherungsrechtliche Voraussetzung der Unterlassung aller Tätigkeiten, ›die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können‹. Quelle: DGUV-Statistik, sowie Jahresberichte der Gewerbeaufsicht des Landes Bremen. 18 19 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Das Hautarztverfahren – BK 5101 Hier wird versucht durch Beratung der Betroffenen und durch Hautschutz- und Arbeitsschutzmaßnahmen eine Abheilung der Hauterkrankung zu erreichen. Betroffene müssen sich – oft jahrelang – in hautärztliche Behandlung begeben. Häufig erfolgt nur eine medizinische Behandlung durch den Hautarzt, ohne dass der Betriebsarzt beteiligt wird und somit wird die Chance, durch Änderungen der Arbeitsbedingungen ein langfristiges Verbleiben des Betroffenen am Arbeitsplatz zu ermöglichen, vertan. Die unabhängige Expertise des Landesgewerbearztes kann zur Qualitätssicherung des BK-Verfahrens wesentlich beitragen. Ziel muss es neben der Abklärung des Einzelfalls sein, dass Berufskrankheiten-Risiken in den Unternehmen erkannt und gezielte Präventionsmaßnahmen wie die arbeitsmedizinische Vorsorge und die Beseitigung oder Minimierung von Risiken durchgeführt werden. Der Landesgewerbearzt kann seine Überwachungsaufgabe nur dann wahrnehmen, wenn ihm vollständige Informationen darüber vorliegen, in welchen Branchen und bei welchen Tätigkeiten besondere Risiken für das Entstehen von Berufskrankheiten bestehen. Diese Erkenntnisse kann auch die staatliche Gewerbeaufsicht systematisch einbeziehen, beispielsweise bei der Kontrolle der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation und bei der Beratung zur Verbesserung der Gefährdungsbeurteilung. Wenn der Landesgewerbearzt beispielsweise erst von berufsbedingten Hauterkrankungen erfährt, nachdem die Berufserkrankung anerkannt wurde, In diesen Fällen kommt es nach Wiederaufnahme der Tätigkeit immer wieder zu Rückfällen, zusätzlich können Allergien auftreten, die Hauterkrankung nimmt einen chronischen Verlauf und letztendlich ist dann die Tätigkeitsaufgabe nicht zu umgehen. Nur wenn die Betroffenen nachweisen können, dass alle Präventionsmaßnahmen ausgeschöpft wurden und trotzdem keine Abheilung erreicht werden konnte, besteht die Möglichkeit ein BK-Verfahren einzuleiten. haben die Betroffenen ihre Tätigkeit aufgegeben und davor meist jahrelang am Hautarztverfahren teilgenommen. In dieser Zeit hätten im betreffenden Betrieb bereits gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention angestoßen werden können – auch um weitere Beschäftigte vor Hautschädigungen zu bewahren. Beschäftigte in Leiharbeit sind über den Verleihbetrieb gesetzlich unfallversichert. Wenn für einen Leiharbeitnehmer oder eine Leiharbeitnehmerin eine BKAnzeige gestellt wird, erfährt dies der ausleihende Betrieb häufig nicht. Dann kann der Arbeitgeber, in dessen Betrieb die Berufskrankheit verursacht wurde, möglicherweise den Präventionsbedarf nicht erkennen und Schutzmaßnahmen werden versäumt. Falls Verleih-Unternehmen den Sitz nicht im Land Bremen haben, gehen diese betreffende BKAnzeigen zudem nicht in die Statistik für das Land Bremen ein und kommen auch nicht auf den Tisch des Landesgewerbearztes. Auch dies führt dazu, dass Schwerpunkt-Branchen oder risikoreiche Tätigkeiten und Verbesserungsbedarf im Arbeitsschutz nur unzureichend identifiziert werden können. BARBARA REUHL Das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ – Ergebnisse und Erfahrungen Weil das Land Bremen in hohem Maß durch asbestbedingte Erkrankungen betroffen ist, wurde das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ eingerichtet, mit dem Auftrag, eine Beratungsstelle für von Berufskrankheiten Betroffene zu entwickeln und dauerhaft zu sichern. Das Vorhaben wurde von Mai 2011 bis Ende Juni 2013 mit Mitteln aus dem Europäischen Strukturfonds (EFRE) gefördert und in Trägerschaft der Arbeitnehmerkammer Bremen durchgeführt. Kooperationspartner des Projekts waren: ❚ Senator für Gesundheit ❚ Landesgewerbearzt ❚ Gewerbeaufsicht des Landes Bremen ❚ Landesarbeitskreis für Arbeitsschutz ❚ Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung ❚ AOK Bremen / Bremerhaven ❚ DGB Bremen-Elbe-Weser ❚ Handwerkskammer Bremen ❚ Handelskammer Bremen ❚ Verein Arbeit & Zukunft e. V. ❚ Deutsche Rentenversicherung Warum brauchen die Betroffenen Unterstützung? Das Berufskrankheiten-Modell baut auf dem Verständnis des Unfallversicherungsrechts auf: eine (eindeutige) Ursache erzeugt eine (eindeutige) Wirkung. Der Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und dem Unfallschaden leuchtet ein, denn sie liegen in der Regel zeitlich nahe beisammen. Bis sich die Symptome einer Berufserkrankung bemerkbar machen, vergehen aber meist mehrere Jahre, bei Asbest- und Krebserkrankungen oft Jahrzehnte. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit sind Tatsachenbeweise (reduziert auf das Wesentliche: Einwirkung und Krankheit) als Grundlage für die Beurteilung des Zusammenhanges gefordert. Dies beruht auf dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast. Kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung nicht ›festgestellt‹, d.h. bewiesen werden, geht dies zu Lasten des/der Versicherten: Die Mehrzahl der BK-Anzeigen führt denn auch nicht zur Anerkennung oder gar Entschädigung einer Berufskrankheit, wie Abbildung 1 zeigt. Abb. 1: Berufskrankheitenkennzahlen 1960 bis 2012 Fälle in Tsd. ab 1991 mit Daten aus den neuen Bundesländern Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit Anerkannte Berufskrankheiten Neue Berufskrankheitenrenten Todesfälle Berufserkrankter mit Tod infolge der BK 120 100 73.574 80 60 40 20 15.949 5.053 2.468 0 1960 1970 1980 1990 Quelle: Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, 2012, eigene Darstellung 2000 2010 20 21 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Dass auf dem Weg zur Anerkennung einer Berufskrankheit viele Hürden auftauchen können, zeigen auch die Erfahrungen aus mehr als 180 Beratungsfällen im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹. Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Beratungstätigkeit Im Zeitraum vom 17. Mai 2011 bis 27. Juni 2013 wurden insgesamt 279 Beratungen durchgeführt, davon 178 Erstberatungen und 101 Folgeberatungen, denn in vielen Fällen waren mehrere Beratungstermine erforderlich, um den komplexen Sachverhalt zu erheben. 28 der Betroffenen hatten einen Migrationshinweis. 131 der beratenen Personen stammten aus dem Land Bremen, 35 wohnten im Umland. Entsprechend der Struktur des Berufskrankheiten-Konzepts Abb. 2: Struktur des Projekts Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ e e Wissensmanagement, Wissenstransfer, Vernetzung Aufbau einer Beratungsstelle Beratung Betroffener Prävention von Berufskrankheiten Üb.ersicht 1: Berufe und Berufskrankheiten, Beratung im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹ Berufe / Branchen BK-Gruppe BK-Ziffer Schiffbauer, Isoliertechnik, Asbest BK 4103 82 BK 4104 27 BK 4105 6 BK 2108 11 Asbestentsorgung, außerd. Schlosser, Tischler, Maurer Gesundheitsdienst, Lenden- Fälle Baugewerbe wirbelsäule Gesundheitsdienst, Halswirbelsäule BK 2109 5 Schiffbauer Lärm BK 2301 14 Druckereien, Chemische BK 1101 1 Isoliertechnik Einwirkungen / 1108 1 Stoffe 1202 1 1301 4 1310 1 1315 1 1317 2 1318 4 Baugewerbe sind eher Männer als Frauen direkt betroffen, wie sich auch in den Zahlen des Projekts widerspiegelt: Es wurden 152 männliche und 23 weibliche Ratsuchende beraten – davon zwei Frauen, die durch das Waschen der Arbeitskleidung ihrer früher als Werftarbeiter tätigen Ehemänner mit Asbest in Kontakt gekommen waren, was jedoch nicht als Berufserkrankung zählt. Die meisten beratenen Personen (52) sind bei der AOK Bremen/Bremerhaven krankenversichert, gefolgt von der BKK firmus (51) und der HKK (14); die übrigen Ratsuchenden verteilen sich auf andere gesetzliche Krankenkassen oder sind nicht Mitglied der GKV. In knapp zwei Dritteln (115) der Beratungsfälle ging es um Erkrankungen durch Asbest, was sich aus der hohen Betroffenheit des Landes Bremen durch Asbestumschlag und -verarbeitung erklärt. Gründe, die BerufskrankheitenBeratung aufzusuchen, waren: ❚ Allgemeine Information über das BK-Verfahren: 32 Fälle ❚ BK-Verdachtsanzeige: 71 Fälle ❚ Widerspruch: 35 Fälle ❚ Klage: 12 Fälle ❚ Verschlimmerungsanzeige: 12 Fälle Die am häufigsten betroffenen, für die in der Beratung am meisten vorkommenden BK-Ziffern maßgeblichen Berufe sind aus Übersicht 1 ersichtlich. Die Beratung sollte Lotsendienste leisten, wenn eine Berufskrankheit und Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung abzuklären waren. Es ging aber auch wesentlich darum, die Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Beratungsfällen für die Prävention nutzbar zu machen, und so Betriebe beim Arbeits- und Gesundheitsschutz zu unterstützen (vgl. Abb. 2). Als Berater war ein ehemaliger Vulkan-Betriebsrat im Projekt tätig, der bereits seit 2001 mit Unterstützung des Vereins Arbeit und Zukunft ehrenamtlich auf dem ehemaligen Gelände der Vulkan-Werft Berufskrankheiten-Betroffene beraten hatte (vgl. den Erfahrungsbericht von Rolf Spalek in dieser Veröffentlichung). Die praktische Beratungstätigkeit wurde wissenschaftlich begleitet, mit dem Auftrag, ein Konzept für eine Berufskrankheiten-Datenbank zu ent- wickeln (siehe dazu den Beitrag von Wolfgang Hien). Für die Arbeitsanamnese von Betroffenen, die auf Werften eingesetzt waren, konnte auf das umfangreiche Archiv der Gesundheitsakten des Bremer Vulkan zurückgegriffen werden, das der Verein Arbeit und Zukunft dem Projekt überließ. In Fällen, wo die Betroffenen im Hafen tätig waren, konnten Erkenntnisse und Belege durch Unterstützung der AOK Bremen/Bremerhaven (Hafenkarte; vgl. den Beitrag von Corinna Mahlstedt) herangezogen werden. Neben den persönlichen Beratungen in der Geschäftsstelle der Arbeitnehmerkammer fanden auch telefonische Beratungen durch den wissenschaftlichen Mitarbeiter des Projekts statt, um spezifische fachliche Aspekte zu klären. Es handelte sich überwiegend (in zwölf Fällen) um Nachfragen, die sich aus der persönlichen Beratung ergaben. In weiteren acht Fällen wurde Betroffenen oder deren Angehörigen aus Regionen außerhalb Bremens Auskunft gegeben. Etliche Anfragen bezogen sich auf die Berechnung von Asbestfaserjahren, in zwei Fällen ging es um die nachzuweisenden ›Benzoljahre‹: Erfolgreicher Widerspruch durch Neuberechnung der beruflichen Schadstoffbelastung Zwei an Leukämie erkrankte Maler hatten Spritzarbeiten zur Reinigung mit benzolhaltigen Lösemitteln ausgeführt. Bei ihnen wurde eine Berufskrankheit dem Grunde nach anerkannt, aber eine Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE) nicht festgestellt. Deshalb wurde ihnen auch keine Rente zuerkannt. Dagegen haben sie mit Unterstützung des Berufskrankheiten-Beraters Widerspruch eingelegt. Dabei war ausschlaggebend, dass die Schadstoffbelastung von dem wissenschaftlichen Begleiter im Projekt neu berechnet werden konnte. Mit dem Ergebnis wurde – nach längerem Verfahren und neuen Begutachtungen – eine rentenberechtigende MdE durchgesetzt. Zudem war Hilfestellung hinsichtlich chemischer Zusammensetzung, toxikologischer Eigenschaften und Wirkungsmechanismen bestimmter Produkte oder Nebenprodukte gefragt, mit denen Betroffene Kontakt hatten. Die hauptsächlichen Berufsgruppen waren hier die Werftarbeiter. Bei einigen Anfragen ging es um Tätigkeiten mit Farbstoffen, die möglicherweise krebserzeugende aromatische Amine beinhalteten. Die betroffenen Berufsgruppen waren KfzLackierer und Drucker. Andere Anfragen drehten sich um diverse weitere Themenfelder wie z. B. das Interpretieren von amtlichen Merkblättern und wissenschaftlichen Begründungen von Berufskrankheiten. Im Ergebnis konnte den beratenen Personen nicht immer ein BK-Verfahren empfohlen werden, weil wichtige Grundinformationen, beispielsweise über die früher verwendeten Arbeitsstoffe fehlten oder nicht ausfindig gemacht werden konnten. Die BK-Verfahren standen zumeist an der Schwelle zum Widerspruch, zwei Fälle an der Schwelle zum Sozialgericht. Seitens der telefonisch beratenen Betroffenen kamen zumeist keine weiteren Rückmeldungen, sodass nicht weiterverfolgt werden konnte, wie das BK-Verfahren eingeleitet wurde beziehungsweise weiter verlief. Die Betroffenen haben vielfältige Probleme, Formulare auszufüllen, mit den Fragen und dem Verhalten der berufsgenossenschaftlichen Sachbearbeiter umzugehen sowie medizinische Diagnosen zu verstehen. Schwierigkeiten macht es vor allem, wenn Unterlagen zur Arbeitsvorgeschichte, vor allem meist Messwerte und Expositionsangaben fehlen. Viele der Betroffenen kamen, wie die hohe Zahl der Folgeberatungen zeigt, zwei- oder mehrfach in die Beratung. Die Beratungsarbeit im Rahmen des Projekts lässt ich schwerlich standardisieren. Zu unterschiedlich sind die Fälle und die jeweiligen Arbeitshintergründe, zu unterschiedlich die beratenen Personen, wie der nachfolgende Überblick zeigt: ❚ Ein Schwerpunkt der Beratungstätigkeit lag bei der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301, 14 Fälle, darunter mehrere Schiffbauer) und bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Apparates. Hier ging es zum einen um Bandscheiben-Schädigungen der Lendenwirbelsäule (BK-Nr. 2108, elf Fälle) und der Halswirbelsäule (BK 2109, fünf Fälle); betroffen waren die Berufe Gerüstbauer, Kranfahrer, Krankenschwester. ❚ Ein Werftschweißer, der viele Jahre in kniender Haltung gearbeitet hatte, wurde wegen einer Kniegelenkserkrankung (Gonarthrose, BK-Nr. 2112) beraten. 23 22 BERUFSKR ANKHEITEN ❚ Weitere, dem Bereich der sogenannten mechanischen Berufskrankheiten zugerechnete Fälle waren erschütterungsund vibrationsbedingte Erkrankungen (BK-Nr. 2103 und 2104/Gartenbau) und die Druckschädigung der Handnerven (BK-Nr. 2106/Fotografie). ❚ Um Harnblasenkrebs (BK-Nr. 1301), verursacht durch aromatische Amine bzw. Farbstoffe, die solche Amine freisetzen können, ging es in drei Fällen (Schiffszimmermann, Lackierer, Drucker). ❚ Weitere Beratungen betrafen Spätfolgen vom Unfällen, Hepatitis C, Kehlkopfkrebs durch Schwefelsäure, Halswirbelsäule und Burnout. Wie sorgfältig nachgefragt und recherchiert werden muss, zeigt der Bericht des Beraters über einen Fall von Leukämie ›Der Betroffene, Anfang 40, hat über zehn Jahre als Fährmann auf Fährschiffen mit drei Schichten, jeweils acht Stunden, gearbeitet. Tag für Tag sind es über 1.600 Fahrzeuge, die auf die Fähre und wieder herunter fahren. In einem so ungewöhnlichen Fall muss die Tätigkeit genau beschrieben werden, um die Gefahrstoffbelastung zu begründen. Außerdem muss die Belastung berechnet werden: Wenn die Autos angelassen werden, um von der Fähre herunter zu fahren, bekommt der Fährmann diesen ›ersten Schwall‹ mit Benzol ab. Daraus alleine lässt sich aber der rechnerische Nachweis nicht führen. In der kalten Jahreszeit lassen die Autofahrer den Motor jedoch laufen, damit das Wageninnere beheizt ist und die Scheiben nicht beschlagen. In diesen Abgasen steht er täglich. Er ist an Leukämie erkrankt und es geht ihm sehr schlecht. Als die Ehefrau in die Beratung kam, hatte er bereits seit Wochen eine sehr starke Chemotherapie. Seine Frau hat auf eigene Faust Hilfe gesucht und die Berufskrankheiten-Beratungsstelle im Internet gefunden. Sie hat mit meiner Unterstützung den Antrag auf Verdacht einer Berufskrankheit an die Berufsgenossenschaft gestellt. Weder von einem niedergelassenen Arzt noch vom Krankenhaus wurde der mögliche berufliche Zusammenhang angezeigt, obwohl Ärztinnen und Ärzte dazu verpflichtet sind. PR AXIS Sie müssten eigentlich nur ein Formular ausfüllen, weitere Arbeit fällt für sie nicht an, denn dann muss die BG in Aktion treten. In der Beratung unterstütze ich den Betroffenen bzw. seine Ehefrau dabei, die beruflichen Stationen und Belastungen zusammenzutragen, damit beim Nachweis der Exposition wirklich alle Faktoren in Betracht gezogen werden. Über die von der BG erhobene Anamnese hinaus konnte ich im Gespräch mit dem Betroffenen nämlich herausfinden, dass er vor seiner Tätigkeit als Fährmann über einige Jahre auf Tankschiffen gearbeitet hatte. Dort wurden unter anderem schwere Kraftstoffe transportiert, wie z. B. Heizöl oder Benzin. Durch Tankwache und ähnliche Arbeiten wurden die Hände mit dem Heizöl verschmutzt. Da an Bord keine gute Seife existierte und es mit Seife auch zu lange gedauert hätte und Heizöl am besten mit Diesel abzuwaschen ist, wurden halt die Hände mit Lösemitteln gewaschen, was eine sehr hohe Exposition darstellt. Ferner mussten alle zwei Wochen für je 1,5 Stunden die zwölf Tanks gereinigt werden. Dies wurde seiner Aussage nach ohne jeglichen Atemschutz gemacht, solange bis man nicht mehr konnte und eine Pause brauchte. Auch hier wurden Arme und Beine nass von den Kraftstoffen. Die Aufnahme über die Haut war also sehr oft bis ständig gegeben. Das wirft natürlich wieder ein ganz anderes Bild auf die Krebserkrankung und ihre Ursache. Es ist erstaunlich, dass die BG dies bei ihrer Ermittlung nicht herausgefunden hat!‹ Erkrankte kamen nicht immer nur, um den sachlichen Teil ihrer BK-Anzeige oder ihres BK-Verfahrens zu besprechen. Es ging ihnen auch darum, ihr Leid zu klagen und von den vielfältigen Schwierigkeiten zu erzählen, unter denen sie ihr momentanes Leben zu bewältigen hatten. Hierbei vermischten sich BKSachverhalte mit Themen psychosozialer Art, was wiederum in engem Zusammenhang mit der ablehnenden Haltung der Berufsgenossenschaften zu sehen ist, wie ein Fall veranschaulicht: Bessere finanzielle Absicherung nach erfolgreichem Widerspruch ›Ein 60 Jahre alter früherer Isolierer kam in die Beratung, weil bei ihm eine Asbestose als Berufskrankheit (BK) anerkannt worden war, jedoch ohne Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), da sein Lungenvolumen noch sehr gut sei. Er ist inzwischen zwar immer noch bei einer Isolierfirma beschäftigt, jedoch in gehobener Stellung. Er hat bundesund weltweit an den Arbeitsstellen der Firma zu tun, mit einer Funktion ähnlich einem Baustellenkoordinator. Die Diagnose der Asbestose hat ihn psychisch sehr belastet. Acht seiner Kollegen, mit denen er viele Jahre zusammengearbeitet hatte, sind inzwischen an Asbestose verstorben, alle vor dem 60. Lebensjahr. Er ist als einziger übrig geblieben. Er machte sich Gedanken, ob er auch in einem halben Jahr tot sein würde. Hinzu kamen finanzielle Sorgen, denn er hatte vor einigen Jahren erst gebaut, und die Kredite waren noch nicht abgezahlt. Was sollte aus seiner einige Jahre jüngeren Frau und aus dem Haus werden? Gesundheitlich war er wegen seiner Asbesterkrankung und wegen der psychischen Belastung sehr angeschlagen. Gegen den ablehnenden Bescheid hat er mit meiner Unterstützung Widerspruch eingelegt und begründet. Die BG hat daraufhin – allerdings erst nach einiger Zeit – eine erneute Begutachtung veranlasst. Es wurde nachträglich zum Bescheid auf Anerkennung der BK eine MdE von 20 Prozent festgestellt. Da sein Gesundheitszustand sich seit dem Anerkennungsbescheid jedoch weiter verschlechtert hatte, wurde schließlich eine MdE von 30 Prozent anerkannt und eine entsprechende BK-Rente festgesetzt. So steht er finanziell besser da, und auch seine Frau wäre damit im Falle seines Todes besser abgesichert.‹ Viele Betroffene können einfach nicht verstehen, warum sie mit ihrem Leiden, mit ihrer Geschichte, die ihrer Meinung nach eindeutig die Berufsbedingtheit ihrer Krankheit beweist, nicht ernst genommen werden. Auch der Umgang mancher Ärzte, die nicht oder nur sehr oberflächlich nach der Arbeitsvorgeschichte fragen, erleben sie als verlet- zend. BK-Verfahren ziehen sich in der Regel lange hin. Nicht selten dauert es ein Jahr oder länger, bis ein Bescheid kommt. Dies wird von den Erkrankten als quälende Verzögerung erlebt. Es wundert daher nicht, dass manche Ratsuchende immer wieder die BK-Beratung aufsuchten. Insbesondere Angehörige schwer Erkrankter oder bereits Verstorbener sind oftmals völlig hilflos und erhoffen sich von der BK-Beratung Hilfe. Viele BK-Verfahren sind langwierig, und nicht alle Personen, die sich beraten ließen, haben mitgeteilt, wie ihr Fall weitergegangen oder ausgegangen ist. Es konnte auch nicht erwartet werden, dass Anerkennungen von BK-Fällen, positive Rentenbescheide oder höhere Einstufung des Schädigungsgrades noch während der Laufzeit des Projekts als Beratungserfolge sichtbar würden. Etliche Verfahren konnten jedoch verfolgt werden: In 18 Fällen kam es zu einem positiven oder im Sinne der Betroffenen besseren Bescheid als vor der Beratung. Darunter waren 13 Fälle von asbestbedingten Erkrankungen, in fünf dieser Fälle ging es um Witwenrenten. Zweimal wurden Leukämie und je einmal Blasenkrebs und Lärmschädigung anerkannt, in einem Fall ging es um Krankheit als Folge eines Arbeitsunfalls. Acht der beratenen Personen entschieden sich im Lauf des Projekts für den Klageweg. Fünf Ratsuchende haben es aufgegeben, ihr Anliegen weiterzuverfolgen. Es sind jedoch auch 14 der Beratenen während der Projektlaufzeit verstorben, davon 13 durch eine Asbesterkrankung. Projektaktivitäten Die Berufskrankheiten-Konferenz Zusätzlich zur wissenschaftlichen Begleitung wurden – auch zur Förderung der notwendigen professionellen Distanz – in der von Expertinnen und Experten besetzten Berufskrankheiten-Konferenz beispielhaft Beratungsfälle anonymisiert ausgewertet sowie Arbeitshilfen für die Erkennung von Berufskrankheiten und die Beratung entwickelt, beispielsweise ❚ Entwicklung eines Leitfadens für die Beratungsarbeit ❚ Interne Liste der Krankenkassen und Unfallversicherungsträger mit Ansprechpartnerinnen und -partnern 24 25 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS ❚ Entwurf eines Fragebogens für (Lungen-)Krebspatientinnen und -patienten, zur Abfrage und Identifikation möglicher BK-relevanter beruflicher Risiken bei der ärztlichen Anamnese (s. Anhang). Vernetzung Zum Aufbau einer tragfähigen Vernetzung fand eine Reihe von Fachgesprächen statt, unter Beteiligung von Projektpartnern und weiteren Expertinnen und Experten, wie in Übersicht 2 dargestellt. Außerdem wurde über die Arbeit des Projekts im Landesarbeitskreis für Arbeitsschutz Bremen, im Rahmen eines Strategietreffens von ver.di- Selbstverwaltern, bei einer Fortbildungsveranstaltung der Ärztekammer Bremen, im Rahmen einer Veranstaltung der Bremer Krebsgesellschaft, sowie bei einer Tagung des IG-Metall-Arbeitskreises Ü.bersicht 2: Fachgespräche im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹ Thema des Fachgesprächs Beiträge Erfahrungen aus der Berufskrankheiten-Beratung bei der Beratungs- und Informationsstelle Arbeit & Gesundheit Hamburg ❚ Beratungskonzeption und Schwerpunkte der Beratungs- und Infor- mationsstelle Hamburg (Cornelia Schubert, Infostelle Hamburg) ❚ Erfahrungen bei der Anamnese, insbesondere zur Asbestfaserstaub- belastung (Dr. Henning Wriedt, Infostelle Hamburg) ❚ Konzept einer Berufskrankheiten-Datenbank (Dr. Wolfgang Hien) Fachgespräch ›Beratung für Betroffene von Berufskrankheiten – Möglichkeiten und Nutzen‹ Fachgespräch ›Beratung für Betroffene von Berufskrankheiten – Möglichkeiten einer wohnortnahen Beratung‹ ❚ Identifikation von Berufskrankheiten auf der Basis von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (Dr. Anke Siebeneich, Team Gesundheit, Essen) ❚ Meldefrist für die Meldung von Berufskrankheiten (Ulrich Hübschmann, LSG Niedersachsen / Bremen) ❚ Erfahrungen bei der Ermittlung von Berufskrankheiten am Beispiel der AOK (Corinna Mahlstedt, AOK Bremen / Bremerhaven) ❚ Bearbeitung von Berufskrankheiten-Anzeigen aus der Sicht der Berufs- genossenschaft (Andrea Im Sande, BGHM, Bernd Tietje, BGHW) ❚ Die Asbestose-Sprechstunde der BG ETEM (Andreas Meyer, Rainer Keye, BG ETEM) Fachgespräch mit Lungenfach- und Klinikärztinnen und -ärzten zur Verbesserung der Situation der Patienten mit Lungenkrankheiten durch Asbest und andere Stoffe ❚ Verbesserung der Situation der Patienten mit Lungenkrankheiten durch Asbest und andere Stoffe (Andreas Stute, BGHM) ❚ Asbestbedingte Berufskrankheiten – Leitlinien (Prof. Dr. Dieter Ukena, Klinikum Bremen-Ost) ❚ Therapie des malignen Pleuramesothelioms (Prof. Dr. Albert Linder, Klinikum Bremen-Ost) ❚ Verbesserung der Situation der Patienten mit Lungenkrankheiten durch Asbest und andere Stoffe (Prof. Dr. Klaus Junker, Klinikum Bremen-Mitte) Fachgespräch mit Studierenden und Lehrenden des Fachbereichs 6 (Recht) der Universität Bremen: ›Berufskrankheiten-Anerkennungsverfahren – Lehren für die Prävention‹ ❚ Vorstellung des Projekts ›Wissenstransfer…‹ (Barbara Reuhl) Einladung der Projektpartner ❚ Bilanzierung der Projektarbeit (Barbara Reuhl), ❚ Hürden im Anerkennungsverfahren – Beispiele aus der Beratung (Rolf Spalek, Dr. Wolfgang Hien) ❚ Berufskrankheiten: Betriebliche Prävention – Pflichten des Arbeitgebers und Mitbestimmung (Dr. Frank Hittmann) Diskussion: Künftige Vernetzung Erfahrungsaustausch mit Mitbestimmungs- und Technologieberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen Bezirk Küste berichtet und im Hinblick auf die Erfahrungen und Kompetenzen des jeweiligen Teilnehmerkreises über Möglichkeiten der Prävention von Berufskrankheiten, einer verbesserten Praxis der Identifikation und Anerkennung sowie einer Vernetzung diskutiert. ›Hautschutz bei der Arbeit – machen Sie es wie die Profis!‹ ist der Titel einer in Kooperation mit der Handwerkskammer Bremen, der Bremer Friseurinnung und der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege erstellten Folienserie, die im Rahmen der Veranstaltung ›Hair Fashion 2012‹ der Bremer Friseurinnung in Bremen-Nord eingesetzt wurde. (Ausführliche Darstellung im Beitrag von Tuku Roy-Niemeier) Die in Kooperation mit dem DGB Bremen-Elbe-Weser durchgeführte ›Arbeitsschutzkonferenz zum Recht der Berufskrankheiten‹ im Oktober 2012 wendete sich an betriebliche Praktiker, vor allem an Betriebsräte. Es ging um die Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten zur Prävention von Berufskrankheiten, vor allem um die systematische Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation, sowie um die Beweislastumkehr. Die Konferenz fand im Speicher XI statt – im Hinblick auf das Thema Berufskrankheiten handelt es sich hierbei um einen historischen Veranstaltungsort, denn im Speicher XI des früheren Überseehafens wurde auch Asbest umgeschlagen. In dem Gebäude, in dem die Arbeitsschutzkonferenz stattfand, ist auch das Hafenmuseum angesiedelt. Im Rahmen der Veranstaltung stellte eine Mitarbeiterin das Hafenmuseum vor, und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten im Anschluss an die Konferenz die Möglichkeit an einer Führung durch das Museum teilzunehmen. In den Beständen des Hafenmuseums befindet sich ein Schuppenbuch, aus dem sich die Asbestexposition in konkreten Berufskrankheiten-Fällen belegen ließ. ❚ Perspektiven der Beratung für von Berufskrankheiten Betroffene: Erfahrungen aus dem Projekt ›Wissenstransfer‹ (Dr. Frank Hittmann, Barbara Reuhl, Rolf Spalek); Diskussion: Mitbestimmung bei der betrieblichen Prävention Öffentlichkeitsarbeit Der Projektflyer ist im Anhang enthalten. In dem von der Arbeitnehmerkammer herausgegebenen Bremer ArbeitnehmerMagazin (BAM) erschien eine Serie von Beiträgen zu den Themen ❚ Asbestose-Erkrankte kämpfen um ihre Rechte: Beratungsstelle für Berufskrankheiten (BAM 4/Mai 2011) ❚ Stichwort: Berufskrankheiten (BAM 6/August 2011) ❚ Berufskrankheiten – (k)ein aktuelles Thema? ❚ Teil 1: Asbestbedingte Erkrankungen (BAM 1/Januar 2012) ❚ Teil 2: Asbest – leider auch heute noch aktuell (BAM 2/Februar 2012) ❚ Teil 3: Schwere Hauterkrankungen (BAM 3/April 2012) ❚ Möglicherweise berufsbedingt: Blut- und Lymphdrüsenkrebs durch Benzol (BAM 6/August 2012) ❚ Berufskrankheiten durch mechanische Einwirkungen ❚ Teil 1: Wirbelsäulenerkrankungen und Kniegelenksarthrosen: ›Knochen kaputt?!‹ (BAM 7/Oktober 2012) ❚ Teil 2: Das Carpaltunnelsyndrom: Anerkennung bleibt ungewiss. (BAM 8/Dezember 2012) ❚ Hepatitis und Co: Infektionsgefahren bei der Arbeit (BAM 2/Februar 2013) Mit der Reihe ›Arbeitspapiere Berufskrankheiten‹ sollen Akteure des betrieblichen und überbetrieblichen Arbeitsschutzes, Interessenvertretungen, Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Fachinstitutionen angesprochen werden. Die Reihe soll dazu beitragen, den Wissenstransfer zur Identifikation und Prävention von Berufskrankheiten zu verbessern. Dabei wurden insbesondere auch Erkenntnisse zu Berufserkrankungen von Frauen einbezogen. Im Rahmen des Projekts erschienen die Ausgaben ❚ Arbeits- und berufsbedingte obstruktive Lungenerkrankungen – Kenntnisstand und Hinweise für die Praxis des Berufskrankheitenverfahrens ❚ Die Problematik der Muskel-Skeletterkrankungen bei weiblichen Erwerbstätigen ❚ Arbeits- und berufsbedingte Krebserkrankungen: Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unter besonderer Berücksichtigung weiblicher Krebsformen Die Ausgaben sind ausschließlich in elektronischer Form verfügbar. 26 27 BERUFSKR ANKHEITEN Aus Fehlern und Versäumtem lernen: Eine bessere Prävention tut not Die Berufskrankheiten sind ein Sonderfall der arbeitsbedingten Erkrankungen. Nur diejenigen Krankheiten, die in der Berufskrankheiten-Liste (BK-Liste) aufgeführt sind, können unter eng definierten Kriterien als Berufskrankheit anerkannt werden und fallen dann nicht wie andere Erkrankungen in die Zuständigkeit der Krankenversicherung. Kostenträger bei Berufskrankheiten ist die Gesetzliche Unfallversicherung, die Berufsgenossenschaft bzw. die Unfallkasse (im Folgenden BG). Dieser Zweig der Sozialversicherung wird ausschließlich aus Beiträgen der Arbeitgeber finanziert, denn die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt die Haftpflicht des Arbeitgebers, wenn Beschäftigte einen Schaden erleiden. Die BG zahlt die infolge von Unfällen oder Berufskrankheiten anfallenden Behandlungskosten, gesundheitliche und berufliche Rehabilitationsleistungen sowie Renten zur Kompensation von Erwerbsminderung. Wird der Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit angezeigt7, ist die zuständige BG von Amts wegen verpflichtet zu ermitteln, ob bei der beruflichen Tätigkeit die in der BK-Liste beschriebene, genau definierte schädigende Einwirkung ( = Exposition) vorgelegen hat. Ist das der Fall, wird der Zusammenhang zwischen Einwirkung und Krankheit durch ein medizinisches Gutachten abgeklärt. Wird überhaupt erkannt, dass eine Erkrankung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht, und wird dies dann auch angezeigt? Nach den Erkenntnissen des Projekts ›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹ besteht hierzu in den Betrieben, bei Arbeitsschutzinstitutionen und auch im ambulanten und stationären Gesundheitswesen ein deutlicher Verbesserungsbedarf. Wenn es zu einer Berufskrankheit kommt, wird Verbesserungsbedarf beim betrieblichen Arbeitsschutz sichtbar. Das kommt insbesondere auch bei den aktuellen Entwicklungen in der Erwerbsarbeit zum Tragen. Denn in neuen Branchen werden Belastungen nicht immer ausreichend erkannt. Wer aufgrund von Leiharbeit oder anderweitig prekärer Beschäftigung nicht zur Kernbelegschaft PR AXIS zählt, wird im Arbeitsschutz oftmals nicht angemessen einbezogen. Neben der Beratung hatte das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ deshalb auch den Auftrag, zur Prävention von Berufserkrankungen beizutragen. Die Frage, was aus dem Berufskrankheitengeschehen und insbesondere aus der Beratungstätigkeit für die Verbesserung des Arbeitsschutzes und eine gezielte Prävention gelernt werden kann und welche betrieblichen und überbetrieblichen Handlungsmöglichkeiten gefördert werden können, war deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Projektarbeit. Durch Vernetzung mit Organisationen, Fachleuten und durch Informationen für Betriebe wurde Wissen aus dem Projekt für Betriebe, für den überbetrieblichen Arbeitsschutz, für Akteure im Gesundheitswesen und auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entwickelt und zur Verfügung gestellt. So waren die verbesserte Einbeziehung von BK-Risiken in die Checkliste der Gewerbeaufsicht des Landes Bremen zur Systemkontrolle sowie der Entwurf eines Patientenfragebogens für Lungenerkrankte Ergebnisse des fachlichen Austauschs. Schwerpunkt der ›Arbeitsschutzkonferenz zum Recht der Berufskrankheiten‹, die in Kooperation mit dem DGB Bremen-Elbe-Weser stattfand, war die Prävention. Insbesondere ging es um die Frage, welche Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten die Betriebliche Interessenvertretung bei der Prävention von Berufskrankheiten hat. Aber auch die Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im Rentenausschuss und in der Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger wurden diskutiert. Die Beiträge der vorliegenden Veröffentlichung stellen weitere Ansatzpunkte für eine bessere Prävention von Berufskrankheiten vor, die im Rahmen des Projektes erarbeitet und diskutiert wurden: Durch verbesserte Dokumentation und Recherche hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken, gute Rahmenbedingungen für die Arbeitsschutzaufsicht, mit der Einbeziehung in die Gefährdungsbeurteilung und die Durchführung der Arbeitsmedizinischen Vorsorge, sowie durch die Mitbestimmung der betrieblichen Interessenvertretung. WOLFGANG HIEN Strukturelle Hürden für die Anerkennung von Berufskrankheiten Nur bei langjähriger schwerster Arbeit anerkannt: Durch mechanische Faktoren verursachte Berufskrankheiten Wie sehr die Schere zwischen Anzeigen und Anerkennungen auseinanderklafft, sei am Beispiel der mechanischen Berufskrankheiten verdeutlicht: Von 4.806 Fällen der Bandscheibenerkrankungen der Lendenwirbelsäule (BK 2108), die 2012 in Deutschland als BK angezeigt wurden, wurde nur in 370 Fällen eine Anerkennung erreicht (das sind knapp acht Prozent). Wiederum nur ein Teil der Betroffenen bekam eine Entschädigung. Chancen einer Anerkennung haben tatsächlich nur diejenigen, die langjährig schwerste Arbeit geleistet haben: In der Baubranche, im Lager oder in der Pflege, sofern langjährig für sehr schwere und unbewegliche Patienten und Patientinnen zuständig. Die zweithäufigste Berufskrankheit im Bereich der durch mechanische Faktoren verursachten Berufserkrankungen sind die Kniegelenksarthrosen (Gonarthrose, BK 2112), gefolgt von Meniskusschäden (BK 2102), Bandscheibenschäden der Halswirbelsäule (BK 2109), Erkrankungen der Sehnenscheiden (BK 2101), der Schleimbeutel (BK 2105), Vibrationsschäden (BK 2110) und Druckschädigung der Nerven (BK 2106). ›Knien und Hocken beanspruchen die Kniegelenke stärker als gedacht‹ war eine Meldung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) betitelt.8 Doch bei einer Kniegelenksarthrose besteht nur dann eine Chance auf Anerkennung, wenn die ›spezifische Tätigkeit im Knien, Hocken oder Kriechen‹ – z. B. als Fliesenleger, Installateur oder Dachdecker – eine Gesamtdauer von mindestens 13.000 Stunden erreicht hat. Zusätzlich sind weitere Kriterien zu erfüllen, so z. B. bestimmte Körperhal- tungen oder die Winkelstellung zwischen Unter- und Oberschenkel. Im Jahr 2011 wurden 1.301 Fälle von Kniegelenksarthrosen als Berufskrankheit angezeigt und nur 78 dem Grunde nach anerkannt (sechs Prozent). Entschädigt wurden 52 Erkrankungsfälle. Dem Bremer Landesgewerbearzt lagen 14 Fälle vor, von denen er vier (28 Prozent) positiv beurteilte.9 Argumente, die einer Anerkennung in den Weg gelegt werden, sind beispielsweise der Verweis auf die Konstitution, auf ›schwache Gelenke‹, eine Fehlstellung der Beine, alterstypische Degeneration oder auf ›Fettleibigkeit‹. Hier deutet sich ein Wandel in der Rechtsprechung an: Sofern die 13.000Stunden-Dosis der beruflichen Belastung und die Spezifik der schweren Tätigkeit gegeben sind, hatten die medizinischen Argumentationen, die auf die Konstitution verweisen vor einem Sozialgericht keinen Bestand.10 2009 hat der ärztliche Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung empfohlen, das Carpaltunnelsyndrom (CTS) – eine sehr schmerzhafte Drucklähmung der Handgelenksnerven – in die BK-Liste aufzunehmen, bislang ohne Erfolg. Dennoch ist eine Anzeige über die sogenannte Öffnungsklausel nach § 9 Abs. 2 SGB VII möglich und sinnvoll, damit eine Erkrankung ›wie eine Berufskrankheit‹ anerkannt wird. Das CTS ist eine überaus häufige Erkrankung. Nach Schätzungen sind in Deutschland in der Altersgruppe der 25- bis 74-Jährigen mindestens 818.000 Frauen und mindestens 570.000 Männer von einem CTS betroffen, bei Fließbandarbeit mindestens jede bzw. jeder Vierte.11 Anerkannt wird eine Berufskrankheit jedoch sehr selten. So müsste eine Kassiererin beispielsweise zugleich mit sehr schweren Waren und in sehr ungünstiger Körperhaltung über längere Zeit hantiert haben. Eine Pflege- 28 29 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Wie gelangt eine Erkrankung in die Berufskrankheitenliste? Derzeit finden sich 73 Berufskrankheiten in der BK-Liste (siehe Anhang). Wenn es darum geht, eine Krankheit in die BK-Liste aufzunehmen, hat der ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesarbeitsministerium eine beratende Funktion. Beim ärztlichen Sachverständigenbeirat handelt es sich um ein ehrenamtliches Gremium. Der Beirat wertet wissenschaftliche Erkenntnisse aus, um Belege dafür zu finden, ob für bestimmte Erkrankungen ein höheres Risiko durch die berufliche Tätigkeit gegeben ist. Er empfiehlt dann möglicherweise, eine Erkrankung neu in die BK-Liste aufzunehmen. Letztlich entscheidet dies jedoch die Bundesregierung. Die personellen kraft müsste eine langjährige Dauertätigkeit mit sehr schweren Patienten nachweisen. Die Arbeit an der Computertastatur könne – so die Meinung der Sachverständigen – zwar zu schmerzhaften Hand-Armschäden führen, doch die zugrundeliegende Belastung reiche nicht aus, den Kriterien einer Berufskrankheit zu entsprechen. Definierte Einzelursachen – definierte Einzelwirkungen: Die Schweißerlunge An einem Beispiel aus dem Bereich der Atemwegserkrankungen kann gezeigt werden, wie restriktiv das deutsche Sozialrecht die Berufskrankheiten definiert und wo eventuell Chancen einer sozialrechtlichen Wende liegen könnten: Die Schweißerlunge (BK 4115), im Fachjargon ›Siderofibrose‹, die im Jahr 2009 vom Bundesarbeitsministerium in die Liste der anerkennungsfähigen Berufserkrankungen aufgenommen wurde. Das bedeutet: Erst wenn neben kleinen Eisenablagerungen in der Lunge auch das Bindegewebe in den Lungen auf Kosten des aktiven Lungengewebes wächst – was den Betroffenen ›die Luft nimmt‹ – handelt es sich um eine Schweißerlunge im Sinne des BK-Rechts. und finanziellen Ressourcen des Expertengremiums, insbesondere angesichts der Fülle von heranzuziehenden wissenschaftlichen Studien, sind knapp. Bis eine neue Position in die Liste kommt, können Jahre vergehen. Auch wenn die Erkenntnisse der Wissenschaft schon längst belegen, dass eine berufliche Ursache sehr wahrscheinlich ist: Dafür muss nachgewiesen sein, dass das berufliche Risiko doppelt so hoch ist wie das allgemeine Risiko der Bevölkerung, die betreffende Krankheit zu erwerben. Experten halten diese Voraussetzung für zu hoch, denn sie sehen es bereits bei einem 1,5-fach erhöhten beruflichen Risiko als gerechtfertigt an, dass eine Erkrankung als Berufskrankheit gilt. Aber für eine Anerkennung reicht dies immer noch nicht. Hierfür müssen sehr viele weitere (›die Kausalität begründende‹) Bedingungen erfüllt sein: Ein Schweißer muss mindestens 15.000 Stunden und dies zugleich unter extremsten Bedingungen gearbeitet haben, d. h. ›bei eingeschränkten Belüftungsverhältnissen, z. B. in Kellern, Tunneln, Behältern, Tanks, Containern, engen Schiffsräumen etc.‹. Die meisten Schweißer haben also im Rahmen des herrschenden BK-Rechts keine Chance, eventuell aber ein Werftschweißer, falls er nachweisen kann, dass er mehr als zehn Jahre lang fast ausschließlich in beengten Räumlichkeiten gearbeitet hat.12 Viele Stähle, die geschweißt werden sind beschichtet, z. B. mit Primern, Klebern oder schlichtweg mit Ölen. Dadurch entstehen erhebliche rußähnliche Rauchgasbelastungen. Je nachdem, um welche Beschichtungen es sich handelt, enthalten sie verschiedene Schadstoffe, hauptsächlich aber sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die nachweislich sowohl zu obstruktiven Atemwegserkrankungen als auch zum Lungenkrebs führen. Beide PAK-Erkrankungen sind als BK 4113 und 4114 verzeichnet, doch sind auch hier die Hürden so hoch gelegt, dass nur wenige Betroffene auf eine Anerkennung hoffen können. In der Wirklichkeit der Arbeitswelt kommen häufig Kombinationen der Belastungen und somit auch der Erkrankungsbilder vor. Doch angesichts eines Rechtskonzepts, das mono-kausal ausgerichtet ist, entsteht die absurde Situation, dass die ursächlichen, durch die Arbeit bedingten Faktoren unzweifelhaft vorliegen, doch die einzelnen Expositionen sowie die medizinischen Einzelbefunde nicht ausreichen, um die Kriterien einer ›Einzel‹-Berufskrankheit zu erfüllen. Zwar hat das BK-Recht durch die Aufnahme einer Kombinations-Exposition von Asbest und PAK am Horizont eine ›sozialpolitische Wende‹ aufscheinen lassen, doch wird die Praxis der kommenden Jahre zeigen, ob hier tatsächlich eine Wende eingeleitet wird. Das Argument, derartige Belastungen seien Altlasten, die bald aufgrund weiterer Technologiesprünge überwunden seien, kann nicht überzeugen. Nach wie vor werden Eisen, Stahl oder andere Metalle oder auch neue Werkstoffe, wie Kunststoffe, eingesetzt, oftmals kombiniert mit neuen Fügetechniken wie etwa die des Klebens. Anerkennung nur, wenn die berufliche Tätigkeit aufgegeben wird: Berufsbedingte Hauterkrankungen Epoxidharze, aus denen Boote, Surfbretter oder Rotorflügel für Windkraftanlagen hergestellt werden,13 können oftmals schon nach kurzer Zeit erhebliche Hautschädigungen verursachen und das Arbeitsleben zur Qual machen: Gerötete und rissige Hände, blutende und schmerzende Stellen, Bläschen und juckende Ekzeme. Beim Laminieren und beim Schleifen von Epoxidharzen kommt die Haut in Kontakt mit den Arbeitsstoffen. Sie kann direkt geschädigt werden; zugleich können außerdem Immunreaktionen auftreten, die sich letztlich als Allergie gegen das eigene Gewebe richten. Da die Arbeitsstoffe auch in der Luft sind, können alle nicht bedeckten Hautstellen, auch das Gesicht, schwer geschädigt werden. Von den etwa 70.000 Erkrankungen, die pro Jahr als Berufskrankheit angezeigt werden, stellen die Hauterkrankungen (BK 5101) die weitaus größte Gruppe dar. Bestätigt werden durchschnittlich etwa drei Viertel der Fälle, woraus sich Reha- und Behandlungsmaßnahmen ableiten. Nur in gut zwei Prozent davon wurde im Jahr 2011 eine Berufskrankheit anerkannt, von diesen jedoch bei nur einem Drittel eine Rente gezahlt. Eine wesentliche Hürde steht im Weg, bevor eine Hauterkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird: Die ›schädigende Tätigkeit‹ – im Klartext: der Beruf – muss laut Definition der BK 5101 aufgegeben worden sein (vgl. Tabelle 1). Wenn die auslösenden Belastungen vermieden werden, können die Symptome abklingen – sie lassen sich jedoch nicht wieder ungeschehen machen, sondern die Betroffenen müssen lernen, mit der geschädigten Haut zu leben. Um chronischen Hauterkrankungen vorzubeugen, muss deshalb die Prävention an erster Stelle stehen. Der Arbeitsschutz im Betrieb muss funktionieren: Mittels einer fachgerechten Gefährdungsbeurteilung muss festgestellt werden, welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Je nachdem, mit welchen Stoffen gearbeitet wird, ist auch die regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorge erforderlich. Das Arbeitsschutzgesetz wie alle dazugehöri- Tab. 1: BK 5101 Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Angezeigte und entschiedene Fälle 2012. BK 5101 Deutschland Land Bremen Angezeigte Fälle BK-Verdacht bestätigt insgesamt davon als BK anerkannt 24.385 20.028 (82 %) 581 (2,4 %) 345 238 (69 %) 11 (3,2 %) Quelle: DGUV Statistik, eigene Berechnungen Berufliche Verursachung festgestellt, besondere vers. rechtl. Voraussetzungen nicht erfüllt neue BK-Rente 19.447 (79,7 %) 144 (0,6 %) 232 (67,2 %) 5 (1,4 %) 30 31 BERUFSKR ANKHEITEN gen Vorschriften und Regeln sehen eine Rangfolge von Schutzmaßnahmen vor: Vorrangig sind technische und organisatorische Maßnahmen, dann erst kommen personenbezogene Maßnahmen in Betracht und dies nicht als Dauermaßnahme. Für die Arbeit mit Epoxidharzen heißt dies: Vorrangig sind sichere, spritzund verwirblungsarme Arbeitsverfahren in möglichst geschlossenen Anlagen, Direktabsaugung usw. Erst als ›letzte‹ Maßnahme kommt der individuelle Haut- und Atemschutz – dann aber mit geeigneten, auf die Arbeitsstoffe und -verfahren abgestimmten Handschuhen und Schutzmasken. Denkbar und in manchen Bereichen erprobt ist auch der Einsatz von Ganzkörperschutzanzügen und fremdluftbetrieben Atemschutzhelmen, doch nur dann, wenn ausreichende bezahlte Erholzeiten gewährt werden, nach arbeitswissenschaftlichem Ermessen sind dies mindestens zehn Minuten pro Stunde. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen über die Gefährdungen und die Schutzmaßnahmen regelmäßig unterrichtet werden. Beschäftigte in prekären Beschäftigungsverhältnissen und in Zeitarbeit genießen jedoch oftmals nicht die Vorzüge eines gut organisierten Arbeitsschutzes, weil die Schutzmaßnahmen unzulänglich sind, oder weil Schulungen fehlen und die Aufsicht durch die zuständigen Berufsgenossenschaften nicht ausreicht, wie der Bericht des Bremer Landesgewerbearztes 2009 belegt. Chronische Hauterkrankungen traten in einigen Fällen so schnell auf, dass die Betroffenen noch in der Probezeit ihre Arbeit wieder verloren – ohne Konsequenz für den Betrieb, der die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen verantwortet. PR AXIS Die BK-Liste: Lückenhaft und mit blinden Flecken Berufliche Faktoren können Ursache für Erkrankungen sein, die bisher nicht ausreichend im Zusammenhang mit dem Berufskrankheitengeschehen im Blick sind: Krebserkrankungen, die ›mechanischen‹ Berufskrankheiten und psychische Erkrankungen. Krebserkrankungen sind, nach international übereinstimmenden Schätzungen, zu etwa fünf Prozent arbeits- und berufsbezogenen Faktoren geschuldet.14 Bei 480.000 neuen Erkrankungsfällen pro Jahr in Deutschland wären demnach 24.000 Krebserkrankungen zumindest in einem epidemiologisch messbaren Maß wesentlich durch Einflüsse des Arbeitsplatzes und des Berufes verursacht. Unter der Annahme, dass davon mindestens die Hälfte im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit als arbeits- und berufsbedingt anzusehen sind, also dem Kriterium einer Berufskrankheit entsprechen, läge – bei etwa 2.200 anerkannten Berufskrebsfällen pro Jahr – die Dunkelziffer immer noch bei über 80 Prozent. Die BK-Liste ist lückenhaft, sie berücksichtigt zahlreiche krebserzeugende Stoffe und Faktoren am Arbeitsplatz nicht. Dazu gehören auch Stoffe, die im Tierversuch eindeutig krebserzeugend wirken, für die jedoch beim Menschen noch keine eindeutigen epidemiologischen Beweise vorliegen, zum Teil schlicht deshalb, weil noch nicht genügend Zeit verstrichen ist, zum Teil aber auch deshalb, weil Daten der Sozialversicherungsträger nicht oder nicht hinreichend ausgewertet und somit Zusammenhänge nicht erkannt werden. Das bedeutet auch, Chancen für die Verhütung von schweren, oftmals tödlichen Erkrankungen zu vertun, obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse zum Berufskrebs und somit auch für die Prävention vorliegen sollten.15 So verdichten sich die Hinweise, dass berufliche Einflüsse bei Brustkrebs von großer Bedeutung sind: Die Arbeit mit Pestiziden in der Landwirtschaft, mit Ethylenoxid beim Sterilisieren, aber auch die Belastung durch starke elektromagnetische Felder bei Elektrikerinnen, die Höhenstrahlung bei Flugbegleiterinnen und die Nachtschichtarbeit in der Kranken- und Altenpflege.16 Spätestens beim Thema Krebs zeigt sich, dass die dogmatisch strenge Unterscheidung zwischen ›arbeitsbedingt‹ und ›berufsbedingt‹ gesundheitspolitisch problematisch ist. Ein epidemiologisch nachweisbarer Anteil der Arbeit ist ein ›wesentlicher‹ Anteil – dennoch reicht er bei der Durchschnittsbetrachtung nicht aus, um als ›überwiegender‹ Anteil gelten zu können. Das heißt aber zugleich, dass jeder Fall geprüft werden sollte, hinter dem hohe Belastungen vermutet werden, ob über die Öffnungsklausel eine Berufskrankheit anzuzeigen ist. So würde zugleich auch die Aufmerksamkeit für Arbeitsschutz und Prävention verstärkt. Neben dem Carpaltunnel-Syndrom (s. o.) entsprechen einige weitere Schädigungen des Muskel-Skelett-Apparates schon längst den Kriterien einer Berufskrankheit. Sie müssten also in die BK-Liste aufgenommen werden. Dazu gehören das Hypothenar-Hammersyndrom, Schulter-Sehnenerkrankungen17 und Hüftgelenksarthrose18. Bei einer mehr als zehnjährigen Tätigkeit mit andauernder Lastenhandhabung und Gewichten von über 20 Kilogramm – so z. B. in Bau-, aber auch in Metallberufen – ist eine berufliche Bedingtheit klar gegeben. Sind nach menschlichem Ermessen die BK-Kriterien – also langjährige Tätigkeit mit den genannten extremen Belastungen – erreicht oder gar übererfüllt, sollte die Erkrankung als BK angezeigt werden. Psychische Erkrankungen als Berufskrankheit? Sollten nicht auch schwere psychische Erkrankungen, wenn ein Zusammenhang mit der Arbeit anzunehmen ist, als BK anerkannt werden? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, auch deswegen, weil in der Gruppe der psychischen Erkrankungen viele verschiedene Krankheiten zusammengefasst sind. Eine Vielzahl epidemiologischer Studien belegt den signifikanten Beitrag schlechter Arbeitsbedingungen als Risiko für die Entstehung schwerer Depressionserkrankungen, wie hohe Anforderungen bei geringem Handlungsspielraum, mangelnde soziale Unterstützung, Job-Angst, Mobbing. Sie sind allerdings ein Faktor unter mehreren, d. h. sie erreichen epidemiologisch nicht eindeutig die Schwelle der ›überwiegenden Wahrscheinlichkeit‹. Eine internationale Arbeitsgruppe um den Londoner Psychatrie-Epidemiologen Stephen Stansfeld hat in den letzten Jahren die für die Entstehung psychischer Erkrankungen verantwortlichen Faktoren in mehreren sehr sorgfältigen Großstudien systematisch abgesucht.19 Es wurde sehr streng zwischen arbeitsbezogenen und privaten Ursachen unterschieden. Die bekannten Arbeits-Stressoren erwiesen sich erneut als starke Risikofaktoren, zugleich aber zeigten auch private Einflüsse wie z. B. Scheidung, häusliche Gewalt, finanzielle Krisen oder private Pflegearbeit ein Risikopotential. Entscheidend war, dass beide Bereiche als unabhängige Risikofaktoren bestehen blieben, auch wenn sie gegeneinander gerechnet wurden. Auch wenn psychische Vorerkrankungen im Kindesalter berücksichtigt wurden, verschwanden die arbeitsbezogenen Risiken keineswegs, aber sie lagen deutlich unter dem relativen Risiko von 2, d. h. der krankheitsverursachende Anteil der Arbeitswelt lag unter 50 Prozent, somit die Nicht-Arbeits-Faktoren über 50 Prozent. In verschiedenen Arbeitssituationen ist es denkbar und auch epidemiologisch identifiziert20, dass von einer jahrelangen Extrembelastung ausgegangen werden muss, wie z. B. die Arbeit im Rettungsdienst, in der Intensivpflege oder bei der Feuerwehr. Die damit verbundene Problematik muss auf mehreren Ebenen diskutiert und geklärt werden. Ein sich über Jahre erstreckender Dauerstress, verbunden mit der Unmöglichkeit oder Unfähigkeit, längere Phasen der Entspannung einzuschieben, wirft seinen langen Schatten auf das gesamte Leben. Hier liegen die Risiken deutlich über 2, d. h. der den Arbeitsfaktoren zuzuschreibende Anteil liegt in diesen besonderen Fällen über 50 Prozent. Das Problem wird hier freilich der Einzelfallbeweis in ganz besonderem Maße sein. 32 33 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS ROLF SPALEK Meine Erfahrungen als Berater für Berufskrankheiten-Betroffene Seit 1975, als ich das erste Mal in den Betriebsrat des Bremer Vulkan gewählt wurde, habe ich Kolleginnen und Kollegen geholfen und sie beraten, wenn sie gegenüber der Berufsgenossenschaft eine Berufskrankheit geltend machen wollten. Nach dem Konkurs des Bremer Vulkan ging es weiter, zunächst in einem Projekt der Uni Bremen, später über die Evangelische Kirche und den Verein Arbeit und Zukunft. Anschließend war ich fünf Jahre lang ehrenamtlicher Berater auf dem früheren Vulkangelände, das inzwischen der LürssenWerft gehört. Von Mai 2011 bis Juni 2013 habe ich dann bei der Arbeitnehmerkammer Bremen beraten, im Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹. Insgesamt habe ich mich 37 Jahre lang mit dem Thema Berufskrankheiten befasst. Bei der Beratung ging es um ganz verschiedene Berufskrankheiten, angefangen mit der Lärmschwerhörigkeit, über durch Lösemittel bedingte Krankheiten bis zu Bandscheibenerkrankungen. Mein Schwerpunkt lag aber stets bei den durch Asbest bedingten Erkrankungen. Dazu möchte ich kurz ein paar Zahlen nennen: Bis 2011 haben insgesamt über 600 Betroffene, die beim Bremer Vulkan tätig waren, eine Anzeige auf Verdacht einer asbestbedingten Berufskrankheit gestellt. Im Projekt Wissenstransfer ging es bei mehr als 140 Beratungen um Asbesterkrankungen. Die Spitze des Eisbergs ist noch nicht erreicht: Sie wird von Medizinern und Wissenschaftlern für das Jahr 2017 etwa vorhergesagt. Das hängt damit zusammen, dass es so viele Jahre und manchmal Jahrzehnte dauert, bis eine Asbestberufserkrankung überhaupt erkannt wird. Wie sieht nun eine Beratung aus? Bei etlichen Betroffenen wurde der Verdacht auf eine Berufskrankheit von einem Arzt bei der BG angezeigt. Daraufhin bekamen sie einen umfangreichen Fragebogen von der BG, den sie ausfüllen sollten. Die meisten sind damit überfordert und kommen nicht damit zurecht. Deshalb kamen sie in die Beratung und ich habe sie über das BerufskrankheitenVerfahren aufgeklärt und auf die wichtigsten Details hingewiesen. Zunächst geht es darum, alle Beschäftigungszeiten seit der Lehrzeit bis zum Ausscheiden aus dem Beruf bzw. bis zur Gegenwart lückenlos aufzulisten. Außerdem braucht es eine genaue Beschreibung über die gefährdenden Tätigkeiten, die sie bei der Arbeit verrrichtet haben. Warum? Weil der Betroffene beweisen muss, dass er von der beruflichen Tätigkeit krank geworden ist. Für die meisten ist es nicht ohne weiteres zu bewältigen, das ganze Arbeitsleben zu erinnern und zu dokumentieren. Deshalb habe ich dabei geholfen, die verschiedenen Stationen und Belastungen zu dokumentieren, die für die Berufskrankheit eine Rolle spielen könnten. Dann konnte der Kollege seine Unterlagen an die BG schicken. Was bei der Beratung gefragt ist, zeigt das folgende Beispiel. Nachweis der beruflich bedingten Asbestbelastung durch die Arbeitsanamnese Bei einem verstorbenen ehemaligen Arbeiter des Bremer Vulkan wurde durch eine Obduktion bestätigt, dass eine Asbestose-Erkrankung die Todesursache war. Die Berufsgenossenschaft (BG) hatte nur sehr oberflächlich, durch Nachfrage bei der Witwe ermittelt, wo er gearbeitet und ob eine Asbestexposition vorgelegen hatte. Anhand der Arbeitsanamnesen von ehemaligen Vulkanesen mit vergleichbaren Tätigkeiten konnte ich dabei helfen, die berufliche Verursachung nachzuweisen. Der Ehefrau wurde dann tatsächlich eine Witwenrente zuerkannt. Nach dem Bescheid der BG hat sie abgewartet, ob die BK-Rente auf die Altersrente angerechnet wird. Es empfiehlt sich, so lange das Geld von der BG nicht auszugeben. In diesem Fall war es entscheidend, dass der Mann vor seinem Tode entschieden hatte, dass er obduziert werden möchte, und seine Witwe hat dies auch durchführen lassen. Oftmals lehnt die Berufsgenossenschaft den Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit ab, weil in ihren Augen nicht genügend Beweise erbracht sind. Der Betroffene muss dann innerhalb einer Frist Widerspruch einlegen. Wenn der auch abgelehnt wird, muss er später vielleicht sogar klagen, manchmal über mehrere Instanzen. Das erfordert viel Arbeit und Zeit und ist für die betroffenen, meistens schwer kranken Kollegen sehr belastend. In einem anderen Beratungsfall hatte die Witwe die Obduktion des Verstorbenen abgelehnt. Da wir hier außerdem den Asbestkontakt durch die berufliche Tätigkeit durch die Arbeitsanamnese nicht belegen konnten, wurde der Antrag auf Hinterbliebenenrente aufgrund einer Berufskrankheit negativ beschieden. Der hohe Aufwand, bis eine Berufskrankheit anerkannt und entschädigt wird könnte verhindert oder wenigstens verkürzt werden. Diejenigen, die für den Arbeitsschutz zuständig sind, vor allem Betriebsräte, Vertrauensleute, Sicherheitsbeauftragte, aber auch die Mitglieder in den Selbstverwaltungen, müssen mehr darauf achten, dass in den Betrieben die Gefährdungsbeurteilung erstellt und die Arbeitsbedingungen dokumentiert und festgehalten werden. Im Falle des Vulkan-Konkurses war es so, dass der Konkursverwalter als erstes alle Unterlagen des Einkaufs vernichtet hat. Damit wurden wichtige Belege für Arbeitsstoffe und andere Bedingungen, die in vielen Berufskrankheitenfällen wichtig gewesen wären, unwiederbringlich vernichtet. Wenn dann im Berufskrankheitenverfahren die BG der Auffassung war, dass bestimmte Belastungen nie vorgelegen hätten, war es für die früheren Vulkanesen sehr schwer, das Gegenteil zu beweisen. Weil ich die Arbeit auf der Werft selbst kennengelernt habe, verfüge ich natürlich über viel Erfahrung. Glücklicherweise konnten durch das Uni-Projekt sehr viele Unterlagen über die Arbeitsbedingungen und -stoffe, mit denen auf dem Bremer Vulkan gearbeitet wurde, vor dem Reißwolf gerettet werden. Dadurch konnten wir in vielen Berufskrankheiten-Fällen Beweise für die Asbestbelastung erbringen. 34 35 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS ANNETTE DÜRING Prävention von Berufskrankheiten: Ohne Aufsicht geht es nicht! ›Unternehmen werden gegründet, um gute Geschäfte zu machen; der Rest kommt danach. Sicherheit ist eine gute Sache, aber natürlich kommt sie erst nach der Rentabilität‹, so die Antwort einer Führungskraft bei einer europaweiten Befragung zur Wahrnehmung der Sicherheit am Arbeitsplatz und ihrer Umsetzungsstrategie21. Dass Arbeitssicherheit dazu beiträgt, dass der Betrieb wirtschaftlichen Erfolg hat, ist belegt und dem Management vieler Unternehmen wohl bekannt. Allein es führt oft nicht zum praktischen Handeln, wie die Ergebnisse einer europaweiten Umfrage der europäischen Arbeitsschutzagentur zeigen22. Danach ist für neun von zehn Arbeitgebern die ›Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen‹ der wichtigste Grund sich mit Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb zu befassen – unabhängig von Größe und Branche des Unternehmens. Weitere Motive sind z. B. die Forderung von Beschäftigten oder Interessenvertretungen und auch der Druck der Arbeitsschutzaufsicht. Das schafft europaweit für fast 60 Prozent, in Deutschland sogar für 80 Prozent der befragten Unternehmen den Anlass, sich um den Arbeitsschutz zu kümmern. ❚ Arbeitsbedingte Erkrankungen verursachen hohe Kosten: Über 33 Milliarden Euro jährlich entstehen in Deutschland nach Berechnungen des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen an direkten und indirekten Kosten für arbeitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, mehr als zehn Milliarden Euro für arbeitsbedingte Frühverrentung23. ❚ Oft ist zu hören, dass die ›klassischen‹ Arbeitsbelastungen keine Rolle mehr spielten, wie gefährliche Stoffe, körperlich schwere Arbeit, Staub, Schmutz oder Lärm. In erster Linie seien ›neue‹ wie z. B. psychische Belastungen relevant. Doch die altbekannten Belastungen gefährden die Gesundheit vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach wie vor. Als eine Folge der Deregu- lierung von Arbeit sind sie nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar. Sie prägen in besonderem Maß die Arbeitsbedingungen von prekär Beschäftigten. Leiharbeitskräfte, geringfügig, befristet oder mit Werkvertrag Beschäftigte werden vom Arbeitsschutz jedoch eher vernachlässigt. Wenn die ›schmutzige‹ Arbeit gar aus unseren Breiten in Schwellenländer verlagert wird, wie beispielsweise das Ausschlachten von elektronischen Geräten durch Kinderarbeit in Afrika, oder das Zerlegen von asbestverseuchten Schiffen in Indien, ›verschwinden‹ die Gefahren aus dem europäischen Blickfeld. ❚ Viele Folgen von ›alten‹ Belastungen zeigen sich erst heute. So vergeht manchmal eine lange Zeit zwischen der Einwirkung schädigender Faktoren und dem Auftreten von asbestbedingten Berufskrankheiten oder beruflich verursachtem Krebs. Bei den Berufskrankheiten handelt es sich um eine verhältnismäßig kleine Gruppe im gesamten Geschehen der arbeitsbedingten Erkrankungen. Jedoch stellen Berufserkrankungen in der Regel schwere, chronische, häufig auch lebensbedrohlich oder tödlich verlaufende Erkrankungen dar, beispielsweise berufsbedingter Krebs. Knapp auf den Punkt gebracht könnte man sagen, dass immer dann, wenn es zu einer Berufskrankheit kommt, der Arbeitsschutz mangelhaft ist oder versagt hat. Damit sich dies bessert und die Beschäftigten bei der Arbeit gesund bleiben, hat es für den Bremer DGB inzwischen Tradition, das Thema Arbeitsschutz auf den Tisch zu bringen: In den Jahren 1994 und 1995 wurden eine Reihe von Veranstaltungen zum Recht der Berufskrankheiten, in Kooperation mit dem Bremer Landesgewerbearzt und der damaligen Angestelltenkammer die Veranstaltungsreihe zum Recht der Berufskrankheiten durchgeführt (Übersicht 1). Seit 1997 lädt der DGB Bremen-ElbeWeser mindestens einmal jährlich zur Arbeitsschutzkonferenz ein, um gesundheitsbezogene Gestaltungsmöglichkeiten der Akteure, insbesondere der Betriebsund Personalräte vorzustellen und zu diskutieren. Die Veranstaltungen haben unterschiedliche Schwerpunkte; so behandelte die 19. Konferenz wiederum das Thema Berufskrankheiten. Übersicht 1: Veranstaltungsreihe zum Recht der Berufskrankheiten, 1994 / 95 Eine Kooperation von DGB Bremen, Landesgewerbearzt Bremen und Angestelltenkammer Bremen 27.04.1994 Grundlagen des Berufskrankheitenverfahrens 06.07.1994 Lärmschwerhörigkeit 28.09.1994 Asbestose 30.11.1994 Durch Asbest verursachte Krebsleiden 22.02.1995 Obstruktive Atemwegserkrankungen 03.05.1995 Wirbelsäulenschäden Eigentlich ist alles klar: Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten bei der Arbeit in seinem Betrieb zu verbessern. Dazu muss er laut Arbeitsschutzgesetz bei der Organisation der Abläufe in seinem Betrieb stets berücksichtigen, ob Arbeitsschutzmaßnahmen erforderlich sind. Die Grundlage dafür liefert die Gefährdungsbeurteilung. Damit kann der Arbeitgeber für seinen Betrieb konkret ermitteln, was er tun muss. Arbeitsschutz, das ist heutzutage kein starres Vorschriftenwerk mehr. Das Arbeitsschutzgesetz gibt vielmehr einen Rahmen vor, der in den einzelnen Betrieben mit Leben gefüllt werden muss. Welche Maßnahmen dann ergriffen werden, richtet sich ebenfalls nach der betrieblichen Situation. Der Betriebs- oder Personalrat verfügt beim Arbeitsschutz über umfangreiche Rechte für eigene Initiativen, Mitbestimmung und Mitgestaltung. Hinweise und Vorgaben zur Verhütung von Berufskrankheiten ergeben sich aus den Vorschriften der Unfallversicherungsträger. Es muss stets darum gehen, Gefährdungen zunächst an der Quelle zu bekämpfen: Durch technische Maßnahmen. Wo dies nicht möglich ist oder nicht ausreicht, kommen auch arbeitsor- ganisatorische Maßnahmen in Betracht, wie Pausenregelungen oder Qualifizierung und erst als letzte Möglichkeit der personenbezogene Schutz. Die Arbeitsschutzmaßnahmen müssen dokumentiert und auf Wirksamkeit überprüft werden. Anhand der Dokumentation könnten im Falle einer Berufserkrankung die maßgeblichen gesundheitlichen Risiken nachgewiesen werden. Diese auf den jeweiligen Betrieb maßzuschneidernde Vorgehensweise bietet politisch und von der Wirtschaft gewollte Freiheiten. Das macht die Aufgabe allerdings nicht leichter, wenn sie ernst genommen wird – für den Arbeitgeber und die Führungskräfte nicht, aber auch nicht für die betriebliche Interessenvertretung. Beim Aufspüren und Bewerten von Gefährdungen brauchen beide Betriebsparteien fachkundige Unterstützung und Beratung. Betriebsintern sind dafür zunächst die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin da. Ihre Aufgabe ist es, den Arbeitgeber zu beraten und dabei auch mit der betrieblichen Interessenvertretung zusammenzuarbeiten. Auch überbetriebliche Organisationen wie die Gewerbeaufsicht und die zuständige Berufsgenossenschaft bieten Beratung an. Sie haben aber zunächst hoheitliche Kontrollaufgaben. Sie müssen vor Ort überprüfen, ob der Arbeitsschutz richtig organisiert ist, ob Vorschriften eingehalten werden und ob die betrieblichen Maßnahmen zielführend und ausreichend sind. Und da haben sie nach Lage der Dinge noch eine Menge zu tun. In den letzten Jahren wurden die personellen Kapazitäten der staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Aufsichtsinstitutionen mit dem Argument der Entbürokratisierung jedoch drastisch reduziert. In einigen Bundesländern wurde die staatliche Gewerbeaufsicht zerschlagen, in andere Behörden eingegliedert oder anderen unterstellt. Der Personalstand alleine gibt aber kein realistisches Bild, denn zugleich mussten die Aufsichtsbehörden neue, den Arbeitsschutz ergänzende oder nicht zum Arbeitsschutz gehörende Aufgaben übernehmen. Mit Beratung alleine ist es aber nicht getan: Obwohl das Arbeitsschutzgesetz seit 1996 besteht, wurde bisher nur in 36 37 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS etwa der Hälfte der Betriebe in Deutschland überhaupt eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Das ergab eine Auswertung von Studien zum Thema.24 Am besten schneiden die Großbetriebe ab: Je kleiner das Unternehmen, desto geringer die Chance, dass die Frage nach der Gefährdungsbeurteilung mit Ja beantwortet wurde. Eine repräsentative Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Jahr 2011 bei Arbeitgebern und Führungskräften in eintausend kleinen und kleinsten Unternehmen ergab, dass in nur 38 Prozent der befragten Betriebe Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt wurden.25 Bedenkt man, dass die Mehrzahl der Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen tätig ist – auch im Land Bremen –, verschiebt sich das Ungleichgewicht weiter (vgl. Tabelle 1): Die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist demnach von mangelhaftem Gesundheitsschutz bei der Arbeit betroffen. Tab. 1: Betriebe und Beschäftigte nach Betriebsgröße im Land Bremen Betriebsgröße / Zahl der Beschäftigten über 500 Zahl der Betriebe Zahl der Beschäftigten 52 68.568 250 bis 499 115 39.876 100 bis 249 348 52.071 50 bis 99 523 36.837 20 bis 49 1.284 39.192 10 bis 19 1 bis 9 1.763 23.969 12.003 36.066 Quelle: Jahresbericht der Gewerbeaufsicht des Landes Bremen 2012, S. 78 Es bestehen außerdem offenbar Diskrepanzen zwischen den Angaben von Arbeitgebern und Führungskräften und dem, was bei den Beschäftigten ankommt. So zeigte sich bei der Befragung im Rahmen des DGB-Index Gute Arbeit 2008, dass fast ein Drittel der befragten Beschäftigen nicht wusste, ob eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde, 40 Prozent verneinten und nur 30 Prozent gaben an, dass ein oder mehrmals eine Gefährdungsanalyse bei der Arbeit stattgefunden hatte.26 Die ohnehin nicht sehr große Zahl durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen sagt noch nichts über deren Qualität aus. Gründe, warum keine Gefährdungsbeurteilung im Betrieb stattgefunden hat, sind nach Auffassung von Betriebsräten, dass niemand weiß, wie eine Gefährdungsbeurteilung zu machen ist, dass das Thema Gesundheit hinter anderen Erfordernissen im Betrieb zurücksteht und dass die Verantwortlichkeiten beim Arbeitgeber häufig nicht klar sind. Gründe gibt es also genug, den Arbeitsschutz zu verbessern. Das beginnt damit, wie der Arbeitsschutz im Betrieb organisiert ist: Wie ist geregelt, dass die betrieblichen Pflichten im Arbeitsschutz wahrgenommen werden, wer hat welche Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, sind die Gefährdungen und die Schutzmaßnahmen dokumentiert? Deshalb ist die ›Verbesserung der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes‹ auch eines der drei Ziele der Deutschen Arbeitsschutzstrategie in den Jahren 2013 bis 2018. Die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung und die staatliche Gewerbeaufsicht arbeiten dabei zusammen. Auf Basis der sogenannten Systemkontrolle ermitteln sie gemeinsam mit den Betrieben, welche Elemente der Arbeitsschutzorganisation im Betrieb schon vorhanden sind und wo noch nachzuarbeiten ist. Und es gibt noch eine Menge nachzuarbeiten, wie die Statistik der Bremer Gewerbeaufsicht zeigt. Bei der Systemkontrolle wird die betriebliche Arbeitsschutzorganisation bewertet. Es geht darum, die Kapazitäten der Aufsicht bedarfsorientiert einzusetzen, indem diejenigen Betriebe ermittelt werden, deren Arbeitsschutzstrukturen nicht oder nur eingeschränkt wirksam sind. Dabei wurden in den Jahren 2009 bis 2011 zahlreiche Mängel festgestellt, wie die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage zur Entwicklung des Arbeitsschutzes im Lande Bremen Ende 2012 ergab: ❚ ›Fehlende Aufgabenübertragung und deren Überwachung Führungskräfte und Funktionsträger nehmen Aufgaben im Bereich des Arbeitsschutzes wahr. Der Verantwortungsbereich mit zugehörigen erforderlichen Kompetenzen wird nicht festgelegt und schriftlich fixiert. ❚ Erfüllung der Organisationspflichten aus dem Arbeitssicherheitsgesetz Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte werden nicht bestellt oder die organisatorische Einbindung erfolgt nicht angemessen. ❚ Organisation der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Es werden keine oder vereinzelte Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt. Die systematische Vorgehensweise fehlt. Unzureichende Integration der Gefährdungsbeurteilung in den Betriebsalltag insbesondere das Fehlen der Wirksamkeitskontrolle der Arbeitsschutzmaßnahmen. ❚ Fehlende Durchführung und Dokumentation der Unterweisungen Arbeitsplatz- und aufgabenbezogene Unterweisungen werden nicht durchgeführt oder nur sporadisch. Gründe für notwendige Unterweisungen (Unfall, neue Maschinen) werden nicht festgelegt und erfolgen nur zufällig.‹27 Insgesamt stellen sich die Ergebnisse der Systemkontrolle in den Jahren 2009 bis 2011 wie in Tabelle 2 abgebildet dar. Nur bei knapp der Hälfte der überprüften Betriebe lag die Gefährdungsbeurteilung vollständig vor. Begonnen worden war sie in einem Viertel der Unternehmen, die restlichen 26 Prozent hatten noch nicht begonnen, die Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Am besten schnitten Großbetriebe ab: In allen Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten lag eine vollständige Gefährdungsbeurteilung vor, in Unternehmen mit 20 bis 499 Beschäftigten waren es immerhin noch 65 Prozent. Doch jedes fünfte Unternehmen hatte noch nicht mit der Gefährdungsbeurteilung begonnen. Die kleinen und Kleinstunternehmen – das sind laut Jahresbericht 2010 der Gewerbeaufsicht 13.199 von insgesamt 15.375 Betriebsstätten mit insgesamt mehr als 56.000 Beschäftigten im Land Bremen28 – haben den größten Nachholbedarf: 38 Prozent der Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten hatten eine Gefährdungsbeurteilung, doch fast die Hälfte hatte noch nicht einmal damit begonnen. Die Bewertungen ›geeignete Arbeitsschutzorganisation‹, ›teilweise geeignete Arbeitsschutzorganisation‹ bzw. ›ungeeignete Arbeitsschutzorganisation‹ trafen im Jahr 2012 jeweils auf ein Drittel der Betriebe zu, die von der Bremer Gewerbeaufsicht überprüft worden waren29. Tab. 2: Ergebnis der Systemkontrolle Bewertung der Arbeitsschutzorganisation (2009 bis 2011) in Prozent Kategorie Land Bremen Bremen Bremerhaven I sehr gute Arbeitsschutzorganisation 4 4 3 II gute Arbeitsschutzorganisation 34 29 40 III befriedigende Arbeitsschutzorganisation 25 24 29 IV gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt 23 27 17 V gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt 14 16 11 Quelle: Bremische Bürgerschaft, Drucksache 18/614 Beratung spielt bei der Etablierung einer tragfähigen betrieblichen Arbeitsschutzorganisation eine wesentliche Rolle, aber die Behörden können auch Mängel rügen, Maßnahmen anordnen oder gar Bußgelder verhängen, denn in vielen Fällen geht es nicht ohne Druck. Jedoch wurden in den letzten Jahren die entsprechenden Anstrengungen der Behörden nicht verstärkt, sondern flächendeckend die Kapazitäten und auch die Kontrolltätigkeit zurückgefahren, wie die Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen an den Deutschen Bundestag im Sommer 2012 belegt30. Danach ging, bezogen auf Betriebe aller Größenklassen, bundesweit die Zahl der stattgefundenen Betriebsbesuche der staatlichen Gewerbeaufsicht von fast 400.000 im Jahr 2005 bis auf gerade einmal 300.000 im Jahr 2010 zurück. Derselbe Trend zeigt sich bei den Berufsgenossenschaften, deren Besichtigungen im gleichen Zeitraum von fast 650.000 auf knapp 500.000 reduziert wurden. Weniger Besichtigungen, aber mehr Grund zu Beanstandungen: Auch die Anordnungen, Verwarnungen, Bußgeldbescheide und Strafanzeigen in den Jahren 2005 bis 2010 wurden für die genannte Bundestagsanfrage ausgewertet – das Ergebnis gibt zu denken: Es zeigt einerseits, dass bei einer zielgerichteten Kontrolle möglicherweise eher die ›schwarzen Schafe‹ in den Blick geraten als diejenigen, die ihre Hausaufgaben gut oder einigermaßen gut erledigen. Das ist erfreulich, es zeigt andererseits jedoch auch, dass es im Arbeitsschutz noch viel zu verbessern gibt. 38 39 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Handlungsbedarf besteht auf verschiedenen Ebenen Die Betriebe Zuallererst hier müssen die Kontrollpflichten wahrgenommen werden – angesichts von Deregulierung und Entbürokratisierung nimmt die Verantwortung der betrieblichen Parteien zu. Der Arbeitgeber hat angesichts seiner Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten die Pflicht zur Selbstkontrolle – diese muss er auch wahrnehmen. Dazu könnte er die Checkliste der Systemkontrolle der Gewerbeaufsicht31 nutzen, die eine gute Struktur vorgibt um zu erkennen, was betrieblich organisiert werden muss. Betriebs- und Personalräte haben laut Betriebsverfassungsgesetz (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) die Durchführung der rechtlichen Vorschriften, die für den Betrieb gelten zu überwachen. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG eröffnet viele Möglichkeiten, beim Arbeitsschutz mitzubestimmen. Die aktive Mitarbeit im Arbeitsschutzausschuss ist Basis, aber es stehen weit mehr Instrumente zur Verfügung, um Aktivitäten zum Schutz der Gesundheit anzustoßen, für Qualität zu sorgen und die Maßnahmen kritisch zu begleiten. Dazu zählen Betriebsvereinbarungen, gesteuerte Vorgehensweisen, die Mitbestimmung bei der Bestellung von Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft oder auch die Entwicklung und Umsetzung von beteiligungsorientierten Verfahren der Gefährdungsbeurteilung. Kontrolle sollte aber auch betriebsintern veranlasst werden, in dem z. B. die Überprüfung, ob Arbeits- und Gesundheitsschutz in den einzelnen Betriebsteilen gelebt, zum Gegenstand von Jahresgesprächen und Zielvereinbarungen für Führungskräfte gemacht und als Kriterium für ihren Erfolg herangezogen wird. Die Aufsichtsinstitutionen Bei der betrieblichen Systemkontrolle sollte im Hinblick auf Berufskrankheiten einbezogen werden, ob der Aufsicht führenden Behörde Erkenntnisse über Berufskrankheiten in der jeweiligen Branche oder dem Betrieb vorliegen. Wenn dies der Fall ist, sollten die betroffenen Betriebe auf alle Fälle auf die Liste der zu besuchenden Unternehmen gesetzt werden, denn hier zeigt sich besonderer Handlungsbedarf. Unfälle und Berufserkrankungen von Leiharbeitnehmern, die beim Verleiher und nicht beim entleihenden Betrieb aktenkundig werden, sowie Ereignisse, die anderweitig prekär Beschäftigte betreffen, müssen dabei ebenfalls erfasst werden. Auch die Politik muss nachlegen Damit die Arbeitsschutzaufsicht ihrer Aufgabe gerecht werden kann, sind ausreichende personelle und materielle Kapazitäten erforderlich. Die Zahl der Aufsichtspersonen darf nicht weiter heruntergefahren werden – es wird vielmehr angesichts zunehmender prekärer und ungeregelter Arbeitsverhältnisse und eines erheblichen Nachholbedarfs der Unternehmen im Arbeitsschutz mehr qualifiziertes Personal benötigt. Das Beispiel Asbest WOLFGANG HIEN I BARBARA REUHL Asbest Das Wort ›Asbest‹ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet ›unvergänglich‹. Asbest ist ein faserförmiges, natürlich vorkommendes SilikatMineral. Es wird vor allem in Kanada, aber auch in Russland und China Im Land Bremen wurde Asbest vor allem im Schiffbau verwendet, und auch im Hafen kamen viele Beschäftigte damit in Kontakt: Der Bremer Überseehafen war jahrzehntelang bis zu seiner Schließung 1991 Hauptumschlagsplatz für Rohasbest-Lieferungen an die deutsche Industrie. So zählte die AOK Bremen/Bremerhaven insgesamt 202 Schiffe mit Asbestladung, die in von 1950 bis 1964 im Bremer Überseehafen abgefertigt wurden32. Der Asbest wurde in Jutesäcken geliefert. Die Säcke waren oftmals beschädigt. ›Die Stauer standen dann im dicksten Nebel und wateten tief im Asbeststaub‹, so ein ehemaliger Hafenarbeiter.33 Umgang mit Asbest hatten auch Beschäftigte in anderen Branchen, so im Handwerk: Fußbodenbeläge, Bremsund Kupplungsbeläge, Bauprodukte zur Abdichtung, zum Spachteln und als Feuerschutz, Textilien und Schutzkleidung sowie Pappen, Papiere, Straßenbeläge und Filter enthielten in vielen Fällen Asbest. Die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Asbest waren bereits in den 1920er und 1930er Jahren bekannt, aber erst seit 1942 wurde er als krebserzeugender Stoff in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen. Doch in den Wirtschaftswunderjahren interessierte das niemanden. Man arbeitete mit Asbest, als sei es das Harmloseste auf der Welt. abgebaut. Asbest ist, wie der Name sagt, höchst beständig, unbrennbar und kann auf verschiedenste Weise verarbeitet werden. Es gibt verschiedene Asbestarten; hauptsächlich wird Weißasbest (Chrysotil) verarbeitet. Seit den 1960er Jahren sind die zerstörerischen Folgen dieser unverantwortlichen massenhaften Anwendung einer industriellen Technik auch durch große wissenschaftliche Studien gesichert.34 Es wurde nachgewiesen, dass das Krankheitsrisiko bei Arbeiten mit Asbest deutlich, oftmals um ein Vielfaches höher liegt als das Krankheitsgeschehen in der Normalbevölkerung. Was schädigt, ist nicht der gebundene Asbest, sondern die Fasern bzw. die Faserstäube, die beim Verarbeiten frei werden. Die Asbestfasern setzen ihre Schädigung im Lungengewebe fort. Es können Jahre, oftmals Jahrzehnte vergehen, bis die Schäden sichtbar und als Krankheit wahrgenommen werden – deshalb haben es die Betroffenen meistens schwer, den Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu beweisen. Das Fatale: Der Krankheitsprozess ist nicht wirklich aufhaltbar, es gibt keine ursächlichen Therapien. Wird man der Asbestose gewahr, hat sich in der Lunge oder am Lungenfell schon sehr viel Negatives entwickelt. Erst kommt die Luftnot, dann zeigt sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nach vielen Jahren eine asbestbedingte Krebserkrankung. Nicht in jedem Fall aber geht einem AsbestLungenkrebs eine Asbestose voraus, dann kommt der Krebs ›wie aus heiterem Himmel‹. Derzeit sind es weltweit 40 41 BERUFSKR ANKHEITEN über 100.000 Tote jährlich, die aufgrund einer Asbestkrankheit sterben. Erst Anfang der 1990er Jahre kamen die längst überfälligen gesetzlichen Asbestverbote. Aufgrund der langen Latenzzeiten bis zum Ausbruch der Krankheiten sind die Zahlen jedoch immer noch steigend. Was besonders traurig ist: Kanada, Russland, China und einige weitere Länder stellen ihre ökonomischen Interessen – genauso wie es auch die hiesige Asbestindustrie jahrzehntelang getan hat – weiterhin über die der Gesundheit. Da mit Asbest in erster Linie in typischen ›Männerbranchen‹ umgegangen wurde, sind in der Mehrzahl Männer von den Erkrankungen betroffen. Aber auch Ehefrauen und Kinder konnten durch Asbest belastet sein, wenn beispielsweise die Arbeitskleidung – was noch in den sechziger Jahren üblich war – zu Hause gewaschen wurde. Betroffen können Frauen und Kinder aber auch als Angehörige oder Hinterbliebene sein. PR AXIS Es können außerdem Frauen, die im Zusammenhang mit dem Hafenumschlag mit Hilfs- oder Zulieferarbeiten beschäftigt waren, mit Asbest in Kontakt gekommen sein, beispielsweise bei der Weiterverarbeitung von Säcken, mit denen loses Asbest befördert worden war. Neue Erkenntnisse geben zudem Anlass zur Annahme, dass Asbest auch Ursache für eine Krebserkrankung der Eierstöcke sein kann. Bis zu 30 Jahre oder länger können zwischen Asbestkontakt und dem Ausbruch der Krankheit vergehen. Mehrere Berufskrankheiten (BK) werden durch Asbest verursacht: ❚ BK 4103 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura ❚ BK 4104 Lungen- oder Kehlkopfkrebs, in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose), in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ❚ BK 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Ein Blick auf die Statistik Asbest hat traurige Berühmtheit erlangt, denn die Asbest-Erkrankungen nehmen mit 3.638 anerkannten Fällen in der Rangfolge des aktuellen BK-Geschehens – nach den Lärmerkrankungen – den zweiten Platz ein. Bei etwa jeder fünften anerkannten Berufskrankheit handelt es sich um eine asbestbedingte Erkrankung. Bei etwa 40 Prozent der angezeigten Asbesterkrankungen wird die BK anerkannt. Dies hängt auch damit zusammen, dass Asbestschäden in der Regel sehr spezifisch sind: Durch eine gute Diagnostik sind sie mehr oder weniger gut von anderen Erkrankungen bzw. anderen Verursachungen zu unterscheiden. Dennoch ist für ein erfolgreiches BK-Verfahren die genaue Arbeitsgeschichte – die Arbeitsanamnese – unersetzlich. 42 43 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Mehr als jede dritte BerufskrankheitenAnzeige und gut zwei Drittel aller anerkannten Fälle im Land Bremen entfallen auf asbestbedingte Erkrankungen, wie Tabelle 1 zeigt. In Bremen liegen aufgrund der früheren hohen Zahl an Werften die Raten der Asbest-Neuerkrankungen bzw. -Todesfälle deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Die Asbest-Tragödie – Historisches 1968 warnte die bremische Gewerbeaufsicht in einem ausführlichen Schreiben die Betriebsleitungen der Werftindustrie vor den Asbestgefahren. Die Betriebsleitungen ignorierten dies und gingen gegen Verfügungen der Gewerbeaufsicht mit juristischen Mitteln vor. Auch in den Belegschaften war es nicht einfach, mit diesem Thema ›anzukommen‹. Erst als eine Gruppe mutiger Vulkan-Betriebsräte, die Gruppe ›Echolot‹, 1974 damit begann, systematisch und fortlaufend über die Gefahren des Asbests und anderer Gefahrstoffe aufzuklären, änderte sich etwas. In der europäischen Gesamtschau kann heute gesagt werden, dass ohne die Arbeit der Echolot-Gruppe das Asbestverbot wahrscheinlich noch länger hätte auf sich warten lassen. Daran, dass jetzt immer mehr Asbestkrankheiten auftraten, war jedoch nichts mehr zu ändern. Rolf Spalek, Mitglied der Echolot-Gruppe, hat seit 1974 Berufserkrankte beraten, die überwiegende Mehrheit davon ehemalige VulkanArbeiter, viele von ihnen inzwischen verstorben. Für die Betroffenen ist es in vielen Fällen schwer, den beruflichen Zusammenhang nachzuweisen, denn sie verfügen meist nicht selbst über die entsprechenden Belege. Als Beispiel: Arbeiter, die 1978 über mehrere Monate hinweg Reparaturarbeiten auf dem Schiff ›Kungsholm‹ ausführten, waren extrem asbestbelastet. Das damalige Staubforschungsinstitut der Berufsgenossenschaften versuchte, die Faserkonzentration in der Atemluft am Arbeitsplatz zu messen. Die Konzentration war so hoch, dass die Messköpfe verstopften, sie lagen aber sicher über 90 Fasern pro Kubikzentimeter. Am schlimmsten betroffen waren die sogenannten Bystander, d. h. Arbeiter, die in der Nähe eines Tischlers standen, der mit der Flex-Säge Asbestplatten bearbeitete. Viele Asbestose- und Krebs-Erkrankte bekamen jedoch die Auskunft, dass keine Messwerte vorlägen. Erst mittels Zeugenaussagen ehemaliger Kollegen oder durch den Vergleich mit bereits abgeschlossenen anerkannten Fällen konnte in diesen Fällen den Betroffenen geholfen werden. Noch schwieriger ist die Situation ehemaliger Hafenarbeiter, die in verschiedenen Betrieben und an wechselnden Stellen im Hafen tätig waren. Über die 1960er und 1970er Jahre, in denen sehr große Mengen an Rohasbest umgeschlagen wurden, gab es nach der Hafenschließung so gut wie keine Unterlagen mehr. Genauer: Über diejenigen Betriebe, die schon meist in den 1980ern ihre Existenz aufgaben, erloschen auch die Unterlagen bei der zuständigen Berufsgenossenschaft. Tab. 1: Asbestbedingte Berufskrankheiten 2012 Bund – Land Bremen zum Vergleich35 Bund Angezeigte BK Anerkannte BK Bremen Todesfälle Angezeigte BK Anerkannte BK Todesfälle BK 4103 3.470 1.846 113 217 152 8 BK 4104 3.996 810 585 82 52 36 BK 4105 1.362 982 832 63 52 46 BK 4103, 4104, 4105 gesamt 8.828 3.638 1.530 362 256 90 Alle BK-Ziffern 70.566 15.291 2.454 1118 373 99 Anteil BK 4103, 4104, 4105 an allen BKen 12,5 Prozent 23,8 Prozent 62,3 Prozent 32,4 Prozent 68,6 Prozent 90,9 Prozent Im Fall einer über 70-jährigen Bremerhavenerin ging es um eine Hinterbliebenenrente, wie der Projektmitarbeiter berichtet: ›Der im Jahr 2010 verstorbene Ehemann hatte bei seiner Tätigkeit im Hafen in Bremerhaven Asbestkontakt. Die Berufsgenossenschaft (BG) wollte einen Anspruch auf Witwenrente nicht anerkennen, weil das ärztliche Gutachten nicht vorlag. Die Betroffene war damit überfordert, nach den fehlenden Unterlagen zu forschen. Es war ein sehr langwieriger und arbeitsintensiver Vorgang, bis die Todesursache des Ehemannes als berufsbedingte Asbesterkrankung anerkannt wurde. Durch viele telefonische und schriftliche Kontakte mit der Hausärztin, die den Verstorbenen begleitet hatte, mit dem Bremerhavener Krankenhaus, in dem er verstorben war und mit der zuständigen BG wurde die Sachlage klarer. Zunächst habe ich im Namen der Witwe eine schriftliche Beschwerde an die BG geschickt. Die Hausärztin bestätigte, dass die Todesursache nach ihrer Erkenntnis eine Asbesterkrankung war. Nach längerer Zeit und häufigem Nachhaken teilte die BG schließlich mit, dass eine Anerkennung als Berufskrankheit (BK) nicht möglich sei, weil keine Lungenfunktionsprüfung von dem Verstorbenen durchgeführt worden wäre. Ohne diese würde der Vorgang nicht bearbeitet bzw. eine Anerkennung der Witwenrente abgelehnt. Doch ist es kaum vorstellbar, dass jemandem, der schwerstkrank ist und im Sterben liegt, eine so belastende Untersuchung wie eine Lungenfunktionsprüfung zugemutet werden soll. Mit dieser Argumentation habe ich wiederum bei der BG interveniert, denn die berufliche Belastung durch Asbest war ja dokumentiert. Die BG hat schließlich nochmals ihren beratenden Arzt konsultiert. Schließlich – zwei Jahre nach dem Tod des Ehemannes – wurde die BK Asbestose als Todesursache anerkannt und die Witwe erhielt einen Bescheid über eine Witwenrente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung von 300 Euro monatlich. Da ihre Altersrente lediglich 600 Euro beträgt, steht sie durch die Anerkennung der Berufskrankheit finanziell deutlich besser da.‹ Die AOK Bremen und Bremerhaven, bei der zahlreiche durch Asbesterkrankungen Betroffene krankenversichert sind, entwickelte in einem bundesweit einmaligen Verfahren eine Hafenkarte, in der Orte ausgewiesen sind, an denen mit Asbest gearbeitet wurde.36 Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass im Land Bremen ehemalige Hafenarbeiter und deren Witwen oder Kinder eine deutlich bessere Chance auf Anerkennung und Entschädigung einer berufsbedingten Asbesterkrankung haben. Die Asbest-Tragödie – Aktuelles Das Mesotheliom (BK 4105) ist eine hochspezifische Erkrankung – als Ursache kommt nur Asbest in Frage. Anders liegt der Fall bei Lungenkrebs. Diese Erkrankung ist sehr unspezifisch, d. h. sie kann sowohl durch Tabakrauch, durch verschiedene Umwelteinflüsse und schließlich durch verschiedene Einflüsse am Arbeitsplatz verursacht werden. Auch gibt es hier hochkomplexe Kombinationswirkungen, die zum Teil noch nicht oder nicht gut erforscht sind. Deshalb ist beim Lungenkrebs, wenn er als asbestbedingt anerkannt werden soll (BK 4104), die Arbeitsanamnese entscheidend für die Anerkennung des Zusammenhangs zwischen beruflicher Tätigkeit und Asbestbelastung. Zur Beurteilung dieses als ›Kausalität‹ bezeichneten Zusammenhangs wurde die Hilfsgröße der ›Faserjahre‹ entwickelt37. Betroffene können häufig nur unter erschwerten Bedingungen nachweisen, dass ihre Lungenkrebserkrankung beruflich bedingt ist. Die Erkenntnisse aus der amtlichen Ermittlung durch die zuständige Berufsgenossenschaft sind nicht immer zufriedenstellend, sodass das für die Anerkennung einer BK vorausgesetzte Ausmaß der stattgehabten Exposition nicht belegt wird. 44 45 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Das Faserjahre-Konzept Wenn jemand am Arbeitsplatz ein Jahr lang eine Konzentration von einer Faser pro Kubikzentimeter eingeatmet hat, bemisst sich seine über die Zeit angehäufte Exposition auf ›1 Faserjahr‹. Hat er die gleiche Konzentration 10 Jahre lang eingeatmet, so hat er 10 Faserjahre erreicht. Hat er bei einer Atemluftkonzentration von 10 Fasern pro Kubikzentimeter 10 Jahre lang gearbeitet, so hat er die enorme Menge von 100 Faserjahren erreicht. An einem Fall aus der Beratung im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ lässt sich zeigen, welche Schwierigkeiten sich die Betroffenen auf dem Weg zur Anerkennung ausgesetzt sehen: Ein Arbeiter war bei einer Firma beschäftigt, die Sanierungs- und Entsorgungsarbeiten vorwiegend im Bereich Schiffsreparaturen mit hohen Asbestbelastungen durchführte, d.h. im sogenannten Schwarzbereich. Gearbeitet wurde unter Atemschutz mit Vollmaske der Partikelstufe 3. Der betreffende Arbeiter, aktuell an Lungenkrebs erkrankt, war insgesamt 4,4 Jahre an den hochbelasteten Arbeitsplätzen beschäftigt. Er wurde nicht oder nur ungenügend eingewiesen, wie der Atemschutz korrekt zu tragen war. Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte das Vorliegen einer BK ab mit dem Argument, der Versicherte habe mit Vollschutz gearbeitet und könne allenfalls gegenüber einer Faser pro Kubikzentimeter exponiert gewesen sein. Es ergäben sich demnach lediglich 4,4 Faserjahre – also weit unterhalb der Anerkennungsschwelle. Die Größe der Faserjahre wird also im Prinzip durch die Multiplikation der Konzentration mit den Arbeitsjahren ermittelt. Der toxikologische und epidemiologische Erkenntnisstand führte zu einer Abschätzung der für die Anerkennung notwendigen Exposition. Diese Schwelle beträgt 25 Faserjahre. Nur wer die 25 Faserjahre erreicht oder übersteigt, hat eine Chance auf Anerkennung. Dabei wurde Bezug genommen auf den Report ›Faserjahre‹, der beim trockenen Entfernen von Spritzasbest eine Konzentration von 300 Fasern pro Kubikzentimeter annimmt.38 Zugleich wurde unterstellt, dass der Atemschutz zu beinahe einhundert Prozent funktioniert habe, sodass die Konzentration – einer entsprechenden BG-Regel39 zufolge – mit einem Faktor von bis zu 400 rechnerisch abgesenkt wurde. Interessant ist nun aber, dass der Faserjahre-Report von einer wesentlich ungünstigeren Annahme ausgeht: Demzufolge beträgt bei geeignetem Atemschutz die Konzentration hinter dem Atemschutz immer noch zehn Prozent. Dann betrüge im dargestellten Fall die kumulative Exposition immer noch mehr als 120 Faserjahre. Nehmen wir an, dass teilweise feucht gearbeitet wurde, würde sich die Expositionsgröße vermindern, jedoch nicht so stark, dass sie unter die Schwelle von 25 fiele. Die Ermittlung durch den technischen Aufsichtsbeamten belegt in diesem Fall durchaus nicht, dass durchgängig Atemschutz getragen und auch nicht, dass fachgerecht geschult und gewartet wurde. Im Bericht heißt es lediglich, dass der Versicherte bei einem ›renommierten Entsorgungsunternehmen‹ angestellt gewesen und daher von korrekten Arbeitsverhältnissen auszugehen sei. Wenn die berufliche Verursachung von Erkrankungen nicht belegt wird, steigt die Dunkelziffer und es schwinden auch die Chancen für eine wirksame Prävention, wie im Beitrag von Henning Wriedt in diesem Buch dargestellt. Auch konträre wissenschaftliche Positionen können dazu führen, dass nicht anerkannt oder der Nachweis erschwert wird, dass eine konkrete Asbesterkrankung durch eine konkrete berufliche Belastung verursacht wurde: Weißasbest (Chrysotil) – hat eine geringere Biobeständigkeit als Braun- und Blauasbest (Amphibol). Es löst sich im Verlauf der Jahre im Lungengewebe langsam auf, sodass nach Jahrzehnten Asbestfasern oder Asbestkörperchen im Lungengewebe oftmals nicht mehr nachweisbar sind. Daraus ziehen einige Wissenschaftler den Schluss, dass chronische Schäden – somit auch Krebs – von Weißasbest nicht zu erwarten sind, sondern lediglich von Beimengungen anderer Asbestarten.40 So auch die Auffassung, die vom Deutschen Mesotheliomregister der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung am Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum vertreten wird, die sich auf Daten aus Tierversuchen stützen.41 Das hat fatale Folgen für die Betroffenen, denn nach dieser Logik ist ein BK-Antrag abzulehnen. Und in der Tat zeigt sich seit einigen Jahren ein Trend erhöhter Ablehnungsquoten beim Lungenkrebs, der mit Gutachten des Mesotheliomregisters begründet wird. So wurde der BK-Antrag eines an Lungenkrebs erkrankten Isolierers trotz gesicherter Exposition von über 25 Faserjahren von der BG abgelehnt mit dem Argument, in seiner Lunge seien nicht genügend Asbestkörperchen vorhanden.42 Eine sorgfältige Auswertung aller verfügbaren epidemiologischen Studien zu Asbest, die am Zentralinstitut für Arbeitsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt wurde, zeigt jedoch, dass ›Unterschiede bei Chrysotil- im Vergleich zu AmphibolAsbest kaum feststellbar sind‹ und daher dem Chrysotil ein ebenso hohes Krebspotential zugesprochen werden müsse wie anderen Asbestarten.43 46 47 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS JOACHIM HEILMANN Die Notwendigkeit von Beweiserleichterungen im Recht der Berufskrankheiten Ausgangslage Die Last mit den Beweisen 2 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Das mehrfache Elend der versicherten Erkrankten ist in der Literatur und in den Begründungen für Gesetzesinitiativen mehrfach eingehend beschrieben worden: Von der Exposition über die Krankheit bis zur Nichtanerkennung und damit zur Nichtleistung des Unfallversicherungsträgers (UVT). Am Ende von Reformvorschlägen kommen regelmäßig Forderungen nach Hilfen für den Versicherten in seiner Beweisnot, aus Sicht des Verfassers völlig zu Recht, werden doch (gerichtliche) Verfahren sehr oft über die Hilfskonstruktion der Beweislasttragung entschieden. Natürlich müssen Gerichte eine Entscheidung fällen, doch ist dies bei nichterweislichen erheblichen Tatsachen unbefriedigend und führt in aller Regel nicht zum Rechtsfrieden. Zu den Voraussetzungen einer sachlichen Diskussion dieses rechtspolitisch brisanten Themas gehören folgende Tatsachen: Die Expositionen bei der beruflichen Tätigkeit liegen zumeist Jahre, oft sogar Jahrzehnte zurück. Erinnerungen und private Aufzeichnungen des Versicherten gehören zu den Ausnahmen. Sie hätten als Parteiaussagen ohnehin kein großes Gewicht. Betriebliche Dokumentationen sind zwar hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilungen seit 1996 Rechtspflicht, sind indessen noch immer nicht in gehöriger Art und Weise und flächendeckend vorhanden. Für länger zurückliegende Zeiten gilt dies erst recht. Gutachterliche Bemühungen bewegen sich notgedrungen in abstrakten Ursache-Wirkungsbeziehungen, weil die historisch-konkreten Umstände nicht bekannt sind. Die Interessenlage wird im Kausalitätsgeschehen vom Gegensatz Versicherter – Unternehmer gekennzeichnet, im Anerkennungsverfahren wird dieser vom Streit zwischen Versichertem und UVT abgelöst. Dabei ist eine objektive Interessenallianz zwischen Unternehmer und UVT nicht von der Hand zu weisen. Schließlich liegt die endgültige Sachentscheidung bei Gutachtern, über deren verlässliche Gründlichkeit, Objektivität und Neutralität immer wieder Zweifel auftauchen. Rechtliche Basis Gerichte entscheiden auf der Grundlage festgestellter Sachverhalte, die aus gerichtsbekannten, unstreitigen und bewiesenen Tatsachen bestehen. Sind entscheidungserhebliche streitige Tatsachen nicht bewiesen, geht deren Unerweislichkeit zu Lasten der Partei, die aus deren Vorliegen eine ihr günstige Rechtsfolge herleitet (z. B. BVerwGE 61,176). Kurz gesagt trägt der Beweispflichtige das Risiko der Nichterweislichkeit. In dieser grundsätzlich klaren und zutreffenden Risikozuweisung wird noch nicht berücksichtigt, dass Parteien in unterschiedlicher Weise auf die streitige Tatsache und deren Beweisbarkeit zugreifen können. Daher gilt auch folgende Modifizierung: An der Aufklärung erheblicher Tatsachen müssen diejenigen mitwirken, die es rein faktisch auch können. Dies führt zu entsprechenden Mitwirkungs- und Darlegungslasten als Vorstufen zur Beweislasttragung. Ferner greift die gerichtliche Praxis zu Beweiserleichterungen wie etwa zum Anscheinsbeweis, bei dem das Vorliegen hinreichender Indiztatsachen auf das Vorliegen der zu beweisenden Tatsache schließen lässt. Der anderen Seite verbleibt das Recht, diese Schlussfolgerung substantiell zu entkräften, indem sie das Gegenteil beweist. Die sog. Vermutungswirkung knüpft an das Vorliegen festgelegter Verhaltensweisen oder tatsächlicher Voraussetzungen die Annahme zugunsten eines Normadressaten, bestimmte Pflichten erfüllt zu haben. Beispiele hierfür bieten aus dem Arbeitsschutzrecht die §§ 3a Abs. 1 Satz 3 ArbStättV, 7 Abs. 2 Satz 3 GefStoffV und 3 Abs. 1 Satz 3 ArbMedVV. 48 49 BERUFSKR ANKHEITEN Ähnliche Fallgestaltungen Im Arbeitsvertragsrecht bestimmt § 619a BGB, dass der Arbeitgeber, der von seinem Arbeitnehmer Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung begehrt, auch zu beweisen hat, dass dies schuldhaft geschehen ist. Im übrigen Schuldrecht gilt nach § 280 Abs. 1 BGB, dass der Schuldner ( = Pflichtverletzer) nur dann nicht für den Schaden haftet, wenn er selbst beweisen kann, dass er nicht schuldhaft gehandelt hat. Damit trifft das Risiko der Nichterweislichkeit der ein Verschulden begründenden Tatsachen im Arbeitsvertrag den Arbeitgeber. Beim Kündigungsschutz wird einer betriebsbedingten Kündigung trotz eines betrieblichen Kündigungsgrundes die Wirkung versagt, wenn der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl Fehler gemacht hat. § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG besagt, dass der Arbeitnehmer die aus seiner Sphäre stammenden persönlichen und sozialen Umstände darzulegen und zu beweisen hat. § 22 des AGG wählt zur Beweislasttragung folgenden Weg: Sind Indizien vorgetragen und belegt, also bewiesen, die eine Vermutung begründen, es liege eine Benachteiligung im Sinne von § 1 AGG vor (wegen Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion etc.), trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorgelegen hat. Die Regeln über den Verbrauchsgüterkauf entlasten den Konsumenten, indem gem. § 476 BGB beim Auftreten eines Sachmangels innerhalb von 6 Monaten nach dem Gefahrübergang (praktisch dem Erhalt der Sache) die Vermutung aufstellt, dieser Mangel habe bereits beim Erhalt der Sache vorgelegen. Dagegen kann sich der Verkäufer nur wehren, wenn er beweist, dass aus ›der Art der Sache oder des Mangels‹ die Vermutung falsch ist. Ist zwischen Mieter und Vermieter streitig, ob die Mietsache rechtzeitig überlassen wurde, so trifft die Beweislast dafür den Vermieter, § 543 Abs. 4 Satz 2 BGB. Das Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen ist zeitlich befristet. Ist der Fristbeginn streitig, so trifft die Beweislast den Unternehmer, § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB. Auch im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird die PR AXIS Bedeutung der Beweislast deutlich, wenn § 309 Ziff. 12 BGB eine Klausel für unwirksam erklärt, durch die der Verwender ( = der Unternehmer) die Beweislast zum Nachteil des anderen Teils ändert. Nach dem Produkthaftungsgesetz trägt der Geschädigte die Beweislast für den Fehler, den Schaden und die Kausalität zwischen beiden, der Produzent hingegen für die Ausnahmetatbestände von der Haftpflicht, § 1 Abs. 4 ProdHaftG. Das Arzt- und Krankenhaushaftungsrecht kennt eine Vielzahl von Beweiserleichterungen44 und Umkehrungen der Beweislast45 zugunsten des Patienten. Das Patientenrechtegesetz reiht in § 630h BGB Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten bei Behandlungsund Aufklärungsfehlern auf. Gesetzliche Vermutungsregeln betreffen den Fehler selbst, die Kausalität und auch das Verschulden. Den hier aufgeführten Vorschriften und gerichtlichen Erkenntnissen liegt die Idee zugrunde, dass es dem ›eigentlich‹ Beweispflichtigen aus tatsächlichen Gründen oder infolge des Machtunterschieds nicht oder wesentlich schlechter als dem anderen Teil gelingt, entsprechende Tatsachen oder Indizien zu erkennen, vorzutragen und notfalls zu beweisen. Berufskrankheiten Der Reformgesetzgeber hatte in § 9 Abs. 3 SGB VII bereits eine gewisse, aber nicht ausreichende Beweiserleichterung zugunsten des Versicherten geschaffen. Vom Wortlaut dieser Vorschrift aus sollte ein weiterer Reformschritt erfolgen: ›Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer Berufskrankheit i. S. der Berufskrankheiten-Verordnung (BK-VO) ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.‹ Der Denkansatz, die Ursächlichkeit in der versicherten Tätigkeit zu vermuten, ist dem Grunde nach zutreffend. Nur sorgen die Voraussetzungen, unter denen diese Vermutung greift, für allzu starke Restriktionen, die am Ende das zu beseitigende Regel-Ausnahme-Verhältnis wieder herstellen. Vielmehr ist dem Regelfall, also der betrieblichen Verursachung, auch zum forensischen Durchbruch zu verhelfen, ohne die denkbare Ausnahme in Gestalt anderweitiger Ursachenverläufe zu vernachlässigen. Zunächst ist nicht einzusehen, warum es sich um besondere Bedingungen der versicherten Tätigkeit als kausale Faktoren handeln muss, reichen doch gerade die konkreten und alltäglichen Tätigkeitsbedingungen allemal aus. Außerdem ist eine Abgrenzung von Tätigkeitsbedingungen und besonderen Tätigkeitsbedingungen nicht nur schwierig, sondern eröffnet ein Feld für Auseinandersetzungen, die nur das Ziel verfolgen, einen Versicherungsfall zu verneinen. Schließlich zwingt die Logik einer Berufskrankheit keineswegs dazu, nur ›besondere‹ Tätigkeitsumstände als Ursachen zuzulassen. Ebenso verhält es sich mit der Formel, dass Erkrankte in erhöhtem Maße der Erkrankungsgefahr an einer BK ausgesetzt (gewesen) sein müssen, um die Vermutung auszulösen. Auch hier gelten die im vorigen Absatz formulierten Argumente. Eine Erkrankungsgefahr ist als Anknüpfungspunkt für die Ursachenvermutung notwendig, aber auch ausreichend. Verbinden sich nun noch die besonderen Bedingungen mit der erhöhten Gefahr, verdoppelt sich gleichsam die Hürde zur Anerkennung. Auf der anderen Seite dürfen keine Anhaltspunkte für eine andere Ursachenreihe festgestellt worden sein.46 Spätestens resultiert aus dem erfolgreichen Auffinden solcher Anhaltspunkte durch Gutachter die Forderung, die möglichen Alternativverläufe außerhalb der versicherten Tätigkeit mit größerer Sicherheit dingfest zu machen als nur mithilfe von ›Anhaltspunkten‹. Deren Vielfalt reicht bekanntlich von individuellem Fehlverhalten über unspezifische Umwelteinflüsse bis zur genetischen (Prä-) Disposition. Wenn auch viele dieser Mutmaßungen ganz oder teilweise zutreffen mögen, so lassen sie doch letztlich offen, ob die gesundheitsgefährdenden Umstände bei der versicherten Tätigkeit nicht wenigstens mitursächlich gewesen sind und somit die BK ausgelöst haben. Es erscheint zumindest ungereimt, das Risiko der Nichterweislichkeit einer betrieblichen Mitverursachung allein dem Versicherten aufzubürden. Denn im Ergebnis führt die Praxis genau zu diesem Zustand, wenn nur ›Anhaltspunkte‹ auftauchen. An deren Stelle müsste streng genommen die Feststellung einer anderweitigen Alleinursächlichkeit treten, um die versicherte Tätigkeit als Ursache auszuschließen. Da für diese Feststellung allein ärztlicher Sachverstand in Betracht kommt, ist es denknotwendiger Weise auch erforderlich, derartige Kausalketten mit Ausschließlichkeitscharakter zu erkennen und zu benennen. Dies erscheint aus ärztlicher Perspektive (noch lange) nicht möglich, so dass es im Ergebnis sinnlos wäre, diese Rechnung ohne den Wirt zu machen. Alternativ könnten die Anforderungen an die Arbeitgeberseite zum Nachweis all dessen gesteigert werden, was eine berufsbedingte Erkrankung zu verhüten bestimmt und geeignet ist. Hierzu zählt die Einhaltung aller nationalen und supranationalen Schutz- und Präventionsvorschriften, aller technischen und vergleichbaren Regeln von Ministerien auf gesetzlicher Basis, die eine Vermutungswirkung47 erzeugen, sowie weiterer untergesetzlicher Normen und Standards, die von zuständigen, anerkannten Stellen erlassen und veröffentlicht worden sind. Obergrenze derartiger Aufwendungen wären technische Machbarkeit und wirtschaftliche Leistbarkeit. Bei diesen Schranken ist indessen zu berücksichtigen, dass bei präventiven Maßnahmen nicht nur deren Kosten zu berücksichtigen sind, sondern auch die Tatsache, dass diese sich mit einem so genannten ›Return on Prevention‹ (RoP) von über 1,0, nach neueren Berechnungen von 2,7 für das Unternehmen lohnen. Mit diesen drei Änderungen im Wortlaut würde sich § 9 Abs. 3 SGB VII einer Beweislastumkehr annähern, weil die zentralen Ablenkungswege von der betrieblichen, tätigkeitsbezogenen Ursachenreihe verstellt wären. In der Sache wäre damit den Versicherten wesentlich geholfen, würde doch die gesetzliche 50 51 BERUFSKR ANKHEITEN Vermutung eher greifen und schwerer zu widerlegen sein. Die Vorschrift könnte folgendermaßen lauten: ›Erkranken Versicherte, die infolge der Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Abs. 1 genannten Krankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und kann nicht bewiesen werden, dass der Arbeitgeber alles Zumutbare zur Schadensverhütung unternommen hat, wird vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.‹ Argumente für den neuen Wortlaut In den hier betrachteten Fällen geht es um eine Berufskrankheit, die es immerhin geschafft hat, in die Liste der Berufskrankheitenverordnung aufgenommen zu werden. Das ist schon eine starke Leistung, wie man kritisch anmerken kann. Der Wortbestandteil ›Beruf‹ stellt klar, dass es sich um das Ergebnis einer versicherten Tätigkeit in einem bestimmten beruflichen Umfeld handeln muss. Die Verbindung zwischen dem Menschen in betrieblicher Arbeit und dem Gesundheitsschaden ist damit hergestellt. Erkrankt ein Berufstätiger an einer Berufskrankheit, stammt diese aus der beruflichen Arbeit. Die in der Begrifflichkeit abgebildete Logik macht deutlich: Beruf führt zur Berufskrankheit, oder umgekehrt: eine Berufskrankheit kommt von der Berufsarbeit. Daraus folgt für diejenigen Fälle einer Berufskrankheit, in denen diese begrifflich zwingende Verknüpfung zu verneinen ist, dass dies von demjenigen darzulegen und zu beweisen ist, der von der Ausgangslogik: Berufskrankheit abweicht. Alles andere würde nicht erklären können, warum überhaupt von Berufskrankheiten gehandelt wird, weil wie in allen Fällen offener Beweislage die Beweislast von demjenigen zu tragen ist, der sich von der streitigen Tatsache einen Vorteil verspricht. In dieser Situation befinden sich Versicherte, die an einer Krankheit leiden, die nicht in der BK-VO steht. Dann ist unabweisbar, alle Anspruchsvoraussetzungen einschließlich der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung darzulegen und nötigenfalls zu beweisen. PR AXIS Eine Parallele bildet der Arbeitsunfall. Zunächst erscheint der Zusammenhang zwischen der beruflichen Arbeit und dem plötzlichen Ereignis mit Schadensfolge für den Versicherten offensichtlich und kann nicht standardisiert verneint oder verleugnet werden. Etwas weniger deutlich stellt sich die Kausalität beim Wegeunfall dar; dazu existiert eine hoch differenzierte Rechtsprechung. In beiden Fallgestaltungen bleibt es dem UVT und dem Arbeitgeber selbstverständlich unbenommen, einen abweichenden Kausalverlauf darzutun und zu beweisen. Auch diese ›Ausnahme‹ vom Normalverlauf deckt sich mit der richtig verstandenen Situation nach Auftreten einer Berufskrankheit. Für die vorgeschlagene Änderung des § 9 Abs. 3 SGB VII sprechen ferner folgende Argumente: Das gesamte vor allem europäisch geschaffene Rechtsarsenal zugunsten eines umfassenden präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes spricht dafür und erfordert, betriebliche Ursachen für Schäden und Beschwerden ernst zu nehmen, sie vorbeugend zu ermitteln und rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dieses Paket enthält bislang eine Reihe wichtiger Werkzeuge: Die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und einigen Arbeitsschutzverordnungen ist die Basis für jedwede verpflichtende Präventivmaßnahme. Ohne (eventuelle) festgestellte Gefährdungsmerkmale bleiben gesetzlich vorgesehene oder empfohlene Maßnahmen beliebig, theoretisch und allenfalls zufällig wirksam. Fachkräfte nach dem Arbeitssicherheitsgesetz, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (FaSi) wie auch die Sicherheitsbeauftragten nach dem SGB VII haben Aufgaben zu erfüllen, die sich in erster Linie gesunden, nicht gefährdenden Arbeitsbedingungen widmen. Verstärkt wird die Effektivität des Einsatzes der Betriebsärzte und FaSi durch die Vorschrift 2 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), welche eine flexiblere, konkretere und schwerpunktorientierte Tätigkeit dieser Fachkräfte ermöglicht. Ebenfalls mit präventivem Auftrag tritt das System arbeitsmedizinischer Vorsorge an. Die Wunsch-, Angebots- und Pflichtvorsorge bezieht sich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne sowie bei unvermeidbaren Restgefährdungen auf ausreichenden Schutz der Beschäftigten. Wenn auch die (interessierten?) Missverständnisse unter Arbeitgebern noch immer verbreitet sind, gilt auch das verpflichtend vom Arbeitgeber anzubietende Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gem. § 84 Abs. 2 SGB IX der Zielerreichung verringerter Gefährdungspotentiale an den Arbeitsplätzen. Ausgehend von einer über sechswöchigen Erkrankung eines Beschäftigten muss der Arbeitgeber im Rahmen des BEM auf der Grundlage einer aktuellen und vollständigen Gefährdungsbeurteilung des betreffenden Arbeitsplatzes und der dort ausgeführten Tätigkeit(en) prüfen, ob Faktoren zu ermitteln sind, welche die Erkrankung verursacht oder mitverursacht haben könnten. Es handelt sich damit um verhältnisbezogene Analysen und nicht, wie von Arbeitgeberseite oft fehlverstanden, verhaltensbezogene Untersuchungen und Maßnahmen. Im Vollzug eines BEM können letztere freilich einbezogen werden, wenn und soweit die Verhältnisse am Arbeitsplatz erschöpfend untersucht und möglicher Weise erforderliche Maßnahmen getroffen worden sind und es darüber hinaus Anlass und Raum für personenbezogene Hilfen und Empfehlungen gibt. Schließlich tritt auch die Betriebliche Gesundheitsförderung der gesetzlichen Krankenkassen i. S. des § 20a SGB V an, die gesundheitliche Situation im Betrieb zu verbessern. Hierbei und bei der Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen haben die Krankenkassen mit den Unfallversicherungsträgern zusammenzuarbeiten (§§ 20a, Abs. 2 und 20b SGB V). In allen Fällen steht der Präventionsgedanke im Vordergrund. Erst in dem Maße, wie alle präventiv eingesetzten Maßnahmen ganz oder teilweise versagen, kann es zu arbeitsbedingten Erkrankungen kommen. Erkrankt ein Versicherter im Rahmen der versicherten Tätigkeit an einer Krankheit i. S. der BK-VO, ist die betriebliche/berufliche Verursachung bis zum Beweis des Gegenteils gegeben. Und dieses Gegenteil, dass nämlich der Arbeitgeber alle Präventivmaßnahmen wirksam ergriffen und kontrolliert hat, substantiiert zu behaupten und zu beweisen, muss dem UVT selbstverständlich möglich sein und bleiben.Sollte sich indessen nichts an der bestehenden Rechtslage und deren gerichtlicher Umsetzung ändern, ist zumindest eine Umbenennung des SGB VII in Bezug auf Berufskrankheiten zu fordern, handelt es sich doch in Wirklichkeit um ein ›Gesetz zur Versicherung von Berufskrankheiten, deren Voraussetzungen vom Versicherten beweisbar sind‹. Weiterer Reformbedarf In der BK-VO werden bei manchen Krankheiten Mindestexpositionsjahre vorausgesetzt: 25 Faserjahre bei der BK 4104, 3. Unterfall, (nach Formeln berechneter) 100 Feinstaubjahre bei der BK 4111 und 100 Benzo[a]pyren-Jahre bei der BK 4113. In zahlreichen Fällen sind diese Nachweise von den Versicherten nicht zu erbringen. Aufzeichnungen oder Dokumentationen existieren nicht oder nur lückenhaft, der Versicherte selbst ist weder zu eigenen Aufzeichnungen verpflichtet noch für ihr Fehlen verantwortlich. Vielmehr gehört die Dokumentation zu den Arbeitgeberpflichten; vgl. nur § 6 ArbSchG. Diese Mindesteinwirkzeiten sind daher zu streichen und könnten ersetzt werden durch das Wort ›langjährig‹. Besser wären allerdings fest umrissene Einwirkmaße, seien sie zeitlich oder quantitativ beschrieben, um die Verlagerung der Diskussion um die Bedeutung von ›langjährig‹ zum Nachteil der Versicherten auf unbegrenzte Gutachterfehden zu vermeiden. Hierzu wären fachliche, etwa medizinische und toxikologische Hinweise und Ideen erforderlich. 52 53 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS WOLFGANG HIEN Entwicklung einer BerufskrankheitenDatenbank zur Beweissicherung und als Grundlage für Epidemiologie und Prävention: Überlegungen zur Konzeption Die hier dargestellten Überlegungen haben eine lange Vorgeschichte. Sie hängen mit einer Reihe von Aspekten zusammen, die im Folgenden stichwortartig genannt werden sollen. Warum sollte in Bremen eine wissensbasierte BerufskrankheitenDatenbank aufgebaut werden? Die Großregion Bremen ist von Berufskrankheiten (BK) deutlich stärker betroffen als andere Bundesländer. Bis Anfang 1990 war Bremen der Hauptumschlagsplatz für Rohasbest in Deutschland. Im damaligen Bremer Überseehafen wurde Asbest angeliefert, zumeist in Jutesäcken, in verschiedenen Schuppen und Speichern gelagert und schließlich per Kahn und hauptsächlich per Güterzug in die anderen Regionen der Bundesrepublik Deutschland transportiert. Zugleich gab es zwei Großwerften in Bremen, die in großem Umfang Asbest, Asbestplatten, Asbestzement und Asbestisolierungen verwendeten. Noch bis in die 1990er Jahre wurde auf der Bremer Vulkan-Werft Asbest vielfältig und massenhaft verwendet. Viele Beschäftige wussten jedoch nicht, dass sie mit asbesthaltigem Material arbeiteten. Die Erfahrungen aus langjähriger Beratung zu Berufskrankheiten und vielfältige ArbeitsplatzBeschreibungen ehemaliger Hafen- und Werftarbeiter sind wertvolle Hilfen für neu hinzukommende Betroffene. Ein weiterer Aspekt, der in den Überlegungen zu einer BerufskrankheitenDatenbank eine wichtige Rolle spielt, ist der Umstieg auf neue Werkstoffe, der seit den 1990er Jahren in vielen Betrieben Bremens erfolgte. Jachtenbau, Bootsbau, die Herstellung von Rotorblättern für Windkraftanlagen, Flugzeugbau, Automobilbau, Karosseriebau und viele weitere Arbeitsbereiche arbeiten mit neuen Werkstoffen, z. B. mit Polyesterharzen, Expoxidharzen und Isocyanaten. Hinzu kommen vielfältige Zusatzstoffe, die alle einen mehr oder weniger komplexen Chemismus aufweisen. Die Kenntnisse darüber sind bei allen Beteiligten mangelhaft – bei Arbeitgebern, Beschäftigten, Fachkräften, Betriebsärzten/ Betriebsärztinnen, Allgemein- und Fachärzten/Allgemein- und Fachärztinnen und anderen. Ein dritter Aspekt betrifft die mechanischen Belastungen. Viele Beschäftigte in der bremischen Industrie und im bremischen Handwerk leisten nach wie vor körperliche Arbeit. Die daraus entstehenden Dauerbelastungen für Rücken und Gelenke sind teilweise erheblich. Verschleißerkrankungen werden bislang nur zu einem kleinen Teil auf berufliche Verursachungen untersucht. Umgekehrt heißt dies: Die Dunkelziffer bei den sogenannten mechanischen Berufserkrankungen ist enorm. Hier gibt es massive Informationsdefizite. Wie bei anderen Expositionsfaktoren auch, besteht auch hier bei allen Beteiligten ein nur sehr lückenhaftes Wissen. Es gibt massive Mängel bei Arbeitsanamnese, Belastungsund Expositionsabschätzungen. Es fehlen gezielte fachliche Hinweise, beispielsweise eine über ein Erwerbsleben gesammelte Gesamtexposition zu ermitteln. Das Thema ›Berufskrankheit‹ ist sowohl in den technischen wie den medizinischen und rechtlichen Fächern leider immer noch ein Randthema. Informationen zu den BKen (Amtliche Merkblätter, Informationen aus Arbeitswissenschaft, Arbeitsmedizin, Sozialrecht usw.) sind weit verstreut und nirgendwo zentral gesammelt und entsprechend verfügbar. Wer zu Berufskrankheiten berät, braucht deshalb eine EDV-gestützte Hilfe im Beratungsprozess. In der BK-Beratung bestehen prinzipiell zwei Problem- oder Fragerichtungen: Zum einen handelt es sich um kompensative Fragestellungen (d.h. Fragestellungen, die sich nach Auftreten einer BK stellen), zum anderen geht es um präventive Fragestellungen (d.h. Fragestellungen zur gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung). Kompensative Problemstellungen: Themen und Beispiele Stets geht es hierbei um die Frage, ob spezifische Bedingungen der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität erfüllt sind, d. h. ob die spezifischen Expositionsbedingungen und die spezifische Erkrankung gegeben sind. Dies bedeutet für die Beratungsarbeit im Einzelnen (vgl. Abb. 2): ❚ Hilfestellung bei BK-Anzeigen (Betroffene, Ärzte, Sachbearbeitung in Krankenkassen u. a.) ❚ Hilfestellung bei Arbeitsanamnesen (für Betroffene, auch in Kooperation mit den BGen) ❚ Hilfestellung beim BG-lichen Verwaltungsverfahren und beim Widerspruch gegenüber der BG ❚ Hilfestellung bei Entscheidungsfindung vor einem eventuellen Gerichtsverfahren. Beispiel 1 Häufig auftretende Folgen einer unergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen: ❚ Liegen Bandscheibenschäden (ICD-Klassifizierung M40-M54) vor, so ist, wenn wir berufliche Einflüsse in Betracht ziehen, an BK Nr. 2108 zu denken. Anhand des BK-Merkblattes können dann Fragen an den oder die Betroffene formuliert werden. ❚ Wenn eine Gonarthrose (M17) besteht, so ist, wenn berufliche Einflüsse erwogen werden, an die BK Nr. 2112 zu denken, d.h. es sollten anhand des BKMerkblattes entsprechende Fragen an den oder die Betroffene gestellt werden. ❚ Bei einer Hüftgelenksarthrose (ICD-Diagnosen M16, M16.1, M16.2) ist bei bestimmten Berufen, in denen Schwerstarbeit üblich ist, unter Umständen eine BK-Anzeige gemäß SGB VII, § 9, Abs. 2 (Öffnungsklausel) zu empfehlen. ❚ Das Karpaltunnelsyndrom (ICD-Diagnose G56.0) tritt in bestimmten Arbeitsbereichen gehäuft auf und sollte bei entsprechender Datenlage als BK angezeigt (SGB VII, § 9, Abs. 2), werden. Beispiel 2 Chronisch Obstruktive Atemwegserkrankungen durch Einwirkung von Inhalationsnoxen (ICD-Klassifikation J41–J44 sowie J68) Dazu ein Auszug aus dem Merkblatt zur BK Nummer 4302: ›Die Noxen können in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen vorkommen und lassen sich folgendermaßen gruppieren: ❚ leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe: z. B. Acrolein, Athylenimin, Chlorameisensäureäthylester, Formaldehyd, Phosgen ❚ schwer flüchtige organische Arbeitsstoffe: z. B. einige Härter für Epoxidharze, bestimmte Isocyanate (BK Nr. 1315), Maleinsäureanhydrid, Naphthochinon, Phthalsäureanhydrid, p-Phenylendiamin ❚ leicht flüchtige anorganische Arbeitsstoffe: z. B. Nitrose Gase, einige Phosphorchloride, Schwefeldioxid ❚ schwer flüchtige anorganische Arbeitsstoffe: z. B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen (BK Nr. 1110), Cadmiumoxid (BK Nr. 1104), Vanadiumpentoxid (BK Nr. 1107)‹ Auf zahlreiche weitere in der Literatur genannte Stoffe wird hingewiesen. Hier zeigt sich beispielhaft die ganze Komplexität des BK-Problems: In einer detektivischen Arbeit muss der/die Betroffene nachweisen, dass die Arbeitsstoffe, mit denen sie oder er zu tun hatte, chemische Inhaltstoffe enthielten, die im Merkblatt bzw. in der seither erschienenen wissenschaftlichen Literatur aufgeführt werden. 54 55 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Präventive Problemstellungen: Themen und Hinweise e e e e e e e e auswählen Liste der möglichen Berufe /Tätigkeiten öffnen; parallel: Listen der passenden Arbeitsstoffe/Einwirkungen öffnen eine oder mehrere anklicken es werden die möglichen BKen angezeigt auswählen auswählen e Liste Links zu Suchfunk- den extertion nen u. (Fenster) internen Dokumenten es werden die möglichen Arbeitsstoffe/Einwirkungen angezeigt e Prävention es werden die möglichen BKen angezeigt e Links zu den intern abgelegten Dokumenten Diagnos. (Trivialu. med. Bez./ICD ) eine oder mehrere Krankheiten anklicken e Links zu den externen Dokumenten (z. B. Univ. Rostock) Fallgesch., Gutachten eine oder mehrere Krankheiten anklicken e Listen für Suchfunktion (Fenster mit jeweiliger Liste) BKwiss. Be- weiteres Merkblatt gründung Mat. e Arbeitsstoffe/ Einwirkungen Liste der passenden Berufe/Tätigkeiten öffnen e Berufe/ Tätigkeit Liste der passenden Krankheiten (mit ICD-Nummern) öffnen Suchwort / Such-Teil e BKBezeichnung Suchrichtung Beruf Prävention Suchwort / Such-Teil e BKNummer Suchrichtung Krankheit BK e Gliederung/Organisation der BK-Datenbank Abb. 3: Suchstrategie bei präventiver Beratung eines Betriebes e Abb. 1: Wie könnte eine BK-Wissens-Datenbank prinzipiell aufgebaut sein? Abb. 2: Suchstrategie beim Vorliegen einer vermuteten BK-Erkrankung e Dies ist sicherlich das eigentliche Ziel der BK-Beratungsarbeit: Die Arbeitsplätze so zu gestalten, dass Berufserkrankungen erst gar nicht auftreten. Hierfür müssen Arbeitgeber wie Beschäftigte immer wieder fachlich beraten werden. Zu denken ist an die Zusammenarbeit mit Wirtschaftskammern, Berufsverbänden und Gewerkschaften, aber auch mit Sicherheitsfachkräften, Betriebsärzten, Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht und anderen Institutionen, die selbst Betriebe beraten und die ggf. auch kollegiale Hilfe benötigten. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass eine konsequente Prävention von Berufserkrankungen ganz erhebliche Vorteile für die betriebliche Präventionskultur schaffen und damit auch den Hauptteil der Maßnahmen abdecken kann, die zur Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen nötig sind. Die präventiv orientierte Beratungsarbeit kann im Einzelnen heißen (vgl. Abb. 3): ❚ Hilfestellung bei Fragen der ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzes ❚ Hilfestellung bei Arbeitsprozessen mit neuen Werkstoffen (z. B. Epoxidharze) ❚ Hilfestellung bei der Verwendung toxischer oder allergisierender Materialien, z. B. ❚ Nickel (Gießen, Schweißen usw.) ❚ Beryllium im Werkzeugbau ❚ Arylamine im Friseurgewerbe ❚ Isocyanate (Polyurethanwerkstoffe). Es gibt eine fast unübersehbare Fülle von Verordnungen, technischen Regeln, berufsgenossenschaftlichen Regeln und Informationen, Leitfäden und Informationsmaterial der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie internationale, europäische und nationale epidemiologische, arbeitsmedizinische, arbeitshygienische und sonstige arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, die für präventive Fragestellungen herangezogen werden müssen. Vieles ist den betrieblichen und überbetrieblichen Fachberatern der Betriebe bekannt; doch einzelne Fragestellungen, die im Zusammenhang mit dem BK-Geschehen, insbesondere dem bremischen BK-Geschehen, für einzelne Arbeitsplätze und Arbeitsbereiche in unserer Wirtschaftsregion relevant sein können, bedürfen ggf. einer spezifischen Beratung. Die Beispiele sind vielfältig und sollen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Es sollte reichen, auf die bei kompensatorischen Fragestellungen angegebenen Beispiele zu verweisen. Die dort angeführten Probleme lassen sich nämlich zwanglos in eine präventive Fragerichtung umdrehen: ❚ Was kann getan werden, um schweren arbeits- und berufsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen vorzubeugen? ❚ Was kann getan werden, um arbeitsund berufsbedingten schweren obstruktiven Atemwegserkrankungen vorzubeugen? weitere Dokumente: Merkblätter, wissenschaftliche Begründungen, Fallgeschichten, Gutachten usw. Liste der Präventionsmöglichkeiten mit Links zu weiteren Dokumenten (z.B. BGls) Abschließende Bemerkungen Es gibt bei einigen Krankenkassen bereits heute EDV-gestützte Routinen zur Prüfung einer BK-Relevanz beim Vorliegen bestimmter Erkrankungen; es wurden positive Erfahrungen gesammelt. Es wäre wünschenswert, wenn es zu einer Zusammenarbeit der Kassen untereinander (das war einmal mit dem ›Präventionsgesetz‹ beabsichtigt) und mit der unabhängigen BK-Beratungsstelle in Bremen kommen würde. Es wäre zugleich auch wünschenswert, wenn sich auch die Zusammenarbeit mit den Sachbearbeitern und Sachbearbeiterinnen der Berufsgenossenschaften verbessern würde, wobei durchaus arbeitsteilige Absprachen denkbar sind. Die besondere Bedeutung einer gesonderten BK-Wissensdatenbank für das Land Bremen läge darin, dass die in der langjährigen Beratungspraxis der BK-Beratungsstelle in Bremen-Nord (1997 bis 2011 als Projekt des Vereins Arbeit und Zukunft, teilweise ehrenamtlich, 2011 bis Mitte 2013 als Projekt und inzwischen verstetigt, in Trägerschaft der Arbeitnehmerkammer) gesammelten Fälle einen wertvollen Fundus an beispielhaften Fallgeschichten, Arbeitsplatzbeschreibungen und Gutachten bereitstellen. Diese Erfahrungen sollten in einer solchen Datenbank in geordneter und systematischer Weise aufbewahrt und genutzt werden, auch und insbesondere für die Beratungsarbeit. Eine solche umfassende Datenbank (vgl. Abb. 1) aufzubauen erfordert einen hohen technischen und personellen Aufwand. Auf der Basis der bestehenden BKListe und der zugeordneten Merkblätter und Begründungen müssten ❚ Berufe und Tätigkeitsbereiche im Klartext ❚ Arbeitsstoffe (chemische, physikalische und biologische Einwirkungen) ❚ mechanische Einwirkungen ❚ Diagnosen im Klartext ❚ sowie ICD-Nummern zusätzlich verschlagwortet und integriert werden. Zu hinterlegen (als interner Link) wären Fallgeschichten und Gutachten. Ferner müssten Links gelegt werden zu Hintergrundmaterial wissenschaftlicher oder technischer Art und zu präventiv orientierten Informationen (Rechtsverordnungen, technische Regeln, berufsgenossenschaftliche Regeln und Informationen, weitere technische und organisatorische Hinweise). Die technische Realisierung einer solch umfangreichen Datenbank bedarf einer gesonderten Projektstruktur und Projektfinanzierung. Unerlässliche Voraussetzung einer funktionierenden Datenbank wäre außerdem eine kontinuierliche Pflege. 56 57 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS ANDREA IM SANDE Berufskrankheiten – wie beraten die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung? Zusammenarbeit Die Gesetzliche Unfallversicherung und die Krankenkassen 3 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Die Beratung der Versicherten steht auch für die Unfallversicherungsträger ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Doch wie kann diese möglichst gut verwirklicht werden? Beratung ist wichtig. Wie beeinträchtigt mich meine Erkrankung? Kann ich weiter arbeiten? Im bisherigen Beruf? Was kann und muss dafür getan werden? Welche Hilfe bekomme ich, wenn ich meinen Beruf aufgeben muss? Diese und andere sind wichtige Fragen, mit denen sich viele Personen im Laufe ihres Berufslebens konfrontiert sehen. Ein Wechsel fällt nicht immer leicht, hat man sich doch nach seinen Interessen und Talenten für einen bestimmten Beruf entschieden. Die Unfallversicherungsträger (UV-Träger) stehen für eine solche Beratung mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an allen Standorten zur Verfügung. Dabei richtet sich der Umfang unserer Beratung vor allem danach, wie sehr die oder der Verletzte betroffen ist. Bei besonders schwer verletzten oder schwer erkrankten Versicherten suchen wir schnell den persönlichen Kontakt, damit zu den gesundheitlichen Sorgen möglichst nicht noch finanzielle hinzutreten. Geschulte und kompetente Außendienstmitarbeiter/innen geben erste Informationen und erläutern die Vorgehensweise der Unfallversicherungsträger. Sie organisieren bei Bedarf auch erste Leistungen (z. B. Hilfsmittel u. ä.). Sie bieten sich als Ansprechpartner an. Viel häufiger stehen medizinische Fragen im Vordergrund. Ist die Diagnose richtig gestellt? Sind alle Beschwerden umfassend und richtig erfasst? Wie können die Beschwerden gelindert werden? Und ganz wichtig: Wie kann ich an meinem Arbeitsplatz vor einer weiteren Belastung geschützt werden? Hier ist schnelle, unbürokratische Hilfe erforderlich. Dies ist nicht ohne medizinischen Sachverstand zu klären. An unterschiedlichen Stellen sind daher Kompetenzzentren entstanden. Dort treffen Versicherte auf versierte Ärzte und Therapeuten, die sich die erforderliche Zeit nehmen, um die Situation mit den Betroffenen zu klären. Dies ermöglicht eine gute erste Arbeits- und Krankheitsanamnese. Einige Beispiele, in denen dies besonders gut gelingt, möchte ich hervorheben: Zum Thema Haut Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) versichert Berufe, die sich als sehr hautbelastend erwiesen haben. Dort ist schon lange bekannt, dass der häufige Kontakt mit Wasser die Haut auf Dauer so schädigen kann, dass der Beruf aufgegeben werden muss. Betroffen sind nicht nur Frisörinnen und Frisöre, sondern auch Pflegekräfte, Beschäftigte im Bereich der Hauswirtschaft und andere. An ihren Standorten hat die BGW daher Schulungs- und Beratungszentren gegründet (›schu.ber.z‹). Hier steht die schnelle Hilfe im Vordergrund. Rechtliche Fragen treten zunächst in den Hintergrund. Die Betroffenen erfahren in Hautschutzseminaren, mit welcher persönlichen Schutzausrüstung und mit welchen modernen Arbeitstechniken eine gefährdungsfreie Tätigkeit in ihrem Beruf möglich ist. Die Seminarteilnehmer/innen erhalten sofort die Ausrüstung, die sie an ihrem Arbeitsplatz benötigen. Die UV-Träger erteilen sofort einen Behandlungsauftrag (Facharzt, wohnortnah nach Wunsch der Betroffenen) und übernehmen auch die Kosten der Behandlung. In den meisten Fällen erholt sich die Haut und das Verfahren kann ohne Berufsaufgabe erfolgreich abgeschlossen werden. 58 59 BERUFSKR ANKHEITEN Wie gelingt dies? Spezialisierte Dermatologen untersuchen die Betroffenen, stellen eine genaue Diagnose und veranlassen so die richtige medizinische Behandlung. Sie empfehlen auch geeignete Maßnahmen, wie die Haut am bisherigen Arbeitsplatz geschützt werden kann. Dies erfolgt in aller Regel durch eine auf die einzelne Person abgestimmte Persönliche Schutzausrüstung. Auch die Arbeitgeber unterstützen das Verfahren. Mit Hilfe des UV-Trägers können die Betroffenen unterschiedliche Mittel oder Salben ausprobieren. Die Arbeitgeber können daher nach Abschluss des Verfahrens sicher sein, dass ein geeigneter Hautschutz gefunden wurde und die betroffene Person ohne Gefährdung ihrer Gesundheit weiter im Betrieb arbeiten kann. (Weitere Informationen erhalten Sie auf folgender Seite: www.bgw-online.de/internet/generator/ Navi-bgw-online/NavigationLinks/ Kundenzentrum/schu.ber.z/navi.html) Dieses gute Beispiel macht Schule. Andere Träger schlossen sich dem an und nutzten die Beratungszentren ebenfalls. Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall und ihre Vorgängerinnen nutzen bereits seit sieben Jahren die Expertise der Zentren auch für die eigenen Versicherten. Denn auch Kühlschmierstoffe setzen der Haut vieler Beschäftigter zu. In der Metallbranche sind vor allem Männer beschäftigt und dadurch betroffen. Hier ist eine zielorientierte Beratung besonders wichtig. Schutz und Pflege der Haut ist diesen Betroffenen oft fremd. Wird bei der eigenen Ehefrau oder Lebensgefährtin die Pflege der Haut durchaus geschätzt, so wird sie doch für die eigene Haut spöttisch abgelehnt. Offene Verletzungen der Haut werden sogar als ganz ›normal‹ empfunden. Zum Thema Atemwege Kaum etwas lieben wir Deutschen so sehr wie frisches Brot. Was viele jedoch nicht wissen: Selbst Mehl – ein unverzichtbares Nahrungsmittel – kann bei seiner Verarbeitung allergische Reaktionen der Atemwege auslösen und so zu Erkrankungen führen (im Volksmund oft Bäckerasthma genannt). Die zuständige Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe setzt deshalb hier einen Schwerpunkt ihrer Präventionstätigkeit. PR AXIS Erfahrene Techniker beraten Bäckermeister vor Ort, wie sie in ihrem Betrieb den Mehlstaub verringern können und welcher Atemschutz für sie in Frage kommt. Angeboten werden auch allgemeine Seminare, bei denen Beschäftigte des Backgewerbes gemeinsam mit Kollegen lernen, welche organisatorischen und technischen Änderungen in ihrem jeweiligen Betrieb erfolgversprechend sind. Außerdem unterstützt die BG – mit dem behandelnden Arzt – die richtige medizinische Versorgung im Einzelfall. Gerne können Sie weitere Informationen z. B. auf der entsprechenden Internetseite abfragen, siehe unter: www.praevention.portal.bgn.de/ 3270/4801?wc_lkm=9921 Doch auch durch andere Arbeitsstoffe können Atemwegserkrankungen ausgelöst werden. Betroffen sind vor allem Personen, die noch berufstätig sind. Ähnlich wie bei den Hauterkrankungen geht es daher vor allem darum, die Situation am Arbeitsplatz möglichst schnell und unbürokratisch zu verbessern. Da in der Medizin Haut- und Atemprobleme nah beieinander liegen, nutzen wir dafür auch die für die Hauterkrankten aufgebaute Infrastruktur. Gemeinsam mit den Netzwerkpartnern sichern wir die Diagnose und erstellen eine erste Arbeitsanamnese. Im Rahmen so genannter Atemwegssprechstunden prüfen Spezialisten die Diagnose und fragen nach möglichen Einwirkungen am Arbeitsplatz. Die Betroffenen erhalten wertvolle erste Hinweise für Verbesserungen in ihrem Umfeld. Die UV-Träger erhalten Informationen, die ihnen zielgerichtete Ermittlungen am Arbeitsplatz erleichtern. Auch hier steht die schnelle Hilfe im Vordergrund, damit die Betroffenen ihre bisherige Tätigkeit möglichst weiter ausüben können. Mit diesen Beratungsangeboten unterstützen wir Betroffene, die noch arbeitstätig sind. Viele andere erkranken erst, nachdem sie ihre berufliche Laufbahn bereits beendet haben. Die UV-Träger prüfen dann, welche Leistungen zu erbringen sind. Zur traurigen Berühmtheit gelangte das Mineral Asbest Der Stoff erfreute sich für einige Jahrzehnte als ›Mineral der 1000 Möglichkeiten‹ größter Beliebtheit. Das Wort Asbest kommt aus dem Griechischen und bedeutet ›nicht brennbar‹. Diese Eigenschaft war ausschlaggebend für den Einsatz von Asbest z. B. in Isolierungen. Außerdem musste das Mineral nicht aufwändig, also künstlich produziert werden. Vielmehr war es einfach und somit günstig abzubauen, was sogar noch heute geschieht, beispielsweise in Südafrika und in der Türkei. In Deutschland ist der Einsatz von Asbest seit 1993 verboten. Für viele Beschäftigte der Werften, Autobauer oder Isolierer zu spät. Sie haben die tückischen Fasern bereits eingeatmet. Diese wandern dann durch die Luftröhre so weit in die Lunge, bis sie im Gewebe stecken bleiben. Der Körper erkennt diese Fremdkörper, die er nun beseitigen möchte. Die Nadeln werden von Gewebe umgeben, um die Eindringlinge aufzulösen. Vergeblich, weil Asbest durch nichts aufzulösen ist. Aus der Umkapselung wird vernarbtes Lungengewebe, das die Dehnbarkeit der Lunge einschränkt. Die Folge ist Atemnot. Diese tritt erst Jahre nach der Belastung, also nach dem Einatmen der Fasern auf. Dies hat auch dazu gerührt, dass das tatsächliche Ausmaß der Gesundheitsschäden durch Asbest nicht früh genug erkannt wurde. Viele Betroffene reagieren schockiert auf die Diagnose ›Asbestose‹. 2012 erhielten die Unfallversicherungsträger knapp 71.000 Anzeigen, dass eine Berufskrankheit vorliegen könnte. Davon entfallen 3.470 Anzeigen auf die Asbestose (BK 4103), 3.996 Anzeigen auf einen Lungen- oder Kehlkopfkrebs durch Asbest (BK 4104) und schließlich 1.362 auf das Vorliegen eines Pleuramesothelioms durch Asbest (BK 4105). Betroffen ist vor allem die Metallbranche. Die in diesem Bereich tätigen Berufsgenossenschaften erhalten die meisten Verdachtsanzeigen. Aus vielen Gesprächen mit Betroffen wissen sie, dass diese Diagnosen eine einschneidende Erfahrung darstellen. Viele Betroffene rechnen mit ihrem baldigen Tod. In Berichterstattungen wird oft nicht herausgestellt, woran die Betroffenen tatsächlich sterben. Eine Asbestose wird oft mit einer Krebserkrankung gleich gestellt. Hier setzt die Beratung der Berufsgenossenschaften BG ETEM (Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse) und BG Holz und Metall an. Eine Asbestose ist in aller Regel nicht tödlich, jedoch auch nicht heilbar. Das einmal geschädigte Lungengewebe kann nicht ›repariert‹ werden. Eine spätere Krebserkrankung ist nicht ausgeschlossen. Im Rahmen einer so genannten Asbestose-Sprechstunde erhalten die Betroffenen Informationen zu der Erkrankung und warum sie erst so spät festgestellt wurde. Alle Versicherten, bei denen das Risiko einer Asbestose gegeben ist, erhalten eine Einladung. Die Erfahrung zeigt, dass die Betroffenen im Praxisbetrieb ihrer Ärzte oft nicht dazu kommen, ihre Fragen zu stellen. In der Sprechstunde steht ihnen ein Facharzt Rede und Antwort. Er beschreibt, wie die Erkrankung entsteht. Er erläutert den Unterschied zwischen einer Asbestose und einem durch Asbest verursachten Lungen- oder Rippenfellkrebs. Schließlich informiert er über mögliche Therapien. Mitarbeiter / innen der Unfallversicherungsträger stellen sich vor und erläutern den Ablauf des Verfahrens. Welche Informationen sind für eine mögliche Leistung entscheidend? Welche Unterlagen oder Auskünfte benötigt der UV-Träger? Welche Ermittlungen werden durchgeführt? Wir hoffen, unser Verfahren und unsere Vorgehensweise auf diese Art und Weise für die Versicherten transparenter zu gestalten. Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass es für viele Betroffene eine Hemmschwelle gibt, mit den Unfallversicherungsträgern Kontakt aufzunehmen. Durch die persönliche Beratung in unserem Haus hoffen wir, diese Hemmschwelle abzubauen und das erforderliche Vertrauen für das weitere Verfahren aufzubauen. Die Versicherten lernen ihre BG persönlich kennen und dadurch fällt es ihnen leichter, mit uns zu sprechen. Die bis dahin unpersönliche Berufsgenossenschaft erhält ein Gesicht. In Bremen hat sich außerdem eine ambulante Asbestose-Reha bewährt. Obwohl die Erkrankung nicht geheilt werden kann, können doch die Beschwerden durch gezielte therapeutische Maßnahmen gelindert werden. Die Erfahrungen zeigen außerdem, dass die Stärkung der 60 61 BERUFSKR ANKHEITEN körperlichen Konstitution die Lebensqualität insgesamt erhöht. Den Betroffenen wird verdeutlicht, dass sie sich wegen der Asbestose nicht schonen müssen und ihr Leben wie gewohnt fortsetzen können. Im Anschluss an die Therapie überführen wir die Teilnehmer in eine wohnortnahe Trainingseinrichtung. Dies kann ein Sportverein, der Tennisclub oder ein Schwimmbad sein. Wichtig ist, dass die Betroffenen lebenslang trainieren. Denn nur dann bewahren sie sich die guten Ergebnisse der Therapie. Das Konzept der BG setzt auf Nachhaltigkeit. Wird die Therapie beendet, vermindern sich die positiven Effekte. Daher ist uns das lebenslange Trainieren so wichtig. Wir sind sehr stolz, dass es uns hier gelungen ist, eins der ersten wirklich nachhaltigen Konzepte in der Rehabilitation umzusetzen. Die Beratungen beziehen sich jedoch nicht nur auf die medizinischen Fragen. Entscheidend ist auch, ob eine bestimmte Gefährdung bzw. Einwirkung vorgelegen hat. Zwischen Erkrankung und Schädigung liegen oft Jahre oder sogar Jahrzehnte. Gibt es den Betrieb oder den Arbeitsplatz noch? Welche Zeitzeugen gibt es? Wer kann etwas über die Stoffe sagen, mit denen gearbeitet wurde? Dies sind die häufigsten Fragen, die zu klären sind. Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Oft war den Betroffenen nicht bekannt, mit welchen Stoffen sie gearbeitet haben. Noch heute schwören Versicherte, dass auf ›ihrer‹ Werft nicht mit Asbest gearbeitet worden sei. Eine gute Arbeitsplatzbeschreibung und Analyse ist daher sehr wichtig. Hilfe erhalten die Betroffenen von bei den Unfallversicherungsträgern beschäftigten Ingenieuren, Chemikern und Meistern. Sie bitten die Betroffenen um eine Beschreibung ihrer Arbeitsplätze und schätzen dann deren Einwirkungen ein. Sie greifen dabei auf unterschiedliche Unterlagen und Forschungsergebnisse zurück. PR AXIS In vielen Fällen fällt diese Einschätzung nicht schwer (Meniskusschäden oder Lungenerkrankungen im Bergbau, Lärmschwerhörigkeiten bei Werftarbeitern oder Autobauern). Hier sind die maßgeblichen Einwirkungen bekannt. In den Betrieben erfolgten Lärmmessungen in den relevanten Betriebsteilen, so dass oft umfangreiche Ermittlungen in Einzelfällen nicht mehr erforderlich sind. Besteht der Betrieb noch, werden die Arbeitsplatzbedingungen in einem gemeinsamen Gespräch im Betrieb (wenn vorhanden mit Beteiligung des Betriebsrates) geklärt. Ist der Betroffene nicht mehr berufstätig, erfolgt dieses Gespräch entweder beim Betroffenen zu Hause oder in der Verwaltung. Gemeinsam wird dann eine Anamnese erstellt: Wo wurde wann wie gearbeitet? Welche Stoffe können die vorliegende Erkrankung auslösen und wo könnte die Person Kontakt genau zu diesen Stoffen gehabt haben? Dies erfordert teilweise detektivische Arbeit. Liegen keine Daten vor, kann eine Einschätzung auf der Grundlage möglicher vergleichbarer Arbeitsplätze erfolgen. Oft sind Einwirkungen auch bereits aus anderen Verfahren bekannt, die für einen neuen Fall mitberücksichtigt werden können. Unabhängig von den Aussagen der Betroffenen kann anhand bekannter Daten die Einwirkung nachgewiesen werden. Liegt eine Berufskrankheit vor, veranlassen die Unfallversicherungsträger die erforderliche Therapie und stellen fest, welche Leistungen zu erbringen sind. Sie bleiben dann lebenslang Ansprechpartner für die Betroffenen. CORINNA MAHLSTEDT Die AOK Bremen/Bremerhaven als Kooperationspartnerin des EU-Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ Berufskrankheiten-Management bei der AOK Bremen / Bremerhaven Die AOK Bremen/Bremerhaven beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Berufskrankheiten. Auslöser war die gesetzliche Grundlage, dass Krankenkassen für Leistungen im Zusammenhang mit Berufskrankheiten (BK) nicht zuständig sind (Beitragszahler sind Versicherte und Arbeitgeber), Kostenträger für diese Leistungen sind die Berufsgenossenschaften (Beitragszahler sind die Arbeitgeber). Was zunächst als Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags begann, hat sich über die Jahre zu einem fachlich fundierten Management entwickelt, das immer mehr auch dem einzelnen Betroffenen zugute kommt. Im Hause der AOK Bremen/Bremerhaven wurde eine effiziente Organisation in Form eines engmaschigen Netzwerkes etabliert. In allen Bereichen, in denen Leistungen gewährt werden (Krankenhausbehandlung, Reha-Maßnahmen, Hilfsmittel, Krankengeld, Pflege usw.) gibt es besonders geschulte Mitarbeiter, die sogenannten BK-Ansprechpartner. Außerdem gibt es zwei BK-Spezialisten, die sich ausschließlich mit dem Thema Berufskrankheiten befassen und über die alle Aufgaben im Zusammenhang mit Berufskrankheiten koordiniert werden. Das Netzwerk der AOK Bremen / Bremerhaven erstreckt sich aber auch auf Stellen außerhalb des Hauses. Es wird eng mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen und dem Landesgewerbearzt zusammengearbeitet. Durch die Teilnahme an dem Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ hat sich dieses Netz immer mehr ausgeweitet, ist aber auch engmaschiger geworden, so dass der AOK Bremen/Bremerhaven kompetente Ansprechpartner auf medizinischer und auf arbeitstechnischer Basis zur Verfügung stehen. Wirtschaftliches Arbeiten und Kundenservice schließen sich nicht aus. Ganz besonders wichtig ist der AOK Bremen/ Bremerhaven die Unterstützung der Betroffenen im BK-Feststellungsverfahren. Von der Anzeige einer möglichen Berufskrankheit bis zum Abschluss des Feststellungsverfahrens (zum Teil auch darüber hinaus) steht die AOK ihren Versicherten als kompetente Ansprechpartnerin zur Seite. Es wird über die Hintergründe einer Berufskrankheit aufgeklärt: ❚ Worauf begründet sich der Berufskrankheitenverdacht? ❚ Was ist eine Berufskrankheit? ❚ Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? ❚ Welche Vorteile kann die Anerkennung dem Betroffenen bringen? ❚ Wie läuft das Feststellungsverfahren? ... Für Betroffene, die sich plötzlich mit einer Fülle von Fragen und Bürokratie konfrontiert sehen, ist dies oft eine wertvolle Hilfe. Darüber hinaus helfen die Spezialisten der AOK ihren Versicherten auch beim Ausfüllen der Fragebögen der Berufsgenossenschaften. Mit Hilfe von archivierten Mitglieds- und Krankheitszeiten kann in vielen Fällen das gesamte Berufsleben nachvollzogen werden. In persönlichen Gesprächen – auch in Form von Hausbesuchen – werden die Fragen der Berufsgenossenschaft so genau wie möglich beantwortet, um die Chance auf die Anerkennung einer Berufskrankheit zu erhöhen. Da die Beweislast immer noch bei den Betroffenen liegt, ist die ausführliche Darlegung aller maßgeblichen Tatsachen (ausführliche Arbeitsanamnese) die unverzichtbare Grundlage für die Prüfung einer Berufskrankheit. 62 63 BERUFSKR ANKHEITEN Zur Verdeutlichung: Stellen Sie sich vor, Sie bekommen heute einen Fragebogen und sollen Ihren gesamten beruflichen Werdegang seit dem ersten Tag Ihrer Beschäftigung schildern, und zwar mit Angabe ❚ aller Arbeitgeber mit genauem Beschäftigungszeitraum ❚ aller Arbeitsplätze (genaue Ortsangabe im Betrieb) ❚ der ausgeführten Tätigkeiten (genaue Beschreibung der einzelnen Tätigkeiten). ❚ Wie oft pro Schicht wurde jede einzelne Tätigkeit ausgeübt? ❚ Welche Körperhaltung wurde dabei eingenommen? Wie oft pro Arbeitsschicht? ❚ Mit welchen Gefahrenstoffen hatten Sie Kontakt? Wie oft und lange pro Arbeitsschicht? ❚ Trugen Sie Schutzkleidung? Aus welchem Material? Wie lange pro Arbeitsschicht? ❚ Was wurde am Nachbararbeitsplatz gemacht? PR AXIS Mit Hilfe Ihrer Unterlagen und den Aufzeichnungen im Betrieb ist das vielleicht noch zu schaffen. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind seit vielen Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, Sie sind über 70 Jahre alt und krank. Ihre Erwerbstätigkeit begann kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Viele der Firmen, in denen Sie gearbeitet haben, gibt es nicht mehr. Der Lohn wurde meistens bar ausgezahlt, Unterlagen über Beschäftigungen sind nicht vorhanden. Genau in dieser Situation befinden sich viele Betroffene von Berufskrankheiten. Ein Beantworten der Fragen der Berufsgenossenschaften ist oft einfach unmöglich – der Fragebogen landet im Papierkorb, eine Berufskrankheit wird gar nicht erst geprüft. Um das zu vermeiden, versuchen an dieser Stelle die Spezialisten der AOK mit ihrer Erfahrung und gezielten Fragestellungen zu helfen. Es ist erstaunlich, welche Erinnerungen geweckt werden, wenn gezielte Fragen zu den einzelnen Beschäftigungen gestellt werden. Auf diese Weise können die Fragen der Berufsgenossenschaften letztendlich doch beantwortet und das Feststellungsverfahren durchgeführt werden. Sehr häufig geht es bei den beantragten Berufskrankheiten um asbestbedingte Erkrankungen. Diese Tatsache hat die AOK Bremen/Bremerhaven dazu bewegt, ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt durchzuführen: Die ›Digitale Hafenkarte‹ Das Thema ›Asbest‹ ist im Lande Bremen von großem Interesse. Der Bremer Hafen war seit den 50er Jahren der HauptUmschlagplatz für losen Asbest und somit lag dort auch eine Hauptursache für Berufskrankheiten durch Asbest. Das Gefährliche an diesem Stoff ist, dass er in losem Zustand staubig ist und so nicht nur für diejenigen gefährlich war, die direkt damit gearbeitet haben. Auch Leute, die im Umfeld tätig waren (sogenannte Bystander), haben diese Stäube eingeatmet und können ebenfalls an Asbestose erkranken. Diese Betroffenen haben aber das Problem, der Berufsgenossenschaft zu beweisen, dass ihre Krankheit tatsächlich durch die berufliche Tätigkeit hervorgerufen wurde, denn sie haben ja schließlich nicht selbst mit Asbest gearbeitet. 64 65 BERUFSKR ANKHEITEN Diese Problematik hat die AOK Bremen/ Bremerhaven zum Anlass genommen, ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt zu starten, um den Betroffen bei der Beweisführung gegenüber den Berufsgenossenschaften zu helfen. In mühevoller Recherche hat die AOK Bremen/Bremerhaven Daten über das Asbest-Vorkommen im Bremer Hafen gesammelt und Beweise dafür gesichert. In Museen, Archiven, Vereinen, Unternehmen, Behörden, Weser-Kurier und Instituten wurde an insgesamt 45 Stellen recherchiert. Gefunden wurden unter anderem ›Schuppenkontrollbücher‹, ›Wochen-, Monats- und Jahresübersichten der Weserhafenbehörde‹, ›Bremer Schiffsliste‹, ›Bremer Schiffsbewegungen – zu erwartende Schiffe‹. Insgesamt konnten 202 Schiffe mit Asbest-Ladung für den Zeitraum 1950 bis 1966 dokumentiert werden. Auch die Angaben über Schiffsankünfte, Liegeplätze und Abfahrtshäfen konnten neben der Ladung (auch Menge) gesichert werden. Zusätzlich wurden mit knapp einhundert Hafenarbeitern Interviews durchgeführt, die der AOK Bremen / Bremerhaven detaillierte Angaben zum Asbestkontakt für den Zeitraum 1946 bis 1992 benennen konnten. All diese Angaben und gesicherten Beweise wurden nun in eine digitale Hafenkarte übertragen. Die endgültige Programmierung läuft zurzeit. Erhält die AOK Bremen/Bremerhaven weitere gesicherte Hinweise, werden diese natürlich weiter in die Hafenkarte eingearbeitet. PR AXIS Mit dieser Karte möchte die AOK Bremen/Bremerhaven den Betroffenen helfen, einen beruflichen Asbest-Kontakt gegenüber der Berufsgenossenschaft zu beweisen und somit die Chance auf die Anerkennung einer Berufskrankheit erhöhen. Im Rahmen der Arbeitsschutzkonferenz zum Recht der Berufskrankheiten wurde die Hafenkarte im Oktober 2012 von der AOK Bremen/Bremerhaven im Speicher XI vorgestellt. Der Zuspruch in den Medien war enorm und hat zu vielen Anfragen von Betroffenen und Interessierten bei der AOK geführt. Ergebnisse des Projekts ›Wissenstransfer Berufskrankheiten‹ aus Sicht der AOK Bremen / Bremerhaven Durch die Teilnahme an dem aus Mitteln der EU geförderten Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ hat sich unsere ursprüngliche Intention bestätigt: Gemeinsam sind wir stärker! Es hat sich gezeigt, dass Stärken und Schwächen an verschiedenen Stellen bestehen. Durch den Erfahrungsaustausch konnten gemeinsam ganz neue Wege beschritten werden, um den von Berufskrankheiten Betroffenen zu helfen. Im Projekt wurde z. B. zusammen mit Ärzten aus Lungenkliniken in und um Bremen ein Patientenfragebogen entwickelt, der auf möglichst einfache Weise den Ärzten in den Krankenhäusern dabei helfen soll, Berufskrankheiten zu erkennen und bei den Berufsgenossenschaften anzuzeigen. Wir erhoffen uns damit, die Dunkelziffer der nicht erkannten bzw. nicht gemeldeten Berufskrankheiten zu senken. Nicht zuletzt profitieren wir natürlich von dem aufgebauten Netzwerk. Der Kontakt zu den Berufsgenossenschaften wurde verbessert, der Kontakt zur Berufskrankheiten-Beratungsstelle bei der Arbeitnehmerkammer in Bremen-Nord besteht seit ihrer Einrichtung im Mai 2011. Bei Fragen zu arbeitsmedizinischen oder arbeitstechnischen Problemen stehen uns jetzt die entsprechenden Projektteilnehmer hilfreich zur Seite. Was bringt die Zukunft? Die große Hoffnung aller Teilnehmer des Projekts ist, dass das Thema Berufskrankheiten nach Projektende nicht in der Versenkung verschwindet. Das Thema sollte durch regelmäßige Treffen (›Runder Tisch‹) ›am Kochen‹ gehalten werden, um weitere Ideen und Visionen zu entwickeln und einen Erfahrungsaustausch aller beteiligten Stellen zu gewährleisten. Dank des EU-Projektes ist das Thema Berufskrankheiten in Bremen auf breiter Basis als wichtiges Thema wahrgenommen worden, das Einsatz und Engagement im Sinne der Kranken verdient hat. Es wurde ein Netzwerk aufgebaut und viele gute Maßnahmen auf den Weg gebracht, die hoffentlich in der Zukunft weiter ausgebaut werden. Im Mittelpunkt steht hierbei immer der betroffene Mensch. Die AOK Bremen/Bremerhaven ist immer präsent und wird auch weiterhin an Veranstaltungen zum Thema Berufskrankheiten teilnehmen und ihren Versicherten beim Thema Berufskrankheiten als verlässlicher Partner zur Seite stehen. Als die AOK Bremen/Bremerhaven gefragt wurde, ob sie an dem EU-Projekt teilnehmen würde, stellte sich zunächst einmal die Frage: Welchen Nutzen haben wir von der Teilnahme? Auf dem Gebiet des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist die AOK schon seit Jahren aktiv und auch die Beratung von Versicherten, die von Berufskrankheiten (BK) betroffen sind, läuft seit vielen Jahren sehr intensiv. Was waren also die Vorteile einer Teilnahme? Nach einigen Überlegungen und Abwägungen kamen wir dann zu dem Schluss, dass wir gemeinsam nur noch stärker werden können! Also nahmen wir an 14 Sitzungen, Veranstaltungen und Diskussionsrunden teil und stellten unter anderem mit zwei Präsentationen die Tätigkeiten der AOK Bremen/Bremerhaven zum Thema Berufskrankheiten vor. Insgesamt haben wir uns mit über 90 Arbeitsstunden an dem Projekt beteiligt. Es gab zwei Themenkreise: fachlich und praktisch und politisch und strategisch. In beiden Themenfeldern hat die AOK Bremen/Bremerhaven die Projektarbeit engagiert unterstützt. Wir haben aber nicht nur Wissen und Arbeit eingebracht, sondern auch von dem Projekt profitiert. Durch die Ausweitung unseres ›BK-Netzwerks‹ können wir unsere Versicherten jetzt noch kompetenter beraten und haben die Möglichkeit, auf Ansprechpartner aus vielen Fachbereichen zurückzugreifen. 66 67 BERUFSKR ANKHEITEN ❚ Die Hafenkarte der AOK Bremen/Bremerhaven: Rot markiert sind die Bereiche und Gebäude, wo nachweislich Asbest umgeschlagen und gelagert wurde. PR AXIS 68 69 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS HARM EHMKE Die Arbeitsweise in den Renten- und Widerspruchsausschüssen aus Sicht der Versicherten verbessern! Ein ›Herzensanliegen‹ ist es mir darauf hinzuweisen, dass sich die Arbeitsweise in den Renten- und Widerspruchsausschüssen sowie die Zusammenarbeit dieser Ausschüsse mit den Selbstverwaltungsorganen ändern müssen. Denn überwiegend befinden sich die Renten- und Widerspruchsausschussmitglieder der Versichertenseite in einer isolierten Situation. Sie haben häufig keinen systematisch organisierten Kontakt zu dem Vorstandsorgan, welches ja die Rentenausschussmitglieder entsendet. Demzufolge besteht kaum ein Informationstransfer aus dem Geschehen im Rentenausschuss zu den Vorstandsmitgliedern der Versichertenbank. Aufgrund dieser Kommunikationslücke kann im Vorstand auch kaum ein inhaltlicher Disput über die Auffälligkeiten zu Versicherungsvorgängen – insbesondere zu BK-Vorgängen – entstehen. Ebenso ist die Feststellung leider zu treffen, dass viele Kolleginnen und Kollegen in den Renten- und Widerspruchsausschüssen kaum schriftlich aufzeichnen, was an Auffälligkeiten in den Sitzungen auftritt. Das mag vielleicht mit erklären, dass es dem Thema ›Berufskrankheiten‹ an Lebhaftigkeit oder gar Lebendigkeit mangelt. Zwar beklagen wir alle diesen momentanen Zustand, aber es ist auch nicht erkennbar, wann das Nischendasein des Themas ›Berufskrankheiten‹ überwunden sein wird. Gerade aus der Historie der BK-Verdachtsanzeigenentstehung aber können wertvolle Erkenntnisse über Präventionsansätze zur zukünftigen Vermeidung von schädigenden Arbeitsbedingungen gewonnen werden, wenn denn diese Erkenntnisse aufgezeichnet und in geeigneter Form im BG-System verarbeitet würden. Darum schlage ich vor: Unbedingt sollten die Mitglieder in den Renten- und Widerspruchsausschüssen obligatorisch bei Sitzungen nach der Gefährdungsbeurteilung in den Betrieben fragen, in denen unsere geschädigten Kolleginnen und Kollegen tätig gewesen sind. Darüber hinaus ist von der Verwaltung zu erwarten, dass in der Akte der betroffenen Versicherten auch ein geeignetes Dokument zur durchgeführten Gefährdungsbeurteilung enthalten ist. Denn die nach wie vor bestehenden Unzulänglichkeiten im Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben müssen konkret sichtbar gemacht werden. Wenn nicht von Selbstverwaltungsmitgliedern bei entsprechenden Versicherungsvorgängen, von wem denn dann? Meine überwiegenden Erfahrungen sind die, dass die BG-Verwaltung bei der Behandlung von Unfall- und BK-Verdachtsanzeigenvorgängen immer noch keine wirkungsvolle Prozesssystematik zur nachhaltigen Mängelvermeidung in den Mitgliedsbetrieben etabliert hat. Die Zusammenarbeit zwischen Reha- und Präventionsbereich bei der Bearbeitung von Unfall- und BK-Verdachtsanzeigenvorgängen wird nicht durchgängig und nachhaltig praktiziert, wenn sie denn überhaupt gelebt wird. Es ist eher dem Zufall geschuldet, wenn denn aufgrund einer Renten- oder Widerspruchssausschusssitzung dem Präventionsbereich Informationen über Mängel im betrieblichen Arbeitsschutz zugeführt werden. Die Verwaltung muss von den ehrenamtlichen Renten- und Widerspruchsausschussmitgliedern anhand konkreter Vorgänge angeregt werden, unverzüglich auf die Mitgliedsbetriebe in geeigneter Form einzuwirken. Und genau darüber sind die Vorstandsmitglieder zu informieren. Nur dann kann im Vorstand eine qualifizierte Auseinandersetzung zu den auffälligen Versicherungsvorgängen stattfinden und die Verwaltung zu einer Veränderung ihres Wirkens auf die entsprechenden Mitgliedsbetriebe gedrängt werden. Täte man das systematisch, würde auch eines Tages Nachhaltigkeit zu spüren sein. So bedauerlich es ist, dass die Mehrheit der Vorgänge in den Renten- und Widerspruchsausschüssen nach den geltenden Regeln nicht im Sinne der geschädigten Versicherten entschieden werden kann, umso mehr muss das Präventionswirken durch die BG auf die jeweiligen Mitgliedsbetriebe zur Geltung kommen. Nur so kann für die Zukunft eine wirkungsvolle Schadensvermeidungsstrategie aus den vorliegenden Vorgängen entwickelt werden. Die Konfliktbereitschaft, aber auch die Konfliktfähigkeit unserer eigenen Kolleginnen und Kollegen in der Selbstverwaltung zum Umgang mit den auffälligen Versicherungsvorgängen sowie im Umgang mit der BG-Verwaltung muss allerdings auch verbessert werden. Wir müssen als Vertreterinnen und Vertreter der Versichertenbank in den Gremien der gesetzlichen Unfallversicherung mutiger werden, wenn wir den gegenwärtigen Zustand beklagen. Ich meine: Der Zustand muss verbessert werden, und er kann nur durch uns selbst verändert werden. 70 71 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS TUKU ROY-NIEMEIER ›Hautschutz bei der Arbeit – machen Sie es wie die Profis!‹ – Ein Beispiel für erfolgreichen Wissenstransfer in die Betriebe Am besten: Vorbeugen! Handlungsmöglichkeiten im Betrieb 4 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Im Jahr 2011 wurden im Land Bremen 1118 Berufskrankheiten-Anzeigen gestellt – fast ein Drittel davon, nämlich 345 Fälle, entfielen auf eine berufsbedingte Hauterkrankung (BK 5101). Das Handwerk ist besonders betroffen, denn bei Friseurinnen und Friseuren, bei Beschäftigten im Metall- und Baubereich sowie bei Malern und Lackierern, daneben aber auch bei Reinigungspersonal kommt es am häufigsten zu Hauterkrankungen durch die Arbeit – Grund genug für die Handwerkskammer Bremen, sich für eine gute Prävention einzusetzen. Im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ wurde ein Konzept zur gezielten Ansprache von Bremer Handwerksbetrieben erarbeitet. Gemeinsam mit der Friseurinnung Bremen, dem Landesgewerbearzt Bremen und der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege sollten Friseurbetriebe zur Verbesserung des Arbeitsschutzes, insbesondere des Hautschutzes angesprochen werden. Das Handwerk ist durch eine überwiegend kleinbetriebliche Struktur geprägt. Waren vor zehn Jahren noch bundesweit durchschnittlich acht bis elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Handwerksbetrieb beschäftigt, liegt Bremen aktuell mit ca. 30.000 Beschäftigten im Bundestrend von sechs Mitarbeitern je Betrieb. Das bedeutet, dass relativ wenige Ressourcen für den Arbeitsschutz in den Unternehmen zur Verfügung stehen, auch im Friseurhandwerk. In der Regel sind hier die Betriebsinhaberinnen und -inhaber selber nicht nur die Verantwortlichen, sondern auch die ›Kümmerer‹ in den Betrieben. Für die Berufsgenossenschaft und für die staatliche Gewerbeaufsicht ist es trotz intensiver Tätigkeit kaum zu schaffen, alle 587 Friseurbetriebe im Land Bremen zu besuchen und die Inhaberinnen und Inhaber zu beraten. Deshalb wurde ein besonderer Weg gewählt, den Gesundheitsschutz den Friseurbetrieben zu vermitteln: Die jährlich stattfindende ›Hair Fashion‹, eine von der Bremer Friseurinnung organisierte sehr wichtige Veranstaltung, in der die Jahresbesten des Gewerks gekürt und neue Frisurentrends präsentiert werden, wurde zum Anlass genommen, das Thema‹ Hautschutz‹ so aufzubereiten, dass vorbildliche Regelungen in prominenten Bremer Friseurbetrieben dargestellt wurden. In einer Computer-unterstützten Präsentation stellten drei Friseurmeisterinnen aus dem Vorstand der Bremer Friseurinnung ihre auf den Hautschutz bezogenen Arbeitsschutzmaßnahmen vor und betonten damit den hohen Stellenwert, den der Schutz der Gesundheit für ein professionelles Arbeiten im Handwerk haben muss.48 Diese Präsentation wurde während der Hair Fashion 2012 in Bremen-Vegesack an prominenter Stelle gezeigt. Sie fand sehr großen Anklang und löste Diskussionen und Nachfragen aus, wurde auch der Friseurinnung für die Weitergabe an die Mitgliedsbetriebe zur Verfügung gestellt und bei anderen Veranstaltungen gezeigt. Im Focus stand weniger die Vermittlung von hautschädigenden Prozessen (siehe Faktensammlung) und deren Vermeidungsstrategien, sondern der Impuls, die Prävention in den Friseurbetrieben als selbstverständlichen Bestandteil professioneller Arbeit und einer systematischen Betriebsorganisation umzusetzen und damit gesundheitsbewusstes Verhalten auch als Trend an die Kundschaft zu vermitteln. 72 73 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS ›Gesunde Haut ist mir wichtig, deshalb tragen alle in meinem Salon die richtigen Handschuhe, ob beim Waschen, Färben oder beim Putzen.‹ ›Gesunde Haut ist mir wichtig, im Hautschutzplan habe ich genau festgelegt, welche Handschuhe für welche Tätigkeiten richtig sind, wie die Haut gereinigt und gepflegt werden muss.‹ Salon Rita Höpfner Salon N & G La Mirage de Coiffeur Faktensammlung: Berufsbedingte Hautbelastungen Hautbelastend sind die Arbeitsbedingungen beispielsweise, wenn mit chemischen Substanzen wie Färbemitteln, Stäuben, Säuren oder Laugen oder auch Reinigungsmitteln umgegangen werden muss. Auch Arbeiten in Nässe oder im feuchten Milieu sowie aggressive Materialien wie Lösemittel und Verletzungen durch raue, kantige oder scharfe Werkzeuge und Materialien können die Haut reizen und schädigen. Wenn der Hautschutz bei der Arbeit fehlt oder mangelhaft ist, können sich dann – meist an den Händen – entzündliche, rötliche Hautreaktionen bilden, ein sogenanntes Kontaktekzem. Neun von zehn berufsbedingten Hautkrankheiten sind Kontaktekzeme: ❚ Wenn schädigende Stoffe, beispielsweise Laugen oder Säuren direkt an die Haut gelangen: Toxisches Kontaktekzem ❚ Durch eine oft langjährige Einwirkung von hautschädigenden Substanzen in nicht unmittelbar hautreizender Konzentration: Toxisch-degeneratives Kontaktekzem ❚ Wenn die Haut gegen einen Stoff, beispielsweise Nickel, Chrom oder Epoxidharz im Lauf der Zeit überempfindlich geworden ist und allergisch reagiert: Allergisches Kontaktekzem. In allen Fällen wird die Haut unumkehrbar geschädigt. So entfallen über die Jahre 2008 bis 2011 betrachtet bundesweit durchschnittlich etwa ein Viertel der bei der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege angezeigten Berufskrankheiten der Haut (BK 5101) auf die Friseurbranche.49 Doch nur in den allerwenigsten Fällen wird die Hauterkrankung auch als Berufskrankheit anerkannt. Angenommen, dass wie im Bund etwa ein Viertel der Anzeigen auf Verdacht einer berufsbedingten Hauterkrankung (BK 5101) auf das Friseurhandwerk entfällt, wären im Land Bremen bei 314 Fällen in 2011 etwa 80 Friseurinnen oder Friseure betroffen. Im Jahr 2011 wurde im Land Bremen, bezogen auf die BK 5101, in zwei Fällen eine BK-Rente neu gezahlt, sechs Fälle wurden ohne Zahlung einer BK-Rente anerkannt, in 49 Fällen wurde der BK-Verdacht nicht bestätigt.50 In 174 Fällen wurde er bestätigt, es waren aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, weil die Betroffenen in ihrem Beruf weitergearbeitet hatten: Denn es besteht für einige Berufskrankheiten, so auch bei der BK 5101, eine versicherungsrechtliche Hürde: Nur wenn die verursachende Tätigkeit aufgegeben wird, ist auch die Voraussetzung dafür erfüllt, dass die bestätigte BK anerkannt wird – angesichts ungewisser Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt und für die soziale Absicherung ein sicherlich für die meisten schwerer Schritt. Lediglich unter den genannten 174 Fällen in 2011 weist die Statistik der DGUV für das Land Bremen acht Betroffene aus der Gruppe der Friseure aus, anerkannt oder gar entschädigt wurde hier in dieser Berufsgruppe kein einziger Fall. Wenn die Haut berufsbedingt geschädigt ist, kommt zudem zunächst das sogenannte Hautarztverfahren in Gang: Ein Senida Frisör-Salon von der zuständigen Berufsgenossenschaft gesteuertes und finanziertes Programm, in dem die Betroffenen oft jahrelang beraten und vom Hautarzt behandelt werden. Ziel ist es, dass die Symptome abheilen und die Haut besser geschützt wird. Wenn der Arbeitsund Hautschutz im Betrieb aber nicht zugleich verbessert wird, kommt es möglicherweise zum erneuten Auftreten der Erkrankung, die chronisch werden kann – dann lässt es sich nicht mehr vermeiden, dass der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Wenn die auslösenden Belastungen vermieden werden, können die Symptome abklingen – die Erkrankung an sich kann jedoch nicht wieder ungeschehen gemacht werden. Die Betroffenen müssen lernen, mit der geschädigten Haut zu leben, was neben allen körperlichen Beschwerden auch eine erhebliche seelische Belastung darstellen kann. Denn die Haut und die Hände sind für unsere Wirkung auf andere, für den Kontakt mit anderen Menschen und für das Selbstgefühl prägend. Dazu kommt der Druck, eine andere Qualifikation zu 74 75 BERUFSKR ANKHEITEN erwerben und einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Den Wunsch- oder Traumberuf aufzugeben, fällt nicht leicht, auch wenn dies im Fall einer Berufskrankheit von der Berufsgenossenschaft finanziert und begleitet wird. Deshalb ist eine zielgerichtete Prävention unverzichtbar – der Arbeitsschutz im Betrieb muss funktionieren, damit es nicht zu chronischen Hauterkrankungen kommt. Ausgehend von einer systematischen Gefährdungsbeurteilung müssen die erforderlichen Schutzmaßnahmen ermittelt werden. Diese stehen in einer Rangfolge, wie vom Arbeitsschutzgesetz vorgegeben, und die Gefahren sind an der Quelle anzugehen: Zunächst kommen technische und organisatorische Maßnahmen in Betracht: Beispielsweise indem mit nicht oder mit weniger belastenden Stoffen und Verfahren gearbeitet wird. Wenn die technischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind oder nicht ausreichen, kommen personenbezogene Maßnahmen, wie Schutzhandschuhe und Hautschutzmittel zum Einsatz. Je nach den vorliegenden Gefährdungen muss auch eine regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorge durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung und die Schutzmaßnahmen sind zu dokumentieren, und die betroffenen Beschäftigten müssen darüber unterrichtet werden, welche Gefährdungen bei ihrer Arbeit bestehen und wie sie dagegen geschützt werden: ❚ Benutzung von Einmalhandschuhen mit ausreichend langer Stulpe zum Haare waschen (z. B. aus Vinyl oder Nitril), um das Hineineinlaufen von Wasser in den Handschuh zu verhindern ❚ Verwendung von Einmalhandschuhen (z. B. aus Vinyl- oder Nitrilkautschuk) zum Haare schneiden, Auftragen von Chemikalien bzw. Kosmetika oder Finish-Produkten etc. ❚ Verwendung von chemikalienfesten Haushaltshandschuhen (z. B. aus PVC oder Nitrilkautschuk) für Reinigungsarbeiten im Salon (auch im häuslichen Bereich) PR AXIS ❚ Zur Reduktion des Schwitzens/ Okklusionseffektes Verwendung von nahtfreien Baumwollunterziehhandschuhen bei längeren Handschuhtragezeiten, Wechsel spätestens bei beginnender Durchfeuchtung ❚ Anwendung von Hautschutzmittel zur Reduktion des Schwitzens/ Okklusionseffektes unter Handschuhen, möglichst duftund konservierungsstofffrei ❚ Regelmäßige Hautpflege (auch während der Arbeit) mit einem möglichst duft- und konservierungsstofffreien Produkt ❚ Händereinigung (wenn nötig, möglichst selten) mit pH-hautneutralen, seifenfreien, duft- und konservierungsstofffreien Produkten. Die im Arbeitsschutz erforderlichen Fachkenntnisse muss der Arbeitgeber nicht selbst beherrschen, sondern er kann sich fachkundig unterstützen lassen. Dabei kann er den Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit heranziehen. Aber auch die zuständige Berufsgenossenschaft und die staatliche Gewerbeaufsicht können beim Arbeitsschutz unterstützen. Die Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzberatung der Handwerkskammer Bremen berät ihre Mitgliedsbetriebe über die gesetzlichen Vorgaben und Möglichkeiten, die sich hieraus ergeben. In vielen Betrieben ist es beispielsweise durchaus sinnvoll, dass die Betriebsinhaber sich selber mit Hilfe der Berufsgenossenschaft schulen lassen, um den notwendigen Aufgaben des Gesundheitsschutzes nachzukommen. HENNING WRIEDT Wie können Berufskrankheiten-Verfahren für eine bessere Prävention genutzt werden? Im Mittelpunkt von BerufskrankheitenVerfahren stehen stets die Frage der Anerkennung eines Gesundheitsschadens einer oder eines Beschäftigten als arbeitsbedingt und die Entschädigung des Schadens. Nicht ausgeblendet werden sollte jedoch die untrennbar mit dem Verfahren verknüpfte Frage, ob der betriebliche Arbeitsschutz, mit dem einer Berufskrankheit (BK) vorgebeugt werden sollte, ausreichend und wirksam war. Ein BKVerfahren kann immer auch als Anhaltspunkt dafür angesehen werden, dass der betriebliche Arbeitsschutz Mängel aufweisen könnte. Deshalb sollte es in einem wirkungsvoll organisierten Arbeitsschutzsystem für die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger und der Länder eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, bereits die Einleitung eines BK-Verfahrens zum Anlass zu nehmen um zu prüfen, ob der betriebliche Arbeitsschutz in den von dem Verfahren betroffenen Betrieben ausreichend und wirksam ist oder ob er möglicherweise Mängel aufweist. Ausgehend von diesem Gedanken wird im folgenden Beitrag zwei Fragen nachgegangen: ❚ Werden BK-Verfahren ausreichend für die Verbesserung der betrieblichen Prävention genutzt? ❚ (Wie) lassen sich BK-Verfahren nutzen, um die betriebliche Prävention zu verbessern? Angesichts der Entwicklungen der vergangenen zwanzig Jahre wird die erste Frage mit einem ›sicherlich nicht‹ zu beantworten sein. Auf staatlicher Seite sind die Kapazitäten der Arbeitsschutzbehörden drastisch reduziert worden, während auf Seiten der UV-Träger eine Schwerpunktverschiebung von der Kontrolle hin zur Beratung vorgenommen worden ist, ohne dass sich erkennen lässt, wie Beratung und Kontrolle miteinander verzahnt werden, damit Beratung nicht unverbindlich und folgenlos bleibt. Verschärfend kommt hinzu, dass es noch immer keine abgestimmte Strategie zwischen UV-Trägern und staatlichen Aufsichtsdiensten gibt mit der sichergestellt wird, dass letztere betriebsbezogen über BK-Ermittlungsverfahren informiert werden, geschweige denn dass ihre eigenständigen Erkenntnisse über die betrieblichen Gegebenheiten systematisch in die BK-Verfahren einbezogen werden. Zwar ist das Thema ›Datenaustausch‹ auch Gegenstand der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), doch haben hier institutionelle Blockaden bisher erkennbare Fortschritte behindert. Von Fachleuten der Bundesländer wird kritisiert, dass einige UVTräger datenschutzrechtliche Bedenken geltend machen, die aus Ländersicht nicht nachvollziehbar sind, da es sich bei den fraglichen Informationen nicht um personenbezogene Daten handelt. Vielmehr geht es um die Identifizierung von Betrieben, in denen Ermittlungen im Rahmen eines BK-Verfahrens angestellt werden. Wie kann die als Teil der GDA gesetzlich vorgegebene Festlegung eines abgestimmten Vorgehens der für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden und der UV-Träger bei der Beratung und Überwachung der Betriebe, wie in § 20 a Abs. 2 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) beschrieben, realisiert werden, wenn selbst über eine derart elementare Frage auch nach fünf Jahren noch keine Verständigung erzielt worden ist? Selbst in den Bundesländern, in denen die Staatlichen Gewerbeärzte noch über Arbeitskapazitäten verfügen, um sich über die Ermittlungsergebnisse von BK-Verfahren informieren zu lassen, ist damit keineswegs gewährleistet, dass die in den Verfahren gewonnenen Ermittlungsergebnisse den staatlichen Aufsichtsdiensten zugänglich gemacht werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Aufsichtsdienste der Länder gegenwärtig 76 77 BERUFSKR ANKHEITEN die Möglichkeit erhalten, BK-Verfahren systematisch als Anknüpfungspunkte für eine gezielte Identifizierung betrieblicher Arbeitsschutzdefizite zu nutzen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz über die Grundsätze für eine risikoorientierte Überwachung einschließlich eines einheitlichen Beschwerdemanagements ist dies erst recht nicht nachvollziehbar, da jede BK-Verdachtsanzeige als eine implizite Beschwerde anzusehen ist und sie deshalb von den Arbeitsschutzverwaltungen der Länder registriert und entsprechend behandelt werden sollte. Wie sieht es nun bei den Aufsichtsdiensten der verschiedenen UV-Träger aus? Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus der Selbstverwaltung lassen zwar erkennen, dass in einigen Unfallversicherungen BK-Verfahren durchaus zum Anlass genommen werden, um einen genaueren Blick darauf zu werfen, ob der betriebliche Arbeitsschutz in den jeweiligen Betrieben Mängel aufweist. Beispielsweise gibt es im Bereich der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medien- PR AXIS erzeugnisse (BG ETEM) seit mehreren Jahren eine interne Dienstanweisung über das Zusammenwirken von Bezirksverwaltungen und Präventionsabteilung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Es ist aber nicht zu erkennen, dass die Verzahnung von BK-Verfahren und Überprüfung des betrieblichen Arbeitsschutzes Praxis der Mehrheit, geschweige denn aller UV-Träger ist. Lediglich für zwei Berufskrankheiten (BK 2301 Lärmschwerhörigkeit und BK 5101 berufsbedingte Hauterkrankung) gibt es seitens der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) festgelegte Verfahren, um die Präventionsabteilungen mit einzubinden. Im Folgenden wird an zwei aktuellen Beratungsprozessen der Hamburger Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit beispielhaft illustriert, welche Unterschiede seitens der UV-Träger bei der Nutzung von BK-Verfahren für die Verbesserung der Prävention bestehen. Lungenfibrose eines Schweißers Als Teil der BK-Anzeige, die der erkrankte Kollege selber gestellt hat, sind der zuständigen Berufsgenossenschaft medizinische Diagnosen übermittelt worden, in denen eindeutig der ›Verdacht auf Lungenfibrose, Schweißerlunge‹ formuliert war. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurde dieser Verdacht durch zusätzlich übermittelte medizinische Unterlagen erhärtet. Aus dem Anhörungsbogen des erkrankten Schweißers ging zudem hervor, dass er seit 35 Jahren täglich etwa neun Stunden Schweißarbeiten ausgeführt hatte. Im Anhörungsbogen des Unternehmens war ergänzend angegeben, dass zu keinem Zeitpunkt betriebliche Messungen der Schweißrauchbelastungen durchgeführt worden waren. Ausgestattet mit diesem Vorwissen hatte die Technische Aufsichtsperson der BG die Arbeitsplatzexposition zu ermitteln. Die durchgeführte Ermittlung beschränkte sich ausschließlich auf ein persönliches Gespräch mit dem Schweißer. Weder fand eine Besichtigung des durchaus noch vorhandenen Arbeits- platzes in der Schweißerei statt, in der mehr als 30 Schweißer arbeiten, noch wurde Einsicht in die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung des Unternehmens genommen oder gar Arbeitsplatzmessungen veranlasst. Ohne vor Ort gewesen zu sein, unterstellte die Aufsichtsperson, dass alle Schweißarbeitsplätze abgesaugt seien, und kam so zu der durch keine Tatsachen gestützten Beurteilung, dass ›von Grenzwerteinhaltungen‹ ausgegangen werden könne. Gestützt auf diese Bewertung wurde im Feststellungsverfahren die Anerkennung der Lungenfibrose, die im von der BG beauftragten medizinischen Gutachten als Siderofibrose/Schweißerlunge ausgewiesen wird, als Berufskrankheit (BK 4115) abgelehnt, da die erforderlichen ›arbeitstechnischen Voraussetzungen‹ nicht gegeben seien. Das Augenmerk soll hier nicht auf die Folgen der völlig inakzeptablen Expositionsermittlung für das BK-Verfahren selber und damit für den erkrankten Kollegen gelenkt werden, da eine Korrektur der Entscheidung im Widerspruchsverfahren durchaus möglich erscheint – 78 79 BERUFSKR ANKHEITEN trotz der extrem hohen Belastungsanforderung für die Anerkennung einer BK 4115. Vielmehr sollen die – unterbliebenen – Konsequenzen für die Prävention und damit für die weiterhin unter unzureichenden Arbeitsschutzbedingungen arbeitenden übrigen Kollegen in den Blick genommen werden: Bereits die Aktenlage (Selbstauskunft des Unternehmens: keine Expositionsmessungen) weist auf Arbeitsschutzdefizite hin. Dies hat der erkrankte Schweißer im Gespräch mit der Beratungsstelle bestätigt (nicht vorhandene Arbeitsplatzabsaugungen, nur zeitweilig genutzte Hallenlüftung). Eine Besichtigung bzw. eine Revision des Betriebes hätte eine Selbstverständlichkeit für die BG sein müssen, nähme sie ihren Präventionsauftrag nach § 1 SGB VII ernst – arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln zu verhindern. Das Unterlassen einer Intervention in dem Betrieb seitens des Aufsichtsdienstes der BG kann deshalb nur als grobe Pflichtverletzung und als billigende Inkaufnahme der Schädigung der Gesundheit der übrigen Schweißer bewertet werden. Weißfinger-Krankheit durch Reparaturarbeiten an Bussen und Bahnen Angestoßen durch eine Beratungsanfrage mehrerer Kollegen, die offensichtlich unter Gelenkerkrankungen der Hände bzw. einer beginnenden WeißfingerKrankheit leiden (BK 2103 und BK 2104), ist die Beratungsstelle vor kurzem auf eine Gesundheitsgefährdung gestoßen, die seit mehreren Jahren an speziellen Arbeitsplätzen auftritt und mit der sich bereits seit etwa 2009 Fachleute der UV-Träger intensiv befassen. Ursächlich für die Erkrankungen im Bereich der Hände sind Schwingungsbelastungen bei der Benutzung spezieller Werkzeuge, sogenannter Oszillationsmesser (oder Vibrationsmesser), mit denen eingeklebte Scheiben bei der Reparatur von Bussen und Bahnen gelöst werden. Nachdem erstmals 2008 mehrere Anzeigen auf Verdacht einer solchen Berufskrankheit von Beschäftigten eines Betriebes angezeigt worden waren, ist die betreffende Berufsgenossenschaft – die ehemalige BG Bahnen, die jetzt Teil PR AXIS der Verwaltungs-BG (VBG) ist – gemeinsam mit dem Institut für Arbeitssicherheit (IFA) der DGUV aktiv geworden und hat Vibrationsmessungen an den betreffenden Arbeitsplätzen vorgenommen. Die Ergebnisse zeigten erschreckend hohe Schwingungsbelastungen im Bereich der Hände. Sie wurden daraufhin 2010 im Rahmen einer IFA-Veröffentlichung (›Aus der Arbeit des IFA‹) unter dem Titel ›Hand-Arm-Vibration: Gefährdungsanalyse von Oszillationsmessern‹ publiziert. Ebenfalls zu diesem Thema erschien im selben Jahr ein Beitrag in der Zeitschrift ›ÖPNV / Bahnen – das warnkreuz. Sicherheitsreport Spezial der VBG‹ unter dem Titel ›Gesundheitsschutz: Auf Messers Schneide‹, in dem Tipps für einen schonenden Umgang bei der Verwendung von Schneidemaschinen gegeben werden. Damit war das Thema für die damit befassten Fachleute der UV-Träger aber nicht beendet, zumal weitere BK-Anzeigen aus anderen Bus-Reparaturbetrieben aufliefen. Dadurch wurde auch deutlich, dass in den betroffenen Betrieben die Gefährdungsbeurteilung in Bezug auf Tätigkeiten mit Schwingungsbelastungen vielfach mangelhaft war. Seitdem sucht die Projektgruppe nach technischen und organisatorischen Lösungen, um derartige Belastungen zu reduzieren oder durch Verwendung anderer Werkzeuge vollständig zu eliminieren. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist 2012 in einem weiteren Artikel in ›ÖPNV/Bahnen – das warnkreuz‹ unter dem Titel ›Schwer auf Draht: Schneidedrahtsysteme minimieren Vibrationsbelastung‹ vorgestellt worden. Ziel der Arbeiten der Projektgruppe ist die Herausgabe einer umfassenden Handlungsanleitung für den gesundheitsschonenden Ausbau eingeklebter Scheiben. Dem Gesundheitsproblem liegt eine konstruktive Veränderung an Bussen und Bahnen seit etwa den neunziger Jahren zugrunde: Für die immer größer – und damit gleichzeitig schwerer – werdenden Scheiben, speziell die Frontscheiben von Bussen, reichten die früher verwendeten Gummidichtungen für eine stabile Befestigung nicht mehr aus. Stattdessen wurden die Scheiben nun einge- klebt. Damit entstand beim Ausbau der Scheiben ein Arbeitsschutzproblem, das allerdings erst Jahre später in Erscheinung trat, als Reparaturen an den Bussen anfielen. Eine Methode zur Zerstörung der Klebung war die Verwendung eines erhitzten Drahtes. Hierbei entstanden jedoch thermische Zersetzungsprodukte des Klebers. Handelte es sich um einen Kleber auf Polyurethan-Basis, konnten sich dabei durchaus Isocyanate bilden, die nicht nur stark atemwegsreizend sind, sondern auch allergisches Asthma verursachen können. Als Alternative zur Vermeidung einer Gefahrstoffbelastung kamen dann Oszillationsmesser zum Einsatz. Müssen nur gelegentlich Scheiben ausgewechselt werden und wird daher das Werkzeug nur sporadisch verwendet, besteht keine sehr hohe Gefährdung – die Messungen des IFA zeigen, dass der untere Auslösewert für die tägliche Belastung gemäß Lärm- und VibrationsArbeitsschutzverordnung nach sechs Minuten, der obere Auslösewert nach weniger als 30 Minuten überschritten sein kann. Gesundheitsschäden sind dann zu erwarten, wenn die belastenden Tätigkeiten häufig verrichtet werden und die Auslösewerte regelmäßig überschritten werden. Dies ist nach den Beobachtungen der Fachleute vor allem dort der Fall, wo die Reparaturarbeiten in Zentralwerkstätten durchgeführt werden oder einige Beschäftigte auf das Auswechseln der Scheiben spezialisiert sind. Die Aktivitäten der UV-Experten haben auch dazu geführt, dass einige Hersteller von Bussen und Bahnen inzwischen konstruktive Änderungen an ihren Fahrzeugen vorgenommen haben, die einen gesundheitsschonenderen Ausbau der Scheiben ermöglichen sollen. Allerdings weisen die Experten auch darauf hin, dass das Lösen eingeklebter Scheiben nicht die einzige Tätigkeit ist, bei der durch den Einsatz von Spezialwerkzeugen erhöhte Schwingungsbelastungen auftreten. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Verwendung von Karosseriesägen zum Entfernen von Plastik-Beplankungen an Bussen, aber auch im Bau-Bereich bei der Verwendung von Oszillationsmessern zum Lösen geklebter Fußbodenbeläge. Aus Schaden klug? Die beiden Beispiele werfen nicht nur ein Schlaglicht auf das unterschiedliche Handeln verschiedener UV-Träger, sondern liefern auch unmittelbare Anhaltspunkte für die Beantwortung der zweiten Eingangsfrage: Wie lassen sich BKVerfahren nutzen, um die betriebliche Prävention zu verbessern? Im Fall der Belastung an den Schweißarbeitsplätzen hätte seitens der Berufsgenossenschaft nicht nur die für das BK-Verfahren zwingend erforderliche fachgerechte Ermittlung der Schweißrauchexposition vorgenommen werden müssen, sondern zum unmittelbaren Schutz der anderen dort Beschäftigten hätte zudem und unabhängig vom Ausgang des BK-Verfahrens das Vorhandensein einer Gefährdungsbeurteilung bzw. deren Angemessenheit überprüft werden müssen. Darüber hinaus hätte der Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft die staatliche Gewerbeaufsicht informieren und ein koordiniertes Vorgehen abstimmen müssen. Im Fall der Belastung beim Auswechseln von Fensterscheiben an Bussen und Bahnen liegt ein betriebsübergreifendes Problem vor, das vergleichbare Tätigkeiten in allen Betrieben der entsprechenden Branchen betrifft. Es ist als beispielhaft zu begrüßen, dass das Problem unmittelbar nach Eingang der ersten BK-Anzeigen analysiert worden ist, die gewonnenen Erkenntnisse umgehend kommuniziert worden sind und an einer nachhaltigen Lösung des Problems gearbeitet wird. Allerdings verbleibt ein Wermutstropfen: Es wäre auch wünschenswert gewesen, wenn diese Erkenntnisse zusätzlich gezielt und zeitnah an die Aufsichtsdienste aller möglicherweise betroffenen UV-Träger herangetragen worden wären um diese so in die Lage zu versetzen, das Problem in den Katalog ihrer aktuellen betrieblichen Aktivitäten aufzunehmen. So hätten die zwei Jahre seit der Identifizierung des Problems ebenfalls dazu genutzt werden können, betroffene Betriebe systematisch zu identifizieren, 80 81 BERUFSKR ANKHEITEN sie auf das Problem hinzuweisen und, bei Interesse, in die Suche nach Lösungen für die betroffenen Tätigkeiten einzubeziehen. In diesem Fall wäre ebenfalls eine umgehende Information der Gewerbeaufsichten aller Bundesländer angezeigt gewesen. Beide Fälle illustrieren, dass etliche BK-Verfahren ein spezifisches Präventionspotential aufweisen, das unbedingt für Verbesserungen des Arbeitschutzes genutzt werden sollte. Andere BK-Verfahren, bei denen ein solches spezifisches Präventionspotential nicht vorhanden ist, können dennoch ein allgemeines Präventionspotential aufweisen, sofern der Betrieb noch existiert, in dem die im Rahmen des BK-Verfahrens untersuchten Belastungen aufgetreten sind. Selbst wenn die betreffenden Arbeitsplätze nicht mehr oder nicht mehr in derselben Form wie zu der für das BK-Verfahren maßgeblichen Zeit bestehen, sollten Arbeitsschutzdefizite, die für die damalige Zeit festgestellt worden sind, gleichwohl als Hinweis auf mögliche heutige Unzulänglichkeiten angesehen werden, völlig unabhängig davon, ob das BK-Verfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit geführt hat oder nicht. Wies der Arbeitsschutz in der Vergangenheit Mängel auf, dann sollte unbedingt geprüft werden, ob sie inzwischen konsequent behoben worden sind. Konkret sollten also nicht nur gegenwärtige Mängel, sondern auch solche der Vergangenheit die Aufsichtsdienste veranlassen, sowohl einen genauen Blick auf die aktuelle betriebliche Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG zu werfen als sich auch erläutern zu lassen, wie die in § 3 (2) ArbSchG geforderte ›geeignete Organisation‹ des Arbeitsschutzes betrieblich realisiert ist. PR AXIS Nachtrag Der Diskussion des Entwurfs dieses Beitrages mit Kollegen verdanke ich einen Hinweis auf ein Projekt der – damaligen – Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt am Main, über das 2004 in der Zeitschrift ›Die BG‹ berichtet worden ist51. Mit dem Projekt wurde die Nutzung von BK-Anzeigen für die Prävention angestrebt – sowohl für die oder den Erkrankten und somit für den Arbeitsplatz, wie auch für den Gesamtbetrieb sowie, falls möglich, für die Branche insgesamt. Begrenzt war das Projekt auf angezeigte Haut- und obstruktive Atemwegserkrankungen (BK-Nr. 5101 sowie 4301 und 4302). Die in dem Aufsatz zitierten Grundsätze wie auch die Vorgehensweise klingen vorbildlich und verdienten es, wieder in Erinnerung gerufen zu werden. Heute, mehr als acht Jahre später, drängt sich fast zwangsläufig die Frage auf, ob das Projekt zu einem Erfolgsmodell geworden und weiter verstetigt worden ist und seit dem Zusammenschluss der Bau-BGen zur BG Bau deutschlandweit zur Anwendung kommt? In einem Gespräch hat jetzt ein Kollege der BG Bau auf den seinerzeit noch nicht vorhergesehenen Fusionsprozess der Bau-BGen hingewiesen, durch den der Ansatz ausgebremst worden ist. Wäre es jetzt nicht allmählich an der Zeit den Stillstand zu überwinden, die damaligen Ideen neu zu beleben – nicht nur innerhalb der BG Bau, sondern flächendeckend auf Ebene der DGUV, und dabei den Ansatz gleichzeitig auf weitere Listen-Berufskrankheiten auszudehnen? Der Autor dieses Beitrages ist auf die Antwort der Verantwortlichen in der BG Bau wie in der DGUV sehr gespannt. FRANK HITTMANN Arbeitsmedizinische Vorsorge Geschichtliches Zu den ältesten Dokumenten, die beim Landesgewerbearzt Bremen vorliegen, zählen Regeln über die Durchführung von Überwachungsuntersuchungen bei Arbeitern in der Bleiverarbeitung. Die ›Verordnung über die Einrichtung und den Betrieb von Anlagen zur Herstellung von Bleifarben und anderen Bleiverbindungen‹ vom 31. Januar 1920 gibt wichtige Arbeitsschutzmaßnahmen vor, darunter auch eine Überwachungsuntersuchung der Arbeiter. Diese ärztliche Überwachungsuntersuchung soll Anzeichen einer Bleivergiftung bei den Arbeitern aufdecken. ›Der Arzt muss jeden Arbeiter vor der Einstellung untersuchen und ihn dabei über die Gefahren der Bleierkrankung belehren‹. Darüber hinaus gibt die Verordnung regelmäßige Untersuchungen der Arbeiter im Betrieb vor (vierteljährlich oder häufiger). Finden sich ›Anzeichen einer Bleierkrankung‹, so ist ein Beschäftigungsverbot bis zur ›völligen Genesung‹ auszusprechen, besonders empfindliche Arbeiter sollen dauernd von der Beschäftigung ausgeschlossen werden. Im überblickbaren Zeitraum hat es aber auch andere Denkweisen zum Thema Untersuchungen gegeben, ein prominenter Vertreter in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war Gunther Lehmann52. Mit dem Schlagwort ›Den rechten Mann an den rechten Platz‹ beschreibt er eine Auslese bei den Arbeitern durch Eignungsprüfungen nach rein körperlichen Gesichtspunkten und geistigen Qualitäten. ›Menschenmaterial‹ wird typisiert, um ›aus einem gegebenen Material eine Auslese zu treffen.‹ Und zur vom Arzt getroffenen Beurteilung; ›Es handelt sich stets um das Aussieben von Minderwertigen‹. Dieses Vorgehen ist damals wie heute nicht hinnehmbar und ist keine arbeitsmedizinische Vorsorge, arbeitsmedizinische Vorsorge soll den Beschäftigten dienen und nicht in menschenverachtender Weise ›olympiareife‹ Belegschaften‹ aussieben. Allerdings ist die Idee der Auslese auch später noch vertreten worden, so schreibt Holstein noch 194853 zu den Blei-Überwachungsuntersuchungen, ›Alkoholiker, Arteriosklerotiker, Syphilitische, Nierenkranke sowie Tuberkulöse und Schwächliche … sind von der Bleiarbeit auszuschließen‹ dagegen dürften ›Schrumpfnierenkranke und Arbeiter mit beginnender chronischer Enzephalopathie54 … soweit möglich an ihrem Arbeitsplatz belassen werden, da eine Heilung nicht zu erwarten ist …‹. Blei tritt als Gefahrstoff am Arbeitsplatz auch heute noch auf, z. B. als ›Bleimennige‹ an Stahlkonstruktionen. Wenn die Beschichtung an Brücken oder Leitungsmasten erneuert werden muss, kann eine erhebliche Einwirkung auf die Beschäftigten bestehen, was regelmäßige Untersuchungen und ein Monitoring der Bleikonzentration im Blut erforderlich werden lässt. Moderne arbeitsmedizinische Vorsorge Was ist aus dieser Rückschau abzuleiten? Die Zeit der Überwachungsuntersuchungen mit der Auslesewirkung sollte Geschichte sein und bleiben. Sie hat mit Sicherheit zu vielfältigen Benachteiligungen geführt und ist einer demokratisch verfassten freiheitlichen Gesellschaft unwürdig. Die Arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung55 (ArbmedVV) fordert keine gesundheitliche Eignung und legt die Entscheidung, welches gesundheitliche Risiko eingegangen wird in die Hand der Beschäftigten selbst. Die arbeitsmedizinische Vorsorge kann aus einer Anamnese und einer arbeitsmedizinischen Beratung bestehen. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit ist nur in anderen Rechtsvorschriften (Druckluftverordnung, Bergrecht, Strahlenschutz) 82 83 BERUFSKR ANKHEITEN gefordert. Moderne arbeitsmedizinische Vorsorge soll die Beschäftigten im Hinblick auf die Gefahren am Arbeitsplatz so früh wie möglich beraten und – wenn die Untersuchung nach arbeitsmedizinischer Meinung erforderlich ist und nicht durch die Beschäftigten abgelehnt wird – erste Regelabweichungen vom Gesundheitszustand aufdecken, mit dem Ziel, eine ernsthafte Erkrankung gar nicht erst entstehen zu lassen. Hierzu wird in erster Linie der Arbeitsplatz sicher gestaltet, auch im Interesse der anderen dort Beschäftigten. Erst wenn dieses nicht gelingt, ist durch den Arbeitgeber ein anderer Arbeitsplatz zu suchen, bei dem keine Gesundheitsgefahren bestehen. Die Kündigung der oder des Beschäftigten ist nicht Ziel der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Aus dem Regelwerk folgt auch, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge nicht an erster Stelle steht, sie zählt zu den ›individuellen Schutzmaßnahmen‹. Vorrangig sind die Arbeitsplätze so zu gestalten, dass gesundheitliche Risiken nicht oder nur in geringem Maße bestehen – so verlangt es § 4 Arbeitsschutzgesetz.56 Die Notwendigkeit der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen (§ 5 Arbeitsschutzgesetz) durch den Arbeitgeber mit zu prüfen. Die praktische Durchführung ist mit dem Betriebsarzt zu vereinbaren, bzw. bei Betrieben, die an der ›Alternativen Betreuung‹ teilnehmen, ist ein entsprechender Auftrag durch den Arbeitgeber zu erteilen. Weitergehende Regelungen finden sich in der DGUV Vorschrift 2.57 Auch die arbeitsmedizinische Beratung der Beschäftigten auf kollektiver Ebene ist bei der Gefährdungsbeurteilung festzulegen. Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Bleiarbeitern findet sich – mit verfeinerten Untersuchungsmethoden – auch im aktuellen Regelwerk der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Durch Bestimmung der Bleikonzentration im Blut kann allerdings eine bedenkliche Aufnahme von Blei in den Körper der Beschäftigten so frühzeitig erkannt werden, dass Krankheitszeichen nicht abgewartet werden müssen. Ähnliche Untersuchungen gibt es für viele andere Stoffe. Sind aus ärztlicher Sicht bessere Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz erforderlich, sind diese an den Arbeitgeber mitzuteilen (§ 6 Absatz 4 ArbmedVV). Bevor die Beschäftig- PR AXIS ten ihren Arbeitsplatz wechseln oder gar verlieren, muss der Arbeitgeber seine Gefährdungsbeurteilung überprüfen und unverzüglich die erforderlichen zusätzlichen Schutzmaßnahmen treffen (§ 8 ArbmedVV). Kann die Tätigkeit auch nicht mit erweiterten Schutzmaßnahmen fortgesetzt werden, muss der Arbeitgeber dem oder der Beschäftigten eine andere Tätigkeit zuweisen. Nur bei individuellen Risiken, die einen Tätigkeitswechsel erfordern, muss der/die Beschäftigte der ärztlichen Mitteilung an den Arbeitgeber zustimmen. Bei diesen Fragen ist der Betriebs- oder Personalrat zu beteiligen. Benachteiligungen wegen individueller Risiken sind weitgehend zu vermeiden Rechtliche Regelung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Durch die bereits zitierte Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbmedVV) wurden im Jahr 2008 verschiedene staatliche und berufsgenossenschaftliche Vorschriften zu einem einheitlichen Regelwerk zusammengefasst. Regelungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge finden sich aktuell aber auch in weiteren Rechtsvorschriften: ❚ Arbeitszeitgesetz58 § 6 Absatz 2 ❚ Strahlenschutzverordnung59 § 60 ❚ Röntgenverordnung60 § 37 ❚ GesundheitsschutzBergverordnung61 § 2 ❚ Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit62 § 3 Absatz 1 Nummer 2 Die Regelungen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge An dieser Stelle sollen die Regelungen der ArbmedVV näher erläutert werden. Danach besteht arbeitsmedizinische Vorsorge verpflichtend aus Anamnese und Beratung. Eine Untersuchung ist nur dann geboten, wenn sie aus ärztlicher Sicht erforderlich ist und die Beschäftigten nicht widersprechen. Die Vorsorge wird unterschieden in ❚ Pflichtvorsorge – nur Untersuchte dürfen beschäftigt werden ❚ Angebotsvorsorge – das Angebot muss von den Beschäftigten nicht angenommen werden ❚ Wunschvorsorge – die Beschäftigten haben einen Anspruch nach § 11 Arbeitsschutzgesetz63, es sei denn ›auf Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen ist nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen.‹ dieses Biomonitoring im § 6 Absatz 2 ein, jedoch nicht gegen den Willen der Beschäftigten. Weitergehende Hinweise bietet das Technische Regelwerk.65 nach dem Zeitpunkt 1. Arbeitsmedizinische Vorsorge vor Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit 2. Arbeitsmedizinische Vorsorge während einer bestimmten Tätigkeit oder anlässlich ihrer Beendigung 3. Arbeitsmedizinische Vorsorge nach Beendigung bestimmter Tätigkeiten, bei denen nach längeren Latenzzeiten Gesundheitsstörungen auftreten können. Zur Wahrung der Fachkunde bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge dürfen nur Ärztinnen oder Ärzte mit der Zusatzbezeichnung ›Betriebsmedizin‹ oder mit der Facharztbezeichnung ›Arbeitsmedizin‹ beauftragt werden; bei Tropenaufenthalten ausnahmsweise eine Ärztin oder ein Arzt für Tropenmedizin. Die Ärztinnen oder Ärzte sind verpflichtet, sich Kenntnisse über den individuellen Arbeitsplatz zu verschaffen, bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge und Untersuchung bestimmte Regeln einzuhalten, die Untersuchungsunterlagen auszuwerten und die Untersuchungsergebnisse schriftlich zu fixieren. Zur Beweissicherung, z. B. für spätere Berufskrankheitenfragestellungen sind die Unterlagen aufzubewahren, für bestimmte Untersuchungen bis zu 40 Jahren66. Die Ärztin/der Arzt findet für den Untersuchungsgang eine Hilfestellung bei den DGUV Grundsätzen für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen67. Mit den Nummern G 25 und G 41 enthält diese Sammlung allerdings auch zwei Untersuchungsgrundsätze, die Eignungsuntersuchungen betreffen und deshalb nicht den Regelungen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge unterliegen. Pflicht- und Angebotsvorsorge sind durch den Arbeitgeber vor und während der Tätigkeit zu veranlassen. Sie sollen während der Arbeitszeit erfolgen. Zum Nachweis ist eine Vorsorgekartei zu führen. Eine körperliche Untersuchung ist nicht immer erforderlich, je nach Situation am Arbeitsplatz kann auch eine Beratung ausreichen. Bescheinigungen für den Arbeitgeber über die erfolgte Teilnahme werden ohne Befund ausgestellt. Bei Angebotsvorsorge wird eine Bescheinigung lediglich an die Beschäftigten gegeben. Eine Anleitung, wie Vorsorge angeboten werden kann, bietet eine Arbeitsmedizinische Regel64, wichtig ist, dass die Beschäftigten keine Nachteile durch Teilnahme oder Nichtteilnahme erleiden dürfen. Biomonitoring: Wann und warum soll es erfolgen? Schon am Beispiel der Bleiuntersuchungen war der Hinweis auf die Bestimmung des Gefahrstoffes im Blut erfolgt. Ein solches ›Biomonitoring‹ ist für viele andere Stoffe und Reaktionsprodukte im menschlichen Körper ebenfalls möglich. Es kann eine schädliche Einwirkung schon dann aufzeigen, wenn Krankheitszeichen noch nicht erkennbar sind – zum Nutzen für einzelne Beschäftigte. Es kann aber auch einen grundsätzlichen Verbesserungsbedarf für den Arbeitsschutz aufzeigen – zum Nutzen für alle Beschäftigten, die von der Einwirkung betroffen sind. Die ArbmedVV fordert Welcher Arzt / welche Ärztin darf die Vorsorge durchführen? Wann ist eine Pflichtoder Angebotsuntersuchung erforderlich? Wann arbeitsmedizinische Vorsorge stattfinden muss, findet sich im Anhang der Verordnung, gegliedert nach Tätigkeiten mit ❚ Gefahrstoffen ❚ biologischen Arbeitsstoffen ❚ physikalischen Einwirkungen ❚ sonstige. Achtung! § 5 Abs. 2 der ArbmedVV verlangt eine Angebotsuntersuchung auch bei einem aktuellen beruflichen Erkrankungsrisiko. 84 85 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS nen Betrieben große Defizite bestehen – ist anzunehmen, dass insbesondere in kleinen Betrieben auch die Arbeitsmedizinische Vorsorge nicht bedacht wird. Lücken werden auch durch eigene Beobachtungen bei der Aufsichtstätigkeit deutlich. Offensichtlich besteht bei der Vorsorge durch Betriebs-ärzte ein mehrschichtiges Bild – in Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitgeber. Bei großen Arbeitgebern wird über die vorgeschriebene Arbeitsmedizinische Vorsorge hinaus vielfach eine allgemeine Vorsorgeuntersuchung angeboten. Wird dabei eine behandlungsbedürftige Gesundheitsstörung aufgedeckt, erfolgt eine Beratung der Beschäftigten, diese sollen die Behandlung bei ihrem Hausarzt suchen. Bei unmittelbarer Gefahr soll die Behandlung aber auch durch den Betriebsarzt eingeleitet werden. Arbeitsmedizinische Vorsorge bei krebserzeugenden Stoffen Welche Stärken und Schwächen finden sich bei der Arbeitsmedizinischen Vorsorge? Wie oben schon ausgeführt sind die Regelungen noch auf verschiedene Rechtsvorschriften verteilt. Stärke der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge ist die Vereinheitlichung der Vorsorge nach dem Arbeitsschutzgesetz. Schwäche ist, dass die Regelungen nach dem Arbeitszeitgesetz und im Strahlenschutz nicht einbezogen sind. Eine Übersicht, welche Untersuchungen in den Betrieben in Deutschland erfolgen, existiert nicht. Eine systematische Auswertung der bei der Vorsorgetätigkeit erhobenen Befunde soll in den Betrieben erfolgen, damit die Beobachtungen in die Beurteilung der Arbeitsbedingungen einbezogen werden können. Bundesweit existiert nicht einmal eine Statistik, welche Maßnahmen der arbeitmedizinischen Vorsorge insgesamt durchgeführt werden. Dabei wären zusätzlich Auswertungen wie sie z. B. in Frankreich beschrieben werden68 sinnvoll. Hier hat man zu einer bestimmten Erkrankung der Sehnengleitgewebe im Rahmen der Vorsorge Untersuchungsbefunde und Daten erhoben, die ausgewertet Hinweise für die Prävention am Arbeitsplatz geliefert haben. Umfangreichere Erhebungen im Rahmen der Vorsorge hat der Arbeitsmedizinische Dienst der Bau-Berufsgenossenschaft vorgelegt69. Diese Auswertung der Untersuchungsbefunde von Beschäftigten in der Bauindustrie konnte berufliche und außerberufliche Präventionspotentiale aufzeigen. Die Serie wurde bis 2002 fortgesetzt. Eine zielgerichtete Auswertung könnte einerseits Hinweise auf generelle Probleme an gleichartigen Arbeitsplätzen und damit Informations- und Regelungsbedarf sichtbar machen, andererseits Hinweise zum Erkennen und zur wissenschaftlichen Begründung von neuen Berufskrankheiten bieten. Hierzu wäre die Verordnung um Meldepflichten durch die Ärzte zu erweitern. Aufgrund des Zahlenwerkes zur Gefährdungsbeurteilung in den Betrieben – eine aktuelle Übersicht von Beck und anderen70 zeigt, dass gerade bei klei- Ein besonderes Kapitel sind die krebserzeugenden Stoffe. Die Auflistung in Teil 1 Nummer 1 des Anhanges enthält eine ganze Reihe krebserzeugender Gefahrstoffe, jedoch nicht alle, für die ausreichende Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung beim Menschen bestehen. Nicht für alle aufgelisteten Stoffe sind Grenzwerte bekannt gegeben, so dass lediglich eine Angebotsvorsorge erfolgen muss – außer es besteht Hautkontakt. Für krebserzeugende Gefahrstoffe ist häufig ein gesundheitlich unbedenklicher Grenzwert nicht abzuleiten. Der Ausschuss für Gefahrstoffe hat deshalb ein Stufenmodell entwickelt, das mit der Betrachtung der Krebsrisiken in Abhängigkeit von der Rate erwarteter Krebskrankheiten bei lebenslanger Einwirkung arbeitet. Als Akzeptanzschwelle, unterhalb derer das Krebsrisiko hingenommen wird, soll eine Einwirkung gelten, bei der zunächst nicht mehr als vier von zehntausend Beschäftigten erkranken, ab 2018 sollen nicht mehr als vier von einhunderttausend Exponierten an Krebs durch die Belastung erkranken. Oberhalb einer (Toleranz-) Grenze von vier erwarteten Erkrankten von 1.000 Beschäftigten sind verstärkter persönli- cher Arbeitsschutz und weitere Risikominderungsmaßnahmen einzuhalten. Arbeitsmedizinische Vorsorge, insbesondere eine Beratung der Beschäftigten, ist für Arbeiten mit krebserzeugenden Stoffen sehr wichtig. Zusammenfassung Moderne Arbeitsmedizinische Vorsorge soll den Beschäftigten dienen und insbesondere arbeits- und berufsbedingte Gesundheitsstörungen verhindern. Sie umfasst Beratung, Untersuchung und Maßnahmen am Arbeitsplatz, um gesundheitliche Risiken zu minimieren. Die Beschäftigten sollen besonders an Arbeitsplätzen mit krebserzeugenden Stoffen sorgfältig über das Risiko beraten werden, damit sie selbst entscheiden können, unter welchen Bedingungen sie arbeiten wollen. Die Arbeitsmedizinische Vorsorge muss durch fachlich qualifizierte Ärztinnen oder Ärzte für Arbeitsmedizin oder Betriebsmedizin durchgeführt werden. Sie ist sorgfältig von Eignungsuntersuchungen und von Einstellungsuntersuchungen zu unterscheiden. Die Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge regelt die Arbeitsmedizinische Vorsorge für den Rechtsbereich des Arbeitsschutzgesetzes. Ähnlich wie bei anderen Verordnungen gibt es Arbeitsmedizinische Regeln, die zum Teil erst entwickelt werden. Weiterführende Fragen beantwortet eine Veröffentlichung des Ausschuss für Arbeitsmedizin: Arbeitsmedizinische Prävention – Fragen und Antworten (FAQ) aus dem April 2014, zu finden unter: www.baua.de / de / Themen-von-A-Z / Ausschuesse / AfAMed / aus-dem-AfAMed.html Weitere nützliche Informationen: DGUV Grundsätze, www.dguv.de / inhalt / praevention / themen_a_z / arbmed / bgliche_grundsaetze / index.jsp Betriebsarztsuche, z. B. unter www.vdbw.de / www.gelbeseiten.de / aerzte-arbeitsmedizin www.bremen.de / leben-in-bremen / gesundheit / aerztesuche 86 87 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS HENNING WRIEDT Minimierung krebserzeugender Stoffe – ein Ansatz zur Verminderung arbeitsbedingter Krebserkrankungen Einleitung Berufsbedingte Krebserkrankungen machen einen bedeutenden Teil der anerkannten Berufskrankheiten aus – jedenfalls auf den ersten Blick. Blendet man jedoch die asbestbedingten Krebserkrankungen aus, zeigt sich hingegen ein deutlich anderes Bild: Der Anteil von Krebserkrankungen an den anerkannten Berufskrankheiten, der nicht in Asbestbelastung begründet ist, ist sehr gering. Allerdings wäre es ein Kurzschluss hieraus zu folgern, dass auch das berufsbedingte Krebsgeschehen sehr gering ist. Anders als asbestbedingte Krebserkrankungen gibt es bei Lungenkrebs, der durch andere Arbeitsstoffe verursacht wird, in der Regel keine direkten Anhaltspunkte, die auf die Ursache hinweisen. Nur zu schnell wird dann das Rauchen als Ursache vermutet. Ähnlich sieht es bei einem zweiten verbreiteten Berufskrebs aus, dem Blasenkrebs. Da Rauchen ebenfalls mit einem deutlich erhöhten Risiko für Blasenkrebs einhergeht, wird auch hier die Ursache häufig vorschnell dem Rauchen zugeschrieben. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der nicht als berufsbedingt erkannten Krebserkrankungen erheblich ist. Nach epidemiologischen Schätzungen sind zwischen vier Prozent und zehn Prozent aller Krebserkrankungen als berufsbedingt anzusehen. Bei mehr als 400.000 Krebserkrankungen, die pro Jahr in Deutschland diagnostiziert werden, wären das zwischen 16.000 und 40.000 Fälle. Als Berufskrankheit anerkannt wurden 2010 jedoch nur 2.144 Krebserkrankungen. Das tatsächliche Ausmaß der Diskrepanz zwischen beruflich verursachten und als berufsbedingt anerkannten Krebserkrankungen wird noch deutlicher, wenn man die Zahl der als berufsbedingt anerkannten Erkran- kungen um diejenigen bereinigt, bei denen eine Asbestbelastung die Ursache ist, da hier eine deutlich niedrigere Dunkelziffer besteht. 2010 lag die Zahl der durch Asbestbelastungen verursachten Krebserkrankungen bei 1650, damit beträgt die Zahl der 2010 anerkannten berufsbedingten Krebserkrankungen aufgrund anderer Ursachen als einer Asbestbelastung gerade einmal 494. Auch wenn ein Teil der berufsbedingten Krebserkrankungen auf die Einwirkung ionisierender Strahlen, UV-Strahlung oder auf gestörte Biorhythmen durch Schichtarbeit zurückzuführen sein dürfte, sind Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen für den Löwenanteil verantwortlich. Deshalb ist davon auszugehen, dass mit der Reduzierung der Belastung durch solche Stoffe am Arbeitsplatz ein beträchtliches präventives Potential genutzt werden kann. Schutz vor krebserzeugenden Stoffen am Arbeitsplatz: längst geregelt, aber lückenhaft umgesetzt Zwar ist der Schutz vor krebserzeugenden Stoffen am Arbeitsplatz seit langem im Grundsatz durch die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und die europäische Krebs-Richtlinie geregelt, doch ist die betriebliche Umsetzung der Vorgaben häufig schwierig. Die beste Lösung wäre allemal die Substitution, also der Ersatz des krebserzeugenden Stoffes durch einen weniger gefährlichen Stoff oder durch ein anderes Verfahren, das ganz ohne den Einsatz von Gefahrstoffen auskommt. In der Wirklichkeit ist dieser Weg allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Auch die Verwendung des krebserzeugenden Stoffes in einem geschlossenen System lässt sich zumeist nur für Arbeitsprozesse verwirklichen, die sich auf einem hohen technischen Niveau bewegen. Die eigentlichen Problembereiche sind Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen, die sich in halboffenen oder offenen Systemen befinden. Darauf weist auch eine aktuelle Studie aus Großbritannien hin, in der die wichtigsten Ursachen für Berufskrebserkrankungen abgeschätzt worden sind. Genannt werden dort Quarzstaub, Dieselabgase, gebrauchte Mineralöle, Passivrauchen, Dioxine, Schweißrauche sowie Metallstäube und -rauche (insbesondere Arsen, Chrom VI-Verbindungen und Kobalt). Schutz vor diesen Stoffen, die durchweg nicht in geschlossenen Systemen verwendet werden, kann dann nur eine konsequente Minimierung der daraus erwachsenden Belastung bieten. Allerdings lässt sich bislang für keinen von ihnen eine Schwelle angeben, unterhalb derer eine krebserzeugende Wirkung nicht mehr zu befürchten ist. Deshalb muss die Belastung mit ihnen so weit reduziert werden, wie dies technisch möglich ist. Um einen Anhaltspunkt zu haben, welche Belastungen gemäß des Standes der Technik unterschritten werden konnten, waren seit Mitte der siebziger Jahre für wichtige am Arbeitsplatz vorkommende krebserzeugende Stoffe die entsprechenden Konzentrationswerte ermittelt worden. Als ›Technische Richtkonzentrationen‹ (TRK-Werte) bildeten sie bis Ende 2004 Grenzwerte für mehr als 70 krebserzeugende Stoffe. Das Verdienst dieses Konzepts technischer Grenzwerte war es, die Belastung mit diesen Stoffen zu begrenzen. Nicht zu übersehen waren aber auch die Schattenseiten des Konzepts: In vielen Betrieben wurden sie gesundheitsbasierten Grenzwerten gleichgesetzt, d.h. es wurde fälschlich unterstellt, dass bei ihrer Unterschreitung keine Krebsgefährdung mehr bestünde. Zu oft wurde deshalb bei Einhaltung des TRK-Wertes eine weitere Reduzierung der Exposition versäumt, auch wenn dies betrieblich durchaus möglich gewesen wäre. Ein Vergleich der bei Dauerbelastung in Höhe des TRK-Wertes verbleibenden statistischen Krebsrisiken zeigt zudem beträchtliche Risikounterschiede, die von zehn Prozent bis zu 1 :1.000.000 reichen, sich also über fünf Zehnerpotenzen erstrecken. Angesichts dieser Schwachpunkte und weil eine Integration in das gesundheitsbasierte Grenzwertkonzept der im Jahr 2005 an europäische Vorgaben neu angepassten Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) nicht möglich erschien, wurde das TRK-Konzept zu jenem Zeitpunkt aufgegeben. Seit 2006 hat der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) stattdessen ein risikobasiertes Konzept zur Minimierung krebserzeugender Stoffe erarbeitet, dessen Grundzüge im Jahr 2008 als ›Bekanntmachung für Gefahrstoffe 910 – Risikowerte und Exposition-Risiko-Beziehungen für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen‹ in das Technische Regelwerk für Gefahrstoffe aufgenommen worden sind. Bisher wurden für zwölf Stoffe Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB) veröffentlicht, weitere stehen zur Beratung im AGS an. In einer ersten Runde werden für etwa dreißig wichtige krebserzeugende Stoffe deren ERB abgeleitet, so dass für sie das Konzept greifen kann. Im Jahr 2013 wurde in der GefStoffV ein Hinweis auf das Konzept aufgenommen, die vollständige Integration in die GefStoffV ist für Mitte 2015 vorgesehen. Die Grundzüge des Konzepts sind im folgenden Abschnitt beschrieben. Grundzüge des neuen Minimierungskonzepts Grundlage des Konzepts ist die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen der Exposition mit einem krebserzeugenden Stoff und der daraus folgenden Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung zahlenmäßig zu beschreiben. Ausgehend von einer solchen statistischen Bezifferung des Krebsrisikos sind im Konzept drei Risikobereiche festgelegt worden: hohes Risiko – mittleres Risiko – niederes Risiko. Diesen ist ein Paket von Einzelmaßnahmen zugeordnet worden, mit denen eine Minimierung der Exposition erreicht werden soll. Zu diesen Maßnahmen gehören unter anderem Informationspflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde, die Aufstellung eines Maßnahmenplans, transparente Information der Beschäftigten über das Ausmaß von Exposition und Krebsrisiko sowie differenzierte Vorgaben für die Verwendung von Atemschutz. Durch die Stufung der Maßnahmen soll unterschiedlicher Druck aufgebaut und so 88 89 BERUFSKR ANKHEITEN eine Dynamik der Minimierung in Gang gesetzt werden: Je höher das Risiko, desto umfangreicher die Minimierungsmaßnahmen und desto höher auch der Druck für eine Verminderung des Risikos. Damit die Minimierung tatsächlich in Angriff genommen wird, müssen Betriebe bei Tätigkeiten im Bereich hohen und mittleren Risikos einen Maßnahmenplan erstellen. Darin ist zu beschreiben, wie die weitere Expositionsminderung erreicht werden soll. In dem Plan muss konkret angegeben werden, welche Maßnahmen in welchem Zeitraum umgesetzt werden sollen und welches Ausmaß an Expositionssenkung davon erwartet wird. Weil der Maßnahmenplan der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung beizufügen ist, wird die weitere Minimierung kontrollierbar. Die drei Risikobereiche werden durch zwei Risikogrenzen voneinander abgegrenzt. Sie kommen übergreifend für alle krebserzeugenden Stoffe zur Anwendung. Die obere Grenze markiert den Übergang zwischen hohem und mittlerem Risiko und wird als ›Toleranzrisiko‹ bezeichnet. Bei Belastungen oberhalb dieser Grenze muss Atemschutz zwingend verwendet werden, und die Belastungen sind umgehend unter diese Grenze abzusenken. Die untere Grenze, die den Übergang zwischen mittlerem und niederem Risiko markiert und als ›Akzeptanzrisiko‹ bezeichnet wird, ist eine Zielgröße. Sie ist an dem Wert ausgerichtet, der auch für die Belastung der Bevölkerung mit krebserzeugenden Stoffen in der allgemeinen Umwelt als Zielgröße verwendet wird. Voraussetzung für die Anwendung des Konzepts auf einen krebserzeugenden Stoff ist, dass dessen ERB abgeleitet ist. Dies ist nicht schlagartig für viele Stoffe gleichzeitig möglich, sondern nur schrittweise. Anfang 2013 war die Arbeit für 16 Stoffe abgeschlossen, Mitte 2014 könnte das gegenwärtige Ziel von rund 30 Stoffen erreicht sein. Ein solcher allmählicher Aufbau ist keine Besonderheit des neuen Konzepts – für das frühere TRK-Konzept hat es nach dessen Start Mitte der siebziger Jahre über 20 Jahre gedauert, bis es schließlich Anwendung für rund 70 Stoffe oder Stoffgruppen gefunden hatte. PR AXIS Transparenz für Beschäftigte und erweiterte Kontrollmöglichkeiten für Betriebsräte Elemente des Maßnahmenteils des Konzepts, die eine besondere Bedeutung für die Mitwirkung von Beschäftigten und Betriebsräten haben, sind Risikotransparenz und Kommunikation sowie die Aufstellung eines Maßnahmenplans und dessen Umsetzung. Der Arbeitgeber wird verpflichtet, im Rahmen der in der GefStoffV vorgeschriebenen Unterweisung die Belastungen mit krebserzeugenden Stoffen offenzulegen und die sich daraus ergebenden statistischen Krebsrisiken ihnen gegenüber zu beziffern. Vor dem Hintergrund der vom AGS abgeleiteten Risikozahlen und ihrer Bewertung als ›hoch‹, ›mittel‹ und ›niedrig‹ erhalten Beschäftigte damit die Möglichkeit, die für ihren Arbeitsplatz ermittelten statistischen Krebsrisiken auch selbst einzuordnen. Gleichzeitig kann die Transparenz über die aktuell noch bestehenden Risiken ebenfalls dazu beitragen, sich nicht unterschiedslos allen Belastungen mit krebserzeugenden Stoffen zuzuwenden, sondern den Fokus zunächst auf hohe Risiken zu richten und prioritär deren Verminderung in Angriff zu nehmen. Letzteres weist ebenfalls auf eine wichtige Aufgabe für Betriebsräte hin: Sie sollten verlangen, dass Krebsrisiken auf systematische Weise reduziert werden. Dazu können sie den Maßnahmenplan zur Grundlage nehmen, ohne den eine Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen künftig unvollständig ist. Fehlt ein solcher Maßnahmenplan oder werden die darin festgeschriebenen Termine nicht eingehalten, sollten sie ihre Überwachungs- und Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz konsequent nutzen, um den Schutz der Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten. Zeigt sich der Arbeitgeber uneinsichtig, sollte konsequent die Gewerbeaufsicht eingeschaltet werden. Ausblick Bereits bei der Einführung des neuen Konzepts und der Ableitung von ERB sind für einzelne Stoffe Tätigkeiten mit sehr hohen Risiken sichtbar geworden. Damit hat sich die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Belastungsschwerpunkte zu bearbeiten und die dort herrschenden Risiken gezielt zu verringern. Dass sich dies mittelfristig in einer Verringerung von Krebserkrankungen niederschlägt, die als Berufskrankheit anerkannt werden, ist unwahrscheinlich. Vielmehr ist zu hoffen, dass sich die Dunkelziffer beruflich bedingter Krebserkrankungen deutlich reduziert, für die weder heute noch in Zukunft eine Chance besteht als Berufskrankheit anerkannt zu werden. 90 91 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Einige erforderliche Konsequenzen: PETRA MÜLLER-KNÖ ß Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten im Zusammenhang mit Berufskrankheiten Ausgangslage Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren erheblich gewandelt. Immer mehr Beschäftigte müssen in unsicheren, befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten, Leiharbeit und Werkverträge haben ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. Die Arbeitszeiten werden wieder grenzenlos, Schicht- und Nachtarbeit sowie Arbeit an den Wochenenden nehmen zu. Psychische Belastungen aufgrund steigender Arbeitshetze und Stress haben in nahezu allen Arbeitsbereichen in den vergangenen Jahren ebenfalls deutlich zugenommen. Sie sind Ursache eines großen Teils der von den Krankenkassen ausgewiesenen Arbeitsunfähigkeitstage. Erkrankungen als Folge psychischer Belastungen in der Arbeit stehen mittlerweile an dritter Stelle aller gemeldeten Krankheitstage. Doch auch die ›alten‹, eher körperlichen Belastungen sind noch immer in den Betrieben weit verbreitet. So müssen nach wie vor Beschäftigte unter ungünstigen Arbeitsumgebungsbedingungen arbeiten. Sie sind Lärm, Kälte, Hitze oder Gefahrstoffen ausgesetzt. Sie müssen ständig die gleichen Handgriffe verrichten oder dauernd im Stehen arbeiten. Und trotz umfangreicher arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten müssen viele Beschäftigte in so genannten Zwangshaltungen ihre Arbeit verrichten oder auch schwere Lasten heben und tragen. Diese Arbeitsbedingungen belasten die Beschäftigten und sie machen krank. Das schlägt sich auch im Berufskrankheitengeschehen nieder. Jedes Jahr werden mehr als 70.000 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit (BK) gestellt (2012 = 73.574). Fast ein Drittel dieser Anzeigen erfolgt wegen Hauterkrankungen. Lärmschwerhörigkeit und Erkran- kungen der Lendenwirbelsäule bzw. Erkrankungen aufgrund schweren Hebens und Tragens stehen an zweiter bzw. dritter Stelle der Verdachtsanzeigen. Und auch die BK-Anzeigen wegen der Folgen von Asbest stellen nach wie vor einen großen Anteil am BK-Geschehen und nehmen sogar noch zu. Dass diese Meldungen jetzt noch ansteigen, obwohl die Verwendung von Asbest seit einigen Jahren verboten ist hat mit der langen Latenzzeit, also der Zeit zwischen dem Umgang mit dem Stoff und dem späteren Ausbruch einer Erkrankung zu tun. Längst nicht alle BK-Verdachtsanzeigen führen letztlich auch zur Anerkennung einer Berufskrankheit. So wurden im Jahr 2012 lediglich 15.949 Fälle anerkannt. Auch diejenigen Betroffenen, deren Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit abgelehnt wurde, waren erkrankt. Es gelang ihnen jedoch nicht, den Nachweis über die besondere berufliche Einwirkung ihrer Erkrankung zu führen. Das liegt an den umfangreichen formalen Anforderungen, die im BK-Recht an den Nachweis einer Berufskrankheit gestellt werden. Der Bericht zur ›Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit‹ (Suga) aus dem Jahr 2009, der von der Bundesregierung herausgegeben wurde, brachte dieses, in den Zahlen zum Ausdruck kommende Problem folgendermaßen auf den Punkt: ›Ein Vielfaches größer ist ... die Zahl der Fälle, bei denen die Anerkennung nicht erfolgte, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ... nicht erfüllt waren. Hinter diesen Zahlen stehen schwerwiegende Schicksale.‹ Aus dieser skandalösen und unbefriedigenden Situation ergeben sich mehrere Konsequenzen und Anforderungen. Einige seien hier genannt: ❚ An erster Stelle ergeben sich Anforderungen an die Prävention in den Betrieben. Je besser der Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben ausgestaltet wird, desto weniger wird die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet. Arbeit darf nicht krank machen. Dies muss der zentrale Ansatzpunkt sein, damit menschliches Leid verhindert wird. ❚ Zum zweiten muss das Berufskrankheitenrecht dahingehend weiterentwickelt werden, dass berechtigte Ansprüche der Versicherten auf Anerkennung und Entschädigung des erlittenen Gesundheitsschadens auch erfüllt werden können. ❚ Darüber hinaus ergeben sich Anforderungen an die Durchführung der BKVerfahren. Das muss Auswirkungen auf die Arbeit der Berufsgenossenschaften haben, die den Gesundheitsschaden ›regulieren‹. Ihre Aufgabe muss es sein alles dafür tun, dass die Nachweise im Sinne der Versicherten auch zusammengetragen werden. Daran werden seit Jahren immer wieder Zweifel laut. ❚ Es resultieren aus dieser Situation auch Anforderungen zur Unterstützung der Betroffenen. Diese befinden sich in einer sehr schwierigen belastenden Situation und sind dann aufgrund des Berufskrankheitenrechtes auch noch verpflichtet, die Beweise über das Vorliegen einer Berufskrankheit selbst zu erbringen. In den Fällen, in denen die Hinterbliebenen das Verfahren betreiben, ist die Situation oft sogar noch problematischer. Im Folgenden sollen die Handlungsanforderungen und -möglichkeiten, die daraus an die Betriebsräte resultieren, etwas genauer betrachtet werden. Fragen des BK-Rechtes oder auch zur Ausgestaltung von Aufsicht und Beratung können hier nicht betrachtet werden. Handlungsansätze und Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte in Berufskrankheiten-Verfahren Für den Betriebsrat kann es unterschiedliche Anlässe geben im Arbeits- und Gesundheitsschutz tätig zu werden. Beschwerden von Beschäftigten, Hinweise der Arbeitssicherheit oder auch des Betriebsarztes gehören ebenso dazu wie etwa hohe Krankenstände oder auch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind immer auch Ausdruck von Arbeitsbedingungen, in denen die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigt bzw. nicht genügend geschützt wurde. Das muss für Betriebsräte, deren Aufgabe es auch ist, darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber die Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten auch tatsächlich durchführt (§ 80 (1) 1 BetrVG) Anlass sein, sich mit dem BK-Geschehen in ihrer Branche und insbesondere in ›ihrem‹ Betrieb auseinander zu setzen. Auf die Anforderungen an einen präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz soll an späterer Stelle kurz eingegangen werden. Zunächst sollen hier einige Handlungsanforderungen an die Betriebsräte bei konkreten BK-Verfahren betrachtet werden. Im Rahmen des BK-Verfahrens eines Beschäftigten gibt es für den Betriebsrat des Betriebes, in dem der Beschäftigte arbeitet, unterschiedliche Handlungsansätze und -möglichkeiten. Diese bestehen an verschiedenen Stellen im BK-Verfahren. Wird eine Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit gestellt, so muss die Berufsgenossenschaft ermitteln, inwiefern 1. ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Tätigkeit des Versicherten besteht (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und 2. inwiefern zwischen dieser schädigenden Einwirkung und der Krankheit ein Zusammenhang besteht (so genannte haftungsausfüllende Kausalität). Für den Nachweis des ersten Zusammenhangs muss die Berufsgenossenschaft die Arbeitsgeschichte des Versicherten, die so genannte Arbeitsanamnese, erheben. Darin werden Informationen von allen 92 93 BERUFSKR ANKHEITEN Tätigkeiten aus dem Erwerbsleben des Versicherten zusammengetragen. Der Zusammenhang zwischen der Einwirkung und der Krankheit wird durch ein medizinisches Gutachten, das so genannte medizinische Zusammenhangsgutachten, geprüft bzw. dargelegt. Beide Zusammenhänge müssen sachgerecht nachgewiesen werden. Wenn aus der Arbeitsanamnese ein Zusammenhang erkennbar ist, erfolgt der zweite Schritt, das medizinische Gutachten. Für die Erhebung der Arbeitsanamnese werden von der Berufsgenossenschaft teilweise Fragebögen eingesetzt. Darin wird der Verlauf der Tätigkeiten des Versicherten festgehalten. Treten beim Ausfüllen dieser Fragebögen Fehler auf, was aufgrund der besonderen Erkrankungsund Belastungssituation der Betroffenen oder auch aufgrund der lange zurückliegenden Tätigkeiten vorkommen kann, so verschlechtert dies die Chancen auf Anerkennung einer BK. Auch das medizinische Zusammenhangsgutachten nimmt die Akten der Arbeitsanamnese zur Grundlage. Daher dürfen bei der Ermittlung der Einwirkungen keine Fehler vorkommen. Betriebsräte erhalten Kenntnis davon, wenn eine BK-Anzeige in dem Betrieb vorliegt und wenn die Berufsgenossenschaft im Betrieb wegen einer BK ermittelt. Mit diesem Wissen besteht für den Betriebsrat auch die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Wenn irgend möglich sollte der Betriebsrat dem Versicherten unverzüglich Unterstützung beim Ausfüllen der Erhebungsbögen anbieten bzw. ihm Ansprechpartner dafür vorschlagen. Der Betriebsrat sollte darauf hinwirken, dass eine gründliche Erhebung der Betriebsdaten durch den Technischen Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft erfolgt. Zeugenaussagen von anderen Beschäftigten und von Vorgesetzten, betriebliche Unterlagen, etwa Sicherheitsdatenblätter, Lärmkataster oder ähnliches und insbesondere – wenn vorhanden – die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung, sollten für die Arbeitsanamnese herangezogen werden. Dies unterstreicht im Übrigen die hohe Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung, die nach Arbeitsschutzgesetz (§ 5 ArbSchG) erforderlich ist. PR AXIS Die Berufsgenossenschaft hat in dem gesamten Verfahren immer einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung gegenüber den Betroffenen. Deshalb brauchen die Betroffenen Unterstützung. Betriebsräte haben aufgrund ihrer teils mehrjährigen Funktion als betriebliche Interessenvertreter oft auch Erfahrungen mit BK-Verfahren und können dieses Wissen für die Beschäftigten einsetzen. So können sie z. B. bei der Erstellung der Arbeitsanamnese unterstützen, indem sie an den Gesprächen teilnehmen, sie können bei der Akteneinsicht helfen, können selbst beraten oder Kontakt zu (gewerkschaftlicher) Beratung und ggf. Rechtsschutz herstellen. Sie können evtl. auch bei der Auswahl der Gutachter für das medizinische Zusammenhangsgutachten helfen und wichtige Hinweise geben, da sie zuvor in anderen BK-Verfahren möglicherweise Erfahrungen mit einzelnen Gutachtern gemacht haben. Über den Einzelfall hinaus Für den Betriebsrat ist aber nicht nur der Einzelfall wichtig. Treten gehäuft Fälle von Verdachtsanzeigen im Betrieb auf, lassen sich daraus Schlüsse für den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz ziehen. Wo die Arbeit bei einzelnen Beschäftigten dazu geführt hat die Gesundheit zu schädigen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch andere davon betroffen sein können. Das bedeutet für das Handeln der Betriebsräte, dass sie sich nicht nur um den einzelnen Betroffenen kümmern sollten. Es unterstreicht darüber hinaus, wie wichtig die Ermittlung und Beurteilung von Gefährdungen für die Gesundheit im Betrieb ist. Handlungsansatz Prävention Die Arbeitsschutzgesetzgebung verlangt von den Betrieben nicht nur die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten, sondern auch Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Dieser Grundgedanke der Prävention ist seit den 90er Jahren im Arbeitsschutzrecht besonders entwickelt worden. Dazu gibt das Arbeitsschutzgesetz Grundsätze vor, nach denen vorzugehen ist. In § 4 ArbSchG werden diese Grundsätze beschrieben als Vorgehen, nach dem die Gefährdungen zu vermeiden bzw. zu minimieren sind. Dafür ist der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitswissenschaft zu nutzen. Als Rangfolge für den der Schutz wird das so genannte S-T-O-P-Prinzip entwickelt. Das bedeutet, dass Gefahren an der Quelle zu bekämpfen sind – bei Gefahrstoffen gefährliche Stoffe zu substituieren, also durch weniger gefährdende zu ersetzen sind. Als nächste Schritte sind technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen und an letzter Stelle individuelle, persönliche Schutzmaßnahmen. Aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG sollen Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Damit bestehen gute Voraussetzungen für die Prävention. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass der Stand der Umsetzung der Arbeitsschutzgesetzgebung in den Betrieben sehr unzureichend ist. Etwa die Hälfte der Betriebe verfügt nach wie vor nicht über eine Gefährdungsbeurteilung. Betriebe mit einer so genannten ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung, in der auch die psychischen Belastungen ermittelt und Schutzmaßnahmen abgeleitet werden, sind nach wie vor die Ausnahme. Formelle Strukturen und Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind allenfalls in Großbetrieben stärker verbreitet. Je kleiner der Betrieb, desto unzureichender werden die Vorgaben der Arbeitsschutzgesetzgebung umgesetzt. Über die Gründe für dieses Vorgehen befragt, antworten etwa zwei Drittel der Betriebe ohne Gefährdungsbeurteilung, es fehle ihnen an Expertenwissen71. Hier besteht also erheblicher Nachholbedarf. Über die Kraft des guten Argumentes gegenüber den Unternehmensleitungen scheint hier nur begrenzt eine positive Entwicklung zu erzielen zu sein. Davon können Betriebsräte zahlreich berichten. Stattdessen gibt es deutliche Hinweise aus vorliegenden Studien, dass Unternehmen vor allem aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen, durch den Druck der Arbeitsschutzaufsicht sowie durch die Forderungen der Beschäftigten und ihrer Vertreter – also der Betriebsräte – zu motivieren sind, etwas für den Schutz der Gesundheit der Beschäftigten zu tun. Da aufgrund des Personalabbaus bei den Aufsichtsbehörden in den vergangenen Jahren von dieser Seite nur begrenzt Druck aufgebaut werden kann, kommt auch vor diesem Hintergrund den Betriebsräten eine wichtige Funktion zu. Mit dem bestehenden Mitbestimmungsrecht und Initiativrecht nach § 87 (1) 7 BetrVG bestehen gute Voraussetzungen, Maßnahmen der Prävention voran zu bringen. Erhalten Betriebsräte durch BK-Verdachtsanzeigen bzw. -Anerkennungen Hinweise darauf, dass in einzelnen Arbeitsbereichen bzw. an Arbeitsplätzen Erkrankungen aufgetreten sind, so muss dies immer ein Warnsignal sein, den Stand des Arbeits- und Gesundheitsschutzes kritisch zu überprüfen. Insbesondere vor dem Hintergrund der BK-Verfahren wird deutlich, wie wichtig die Beurteilung der Gefährdungen an den Arbeitsplätzen ist und welche hohe Bedeutung der Dokumentation der Ergebnisse zukommt. Zukünftige Herausforderungen Die Informationen über die Arbeitsbedingungen in den Betrieben, über die Arbeitsverfahren oder den Stand der Technik waren in der Vergangenheit bereits schwer zusammen zu tragen. Wenn keine Aufzeichnungen vorlagen oder Zeugen von Arbeitsverfahren und Arbeitsbedingungen nicht hinzugezogen werden konnten, fehlen oft die erforderlichen Informationen. Auch nicht alle Gutachter verfügen über das erforderliche Know-how aufgrund eigener Erfahrungen und Anschauung. Zukünftig wird mit weiteren Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Arbeitsanamnese zu rechnen sein. Aufgrundder prekären Beschäftigungssituation von immer mehr Versicherten durch Leiharbeit oder Werkverträge ist mit erheblichen Schwierigkeiten beim Nachweis einer Berufskrankheit durch die Beschäftigten zu rechnen. Bereits bisher bestanden für Beschäftigte häufig große Probleme, möglichst lückenlos und sachgerecht Zusammenhänge nachzuweisen. Wenn zukünftig Versicherte aufgrund permanent wechselnder Einsatzorte bzw. Betriebe unzählige Arbeitsplätze ›erinnern‹ sollen, steht zu befürchten, dass dies zu einem unlösbaren Problem für viele Betroffene wird. 94 95 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Anmerkungen 1 damit verbundenen Einzelfällen vgl.: Michael Ertel, Martina Morschhäuser: versicherung: Regel ›Benutzung von 4 Jahresbericht 2009 der Gewerbeauf- Gefährdungsbeurteilung bei psychi- Atemschutzgeräten‹ BGR / GUV-R 190. Ein Beispiel für erfolgreichen die zuletzt durch Artikel 5 Absatz 6 der Historische Beispiele, aktuelle Analysen. sicht der Freien Hansestadt Bremen, schen Belastungen. Verbreitung, hem- Eigenverlag, St. Augustin 2009, Wissenstransfer in die Betriebe Verordnung vom 26. November 2010 Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 83–87 (im Internet verfügbar unter: mende und fördernde Bedingungen; S. 26 (Tabelle 1). 48 Beteiligt waren die Innungsmeisterinnen S. 113 ff. www.umwelt.bremen.de / sixcms / media. in: Prävention und Gesundheits- Berufskrankheiten: Eine unendliche Geschichte? 1 Vgl. Wolfhard Weber: Arbeitssicherheit. 13 Zum Thema Epoxidharze und einigen 2 Ebenda, S. 148 ff. sowie S. 216 f. php / 13 / 10_08_01%20JB%202009% 3 Im Folgenden wird der Begriff der 20%20 Endfassung%28korr%29.pdf) Berufsgenossenschaften (BGen), zu 14 Vgl. Lesley Rushton / Sanjeev Bagga / 39 Deutsche Gesetzliche Unfall- 24 David Beck, Gabriele Richter, 40 Volker Neumann et al.: Neue Aspekte zur Pathologie der Asbestose. In: förderung 2 / 2012, S. 115 – 119. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umwelt- 25 Cordula Sczesny, Sophie Kleindorf, medizin, Jg. 46, 2011, S. 569 – 579. Patrick Droß: Kenntnisstand von Unter- 41 Statement ›Asbestos panel member denen auch die Unfallkassen des Bun- Ruth Bevan et al.: Occupation nehmen auf dem Gebiet des Arbeits- des, der Länder und der Kommunen and cancer in Britain. In: British und Gesundheitsschutzes in KMU, previously paid by industry‹ in: Canadi- sowie die Landwirtschafts-BGen Journal of Cancer, Band 102, 2010, Ergebnisse einer repräsentativen an Medical Association Journal (CMAJ), gehören, synonym mit dem Begriff der Unfallversicherungsträger (UVT) benutzt. S. 1428–1437. 15 Hans-Joachim Woitowitz / ›Hautschutz bei der Arbeit – machen Sie es wie die Profis!‹ Nuray Özalp, Senida Huremovic und Rita Loerchner. 49 www.bgw-online.de; Zugriff: 19.11.2013. 61 Gesundheitsschutz-Bergverordnung vom 31. Juli 1991 (BGBl. I S. 1751), (BGBl. I S. 1643) geändert worden ist. 62 Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (BGBl. I S. 1885), das zuletzt 50 Quelle: DGUV-Statistik. durch Artikel 226 der Verordnung vom Wie können Berufskrankheiten- geändert worden ist. 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407) Befragung von Inhaber / innen / October 21, 2008, S. 179: Das Verfahren für eine bessere 63 Vgl. Anmerkung 56. Geschäftsführer / innen in Klein- und toxikologische Institut, aus dem die Prävention genutzt werden? 64 AMR Nr. 1 zu § 5 ArbMedVV 51 E. Teich et al.; Optimierung der Klaus Norpoth: Ethische Aspekte im Kleinstunternehmen. Dortmund / tierexperimentellen Daten stammen, begrenzt. Die Werte sind teilweise nach Zusammenhang mit tödlich verlaufen- Berlin / Dresden 2011 (Bundesanstalt wird von der kanadischen und kali- BK-Prävention bei der Bau-Berufsgenos- arbeitsmedizinischen Vorsorgeunter- BG und Ost- oder Westdeutschland den Berufskrankheiten. In: Xaver Baur / für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, fornischen Asbestindustrie finanziert. senschaft Frankfurt am Main; suchungen‹ – Bek. d. BMAS v. unterschiedlich: Mindest-JAV knapp Stephan Letzel / Dennis Nowak (Hg.): 20.000 Euro, Höchst-JAV zwischen Ethik in der Arbeitsmedizin, 4 Der JAV ist nach unten und oben 62.000 und 84.000 Euro. 5 Quelle: DGUV Referat Statistik sowie Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin Arbeitsmedizinische Vorsorge Biologische Grenzwerte. TRGS 903 der Universität Gießen, anlässlich 52 Gunther Lehmann: Die physische Ausgabe: Dezember 2006 geändert: evidence. The connection between zu wenig bei Beschäftigten an; in: eines Asbest-Workshops des Bundes- Arbeitseignung. In: Körper und Arbeit. GMBl 2011 S. 1024 [Nr. 49 – 51] breast cancer and the environment. Gute Arbeit 9 / 2008, S. 27–29. verbandes der Asbestose-Selbst- Handbuch der Arbeitsphysiologie. Bekanntmachung von Empfehlungen hilfegruppen am 18. Januar 2012 in Hg.; Prof. Dr. Edgar Atzler, Georg Thie- von Arbeitsmedizinischen Regeln hier: Hamburg berichtet. me Verlag Leipzig 1927, S. 329 – 386. www.dguv.de / inhalt / zahlen / bk / In: International Journal of Environment and Health, Band 15, 2009, S. 43–78. 17 Andreas Seidler et al: Schultersehnen- 27 Bremische Bürgerschaft, Drucksache 18 / 614 vom 23.12.2012. 43 Xaver Baur, Joachim Schneider, 28 Der Senator für Bildung, 53 Ernst Holstein: Grundriss der kennung von Berufskrankheiten‹ und Erkrankungen als Berufskrankheit? Wissenschaft und Gesundheit (Hrsg.), Hans-Joachim Woitowitz, Marcial Arbeitsmedizin. Johann Ambrosius den Beitrag von Tuku Roy-Niemeier in In: Albert Nienhaus et al. (Hg.): Jahresbericht 2010 der Gewerbeauf- Valasco-Garrido: Gibt es Unterschiede Barth Verlag Leipzig 1949 S. 257. der vorliegenden Veröffentlichung. Arbeitsmedizin in sozialer Verantwor- sicht der Freien Hansestadt Bremen. in den gesundheitlichen Wirkungen tung. Festschrift für Prof. Dr. Gine Das Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung Elsner. Hamburg: VSA, S. 37–46. 18 Ulrich Bolm-Audorff: Hüftgelenks- von Betrieben zur Verhinderung arthose als Berufskrankheit. von Berufskrankheiten‹ – In: Albert Nienhaus et al. (Hg.): Ergebnisse und Erfahrungen a. a. O., S. 47–54. 7 Eine Berufskrankheitenanzeige kann 19 Clark, C. et al.: The contribution of 54 Die Enzephalopathie ist eine krankhafte Veränderung des Gehirns, Unterlagen‹ – Bek. d. BMAS z. B. als Folge einer Bleivergiftung. v. 15.09.2011 – IIIb1-36628-.1 sicht der Freien Hansestadt Bremen. S. 497–506. 30 Deutscher Bundestag, Drucksache Vorsorge vom 18. Dezember 2008 17 / 10229, vom 03.07.2012. 31 www.gewerbeaufsicht.bremen.de / sixcms/detail.php?gsid=bremen156.c.2 55 Verordnung zur arbeitsmedizinischen 2 sorgeuntersuchungen 5. Auflage 2010, erleichterungen im Recht der der Verordnung vom 23. Oktober 2013 Gentner-Verlag Stuttgart. Berufskrankheiten 44 Vgl. M. Terbille , Hrsg., Medizinrecht, (BGBl. I S. 3882) geändert worden ist. Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik Tätigkeit gegeben sieht – der oder die Adult Psychiatric Morbidity Survey. (Hrsg.), Grundsätze der behördlichen 45 Ebda., S. 225f., 237f. durch das Bundesunfallkassen- Betroffene selbst, Angehörige, der In: Psychological Medicine, Band 42, Systemkontrolle, März 2011 (LV 54). 46 Als typischer Fall kann das Rauchen Neuordnungssgesetz vom 19.10.2013 Strukturelle Hürden für die Anerkennung von Berufskrankheiten 8 Meldung vom 05.07.2012; Grundsätze für arbeitsmedizinische Vor- (BGBl. I S. 2768), die durch Artikel 1 common mental disorders in the 2007 München 2009, S. 249 f. des Versicherten gelten; vgl. nur BSG, S. 829–842. 67 Arbeitsmedizinische Vorsorge – DGUV Die Notwendigkeit von Beweis- zwischen Erkrankung und beruflicher und Ärzte müssen es tun. hier: AMR Nr. 1 zu § 6 ArbMedVV ›Fristen für die Aufbewahrung ärztlicher In: Pneumologie, Band 66, 2012, 290.de, sowie Länderausschuss für 20 Am Beispiel der Pflege: Mealer, von Arbeitsmedizinischen Regeln von Chrysotil- und Amphibol-Asbest? work and non-work stressors to Rentenversicherung. Der Arbeitgeber AMR Nr. 1 zu § 6 ArbMedVV. 66 Bekanntmachung von Empfehlungen Jahresbericht 2012 der Gewerbeauf- 29 Der Senator für Gesundheit (Hrsg.), jeder stellen, der einen Zusammenhang Betriebsrat, die Krankenkasse oder die 15.09.2011 – IIIb1-36628-1. 65 Technische Regeln für Gefahrstoffe. DGB-Index Gute Arbeit zeigt: index.jsp; Zugriff Dezember 2013. 6 Vgl. ›Strukturelle Hürden für die Aner- Die BG, 10 / 2004, 545–547. Prof. Joachim Schneider, Institut und Gefährdungsbeurteilungen kommen Ecomed, Landsberg, S. 121–144. 16 Janet Gray et al.: State of the Berufskrankheiten im Land Bremen 42 Dieses Fallbeispiel wurde von Forschung, Projekt F 1913). 26 Sara Koch, Hans-Joachim Schulz: ›Anforderungen an das Angebot von Das Beispiel Asbest Urt. vom 30.1.2007 – Az.: B 2 U 15 / 56 Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt geändert worden ist. 57 Unfallverhütungsvorschrift Betriebs- 68 Petit Le Manac’h, A. et al.: Risk factors for de Quervain’s disease in French working population. Scand J Work Environ Health; 37(5): 394 – 401. 69 Schriftenreihe Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin in der Bauwirtschaft. Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft 32 Siehe dazu auch den Beitrag 05 R in: SozR 4–5671 Anl. 1 Nr. 4104 ärzte und Fachkräfte für Arbeitssicher- of post traumatic stress disorder von Corinna Mahlstedt in Nr. 2. Auch die Instanzgerichte folgen heit (DGUV Vorschrift 2) – abgestimm- An der Festeburg 27–29, and burnout syndrome in nurses. der vorliegenden Veröffentlichung. diesem Muster, so dass de facto von ter Mustertext – in der Fassung vom 80389 Frankfurt am Main, 1993. M. et al.: The prevalence and impact In: Depress Anxiety, Band 26, 2009, S. 1118–1126. Quelle: www.dguv.de / inhalt / presse / der Bau-Berufsgenossenschaften, der Vermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII 1. Januar 2012, www.dguv.de / inhalt / Gefährliche Ladung in Jutesäcken. noch nicht Gebrauch gemacht worden praevention / vorschr_regeln / docu- beurteilung bei psychischen Belastun- Weser-Kurier vom 2. März 2007, S. 16. ist. Vgl. dazu Peter Frese, Beweis- ments / dguv-vorschrift2-muster.pdf. gen in Deutschland. Verbreitung, 33 Vgl. dazu: Krischan Förster: 34 Samuel S. Epstein: lastumkehr (§ 9 Abs. 3 SGB VII), Vortrag 70 Beck, D. et al.: Gefährdungs- hemmende und fördernde Bedingungen. 2012 / Q3 / kniebelastungen / indes.jsp; Prävention von Berufskrankheiten: Zugriff am 17.07.2012. Ohne Aufsicht geht es nicht! The Politics of Cancer. Revised auf dem 2. Asbestose-Workshop in (BGBl. I S. 1170, 1171), das zuletzt Präv Gesundheitsf 2012, 7:115 – 119. 21 Du Pont, Why are we not doing better? and expanded edition. Anchor Books, Hamburg am 18.1.2012. durch Artikel 15 des Gesetzes Online publiziert: 17. Februar 2012. vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1583) Springer Verlag 2012. 9 Persönliche Mitteilung des Bremer Landesgewerbearztes an den Verfasser. 10 Vgl. Hessisches Landessozialgericht, The Story of the Persistence of Workplace Safety Incidents in Europe, New York 1979, S. 79–102. 47 S. o. zu II. Die Einhaltung solcher 35 Quelle: DGUV Referat Statistik sowie Regeln, z. B. der TRGS ( = Technische Urteil des 9. Senats vom 18.11.2011, 2011; Quelle: www2.dupont.com / www.dguv.de / inhalt / zahlen / bk / Regeln Gefahrstoffe), zieht zugunsten Aktenzeichen L 9 U 66 / 07. Sustainable_Solutions / en_US / index.jsp; Zugriff Dezember 2013. des Arbeitgebers die gesetzliche 11 Klaus Giersiepen / Michael Spallek: Karpaltunnelsyndrom als Berufs- knowl_center / emea / safety_monitoring.html; Zugriff 22.07.2013. 36 Ausführlicher im Beitrag von Corinna Mahlstedt in der vorliegenden 58 Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994 geändert worden ist. 59 Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001 (BGBl. I S. 1714; 2002 I Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten von Betriebs- Vermutung nach sich, alle Pflichten S. 1459), die zuletzt durch Artikel 5 räten im Zusammenhang erfüllt zu haben. Diese Vermutung ist Absatz 7 des Gesetzes vom mit Berufskrankheiten 71 Europäische Unternehmenserhebung freilich widerleglich. Das bedeutet, 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212) 37 Berufskrankheiten-Verordnung. dass ein Geschädigter dartun kann geändert worden ist. (EU-OSHA) Europäische Unternehmens- Empfehlung des Ärztlichen und beweisen muss, dass es trotz wissenschaftlichen Begründungen der erhebung über neue und aufkommende Sachverständigenbeirats – Sektion Regeleinhaltung zu einer schädigenden Bekanntmachung vom 30. April 2003 Arbeitsschutzagentur, 2010; BKen, verfügbar auf der Website Risiken (ESENER), 2010. ›Berufskrankheiten‹. Bek. des BMA Kausalkette gekommen ist und dies (BGBl. I S. 604), die durch Artikel 2 www.osha.europa.eu / de / v. 24. April 1996 – IVa 4-45212/18. vom Arbeitgeber zu vertreten ist. der Verordnung vom 4. Oktober 2011 esener-enterprise-survey. krankheit. In: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, 2011, S. 238–242. 12 Vgl. die amtlichen Merkblätter und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) unter dem Stichwort ›Berufskrankheiten‹. 22 Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 23 BKK Bundesverband (Hrsg.), Die Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und Frühberentung in Deutschland, Essen 2008. Veröffentlichung beschrieben. Bundesarbeitsblatt 6-1996, S. 25–28. 38 Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften: BK-Report 1 / 2007: Faserjahre. Eigenverlag, St. Augustin 2007, S. 159. 60 Röntgenverordnung in der Fassung der (BGBl. I S. 2000) geändert worden ist. über neue und aufkommende Risiken (ESENER), Befragung der Europäischen 96 97 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS KOSTENLOSES BER ATUNGSANGEBOT Beratung zu Berufskrankheiten Das kostenlose Beratungsangebot für von Berufskrankheiten Betroffene unterstützt bei der Abklärung von Ansprüchen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Beratungsschwerpunkte sind: Orientierung über den Ablauf eines Berufskrankheiten-Verfahrens, Unterstützung bei der Antragstellung und bei einem Widerspruch, Hilfe bei der Erstellung der Arbeitsanamnese, Beratung zu Fragen wie medizinische Begutachtung. Die Beratungsstelle wendet sich an: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch die Tätigkeit in einem Betrieb im Land Bremen betroffen sind, Bürgerinnen und Bürger des Landes Bremen sowie Angehörige. Beratungszeiten Die Beratungsstelle ist Teil des bis Ende 2012 befristeten Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹. Die Trägerschaft liegt bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Jeweils mittwochs von 8.30 bis 12.30 Uhr Arbeitnehmerkammer Bremen Geschäftsstelle Bremen-Nord Lindenstraße 8 28755 Bremen Telefon: 0421· 66950 - 0 Fax: 0421· 66950 - 41 E-Mail: [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/ beratung-zu-berufskrankheiten Die Geschäftsstelle ist barrierefrei. DAS PROJEK T ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ Anhang 5 ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Als Berufskrankheit gilt eine Erkrankung nur dann, wenn sie in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt ist. Im konkreten Fall müssen Betroffene einen doppelten Nachweis erbringen: Es müssen erheblich höhere berufsbedingte Belastungen als für die übrige Bevölkerung bei der Arbeit vorgelegen und die betreffende Krankheit verursacht haben. Weil Berufskrankheiten-Verfahren oft lange dauern und für die Betroffenen mit hohen Hürden verbunden sind, brauchen sie Unterstützung. Wenn Berufskrankheiten auftreten, zeigt dies aber auch, dass der betriebliche Arbeitsschutz verbessert werden muss. Das Projekt hat deshalb eine doppelte Zielsetzung: Aufbau einer Beratungsstelle für von Berufskrankheiten Betroffene: Denn sie brauchen unabhängige Unterstützung bei der Abklärung ihrer Ansprüche. Prävention von Berufserkrankungen: Das Wissen, wie man die Gesundheit der Beschäftigten schützen kann, wird Betrieben, für den Arbeitsschutz zuständigen Stellen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch regionale Vernetzung zur Verfügung gestellt. Das Projekt, das mit Mitteln aus dem Europäischen Strukturfonds gefördert wird, ist bis Ende 2012 befristet. Das Projekt wird gefördert mit Mitteln der: Arbeitnehmerkammer Bremen Projektpartner sind Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit, Landesgewerbearzt Bremen, Gewerbeaufsicht des Landes Bremen, Landesarbeitskreis für Arbeitsschutz, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, AOK Bremen/ Bremerhaven, Handwerkskammer Bremen, Handelskammer Bremen, DGB Region Bremen-Elbe-Weser, Verein Arbeit und Zukunft e.V., Deutsche Rentenversicherung. Kontakt Projektleitung Barbara Reuhl, Arbeitnehmerkammer Bremen Bürgerstraße 1, 28195 Bremen 0421· 36301- 991 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de 98 99 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Durch den Fragebogen sollen die folgenden Berufskrankheiten abgedeckt werden: 1103 Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen 1104 Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen 1108 Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide 4104 Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs Freie Hansestadt Bremen Arbeitsgruppe „Berufskrankheiten“ bei Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit - Landesgewerbearzt Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit, - Landesgewerbearzt- Rembertistraße 8-12, 28195 Bremen An Thoraxchirurgie/Pneumologie/HNO Auskunft erteilt Dr. Hittmann Zimmer 10.24 T (04 21) 3 61 15119 F (04 21) 3 61 15929 Email [email protected] Datum und Zeichen Ihres Schreibens Mein Zeichen (bitte bei Antwort angeben) 406-21-03/7 B Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen Sehr geehrte Damen und Herren, wir legen Ihnen einen Fragebogen zur Unterstützung Ihrer Arbeitsanamnese vor. Der Fragebogen ist in erster Linie für Patientinnen und Patienten mit einem Mesotheliom, Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs konzipiert und soll Hinweise auf eine berufliche Ursache aufdecken. Warum sollen berufliche Risiken erkannt werden? In erster Linie geht es um den Patienten, der von berufsgenossenschaftlichen Leistungen profitieren kann – sowohl in Bezug auf die Heilbehandlung als auch eine zusätzliche finanzielle Absicherung. Aber auch die gesetzliche Krankenversicherung und die Berufsgenossenschaften sind aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages an den Berufskrankheiten-Meldungen interessiert. Nicht zuletzt besteht ein Interesse des Staates, der auswerten kann, in welchen Betrieben Berufskrankheiten entstehen und bei Bedarf mit Überwachung und Entwicklung von Arbeitsschutzvorschriften reagiert. Deshalb bestehen gesetzliche Anzeige-Verpflichtungen: ❙ Eine Anzeigepflicht für alle Ärztinnen und Ärzte – unabhängig von der Einwilligung der Patientin oder des Patienten beim Gewerbearzt oder der zuständigen Berufsgenossenschaft. (§ 202 Sozialgesetzbuch VII) ❙ Eine Mitteilungspflicht für Ärztinnen und Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung gegenüber den Krankenkassen bei Berufskrankheiten, Arbeitsunfällen und weiteren Risiken (§ 294 a Sozialgesetzbuch 5), eine ausführlichere Darstellung der gesetzlichen Pflichten ist als Anlage beigefügt. ❙ Eine Berufskrankheiten-Meldung mit dem beigefügten Anzeigenformular sollte bereits dann erfolgen, wenn die Diagnose gesichert ist und die Patientin oder der Patient ein Feld auf dem Fragebogen angekreuzt hat. ❙ Ein elektronisches Formular der Berufskrankheiten-Anzeige finden Sie hier: www.dguv.de/formtexte/aerzte/F_6000/F6000.doc Für die Meldung an die zuständige Krankenkasse genügt eine Kopie des Fragebogens. ❙ in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) ❙ in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder ❙ bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 x 10 (hoch) 6 ((Fasern/cbm) X Jahre)) 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards 4109 Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen 4110 Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase 4112 Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO(tief )2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose) 4113 Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(g/m3) x Jahre] 4114 Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht Nähere Informationen zu allen Berufskrankheiten finden Sie bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: ❙ www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Berufskrankheiten/Dokumente/Merkblaetter.html Sie empfinden die Informationen und den Fragebogen hilfreich? Warum geben Sie die Unterlagen nicht an Kolleginnen und Kollegen weiter? Für Rückmeldungen zur Verbesserung des Fragebogens oder über Schwierigkeiten der Patienten beim Ausfüllen des Fragebogens sind wir dankbar. Mit freundlichen Grüßen Anhang 1 Formular BK-Anzeige 100 101 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Anlage 2 Erläuterungen zur Anzeigepflicht § 202 SGB VII Anzeigepflicht von Ärzten bei Berufskrankheiten 1 Haben Ärzte oder Zahnärzte den begründeten Verdacht, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht, haben sie dies dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen Form (§ 193 Abs. 8) unverzüglich anzuzeigen. 2 Die Ärzte oder Zahnärzte haben die Versicherten über den Inhalt der Anzeige zu unterrichten und ihnen den Unfallversicherungsträger und die Stelle zu nennen, denen sie die Anzeige übersenden. 3§ 193 Abs. 7 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Begründeter Verdacht (BKV E §202 SGB VII): Die Anzeige ist nicht nur zu erstatten, wenn der Arzt das Vorliegen einer Berufskrankheit für sicher oder für wahrscheinlich hält, sondern bereits, wenn er bei einem Versicherten Krankheitserscheinungen beobachtet, die den Verdacht auf eine Berufskrankheit begründen. Verstößt der Arzt gegen die Anzeigepflicht, so kann für den Betroffenen und nach seinem Tod für seinen Sonderrechtsnachfolger ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch entstehen. Die gesetzliche Anzeigepflicht des Arztes bleibt von der datenschutzrechtlichen Einwilligung unberührt, weil es sich um eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis handelt. Der Gesetzgeber hat den Versicherten bei der bestehenden gesetzlichen Anzeigepflicht kein ausdrückliches Widerspruchsrecht konzediert, deswegen ist der Arzt trotz des Widerspruchs des Betroffenen zur Meldung an den UV-Träger oder die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle verpflichtet. Die Anzeige ist unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Verzögern zu erstatten, und zwar entweder dem Versicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle – in der Regel dem staatlichen Gewerbearzt. Mitteilungspflicht gegenüber den Krankenkassen § 294a SGB V Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten Gesundheitsschäden (1) 1Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Krankheit eine Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung oder deren Spätfolgen oder die Folge oder Spätfolge eines Arbeitsunfalls, eines sonstigen Unfalls, einer Körperverletzung, einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes oder eines Impfschadens im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ist oder liegen Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden vor, sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach § 108 verpflichtet, die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen. 2Für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, die nach § 116 des Zehnten Buches auf die Krankenkassen übergehen, übermitteln die Kassenärztlichen Vereinigungen den Krankenkassen die erforderlichen Angaben versichertenbezogen. Absatz 1 eingefügt durch G vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190). Satz 1 geändert durch G vom 28.05.2008 (BGBl I S. 874). Ärzte und Krankenhäuser sind verpflichtet, den Krankenkassen bei Anhaltspunkten auf eine Berufskrankheit, die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher mitzuteilen. Vorschlag: eine Kopie des Fragebogens wird an die zuständige Krankenkasse übersandt Arbeitsgruppe „Berufskrankheiten“ Bremen, 26.02.2014 Fragebogen zu beruflichen Einwirkungen Liebe Patientin, lieber Patient, wir legen Ihnen einen Fragebogen vor, mit dem ermittelt werden kann, ob eine Auslösung Ihrer Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit möglich ist. Viele Möglichkeiten haben wir schon bedacht. Wenn Sie weitere Hinweise oder Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Ihre Stationsärztin oder Ihren Stationsarzt/an ……… Warum dieser Fragebogen sinnvoll ist: Wenn eine Berufskrankheit erkannt wird, können Leistungen von der Gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften) erfolgen, z. B. durch Übernahme von Zuzahlungen oder eine bessere soziale Absicherung. Auch Ihre Krankenkasse wird entlastet, wenn die Heilbehandlung durch die Berufsgenossenschaft bezahlt wird. Bitte sehen Sie den Bogen sorgfältig durch und machen ein Kreuz, wenn eine Frage auf Sie zutrifft. Auskünfte zu beruflichen Erkrankungen und Berufskrankheiten können Sie zusätzlich erhalten: In Bremen: In Niedersachsen Landesgewerbearzt Rembertiring 8 – 12 28199 Bremen Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Hannover Gewerbeärztlicher Dienst Am Listholze 74 30177 Hannover Telefon: (0511) 9096-0 Telefax: (0511) 9096-199 Tel. 0049421 36115119 Fax 0049421 36115929 Rat und Hilfe können Sie in Bremen jeden Mittwoch auch bei der Berufskrankheiten-Beratung erhalten, Sie ist bei der Arbeitnehmerkammer in Bremen-Nord Lindenstraße 8 28755 Bremen Telefon 0421 6695036 zu erreichen. Vielen Dank für Ihre Mühe 102 103 BERUFSKR ANKHEITEN PR AXIS Fragebogen für Patientinnen und Patienten In welchem der folgenden Berufe waren Sie tätig? Oder haben Sie eine der folgenden Tätigkeiten ausgeübt? □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ □ Aufzugsmonteur Bauberufe Brandschutztürenhersteller Bootsbauer Chemiearbeiter Dachdecker Elektriker Elektromaschinenbauer Estrichleger Fernmeldehandwerker Feuerungsmaurer Fliesen-, Platten-, Mosaik- und Bodenleger Flugzeugmechaniker Gießer/Former Gleisbauer Hafenumschlagarbeiter Hüttenfacharbeiter Instandhaltungspersonal Heizer (Maschinist) Heizungsmonteur Installateur Isolierer Kaminkehrer Kessel- und Behälterbauer Kfz-Mechaniker Korrosionsschutzwerker Kraftfahrer Kunststoffverarbeiter Lüftungsbauer Maler/Anstreicher/Lackierer Mangeler/Bügeler Maschinenbauer/techniker Maschinenwärter Ofensetzer/Luftheizungsbauer Rohrnetzbauer Sackreiniger Säureschutzmonteur Schiffsingenieur/Maschinist Schlosser Schmuckhersteller (Goldschmied) Schweißer Steinmetz Straßenbauer, Asphalt-Mischanlagen-Führer Stuckateur Textilarbeiter Tischler Trockenbau-, Akustik- Bauund Brandschutzbaumonteur Waggonbauer Werftarbeiter Zahntechniker Zimmerer Mein Beruf ist nicht aufgführt, ich bin: Schiffbau Schiffsausrüstung Schiffsreparaturen Reparaturen an Bahnfahrzeugen Abbruch-, Sanierungs-, und Instandhaltungsarbeiten □ Errichtung, Aufbau und Reparatur von Kraftwerken □ Arbeiten im industriellen Rohr- und Behälterbau □ Umgang mit Asbestzement □ Wellplattenverarbeitung □ Umgang mit Asbesttextilien (Garne, Zwirne, Schnüre, Hitzeschutzbekleidung – evtl. auch selbst getragen) □ Rohrleitungsarbeiten □ Wärmeisolierung (z. B. von Turbinengehäusen und Rohrleitungen, Isolierung von Blech-, Lüftungs- und Klimakanälen) □ Spritzisolierungen mit Asbest (z. B. Waggonbau) □ Bearbeitung von Isolierungen und Schalldämmplatten □ Umgang mit Dichtungen, Isolierungen, Bremsbelägen und Kupplungen im Kfz-Bereich □ Reinigungs- und Wartungsarbeiten an Kaminen □ Arbeiten mit Bitumen, Dach- und Dichtungsbahnen □ Umgang mit asbesthaltigem Talkum □ Arbeiten mit Dichtungen □ Umgang mit dem Bunsenbrenner □ Hohlglasfertigung □ Metallerzeugung, Metallverarbeitung □ Maschinenbau □ Arbeiten in enger Nachbarschaft zu diesen Gewerken:=>Chrom, Nickel, Kokereigase, ionisierende Strahlung, PAK □ Schweißen/Flammspritzen □ Arbeiten in einer Kokerei □ Arbeiten im Erzbergbau □ Arbeiten mit Strahlenpass/Dosimeter □ Arbeiten im Hochofenbereich (Eisen- und Stahlerzeugung) □ Glanz- und Hartverchromung in der Galvanotechnik Liste der Berufskrankheiten Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), zuletzt aktualisiert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 11. Juni 2009 1 Hatten Sie beruflich mit den folgenden Stoffen zu tun, selbst oder durch Nachbararbeitsplätze? 11 1101 □ Asbest □ Chromverbindungen/Chromate □ Nickelverbindungen □ Arsenverbindungen □ Steinkohlenteer, Steinkohlenöl □ Mineralöle, Ruße, Rohparaffine, Anthrazen □ Holz-, Lederstaub, Eichen-, Buchenholzstaub □ Pyrolyseprodukte (z. B. in der Kokerei, als Gaswerker, Schornsteinfeger, Asphaltarbeiter oder Dachdecker) □ Ionisierende Strahlen/Röntgenstrahlen □ Dioxine/PCB 1102 1103 1104 1105 1106 1107 Bitte ausfüllen, wenn mindestens ein Kreuz gesetzt wurde Name, Vorname: 1108 Geb. am: 1109 Anschrift: 1110 Zeitraum der angekreuzten Tätigkeit von: Bei welchem Arbeitgeber bis: 12 1201 1202 (bei mehreren Arbeitgebern bitte den letzten angeben) Anschrift: Mir ist bekannt, dass diese Informationen zur Prüfung einer Berufskrankheit an die Berufsgenossenschaft weitergeleitet werden ja nein 13 Datum, Unterschrift 1301 Wurde bei Ihnen bereits eine Berufskrankheit anerkannt oder abgelehnt? ja nein 1302 Wenn ja, welche Berufskrankheit? 1303 Von welcher Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse? 1304 Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten Metalle und Metalloide Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen Erstickungsgase Erkrankungen durch Kohlenmonoxid Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe Schleimhautveränderung, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol Erkrankungen durch Nitrooder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge 1305 1306 1307 1308 1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317 1318 Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff Erkrankungen durch Methlyalkohol (Methanol) Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Salpetersäureester Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide Erkrankungen der Zähne durch Säuren Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon Erkrankungen durch para-tertiär-Butylphenol Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol Zu den Nummern 1101 bis 1110, 1201 und 1202, 1303 bis 1309 und 1315: Ausgenommen sind Hauterkrankungen. Diese gelten als Krankheiten im Sinne dieser Anlage nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper verursacht werden, oder gemäß Nummer 5101 zu entschädigen sind. 104 105 BERUFSKR ANKHEITEN 2 21 2101 2102 2103 2104 2105 2106 2107 2108 2109 2110 Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten Mechanische Einwirkungen Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck Druckschädigung der Nerven Abrissbrüche der Wirbelfortsätze Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unter- PR AXIS 2111 2112 lassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Erhöhte Zahnabrasionen durch mehrjährige quarzstaubbelastende Tätigkeit Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht 22 2201 Druckluft Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft 23 2301 Lärm Lärmschwerhörigkeit 24 2401 2402 Strahlen Grauer Star durch Wärmestrahlung Erkrankungen durch ionisierende Strahlen 3 Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis Tropenkrankheiten, Fleckfieber 4103 4104 4105 4106 4107 4108 4109 3101 3102 3103 3104 4110 4111 4112 4113 4 41 4101 4102 Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells Erkrankungen durch anorganische Stäube Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) Quarzstaublungenerkrankungen in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) 4114 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs ❙ in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) ❙ in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder ❙ bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106 [(Fasern / m³) x Jahre]} Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat) Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg / m³) x Jahre] Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose) Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg / m³) x Jahre] Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrschein- 4115 42 4201 4202 4203 43 4301 4302 5 5101 5102 6 6101 lichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 [der Berufskrankheiten-Verordnung, Anmerkung der Verfasser] entspricht Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen (Siderofibrose) Erkrankungen durch organische Stäube Exogen-allergische Alveolitis Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachsoder Rohhanfstaub (Byssinose) Adenokarzinome der Nasenhauptund Nasennebenhöhlen durch Stäube von Eichen- oder Buchenholz Obstruktive Atemwegserkrankungen Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Hautkrankheiten Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe Krankheiten sonstiger Ursache Augenzittern der Bergleute 106 107 BERUFSKR ANKHEITEN AN ÜR BERUFSKR BER ATUNG F PR AXIS KHEITEN BER ATUNG FÜR BERUFSKR ANKHEITEN Beratung für Berufskrankheiten Haben Sie den Verdacht, dass eine Erkrankung durch Ihre Er werbstätigkeit entstanden ist? Dann sollte abgeklär t werden, ob eine Ber ufskrankheit (BK) vorliegt. Möglicher weise besteht Anspr uch auf Versicher ungsleistungen, beispielsweise medizinis c h e B e h a n d l u n g u n d Re h a b i l i t a t i o n , b e r u f l i c h e Reha-Maßnahmen wie zum Beispiel Umschulungen, die Anpassung des Arbeitsplatzes oder der Wohnung sowie eine Rente. Wenn Sie die zuständige Ber ufsgenossenschaf t (BG) oder Unfallkasse infor mieren, wird diese ermitteln, ob eine Ber ufskrankheit vorliegt. Im ersten Schritt muss bewiesen werden, dass Sie bei der b e r u f l i c h e n T ä t i g ke i t d e n f ü r d i e b e t r e f f e n d e E r k r a n k u n g m a ß ge b l i c h e n E i n w i r k u n ge n a u s ge s e t z t s i n d oder waren. Im zweiten Schritt wird durch ein medizinisches Gutachten geklär t, ob die konkrete Erkrankung durch diese Einwirkung hervorger ufen wurde. Um Ihr Anliegen unabhängig beur teilen zu lassen, können Sie sich von der Ber ufskrankheitenB e r a t u n g d e r A r b e i t n e h m e r k a m m e r B r e m e n u n te r s t ü t z e n l a s s e n . D i e B e r a t u n g s s te l l e b e r ä t Unser Service für Sie Die Beratungsstelle für Berufskrankheiten wird aus Mitteln des Senators für Gesundheit f inanziert. Die Beratung ist kostenlos. Beratung für n Berufskrankheite w w w. a r b e i t n ehmerkamme r. d e Kontakt www.arbeitnehmerkkammer.de Beratungsstelle für Berufskrankheiten Arbeitnehmerkammer Bremen Niklas Wellmann Telefon 0421 · 66950 -36 | Fax 0421 · 66950 - 46 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de/bk-beratung Bremen-Stadt Sprechzeiten Sprechzeiten Donnerstag 13 bis 17.30 Uhr b e i d e r M e l d u n g e i n e r B e r u f s k ra n k h e i t beim Ausfüllen der Fragebögen wenn ein Widerspr uch zu einem Bescheid for mulier t werden muss wenn Akteneinsicht er forderlich ist u m d a s m e d i z i n i s c h e G u t a c h te n z u e r l ä u te r n bei möglichen Ver fahrensfehler n. Bürgerstraße 1 28195 Bremen mer H Straßenbahn 2, 3, 4, 5, 6, 8 Bus 24, 25 Bremen-Nord Sprechzeiten Sprechzeiten Lindenstraße 8 28755 Bremen H Bremerhaven B u s 91 / 9 2 , 9 4 Sprechzeiten Sprechzeiten Foto: Handwerkskammer Bremen Mittwoch 10 bis 12 Uhr und 15 bis 17 Uhr Dienstag 13 bis 17.30 Uhr M a r t i n - D o n a n d tt Platz Martin-Donandt-Platz L loydstraße/VHS Lloydstraße/VHS Barkhausenstraße 16 27568 Bremerhaven H Bus 501/506, 502/508/509 Juli / 2014 Arbeitnehmerkam Bremen Was ist eine Be r u fs k ra n k h e i t ? E i n e B e r u f s k ra n k h e i t i st e i n e E r k ra n k u n g , d i e d eine Einwirkun u rc h g am Arbeitspla tz (durch versic T ä t i g ke i t ) e n t s t a h e r te n d e n i st u n d i n d i e L i s te d e r B e r u k r a n k h e i te n a u f fsge n o m m e n w u r de. Welc he Ber ufsk r a n k h e i t e n ko m men häuf ig vor B e r u f s k ra n k h e i t ? en ziehen sic h d u rc h a l l e T ä t i g k Häuf ig sind beis e i te n . pielsweise Haut e r k r a n k u n ge n , Lär mschwerhör i g ke i t , B a n d s c h e i b e n b e d i n g te E r k u n ge n , Lu n ge n k ra n krebs und Sc häd i g u n ge n d e r K n Wer ist ver sic h ie. er t? Jede oder jeder abhängig Er wer b s t ä t i ge . D e r A r b ge b e r h a t d i e P f eitlic ht, seine Besc h ä f t i g te n b e i d e z u s t ä n d i ge n B e r r u f s ge n o s s e n s c h a f t zu versicher n Welc he Leistun . ge n e r b r i n g t d i e B e r u f s ge n o s s e n sc haf t oder Unf allkasse? Z u d e n L e i st u n g e n ge h ö r e n m e d izinisc he Behan l u n g u n d Re h a b dilitation, ber uf l i c h e Re h a - M a ß n men wie z.B. Um ahs c h u l u n ge n , d i e A npassung des Arbeitsplatzes o der der Wohnun g sowie die Ber u k r a n k h e i te n - R e n fste . Hi nweis Es gilt der Gr un dsatz: Re h a b i l i t a t i o n v or Rente. Bevor e i n e R e n te g e z a w i r d , s i n d Re h a hlt -Maßnahmen vo rz uz i e he n . Welc he Ber ufsk r a n k h e i te n k ö n n e n i n ve r sc hiedenen Ber u fe n o d e r B r a n c h e n e n t s te h e n Zum Beispiel… ? H a u te r k r a n k u n ge n : Frisör-, Mal er- und Lackiere handwerk, Dr uc rke r / i n , G e s u n d h e i t s b e r u fe , Baugewerbe, Re i n i g u n g s b e r u fe , Metallverarbeitu L ä r m s c h we r h ö ng r i g k e i t : B a u ge w erbe, Holz- und M e t a l l i n d u st r i e Bandsc heibenb e d i n g te E r k r a n k u n ge n : B a u b e r u fe , M ö b elträger, Beschä f t i g te i n d e r A l t P f l e ge - o d e r B e h en-, inder tenpf lege S c h ä d i g u n ge n d e r K n i e : Fliese nleger-, Dachde Malerhandwerk cker-, , I n st a l l a t i o n , B e tonbau, Schweiß Schif ffb bau, Gär tnerei en, Lu n g e n k r e b s : S chif ffb b a u , A s b e st z e m e n t i n d u st r i e , Isoliergewerbe, A s b e st - E n t s o r g u ng, Hoc h- und Tieffb bau, Klima-, Lüf tungs- und Heiz ungsbau, T ä t i g k e i te n m i t Schweißrauchen , Teerdämpfen oder radioaktive n St r a h l e n 108 BERUFSKR ANKHEITEN Die Beratungszeiten weichen teilweise von den Öffnungszeiten ab – bitte erfragen Sie diese telefonisch oder bei Ihrem HER AUSGEBER nächsten Besuch oder informieren Sie sich im Orte und Zeiten für Beratungen Arbeitnehmerkammer Bremen Internet. Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon 0421· 36301- 0 Geschäftsstelle Bremen Telefax 0421·36301- 89 Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon: 0421· 36301-0 Telefax: 0421· 36301-89 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de R E DA K T I O N V E R FA S S E R I N N E N / V E R FA S S E R Barbara Reuhl Annette Düring, DGB-Regionsvorsitzende Bremen-Elbe-Weser GR AFISCHE GESTALTUNG Harm Ehmke, Designbüro Möhlenkamp, Bremen ehem. Betriebsrat bei der Airbus Deutschland GmbH, Marlis Schuldt ehem. Vorstandsvorsitzender der BG ETEM auf Versichertenseite Jörg Möhlenkamp ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag bis Donnerstag 8.00 –18.30 Uhr Freitag 8.00 –13.00 Uhr Prof. Dr. jur. Joachim Heilmann, Professor für Zivil- und Arbeitsrecht i. R. FOTOS Dr. Wolfgang Hien, Kay Michalak, Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie, Marlis Schuldt, Bremen, wissenschaftlicher Berater im Projekt Handwerkskammer Bremen, Dr. Frank Hittmann, Fotostudio Penz, Landesgewerbearzt Bremen, Landesinstitut für Schule, Referat Arbeitsschutz beim Senator für Gesundheit Bremen LianeM – Fotolia.com, Andrea Im Sande, Berufsgenossenschaft Holz und Metall DRUCK Vertreterin der DGUV im Projekt Girzig & Gottschalk, Bremen Corinna Mahlstedt, AOK Bremen / Bremerhaven Stand: Dezember 2013 Petra Müller-Knöß, IG Metall Vorstand, Abt. Sozialpolitik H Straßenbahn 2, 3, 4, 5, 6, 8 Bus 24, 25 P Parkhaus Violenstraße Geschäftsstelle Bremerhaven Barkhausenstraße 16 27568 Bremerhaven Telefon: 0471· 92235-0 Telefax: 0471· 92235-49 [email protected] Martin-Donandt-Platz Barbara Reuhl, Referentin für Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, Projektleiterin Tuku Roy-Niemeier, Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzberaterin ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag und Mittwoch 8.00 –18.30 Uhr Dienstag und Donnerstag 8.00 –16.30 Uhr Freitag 8.00 –13.00 Uhr bei der Handwerkskammer Bremen Rolf Spalek, Lloydstraße/VHS H Bus 505, 506 Martin-DonandtPlatz 502, 508, 509 Loydstraße/VHS ehem. Betriebsrat der Bremer Vulkan AG, Berufskrankheiten-Berater im Projekt Dr. Henning Wriedt, Beratungsstelle ›Arbeit und Gesundheit‹, Hamburg Geschäftsstelle Bremen-Nord Lindenstraße 8 28755 Bremen Telefon: 0421· 66950-0 Telefax: 0421· 66950-41 [email protected] ❚ Allgemeine Öffnungszeiten Montag und Donnerstag 8.00 –18.30 Uhr Dienstag und Mittwoch 8.00 –16.30 Uhr Freitag 8.00 –13.00 Uhr H Bus 91/92, 94 Fährgrund w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e Arbeitnehmerkammer Bremen Praxis SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN Berufskrankheiten ziehen sich durch alle Branchen und Berufe. Im Land Bremen werden jährlich mehr als 1.000 Erkrankungen als Berufskrankheit angezeigt – davon anerkannt aber nur 350. In der vorliegenden Veröffentlichung sind Erfahrungen und Erkenntnisse aus mehr als 180 Beratungsfällen eingeflossen, die im Rahmen des Projekts ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ gemacht wurden. Sie zeigt auf, welche Schwierigkeiten sich für die Betroffenen ergeben, wie das Anerkennungsverfahren aufgebaut ist und weche Präventionsmöglichkeiten es gibt, um Beschäftigte vor Berufskrankheiten zu schützen. Praxis Wissenstransfer Berufskrankheiten Wissenstransfer Berufskrankheiten SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN SCHRIFTENREIHE DER ARBEITNEHMERKAMMER BREMEN 2|2014 Wissenstransfer Berufskrankheiten 2 Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Projekt ›Wissenstransfer zur präventiven Unterstützung von Betrieben zur Verhinderung von Berufskrankheiten‹ Praxis ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ ⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇⑇ Arbeitnehmerkammer Bremen