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HAWAII
Die längste Pass-Straße der
Welt liegt nicht in den Alpen
oder im Himalaja, sondern auf
Hawaii. 70 Kilometer und
4.200 Höhenmeter führen
schnurstracks auf den Mauna
Kea, den Sitz der Götter
BLICK
INS NICHTS
TE X T: S E B A S T I A N M O LL ;
F OTO S : D I M I T R I LE H N E R
P
almen, Sandstrand, sonnenbadende Urlauber: Mit diesem
Titelbild will der Hawaii-Reiseführer Sehnsucht nach der Südsee
wecken. Mein Südsee-Traum sieht anders aus: Er gipfelt auf 4.205 Meter
Höhe. Der Weg zu meinem Ziel, zum
Vulkan Mauna Kea, führt 70 Kilometer immer bergan durch den Tropenwald und die Lavawüste von Big
Island, der Hauptinsel Hawaiis. Ein
Superlativ für Radfahrer, die gerne
Höhenmeter sammeln: 4.200 sollen
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am Gipfel auf dem Computer stehen;
mehr als doppelt so viele wie nach
dem längsten Anstieg der Alpen zur
Cime de la Bonnet. Auf dem Umschlagbild des Hawaii-Reiseführers
bleibt der Bergriese ein Detail im
Hintergrund. Weit weg und hoch
über den Strandhütten leuchtet seine
schneebedeckte Krone, hängt wie
eine überdimensionierte fliegende
Untertasse über der Insel. Im Kapitel
über die Vulkane des Archipels gibt es
ein Bild aus entgegengesetzter Perspektive, aufgenommen vom Rand
der Untertasse. Im Vordergrund die
Kuppel einer Sternwarte, verloren
wie ein Iglu im ewigen Eis; dahinter,
in weiter Ferne, ein weiterer Vulkankegel, der Haleakala auf Maui, rund
200 Kilometer entfernt. Er ist nur als
Umriss erkennbar, mitten im endlosen pazifischen Blau.
Während ich im Reiseführer blättere, lassen mich die Bilder vom Mauna Kea nicht mehr los. In Gedanken
blicke ich hinunter vom Gipfel des
höchsten Punkts des Hawaii-Atolls,
das im Pazifik liegt, als hätten Götter
achtlos eine Handvoll Kiesel ins Meer
gestreut. Da oben, sagen die Bilder,
steht man im Nichts; vier Kilometer
über dem Meer am Endpunkt einer
GETTYIMAGES
In der trocken-klaren Luft des Mauna Kea spähen
Astronomen mit den weltbesten Teleskopen ins All
Straße, die sich vom Küstenstädtchen
Hilo aus durch mindestens vier Klimazonen hinauf an den Kraterrand
des Mauna Kea windet.
Kelly Wagner besitzt ein Fahrradgeschäft in Kailua-Kona, einem Ferienort auf Big Island, wo der Ironman
jeden Herbst stattfindet. Als ich Kelly
eine E-Mail aus Deutschland schicke,
mit dem Hinweis, dass ich mit dem
Rad auf den Mauna Kea fahren möchte, ist er sofort Feuer und Flamme.
„Das machen höchstens ein, zwei
Leute im Jahr“, schreibt Kelly zurück.
Das Spektakel wolle er gerne miterleben. Wenn ich ihm ein Abendessen
und eine Übernachtung in Hilo spendierte, würde er mitkommen und
mich vom Auto aus versorgen. Über
die großzügige Hilfe bin ich zunächst
froh. Bis ich, Wochen später, in seinem
85er Ford Explorer sitze, dessen Türen von innen schon lange nicht mehr
zu öffnen sind. Auch das Bike, das Kelly für mich vorbereitet hat, ist nicht
sonderlich vertrauenerweckend. Zu
Hause in München würde ich damit
wahrscheinlich nicht einmal durch
die Isar-Auen fahren.
Als am nächsten Morgen die Sonne
aufgeht, liegt die Bucht von Hilo bereits einige hundert Meter unter mir.
Flasche leer: TOUR-Autor Sebastian Moll war
überrascht von der Brutalität des Anstiegs
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Zwei Stunden später bleibt auch der
tropische Regenwald zurück und
mit ihm die feuchte Hitze der tieferen Zonen. Vor mir öffnet sich ein
wunderbares Hochtal zwischen
dem Mauna Kea und dem Mauna
Loa, dem zweiten Vulkan der Insel,
ebenfalls mehr als 4.000 Meter hoch.
Der Mauna Loa ist jünger als sein
großer Bruder und hätte, als er 1942
zum letzten Mal ausbrach, um ein
Haar ganz Hilo ausgelöscht. Von
ihrem Sockel am Meeresboden gemessen, gelten die beiden Vulkane
mit mehr als 9.000 Metern Höhe als
die größten Berge der Erde.
Zwischen den beiden Riesen,
rechts und links der Saddle Road,
wechseln sich Felder der bröckeligen a’a-Lava und der glatten Pahoehoe-Lava ab. Die erstarrte Pa- Frühstart: Nur wer mit dem ersten Licht aufbricht, ist vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück
hoehoe liegt in riesigen Tropfen
auf dem Talboden, mit glänzender über 3.500 Meter bereitet mir zwar ein den Rad fahren kann. Dabei hat die
Oberfläche, als wäre sie nass. Aus dem wenig Unruhe im Magen, aber da es Zone mit der sauerstoffarmen Höhenin flüssiger Form todbringenden Ge- bisher so gut ging, glaube ich an einen luft noch nicht mal richtig begonnen.
stein sprießen wie durch Wunder leichten Sieg. Der Gipfel scheint zum
Ich fahre weiter, konzentriere mich
Bäume und treiben zarte Blüten.
Greifen nah und macht mich glauben, zunächst darauf, die folgenden etwa
Auf 2.300 Meter zweigt die Summit ich sei schon fast oben. Nach einer gu- zehn Kilometer losen Schotters zu
Road ab, steuert schnurgerade und ten Stunde vergeht der Übermut. Die überwinden. Danach wird schon alles
direkt den Gipfel an. Um mich herum Straße wird immer steiler, steigt mit bis leichter werden, hoffe ich. Doch als
wirkt die Landschaft wie eine Kulisse zu 17 Prozent. In der dünnen Luft ver- nach einer Ewigkeit endlich wieder
aus dem Film „Herr der Ringe“. Moos flacht mein Atem. Das Besucherzent- Asphalt unter den Reifen greift, wird
überzieht alte, schon verwitterte Kra- rum auf 3.100 Metern Höhe taucht gar nichts leichter. Höhenluft und Kälter, Geröll in Rot- und Ockertönen auf, Zeit für eine Pause. Drei Stunden, te gaukeln den Sinnen eine Verlangsabedeckt die Abhänge des Mauna Kea. schätzt Kelly, seien es noch bis zum mung der Bewegungen vor, es ist als
Bis hier war der Anstieg angenehm, fast Gipfel, mich ergreift eine tiefe Ver- schwämme man in Honig und atme
eine Spazierfahrt. Ich werde über- zweiflung. Die Beine zittern, und ich dabei durch Watte. Immerhin, der Gipmütig. Die Furcht vor der Höhenluft glaube nicht, dass ich noch drei Stun- fel ist zu sehen, doch darunter liegen
drei, vier lang gezogene Serpentinen,
von denen mich jede einzelne mit
Panik erfüllt. Zum Glück bläst der
Wind von hinten, als ich die erste umkurve. Aber er weht stark, und das löst
wieder eine andere Form der Verzweiflung aus, ein Gefühl der Nacktheit und
des Ausgeliefertseins. Ich sehe mich
Däumling zwischen zwei Giganten: Mauna Loa im Rücken, Mauna Kea vor
Augen (oben). Nichts erinnert mehr an die Vegetation vom Start (rechts)
HAWAII
INFOS
AUSRÜSTUNG
ORIENTIERUNG
Hawaii, der 50. Staat der USA, liegt im
Pazifik und besteht aus mehr als 20
Vulkaninseln. Auf der größten, Big
Island, ragen zwei über 4.000 Meter
hohe Vulkane, Mauna Loa (4.169 Meter) und Mauna Kea (4.205 Meter), in
den Himmel. Auf beide Gipfel führen
Straßen. Vom Sockel am Meeresboden gemessen, gelten beide Vulkane
mit mehr als 9.000 Meter Höhe als die
größten Berge der Erde.
BESTE REISEZEIT
a’a-Lava selbst mit dem Mountainbike kein Durchkommen
von der Straße gefegt, hinaus ins weite,
endlose Nichts rundum, wie ein Astronaut, der abgetrennt vom Raumschiff
durch den Weltraum taumelt.
Als ich auf die letzte Serpentine
einbiege, schläft der Wind plötzlich
ein. Es ist still, totenstill. Mühelos rolle
ich zum Observatorium am Ende der
Straße. Am Ziel vieler Träume steht
Ernüchterung, so ist es auch hier: Der
Blick in den Krater, ins leblose Nichts,
erfüllt mich mit ähnlicher tiefer Leere.
Zu unwirklich ist es hier oben, ich fühle
mich einsam und verloren und will nur
runter von diesem Berg. Während der
alte Ford mit aufgedrehter Heizung zu
Tal heult, drückt der Passatwind die
dichten weißen Wolken hinaus aufs
Meer. Die Abendsonne taucht die
Geröllhänge und den Hochsattel in
warmes Licht. Auf einmal gibt es
Schatten und Farben, die Landschaft
wird lebendig. Oder war sie das beim
Aufstieg schon?
Ritt auf den schlafenden Riesen: Der letzte Ausbruch des
Mauna Kea liegt rund 4.000 Jahre zurück
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Ganzjährig. Nahe am Äquator ist das
Klima konstant. Ein stetiger Passatwind aus Nordost hält die Luftfeuchtigkeit in Grenzen, die Temperaturen
liegen meist bei angenehmen
25 Grad.
STRECKE
70 Kilometer, 4.200 Höhenmeter,
maximal 17 Prozent Steigung. Es empfiehlt sich, zu Sonnenaufgang morgens um fünf Uhr zu starten, weil der
Aufstieg mit Pausen rund neun Stunden dauert und die Sonne um sechs
wieder untergeht. Mit schlechtem
Asphalt steigt die Old Saddle Road 45
Kilometer mit 4 bis 7 Prozent von Hilo
zur Hochebene auf etwa 2.300 Meter.
Die nächsten zehn Kilometer bis zum
Besucherzentrum auf 3.100 Meter
Höhe klettert die Straße durchschnittlich mit 11 Prozent; häufig durchsetzt
mit 15-Prozent-Rampen und zuletzt
einem 17-Prozent-Anstieg. Es folgen
knapp zehn Kilometer Schotter und
loser Sand mit einer Steigung bis zu
15 Prozent – zu diesem Zeitpunkt hat
man schon rund fünf Stunden Anstieg
in den Beinen. Zum Gipfel führt wieder Asphalt, die Steigung ist nicht
mehr dramatisch. Allerdings fällt in
der dünnen Höhenluft das Atmen
merklich schwer. Beim schnellen Aufstieg in Höhen über 3.000 Meter kann
es zur Höhenkrankheit kommen. Wer
Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen spürt, sollte diese Symptome ernst nehmen, auf den Gipfel
verzichten und sofort in tiefere Regionen abfahren.
FAHRRADSERVICE
Kailua-Kona: Kona Coast Cycling
Tours, P.O. Box 2627, HI, 967452627, Telefon 0 01/8 08/3 27 11 33
Fax 0 01/8 08/3 27 11 44,
www.cyclekona.com
Kelly Wagner vermietet Räder, allerdings keine Top-Modelle. Er vermittelt aber gerne etwas bei den örtlichen Radshops.
HAWAIIBROSCHÜREN
The Mangum Group, Sonnenstraße 9,
80331 München, Telefon
0 89/23 66 21 77, Fax 0 89/2366 21 99,
E-Mail [email protected]
INTERNET-INFOS
www.gohawaii.com
www.cyclekona.com/
MaunaKeaClimb.htm
CHRISTIAN ROLLE; HOLZKIRCHEN
Lava ist nicht gleich Lava: Ohne Straße wäre in bröckelnder
Crossrad oder Mountainbike mit
Semislicks sind der beste Kompromiss: Sie greifen gut auf Schotter
und rollen leicht auf den AsphaltStrecken. Nehmen Sie Kleidung für
mehrere Klimazonen mit: In der Bucht
von Hilo startet man bei tropischen
Temperaturen, später wird das Klima
mild-gemäßigt wie in Mitteleuropa,
am Gipfel wehen häufig heftige Winde
bei Temperaturen um null Grad. Am
Besucherzentrum, in 3.100 Meter
Höhe, gibt’s was zu essen. Die etwa
fünf Stunden bis dahin muss man sich
verpflegen – und, was schwieriger ist,
Getränke mitnehmen. Zwischen Hilo
und dem Besucherzentrum gibt es
kein Wasser.

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