Der Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn
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Der Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn
Der Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn Abschlussbericht Prof. Dr. Peter Kirchner Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Abteilung Geographie Untersuchung im Auftrag der IHK Heilbronn-Franken Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Herausgeber Peter Schweiker IHK Heilbronn-Franken Ferdinand-Braun-Straße 20 74074 Heilbronn Telefon 07131-9677-0 Telefax 07131-9677-243 E-Mail [email protected] Internet http://www.heilbronn.ihk.de Autor Prof. Dr. Peter Kirchner Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Abteilung Geographie Reuteallee 46 71634 Ludwigsburg Juni 2010 2 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Der Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn Cluster-Struktur Dem historischen Attribut einer Papierstadt wird Heilbronn auch heute noch gerecht. Mit 14,1 Prozent war der Anteil der Beschäftigten im Papier-, Verlags- und Druckgewerbe im Stadtkreis Heilbronn 2008 nach wie vor überdurchschnittlich hoch (Tab. 1). Absolut gesehen ist die Zahl der Beschäftigten in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen, weil ein großes Traditionsunternehmen der Papierbranche, die Firma Landerer, ihren Standort aus Platzmangel über die Stadtgrenzen hinaus verlagert hat. Tab. 1: Beschäftigte im Papier-, Verlags- und Druckgewerbe in der Region HeilbronnFranken nach Kreisen 2008 Stadtkreis Heilbronn Landkreis Heilbronn Landkreis Hohenlohekreis Landkreis Schwäbisch Hall Landkreis Main-Tauber-Kreis Heilbronn-Franken Baden-Württemberg Papier, Verlag und Druck 1.863 2.122 415 1.690 340 6.430 67.206 Verarbeitendes Anteil Papier, Verlag Gewerbe und Druck in % 13.251 14,1 47.888 4,4 18.552 2,2 23.984 7,0 18.674 1,8 122.349 5,3 1.254.198 5,4 Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, eigene Berechnungen Ein Wachstum hat zeitgleich das Umland von Heilbronn erfahren, weil sich hier bestehende Druckereien zu Faltschachtelherstellern entwickelt und weitere Faltschachtelunternehmen neu gegründet haben. Im Gegensatz zu den anderen Papier verarbeitenden Branchen hat die Faltschachtelindustrie seit den 1960er Jahren ein dynamisches Wachstum erfahren. Der Verpackungsdruck von Faltschachteln ist heute mit 1.400 Beschäftigten in acht Unternehmen der größte Zweig innerhalb der Papier verarbeitenden Unternehmen im Raum Heilbronn. An zweiter Stelle folgt der Schul- und Bürobedarf mit zwei Unternehmen und 950 Beschäftigten (Tab. 2). Die amtliche Statistik weist für den Stadt- und Landkreis Heilbronn für das Jahr 2008 knapp 4.000 Beschäftigte in 26 Unternehmen aus. 21 Unternehmen mit 2.875 Beschäftigten, darunter vier Unternehmen aus dem westlichen Hohenlohekreis, konnten in die vorliegende Studie einbezogen werden. Die Hälfte der erfassten Unternehmen und Beschäftigten gehören zum Stadtkreis Heilbronn. Unter Ausklammerung der Branche „Spezialisierte Druckereien“, von der nur wenige Unternehmen erfasst wurden, handelt es sich um eine Vollerhebung. Tab. 2: Stichprobe der Papier verarbeitenden Unternehmen im Raum Heilbronn nach Branchen (Quelle: eigene Erhebung 2009) Branche Verpackungsdruck Faltschachteln Verpackungsdruck Beutel und Tüten Verpackungsdruck Tragetaschen Schul- und Bürobedarf Briefhüllen und CD-Hüllen Spezialisierte Druckereien Gesamt Unternehmen 8 2 3 2 3 3 21 3 Beschäftigte 1.400 45 25 950 225 230 2.875 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Cluster-Genese Für die Entstehung und Entwicklung der Heilbronner Industrie hat die Papier- und Papiermaschinenproduktion eine wichtige Schrittmacherfunktion gehabt. Die Pioniere der mechanischen Papierproduktion in Heilbronn waren Gustav Schaeuffelen und die Gebrüder Rauch mit ihren beiden Papierfabriken. Gustav Schaeuffelen kaufte 1822 die Ebbeckesche Papiermühle in Heilbronn. Im gleichen Jahr begannen die Gebrüder Rauch ihre auf der gegenüberliegenden Neckarseite gelegene Öl- und Tabakmühle zu einer mechanischen Papierfabrik umzurüsten (Schmidt 1994, S. 251). Mit dem Wettlauf um die mechanische und damit industrielle Fertigung des bis dahin handwerklich geschöpften Papiers zwischen Schaeuffelen und den Gebrüdern Rauch begann die Industrialisierung Heilbronns. Beide Papiermühlen beschritten zunächst unterschiedliche Wege. Die Gebrüder Rauch entstammten einer angesehenen und wohlhabenden Heilbronner Kaufmannsfamilie und verfügten damit sowohl über die kaufmännische Kompetenz als auch die notwendigen finanziellen Mittel für den Import einer Papiermaschine nebst Peripherieanlagen und Fachpersonal aus England. Als Folge dieses frühindustriellen Technologietransfers aus dem Mutterland der Industrialisierung konnte 1825 die maschinelle Papierfertigung in der Papierfabrik der Gebrüder Rauch anlaufen (ebd., S. 208). Angespornt durch die Rauch´schen Aktivitäten unternahm auch Gustav Schaeuffelen Anstrengungen zur Mechanisierung seiner Produktion. Aus Kapitalmangel suchte er sein Heil aber nicht im Import einer englischen Maschine, sondern in der Entwicklung und dem Bau einer eigenen Papiermaschine. Dieses Unterfangen führte durch die wesentliche Mitarbeit des einheimischen Mechanikers Johann Jakob Widmann 1830 zur Inbetriebnahme der ersten in Deutschland konstruierten und gebauten Papiermaschine in der Papierfabrik Gustav Schaeuffelen. Diese Maschine stand der englischen Importmaschine der Gebrüder Rauch technisch in nichts nach, war jedoch deutlich billiger (Klagholz 1986, S. 85). In den 1830er und 1840er Jahren bauten Schaeuffelen und Widmann als Pioniere der deutschen Papiermaschinenindustrie in jeweils eigenen Papiermaschinenfabriken um die 50 Papiermaschinen. Ende der 1840er leiteten eine Wirtschaftskrise und die politischen Unruhen das Ende des Papiermaschinenbaus in Heilbronn ein. Gustav Schaeuffelen verstarb 1848 und 1849 wanderte der zwar technisch hochbegabte, aber kaufmännisch glücklose Maschinenbauer Johann Jakob Widmann in die USA aus, wo sich seine Spuren verlaufen (Schmidt 1994, S. 329). Während der Papiermaschinenbau in Heilbronn bloß eine knapp drei Jahrzehnte währende Episode blieb, wuchsen die beiden Papierfabriken Gustav Schaeuffelen und Gebrüder Rauch schnell zu den größten Industriebetrieben Heilbronns heran. Die anfänglich deutlich größere Papierfabrik der Gebrüder Rauch wurde bereits 1842 von der Konkurrenzfirma Schaeuffelen überholt, die 1923 mit 535 Mitarbeitern ihren Höchststand erreichte (Tab. 1). Tab. 3: Beschäftigtenentwicklung der Papierfabriken Schaeuffelen und Rauch (Aus: Schmid 1993, S. 70) Gebrüder Rauch Gustav Schaeuffelen 1832 1842 1879 1897 1904 1923 110 180 300 300 250 k.A. 20 200 350 400 325 535 4 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Nach der Inflation 1923 strebten die beiden ehemals erbitterten Konkurrenten die Fusion zum damals größten Feinpapierkonzern Deutschlands an. Doch noch vor der Vollendung der Vereinigung geriet Schaeuffelen in große wirtschaftliche Schwierigkeiten, die 1926 zur Liquidation führten. Die Papierfabrik Gebrüder Rauch konnte sich zwar aus diesem Strudel retten, wurde jedoch 1942 kriegsbedingt stillgelegt und bei zwei Bombenangriffen 1944 und 1945 völlig zerstört (Feyerabend 1987, S. 25f.). Damit ging die Ära der Papierherstellung ebenso wie schon 100 Jahre zuvor der Papiermaschinenbau zu Ende. Faltschachtelindustrie Den Ruf Heilbronns als Papierstadt haben nach dem Zweiten Weltkrieg die Papier verarbeitende Industrie und der Papierhandel aufrecht erhalten. Neben den beiden Produzenten von Feinpapier waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die sich in Heilbronn entwickelnden Industriezweige sowie das Aufblühen von Handel und Verkehr eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung eines Vervielfältigungsgewerbes. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zählte Heilbronn um die 20 Buchdruckereien und Lithographische Anstalten. Aus diesem Pool haben sich einige heute noch bestehende Unternehmen der Faltschachtelindustrie entwickelt. Das älteste ist die Firma Landerer, deren Wurzeln in Heilbronn bis 1837 zurückreichen. Damals gründete Albert Friedrich Landerer in der Kramstraße, heute Kaiserstraße 26, ein Ladengeschäft für Papierwaren. Die Fabrikation von Papiertüten und Säcken leitete 1865 den Wandel zum Produktionsunternehmen ein, der 1906 mit dem Auftrag zur Herstellung von Schiebeschachteln für den Zigarettenhersteller Waldorf-Astoria in Stuttgart seinen entscheidenden Schub erhielt. Grundlegende Kompetenzen zur Herstellung von Faltschachteln müssen schon vor diesem Auftrag bestanden haben, die dazu notwendigen Maschinen waren jedenfalls bereits vorhanden. Wahrscheinlich ist auch, dass bereits Faltschachteln für die Nähseidenfabriken Ackermann in Sontheim und Amann in Bönnigheim gefertigt wurden. Fortan trieb die Firma Landerer die Spezialisierung auf das Faltschachtelgeschäft voran. Mit der räumlichen Ausweitung durch den Zukauf der alten Bruckmann´schen Silberwarenfabrik und anderer Gebäude entstand 1919 beinahe ein Gebäude-Viereck zwischen der Allerheiligen- und Deutschhofstraße bzw. Metzger- und Fischergasse. Dieses sogenannte Landerer-Areal fiel 1988 der Abrissbirne zum Opfer. Heute steht dort das Einkaufszentrum Stadtgalerie Heilbronn. Vom Ladengeschäft trennte man sich 1922 durch die Übergabe an Fritz Seel. Zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte sich die Firma Landerer dann zu einem der größten Faltschachtelhersteller in Süddeutschland. Dem schweren Luftangriff auf die Heilbronner Innenstadt am 4. Dezember 1944 fiel auch das Landerer-Areal zum Opfer. Nach einem Produktionsintermezzo bei der Sontheimer Zwirnerei Ackermann, die ein wichtiger Kunde war, konnte das Unternehmen 1949 wieder in die Heilbronner Innenstadt zurückkehren. Das Unternehmenswachstum und Rationalisierungsmaßnahmen haben seither eine zweimalige Unternehmensverlagerung – 1974 in die Rötelstraße nach Neckarsulm und 2009 in den Gewerbe- und Industriepark Unteres Kochertal in Neuenstadt – notwendig gemacht. Die Beschäftigtenzahl ist nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich auf 300 gestiegen1. Neben der Abspaltung des heute noch bestehenden Papier- und Schreibwarengeschäftes Seel ist aus der Firma Landerer durch Ausgründung der mittlerweile größte Faltschachtel5 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ hersteller in der Region entstanden. 1969 machte sich Peter Schnizer, der bei Landerer schon eine Lehre durchlaufen hatte, zusammen mit zwei weiteren leitenden Mitarbeitern selbständig und gründete die Firma Cartondruck. Erster Firmensitz war ein Büro im Rathaus von Obersulm-Willsbach, von wo aus die Vertriebsaktivitäten geleitet wurden. Die Produktion fand zunächst in über den Ort verteilten angemieteten Räumen statt. Noch im Jahr der Gründung erfolgte dann aber schon der Kauf eines Grundstücks in den Schrebergärten südlich des Ortskerns. Dort ist das Unternehmen über mehrere Bauabschnitte kontinuierlich gewachsen. Bezeichnenderweise erhielt die Erschließungsstraße des mit der Firma Cartondruck entstehenden Industriegebiets den Namen Senefelderstraße. Alois Senefelder erfand um 1800 das Steindruckverfahren, seine später folgenden Versuche mit verschiedenen Metalldruckplatten lieferten die Grundlage für den Offsetdruck. Die Vision von Peter Schnizer und seinen beiden Mitgründern Siegbert Sangel und Gerhard Kircher, sich auf hochwertige Verpackungen zu konzentrieren, ging voll auf. Verschiedene Formen der Veredelung von Faltschachteln wie z.B. der Prägefoliendruck waren die Voraussetzung für den Aufstieg des Unternehmens zu einem der wichtigsten Entwicklungspartner für die Kosmetikindustrie. Der Globalisierung dieser Industrie folgend baute Cartondruck 1999 in den USA und 2006 in Polen Produktionsstandorte mit jeweils 70 Beschäftigten auf. Am Stammsitz in Willsbach hatte das Unternehmen 40 Jahre nach seiner Gründung 400 Mitarbeiter. Seit dem Ausscheiden des Firmengründers Peter Schnizer im Jahr 2004 leiten seine beiden Söhne Marc und Steffen das Unternehmen in alleiniger Verantwortung. Das zweitälteste Faltschachtelunternehmen ist die seit 1866 bestehende Firma Höhing. Damals gründete Jakob Friedrich Paul Höhing eine Buchbinderei, die später durch ein Schreibwarengeschäft und die Herstellung von Schachteln aus Pappe ergänzt wurde. Schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert fertigte man Musterkoffer für die Außendienstmitarbeiter des Lebensmittelherstellers Knorr und der Silberwarenfabrik Bruckmann. Aus dieser ersten Geschäftsbeziehung heraus entwickelte sich eine jahrzehntelange Zulieferverflechtung für die Besteckschachteln der Firma Bruckmann. Bis zum Konkurs 1971 blieb Bruckmann der wichtigste Kunde der Firma Höhing. Zuvor hatten auch schon andere Heilbronner Kunden wie die Flammer Seifenwerke ihre Produktion aufgegeben. Seither hat sich die Firma Höhing mit einem die Faltschachtelherstellung ergänzenden Dienstleistungsangebot auf einen deutschlandweiten Markt umorientiert2. 1896 gründeten der gelernte Kaufmann Alfred Weisert und der Lithograph Carl Daur eine Lithografische Kunstanstalt. Schon früh stellte das junge Unternehmen in den Bereichen Stein- und Buchdruck Geschäftspapiere und Werbemittel für Kunden in ganz Süddeutschland her. Der Durchbruch gelang mit dem Druck von Plakaten und Etiketten für die große Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung in Heilbronn im Jahr 1897, der bis dahin größten Gewerbeschau in Württemberg. Die gute Geschäftsentwicklung ermöglichte bereits 1898 den Einzug in ein eigenes Betriebsgebäude in der Heilbronner Staufenbergstraße, heute Innsbrucker Straße. Hier entwickelten sich Papiereinschläge und Papierhüllen für Markenartikel aus der Nahrungsmittelindustrie, z.B. Verpackungen für die Suppenwürfel von Maggi, zum Hauptgeschäft. Bereits 1910 musste das Betriebsgebäude um das Doppelte vergrößert werden. Dem Wunsch der Kunden nach stabileren und stapelbaren Verpackungen entsprach das Unternehmen 1926 durch den Aufbau einer Faltschachtelabteilung. Diese Abteilung entwickelte sich so gut, dass 1928 ein weiteres Fertigungsgebäude in der Luisenstraße er6 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ richtet werden musste. Der Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges war dann aber von Problemen überschattet. Zum einen galt es den schwierigen Technologiewandel zu bewältigen, und zum anderen sah man sich nach dem Tod von Walter Weisert 1957 dem Problem der Nachfolge ausgesetzt. Nach dem Eintritt von Robert Esenwein senior, dem ehemaligen Gesamtbetriebsleiter der Stuttgarter Druckerei Stähle und Friedel, folgte durch die Spezialisierung auf die Herstellung von Faltschachteln in den 1960er Jahren eine Konsolidierungsphase (Weisert&Daur 1996). Zu den damals belieferten Kunden zählten neben der Heilbronner Firma Flammer, für die Waschmittelschachteln produziert wurden, vor allem Unternehmen von auswärts, wie z.B. Märklin in Göppingen. Durch diese günstige Entwicklung war die Innenstadtlage von Weisert&Daur aus räumlichen und logistischen Gründen nicht mehr länger tragbar. Ende der 1970er Jahre erfolgte deshalb die Verlagerung des Unternehmens in einen Neubau in der Benzstraße beim Heilbronner Osthafen. Mit einem umfassenden Produktionsprogramm für Verpackungen und Displays inklusive Dienstleistungen wie Konfektionierung und Logistik wuchs das Unternehmen dort auf 80 Beschäftigte3. Die Geschichte der heutigen Firma MM Packaging Schilling in der Knorrstraße südlich der Innenstadt von Heilbronn ist durch die Zulieferung von Verpackungsmaterialien an jeweils einen Hauptkunden gekennzeichnet. Bis in die 1960er Jahre produzierte die Großdruckerei Schilling für den in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Lebensmittelhersteller Knorr Werbemittel und Verpackungen. Das Unternehmen Schilling wurde 1902 von Karl W. Schilling gegenüber dem Fabriktor von Knorr zunächst als Lithographische Kunstanstalt gegründet. Das Grundstück hatte Schilling von Knorr erworben. Die Produktion wurde mit Maschinen und Steinen der liquidierten Lithographischen Anstalt C. Rembold begonnen (Jacobi 1988, S. 29). Der Aufbau eines „Haus- und Hoflieferanten“ direkt vor dem Fabriktor von Knorr hängt mit verwandtschaftlichen Verflechtungen zusammen. Der Sohn des technischen Direktors von Knorr, Herr Eberhardt, war mit der Tochter von Karl W. Schilling verheiratet. Gemeinsam gründeten Karl W. Schilling und sein Schwiegersohn das Zulieferunternehmen für Knorr. Über sechs Jahrzehnte blieb die Lithographische Kunstanstalt und spätere Großdruckerei Schilling der wichtigste Lieferant von Werbemitteln und Verpackungsmaterialien für Knorr. Nach dem Verkauf von Knorr an Maizena, der deutschen Tochter des amerikanischen Lebensmittelkonzerns CPC, lief die Zulieferverflechtung nach einer Übergangszeit aus. 1964 begann eine neue Ära der Zulieferverflechtung mit dem amerikanischen KonsumgüterKonzern Procter&Gamble, der in diesem Jahr seine erste deutsche Produktionsniederlassung für Waschmittel in Worms eröffnete. Zu den Waschmittelverpackungen kamen später Kartons für Windelhöschen hinzu. Die enorme Expansion von Procter&Gamble auf dem europäischen Markt ermöglichte der Großdruckerei Schilling die Entwicklung zum größten Waschmittelverpackungshersteller in Europa. Voraussetzung dafür war der Bau von großzügigen und rationellen Produktionsanlagen auf dem stillgelegten Gelände der benachbarten Zuckerfabrik. Bis heute ist Procter&Gamble der wichtigste Kunde geblieben. Aufgrund der guten internationalen Zusammenarbeit wurde die Großdruckerei Schilling nach dem altersbedingten Ausscheiden des langjährigen Geschäftsführers Gerhard Kösche 2002 – im Jahr des 100-jährigen Jubiläums – an den europäischen Marktführer Mayr Melnhof Packaging verkauft. 7 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Aus der Großdruckerei Schilling ging eine Ausgründung durch den Vertriebsleiter Werner Reule hervor. Nach seiner Lehre bei der Buchdruckerei Gutenberg, verschiedenen beruflichen Stationen in Heilbronn und einem Ingenieursstudium in Stuttgart trat Werner Reule 1965 in die damals größte Heilbronner Druckerei, die Großdruckerei Schilling, ein. Angeregt durch die Möglichkeit, den damaligen Hauptkunden Procter&Gamble auch für ein eigenes Unternehmen gewinnen zu können, gründete Werner Reule 1980 mit zwei weiteren führenden Mitarbeitern und einer handvoll Facharbeitern der Großdruckerei Schilling die Firma DPS Druck und Verpackung Schwaigern. Die Standortentscheidung fiel auf Schwaigern, weil in der Kürze der Zeit keine geeigneten Räume in Heilbronn und seinem direkten Umfeld zu bekommen waren und in Schwaigern zufällig eine große Halle einer Spedition frei wurde. Dort begann die Produktion mit gebrauchten Maschinen. Drei Viertel der Produktion von Verpackungen für Waschmittel und Windelhöschen wurden just-in-time an die Procter&Gamble Werke in Crailsheim, Euskirchen, Worms und das französische Amiens geliefert. Bis 1989 wuchs der Umsatz auf 36 Millionen DM an. Das schnelle Wachstum erforderte die Zupachtung von zwei weiteren Hallen in der direkten Umgebung. Aber auch diese Erweiterung stieß schnell an ihre Grenzen und der Bau eines großzügigen Produktionswerkes wurde immer dringlicher. In dieser Situation vermittelte Procter&Gamble den Kontakt zu dem sich auf Expansionskurs befindlichen österreichischen Wellpappefabrikanten Roman Bauernfeind. Dieser suchte damals dringend einen Produktionsstandort in Deutschland. Schnell wurden sich die beiden Seiten handelseinig und der Bau von Europas modernster Wellpappen-Fabrik auf den Weg gebracht. Nachdem in Schwaigern keine ausreichend großen ebenen Flächen vorhanden waren und der Schwerlastverkehr von täglich 15 Lastzügen einen autobahnnahen Standort erforderte, fiel die Entscheidung auf den direkt an der Autobahn A6 gelegenen Bad Rappenauer Stadtteil Fürfeld. Nach kürzester Bauzeit begann dort die Produktion 1990 mit einer 100 Meter langen prozessgesteuerten VerarbeitungsMaschine. Die 60 Mitarbeiter folgten geschlossen an den neuen Produktionsstandort. Bereits vor dem Baubeginn 1989 erfolgte die Umfirmierung der Firma DPS in Roman Bauernfeind Verpackungswerk. Der federführende Gründer Werner Reule verblieb noch bis 1997 als geschäftsführender Gesellschafter im Unternehmen4. 2004 wechselte das Unternehmen abermals den Besitzer und gehört seither als Mondi Bad Rappenau zur Mondi Gruppe. Mondi ist ein internationales Papier- und Verpackungsunternehmen, das Produktionsstätten in 31 Ländern unterhält und 2009 einen Umsatz von rund 5,3 Milliarden Euro erzielte. 2009 beschäftigte Mondi rund 31.000 Mitarbeiter. Mondi ist in allen Bereichen der Papier- und Verpackungsherstellung tätig – von der Holzproduktion über die Erzeugung von Zellstoff und Papier (einschließlich Recyclingpapier) bis hin zur Veredelung von Verpackungspapier für Wellpappeverpackungen und Industriesäcke. In Mondi Bad Rappenau werden mit 170 Beschäftigten Verpackungen aus Wellpappe für die Bereiche Hygiene und Haushalt sowie Lebensmittel, insbesondere Getränke produziert5. Als einziger der bisher beschriebenen Faltschachtelhersteller produziert die Firma MM Packaging Schilling GmbH noch an ihrem Gründungsstandort. Die anderen haben sich aus der beengten Innenstadtlage in die autobahnnahen Gewerbe- und Industriegebiete Heilbronns verlagert oder in benachbarten Gemeinden angesiedelt. Etwa 20 Km östlich von Heilbronn entstanden 1960 und 1982 zwei mittelständische Unternehmen der Faltschachtelindustrie – ähnlich wie die Heilbronner Faltschachtelhersteller aus dem Buchdruck heraus. 8 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Die Druckerei Bauer in Pfedelbach wurde 1960 von Willi Bauer als Buchdruckerei gegründet. Zuvor war der junge Buchdruckermeister in der Druckerei Wolf in Öhringen beschäftigt gewesen. Das Druckerhandwerk hatte er bei der Firma Baier&Schneider in Heilbronn gelernt. Die Anfänge bildete der Druck von Etiketten für zwei ortsansässige Weinkellereien. Die Faltschachtelherstellung setzte mit einem Auftrag zur Herstellung von bedruckten Faltschachteln für die Filter der Firma Purolator (heute Mahle) in Öhringen im Jahr 1969 ein. Bis zum Eintritt des Sohnes Eberhard Bauer 10 Jahre später blieb Mahle der einzige Großabnehmer für Faltschachteln. In den folgenden Jahren konnte jeweils ein Großkunde jährlich gewonnen werden. Ab 1990 erfolgte dann der Ausbau der Faltschachtelproduktion für die Pharmazie, Kosmetik, Chemie und für Nahrungsmittel. Heute werden 50% der produzierten Faltschachteln an die Pharmaindustrie geliefert. Displays ergänzen das Produktionsprogramm. Veredelungen und Spezialanwendungen werden mit externen Dienstleistern abgewickelt. Durch mehrere Bauabschnitte ist das Unternehmen seit 1990 beträchtlich gewachsen und beschäftigte ein halbes Jahrhundert nach der Gründung 75 Mitarbeiter. Seit 2007 ist mit Matthias Bauer bereits die dritte Generation an verantwortlicher Stelle im Unternehmen tätig6. Aus ähnlichen Wurzeln stammt die Firma Hepack Druck und Verpackung in Neuenstein, die 1981 von Lisa Heim als reiner Verpackungsdruckbetrieb gegründet wurde. Hervorgegangen ist dieses Unternehmen aus einer Akzidenzdruckerei, die Frau Heim mit ihrem Mann 30 Jahre lang betrieben hatte. Die Faltschachtelherstellung wurde durch die Nachfrage eines Bestandskunden der Akzidenzdruckerei angeregt. Während die Faltschachtelherstellung immer höhere Wachstumsraten verzeichnete, ging der Akzidenzdruck immer mehr zurück und lief 1999 schließlich ganz aus. Zwischen 2006 und 2009 kam es zu einer Verdoppelung des Produktionsvolumens bei Faltschachteln. Diese werden zu 90 % in hohen Auflagen an die Lebensmittelindustrie geliefert. Mehre Ausbaustufen haben das Unternehmen auf 100 Beschäftigte wachsen lassen7. Ein weiteres Faltschachtelunternehmen, das nur knapp jenseits der Grenzen der Region Heilbronn-Franken liegt, ist die Firma Neudel Verpackungen in Neckarbischofsheim. Der Gründer Horst Neudel kam zusammen mit dem Junior-Chef der Kartonagenfabrik Korndörfer 1948 aus Marktneukirchen im oberen Vogtland nach Neckarbischofsheim. In der Vorkriegszeit hatte das Unternehmen hauptsächlich für die pharmazeutische Industrie produziert. Deren Standorte lagen fast ausnahmslos in den westlichen Besatzungszonen. Damit man nach der Abriegelung der Sowjetischen Besatzungszone nicht von den Kunden abgeschnitten worden wäre, bauten die beiden in Neckarbischofsheim eine Produktion im Westen auf. Dieser Standort wurde gewählt, weil die Mannheimer Firma Böhringer damals dort eine Ampullenabfüllung betrieb und direkt beliefert werden konnte. 1956 machte sich Horst Neudel selbständig. Die erste Firma existierte noch bis 1963. Sukzessive diversifizierte Horst Neudel sein Produktprogramm. Neben Feinkartonagen ergänzten Faltschachteln und Displays das Angebot. Schon früh lag ein Schwerpunkt auf der Verarbeitung von Styropor als Bestandteil von Verpackungen. Im Bereich überzogener Buchschuber ist das Unternehmen mit seinen 65 Beschäftigten Marktführer in Deutschland und wird heute von den beiden Söhnen Thomas und Michael Neudel geführt8. Tüten, Beutel und Tragetaschen 9 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Obwohl auch die Firma Landerer 1865 bereits Papiertüten herstellte, ist die Firma Carl Friedrich Müller das Traditionsunternehmen in diesem Sektor der Papierverarbeitung geworden. Der Gründer Carl Friedrich Müller begann 1872 als Buchbinder in der Wollhausstraße. Schon wenige Jahre später folgte die Herstellung von Papiertüten und Papiersäcken (Schrenk/Weckbach 1994, S. 80). Bei den Papiertüten handelte es sich um Spitztüten, in denen die lose Ware auf Märkten und in Kolonialwarenläden verpackt wurde. Der frühe Bekanntheitsgrad der Spitztüten der Firma Carl Friedrich Müller drückte sich in der Bezeichnung des Unternehmens als „Guggenmüller“ durch den Volksmund aus. Nach dem Tod des Firmengründers 1903 verkaufte dessen Witwe das Unternehmen an den Papiergroßhändler Carl Berberich. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges waren beim Guggenmüller 135 Mitarbeiter beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt setzte auch die Produktion von Großpapiersäcken für die Zement-, Gips- und Kalkindustrie ein. In den 1930er Jahren wurde das Fertigungsprogramm um Bäckerfaltenbeutel und Bodenbeutel erweitert. Seit Ende der 1960er Jahre hat sich das Unternehmen auf die Herstellung flexibler Beutelverpackungen aus Papier und Verbundmaterialien wie Aluminium und Kunststoff spezialisiert. Zu den Produkten gehören z.B. Warmhaltebeutel für Lebensmittel oder Flachbeutel für Fotomaterialien. An dem nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebauten Standort in der Wollhausstraße arbeiteten 2009 ca. 40 Beschäftigte9. Während sich die Firma Carl Friedrich Müller vom klassischen Papierbeutelmarkt immer mehr entfernte, trieb ein anderes Heilbronner Unternehmen, die Firma Eugen Dierolf, den Technologiewandel in diesem Sektor voran. Eugen Dierolf senior gründete sein Unternehmen 1936 zusammen mit seiner Frau als reines Handelsunternehmen mit ganz einfachen Mitteln in der Karlstraße. Mit dem „Ziehwägele“ fuhren sie damals in der Region Tüten aus. Nach dem Eintritt der beiden Söhne Eugen junior und Eberhard erfolgte die Aufnahme einer eigenen Produktion mit gebrauchten Maschinen im Jahr 1965. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ging es stetig aufwärts. Unterbrochen wurde der Aufwärtstrend nur durch die Abspaltung von Eberhard Dierolf, der sich Mitte der 1980er Jahre mit seinem eigenen Unternehmen Ahorn Pack in Heilbronn-Böckingen selbständig machte. Durch verschiedene innovative Technologien konnte die Firma Eugen Dierolf Anfang der 1990er Jahre zum führenden Hersteller von Papierfaltenbeuteln für Bäcker und Metzger aufsteigen. Z.B. war Dierolf das erste Unternehmen, das Brötchentüten vollautomatisch verpackte. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte auch der Umzug mit den 100 Mitarbeitern in das neue Betriebsgebäude in der Austraße. Eine schwere Erkrankung von Eugen Dierolf junior führte 2001 zum Verkauf des Unternehmens an die Firmengruppe Meyer/Stemmle in Mülheim. Der neue Besitzer verlagerte die Produktion von Heilbronn nach Mülheim und in ein eigens aufgebautes Zweigwerk in der Slowakei10. Am Firmensitz in der Austraße betreibt Meyer/Stemmle noch eine Verkaufs- und Vertriebsniederlassung. Neben der Beibehaltung des Firmensitzes wird auch der Name Dierolf von Meyer/Stemmle weitergeführt. Das dritte Unternehmen für die Herstellung von Papierbeuteln, die Firma Hornung Verpackungen liegt direkt hinter der Regionsgrenze in Kirchheim am Neckar. Neben den traditionellen Papierbeuteln stellt dieses Unternehmen auch Tragetaschen aus Kunststoff her. Bei den bisher beschriebenen drei Unternehmen des Papier verarbeitenden Sektors für Tüten, Beutel und Tragetaschen steht trotz des Funktionswandels hin zum Werbe- und Kommunikationsmedium immer noch die Verpackungsfunktion der Produkte im Vordergrund. In 10 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ der jüngeren Vergangenheit haben sich im Heilbronner Raum drei kleinere Unternehmen entwickelt, die hochwertige Papiertragetaschen herstellen, bei denen die Verpackungsfunktion weitgehend in den Hintergrund getreten ist. Diese neue Generation von Tragetaschen fungiert vielmehr als beweglicher Image- und Werbeträger, der die Blickkontakte von Passanten auf sich ziehen soll. Wegen der aufwändigen Produktion mit viel Handarbeit lassen die Unternehmen solche Taschen zum großen Teil an Billiglohnstandorten fertigen. Eines der drei im Tragetaschenmarkt tätigen Unternehmen ist Meyer/Stemmle Dierolf, das nach dem Kauf der Firma Eugen Dierolf diesen Zweig in Heilbronn aufgebaut hat. Daneben bestehen mit der Firma Lotus Bags in Weinsberg und Riedle in Langenbrettach zwei Unternehmen, die sich ausschließlich dem Segment Tragetaschen verschrieben haben. Vor der Hinwendung zu den Tragetaschen war der Gründer von Lotus Bags, Fuat Ünlü, als Großund Einzelhändler für Lederbekleidung tätig. 1985 stieg er mit seiner Unternehmensgründung in einen sich gerade entwickelnden Markt ein, der bis dahin von einfachen Plastiktaschen beherrscht war. Nach dem Kauf der insolventen Papierbeutelfirma Ahorn Pack von Eberhard Dierolf in Heilbronn-Böckingen stieg der gelernte Druck- und Papiertechniker Volker Riedle 1993 in die Herstellung von Tragetaschen ein. Nach einfachen Anfängen in einem Wohnhaus verfügt das Unternehmen mittlerweile über ein repräsentatives Firmengebäude in Langenbrettach. Briefhüllen Durch Ernst Mayer hielt der Zweig der Briefhüllenherstellung Einzug in die Papierstadt Heilbronn. 1850 in Bad Wimpfen geboren, war seine erste berufliche Station nach der Kaufmannslehre im Heimatort eine Anstellung als Gehilfe in einer Stuttgarter Papierhandlung. Als Vertreter der damals neu errichteten Darmstädter Briefumschlagfabrik bereiste er in den 1870er Jahren verschiedene europäische Länder. Auf einer Reise in Schweden 1877 erfand er den gummierten Briefverschluss, der gegenüber dem bisherigen Siegeln große Vorteile aufwies. Mit dieser Innovation baute er eine eigene kleine Produktion für die patentrechtlich geschützten Klappenbriefe in einer gemieteten Schreinerwerkstätte auf. Schon sechs Jahre später erlaubte die gute Entwicklung des Unternehmens den Umzug in ein eigenes Fabrikgebäude in der Heilbronner Innenstadt. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wuchs die Beschäftigtenzahl auf 200. Zusammen mit einem 1909 errichteten Zweigwerk in Dresden beschäftigte das Unternehmen nur 10 Jahre später bereits 500 Mitarbeiter (Ernst Mayer Briefhüllenfabrik 1977). Nachdem der Wiederaufbau der völlig zerstörten Produktionsanlagen nach dem Zweiten Weltkrieg noch gemeistert werden konnte, kam die Ernst Mayer Briefhüllenfabrik Anfang der 1980er Jahre angesichts des harten Konkurrenzkampfes in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der daraufhin erfolgte Verkauf an den schwedischen Papierverarbeitungskonzern Ljungdahls blieb nur ein einjähriges Intermezzo. Nach ihrem Rückzug überließen die Schweden dem bereits als geschäftsführenden Gesellschafter tätigen Edlef Bartl das Feld. 1990 übernahm dieser die restlichen 20 % Firmenanteile der Familie Mayer. Mit Klaus-Dieter Mayer schied gleichzeitig der letzte in der Firma geschäftsführend tätige Vertreter der Gründerfamilie aus. Unter der Führung von Edlef Bartl durchlief der mittlerweile als Mayer-Kuvert-network firmierende Briefhüllenspezialist durch zahlreiche Firmenzukäufe im In- und Ausland einen beispiellosen Expansionskurs und avancierte 2006 zum Markt- 11 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ führer in Europa. Die Beschäftigtenzahl im Jahr 2009 umfasste 200 am neuen Stammsitz in den Böllinger Höfen und etwa 2.500 europaweit11. An das europäische Briefhüllenetzwerk von Mayer-Kuvert wurde 2001 auch die traditionsreiche Briefhüllenfabrik Wilhelm Pfau verkauft. Die Gründung dieses Unternehmens erfolgte durch Wilhelm Pfau 1909 als Buchdruckerei in der Badstraße 4 in Heilbronn. Wilhelm Pfau stammte aus Stuttgart, wo er als Schriftsetzer für die Druckerei Stähle und Friedel gearbeitet hatte. Die Motivation zur Gründung einer Druckerei in Heilbronn rührt wohl daher, dass Heilbronn als damals größerer Industriestandort als Stuttgart und als Zentrum der Papierherstellung und -verarbeitung bessere Entwicklungschancen bot. Tatsächlich gelang es, Heilbronner Kunden zu gewinnen. Über viele Jahre war die Firma NSU der größte Kunde, für die der übliche Akzidenzdruck von der Visitenkarte bis zum Katalog gedruckt wurde. Das KnowHow zur Herstellung von Briefhüllen kam von Wilhelm Pfaus Schwager, der vor seinem Eintritt in das Unternehmen für kurze Zeit in der Briefhüllenfabrik von Ernst Mayer gearbeitet hatte. Der Einstieg in die Briefhüllenfertigung mit einem erweiterten Maschinenpark erfolgte 1924. Über ein halbes Jahrhundert blieben Standard-Briefhüllen der Schwerpunkt des Produktionsprogramms. Getrieben durch die Erkenntnis, dass Briefhüllen nicht nur eine Schutz-, Verpackungs- und Transportfunktion haben, sondern auch Werbemittel sein können, baute der Enkel der Firmengründers, Dr. Peter Haunss, seit Mitte der 1970er Jahre eine Spezialfertigung für das Direktmarketing auf. Produziert wurden hochwertige und technisch komplizierte Werbehüllen und Antwortmittel als völlig neue Umschlagtypen speziell für die Direktwerbung. Mit diesem Produktionszweig führte Dr. Haunss sein Unternehmen in einen neuen Markt, den er fortan durch verschiedene Innovationen weiter entwickeln half (Hell 1989, S. 163). Über die Jahre hinweg ließ Dr. Haunss durch zahlreiche Publikationen andere an seinem Wissen teilhaben und profilierte sein Unternehmen als Spezialist für das Direktmarketing. Da seine Kinder das Unternehmen nicht weiterführen wollten verkaufte Dr. Haunss 2001 an Edlef Bartl. Der traditionsreiche und mit viel Know-How im Direktmarketingbereich verknüpfte Name der Briefhüllenfabrik Wilhelm Pfau wurde auch nach der Eingliederung in das Briefhüllennetzwerk von Mayer-Kuvert weitergeführt12. Gemeinsam mit Klaus-Dieter Mayer, einem Spross der Briefhüllenfabrik Ernst Mayer, gründete Robert Esenwein junior, der seit 1977 Geschäftsführer von Weisert&Daur ist, 1990 das Vertriebsunternehmen Mayer Verpackungstechnik. Das Produktionsprogramm umfasst CDHüllen und Datenträger-Verpackungen13. Bei dem jüngsten Briefhüllenunternehmen handelt es sich um eine Ausgründung aus MayerKuvert-network. Mathias Blanke hatte dort eine Ausbildung durchlaufen und machte sich 2007 mit der Firma Blanke Briefhüllen selbständig. Das in der Innovationsfabrik Heilbronn ansässige Unternehmen produziert und vertreibt mit knapp 20 Beschäftigten Briefumschläge und Versandtaschen. Schul-, Bürobedarf und Papierhandel Seit Anfang der 1990er Jahre überragt das Hochregallager der Firma Baier&Schneider das Industriegebiet Böllinger Höfe und repräsentiert mit dem seit 1903 geschützten Markennamen „Brunnen“ sowohl die eigene langjährige Unternehmenstradition als auch den gesamten Papierstandort Heilbronn. Die Produktion erfolgt an dem seit 1893 bestehenden 12 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Stammsitz in der Wollhausstraße. Die Geschichte von Baier&Schneider beginnt mit der Übergabe der Großhandlung für Papier- und Schreibwaren von Gustav Ziegler an Andreas Schneider und Julius Baier im Jahr 1877. Erster Firmensitz war das gemietete Haus Nr. 7 am Kirchhöfle, einem mit Bäumen bestandenen Platz mit Brunnen in Nachbarschaft zur Nikolaikirche. Der Impuls zur eigenen Produktion kam von den Kunden, die einen Lieferanten für liniertes Papier suchten. Nach dem Kauf von zwei eisernen Rollenliniermaschinen konnte die Fertigung 1885 anlaufen und wurde in den folgenden Jahren immer weiter ausgebaut. Mit der Errichtung eines Neubaus an der Wollhausstraße wurde dann im Jahr 1893 vollends die Erweiterung des Handelsbetriebs um eine Fabrik vollzogen. Bis 1914 wuchs die Beschäftigtenzahl auf 400 und bis zum Zweiten Weltkrieg noch einmal auf 500 (Baier&Schneider 1977). Die bis Ende der 1950er Jahre auf 560 angewachsene Beschäftigtenzahl blieb bis 2009 weitgehend konstant. Konstant ist auch das Produktionsprogramm im Bereich des Schulbedarfs geblieben. Stark gewachsen, vor allem durch Firmenübernahmen, ist der Geschäftsbereich Kalender. Bei den Terminkalendern stieg die Firma Baier&Schneider zum Marktführer in Deutschland auf 14 . Die Auslieferung von dem 2008 noch einmal erweiterten Logistikzentrum in den Böllinger Höfen erfolgt direkt an den Einzelhandel. Ein eigenes Außendienstnetz bildet die Brücke zu den Fachhändlern und unterstreicht die Doppelfunktion der Firma Baier&Schneider als Produktions- und Handelsunternehmen. Ihren Schwerpunkt im Papierhandel hat die seit 1863 bestehende Firma Carl Berberich. Ähnlich wie die Firma Baier&Schneider hat auch diese Firma eine wichtige Wurzel in der Papierund Schreibwarengroßhandlung Gustav Ziegler. Vor der eigenen Unternehmensgründung war Carl Berberich, der aus Höpfingen im Landkreis Buchen stammte, dort als Teilhaber tätig gewesen15. Vom ersten Firmendomizil in der Dammstraße 27 wurden neben Papier- und Schreibwaren auch Tüten und Beutel vertrieben. Außerdem erfolgte der Aufbau einer Fertigung von Geschäftsbüchern, für deren Export 1886 in Mailand eine Filiale eröffnet wurde. Weitere Filialen folgten bis zum Ersten Weltkrieg in Stuttgart, München und Köln (Schrenk/Weckbach 1994, S. 24). Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Firma Carl Berberich der zweitgrößte Papiergroßhändler in Süddeutschland (Feyerabend 1987, S. 26). Von den 400 Beschäftigen im Jahr 2009 entfielen 330 auf den Geschäftsbereich Papierhandel. 70 Beschäftige waren im Geschäftsbereich Berberich Systems tätig, in dem Sonderanfertigungen von Organisationsmitteln wie z.B. Ordner und Stehsammler hergestellt werden. Neben dem Stammsitz in Heilbronn unterhält Berberich Papier deutschlandweit nach wie vor mehrere Filialen und seit 1971 ein Auslieferungslager in Abstatt. Dort erfolgt auch der Großteil der Produktion für den Geschäftsbereich Berberich Systems. Nachdem der Wiederaufbau der Firma Gebrüder Rauch als Papierfabrik nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg weder möglich noch von Seiten der Stadt gewünscht war, erfolgte ein Neuaufbau des Pionierunternehmens der Heilbronner Papierindustrie ab 1949 durch den Handel mit Druck- und Feinpapieren. Die ausgebrannte alte Lumpenkocherei diente zunächst als Papierlager, in der früheren Leimküche wurde ein Büro eingerichtet (Schulten 1962). Dieses improvisierte Intermezzo wurde nach zwei Jahren durch den Umzug in einen Neubau in der Kreuzäckerstraße 15 beendet16. Trotz der örtlichen Konkurrenz durch die Firma Carl Berberich gelang eine erfolgreiche Entwicklung durch Innovationen wie z.B. den Bau eines der ersten Flachlager für Feinpapier 1958 und den Einsatz von Hebebühnen 13 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ an den Lastkraftwagen ab 1960. 1963 begann die Kooperation in der Papier Union, die 1988 in eine Fusion der beteiligten vier Papiergroßhändler mit einem Papierhersteller mündete (Feyerabend 1987, S. 26f.). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma Gebrüder Rauch 90 Beschäftigte. Die Geschäftsleitung der dezentral angelegten Papier Union wurde zunächst in Frankfurt aufgebaut, zog aber bereits 1989 nach Hamburg. Die Firma Gebrüder Rauch ist durch die Fusion zu einer den südwestdeutschen Raum abdeckenden und seit Anfang der 1990er Jahre in Talheim ansässigen Zweigniederlassung der Papier Union umfirmiert worden. Stanzformen- und Anlagenzulieferer Marbach Die verschiedenen Papier verarbeitenden Industriezweige im Raum Heilbronn, insbesondere der Verpackungsdruck sind durch einen dreischrittigen Produktionsablauf gekennzeichnet: Drucken – Stanzen – Kleben. Im Bereich der Stanzformtechnik ist in Heilbronn mit der Firma Marbach der Weltmarktführer ansässig. Gegründet wurde das Unternehmen von dem Bauschlosser Karl H. Marbach 1923. Das erste Produkt war ein Aufsetzstanzmesser für die ansässige Schuhindustrie. Das Know-How für den Bau dieses Schmiedemessers hatte sich Karl H. Marbach bei der Firma Kaco erworben, wo er Aufsetzstanzmesser für Lederdichtungen fertigte. Die Dichtungsindustrie blieb bis zum Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Kunde. Als weiteres Standbein kam bereits 1926 die Herstellung von Bandstahlschnitten hinzu, ausgelöst durch eine Nachfrage des Böckinger Werbemittelherstellers Nupnau, der Blockbuchstaben aus Karton herstellte. Dessen bisheriger Werkzeuglieferant, die Firma Knabe, hatte ihren Sitz im weit entfernten Berlin und so suchte die Firma Nupnau nach einem ortsansässigen Lieferanten. Der Nachbau eines von der Firma Knabe stammenden Werkzeugmusters gelang. Für Karl H. Marbach bedeutete dieser gelungene Technologietransfer den Startschuss für ein – neben der Dichtungs- und Schuhindustrie – drittes Standbein. Bis zum Zweiten Weltkrieg blieb das Unternehmen allerdings ein Handwerksbetrieb mit ca. 10 Mitarbeitern. Der Take-off der Faltschachtelindustrie brachte dann aber ab den 1960er Jahren Expansionsmöglichkeiten für die Stanzformtechnik der Firma Marbach. Begründet wurde das fortan stetig voranschreitende Wachstum vor allem durch technologische Neuerungen, z.B. durch die Einführung der Lasertechnik 1972. Über die Fertigung von Formen hinaus umfasst das Produktionsspektrum seit den 1990er Jahren den ganzen Bereich der Stanzformtechnik bis hin zum Maschinen- und Anlagenbau17. Druck- und Verpackungsdienstleistungen Im Druck allein lässt sich auf Grund von Überkapazitäten auf der Angebotsseite kaum noch Geld verdienen. Notwendig ist eine die gesamte Wertschöpfungskette umfassende Dienstleistung für bestimmte Marktsegmente oder die Spezialisierung auf eine Marktnische. Ein Beispiel für einen Fullservice-Druckdienstleister ist die seit 1949 bestehende Firma Walter Medien in Brackenheim mit ihren 120 Beschäftigten. Sie verfügt neben den Geschäftsfeldern Presseverlag und Geschäftsdruckerei mit dem Kalenderdruck über einen dritten Schwerpunkt. Alle drei Schwerpunkte umfassen einen Komplettservice von der Druckvorstufe bis zur Logistik18. Die Ursprünge der Firma Stäudle reichen bis 1892 zurück, als Wilhelm Walter das Hohenloher Tagblatt gründete. Nach der Übernahme der Druckerei durch seinen Schwiegersohn 14 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Wilhelm Stäudle 1920 entwickelte sich das Unternehmen zur Akzidenzdruckerei. Der Niedergang des Geschäftsdrucks in den 1980er Jahren zwang zu einer Umstrukturierung und Spezialisierung der Druckerei in Richtung Haftklebeetiketten. In diesem Nischenmarkt konnte sich das Unternehmen als Anbieter von Verkaufs- und Logistikprozessen mit seinen 40 Beschäftigten etablieren19. Das in den 1970er Jahre aufkommende Direktmarketing eröffnete für die Druck- und Weiterverarbeitungsunternehmen ein neues Marktsegment, in dem die Heilbronner Traditionsfirma Wilhelm Pfau wichtige Produktinnovationen platzieren konnte. Ein nach wie vor erfolgreich für diesen Markt produzierendes Unternehmen ist die Firma Datacolor Dialog-Medien in Öhringen, die 1978 als Rotakon Rollenoffsetdruck gegründet und 2007 mit der Firma Datacolor in Lüneburg verschmolzen wurde. Mit 75 Mitarbeitern am Standort Öhringen stellt das Unternehmen personalisierte Sonderwerbeformen wie z.B. Beihefter, CD-Präsentationen, Antwortelemente oder Bestellbögen in Millionen-Auflagen her. Über den reinen Druck hinaus erfolgen noch verschiedene Veredelungsprozesse wie z.B. Gummieren, Perforieren, Codieren oder Etikettieren. Zusammenfassend bezeichnet man diese Verarbeitungsschritte als Finishing20. Durch die Weiterentwicklung vom Lettershop-Unternehmen, das zunächst nur im Direktmarketingbereich beheimatet war, zum Fulfillment-Unternehmen mit einem umfassenden Dienstleistungsportfolio ist die Firma Ideal-Pack seit 1995 sehr dynamisch gewachsen. Beim Fulfillment handelt es sich um Verpackungsformen, die vom Standard der Konsumgütersteller abweichen und wegen ihrer größeren Bandbreite und Personalintensität von externen Dienstleistern vollzogen werden. Ein Beispiel wären Onpack-Aktionen, bei denen verschiedene Produkte zusammenzuführen und in Folie einzuschweißen sind. Die zunehmende Ausweitung des E-Commerces als zusätzlichem Vertriebskanal zum Filialgeschäft hat für den zweiten Wachstumsschub bei der Firma Ideal-Pack gesorgt. So ist das Unternehmen über das Fulfillment hinaus auch im Online- und Teleshopping Management mit 200 festangestellten Mitarbeitern und 300 Teilzeitkräften zu einem spezialisierten Dienstleister herangewachsen21. Cluster-Funktion Zulieferverflechtungen Die Struktur der Papier verarbeitenden Industrie im Raum Heilbronn liefert kaum Ansätze für intensive Zulieferverflechtungen. Zum einen liegt dies an der Vielzahl der Industriezweige, die jeweils nur durch wenige Unternehmen vertreten sind. Zum anderen zeichnen sich die Unternehmen durch eine hohe Fertigungstiefe aus, die eine Zulieferung von vornherein auf Betriebsmittel, Halbfertigprodukte und Hilfsstoffe beschränkt. Der größte Industriezweig der Faltschachtelhersteller mit seinen insgesamt acht Unternehmen ist durch den Produktionsdreiklang Drucken, Stanzen und Kleben gekennzeichnet. Neben den Maschinen und Werkzeugen werden Halbfertigprodukte in Form von Papier, Pappe und Karton sowie die Hilfsstoffe Farben, Lacke und Kleber benötigt. Alle drei Zulieferbereiche sind durch die Konzentration in europaweiten Konzernstrukturen geprägt. Der Pappe- und Kartonmarkt wird z.B. von Konzernen aus Skandinavien und Österreich beherrscht. Bis auf zwei Unternehmen unterscheiden sich die Marktsegmente der Faltschachtelhersteller. Die Bandbreite reicht von der einfachen Lebensmittelverpackung bis zur hochwertigen Lu15 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ xusverpackung für Kosmetik. Es kommt also nur vereinzelt zu einem direkten Wettbewerb. Die Voraussetzung für eine nicht die Kernkompetenzen berührende Kooperation wäre also gegeben und angesichts der Konzentration auf der Anbieterseite auch geboten. Die Anbahnung einer Zusammenarbeit beim Energie-Einkauf, Material-Einkauf oder der AbfallEntsorgung ist wegen der unterschiedlichen Anforderungen der Unternehmen jedoch gescheitert. Die Wertschöpfung von der Druckvorstufe über den Druck und die Weiterverarbeitung erfolgt jeweils vollständig im eigenen Unternehmen, zum Teil sogar noch die Logistik. Eine Zulieferverflechtung innerhalb der Faltschachtelzweigs gibt es nur sporadisch in Form der Auslagerung von Teilaufträgen bei Kapazitätsengpässen oder aber wenn ein Unternehmen nicht über die notwendige Bearbeitungsmaschine für eine besondere Form der Veredelung verfügt. Häufiger kommen branchenübergreifende Zulieferverflechtungen vor, bei denen das eigene Vertriebssortiment durch solche Produkte von Herstellern aus der Region ergänzt wird, die man entweder gar nicht oder nicht so kostengünstig produzieren kann. In einigen Fällen treten die beiden Partner durch gegenseitige Zulieferung dabei als Kunde und Zulieferer auf. Insgesamt ist das Volumen dieser Zulieferverflechtungen aber eher gering. Einen verlängerten Arm für alle Papier verarbeitenden Unternehmen bietet das Dienstleistungsunternehmen Ideal-Pack. Bei arbeitsintensiven Verpackungen kann Ideal-Pack die Produktionskette durch seine Verpackungsdienstleistungen ergänzen. Die Papier verarbeitenden Unternehmen können ihren Kunden dadurch Komplettangebote machen. Netzwerkbildung Seit 1999 besteht in der Region Heilbronn-Franken ein durch die Industrie- und Handelskammer in Person von Peter Schweiker initiierter Chef-Arbeitskreis, der sich aus ca. 15 Papier verarbeitenden Unternehmen aus dem Stadt- und Landkreis Heilbronn sowie den Landkreisen Hohenlohe und Main-Tauber zusammensetzt. Ziel der zwei- bis viermaligen Treffen im Jahr ist ein Benchmarking unter Unternehmern. Die bei den Mitgliedsunternehmen stattfindenden Sitzungen folgen einem wiederkehrenden Dreischritt. Nach einer Präsentation von Kennzahlen zum Unternehmen folgt ein Betriebsrundgang und zum Abschluss ein intensives Feedback. Nach 10 Jahren und knapp 30 Sitzungen erfolgte 2009 eine Evaluation dieser institutionalisierten Form der Vernetzung branchenähnlicher Unternehmen durch eine Befragung der Mitglieder. Die Organisation in einem dreistündigen Zeitfenster mit einem dreigliedrigen Ablauf wurde als effizient eingeschätzt. Gewinn ziehen die Mitglieder aus dem Austausch über allgemeine betriebliche Abläufe, also Fragen zur Organisation des Unternehmens, der Ausund Weiterbildung, Entsorgung oder Finanzierung. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten dienen als Grundlage für eine kritische Prüfung des eigenen Unternehmens. Zumindest „Kleinigkeiten“ wie die Gestaltung des Empfangs kann man immer als Anregung für Veränderungen mit nach Hause nehmen. Die Auseinandersetzung mit einem anderen Unternehmen und die Diskussion im Arbeitskreis liefern also Optimierungsimpulse und ermöglichen die Reflektion über das eigene Unternehmen von einer Außenperspektive. Zusammenfassend lässt sich diese Funktion des Arbeitskreises als Fortbildung zur Unternehmensorganisation umschreiben. Die größeren Unternehmen mit mehreren Hundert Be- 16 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ schäftigten können von dieser Funktion auf Grund ihrer anders gelagerten Probleme eher nicht profitieren und nehmen den Arbeitskreis gar nicht oder nur sporadisch in Anspruch. Ebenso wichtig wie der produktübergreifende Dialog sind das gegenseitige Kennenlernen und der Aufbau von Vertrauen. Dadurch sind intensivere bilaterale Kontakte mit einem fachbezogenen Informationsaustausch außerhalb des Arbeitskreises entstanden. Fazit Die heterogene Branchenstruktur und eine nur geringe Ausgründungsdynamik weisen die Papier verarbeitende Industrie im Raum Heilbronn zunächst nur als potenziellen Cluster aus. Neben dem Vorhandensein von zwei Papierfabriken bildete die Nachfrageseite der sich in Heilbronn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelnden Industrie die wichtigste Voraussetzung für ein Wachstum der Papierbranche. Aus dieser „Papierdichte“ heraus haben sich verschiedene Papierverarbeitungszweige mit einer entsprechenden Unternehmenskonzentration in der Stadt Heilbronn und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in deren Umland entwickelt. Dem durch das Ende der Papierproduktion und den Niedergang des Akzidenzdrucks bedingten Beschäftigtenrückgang steht das Wachstum der Faltschachtelindustrie gegenüber. Der Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn hat den Strukturwandel also erfolgreich gemeistert und den Ruf Heilbronns als Papierstadt konsolidiert. Was die Frequenz und Intensität von unternehmensübergreifenden Interaktionen angeht, lassen sich Synergien feststellen, die sich aus der räumlichen Konzentration der Unternehmen im Raum Heilbronn ergeben. Zulieferverflechtungen bestehen auf Grund von Kapazitätsengpässen, zur Ergänzung des Lieferprogramms, zur Vervollständigung einer Lieferkette und als reziprokes Lieferanten-Kunden-Verhältnis. Die Förderung kollektiver Lernprozesse erfolgt durch einen Chef-Arbeitskreis für die Geschäftsführer der Papier verarbeitenden Unternehmen. Die aus strukturellen Gründen eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten dieser Unternehmen versucht man, so weit wie möglich auszuschöpfen. Aus einer Netzwerkperspektive heraus kann der Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn deshalb durchaus als ein aktiver Cluster eingestuft werden, der erfolgreicher als die Summe seiner Einzelunternehmen ist. 17 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Abb. 1: Entwicklungsbaum des Papierverarbeitungs-Clusters im Raum Heilbronn (Quelle: Eigene Erhebung 2009) 2010 2000 Blanke May er-Kuv ert-Net work Riedle Mayer-K uvert Hepack Mey er/ St emm le Dierolf Mayer Bauernf eind Papier Union 1980 Mondi MM Packaging LOTUS Cartondruck 1960 Ahorn DPS Eugen Dierolf Bauer Gebr. Rauch 1940 Eugen Dierolf Marbach Fritz Seel 1920 Wilhelm Pfau Schilling 1900 Weis ert&Daur 1880 Ernst Mayer Baier&Schneider C.F. Müller 1903 Höhing Carl Berberich 1860 Gustav Ziegler 1840 1820 Landerer Gebr. Rauch Produktionsunternehmen Wichtiger vorheriger Arbeitgeber Handelssunternehmen Umfirmierung Produktions-/Handelsunternehmen Verkauf Werkzeug-/Anlagen-Zulieferer MBO (Management-Buy-Out) Know-How-Transfer 18 Prof. Dr. Peter Kirchner, Abschlussbericht zum IHK-Forschungsprojekt „Papierverarbeitungs-Cluster im Raum Heilbronn“ Literatur Baier&Schneider (Hg. 1977): Festschrift zum 100-jährigen Firmenjubiläum. Heilbronn. Ernst Mayer Briefhüllenfabrik (Hg. 1977): Festschrift zum 100-jährigen Firmenjubiläum. Heilbronn. Feyerabend, S. (Hg. 1987): Die Entwicklung der Papierindustrie in Heilbronn und ihr Einfluß auf die Industrialisierung der Stadt. Festreden anlässlich des 225-jährigen Bestehens der Firma Gebrüder Rauch am 5. November 1987. Heilbronn. Hell, H. (1989): Die Erfolgsstory des Direktmarketing. Moderne Industrie. Landsberg/Lech. Jacobi, U. (1988): 150 Jahre Knorr. Heilbronner Stimme. Heilbronn. Klagholz, B. (1986): Die Industrialisierung der Stadt Heilbronn von den Anfängen bis zum Jahr 1914. (=Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn, Bd. 17). Stadtarchiv Heilbronn. Meidinger, G. (1986): Die Entwicklung der Heilbronner Industrie. Vom Ersten Weltkrieg bis zum Beginn der Achtziger Jahre. Scriptae Mercaturae. (=Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn, Bd. 30). St. Katharinen. Schmid, E. (1993): Die gewerbliche Entwicklung in der Stadt Heilbronn seit Beginn der Industrialisierung. (=Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn, Bd. 3). Stadtarchiv Heilbronn. Schmidt, F. (1994): Von der Mühle zur Fabrik. Die Geschichte der Papierherstellung in der württembergischen und badischen Frühindustrialisierung. Regionalkultur. Ubstadt-Weiher. Schmidt-Bachem, H. (2001): Tüten, Beutel, Tragetaschen. Zur Geschichte der Papier, Pappe und Folien verarbeitenden Industrie in Deutschland. Waxmann. Münster. Schrenk, C./Weckbach, H. (1994): „… für Ihre Rechnung und Gefahr“. Rechnungen und Briefköpfe der Heilbronner Firmen. (=Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn, Bd. 30). Stadtarchiv Heilbronn. Schulten, J.H. (1962): Festschrift zum 200-jährigen Firmenjubiläum der Gebrüder Rauch. Bad Homburg. Tuffentsammer, H. (2000): Heilbronns Mühlen – Industrielle Keimzellen. Dokumente zur Mühlengeschichte am Neckar. (=museo 15). Städtische Museen Heilbronn. Weisert&Daur (Hg. 1996): Festschrift zum 100-jährigen Firmenjubiläum. Heilbronn. 1 Interview mit Ulrich Landerer am 20. Mai 2009 Interview mit Tilmann Höhing am 27. Mai 2009 3 Interview mit Robert Esenwein jr. am 10. Juni 2009 4 Interview mit Werner Reule am 21. April 2010 5 Interview mit Thomas Bach am 17. März 2010 6 Interview mit Eberhard Bauer am 4. März 2009 7 Interview mit Peter Heim am 17. März 2009 8 Interview mit Horst Neudel am 14. September 2009 9 Interview mit Atilla Eren am 14. Mai 2009 10 Interview mit Walter Vogt, ehemaliger langjähriger Produktionsleiter der Firma Eugen Dierolf 11 Interview mit Edlef Bartl am 9. April 2009 und schriftliche Mitteilung von Klaus-Dieter Mayer am 25. Mai 2010 12 Interview mit Dr. Peter Haunss am 30. April 2009 13 Schriftliche Mitteilung von Klaus-Dieter Mayer am 25. Mai 2010 14 Interview mit Matthias Schneider am 15. April 2009 15 Schriftliche Mitteilung von Eva Eren am 2. Juli 2009 16 Mündliche Mitteilung von Herrn Stefan Feyerabend am 1. März 2010 17 Interview mit Peter G. Marbach und Karl G. Marbach am 18. März 2009 18 Interview mit Dr. Eberhard Nehl am 9. April 2009 19 Interview mit Wolfgang Stäudle am 4. März 2009 20 Interview mit Detlef Rauchbach am 17. März 2009 21 Interview mit Hans Klein am 18. März 2009 2 19