Systematisch abklären

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Systematisch abklären
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titelthema
Bauchschmerzen
Systematisch abklären
Angelika Ramm-Fischer
Der Ursache von Bauchschmerzen auf die Spur
zu kommen, ist nicht immer einfach. Oft ist der
erste Eindruck irreführend. Hier einige Tipps für
den Hausarzt, um falsche Fährten zu vermeiden
und die weitere Diagnostik in richtige Bahnen zu
lenken.
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Der Allgemeinarzt 4/2016www.allgemeinarzt-online.de
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D
ie Diagnose beim Leitsymptom
Bauchschmerzen ist in der Praxis
oft nicht einfach. Das fängt schon mit der Einteilung an: organbasiert oder anatomisch beschrieben, somatisch oder funktionell, extra- oder intraabdominell? Für den Gastroenterologen Dr.
Pascal Frei von der Gemeinschaftspraxis Gastroenterologie Bethanien in Zürich hat sich die
Einteilung nach Quadranten (z. B. Schmerzen
im rechten Oberbauch) (vgl. Abb. 1) zusammen
mit der Bewertung der Dringlichkeit (akut oder
chronisch) bewährt [1].
Akut oder chronisch?
Natürlich ist es in der Praxis für das weitere
Vorgehen wichtig, ob es sich um ein akutes,
potenziell gefährliches Geschehen, das sofort
abgeklärt werden muss, oder um einen eher
chronischen Verlauf handelt. Hier helfen anamnestische Fragen nach Charakteristika für
entzündliche und maligne Erkrankungen weiter (vgl. Tabelle 1). Frei unterscheidet in seinem
Review das unklare vom akuten Abdomen.
Letzteres ist hauptsächlich gekennzeichnet
durch akute heftige Spontanschmerzen, Abwehrspannung, Übelkeit und schlechten Allgemeinzustand.
Bei einem perakuten Geschehen sollte vor allem an ein rupturiertes Aortenaneurysma, eine
Hohlorganperforation oder an eine Urolithiasis
gedacht werden. Abgesehen von diesen dramatischen Prozessen sind die häufigsten Ursachen für ein akutes Abdomen eine Peritonitis
(z. B. verursacht durch eine Appendizitis oder
Cholezystitis) oder eine Obstruktion (z. B. Bridenileus, stenosierender Tumor).
Aufgepasst bei alten Patienten!
Bei alten Menschen verlaufen bekanntlich auch
abdominelle Erkrankungen oft untypisch und
weniger symptomatisch. „Alte Bäuche sind
kalte Bäuche“, so Frei. So haben zwei Drittel
der alten Patienten mit einer Cholezystitis keinen rechtsseitigen Flankenschmerz, 5 % überhaupt keine Schmerzen. Übrigens kann auch
eine Steroidtherapie eine abdominelle Symptomatik verschleiern.
Ebenfalls häufig kann vor allem bei voroperierten Patienten eine intestinale Obstruktion vorliegen – gekennzeichnet durch diffuse,
kolikartige Schmerzen, Nausea, Erbrechen, pathologische Darmgeräusche, Dehydration sowie
geblähtes Abdomen. Die häufigsten Ursachen
für einen Kolonileus sind das stenosierende Karzinom, Divertikulitis und ein Volvulus.
Bei alten Patienten kann auch eine Pseudoobstruktion vorliegen: Durch die vielen verschiedenen Medikamente, die bei dieser Patientengruppe häufig verordnet werden, kann es zu
Elektrolytstörungen kommen, die zu einer Ileus-ähnlichen Symptomatik führen. Vor allem bei
älteren Patienten können Abdominal­schmerzen
auch ischämisch bedingt sein. Bei der Angina
abdominalis treten vor allem postprandial intermittierende Schmerzen auf, bei der ischämischen Kolitis kann es zu blutig tingierten Durchfällen kommen. Lebensbedrohlich ist die seltene
akute Mesenterialischämie. Meist ist dabei die
A. mesenterica superior betroffen. Hier gilt das
Vorhofflimmern als wichtigster Risikofaktor. Gibt
ein alter Raucher starke Bauch- und eventuell
auch Rückenschmerzen an, sollte an ein Bauch­
aortenaneurysma gedacht werden.
Biliär oder gastroduodenal?
Durchaus auch knifflig kann die Differenzialdiagnostik bei Oberbauchschmerzen sein. Klar
erscheint die Sache bei einer Gallenkolik, der
Choledocholithiasis, die bekanntlich mit starken Schmerzen vor allem postprandial einhergeht. Bei den Laborwerten steigen zuerst die
Transaminasen, erst später die Cholestaseparameter. Allerdings klingen die Schmerzen nach
dem Steinabgang wieder ab.
→
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Epigastrium
•• Reflux
•• Gastritis
•• Ulkus
•• Pankreatitis
•• Myokardinfarkt
•• Perikarditis
•• Rupturiertes
Aneurysma
•• Hernie
Linker oberer
Quadrant
•• Gastritis
•• Ulkus
•• Pankreatitis
•• Nephrolithiasis
(Milz­pathologie)
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Rechter oberer
Quadrant
•• Hepatitis
•• Cholezystitis
•• Cholangitis
•• Gallenkolik
•• Pankreatitis
•• Pneumonie
Periumbilikal
•• Appendizitis
•• Gastroenteritis
•• Ileus
•• Ischämie
•• Rupturiertes
Aneurysma
Rechter unterer Quadrant
•• Appendizitis
•• Salpingitis, EUG, Ovarialzyste
•• Hernie
•• Nephrolithiasis
•• CED
•• Lymphadenitis mesenterialis
Linker unterer Quadrant
•• Divertikulitis
•• Salpingitis, EUG, Ovarialzyste
•• Nephrolithiasis
•• Reizdarm
•• CED
Abb. 1: Quadrantenbezogene Einteilung von Abdominalschmerzen
CED oder Reizdarm? – entzündlich
vs. funktionell
Bei länger andauernden unspezifischen Bauchschmerzen, eventuell mit Durchfällen, stellt sich
– wie bei Oberbauchschmerzen – die Frage, ob
es sich um ein entzündliches oder funktionelles Geschehen handelt. Praktisch heißt das, die
chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
(CED) Colitis ulcerosa und Morbus Crohn gegen
das Reizdarmsyndrom abzugrenzen.
Ein Morbus Crohn führt durch Lumeneinengungen oder Abszesse viel eher zu Abdominalschmerzen als die Colitis ulcerosa, die hauptsächlich die Symptome Stuhldrang, Durchfälle,
Tenesmen und Blutabgänge aufweist. Auf die
Spur führen auch anamnestische Fragen zu extraabdominellen Manifestationen (Arthralgien,
Haut- oder Augenprobleme). In der Abdomensonografie deutet eine Wandverdickung auf ein
entzündliches Geschehen hin. Bei den Laborparametern weisen Anämie und Thrombozytose auf eine CED hin. Weiterhin treten Eisen-,
Vitamin-B12-, und Vitamin-D-Mangel und eine
CRP-Erhöhung häufig bei einer CED auf. Aber:
Ein normales CRP schließt eine CED nicht aus.
Anders sieht dies bei der manifesten Cholezystitis aus. Hier sind die Beschwerden länger
anhaltende Übelkeit und Erbrechen. Entzündungszeichen können erst verzögert auftreten. Druckdolenz und Murphy-Zeichen geben
diagnostische Hinweise auf die Gallenblasenentzündung. Und auch nächtliche Schmerzen
mit Ausstrahlung in die Schulter können auf eine Cholezystitis hinweisen. Bei eher unspezifischen Beschwerden sollte genau unterschieden
werden, ob es sich – selbst bei nachgewiesenen Gallensteinen – wirklich um ein Geschehen an der Gallenblase handelt oder ob etwa
Magen oder Duodenum Ausgangspunkte der
Schmerzen sein könnten.
tabelle 1
Charakteristika von Entzündungen und Malignomen
Charakteristika hinweisend
auf einen entzündlichen
Bauchschmerz
•• Fieber und Allgemeinsymptome
•• Typische Lokalisation z. B. für Appendizitis oder Cholezystitis, typische Schmerzausstrahlung
•• Kolikartige Schmerzen
•• Schmerzen bei körperlicher Erschütterung
•• Zusammenhang mit Ernährung und Defäkation
•• Darmpassage gestört
Hinweise auf ein malignes
Leiden
•• Anämie
•• Gewichtsverlust (unerwünscht, nicht forciert)
•• Alter > 50 Jahre
•• Wiederholt Erbrechen, Dysphagie, Ikterus
•• Positive Familienanamnese
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Bei einer Magensymptomatik ist auf Alarmzeichen zu achten: Blutung, Anämie, frühes
Sättigungsgefühl, Gewichtsverlust, Dysphagie, wiederholtes Erbrechen, persönliche oder
Familien-Anamnese positiv auf Magenkarzinom. Liegen keine solchen Alarmzeichen bei
Patienten unter 50 Jahren vor, kann mit einer
Magenspiegelung noch abgewartet werden.
Hier ist eher eine nicht-invasive HelicobacterSuche mit entsprechender Behandlung sinnvoll.
Ein weiterer nützlicher Marker bei der Diagnostik chronischer Bauchschmerzen ist das fäkale
Calprotectin. Das zytoplasmatische Eiweiß in
Leukozyten ist bei Darmentzündungen erhöht.
Allerdings ist es kein spezifischer CED-Marker,
sondern auch bei Infektionen (bakteriell, viral,
parasitär), Ischämie oder Tumor erhöht. Beim
Reizdarmsyndrom ist der Calprotectin-Wert
hingegen im Normbereich. Weitere diagnostische Schritte bei Verdacht auf CED sind die
Endoskopie oder auch die Röntgen-Kontrastmittel-Untersuchungen bzw. CT.
Bei wiederholten Abdominalschmerzen mit Blähungen und Durchfällen ist als Differenzialdiagnose auch eine Sprue in Erwägung zu ziehen, vor
allem wenn nicht-gastroenterologische Sympto-
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tabelle 2
Ursache von Bauchwandschmerzen
Hernien
Nervenaffektionen (N. rectus, N. thoracicus lateralis
cutaneus, ilioinguinale Nerven und N. iliohypogastricus, Endometriose, diabetische Radikulopathie)
Bauchmuskelzerrungen bei Sportlern
Bauchwandhämatome, Rektusscheidenhämatome
Desmoidtumoren
Herpes zoster
zu denken. Die mit einer Harnwegsinfektion
häufig einhergehenden Symptome Erbrechen
und Schmerzen unter dem Rippenbogen können hier diagnostisch fehlleiten. Letztere sind
aber bewegungsabhängig und nicht kolikartig.
Wichtig für die Zuordnung zu einer Verdachtsdiagnose ist die Häufigkeit. So sind Nierenabszesse eine Rarität und Nierensteine sind seltener als Harnwegsinfektionen.
idiopathisch
Hinter perinealen, anorektalen oder Unterbauchschmerzen kann auch eine Prostatitis
stecken, die leicht mit einer Divertikulitis verwechselt werden kann.
me hinzukommen. Hier lohnt es sich, zunächst
eine entsprechende Serologie durchzuführen.
Gynäkologische Differenzialdiagnose
Spinalnervenirritationen
Tietze-Syndrom (slipping rib syndrome)
Extraabdominelle Ursachen
Bauchschmerzen bedeuten nicht automatisch,
dass die Schmerzursache auch im Bauch liegt.
Extraabdominelle Ursachen können beispielsweise von der Lunge (Pneumonie, Pleuritis,
Lungenembolie), vom Herzen (Myokardinfarkt,
Perikarditis) oder der Wirbelsäule (Wirbelkörperfrakturen, spondylogene Schmerzen) ausgehen. Die Schmerzen können auch in der Bauchwand lokalisiert sein. Hinweisend darauf sind
konstante Schmerzen, Lage-, Belastungs- oder
Bewegungsabhängigkeit, kein Zusammenhang mit Ernährung und Defäkation und kein
Hinweis auf eine intraabdominelle Ursache.
Wenn beim Anspannen der Bauchdecke die
Druckschmerzhaftigkeit unverändert oder verstärkt ist, spricht dies für einen Bauchwandschmerz – Carnett-Zeichen: Bei willkürlicher
Anspannung der Bauchdecke schützt die angespannte Bauchwand die darunterliegenden
Eingeweide, wodurch ein durch Palpation bedingter intraabdomineller Schmerz vermindert
werden sollte (Tabelle 2).
Nephrologische Ursachen
Auch urogenitale Prozesse können abdominelle
Schmerzen hervorrufen. So machen bekanntlich
Harnsteine beim Abgang extreme Schmerzen.
Je nach Lokalisation können Harnleitersteine
bei einer Kolik hochlumbale oder ins Genitale
ausstrahlende Schmerzen verursachen. Dis­
tale Steine bedingen häufig eine Pollakisurie
oder Dysurie, wie bei einer Zystitis oder Prostatitis. Sind die Schmerzen nicht kolikartig, sondern eher kontinuierlich, ist an eine Infektion
www.allgemeinarzt-online.de Bei Frauen mit Bauchschmerzen, vor allem im
Unterbauch, sind auch gynäkologische Ursachen
in Erwägung zu ziehen. Zunächst gilt es, gynäkologische Notfallsituationen auszuschließen:
•• rupturierte Extrauterin-Schwangerschaft,
•• Tuboovarialabszess und Saktosalpinx,
•• rupturierte Ovarialzyste und Stieldrehung.
Liegen Schmerzen und eine
vaginale Blutung vor, muss bei
▪▪▪▪▪▪▪▪▪
Frauen im gebärfähigen Alter
immer auch an eine Schwangerschaft gedacht werden.
Bei Frauen mit Bauchschmerzen sind immer auch gynäkologische Ursachen zu erwägen.
Außer der üblichen Anamnese
mit Frage nach Voroperationen ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
und Schwangerschaften gehört auch die Menstruationsanamnese bei Frauen zu den diagnostischen
Basics. Auch lohnt es sich, die Patientinnen
nach dem Schmerzcharakter zu fragen: Diffuse, krampfartige, in die Oberschenkel ausstrahlende Schmerzen weisen auf den Uterus
als Ort des Geschehens hin. Adnex-Schmerzen
sind über dem Leistenband lokalisiert. Ovulatorische Schmerzen treten plötzlich zur Zyklusmitte hin auf und haben oft einen messerstichartigen Charakter. Bei Stieldrehungen
(Ovar, Adnexe, Myome) kommt es – häufig nach
ruckartigen Bewegungen – ebenfalls zu messerstichartigen einseitigen Schmerzen.
Chronische oder intermittierende Schmerzen
treten oft im Zusammenhang mit Endometriose, Adnexpathologien, Adhäsionen, Myomen
oder einem Prolaps auf. Angelika Ramm-Fischer▪
1) Frei P.: Differentialdiagnostik abdomineller Schmerzen, Praxis
2015; 104 (18): 959 – 965
Der Allgemeinarzt 5/2016
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