ANNA SEGHERS “ Das siebte Kreuz “

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ANNA SEGHERS “ Das siebte Kreuz “
ANNA SEGHERS
“ Das siebte Kreuz “
Inhaltsverzeichnis
1. Inhalte
1.1 Die Darstellung der Thematik
1.2 Skizze des Inhalts
2. Stilistik
2.1 Die Charakteristik der sprachlichen Gestaltung des Werkes insgesamt
2.2 Die detaillierte sprachliche Analyse einer typischen Passage
2.3 Die Frage nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel / Die Bedeutung der Stilistik für
die Rezipienten
3. Biographische Bezüge
3.1 Die Biographie der Autorin
3.2 Die Stellung des Werkes in der Vita der Autorin
4. Die Bedeutung des Werkes für das Lesepublikum
4.1 Ist die Thematik ein abstruser Einzelfall oder wird mit dem Besonderen auch Allgemeines
erfaßt?
4.2 Gelingt über die gewählten Inhalte die Kontaktaufnahme zur Leserin / zum Leser ?
5. Skizze eines produktorientierten Interpretationsansatzes
6. Rezeptionsgeschichte
7. Zusammenfassendes Urteil ( „Leseempfehlung“ )
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
1. Inhalte
1.1.
Die Darstellung der Thematik
Der Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers soll ein Gesamtbild des deutschen Volkes zur Zeit des
Faschismus geben. Dabei vertritt die Autorin eine antifaschistische Grundhaltung. Die Autorin stellt die
gesichtslose, unabschätzbare Macht des Volkes, aber auch die vorherrschende Ohnmacht dar. Es wird an
einem Ereignis, der Flucht der sieben Häftlinge aus Westhofen die Struktur des deutschen Volkes
aufgerollt.
Die Situation in Deutschland ist gekennzeichnet durch systematische Vernichtung von Menschen und der
Inhaftierung aller Kräfte, die dem faschistischen Regime im Wege sind. Die Zeit ist geprägt von Angst,
Vertrauenslosigkeit und Diffamierungen zum persönlichen Vorteil. Hilfe, Angst, Verrat und Hoffnung
werden dargestellt. Beim Aufeinanderprallen der humanistischen, antifaschistischen mit den
menschenverachtenden faschistischen Kräften, aus den Handlungen und dem Verhalten ihrer einzelnen
Vertreter ergibt sich ein annähernd vollständiges Bild der Gesellschaft in Deutschland 1937. Die Autorin
zeigt, dass die Lage schwierig, aber nicht aussichtslos ist. Auch die schlimmste Diktatur kann bekämpft
und besiegt werden, denn einem der Häftlinge gelingt die Flucht.
Das Hauptthema des Romans: der Kampf gegen Unfreiheit und Unterdrückung wird auf eindrucksvolle
Weise an den Leser gebracht. 1
1.2.
Skizze des Inhalts
Der Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers zeichnet ein Bild des nationalsozialistischen
Deutschlands im Jahre 1937. Aus dem KZ Westhofen sind sieben Häftlinge geflohen.
Der Lagerkommandant Fahrenberg setzt alles daran, die sieben wieder einzufangen. Zur Abschreckung
läßt er sieben Kreuze errichten, die als Pranger für die Geflohenen und zu ihrer Vernichtung dienen
sollen. Fahrenberg kennt nur die Furcht, dass ihm einmal die Macht über Tod und Leben entzogen wird
und er ins gescheiterte, armselige, private Leben zurückkehren müßte. Seine Handlanger Bunsen und
Zillich sind gefügige Werkzeuge, die aus Haß oder Lust zerstören, morden, quälen und willenlos Befehle
ausführen.
Beutler, ein jüdischer Lebensmittelverkäufer, wird bereits nach wenigen Stunden gefaßt,
zusammengeschlagen und ins KZ gebracht. Kurz darauf wird auch Pelzer aufgegriffen und den
Kommissaren zum Verhör überstellt. Belloni, ein Zirkusartist, kann sich der Verhaftung nur durch einen
Sprung in den Tod entziehen.
Wallau, der kommunistische Funktionär und Leitfigur Heislers, wird verraten, so dass auch seine Flucht
mißlingt.
Aldinger, ehemaliger Bürgermeister von Unterbuchenbach und durch Denunziationen des jetzigen
Bürgermeisters ins KZ gelangt, gelingt die Flucht bis vor die Tore seines Heimatortes. Dort verlassen ihn
die Kräfte und er wird als toter Mann nach Hause gebracht.
Füllgrabe, ein ehemals wohlhabender Kaufmann, der wegen einer Devisengeschichte ins KZ eingeliefert
wurde, stellt sich freiwillig der Polizei. Er wird ebenfalls ans Kreuz gestellt.
Ein Kreuz allerdings bleibt leer. Dieses Kreuz ist für Georg Heisler bestimmt. Die Flucht des
Kommunisten Heisler steht im Mittelpunkt des Romans. Die ersten Stunden der Flucht ist Georg völlig
auf sich allein gestellt. Er hofft, sich bis zu seiner Freundin Leni durchzuschlagen, um mit ihrer Hilfe
endlich zu entkommen. Während dieser Zeit verläßt den entkräfteten und geschundenen Mann öfters der
Mut. Der Gedanke an Wallau, seinen geistigen Vater, richtet ihn aber immer wieder auf und gibt ihm die
Kraft, die Strapazen und Ängste zu überstehen.
In der ersten Nacht findet er Zuflucht in einer Kirche. Hier spürt er neben dem Gefühl der scheinbaren
Sicherheit zugleich Bedrohung, Entmutigung und den Rat zur Aufgabe der Flucht. Heisler besinnt sich
seiner Ziele und seiner selbst und schöpft neue Kraft in seiner Verzweiflung. Der Pfarrer ist ihm bei der
Flucht, ohne das Georg es weiß, hilfreich, indem er den Küster zur Beseitigung des blutverschmierten
Lappens anweist, welcher in der Kirche zurückbleibt. Schließlich gelangt Georg zu Leni, die ihn aber aus
Angst und Selbstsucht zurückweist.
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S.57, Neugebauer
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
So wie Leni verschließen viele ihre Augen vor den unvorstellbaren Greueln in den Konzentrationslagern
und vor dem brutalen Terror und werden so zu bewußten Stützen und Helfershelfern des Faschismus. Sie
entstammen meist der breiten Schicht des Kleinbürgertums und werden so ohne merklichen inneren
Widerstand zu Mitläufern oder Werkzeugen des faschistischen Regimes..
Wieder auf sich allein gestellt sucht Heisler in seiner Vergangenheit nach Menschen, die ihm weiter
helfen könnten. Da sich das Netz der Verfolgung durch die Nazis um ihn herum immer enger zieht,
kommt keiner der alten Weggefährten in Frage. Da erinnert sich Georg an seinen Schulkameraden Paul
Röder, welcher nicht im Widerstandskampf tätig ist. Dieser Paul Röder ist es schließlich, der aus
Freundschaft und Menschlichkeit die erforderlichen Kontakte für Georg aufnimmt und es den Genossen
ermöglicht, Heisler zu retten.
Hierbei bemüht sich Franz Marnet, Georgs ehemaliger Freund und Weggefährte, in besonderem Maße
um Hilfe. Heislers Flucht reißt Franz aus seiner Isolierung heraus. Er sucht und findet die Genossen und
greift wieder aktiv in den Kampf des Naziregime ein.
Heisler gelingt aufgrund der Unterstützung vieler Menschen die Flucht ins Ausland. Sein Kreuz bleibt
leer. Es wird zum Symbol der Hoffnung und des Widerstandes
Zur Figurenkonstellation
Es existiert ein dominierender Held: Georg Heisler. Um seine Flucht baut sich die eigentliche Geschichte
auf. Neben ihm gibt es mit Wallau, Röder, Marnet und weiteren Personen, die positive Charaktere
verkörpern. Georgs unmittelbarer Gegenspieler ist Fahrenberg. Georgs Sieg kommt Fahrenbergs
Niederlage gleich.
Heisler steht für den Widerstand, speziell auch für den Kommunismus, wogegen Fahrenberg in seiner
persönlichen Schwäche das kranke und dem Untergang geweihte faschistische System repräsentiert.
Dabei hat der Hauptheld Heisler durchaus persönliche Schwächen, die aber im Vergleich zu seinen
Stärken und der Kraft, die er aus seiner Überzeugung schöpft, weniger ins Gewicht fallen. Durch das
puzzleförmige Zusammenfügen des Charakters von Georg wird erreicht, dass der Leser ein komplexes
Gesamtbild von Heisler hat und er ihn somit als Menschen aus Fleisch und Blut erkennt. Die anderen
Flüchtlinge sind von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sie auf sich allein gestellt sind. Sie stehen
für die verschiedenen Opfer, die vom Terror des Naziregimes betroffen sind.
Anhand der Personen, mit denen Georg in Kontakt kommt, wird die Situation in Deutschland aus Sicht
der Autorin dargestellt. Hierbei werden alle möglichen gesellschaftlichen Schichten repräsentiert. Neben
Verrat und Egoismus trifft Georg auf Hilfe Selbstlosigkeit und Unterordnung persönlicher Interessen.
Dabei handeln die Helfer vor allem aus emotionalen Gründen. Somit wird vor allen Dingen Hoffnung
geweckt, was der Absicht der Autorin entspricht.
Zur Raumgestaltung
Ungewöhnlich eng ist der Raum vermessen, in dem sich die Handlung des Romans abspielt Westhofen,
Butzbach, Oppenheim, Griesheim und Kostheim - sie alle liegen innerhalb eines kleinen Kreises um
Mainz und Frankfurt.2 In diesem Kreis befindet sich die freilich von dem authentischen Osthofen in
fiktives Westhofen verlegte Folterhölle des KZ´s ebenso wie die Apfelbäume der Marnets. In ihm
ereignet sich Georgs Flucht und Rettung.
Hierbei legt die Autorin großen Wert auf Details, um die Schönheit, vor allem aber die Beständigkeit der
Natur zu verdeutlichen. Egal welches System vorherrscht, die Natur wird bleiben, wie sie ist, sich nicht
unterwerfen. Ernst der Schäfer steht hier für das einfache Volk. Er bewahrt sich ihm eigene
Vorstellungen und Gedankenansätze3. In seiner Einfachheit ordnet er sich nicht unter und behält seine
Eigenständigkeit.
Viele Randfiguren des Romans werden nur mit Vornamen oder Spitznamen benannt. Neben der
liebevollen Beschreibung der deutschen Heimat erhöht ihr sanfter Glanz die Bitterkeit des Geschehens.
Deutschland, das ist nicht nur Tyrannei, sondern auch Schönheit.
Zur Zeitgestaltung
Begrenzt ist auch die Zeit, in der sich die Handlung des „Siebten Kreuzes“ abspielt - nämlich nach Art
von Märchen, Bibel oder Chronik. In diesem Zeitraum erfüllt sich das Schicksal der Flüchtlinge. In ihm
komprimiert Anna Seghers den Bericht von den Verbrechen, den Ängsten und dem Mut eines Volkes,
das seit Jahren mit und vom Terror der Gewaltherrschaft lebt. Einerseits war die Zeit geprägt von Hitlers
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S.86/87, Stephan
S.55, Schriftsteller der Gegenwart
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
Erfolgen, viele Menschen lebten davon, andererseits wurden Gegner gnadenlos verfolgt und vernichtet.
Andere Zeitebenen bleiben am Rande.
Zur Strukturierung der Erzählform
Anna Seghers bedient sich für die Erzählung der Geschichte der Romanform. Der Roman besteht aus der
eigentlichen Handlung und dem Rahmen, der diese Handlung umschließt. Er gliedert sich in sieben
Kapitel mit Unterkapiteln. Der Rahmen enthält die in Handlung aufgelösten Erinnerungen eines
Häftlings des KZ Westhofen. Diese Erinnerungen nehmen den Schluß des Romans vorweg, die sieben
Platanen werden gefällt.4
Im Hauptteil wird von der Flucht der sieben Häftlinge erzählt, die an sieben Tagen stattfindet und mit
dem Freibleiben des siebten Kreuzes endet. Die Handlung ist in insgesamt 127 Einzelabschnitte
aufgeteilt, die entweder parallel geführt werden oder kontrastierend einander gegenüberstehen.
Rückblenden, Dialoge und innere Monologe bilden wesentliche Bestandteile der literarischen Technik.5
So dienen Rückblicke auf Georgs Vergangenheit vor allem dazu, dessen Charakter genauer zu umreißen.
Die Unterkapitel geben dem Leser Einblick in das facettenreiche Leben der beteiligten Personen. Georg
Heisler ist die zentrale Gestalt, die alles zusammenhält. Jede Teilhandlung, alle Aktionen sind auf ihn
gerichtet und durch seine Flucht bedingt.6 Die Reaktionen, die durch ihn und sein Verhalten ausgelöst
werden bewirken Wandlungen, die sich in den betroffenen Personen vollziehen. Mittelbar und
unmittelbar werden die Menschen in die Flucht hineingezogen und die Autorin führt sie alle ihrem Ziel
zu.7 Für den Leser entsteht der Eindruck, er sähe während der Lektüre nur zusammenhängende Splitter
der Wirklichkeit. Szenen brechen oft mitten in der Handlung ab um die Spannung des Lesers zu steigern,
weil man ihn auf die Fortsetzung der jeweiligen Szene warten läßt. Die Romanabschnitte beginnen mit
dem Namen der Person, die jetzt im Mittelpunkt steht, der Name ist Signal und Orientierungspunkt. Aber
keines der Kapitel und eine Minderzahl der Unterkapitel ist ausschließlich einer Figur gewidmet. Immer
wieder springt die Handlung von einem Ort und Personenkreis zum anderen, vermittelt durch knappe
Wendungen wie „in diesen Zeiten“ (S.162), „inzwischen“ (S.194) oder „währenddessen“ (S.312). 8
Am Ende steht der Leser einem Roman gegenüber, der ihn nicht nur unterhalten, sondern auch gefesselt
hat.
2.
2.1.
Stilistik
Die Charakteristik
insgesamt
der
sprachlichen
Gestaltung
des Werkes
Symbol und Metapher
Bereits im Titel des Romans lassen sich zwei bedeutungstragende Wörter erkennen :
sieben und Kreuz.
Diese Leitwörter steuern stets den Gedankengang des Lesers, begleiten Geschehen und Handlung. Der
Zusammenhang von Symbol ( die Zahl Sieben ) und Metapher ( Kreuz ) gibt einen Hinweis für die
inhaltliche Erschließung des Romans.
Die Zahl Sieben ist im gesamten Roman allgegenwärtig. Sieben Flüchtlinge fliehen aus dem KZ
Westhofen. Sieben Tage dauert die Flucht. Sieben Kreuze werden errichtet. Der Roman ist in sieben
Kapiteln strukturiert. Er beginnt und endet damit, dass das siebte Kreuz leer bleibt. Die Zahl Sieben
spielt in nahezu allen Weltkulturen eine bedeutende Rolle. Man kennt z.B. die sieben christlichen
Tugenden, die sieben Todsünden, die sieben Weltwunder oder auch in Märchen die sieben Geißlein, die
sieben Zwerge. ...
Mit der literarischen Gestaltung des Kreuzes greift die Autorin auf mehrere Ebenen seiner historischkulturellen Bedeutung zurück. Zunächst sind die errichteten Kreuze Schandpfähle für die wieder
eingefangenen Flüchtlinge. An den Kreuzen werden sie gedemütigt und erniedrigt. Das Kreuz steht für
die Macht über Menschen, über ihr Leben und ihre Würde. Es ist Sinnbild der Menschenverachtung und
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S.55, Schriftsteller der Gegenwart
S.57, Zimmer
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S.56, Schriftsteller der Gegenwart
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S.57, Zimmer
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S.83, Stephan
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
Rückschrittlichkeit der nationalsozialistischen Ideologie. Das Holz des Todes wird im Christlichen
Glauben zum Auferstehungssymbol und Heilszeichen.9 An diesen Bedeutungsaspekt wird einerseits
angeknüpft z.B. bei Wallaus Martyrium. Er geht in den Tod, weil er sich selbst treu bleiben will, seiner
Idee, auch seinem bisherigen Leben und natürlich der Ehre der Partei. Andererseits wird dieser Aspekt
abgelehnt z.B. bei Georg im Dom. Georg findet im Dom Zuflucht für eine Nacht. Er spürt neben dem
Gefühl der scheinbaren Sicherheit, die Bedrohung und Entmutigung, die von dieser Kirche ausgeht. Sie
bietet ihm Gnade statt Gerechtigkeit und Friede statt Todesangst. Jedoch liegen Hoffnung und Zuversicht
für Georg nicht in Tod und Erlösung, sondern im Bestreben die Flucht fortzusetzen. Die Menschen
gewinnen ihre Zuversicht aus dem Sieg des Lebens über die lebensbedrohenden Mächte. Am Ende bleibt
das siebte Kreuz leer. Es wird damit zum Symbol der Hoffnung und des Widerstandes.
Der Erzähler
Der Erzähler berichtet meist in der Er - Form und beschreibt die Erlebnisse anderer. Dadurch hat er einen
größeren Spielraum und mehr Objektivität im Vergleich zur Ich - Form. Die Absicht der Autorin, einen
realistischen Roman zu schreiben, kommt somit deutlich zur Geltung. Der Erzähler wählt häufig einen
Standpunkt mitten im Geschehen , indem er aus der Sicht einer anderen Person berichtet. Er tritt dabei
selbst völlig zurück und nutzt die Perspektive der handelnden Figur. Dadurch erreicht er, dass der Leser
sich selbst am Schauplatz des Geschehens glaubt. Der Erzähler ist allwissend. Er nutzt die
Vogelperspektive, denn er kennt das ganze Geschehen.10
Wir hören in Georg Heisler hinein, indem wir seinen inneren Monolog lesen. Der Leser kann gleichzeitig
in Herz und Gedankenwelt des Helden blicken, Georgs Zwiegespräche mit Wallau verfolgen oder die
Ängste Georgs miterleben, beispielsweise bei der Domszene „Er erwachte vor Schreck. Der Dom
dröhnte. Ein heller Lichtschein flog quer durch den ganzen Dom- über seinen vorgestreckten Fuß weg.
Sollte er fliehen? War noch Zeit? Wohin?...“(S.80 Z.10-15).oder „Du mußt jetzt dein Zeug ausziehen,
riet ihm Wallau, denn später wirst du zu schwach sein. Er fügte sich. wie er sich Wallau immer gefügt
hatte, und staunte, weil seine Erschöpfung dabei abnahm.“ (S.81 Z.4-7) Ein anderes Beispiel findet man
in der Szene in der Praxis des Dr. Löwenstein „Der Arzt hielt die Hände unter Wasser, dass es spritzte.
Nicht mehr zum Aushalten, was man mir antut. Jetzt noch das dazu. Das gibt es doch gar nicht, dass man
so leiden muß. Georg dachte mit zusammengezogenen Brauen, während das Wasser floß wie ein Quell:
Aber doch Sie nicht allein.“ (S.104, Z. 11-17).
Sowohl im Prolog als auch im Epilog benutzt die Autorin die personale Erzählperspektive. Ein
ehemaliger KZ - Häftling überliefert die Fluchtgeschichte. Als anonymer Erzähler spricht er in der Wir Form und bezieht somit seine Mitgefangenen und den Leser mit ein. Die Autorin kann sich und den
Leser somit in eine Perspektive rücken, die es beiden erleichtert, die Geschichte der Flucht mit den
Augen der Gefangenen und Verfolgten zu lesen. Dadurch wird die Sympathie des Lesers für die
Flüchtlinge geweckt. Die Bereitschaft mitzubangen und mitzuleiden wird verstärkt. Sie findet im
optimistischen Schluß ihre Belohnung.
In der Wir - Form wird der Leser in die Geschichte eingeführt und in dieser Form findet der Roman
seinen Abschluß.
Bei Verhören beispielsweise wird die direkte Rede verwendet, um neutral und wahrheitsgemäß zu
berichten. Außerdem wird dadurch der Eindruck des Unmittelbaren, Bewegten und Dramatischen stärker.
Anna Seghers will eine Geschichte erzählen, die spannend, unterhaltsam, glaubwürdig und lehrreich ist.
Mit den verschiedenen Erzählperspektiven wird es dem Leser ermöglicht, sich während der Lektüre an
verschiedenen Orten in verschiedenen Menschen und Gedankenwelten einzufinden und damit
literarischen Genuß zu erfahren.11
Durch häufigen Szenen - und Perspektivenwechsel wird die starke Bewegtheit der Flucht auch äußerlich
demonstriert.12
Sprache
Die Autorin verändert Zeiten und Räume. Aus Osthofen stellvertretend für ein beliebiges KZ in
Deutschland wird Westhofen. Anna Seghers bildet nach ihrer Vorstellung Figuren und
Figurenkonstellationen. Wesentliches wird betont ( Franz Marnet - der Kommunist, Georg Heisler - der
9
S.10-12, Zimmer
S.58, Zimmer
11
S.58, Zimmer
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S.56, Schriftsteller der Gegenwart
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
komplexe Held mit Schwächen und Stärken, Ernst der Schäfer - stellvertretend für die Beharrlichkeit des
einfachen alltäglichen Lebens ). Unwesentliches wird weggelassen. So erhalten die anderen Häftlinge,
deren Flucht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, keine detaillierten Charakterzüge. Zur
Persönlichkeit der Nazis gibt es nur wenig Äußerungen. Es werden nur einige markante
menschenverachtende Züge hervorgehoben.
Die Fakten werden zur Geschichte verknüpft. Nach und nach entsteht somit ein Gesamtwerk und eine
poetische Wirklichkeit, die die objektive Realität widerspiegelt. Hierbei nutzt die Autorin die
Möglichkeit, Handlungsschwerpunkte zu setzen, bei denen sie länger verweilt ( Marnets Lebenssituation,
Domszene ), während sie Unwesentliches für das weitere Handeln rafft ( z.B. der Tod Bellonis, das Ende
Fahrenbergs ).
Die lineare Abfolge der Ereignisse wird durch Rückblenden ( Georg und Elli, Georg und Franz ) und das
Aufzeigen von Einzelschicksalen belebt. Parallel zur Geschichte Heislers treten Ernst der Schäfer und
Franz Marnet in Erscheinung. Die einzelnen Erzählphasen werden zu einem einheitlichen Ganzen
zusammengeführt.
Leitmotive dienen ebenfalls zum Zusammenhalten der Geschichte. So nimmt das Motiv der
Menschlichkeit im ganzen Roman eine zentrale Rolle ein. Jede Hilfe, die Georg zukommt, beruht auf
Menschlichkeit. Menschen jeder Kategorie und gesellschaftlichen Stellung sind zu dieser Hilfe
imstande.
Die Spannung wird gesteigert, indem das Netz um Georg immer enger gestrickt wird. Georg, aber auch
Fahrenberg, läuft die Zeit davon. Es werden Verzögerungselemente eingebaut, indem von
Nebenschauplätzen berichtet wird. Die Gegensätze werden verschärft und somit die Spannung gesteigert.
Das enge Anknüpfen an Märchentechniken zeigt sich bei der Beschreibung bestimmter Charaktere. So
findet man Namen wie Holzklötzchen, Hechtschwänzchen oder Pfeffernüßchen. Diese Figuren haben
etwas Unberechenbares und Launenhaftes. Ein weiteres sprachliches Gestaltungsmittel bilden
landschaftlich gefärbte Begriffe wie „utzen“ (necken ) oder „Uhl“ (Eule). Umgangssprachliche
Redewendungen finden sich durchgängig im Roman. Unmittelbarkeit und Handlungsnähe werden
dadurch produziert.13 Es wird weiterhin eine schichtspezifische sprachliche Charakterisierung. Die
Sprache der einfachen Leute der Arbeiter und Bauern einer bestimmten Landschaft, die in ihrer Heimat
beruflich, privat, aber auch emotional verwurzelt sind, wird so von der Autorin hervorgehoben.
Der sprachliche und inhaltliche Bruch kommt nicht nur durch den Wechsel der Erzählperspektive,
sondern auch durch die nüchterne Wortwahl und den einfachen Satzbau zustande. Die Sprache besitzt
Reife, Klarheit und wirklichkeitsumfassende Aussagekraft. Dieser Sprachstil sorgt für Nachdrücklichkeit
und die notwendige Sachlichkeit. Die Autorin schafft durch die sprachliche Komposition ein
sprachliches Bekenntnis zur Sache der Arbeiterklasse und ihrer Partei. Gleichzeitig wird durch
Historisierung und Gegenwartsbezug Wirklichkeitsnähe erreicht.14
2.2.
Die detaillierte sprachliche Analyse einer typischen Passage
Mit dem Roman „Das siebte Kreuz“ setzt Anna Seghers auch ihrer rheinhessischen Heimat ein
unvergängliches Denkmal(S.427 Z.5-7, Nachwort). Ernst der Schäfer erscheint in jedem der sieben
Kapitel. Mit seinem Auftreten ist stets eine Beschreibung der Landschaft verbunden. Dem Leser werden
zugleich historische Begebenheiten und Zusammenhänge dargestellt. Land und Leute, deren Leben und
Lebenseinstellung werden vorgeführt, um einerseits die gegenwärtige gesellschaftliche Situation zu
begreifen, andererseits aber auch das vorbestimmte Ende als sicher anzunehmen. Somit haben diese
Schilderungen große Bedeutung für die Gesamteinstellung, die beim Leser erreicht werden soll.
Weiterhin wird der Tristesse und Unbarmherzigkeit der Gesellschaft Schönheit und Menschlichkeit
gegenübergestellt. Somit erscheint die Sprache weicher und wärmer und diese Art des Kontrasts ist
durchaus typisch für den Roman.
Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels schildert der Erzähler die Landschaft um den Ansitz der
Marnets aus Sicht von Franz. Er beschreibt die Gegend um das Gehöft der Marnets, läßt den Leser Ernst
den Schäfer mit seiner Herde beobachten. Zwischen“ Auch der Schäfer, ein Mensch aus
Schmiedtheim...“ und „...wo jetzt Ernst aus Schmiedtheim bei den Schafen steht...“(S.12 Z.28-S.13 Z.27)
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S.54, Zimmer
S.55, Zimmer
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
erfolgt die Widerspiegelung des Landes im Laufe der Zeit. Ernst dient dem Erzähler hier zum Verweilen.
Die angrenzenden Felder und Hügel, die es schon immer gab, egal in welcher geschichtlichen Epoche,
werden dem Auge des Lesers vorgeführt. Anhand der immer noch so bestehenden Landschaft werden
diese einzelnen Epochen aufgezeigt und somit auch deren Vergänglichkeit. Nur Land und Leute werden
bestehen.“ Doch diese Hügelkette war lange der Rand der Welt...“(S.13 Z.15) ist eine Übertreibung des
Erzählers mit dem Ziel der Anschaulichkeit: Kaum einer sieht in diesem weiten Land über den Tellerrand
hinaus. „... Völker gar gekocht worden. Norden und Süden, Osten und Westen haben ineinander
gebrodelt, aber das Land wurde nichts von alledem und behielt doch von allem etwas.“(S.13 Z.32-35)
Hier werden Land und Volk als Süppchen gekocht. Diese Süppchen steht symbolisch für die Geschichte
und das Zeitgeschehen. Sie haben das Volk geformt und beeinflußt, aber nicht zerkocht bzw. ausgelöscht
und in seiner grundsätzlichen Existenz verändert. Diese Aussage wird bestärkt durch „Aber sie waren so
zäh und unausrottbar wie Träume. Und so stolz steht der Schäfer da, so vollkommen gleichmütig, als
wüßte er all das und stünde nur darum so da...“(S.14 Z.3-6).Die Figur von Ernst steht stellvertretend für
dieses Volk. Wieder bezieht sich der Erzähler auf Ernst, der einen Radfahrer grüßt, um erneut in der
Geschichte zu verweilen. Durch die erneute Blende auf den Schäfer wird Unmittelbarkeit erreicht. Der
Leser befindet sich jetzt, zu diesem Zeitpunkt, direkt an dieser Stelle. Der Erzähler setzt seine Zeitreise
bis in die Gegenwart fort. Alle Epochen gehören der Vergangenheit an. Die Beschreibung endet in der
Neuzeit, doch auch das Ende dieser Zeit ist vorbestimmt: „Brennende, johlende Stadt hinter dem
Fluß...Wie viele Feldzeichen hat er schon durch gespült, wie viele Fahnen.“(S.15 Z.35- S.16 Z.4) Die
Zeitreise endet mit den Worten, die einer Inschrift gleichkommen: „Jetzt sind wir hier. Was jetzt
geschieht, geschieht uns.“(S.16 Z.6). Der Erzähler wählt somit seinen Standpunkt mitten im Geschehen,
tritt aber selbst zurück, da er sich eigener Kommentare enthält und die Perspektive Marnets benutzt.
Dieser fühlt sich seiner Heimat sehr verbunden. Allerdings hat das Heimatgefühl für ihn nicht die
traditionelle private Bedeutung. Er hat ein von kämpferischen Geschichtsbewußtsein geprägtes
Heimatgefühl, welches die tägliche Arbeit, Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterklasse umfaßt
:“Für Franz bedeutete es einfach zu diesem Stück Land gehören, zu seinen Menschen und zu der
Frühschicht, die nach Höchst fuhr, und vor allem, überhaupt zu den Lebenden. “(S.12).
Mit dieser Aufzählung wirkt die Autorin eindringlich auf den Leser ein, durch Anhäufung der Worte.
Anna Seghers vergleicht eine Schafherde mit Wölkchen, die sich an einen Abhang schmiegen. Dadurch
erreicht sie beim Leser Anschaulichkeit- es entsteht ein Bild in seinem Kopf. Die Umschreibung der
Landschaft beginnt immer wieder gleich: „. ..dass diese weiten, ausgeschwungenen Abhänge. ..., dass der
Fabrikrauch. .., dassdie glitzernden schimmrigen Stellen im Nebel , dass das alles schon Rhein bedeutet.
“(S.13). Hierdurch erreicht sie Eindringlichkeit und ästhetische Anschaulichkeit. Eindringlichkeit
erreicht der Erzähler durch den stets gleichen Beginn in der Aufzählung „...dass diese weiten,
ausgeschwungenen Abhänge..., dass der Fabrikrauch..., dass auch der Schäfer..., dass das alles schon
Rhein bedeutet.“(S.13 Z.1-8). Man hat den Eindruck es erfolge eine Steigerung mit einem letzten
Höhepunkt. Dieser ist dann auch die Zusammenfassung aller dargestellten Einzelheiten zum Begriff
Rhein schlechthin. Ästhetische Anschaulichkeit erreicht der Erzähler vor allem durch blumige, liebevolle
und bildhafte Beschreibung. Nicht etwa irgendwelche Berge, sondern weite, ausgeschwungene Abhänge
werden beschrieben. Der Nebel glitzert und schimmert. Somit entstehen im Kopf des Lesers Bilder von
der Anmut dieses Landstriches. Auch bei der Beschreibung des Mädchens Sophie erreicht Erzähler diese
Anschaulichkeit durch eine Antithese: „... ein starkes, fast dickes, aber nicht plumpes Mädchen, mit ganz
feinen Fuß-und Handgelenken...“(S.12 Z.9-11) Sophie hat ihre eigene Schönheit und ist trotz starker
Züge ansehnlich und liebenswert. Auch das Land ist trotz seiner herben Züge schön. Somit steht Sophie
ebenfalls als Symbol für die Landschaft.
Die Symbole Straße, Nebel, Schäfer stehen für den Landstrich und seine Menschen insgesamt.
Die Sprache verliert in den Naturschilderungen die ihr eigentümliche Härte15 In den anderen Passagen
des Romans, wo die gesellschaftliche Situation bzw.Begebenheiten der Flucht beschrieben werden, wählt
der Erzähler eine andere Sprache. Die Sätze sind oft kurz und prägnant. Sie enthalten nur wenige
Substantive, auf bildhafte Vergleiche wird verzichtet. Dadurch klingt alles sehr sachlich und kühl und
kommt einem emotionslosen Zeitungsbericht sehr nahe. Ausgenommen sind hier die Abschnitte, wo
Personen charakterisiert werden z.B.bei der Darstellung von Heislers Ängsten oder eben bei den
Landschaftsbeschreibungen.. Die Zahl der Substantive, der Bilder und Vergleiche nimmt zu. Durch
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S.65, Schriftsteller der Gegenwart
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
Verwendung verschiedener Zeitformen, vor allen Dingen des Präsens, steigert die Autorin den Eindruck
des Unmittelbaren16:“ Ernst der Schäfer drehte sich nach dem Radfahrer um. Sein Halstuch wird ihm
schon zu heiß, er reißt es ab und wirft es auf das Stoppelfeld wie ein Feldzeichen.“ Ernst erscheint als
positives Sinnbild dieser von der Geschichte geprägten Landschaft, mit seiner überlegenen Ruhe und
hintergründigen Verschmitztheit. Er begleitet das Geschehen so auch in allen sieben Kapiteln17.
Die liebevolle Schilderung der mittelrheinischen Landschaft wird mit der Geschichte des Landes
verknüpft. Sie wird der Diktatur ihrer Beherrscher gegenübergestellt, am Schluß der Textpassage wird
auch das Ende des Hitlerreiches prophezeit :“ Brennende, johlende Stadt hinter dem Fluß ! Tausende
Hakenkreuzelchen, die sich im Wasser kringelten ! Wie die Flämmchen darüberhexten ! Als der Strom
der Strom morgens hinter der Eisenbahnbrücke die Stadt zurückließ, war sein stilles bläuliches Grau
doch unvermischt. Wieviele Feldzeichen hat er schon durchgespült ,wie viele Fahnen.“ (S.15/16). Die
Natur wird den Faschismus überleben. Der Leser erfährt den Strom des historischen Prozesses, für den
der Fluß eine Metapher ist, als eine unanfechtbare, zeitlose Kraft.
2.3.
Die Frage nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel /
Die Bedeutung der Stilistik für die Rezeptienten
Die einfache, volkstümliche Sprache macht die Erschließung des Romans einem breitem Lesepublikum
möglich. Zunächst hatte ich Schwierigkeiten die einzelnen Abschnitte zu einer Gesamthandlung
zusammenzusetzen. Durch die zahlreichen Sprünge war es nicht immer leicht dem Geschehen zu folgen.
Je tiefer ich mich aber in die Handlung hineinversetzte, dass heißt je mehr ich las, um so deutlicher
wurden die Zusammenhänge und die Charakteristiken der einzelnen Personen. Die Einzelabschnitte
fügten sich wie ein großes Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen.
Bei der Beschreibung der Flucht und aller Handlungen, um die Flucht wählte der Erzähler eine sachliche
Darstellungsweise mit kurzen, knappen Formulierungen und Sätzen.“ Georg griff ins Gestrüpp. Er kroch
langsam seitlich. Er war jetzt vielleicht noch sechs Meter von dem letzten Strunk weg.“ (S:25 Z.17-19)
Dies erleichterte es die Situation zu erfassen. Außerdem hatte ich das Gefühl, mich zum gleichen
Zeitpunkt, wie der Erzähler, nämlich am Ort des Geschehens zu befinden. Die kühle Sprache mit
wenigen Substantiven, Bilder und Vergleichen verdeutlicht die kalte und harte Realität der Ereignisse.
Bei der Beschreibung der Landschaft und der Menschen dagegen ist die Sprache warmherzig und
weich(siehe 2.2). Eine Verliebtheit zum Detaill ist zu erkennen. Aufgrund zahlreicher Bilder und
Vergleiche, konnte ich mir die Gegend gut vorstellen bzw. wieder erkennen. Besonders beeindruckt
haben mich die“ inneren Monologe“ Heislers und Wallaus. In der Domszene konnte ich so die Ängste
des Haupthelden nachvollziehen und mich an seine Stelle versetzten.
Mit Erschauern las ich die Szene um Wallaus Verhör Auf jede Frage der Kommissare gab er nur sich
selbst die Antwort und stellte zugleich fest, dass es einmal einen Wallau gab, dem dies alles geschehen
ist. Dieser Mann ist tot. Mit diesem “inneren Monolog“ wird das ganze Martyrium Wallaus überdeutlich.
Insgesamt halte ich die sprachliche Gestaltung der Thematik angepaßt und bin der Ansicht, das Inhalt
und Stil im Einklang sind.
Einerseits wird die kalte, unbarmherzige faschistische Gesellschaft dargestellt, andererseits Hoffnung
geweckt durch die gelungene Flucht, die zahlreichen Fluchthelfer, aber auch die Beständigkeit der Natur
und des Volkes.
3.
3.1.
Biographische Bezüge
Die Biographie der Autorin18
Anna Seghers, die mit bürgerlichen Namen Netty Reiling hieß, wurde am 19.11.1900 als einzige Tochter
einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Familie in Mainz geboren. Der Vater war Kunst - und
Antiquitätenhändler. Die die Literatur liebhabende Mutter förderte die gleiche Neigung ihrer Tochter von
Beginn an. Mit sechs Jahren wird das Mädchen auf eine Privatschule geschickt. Sie wechselt 1910 auf
16
S.65, Schriftsteller der Gegenwart
S.55, Schriftsteller der Gegenwart
18
S.88-97 ,Zimmer
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
die „Höhere Mädchenschule“ und besucht anschließend das Gymnasium, wo sie 1920 das Abitur ablegt.
Der Umgang mit klassischer deutscher Literatur, sowie die Begegnung mit der russischen Literatur
werden von Schule und Elternhaus gefördert. So wird in dem jungen Mädchen ein soziales Gewissen und
Bewußtsein für Gerechtigkeit vorbereitet, das über die Grenzen des jüdisch - bürgerlichen
Familienlebens hinausgeht. Netty Reiling beginnt 1920 in Heidelberg mit dem Studium der
Kunstgeschichte. An der Universität beginnt auch der Ablöseprozess vom Elternhaus. Sie besucht jetzt
Vorlesungen mit marxistischer Thematik. Sie beginnt das Studium der Sinologie ( Chinakunde ). Das
Wissen über diese ferne Kultur fließt später in ihr Werk ein. Während des Studiums trifft sie auf Werke
des niederländischen Malers Hercules Seghers, einem Zeitgenossen Rembrandts. Dessen Werk zeichnet
sich durch eine ungewöhnliche Eigenwilligkeit aus. Sein außerordentliches und tragisches Schicksal
beeindruckt die junge Studentin so sehr, dass sie sich später für diesen Künstlernamen entscheidet. 1924
erscheint ihre erste Veröffentlichung, die Erzählung „Die Toten auf der Insel Djal “. 1925 heiratet sie
Laszlo Radvanyi, der für sie der geeignete Diskussionspartner bei der Auseinandersetzung mit den
Idealen der neuen sozialistischen Gesellschaft ist. 1926 zieht sie mit ihrem Mann nach Berlin. In der
Konstellation zwischen gesellschaftlicher Krisenerfahrung, subjektivem Gerechtigskeitsempfinden,
sowie der politisch - ideologischen Diskussion mit ihrem marxistischem Mann entwickelt sich das
kommunistische Weltbild der Autorin. Ebenfalls 1926 wird ihr Sohn Peter geboren. Für die 1927
veröffentlichte Erzählung“ Grubetsch“ in Fortsetzungen erhält sie ein Jahr später den Kleist - Preis.
Gewürdigt wird somit auch ihr Buch“ Der Aufstand der Fischer von St. Barbara “. 1928 tritt sie der KPD
bei, ein Jahr später dem Bund proletarisch - revolutionärer Schriftsteller. Der Einfluß der KPD auf diese
Organisation ist groß. Einige Schriftsteller, unter ihnen auch Anna Seghers, widmen ihre künstlerische
Arbeit der politischen Agitation. 1930 besucht sie erstmals die Sowjetunion und nimmt am Kongress der
Vereinigung revolutionärer Schriftsteller teil.
Nach der Machtübernahme Hitlers muß Anna Seghers 1933 nach Frankreich fliehen. 1935 nimmt sie am
Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur in Paris teil. Anna Seghers stellt sich
hinter die Auffassung, dass die Kommunisten konsequentester Gegner des Nationalsozialismus wären
und bezichtigt andere kritische Literaturkollegen des Verrats. Diese Überlegungen scheinen auch
Eingang in den Roman“ Das siebte Kreuz“ gefunden zu haben. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen
emigriert sie nach Mexiko. Das Fluchtchaos der deutschen Emigranten hält sie im kafkaesken Roman“
Transit“ fest. Sie schildert die Flucht eines kommunistischen Arbeiters aus Paris nach Südfrankreich.
In Mexiko schreibt sie Artikel und Aufsätze für die Zeitschrift „Das freie Deutschland“. Sie verfaßt
zahlreiche Erzählungen unter anderem auch „Der Ausflug der toten Mädchen“. Ihr Hauptaugenmerk gilt
der deutschen Jugend, deren moralische Werte zu tiefst erschüttert sind.
1947 kommt sie nach Deutschland zurück. In der sowjetischen Besatzungszone wird sie Funktionärin der
SED. Ihre Zweifel am System zerstreut sie durch Disziplin, Hoffnung auf Besserung und Verdrängung.
Sie richtet sich einer idealistischen Welt ein und ordnet sich kritiklos unter. 1947 erhält sie den Georg Büchner - Preis, 1951 den Nationalpreis der DDR. Von 1952 bis 1978 ist sie Vorsitzende des
Schriftstellerverbandes der DDR. Sie hält sich von Kritik fern, auch als die DDR 1957 die Schauprozesse
gegen Walter Janka veranstaltet. Zu keiner Zeit macht sie ihren politischen Einfluß gegen die
Unrechtspolitik geltend. 1981 erhält sie die Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt Mainz.
1983 stirbt sie in Berlin im Alter von 83 Jahren.
3.2.
Die Stellung des Werkes in der Vita der Autorin
19
Mit dem Roman „Das siebte Kreuz“ hat sich Anna Seghers in die deutsche Literaturgeschichte
eingeschrieben. Dieses Werk der Exilliteratur stellt einen Höhepunkt in ihrem künstlerischen Schaffen
dar.
Die Autorin erteilte hier der normativen Literatur ( Widerspiegelung, Totalität, positver Held,
Vorbildfunktionen. ..) eine Absage. Mit ihrer zeitgebundenen, offenen, aber parteilichen Vorstellung
einer realistischen Schreibweise wurde sie der Unabgeschlossenheit des historischen Prozesses gerecht.
Obwohl in dem Roman tatsächliche historische und gesellschaftliche Vorgänge erfaßt werden, geht es
der Autorin nicht um reine Widerspiegelung der Realität. Sie verwandelt und verdichtet die
gesellschaftliche Wirklichkeit im Interesse einer besseren Erkennbarkeit. Das Kunstwerk analysiert und
19
S.71-75 ,Zimmer
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
erklärt nicht nur, sondern dringt in das Innere des Lesers, treibt ihn zur Entscheidung und Parteinahme.
„Das siebte Kreuz“ wurde zum Bestseller. Durch die Verfilmung 1944 wurde es einem breiten Spektrum
der Bevölkerung in aller Welt zugänglich. In den Erzählungen „Das Ende“, „Die Saboteure“ und
„Vierzig Jahre der Margarete Wolf“ führte Anna Seghers die Lebenswege einiger Figuren aus dem
Roman weiter.
Weitere Werke: „Die Toten auf der Insel Djal“, „Grubetsch“, „Der Aufstand der Fischer von St.
Barbara“, „Der Ausflug der toten Mädchen“, „Transit“, „Die Toten bleiben jung“, „Die Kraft der
Schwachen“, „Die Rettung“, „Sonderbare Begegnungen“, „Das Vertrauen“, „Der Kopflohn“, „Die
Saboteure“, „Der Mann und sein Name“, „Der Weg durch den Februar“, „Die Entscheidung“
4.
4.1.
Die Bedeutung des Werkes für das Lesepublikum
Ist die Thematik ein abstruser Einzelfall oder wird mit dem
Besonderen auch Allgemeines erfaßt ?
Die Autorin ist bemüht am Besonderen, dass heißt am Beispiel der Flucht aus Westhofen, die gesamte
gesellschaftliche Situation Deutschland zu erfassen. Dadurch, dass Georg bzw. die anderen handelnden
Personen in Kontakt treten, entsteht ein Bild von Deutschland im Jahre 1937. Georg Heisler steht für die
Helden des Widerstandes. Er ist bereit seine persönlichen Interessen unterzuordnen. Er hat sich aufgrund
seiner Anlagen, aber vor allen Dingen wegen seiner Erfahrungen und seinem Umfeld zu einem Kämpfer
entwickelt, der bereit ist alle Qualen, Entbehrungen auf sich zu nehmen, um der Sache zu dienen. Dabei
besitzt er durchaus Schwächen, die seine Identität nur glaubhafter machen. Wallau, der KPD Funktionär, ist sozusagen der Ziehvater von Georg. Er repräsentiert diie kommunistische Partei, ist eine
Art Überfigur, Rettungsanker und ideologischer Halt für Georg. Auch nach seinem Tod lebt er in den
Köpfen und Herzen seiner Mitstreiter weiter. Franz Marnet tritt nicht so sehr als Georgs Freund, sondern
vielmehr als überzeugter Mitstreiter für eine gerechte Sache in Erscheinung. Er stellt seine Ideale höher
als das eigene Leben. er verzichtet auf persönliches Glück zugunsten der gesellschaftlichen Freiheit. Er
ordnet alles der kommunistischen Ideologie unter. Hiermit entspricht er wohl dem Ideal des
Widerstandskämpfers. Hermann, Fiedler, Kreß und Reinhardt verkörpern die „ruhenden Kämpfer“. Sie
waren vor Hitlers Machtübernahme für die Kommunisten tätig und haben sich dann aus Angst
beziehungsweise zu ihrem Schutz zurückgezogen. Für sie ist die Hilfe für Georg Heisler die Möglichkeit
sich selbst wiederzufinden, wach zu werden. Mettenheimer, Röder, Pfarrer Seitz, Dr. Löwenstein oder
auch Frau Marelli haben sich ihrer Menschlichkeit bewahrt. Sie riskieren viel für Heisler, nicht wegen
ihrer Kommunistischen Weltanschauung, sondern aus einer humanistischen Grundhaltung heraus. Die
Autorin will sicher verdeutlichen, dass es in allen Gesellschaftsschichten „anständige“ Deutsche gab.
Deutschland 1937, das ist nicht nur Unterdrückung, Nationalsozialismus und Charakterlosigkeit. Gerade
Paul Röder riskiert sein Leben und das Leben seiner Familie, seine soziale Sicherheit für einen
Schulfreund. Solche Menschen geben Hoffnung auf ein Ende der Diktatur und auf ein Weiterbestehen
Deutschlands. Möglicherweise war hier die Sicht der Autorin zu optimistisch. Denunziationen,
Selbstsucht oder einfach nur Angst waren vorherrschend. Viele Menschen handelten nur für sich selbst
und interessierten sich nicht für das Schicksal anderer. Dies wird noch am ehesten am Schicksal der
anderen Häftlinge deutlich: Wallau wurde verraten, die anderen waren völlig auf sich allein gestellt. Der
allmächtige Staatsapparat, die Fahrenbergs, Zillichs, Emporkömmlinge wie Bunsen, saßen am längeren
Hebel. Tod und Vernichtung lähmte das tägliche Leben.20
Dennoch ist der Autorin ein optimistisches und weitgehend repräsentatives Abbild von der Realität
gelungen. Die Situation in Deutschland, die Angst, die Selbstzufriedenheit, aber auch das Aufbegehren
und die Hoffnung wurden sehr gut erfaßt.
Auch heute besitzt der Roman Realität. Die Geschehnisse sind auf andere Diktaturen übertragbar. Der
Roman kann Hoffnung geben.
4.2.
20
Gelingt über die gewählten Inhalte die Kontaktaufnahme zur
Leserin / zum Leser ?
sinngemäß S.39-42, Zimmer
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
Der Leser befindet sich von Beginn an mitten im Geschehen. Das siebte Kreuz in Westhofen bleibt leer.
Warum ? Nach und nach erfährt der Leser, was vorgefallen ist. Ein Puzzle fügt sich zu einem Gesamtbild
zusammen. Vor unserem geistigen Auge erscheinen Personen aus Fleisch und Blut, ein Hauptheld mit
komplexem Charakter. Das Netz um Heisler wird immer enger, die Spannung für den Leser immer
größer. Man leidet mit dem Helden, ist auf seiner Seite, hofft auf seine Rettung. Die Wortwahl ist leicht
verständlich, so dass es leicht fällt den Inhalt aufzunehmen. Dabei gelingt es der Autorin ein Bild von
den Menschen, als auch von der Landschaft zu vermitteln, das eindringlich ist. Der Leser selbst befindet
sich am Ort des Geschehens, durchlebt die Geschichte und nimmt die Sicht des Erzählers ein.
5.
Skizze eines produktorientierten Interpretationsansatzes
Historische Bezüge
Osthofen liegt auf halber Strecke zwischen Mainz und Ludwigshafen, wenige Kilometer vom Rhein
entfernt. 1933 im April errichteten die Nazis ihr erstes KZ im Regierungsbezirk Hessen. Politisch
Mißliebige, Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrumsleute, Mitglieder der Arbeiterwohlfahrt und
Juden wurden hier inhaftiert. Das KZ entstand auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik. Der
langgestreckte rote Backsteinbau steht dort noch heute. Osthofen war ein reines Männerlager, höchste
Aufnahmekapazität waren ca. 200 Menschen. Anna Seghers erfuhr im Exil von der Existenz dieses
Konzentrationslagers, das nur wenige Kilometer südlich von Mainz lag.
Anna Seghers hatte mit vielen Flüchtlingen im Exil gesprochen und so erfuhr sie von der Begebenheit
mit dem Kreuz, an welches ein Häftling gestellt wurde, der wiedereingefangen wurde Dies wurde
Ausgangspunkt ihrer Geschichte.
Für die Figur des jüdischen Arztes Löwenstein hat Anna Seghers wahrscheinlich von dem jüdischen
Pädagogen und Schulreformer Dr. Kurt Löwenstein übernommen. Als Mitglied der SPD und Stadtrat für
Schulwesen stand er mit seinen Ideen im Kreuzfeuer rechter und linker Kritik. Er stand einerseits der
KPD nahe, andererseits verteidigte er die Weimarer Republik. Er forderte die Trennung von Schule und
Kirche und vertrat nachdrücklich den Einheitsgedanken. Seine Stellung als Stradtrat ermöglichte ihm,
dafür Realisierungsversuche zu unternehmen. Nach der Machtergreifung Hitlers schlug ein Mordversuch
auf Löwenstein fehl. Er verließ Deutschland und emigrierte nach Paris 21.
Im 7. Abschnitt des 2. Kapitels schildert Anna Seghers die Flucht Wallaus. Sie erzählt vom Verrat
Bachmanns an Wallau, was zu dessen Ergreifung führt.
Eine historische Parallele findet man in den Umständen der Verhaftung Ernst Thälmanns. Im März 1933
wurde der KPD- Vorsitzende in seiner illegalen Wohnung in Berlin verhaftet, nachdem er von einem
Kassierer einer Gartenkolonie verraten wurde. Thälmann wollte unmittelbar nach dem Reichstagsbrand
den Kontakt zu den Genossen nicht verlieren und tauchte deshalb zunächst nur in Berlin unter. Dies
wurde sein Verhängnis ,er wurde erschossen 22.
Neben der fiktiven Geschichte gibt es die dargestellte historische Gegenwart. Namen von
Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung wie Bebel, Liebknecht, Luxemburg, Dimitroff oder Beimler
finden ebenso Eingang in den Roman wie Hitlerbezüge. Die Konzentrationslager Dachau und
Oranienburg werden als realhistorische Bezüge in die Fabel aufgenommen.
Biographische Bezüge
Die Fakten, die Anna Seghers zum Schreiben ihres Romanes benötigte, erhielt sie durch die
Überlieferungen von Flüchtlingen. Sie selbst lebte im Exil und hatte daher keinen unmittelbaren Zugang
zum Geschehen. Bei der Beschreibung der Landschaft und der Einwohner konnte sie allerdings aus
ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpfen Das Gebiet um Mainz war aus ihrer Kinder - und
Jugendzeit bestens bekannt.
6.
Rezeptionsgeschichte23
Die so gestaltete fiktive Welt des Romans erscheint glaubwürdig, so dass dem Roman in der
21
S.49-53, Zimmer
S.56, Zimmer
23
S.71-75, Zimmer
22
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Anna Seghers
„Das siebte Kreuz“
Rezeptionsgeschichte fälschlicherweise sogar geschichtlicher Quellencharakter zugesprochen wurde.
Die Geschichte des Romans ist aufs engste mit der Person der Schriftstellerin Anna Seghers verbunden,
aber auch mit der deutschen Geschichte. Der 1938 begonnene Roman wurde 1942 in den USA in
englischer Sprache in einer beachtenswerten Auflage von 600000 Exemplaren veröffentlicht. 1944
wurde er mit großem Erfolg von Fred Zinnemann in Hollywood verfilmt. Schließlich machte der
Rowohlt-Verlag mit seiner Taschenbuchausgabe Anna Seghers Roman auch in Westdeutschland einem
breiten Publikum bekannt. Mit dem Kalten Krieg wurde die Schriftstellerin und mit ihr der Roman „Das
siebte Kreuz“ aus dem Bewußtsein der Deutschen verdrängt.Dagegen nahm die Schriftstellerin in der
1949 gegründeten DDR bald eine herausragende Position ein, die von unbedingter Gefolgschaft
gegenüber der DDR-Führung geprägt war. Der Roman wurde fester Bestandteil des DDRDeutschunterrichts. In der BRD bezeichnete 1959 Marcel Reich-Ranicki den Roman als ein großes
literarisches Kunstwerk, dass sich gegen die Diktatur schlechthin wende. In den 70er Jahren, im Zuge der
Studentenbewegung und einer breiten Auseinandersetzung mit der NS Vergangenheit, hielt der Roman
Einzug in bundesdeutsche Universitäten und Gymnasien. Die Diskussion um Anna Seghers und ihr Werk
versachlichte sich. Der Realismus und der Sprachstil der Autorin werden anerkannt. Dennoch gingen die
Bewertungen weit auseinander. Nach Klaus Sauer(1978) liefert der Roman Überlegungen, die den
gewöhnlichen Faschismus als gesellschaftlich bedingte Krankheit darstellen, die unter bestimmten
Voraussetzungen die zur Heilung erforderlichen Abwehrkräfte selber hervorbringe.Lutz Winkler
unterstreicht 1979 nochmals den Volkksfrontcharakter des Romans, indem er die sozialen und
politischen Konturen des antifaschistischen Bündnisses im Roman nachweist. 1990 meldete sich Marcel
Reich-Ranicki nochmals zu Wort. Seiner Auffassung, der Roman gehöre zu den besten Büchern der
Autorin, bleibt er treu. Er kritisiert allerdings die Vorliebe der Autorin für einfache Menschen „die wenig
denken und wenig verstehen und nie zweifeln - wenn sie Kommunisten sind, dann folgen sie gehorsamst
allen Befehlen“. In einer anderen Partei spreche man da von Führerprinzip.
Die Deutungen des Romans zeigen, dass eine einhellige Meinung eventuell in einem Punkt gefunden
werden kann: Die formale Gestaltung des Romans erfüllt die ästhetischen Normen eines literarischen
Kunstwerks. Die inhaltlichen Interpretationen gehen nach wie vor weit auseinander. Auch die Gründung
der Anna Seghers Gesellschaft in Berlin ist ein Indiz dafür, dass der Diskurs nicht beendet ist.
7.
Leseempfehlung
Ich halte den Roman „Das siebte Kreuz“ für absolut lesenswert und würde ihn unbedingt für den
Literaturunterricht empfehlen. Die Zeit des Faschismus wird uns auf spannende und eindrucksvolle
Weise in Erinnerung gebracht. Es werden die gesellschaftlichen Verhältnisse, das Leben in Angst, aber
auch der mutige Kampf vieler Menschen gegen Unterdrückung aufgezeigt. Der Roman ist, nachdem man
sich mit den handelnden Figuren Vertraut gemacht hat, nie langweilig. Man bangt mit dem Haupthelden
und hofft auf seine Rettung. Die abenteuerliche Flucht hält den Leser bis zum Schluß in Atem und die
Ausdauer(das Buch hat immerhin 425 Seiten) wird in jedem Fall belohnt. Die Geschehnisse sind auch
auf heute übertragbar, denkt man nur an Bosnien oder Afrika. Nach wie vor gibt es Regimes, die an ihrer
Allmacht glauben und nach wie vor gibt es Menschen, die bereit sind für ihre Freiheit und
Menschenrechte zu kämpfen. Daher bin ich der Meinung, dass der Roman nicht nur ein Stück bittere
deutsche Geschichte widerspiegelt, sondern auch noch heute Aktualität besitzt.
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