PDF-Leseprobe - Homöopathie Zeitschrift

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PDF-Leseprobe - Homöopathie Zeitschrift
schlangen titelthema
Diesen sehr eindrucksvollen Fall
hat Annette Sneevliet im Rahmen
eines Seminars vorgestellt. Sie war
so freundlich, ihn zur Veröffentlichung in der Homöopathie Zeitschrift freizugeben. Der folgende
Text basiert auf zwei Seminarmitschriften vom Januar 2014.
Fallbeispiel
Leichen, Skelette und der Tod beflügeln die Phantasie
und beleben die Träume bei diesem Schlangenmittel.
So auch bei dem jungen Mann im folgendem Fall.
„Wenn ich
das täte,
dann hätte
ich Macht
über sie“
Gesucht wird eine Schlange mit Bezug
zu den dunklen Mächten
Fall von Annette Sneevliet,
niedergeschrieben von
Dorit Zimmermann
78 Homöopathie Zeitschrift
Junger Mann, geb. 1982, zwanghafte
Gewaltphantasien
Der junge Mann, damals Ende 20, kam
in Begleitung seines Vaters zur Erstanamnese. Der Grund: Er hat Gewaltphantasien, stellt sich vor, was er anderen Menschen Schreckliches antun
könnte. Der Vater hat Angst, dass er
seine Zwangsvorstellungen eines Tages
in die Tat umsetzen könnte, wenn er
seinen Sohn ohne Aufsicht aus dem
Haus gehen lässt. Der junge Mann trägt
ein schwarzes T-Shirt mit einem Gitarre
spielenden Skelett. Er hat kalte Augen,
wirkt etwas sediert und unheimlich.
Vorgeschichte
Die Mutter des jungen Mannes hat ebenfalls psychische Probleme. Die Zwangsphantasien begannen
vor etwa 12 Jahren nach einem Umzug. Er fühlt sich
zum Buddhismus hingezogen, sucht Zuflucht bei der
Spiritualität und der Religion, weil er hofft, seinem
Karma zu entgehen. Er hat Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte und dass er dafür in die Hölle
kommt. Auch die Hexerei interessiert und beschäftigt
ihn. Irgendwie fühlt er sich von dunklen Mächten
angezogen. Es ist etwas Düsteres, Bedrohliches an
ihm. Vom Arzt hat er Psychopharmaka verordnet
bekommen. Körperliche Symptome schildert er keine.
Handgeste (HG): Mit den Händen macht er Drehbewegungen in Form von Spiralen
Annette Sneevliet / „Wenn ich das täte, dann hätte
ich Macht über sie“ / HZ II 2014 / S. 78-81
„Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es
kommt hoch wie eine Art Schreckreaktion, aber es
fühlt sich angenehm an. Man hat Macht über das
Leben anderer. Der andere weiß nicht, dass ich es auf
ihn abgesehen habe. Ich bestimme über sein Leben.
Ich zittere dabei vor Spannung. Ich bestimme, ob Du
morgen noch aufstehst.“
Hochsteigen?
„Wenn ich Angst habe, dann spüre ich es hier (zeigt
vom Bauch zur Kehle) – es schießt hoch. Da ist etwas
im Bauch und das schießt hoch. Alles zittert. Mein
Herz klopft dann schneller. Ab und zu tue ich mir
selber weh, kneife mich.“
Beschreibe mir Deine Phantasien
Daraufhin erzählt er, dass er sich vorstellt, andere
niederzustechen, sexuelle Handlungen mit ihnen zu
vollführen, ihnen mit dem Hammer auf den Kopf zu
schlagen. Gewalt im Fernsehen könne er allerdings
nicht ertragen. Am schlimmsten seien seine Phantasien, wenn er nichts zu tun habe. Bislang, so der
Patient, habe er nichts von alledem ausgeführt, aber
der Impuls sei groß. Dieser wird durch Medikamente
unterdrückt, die er täglich einnehmen muss.
Wie fühlen sich diese Phantasien in Deinem Körper an?
Er erzählt, er habe immer ganz schlechte
Gedanken, die er nicht stoppen könne.
Diese handelten von Mord und sexuellen Handlungen. Er stellt sich vor, anderen Menschen weh zu tun, vor allem
denjenigen, die er mag. Diese Gedanken kreisten permanent in seinem Kopf,
ihm sei nicht zu trauen, das sei eine
große Last für ihn. Er sei ein Psychopath,
etwas sei falsch an ihm. Die Gedanken
kämen einfach, er versuche zwar, sich
dagegen zu wehren, aber das gelinge
ihm nicht. Er spüre das dringende Verlangen, seine zwanghaften Phantasien
in die Tat umzusetzen, habe deshalb
auch schon an Suizid gedacht.
Macht? Drang? Es schießt hoch?
Er sagt, er empfinde Lust, wenn er daran denke, anderen etwas anzutun, es sei wie eine Sucht. Es verleihe
ihm Macht: „Wenn ich das täte, dann hätte ich Macht
über sie“. Er verspürt einen innerlichen Drang, es zu
tun, wirkt dabei vollkommen gefühllos.
HG: Er macht erneut Drehbewegungen mit beiden
Händen.
„Es sind Gefühle, die schießen hoch. Ich fühle mich
schuldig, dass ich solche Gedanken habe.“
HG: Er bewegt beide Hände nach oben über den
Kopf.
Er berichtet, dass er einen großen Drang verspürt,
das Haus zu verlassen, wenn die Gewaltphantasien
in ihm hochsteigen, es ist ein Zwang.
Beschreibe mir ein bisschen Dein Leben
Er erzählt, dass er sehr einsam und isoliert lebt. Einmal habe er einen Freund gehabt, das war mit elf
oder zwölf Jahren, der habe ihn betrogen. Daraufhin
sei es losgegangen. Seither habe er keine Freunde
mehr gefunden.
Fallanalyse
Sein ganzes Auftreten, die Handgesten (von unten
aufsteigend und nach oben schießend; Spiralbewegung) und die ganze Geschichte mit dem starken
Verlangen, Macht über andere auszuüben, sie aus
dem Hinterhalt zu beobachten und zu bedrohen,
zu lauern, wann der geeignete Moment zum Angriff
gekommen ist, wann das Opfer besonders ahnungslos
und wehrlos ist, sprechen für eine Schlange. Die Vorliebe für Skelette, Magie und Hexerei sowie die unterdrückten Gewaltphantasien und die Empfindung,
von anderen verraten, vernachlässigt und bedroht
zu werden, lassen an Crotalus cascavella denken.
Annette Sneevliet / „Wenn ich das täte, dann hätte ich Macht über sie“ / HZ II 2014 / S. 78-81
Homöopathie Zeitschrift 79
titelthema Schlangen
schlangen titelthema
Wenn sie sich nicht attackiert fühlt, ist Crotalus cascavella
nicht sehr aggressiv, wird aber zur erbitterten Kämpferin, sobald Gefahr droht. Sie zählt zu den gefährlichsten Klapperschlangen Zentral- und Südamerikas, wo sie beheimatet ist.
Crotalus cascavella
Wie Lachesis und Crotalus horridus gehört Crotalus
cascavella, die Waldklapperschlange, zu den Grubenottern (Crotalidae), ihr Gift ist hämo- und neurotoxisch. Im Falle einer Bedrohung rollt sie sich ein, formt
ihr Vorderteil zu einem „Z“ und geht zum Angriff
über, indem sie mehrmals hintereinander gezielt
zubeißt. Dabei rasselt sie furchterregend mit dem
Schwanz und droht ihrem potenziellen Angreifer.
Crotalus-cascavella-Menschen fühlen sich allein,
verlassen und isoliert. Sie haben den Eindruck, vernachlässigt und nicht geliebt zu werden, leben in dem
Glauben, ausgestoßen zu sein, nicht dazuzugehören.
Das geht so weit, dass sie selbst ihren engsten Freunden misstrauen. Auch haben sie große Furcht davor,
irgendjemand könnte ihnen etwas antun, sie überfallen, verletzen oder vergewaltigen. Dieses Gefühl
der Hilflosigkeit mündet jedoch nicht in eine passive
Angststarre oder in das Bestreben, zu entfliehen, sich
zu verstecken, sondern in aktives Schmieden von
Racheplänen. Hinterlistig, falsch und verschlagen,
wie es die Art einiger Schlangen ist, sinnt Crota-
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lus cascavella nach Rache. Crot-c.-Menschen sind
vehement und heftig, voller Zorn und bösartiger
Gedanken, getrieben von dem Verlangen, potenzielle
Widersacher mit dem Messer aufzuschlitzen, zu
verstümmeln und zu töten. Hartnäckige Gedanken
kreisen um Mord und Verletzung. Krankhafte Triebe
und Impulse treiben sie dazu, gewalttätige Hirngespinste zu entwickeln. Dabei wirken sie gefährlich
und unheimlich, man kann ihnen nicht recht trauen.
Sie sind gefühllos und voller dunkler zwanghafter
Phantasien, in denen Gewalt, Missbrauch und Tod
vorherrschen. So grausam die Gewaltphantasien von
Crot-c. auch sein mögen, sie werden in der Regel
nicht in die Tat umgesetzt, sind das Produkt unterdrückten Zorns und nicht gelebter Aggressionen.
Häufig finden sie ihren Ausdruck in den Träumen.
Dort wimmelt es von dunklen Gestalten, Leichen
und Skeletten. Im Grunde handelt es sich um schwache, hilflose Kreaturen, die sich stark fühlen, indem
sie Macht über andere ausüben, zumindest in ihrer
düsteren Gedankenwelt. „Ich könnte mein Gegenüber töten, wenn ich wollte“ – diese gedanklichen
Konstrukte und Wahnvorstellungen vermitteln ihnen
ein vorübergehendes Gefühl von Macht, Lust und
Überlegenheit, an dem es ihnen im realen Leben
mangelt. Möglicherweise waren sie selbst einmal in
der Rolle des Schwachen, Unterlegenen, wurden von
einem anderen drangsaliert und missbraucht.
Neben dieser sehr heftigen Ausprägung gibt es auch
noch eine kompensierte Version von Crotalus cascavella. Bei diesen Menschen steht das Gefühl alleingelassen und vernachlässigt zu werden im Vordergrund.
Sie sind ebenfalls sehr misstrauisch und leben in der
ständigen Furcht, verlassen zu werden, fühlen sich
verfolgt und bedroht, glauben, Schritte hinter sich zu
hören und meinen, es sei jemand hinter ihnen und
wolle sie verletzen.
Im einen wie im anderen Fall gibt es zahlreiche
Zwänge, Wahnvorstellungen, unterdrückte Aggressionen und Schuldgefühle. Crot-c.-Menschen sind voller
Groll und Rachegelüsten, die nicht ausgelebt werden.
Verordnung: Crotalus cascavella M, 2 Globuli pur (jede
Woche, weil er zusätzlich Psychopharmaka nimmt)
Annette Sneevliet / „Wenn ich das täte, dann hätte ich Macht über sie“ / HZ II 2014 / S. 78-81
Rubriken, in denen Crot-c. enthalten ist
G – Argwöhnisch, misstrauisch – Freunden gegenüber; seinen besten (5), 1-w.
G – Beschwerden durch – Zorn – unterdrückten Zorn; durch (50), 1-w.
G – Destruktivität, Zerstörungswut – abwechselnd mit – Furcht, verletzt zu werden (1), 1-w.
G – Furcht – allein zu sein (138), 3-w.
G – Furcht – angegriffen, überfallen zu werden (10), 1-w.
G – Furcht – vernachlässigt zu werden (6), 1-w.
G – Gedanken hartnäckig – Böses, an (5), 1-w.
G – Hass – Rachsucht; Hass und (21), 1-w.
G – Heftig, vehement – Gewalttaten führt; Raserei, die zu (38), 1-w.
G – Hilflosigkeit; Gefühl der (75), 1-w.
G – Hinterhältig, hinterlistig, falsch, verschlagen (50), 1-w.
G – Impulse, Triebe; krankhaft gewalttätig zu werden (14), 1-w.
G – Pläne – macht, schmiedet viele Pläne – rachsüchtige Pläne, plant Racheakte (8), 1-w.
G – Schneiden, verstümmeln oder aufschlitzen; Verlangen zu – Messer; mit einem scharfen (1), 1-w.
G – Töten; verlangen zu – plötzlicher Impuls zu töten – gestört haben; diejenigen, die ihn (1), 1-w.
G – Verlassen zu sein; Gefühl (190), 2-w.
G – Verlassen zu sein; Gefühl – Isolation; Gefühl von (75), 1-w.
G – WI – Ausgestoßene; sie wäre eine (9), 1-w.
G – WI – betrogen, getäuscht worden; er sei (14), 1-w.
G – WI – Menschen, Personen – hinter ihm, jemand sei (31), 1-w.
G – WI – verlassen, aufgegeben worden; er sei (49), 1-w.
G – WI – vernachlässigt – er würde vernachlässigt (32), 1-w.
G – Zorn – heftig (110), 2-w.
Tr – Erfolglose Anstrengungen – verletzen; andere zu (1), 1-w.
Tr – Leichen (82), 2-w.
Tr – Tod (108), 1-w.
Follow up, zwei Monate später
Die zwanghaften Gedanken haben abgenommen, seit
er das Mittel einmal wöchentlich nimmt. Vor Crot-c.
wurde er bis zu zehnmal täglich von seinen Gewaltphantasien heimgesucht. Nach einem Unfall, bei dem
er von einem Auto angefahren wurde, nahmen die
Gedanken wieder zu. Ließen dann aber unter Crot-c.
wieder nach. Es gibt Stunden, in denen er überhaupt
keine Gewaltphantasien mehr verspürt. Es geht ihm
viel besser.
Annette Sneevliet ist niedergelassene Allgemeinärztin und
K lassische Homöopathin in
Bakkeveen, Holland. Gelernt hat
sie bei Alfons Geukens, George
Vithoulkas, Ananda Zaren, Massimo Mangialavori, Jan Scholten
und Rajan Sankaran. Sie arbeitet
nach der Sensation-Methode.
Der Vater berichtet, sein Sohn habe sich total verändert, er sei fröhlicher, gehe einer Arbeit nach
und habe einen Freund gefunden. Lustgefühle und
Machtgedanken sind nach nur zwei Monaten Crotalus
cascavella vollkommen verschwunden. Die Psychopharmaka konnten deutlich reduziert werden. Der
Fall läuft anderthalb Jahre unverändert gut.
Annette Sneevliet / „Wenn ich das täte, dann hätte ich Macht über sie“ / HZ II 2014 / S. 78-81
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