Ein Hintern als Sinnbild unserer Epoche
Transcription
Ein Hintern als Sinnbild unserer Epoche
Armin Thurnher MEDIENTAGEBUCH NR. 190 Ich gebe zu, ich setzte große Hoffnungen in den Hintern von Kim Kardashian. Aufgepolstert, retuschiert und geölt bleckte er vom Cover des Paper-Magazins, und die Schlagzeile darunter versprach: Break the Internet. Nur deutschsprachige Minderleister konnten allerdings meinen, das solle heißen, die Reality-TV-Queen wolle a posteriori das Internet zerstören. Nein, sie wollte nur wieder mal den Rhythmus der Welt brechen und diese auf ihre Erscheinung aufmerksam machen. Das ist ihr gut gelungen. Kim Kardashian ist die legitime Prophetin unseres Hier und Jetzt. Sie spricht klarer als all die krausen Medienphilosophen und wahrer als all die schwurbelnden Medienstrategen in den Chef etagen. Vor allem ist die Verbindung zwischen dem, was sie vorgibt, und dem, worum es geht, deutlich kürzer und besser nachvollziehbar. Der Hintern von Kim Kardashian, üppig und glänzend, ist ein Symbol, das von Hollywood bis Mumbai verstanden und geschätzt wird. Leider kam vor Kurzem ihr Auftritt bei „Bigg Boss“, der indischen Version von „Big Brother“, nicht zustande, da sie geglaubt hatte, sie brauche kein indisches Visum. Da fuhr ihr die indische Bürokratie mit dem Arsch ins Gesicht, und sie musste auf das bereits ausgehandelte, indischen Zeitungen zufolge „astronomische“ Honorar für den Kurzauftritt verzichten. In Nigeria kassierte sie immerhin 500.000 Dollar für einen Miniauftritt in einem Nachtclub. Allein 2013 verdiente sie 18 Millionen Dollar, berichtet das Forbes-Magazin, auf dessen Angaben in Ermangelung von Steuer unterlagen sogar der ebenfalls weltberühmte Ökonom Thomas Piketty zurückgreift, dessen Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ in der Ökonomie so etwas darstellt wie Kardashians Hintern im Showbiz, einen Hingucker und Megaseller. Im Jahr 2014 trieb die Spiele-App „Kim Kardashian: Hollywood“ die Umsätze des Spielherstellers Glu derart in die Höhe, dass Kardashians Lizenz einkünfte dem Guardian zufolge 82 auf 15 Millionen Dollar nach Steuern geschätzt werden – pro Quartal. Unsere Zivilisation schreitet unaufhaltsam fort. Die digitale Wirtschaft v ersteht es, Geldströme zu den Ärschen umzuleiten. Den Vereinten Nationen geht zwar gerade das Geld aus, um zwei Millionen geflüchtete Syrer zu ernähren, aber gewiss wird das einem edel gesinnten Digitalmilliardär nicht am Hintern vorbeigehen. Kim Kardashian ist ein Emblem unserer Zeit. Nicht nur, weil sie so herrlich indezent zeigt, wie und worum es geht. Vielleicht ist sie ja gar nicht indezent, und man wird ihrer dankbar gedenken, wenn erst die pri mären Geschlechtsmerkmale in der Öffentlichkeit in den Wettstreit miteinander eintreten – was sie in der Pornoindustrie schon lange tun. Naturgemäß startete Kim ihre Karriere mit der Veröffentlichung eines Sexvideos, das sie und ihren damaligen Lover zeigt. Für die Lizenz nahm sie fünf Millionen Dollar. Porno machte seinerzeit die Videorecorder marktfähig, ohne Porno wäre das Internet nicht, was es ist, und längst ist die Pornoindustrie von San Francisco als Machtfaktor Hollywood auf den Fersen. Verglichen mit unseren Verlegern, die geschwollen von publizistischem Ethos reden, um ihre kommerziellen Schandtaten zu verbergen, geht Porno erfrischend offen vor. Porno – sofern er frei von übler Ausbeutung und Unterdrückung der Akteurinnen und Akteure bleibt – steht moralisch höher und ist weniger verlogen als jene Medienpraktiken, die zu jeder verkauften An zeige eine redaktionelle Geschichte mitverkaufen. Zu besichtigen, ohne dass man es sieht, derzeit in ganz Österreich und sonstwo. Kim Kardashian ist aber nicht nur eine ehrliche Medienunternehmerin. Sie würde uns als solche gewiss auf den üblichen Mediensummits über den Weg laufen, könnten sich die Veranstalter ihr Auftrittshonorar noch leisten. Aber wer vermag schon mit nigerianischen Nachtclubs und Bollywood-Shows mitzuhalten? Nein, Kardashian ist auch Medienphilosophin. Als ich zum ersten Mal das Wort Selfie hörte, dachte ich, es sei eine Bezeichnung für all die digitalisierten Kleinen, deren Egoismus und Narzissmus sich auf digitale Weise noch einmal zuspitzen. Aber Selfie ist natürlich nur der Ausdruck für den Selbstschnappschuss, das Motiv unserer Epoche. Kim Kardashian macht seit Jahren Selfies, sie macht genau genommen überhaupt nichts anderes. Demnächst bringt sie ein Buch voller Selfies heraus. Darin auch das Sinnbild unserer Epoche, ihr Hintern als Selfie. Erfüllte Hoffnung: Er ist unser Zuhause. Armin Thurnher ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter. Bestseller 11|12 2014 irena rosc, illustration von tex rubinowitz Ein Hintern als Sinnbild unserer Epoche