(Jugend zwischen Kaiser und Breakdance: Kohte, Kanu, Kino und

Transcription

(Jugend zwischen Kaiser und Breakdance: Kohte, Kanu, Kino und
Jugend zwischen Kaiser und Breakdance: Kohte, Kanu, Kino und Kass...
http://www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2013/01/Jugend-zwischen-Kaiser-u...
Bildung. Bücher
Jugend zwischen Kaiser und Breakdance: Kohte, Kanu, Kino und Kassette
Ralf Julke
28.01.2013
Ein "Referenzwerk zur historischen Jugendforschung in Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert" nennen
Leonard Schmieding und Alfons Kenkmann diese Sammlung von Aufsätzen zu unterschiedlichen
jugendlichen Lebens- und Protestwelten von verschiedenen Autorinnen und Autoren. Das
Forschungsfeld Jugendkultur ist jung. In Mitteldeutschland erst recht. Im Grunde zeigt auch dieser
Band, wie jung dieses Forschungsgebiet tatsächlich ist.
Leonard Schmieding / Alfons Kenkmann (Hrsg.):
Kohte, Kanu, Kino und Kassette.
Foto: Ralf Julke
Mit Mark Fenemore ist ein Autor darin vertreten, der sich aus kühler englischer Distanz mit den jugendlichen Subkulturen in der DDR beschäftigt hat.
2007 veröffentlichte der Senior Lecturer an der Manchester Metropolitan University sein Buch "Sex, Thugs and Rock'n'Roll. Teenage Rebels in Cold
War East Germany". Thugs sind übrigens jene berühmten Rowdys, die ab den 1950er Jahren im Sprachgebrauch der DDR-Obrigkeit auftauchten.
Im Buch beschäftigt er sich mit den Nachfolgern jener Meuten aus dem Nazi-Reich, über die Sascha Lange mittlerweile ausgiebig veröffentlicht hat.
Und es waren auch nach 1950 wieder staatliche "Organe", die für die zahlreichen unangepassten Jugendgruppen auf Leipzigs Straßen und Plätzen
den Begriff "Meuten" verwendeten.
Fenemore zeichnet übrigens mit seiner angelsächsischen Nicht-Betroffenheit ein sehr buntes Bild jener jugendlichen Subkulturen, die in Leipzig
immer lebendig waren und auf ihre Weise immer bestrebt waren, ihren Lebensstil zu finden, gegen Uniformierung zu protestieren und die
internationalen Musik- und Modetrends zu rezipieren.
Im Vorwort merken Schmieding und Kenkmann einige Parallelen an, die alle hier beschriebenen Jugend-Bewegungen von den Pfadfindern bis hin
zu den Rockern und Breakdancern eint - sie zählen die wachsende Mobilität der Jugendlichen dazu, die starke Rolle des Kinos und die
unübersehbare Präsenz der modernen Musikströmungen. Selbst die von Lange beschriebenen Meuten schleppten ja Grammophone mit, um ihre
Platten mit Jazz-Musik zu hören. Die Broadway-Cliquen lebten im von den Nazis usurpierten Leipzig die Sehnsucht nach den großen Metropolen der
westlichen Welt aus.
Leonard Schmieding / Alfons Kenkmann (Hrsg.): Kohte, Kanu, Kino und Kassette.
Foto: Ralf Julke
Und ab den 1950er Jahren wurden Leipzigs Jugendliche im Grunde von jeder neuen Musikrichtung aus Übersee gepackt - angefangen beim Bebop
über den Rock'n'Roll bis hin zum Sound der Beatles, der 1964 / 1965 in Leipzig geradezu eine Revolution der Garagen-Bands auslöste. Und 1965 in
der legendären Beat-Demo auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz gipfelte.
Was einen natürlich an die hier schon einmal formulierte Idee erinnert, dass man sehr wohl diese Beat-Demo als Motiv für ein echtes Leipziger
Freiheitsdenkmal hätte wählen können. Auch dieses Buch ist Beleg dafür. Denn die Beat-Demo war ja nur die berühmteste Protestaktion junger
Leipziger gegen die vormundschaftliche Jugend- und Kulturpolitik der DDR. Wobei Wiebke Janssen in ihrem Beitrag zur Hallenser
"Freundschaftskanne" sehr genau herausarbeitet, welche Rolle der damalige FDJ-Chef Erich Honecker bei der Zuspitzung der staatlichen Zugriffe
spielte - bis hin zu jenem berühmt-berüchtigten 11. Plenum, bei dem mit der rebellischen Jugend auch gleich noch die gerade aufkeimende kritische
Literatur- und Filmlandschaft zum Fall einer regelrechten Verteufelung wurde.
Mehr zum Thema:
Die Leipziger Meuten: Wie junge
Leipziger gegen die Gleichschaltung
opponierten - und in die Mühlen der
Justiz gerieten
Manchmal braucht man Geduld ...
1 von 2
Dass Werner Bräunigs Buch "Rummelplatz" hier dezidiert erwähnt wird hat natürlich seinen Grund.
Denn die Leipziger Kleinmesse wird hier nicht nur akribisch als Kulisse beschrieben - sie war auch
einer jener Freiräume, den Leipziger Jugendliche nutzten, um ihren Lebensstil zu leben und auch mal
gegen die "Staatsorgane" zu protestieren. Was man so beim Lesen merkt, ist natürlich: Dieser
jugendliche Protest in seinen vielen Spielarten riss in Leipzig nie ab. Mancher, der früh mit Musik und
westlichem Kleidungsstil seinen Protest auslebte, landete dann - gar nicht so zufällig - Anfang der
1980er Jahre im Umfeld der Friedensbewegung.
28.01.2013 14:26
Jugend zwischen Kaiser und Breakdance: Kohte, Kanu, Kino und Kass...
2 von 2
Broadway-Gangster und
Reichsmeckerstadt: Historiker Alexander
Lange erzählt über die "Leipziger
Meuten"
Opposition im Dritten Reich? ...
Der rockigste Gedichtband der DDR, neu
aufgelegt: Mit der Sanduhr am Gürtel
Anfang der 1980er Jahre ...
Born to be wild: Die Begleitmusik zu
einem Jahrzehnt, über das fast niemand
nichts weiß
40 Jahre sind natürlich nicht viel ...
Sascha Lange erinnert sich: Eine
glückliche DDR-Kindheit mit Intershop
und Depeche Mode
Meine glückliche DDR-Jugend ...
http://www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2013/01/Jugend-zwischen-Kaiser-u...
Zwar schildert Peter Wurschi die "bleierne Zeit" der 1980er Jahre aus Suhler Perspektive - aber
dieselben Jugendströmungen gab es auch in Leipzig - mitsamt den Verhinderungsaktionen der Parteiund Staatsinstanzen.
Was noch auffällt - gerade weil die ersten Beiträge im Buch sich mit der (verordneten) SchillerRezeption von 1905 / 1909 und dann der Zensur in Leipziger Kinos im Weltkrieg und in den frühen
1920er Jahren beschäftigen - ist die Tatsache, dass in den Texten tatsächlich die jugendlichen
Subkulturen dominieren. Sie sind leichter zu fassen, weil sie auch immer wieder zum Thema
staatlicher Beobachtung und Verfolgung wurden und deshalb auch in den Archiven der Gerichte, der
Polizei oder des MfS ausführlich dokumentiert sind.
Aber es sind trotzdem nur Teilbereiche der jeweiligen Jugendkultur. Unübersehbar ist, dass es vom
Kaiserreich bis zur späten DDR immer starke staatliche Bestrebungen gab, Jugendliche zu normieren.
Es ist der Grundwiderspruch, der das Lebensfeld Jugend im ganzen 20. Jahrhundert durchzieht. Ein
Grundwiderspruch, in dem junge Menschen lernen, sich zu behaupten - oder anzupassen. Denn "die
Jugend" gibt es ja nicht. Und zu vielen der hier geschilderten Protestformen brauchte es auch Mut,
manchmal auch das richtige Umfeld, die richtige Clique.
Das Buch zu einer legendären Demo: All
you need is beat
Leipzig hat viele Daten in seiner Geschichte
...
Bestellen Sie dieses Buch
versandkostenfrei im Online-Shop –
gern auch als Geschenk verpackt.
Kohte, Kanu, Kino und Kassette
Leonard Schmieding, Alfons Kenkmann,
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig
2012, 24,00 Euro
Und für die Forscher wird es natürlich jetzt erst spannend. Denn wenn man nicht nur den Fokus auf
die Subkulturen legt (von denen es auch in der Regel mehrere gleichzeitig gab und gibt), dann
erscheint Jugend als ein breites Spannungsfeld zwischen angepasst und aufmüpfig, staatstragend
(diese Jugendlichen gibt es auch), angepasst und rebellierend. Selbst die Studien des Zentralinstituts
für Jugendfragen, die Wurschi in seinem Beitrag zitiert, belegen, dass noch 1985 rund 90 Prozent der
Jugendlichen sich mit der DDR identifizierten - also staatstragend waren. Das konnte durchaus die
Rezeption westlicher Musik und Lebensstile einschließen - wie Schmieding am Beispiel von
Breakdance und Hiphop zeigt.
Erst gegen 1988 kippten die Zustimmungsraten unter den Jugendlichen rapide. Diese Textsammlung
zeigt also auch, wieviel die Forscher über das komplexe Thema Jugend noch gar nicht wissen.
Ihre Meinung zum Thema.
Hinweise zur Kommentarnutzung
Kommentare (0)
Name*
E-Mail* (Wird nicht online angezeigt)
Homepage
http://
Titel
Kommentar* (maximal 3000 Zeichen)
Kommentar senden
Über die L-IZ | Kontakt | Mediadaten | Datenschutz | Haftungsausschluss | Impressum
http://www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2013/01/Jugend-zwischen-Kaiser-und-Breakdance-46103.html
© 2004-2013 Leipziger Internet Zeitung
28.01.2013 14:26