Opa und der Hunde-Schlamassel

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Opa und der Hunde-Schlamassel
Ein Beitrag von
Jana Mikota
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Erica S. Perl
Opa und der Hunde-Schlamassel
aus dem amerik. Englisch von Gesine Strempel
Ariella 2012 • 200 Seiten • 14,95 • ab 10 J. • 978-3-9813825-5-6
Opa und der Hunde-Schlamassel ist ein wunderbarer Roman, mit Figuren,
die man einfach gerne treffen würde, und einer Sprache, die überzeugt –
und genau hier könnte die Rezension schon enden. Den Roman sollte
einfach jede/r Leser/in selbst zur Hand nehmen, die liebevolle Gestaltung
genießen und dann in eine Welt abtauchen und erst Stunden später etwas benommen, aber glücklich wieder auftauchen.
„Der ganze Schlamassel begann mit einer Notiz“: Mit diesem Satz setzt die Geschichte um das fast
11-jährige Mädchen Zelda, genannt Zelly, ein, die nach dem Tod ihrer Großmutter mit ihrer Familie
aus Brooklyn nach Vermont, genauer nach Burlington, gezogen ist, um dem Großvater, der sich
selbst Ace nennt, zur Seite zu stehen. Die Luft ist gesund, die Natur nah und doch spürt Zelly, dass
sie anders ist. Nicht nur, dass sie und ihre Familie Juden sind, nein es sind auch ihre dunkelbraunen
lockigen Haare, die sie immer wieder darauf hinweisen, dass sie neu in der Stadt ist. Zwar hat sie
mit Allie eine beste Freundin gefunden, doch diese verbringt ihre Sommerferien in einem christlichen Ferienlager und Zelly konnte nicht mitfahren. Hinzu kommt, dass Allie gar nicht schreibt und
Zelly schon befürchtet, dass sie ihre beste Freundin verloren hat. Doch es kommt noch schlimmer:
Zellys Wunsch nach einem Hund blieb bislang unerhört und alles Bitten und Betteln hat nichts genützt. Da kommt Ace auf eine sonderbare Idee: Aus einem Orangensaftbehälter bastelt er einen
Ersatzhund, um den sich Zelly kümmern soll. Sie muss mit ihm Gassi gehen, ihn füttern und somit
behandeln wie einen lebendigen Hund. Zelly streut sich zunächst, denn sie hat Angst verspottet zu
werden. Aber nach und nach freundet sie sich mit der Idee des Ersatzhundes O.J. an, trifft auf ihren
Spaziergängen Jeremy und sie entwickeln gemeinsam Ideen, wie man Zellys Eltern überzeugen
könnte. Ob sie dann tatsächlich den ersehnten Hund bekommt, muss jede/r selbst lesen.
Es ist der dritte Kinderroman, der im deutsch-jüdischen Kinderbuchverlag Ariella erscheint und zugleich ist es der erste Roman der US-amerikanischen Autorin Erica S. Perl, der auf Deutsch publiziert
wird.
„’Gojim’, was ist das?“, fragte ich.
„Gojim ist ein Wort für Nichtjuden“, erklärte Dad.
„Was ist falsch an Nichtjuden?“
„Nichts“, sagten meine Eltern wie aus einem Mund.
„Habt ihr etwas gegen Nichtjuden?“, fragte ich misstrauisch.
„Natürlich nicht.“ Meine Mutter bedachte Ace mit einem strafenden Blick.
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Ein Beitrag von
Jana Mikota
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Ein solcher Dialog zwischen Zelly, ihren Eltern und Ace ist charakteristisch für den Roman und zugleich außergewöhnlich für einen Kinderroman. Im Mittelpunkt steht mit Zelly ein jüdisches Mädchen, das sich bislang wenig Gedanken um ihre jüdische Identität gemacht hat. Doch in Burlington
wird sie damit konfrontiert: Ihr Name Zelda Fried, „eher deutsch ausgesprochen“ und nicht wie das
englische Wort für „gebraten“, sorgt für Spott und insbesondere ein Junge macht sich immer wieder lustig. Fast schon fürchtet sich Zelly, ihn dann zu treffen, wenn sie mit O.J. Gassi geht. Sie wählt
andere Wege und lernt so zufällig Jeremy kennen, der ebenfalls neu in der Stadt ist. Sie teilt ihm
ihre Sorgen mit, ohne jedoch in ihm einen Freund zu sehen. Ähnlich wie sie mit O.J. nicht gesehen
werden möchte, ergeht es ihr auch mit Jeremy. Erst spät erkennt sie, wie wichtig er ihr ist und was
Charakterstärke bedeutet.
Zelly ist ein sympathisches Mädchen mit Sorgen, Wünschen und auch Ängsten, die sicherlich kindlichen Lesern und Leserinnen vertraut sein dürften. Sie fühlt sich anders, möchte sich anpassen und
nicht auffallen und doch erkennt sie, dass man sich nicht immer anpassen kann oder darf. Sie muss
den Umzug verarbeiten, aber es geht auch um Trauer, denn Zelda vermisst ihre Großmutter sehr.
Sie entwickelt sich im Laufe der Geschichte weiter und schafft es am Ende, nicht nur sich selber,
sondern auch ihren Ersatzhund O.J. zu akzeptieren.
Immer wieder greift ihr Großvater jiddische Wörter auf, erzählt ihr jiddische Geschichten und macht
sie so vertraut mit ihrer eigenen Kultur. Besonders gelungen ist hierbei das Layout: Ace ist laut,
trägt ein Hörgerät, versteht nur das, was er tatsächlich verstehen will, und daher erstaunt es nicht,
dass seine wörtliche Rede in größeren Buchstaben gedruckt ist. Zelly weiß nicht immer, was sie von
Ace und seinen Ideen halten soll. Sie streitet mit ihm, glaubt nicht an seine Liebe und doch muss sie
erkennen, dass ihr Opa ein kluger Mann ist, der eben auch um seine Frau, nämlich Zellys Großmutter, trauert und versucht, mit der neuen Lebenssituation zurecht zu kommen.
Auch wenn Opa und der Hunde-Schlamassel ein Roman für jüdische und nichtjüdische Kinder ist,
sind bestimmte Stellen möglicherweise nichtjüdischen Kindern unklar trotz des Glossars im Anhang, das jiddische Wörter wie „Chuzpe“ oder „Chelm“ erneut erläutert. Aber gerade hier liegt
auch der Reiz der Lektüre, denn nichtjüdische Kinder bekommen eine Geschichte, in denen Vertrautes mit Neuem gekonnt und sensibel vermischt wird, und jüdische Kinder können einen Roman
lesen, in dem jüdische Figuren selbstverständlich agieren. Es ist für ein deutsches Lesepublikum ein
außergewöhnlicher Roman, der jedoch einen anderen Umgang mit jüdischer Kultur als in der
deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur aufzeigt.
Erica S. Perl, von der hoffentlich weitere Werke ins Deutsche übersetzt werden, versteht es wunderbar, traurige und humorvolle Episoden miteinander zu verweben, ohne bestimmte Themen zu
trivialisieren. Man wünscht sich mehr solcher klugen Romane für Kinder und man wünschst sich
auch mehr solcher Verlage wie Ariella, der von Myriam Halberstam als „Ein-Frau-Verlag“ mit großem Engagement betrieben wird!
Opa und der Hunde-Schlamassel ist ein Roman, den man unbedingt lesen, verschenken und genießen muss!!
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