Daucus Bernardi
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Daucus Bernardi
Markues Daucus bernardi — Ulla, Fame und die Karotten des Kunstmarktes „Es gibt keine Geschichte für das, was ich lebe. Da brauche ich andere Instrumente, um von meinem Leben zu erzählen.“ 1 René Pollesch ill. 1 ill. 2 Ein Strauß Lilien steht auf dem Tisch, dazu Portfolio und Visitenkarte. Auf der Visitenkarte: Ulrike Bernard im Papageienkleidchen. Die Rückseite: keine Kontaktdaten, sondern ein Foto von mir. Wir zeigen mit unseren Händen CV, die Abkürzung für curriculum vitae, in die Kamera. Im Portfolio sind statt Kunstwerken Texte über die Lebensbedingungen bildender Künstler_innen 2 zusammengestellt. Auf der Einladungskarte zu Ulrike Bernards Ausstellung „Fame“ in der Galerie Foto-Forum Bozen stehen Orchideenblüten in Steckschwämmen beieinander. Digital wurden sie im Stil von Emoticons trashig in Figuren im Bild verwandelt. Sie erinnern an die in vielen südtiroler (Eltern-)Häusern vorkommenden stolzen Orchideen-Arrangements auf Fensterbänken und kommentieren auch das (Künstler-)Dasein im Jetzt: gemeinsame Vereinzelung, unsichere Selbstversorgung, maskenhafte Emotionen. Vorstellungen von Schönheit, Glamour und vermeintlichen Besonderheiten werden von der Wartung der eigenen Existenz abgeschnitten. Fame bedeutet im englischen Ruhm und im italienischen Hunger. Ulrike Bernard setzt dieser Situation mit ihrer künstlerischen Praxis etwas entgegen – Küsschenküsschenbyebye Künstler als Genie, wir sehen uns Bilder als Fenster zur Welt, es war schön mit dir rechteckige Kunst an der Wand, muah! Sie geht weiter und nutzt Medien und Techniken für ein Neubefüllen der Formen: Konventionen des Kunstbetriebes werden zitiert, die Rollen und Erwartungen an bildende Künstler_innen bleiben unklar, der Zugriff auf die Fotografie und das Verhältnis von Bild und Text ist (repräsentations-) kritisch und ihre Ansätze in Bezug auf Performance und Partizipation sind auf deren Orte bezogen. Sie kollaboriert mit Freund_innen, gegenseitige Dienstleistungen werden bezahlt, alle Beteiligten werden namentlich erwähnt, Zusammenarbeit als Prinzip, Gemeinschaft als Kontrast. Die Produktionsbedingungen werden gestalterischer und gestalteter Teil des Werkes. Roland Barthes beschreibt in „Vom Werk zum Text“ den Perspektivwechsel der Betrachtung weg von den Inhalten eines Werkes hin zu dem mit ihm verknüpften pluralen, nicht abgrenzbaren, mehrdimensionalen ‚Text‘. 3 Die Deutung der Inhalte wird ersetzt durch Prozesse der Verknüpfung, Assoziation, Überlappung, Variation, die gleichzeitige Herstellung ill. 3 / 4 ill. 5 mehrerer Bedeutungsebenen. Mit dieser Figur der Intertextualität werden sowohl Ulrike Bernards medienübergreifende Arbeitsweise, im Besonderen ihr Einsatz der Fotografie, als auch ihre Ansätze der Partizipation beschreibbar. „Nails Now“ (2012) ist eine Performance, die Ulrike Bernard bereits am Abrissabend eines Atelierhauses in Berlin Mitte, in der Bar O Tannenbaum, den Kunstwerken Berlin und im Projektraum Venus & Apoll in Düsseldorf aufführte. Gratis bietet sie ihre Dienste als Nageldesignerin an und lackiert jede_r Besucher_in einen Fingernagel. Das Nagelstudio ist jeweils ortsspezifisch eingerichtet. Die Requisiten von Flyer über Zimmerspringbrunnen bis bedrucktem Handtuch und Nageltrockner wurden von Freund_innen gestaltet und ausgeliehen. Als Plakat und als Edition dient eine fotografische Reproduktion der Karte, auf der die Besucher_innen ihr gewünschtes Design auswählen können. Die von Ulrike Bernard gestalteten Kunstnägel sind durch eine Unterzeile in Schreibmaschinenschrift benannt und verweisen auf das Design, auf die Titel der Kunstwerke und Bücher, denen sie entlehnt sind. 4 Auch Schlagworte wie lifelong learning, Jobcenter oder individual consultation fallen – doch Ulrike Bernard ist weder Coach noch Therapeutin. Um sich in diesem Studio verschönern zu lassen, begibt mensch sich als lebendige_r Statist_in ins Werk und zugleich als aktiver Teil der Bedeutungsherstellung und -verbreitung der über das Werk hinaus gehenden (indexikalischen) Ebenen seines ‚Textes‘ wieder aus ihm hinaus. Die ehemaligen Statist_innen tippen womöglich ungeduldig mit dem Fingernagel „I‘m not your therapist“ die Suche nach einem Psychotherapeuten in den Computer, blättern mit „Nowhere is better than this place“ durch Reiseprospekte oder denken, während sie auf die Melone „lack of charisma can be fatal“ schauen, ans nächste Vorstellungsgespräch oder Date. In der Ausstellung in Bozen sprießen vier Fotografien, welche auf „Nails Now“ hindeuten, auf Metallhaltern aus einer Säule im Raum. Ihnen ist gemeinsam, dass sie je auf ein Design des Nagelkataloges anspielen, Schrift und Bild kombinieren und auf weitere Künstler_innen verweisen. 5 Oft ist es bei Ulrike Bernard der Fall, dass durch Fragen nach dem Abwesenden die Entscheidungen klar werden, die zur Form der Werke geführt haben. Auf die Fotografie bezogen fällt die Abwesenheit der klassischen Genres und der oft gesehenen (Geschlechter-) Stereotypien auf. So verweist sie – ohne dabei in eine Gegenposition einer anderen, ‚besseren‘ Art der Darstellung zu kippen – implizit auf die dem Entstehen der Werke vorangegangenen Prozesse. Fotografie kommt hier nicht zum Einsatz um etwas zu portraitieren, abzubilden, dokumentieren oder einzufangen (zumindest keine Menschen, Landschaften oder Häuser). Sie wird zu einer Oberfläche indexikalischer Repräsentation, die zwischen dem Fotografischen, dem Ready-Made, sowie Bild und Text ill. 6 ill. 7 changiert, und in ihrer Verweisartigkeit ähnlich funktioniert wie die gesamte Situation des Nagelstudios. 6 Dabei verbleiben die Verweise nicht nur innerhalb eines Werkes, sondern setzen sich in weiteren Werken und in der Arbeits- und Gestaltungsweise von Ulrike Bernard fort. Im Raum verteilt stehen an Plastikhocker gelehnt die fünf Fotografien der Installation „Dark Matter“ (2012). Ebenfalls dazu gehört das Gestell eines Trolleys auf dem sich statt einer Einkaufstasche eine Stereoanlage befindet. Leise klingt Musik aus diesem Objekt, die sich beim Hören der Texte mit einem wiederkehrenden Thema von Ulrike Bernard befasst: Arbeit. 7 An dem Trolley lehnt ein im Internet gefundenes Foto einer Person, die im toten Meer treibend Zeitung liest. Es wurde stark vergrößert kopiert und mittels copy & paste drückt Ulrike Bernard der Figur Gregory Sholettes Buch in die Hand. Gregory Sholette überträgt dort den Begriff ‚Dark Matter‘ metaphorisch auf die Arbeitsverhältnisse im Kulturbetrieb. Er bezeichnet damit die oft unsichtbar im Hintergrund arbeitende Masse der vermeintlich erfolglosen Kulturproduzent_innen, die durch ihre Anwesenheit das Universum Hochkultur sowohl ermöglichen als auch beisammenhalten. 8 Ulrike Bernard dreht in ihrer künstlerischen Arbeit das Verhältnis um: Alle Beteiligten sind sichtbar und werden bezahlt. Die Arbeit wird als Arbeit anerkannt und somit die Grundlage für Veränderung geschaffen. 9 In der bildenden Kunst sind die Endprodukte oft das Spitzensegment der Luxusgüter. Doch das Prekäre ist eben prekär – da gibt es keine Metaebene und nichts dran zu rütteln. Obwohl das im Kunstsystem allgegenwärtig und oft beklagt ist, wird es selten mutig dargestellt. In Ulrike Bernards Fotografien und Installationen gehen Werkform und Verkaufbarkeit in einen Zustand der Vorläufigkeit über. Das Unsichere, Billige und Trashige wird in seiner Unbequemlichkeit und Vakanz belassen und eingeschlossen, anstatt es zu polieren und so in die nächste Stufe großbürgerlicher Geschmacksveredlung überzugehen. Die wertgenerierenden Kategorien wie das verkaufbare, die Zeiten überdauernde Werk, die eindeutige Autorenschaft und die formale Ausbildung eines künstlerischen Stils lösen sich auf. Zwar ist Ulrike Bernard für den Kunstmarkt sichtbar, jedoch ökonomisch kaum fassbar, in einem Zustand selbstgewählter Unsichtbarkeit – eine Leerstelle, die der Kunstmarkt meidet, da er in ihr zusammenbrechen könnte. Dort finden sich fragile, vorläufige und abseits vom Kunstmarkt lebende und arbeitende Gemeinschaften von Künstler_innen, welche die Bedingungen des Kunstmarktes aufkündigen. Zum Kunstmarkt sagen sie: Nicht um jeden Preis. Und dieser antwortet: Nicht zu diesem Preis. Ulrike Bernard ist Teil beider Systeme. Sie begibt sich nicht in eine bequeme Position der unbeteiligt beobachtenden Künstler_in: Die Gegnerschaft ist zwar kaum zu bestimmen, doch Zusammenarbeit und Solidarität sind auch im Jetzt gangbare Wege. 1 René Pollesch „Lob des alten litauischen Regieassistenten im grauen Kittel“, erschienen in Kreation und Depression – Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus ISBN 9783865991263 2 Im Übrigen finden sich in ihm auch die im weiteren Verlauf dieses Textes erwähnten Aufsätze. 3 Und das ist der Unterschied von Werk und ‚Text‘: „das Werk ist ein Bruchstück Substanz, […]. Der ‚Text‘ hingegen ist ein methodologisches Feld. […] Das Werk ruht in der Hand, der Text ruht in der Sprache: er existiert nur innerhalb eines Diskurses […]; der ‚Text‘ ist nicht die Zersetzung des Werks, sondern das Werk ist der imaginäre Schweif des ‚Textes‘. Oder: der ‚Text‘ erweist sich nur in einer Arbeit, einer Produktion.“ Roland Barthes „Vom Werk zum Text“ in Das Rauschen der Sprache. Kritische Essays ISBN 9783518116951 4 Let‘s get into details – zitiert werden: Felix Gonzalez-Torres „Untitled“ (1990), Markus Miessen „The Nightmare of Participation“ (2010), Sigmar Polke „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen“ (1969), Gregory Sholette „Dark Matter“ (2006), Jenny Holzer „Truisms“ (1977-79), Jobcenter (2003) de.wikipedia.org/wiki/Jobcenter 5 Let‘s get into details again – kombiniert und zitiert werden: a) Anton Peitersen „The Imbedded Carrots Theory That They Can‘t Explain With Money“ (2012), (s)eine Hand mit dem Design „Individual Consultation“; b) Paul Thek „Afflict the Comfortable, Comfort the Afflicted“ (1985), ein Universumpuzzle und eine Hand mit dem Design „lifelong learning“; c) ein Heft mit der Aufschrift „Gossip Lies Fantasies“, Filmstill aus Rainer Werner Fassbinder „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972) und eine Hand mit dem Design „lack of charisma can be fatal“; d) Band mit der Aufschrift „never say never*sleep late*indulge your curiosity*waste a little time“, der digitale Bildgruß von Omri Livne „how are you?“ und eine Hand mit dem Design „the nightmare of participation“ 6 Rosalind Krauss definiert den Index so: „As distinct from symbols, indexes establish their meaning along the axis of a physical relationship to their referents. They are the marks or traces of a particular cause, and that cause is the thing to which they refer, the object they signify.“ Dabei verhält es sich mit Fotografien und Readymades ähnlich: „The readymade‘s parallel with the photograph is established by its process of production. It is about the physical transportation of an object from the continuum of reality into the fixed condition of an art-image by a moment of isolation, or selection. And in this process, it also recalls the function of the shifter. It (the shifter – Anmerkung von Markues) is a sign which is inherently „empty“, its signification a function of only this one instance, guaranteed by the existential presence of just this object. It is the meaningless meaning that is instituted through the term of the index.“ Rosalind Krauss „Notes On The Index: Seventies Art In America“ in October Vol.3, 1977 7 Playlist: Wiz Khalifa „Work Hard Play Hard“, Nina Simone „Work Song“, Jimmy Cliff „You Can Get It If You Really Want“, Lou Reed „Don‘t Talk to Me About Work“, Steely Dan „Dirty Work“, Tennessie Ernie Ford „Sixteen Tons“, Donna Summer „She Works Hard for the Money“, Modest Mouse „Custom Concerns“, Devo „Working in a Coal Mine“, Brooks & Dunn „Hard Working Man“, Frieder Butzmann „Arbeitslied“, Andy Giorbino „Facharbeiter“, Floh de Cologne „Arbeit macht frei“, Konstantin „Sing mir ein kleines Arbeiterkampflied“, Peter Licht „Wir sind jung und wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ und andere 8 „Without this obscure mass of “failed” artists the small cadre of successful artists would find it difficult, if not impossible, to sustain the global art world as it appears today. Without this invisible mass [...] there would be no one left to fabricate the work of art stars or to manage their studios and careers.“ Er beobachtet bereits einen Wandel „[...] artists have learned to embrace their own structural redundancy, they have chosen to be “dark matter”. By grasping the politics of their own invisibility and marginalization they inevitably challenge the formation of normative artistic values. Here “politics” must be understood as the imaginative exploration of ideas, the pleasure of communication, the exchange of education, and the construction of fantasy, all within a radically defined social-artist practice.“ Gregory Sholette „Introduction: The Missing Mass“ in Dark Matter ISBN 9780745327525 9 Das Anerkennen von Arbeit als Arbeit ist eine Grundlage für Veränderung im Kapitalismus. In Revolution at Point Zero – Housework, Reproduction and Feminist Struggle fasst es Silvia Federici so: „To have a wage means to be part of a social contract, and there is no doubt concerning its meaning: you work, not because you like it, or because it comes naturally to you, but because it is the only condition under which you are allowed to live.“ Dabei bleibt ihre Theorie offen für Kämpfe gegen Sexismus und Rassismus und lässt sich in dem Punkt, dass die Anerkennung der Arbeit als Arbeit der Schritt zum politischen Wandel ist, meines Erachtens auch auf den Kulturbetrieb übertragen: „Wagelessness and underdevelopment are essential elements of capitalist planning, nationally and internationally. They are powerful means to make workers compete on the national and international labor market, and make us believe that our interests are different and contradictory. Here are the roots of sexism, racism and welfarism (contempt for the workers who have suceeded in getting some money from the state), which are the expressions of different labor markets and thus different ways of regulating and deviding the working class.“ ISBN 9781604863338 List of Ilustrations ill. 2 Invitation card for the exhibition Fame Gallery Foto-Forum 2013 ill. 1 (CV) ill. 3 Installation view from the performance Nails Now at studio spaces Berlin Mitte, 2012 Photo: Fil Ieropoulos ill. 4 Installation view from the performance Nails Now at KW Berlin, 2012 Photo: Katrin Gruber ill. 5 Nails Now poster 2012 ill. 6 Installation view of Dark Matter at Universität der Künste Berlin, 2012 ill. 7 U.B. with Trolleys (Jerusalem), 2010 Photo: Markues