Die Diagnose lässt viele Klassikerfans schlucken: Wenn die

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Die Diagnose lässt viele Klassikerfans schlucken: Wenn die
Ratgeber Zylinderkopfdichtungen
HeiSSe Köpfe
Die Diagnose lässt viele Klassikerfans schlucken: Wenn die
Kopfdichtung kaputt ist, droht eine teure Reparatur. Besonders
heikel: Selbst Werkstätten machen oft eine Menge falsch
Schäden an Kopfdichtungen sind
ein häufiges Problem – typisch
auch für den W 123 als 230er
Schon wieder parkt der
Mini in der Halle von Thomas Scharf. Die Diagnose:
Zylinderkopfdichtung.
„Die haben wir erst vor ein
paar Tausend Kilometern getauscht“, sagt der Heidelberger Motorenbauer, „jetzt ist
sie schon wieder durch.“ Und
schiebt noch nach, dass das
bei Engländern keine große
Überraschung sei.
Grund ist die oft miese
Qualität der Ersatzteile. Für
Händler sei es enorm lukrativ, billige Ware aus Indien
einzukaufen, sagt ein Insider: „Die hohe Marge lockt.“
Und der Kunde? Freut sich
über eine neue Kopfdichtung.
Der Ärger kommt erst später,
für Reklamationen meist zu
spät. Noch dazu ist die Be-
weisführung haarig: Welchen
Anteil hat die Werkstatt am
erneuten Schaden? Da ist viel
Frust programmiert.
Wenn die neue Kopfdichtung nicht aus zuverlässiger
Quelle stammt, also zum Beispiel vom Fahrzeughersteller
selbst oder einem der großen
Zulieferer (so ist es bei unserem Mercedes 230 TE W 123),
lohnt sich ein genauer Blick
auf die Qualität.
Erstes Indiz ist dabei das
Dichtungsmaterial selbst. Es
gibt große Marken wie Elring
oder Reinz, und findet sich
ihr Markenzeichen, ist das
eine Garantie für höchsten
Standard.
Ist die Herkunft dagegen
unklar, stehen Kriterien wie
die Maßhaltigkeit und Verarbeitung auf dem Prüfstand.
Ein Hauptproblem besteht
bei den Zylindereinfassun-
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gen aus Metall: Sind diese
Ringe unsauber montiert
oder in falscher Materialstärke gefertigt, wird die neue
Dichtung nicht lange halten.
Manche Dichtungen sind
zudem nicht exakt gestanzt.
Wer jedoch halb verschlossene Ölkanäle übersieht, provoziert einen kapitalen Motorschaden. So etwas gibt es
nicht? Doch. Und es wäre
nicht das erste Mal.
Dieses Risiko trifft Miniund Triumph-Besitzer häufiger als Mercedes-, VW- oder
BMW-Piloten. Die haben es
besser – zumindest gilt das
für die gängigen Modelle.
Dabei ist der Tausch einer
Kopfdichtung alles andere als
günstig. Für einen W 123 zum
Beispiel stehen gut 1300 Euro
auf der Rechnung, bei einem
(technisch simpleren) Mini
sind es rund 1000 Euro.
Doch exakte Summen lassen sich vorab nicht nennen.
Zu viele Probleme können im
Umfeld der Zylinderkopfdichtung auftauchen: Oft ist
es Kühlwasserverlust, zum
Beispiel wegen einer defekten Wasserpumpe. Zu wenig
Wasser führt jedoch schnell
zur Überhitzung des Motors
– ein möglicher Auslöser des
Kopfdichtungsschadens.
Oder die Ventile fallen auf,
weil sie nicht mehr richtig
schließen, ihre Schaftdichtungen glashart sind, ihre
Führungen ausgeschlagen.
Steuerkette oder Zahnriemen
könnten fällig sein, der
Krümmer gerissen, ein verrosteter Stehbolzen abbrechen. Die Nockenwelle und
ihre Kipphebel mögen die
Verschleißgrenze erreicht
haben, und manchmal ist gar
der Zylinderkopf gerissen. .
‡ Weil der Tausch von Kopfdichtungen so aufwendig ist, lohnt sich vorab eine Eingrenzung des Schadens. Pralle Wasserschläuche 1 sind ein Indiz ­dafür,
dass Gas vom Brennraum über eine defekte Kopfdichtung in das Kühlsystem drückt. Dann steigt auch
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der CO-Gehalt im Wasser. Aufschluss gibt zudem das
Bild der Zündkerzen 2. Verliert das Kühlsystem
schnell an Druck, ohne dass Wasser austritt, kann es
sein, dass es über eine kaputte Kopfdichtung in Richtung Brennraum drückt 3. Hilfreich ist in jedem Fall
eine Druckverlustprüfung aller Zylinder4. Findet
die Luft dabei durch ein Leck ihren Weg ins Kühlsystem, fließt dort Wasser über 5. Undichte Einlassventile dagegen führen zu hörbarem Rauschen an der
Stauscheibe 6. Hier ist alles sauber, doch weißlicher
Schaum am Peilstab oder Einfülldeckel 7 würde
auf Wasser im Öl hinweisen.
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Mit bestem Dank für die Unterstützung durch Motoreninstandsetzung Thomas Scharf, Heidelberg (www.scharfmotoren.de)
Ist tatsächlich die Kopfdichtung kaputt?
Kein Ersatz lieferbar?
Dann hilft die Einzelanfertigung
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Februar 2011 · Nr. 2 | www.autobild-klassik.de 113
Fotos: G. von Sternenfels (9), H. Neu (8)
‡ Hoffnungslose Fälle gibt es nicht mehr. Früher war
das anders: 1984 suchte Alfred Schwarz vergeblich
nach einer Kopfdichtung – und fertigte sie schließlich nach. Aus dieser Idee wurde eine Firma (www.
dichtungen-schwarz.de, Telefon 0 91 05-92 20). Heute lagern in seiner Halle Werkzeuge 1 für einige tausend Exoten. Als Basis für Kopfdichtungen nutzt er Rohmaterial des AutomobilZulieferers Reinz. Wenn wegen einer kleinen Stückzahl die Anfertigung eines Stanzwerkzeugs zu aufwendig ist, dient eine Schablone als Vorlage. An ihren Linien entlang wird das Dichtungsmaterial ausgenibbelt 2. Die Metalleinfassungen für den Brennraum werden tief- Alfred Schwarz hat
gezogen 3 und in die Dichtung eingesetzt 4. Die Öl- und Wasserkanäle werden ausgestanzt 5. Für CNC-Stanzen sind Spezialwerkzeuge nö- sich auf schwierige Fälle
tig 6. Dichtungen Schwarz berechnet bei Einzelanfertigung 25 Euro pro Zylinder, Serien- oder Lagerartikel sind deutlich günstiger 7.
spezialisiert
Ratgeber
Horrorszenarien. Alles zusammen tritt nie ein, aber
oftmals manches. Schließlich haben die Motoren ja
schon einiges hinter sich.
Da ist es gut, wenn man
sich auf die Werkstatt verlassen kann. Es ist schließlich
nichts gespart, wenn die nur
rasch den Kopf abnimmt, eine neue Dichtung einlegt und
alles blind festknallt. Das
wird am Ende sicher teuer.
Zum Beispiel, wenn sie den
Kopf nicht korrekt plant.
Manche überschleifen die
Dichtflächen schnell von
Hand: „Das rundet die Fläche
an den Kanten“, sagt Thomas
Scharf, „so ein Kopf ist kaum
noch dicht zu bekommen.“
Schon ein Zehntelmillimeter Verzug am Kopf genügt,
um Probleme zu schaffen.
Die gibt es auch, wenn die
Werkstatt zu den alten Kopfschrauben greift (die als
Dehnschrauben ein Verschleißteil sind) oder sich
nicht an die Vorgaben des
Herstellers hält. Die schreiben nicht nur das Drehmo-
Hier ist der Schaden:
Spuren am Einfassungsring
zeigen die undichte Stelle
der alten Kopfdichtung
die es zu prüfen gibt. Und
die ein Kostenrisiko sind.
Nur ist ein Profi, der den
nötigen Maschinenpark unterhält, nicht mehr überall zu
finden. Denn Motorenbauer
sterben langsam aus: Thomas Scharf erinnert sich an
38 Mitarbeiter. 1978 war das.
Heute sind sie noch zu dritt.
Thomas Wirth
ment, sondern oft auch den
Drehwinkel exakt vor.
Die beste Grundlage für
den Tausch einer Kopfdichtung ist Vertrauen in die
Werkstatt. Wenn sie fair ist,
weist sie von vornherein offen auf die vielen Punkte hin,
So erneuert der Profi eine
Zylinderkopfdichtung
‡ Sicher, auch eine Zylinderkopfdichtung ist nur eine Dichtung. Doch wer beim Tausch
nicht auf Details achtet, programmiert den nächsten Schaden sofort mit ein. Dann wird
unterm Strich aus einer teuren Reparatur eine sehr teure.
Der Start: Das Wasser wird abgelas­
sen, der Ventildeckel entfernt
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Alle Wasserschläuche werden gelöst
– und bei Bedarf gleich neu bestellt
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Der Krümmer wird ausgebaut. Fest­
gerostete Schrauben können ärgern
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Weitere Anbauteile wie die Niveau­
pumpe werden ebenso gelöst
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Jetzt wird der erste Zylinder auf sei­
nen Oberen Totpunkt (OT) gestellt
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Das ist der Moment der Offenbarung: Wenn der Kopf sich hebt, zeigt sich
schnell das Ausmaß der Schäden. Hier fanden sich keine Katastrophen
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Ein Schlaggleithammer zieht die Stif­ Die Schwachstelle findet sich typi­
te der Kettengleitschienen heraus
scherweise am letzten Zylinder
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Das Kettenrad der Nockenwelle wird Erster Check am Block: Die Zylinder
nun herausgenommen
liegen noch alle im Toleranzbereich
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Jetzt geht es an die Kopfschrauben.
Wichtig: Der Motor muss kalt sein
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Diese Chance sollte man nutzen: Der
Zylinderkopf wird zerlegt
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Die Nockenwelle des Vierzylinders
zeigt nur geringen Verschleiß
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Die nach 200 000 Kilometern ver­
klebten Ventile werden ausgebaut
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An der Drahtbürste lassen sie sich
leicht reinigen
‡ Die Zylinderkopfdichtung ist kaputt? Meistens nicht nur sie. Denn rund um den gealterten Motor
findet sich oft eine Reihe an Defekten, schaut man nur genau genug hin. Zum Beispiel verraten
Kalkspuren 1 im Motorraum, dass Kühlwasser verloren geht. Ursache kann eine defekte
Wasserpumpe 2 sein, die sich im Zuge der Arbeiten leicht erneuern lässt (und womöglich den Kopfdichtungsschaden ausgelöst hat). Noch weniger im Blick hat der Fahrer üblicherweise die Unterseite des Krümmers, den hier ein langer Riss entzweit 3. Wem ein Neuteil zu teuer ist, kann es mit Schweißen versuchen – gut möglich, dass
es hält. Garantie gibt es dafür jedoch nicht. In jedem Fall sollte ein kritischer Blick dem Verschleiß der Nockenwelle 4 und den Ventilen gelten.
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Ideal, so eine Waschmaschine. Die
Teile glänzen anschließend wie neu
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Alle Späne müssen weichen. Wer
hier schludert, hat später Sorgen
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Die waren verschlissen: Neue Ventil­ Modellbaukasten: Stück für Stück
führungen sind hier empfehlenswert wächst der Kopf wieder zusammen
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Als Konsequenz müssen anschlie­
ßend die Ventilsitze gefräst werden
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Ob die Ventilsitze dicht sind, zeigt
der Test mit einem Vakuum
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Ein Planen der Dichtfläche ist wich­
tig: Die Toleranzen sind sehr gering
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Das Ventilspiel wird jetzt auf das
Werksmaß eingestellt
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Am Block werden die Sacklöcher
ausgeblasen – sonst droht Bruch
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Das gute Stück: Die neue Kopfdich­
tung liegt auf dem sauberen Block
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„Keine Frage:
Eine defekte
Kopfdichtung
dauerhaft zu re­
parieren,
erfordert viel Sorgfalt.“
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Jetzt kehrt der Kopf an seinen Platz
zurück – wie eine kleine Hochzeit
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Die Zylinderkopfschrauben – neue,
versteht sich – erhalten etwas Öl
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Beim Anziehen zählt neben dem
Drehmoment auch der Drehwinkel
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Fotos: G. von Sternenfels (37)
Häufige Fehler im Umfeld
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Das obere Kettenrad wird montiert.
Wichtig, dass die Markierung stimmt
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Der Ventildeckel sitzt schnell. Doch
es bleibt noch einiges anzuschließen
André Rambow, Feinmech.-Meister
„Die mangelhafte Qualität
mancher Nach­
fertigungen
ist für unsere
Kunden ein
großes Problem.“
Thomas Scharf, Kfz-Meister
Fazit
‡ Probleme mit dem Motor?
Die freundliche Werkstatt wird’s schon
richten. Vielleicht auch nicht:
Denn beim Wechseln einer Zylinder­
kopf­dichtung lässt sich eine Menge
Zeit sparen. Schnell den Kopf lösen,
dann ohne ihn planzuschleifen eine
neue Dich­tung reinschieben, Kopf fest­­knallen. Fertig. Und keiner hat’s
gesehen. Eine Weile hält das meist.
Ich meine: Wer den Schaden hat,
sollte genau überlegen, wer das viele
Geld für eine Reparatur bekommt. Eine
bessere (und letztlich preiswertere)
Lösung als der Schrauber um die Ecke
ist ein professioneller Motorenbauer,
der alle nötigen
Ma­schi­nen und reichlich
Er­fahrung besitzt.
Schade nur, dass
dieses Handwerk so
selten geworden ist.
Thomas Wirth
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