Divide et impera – Teile und herrsche Wie intelligente

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Divide et impera – Teile und herrsche Wie intelligente
Divide et impera – Teile und herrsche
Wie intelligente Milchpreismodelle den Preisverfall stoppen können
Allen ist klar: Auch der Milchpreis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Die aktuelle Disharmonie
zwischen diesen beiden Marktfronten hat die Milchpreise in den Keller geschickt. Um die Talfahrt zu
stoppen, sind im Wesentlichen zwei Wege denkbar.
Einerseits kann die Nachfrage angekurbelt werden. Die Inlandsnachfrage ist aber seit Jahren, nicht
zuletzt auch aufgrund der vergleichsweise erschwinglichen Preise für Milchprodukte, stabil. Größere
Nachfrageimpulse durch noch niedrigere Preise bleiben offensichtlich aus. Der Konsument macht
scheinbar keinen Unterschied zwischen billig und richtig billig. Cents, die für einen Milchbauern
kriegsentscheidend sind, veranlassen niemanden dazu, seine Essgewohnheiten fundamental zu
verändern. Wenn überhaupt, sind wahrscheinlich nur noch innovative Produkte fernab von der
bisherigen Standartverwertung rund um Butter und Käse hilfreich, um die Inlandsnachfrage zu
forcieren.
Da vielen Molkereien hierfür aber die nötige Kreativität fehlt, bliebe andererseits nach dem
Inlandsmarkt noch die Steigerung des Exports. Auch diese Lösung ist, wie wir nun schmerzlich lernen
mussten, angesichts politischer Erpressbarkeit und konjunktureller Abhängigkeiten nicht ganz
risikofrei. Zudem läuft man mit einer Schwemme europäischer Billigmilch Gefahr, Erzeugern in
anderen Teilen der Welt die Lebensgrundlage zu entziehen und damit eine weitere Flüchtlingswelle
Richtung Europa loszutreten.
Der andere Weg zu besseren Preisen führt über die Angebotsdrosselung. Hierfür gibt es drei
Möglichkeiten. Sehr effektiv läuft dieser Tage erstens das Höfesterben. Da es große und kleine
Betriebe zu gleicher Maßen dahinrafft, kann hier auch nicht mehr beschwichtigend vom
„beschleunigten Strukturwandel“ gesprochen werden. Es ist auch ein Irrglaube davon auszugehen,
dass nur die „modernisierten und effizienten“ Betriebe die aktuelle Durststrecke überdauern.
Die Frage nach dem Sein oder Nichtsein wird nun vielmehr bankenseitig mit einem Blick auf die
verbliebenen Sicherheiten und eventueller ausgleichender Standbeine entschieden. Wer hier getreu
dem agressiv-archaischen Motto „wachse oder weiche“ auf Pump in neue Ställe investiert hat, um
auch noch den allerletzten Cent herauszukitzeln, hat womöglich am Ende aufs falsche Tier gesetzt.
Besonders brisant erscheinen hier auch die neuesten Forderungen nach der langfristigen Halbierung
des Tierbestandes zur Einhaltung der nationalen Klimaschutzziele.
Aufgrund vom Höfesterben kann zweitens auch der Staat seiner Verantwortung gerecht werden und
das Angebot per Dekret drosseln. Seit der letzten Agrarministerkonferenz übt die Androhung dieser
nicht überall gern gesehenen Maßnahme einen gewissen Handlungsdruck zur schnellen Findung
brancheninterner Wege der Mengensteuerung aus. Dies wäre dann die dritte Möglichkeit. Hierzu
haben sich die derzeit übliche Milchgeldabrechnung zum Einheitspreis und die Uneinigkeit zwischen
den Milchbauern selbst als gewisse Hürden herauskristallisiert.
Divide et impera – Teile und herrsche. Schon die alten Römer wussten, dass es genügt, eine Gruppe
in unterschiedliche Lager zu trennen, um sie besser zu beherrschen. Und so ist es die Uneinigkeit der
Milchbauern und Molkereien, die sie zu dem machen, was sie sind: Der Spielball des Handels und
damit die Restgeldempfänger ihrer Wertschöpfungskette. Herzlichen Glückwunsch!
Es ist ja verständlich, dass ein kapitaldienstgetriebener und pachtmarktgequälter Milchbauer, der
gerade versucht, seinen vergrößerten neuen Stall mit Kühen zu füllen, nicht an vorderster Front
kämpft, wenn es darum geht, Milchmengen zu reduzieren. Und dennoch, da kann man sich drehen
und wenden wie man will: Das Angebot muss gedrosselt werden! Und im Rahmen einer
brancheninternen Lösung müssen dafür mit intelligenten Milchpreismodellen die richtigen
betriebsindividuellen Anreize gesetzt werden.
Die alte Milchgeldabrechnung zum Einheitspreis (Ein-Preismodell) kommt dieser Verantwortung
jedenfalls nicht nach. Wie in Abbildung 1 ersichtlich, setzt sie stets nur Anreize zur
Produktionsmaximierung, damit in guten Zeiten der Profit maximiert und in schlechten der
Kapitalabfluss minimiert wird. Das gefällt zwar wachstumswilligen Erzeugern, ist aber auf dem
Gesamtmarkt gerade in Krisenzeiten kontraproduktiv und schadet letztlich allen Milchproduzenten.
Abbildung 1, Anreizwirkung zur Mengenausweitung des Ein-Preis-Modelles bei fallenden Milchpreisen
Aufgrund der Kritik gerade wachstumswilliger Produzenten und der Molkereien an den bisher
diskutierten Mehr-Preismodelle (z.B. A/B-Preismodell) wurde jüngst das „Projektionsmilchgeld“
entwickelt. Dieses entbindet die Molkereien von der Suche nach den „richtigen“ A und B Preisen und
gibt zudem allen Produzenten, sowohl den Drosselgegner als auch den Befürwortern die Flexibilität,
betriebsindividuell die Produktionsmengen zu steuern, ohne sich gegenüber der Abrechnung nach
dem Ein-Preismodell schlechter zu stellen.
Beim Projektionsmilchgeld handelt es sich ebenfalls um ein Mehr-Preismodell. Aber anders als die
bisherig bekannten Mehr-Preismodellen werden hier die Preise für die Teillieferungen nicht statisch
vorgegeben, sondern orientieren sich dynamisch an der jeweils aktuellen Verwertungsstruktur einer
Molkerei. Diese Struktur ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass einige Verwertungskanäle
sowohl erheblich über als auch unter dem Verwertungsdurchschnittspreis liegen (siehe Abbildung 2).
Im Prinzip werden sich beim Projektionsmilchgeld diese Preiseunterschiede zu Nutze gemacht, um
die Milchgeldkurve zu „krümmen“, indem die Verwertungsstruktur auf die Milchgeldabrechnung
„projiziert“ wird. Dabei wird die „erste“ gelieferte Milch anteilig mit der höchsten Verwertung
vergütet. Jede weitere Liefertranche erhält in absteigender Reihenfolge den Preis der nächstbesten
Verwertung. Die „letzte“ gelieferte Milch wird entsprechend des schlechtesten Verwertungskanals
entlohnt.
Wie in Abbildung 3 zu erkennen ist, liegt bei hohen Milchpreisen das betriebliche
Produktionsoptimum sowohl beim Ein-Preismodell, als auch beim Projektionsmilchgeld bei der
maximalen Produktionskapazität. Unter schlechten Marktbedingungen verschiebt sich jedoch anders
als beim Ein-Preismodell die optimale Produktionsmenge beim Projektionsmilchgeld unter das
Kapazitätsmaximum. So können drosselwillige Betriebe den Markt entlasten, ohne finanziell
"bestraft“ zu werden und wachstumswillige Betriebe weiter ihren Bestand aufbauen, ohne sich
gegenüber der Abrechnung nach dem Ein-Preismodell zu verschlechtern.
€
durchschnittlicher
Verkaufspreis
Menge
Abbildung 2, Molkereiinterne Milchverwertung über verschiedene Absatzkanäle
Abbildung 3, Betriebsoptima bei hohen und tiefen Milchpreisen für das Ein-Preis-Modell und Projektionsmilchgeld
Über die Frage, ob die Einführung des Projektionsmilchgeldes in einer Einzelmolkerei Marktrelevanz
hat oder nicht, kann man endlos streiten. Am Ende ist diese Frage aber uninteressant, da die
Entscheidung hierüber letztlich in der Hand eines jeden Betriebes selbst liegt und auch liegen sollte.
Es sind ja schließlich auch die Milcherzeuger, die weiterhin die finanzielle Verantwortung und das
Preisrisiko tragen.
Interessanter ist vielmehr die Frage, wie die Molkerei die tatsächliche maximale Produktionskapazität
seiner Lieferanten feststellen kann, um einen möglichen Missbrauch des Abrechnungsmodells
vorzubeugen. Hier könnten beispielsweise Schnittstellen zu den Landeskontrollverbänden und zur
HIT-Datenbank hilfreich sein. Auch wenn das Projektionsmilchgeld die Milchgeldabrechnung für die
Molkereien etwas verkompliziert, ist das mit Sicherheit deutlich einfacher zu verkraften, als das, was
die Milchbauern gerade durchmachen. Das Gebot der Stunde lautet nun, mit unternehmerischen
Mut und Geschlossenheit aktiv in das Marktgeschehen einzugreifen, um diese Preiskrise zu
überleben und zukünftige Krisen zu umschiffen.
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Geschrieben von Benjamin Meise (35)
International Business Administration (M.Sc.)
Landwirtschaftsmeister
Geschäftsführer der Fürstenwalder Agrarprodukte GmbH Buchholz
agrafrisch Unternehmensgruppe:
- 3.500 ha LN
- hält 740 Milchkühe zzgl. Nachzucht mit Milchdirektvermarktung
- 20.000 Legehennen mit Eierdirektvermarktung
- 600 kW Biogasanlage
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