Auswanderer in Thailand
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Auswanderer in Thailand
___ _ Jeder fliegt mal vorne Irrtümer über das Verhalten von Zugvögeln. 쮿 2 ABSOLUT Düsterer Zauber Die Gothic-Szene grenzt sich ab. 쮿5 SPRITZTOUREN Zaungast auf der Naturbühne Beim Rundweg zum Zäunlkopf geht’s ganz schön auf und ab. 쮿6 H U N D & K AT Z LEBENSART 3 5 Merkur Journal DAS WOCHENEND-MAGAZIN DES MÜNCHNER MERKUR Von CHRISTINE WALDHAUSER-KÜNLEN W ie traumhaft: Für immer da leben, wo andere ein paar kostbare Ferientage verbringen! Und während die Kollegen, längst wieder blass am Schreibtisch, hinter Schalter oder Werkbank schuften, im warmen Meer baden oder mit einem Drink in der Strandbar abhängen! Eine verlockende Vorstellung, zumal nun auch im Ausland das Münchner Oktoberfest gefeiert wird… Mehr davon später. Doch wie sieht die Realität aus? Wie fühlen sich Menschen, die tagtäglich im Paradies aufwachen? Die beiden Münchner Sonja Diwo und Günther Kohn (47) sowie André Köppen aus Berlin können genau das tun, wovon viele träumen. Sie verließen Deutschland, um sich ein neues Leben auf der thailändischen Insel Ko Samui, etwa 13 Flugstunden von Deutschland entfernt, aufzubauen. Es wurden Versicherungen gekündigt, die Rentenzahlungen eingestellt, Wohnungen aufgegeben, Firmen verkauft: „Wir sind also echte Aussteiger“, betonen sie stolz. Sonja, Günther und André, Landsleute nennen sich gerne beim Vornamen, haben sich in Deutschland abgemeldet. Oder besser ausgedrückt, Deutschland abgemeldet. Das Land mit seinen vielen Verboten, komplizierten Steuerregeln, der Jagd nach Geld und Statussymbolen und dem schlechten Wetter. Die Gründe, die alte Heimat aufzugeben, unterscheiden sich ebenso wie die alten Leben, die „unsere“ drei hinter sich gelassen haben, um noch einmal bei null anzufangen. Käsekuchen und Inselinformationen Ein neues Leben auf Ko Samui in Thailand: die Aussteiger André, Sonja und Günther (v. li.). Sie feiern auch dort das Oktoberfest. Dafür hisst Günther die bayerische Fahne. Fotos: M. Künlen 27./28. September 2008 Bei Sonja (42) war die Scheidung der Auslöser, dass sie vor gut acht Jahren ihren Hausmeister- und Partyservice aufgab und die Koffer packte. Günther, er emigrierte vor zehn Jahren, wollte nicht mehr rund um die Uhr in seinen drei Lebensmittelgeschäften schuften. Der seit 14 Jahren in Südost-Asien ansässige André (41) hingegen fühlte sich von den „Feinheiten“ der deutschen Bürokratie zu sehr gegängelt. Haben alle mit dem Finger auf die Landkarte gedeutet und ganz zufällig ein Plätzchen auf der mit 247 Quadratkilometer drittgrößten Insel Thailands gefunden? Nein, man kennt das Eiland – eine Flugstunde von Bangkok entfernt – von Urlauben. „Ko Samui war immer schon meine Heimat, seit ich vor 20 Jahren zum ersten Mal hier war“, erzählt Sonja und schneidet ein Stück cremigen Käsekuchens („der Einzige auf der Insel“) ab. Die gelernte Konditorin und Köchin arbeitete nach der Ankunft auf der einstigen Hippie-Insel unter anderem als Übersetzerin in einem Ausländerkrankenhaus, Das Leben ist (k)ein Traum Münchner Aussteiger auf Ko Samui – Oktoberfest fürs Heimatgefühl bevor sie sich mit „Sonja’s Bakery“ an der Hauptstraße in Mae Nam sowie einer Kochschule selbständig machte. Nun verkauft sie mit Roggenbrot und Apfelstrudel das, was Landsleute daheim gerne essen und auch in der Fremde nicht missen mögen. Wer sich in ihrem kleinen Café niederlässt, bekommt obendrein kostenlos noch jede Menge Inselinfos: „Ich fungiere gerne als Kontaktbörse“, schmunzelt sie kokett. W ie auch André und Günther spricht Sonja Thai, „das ist eine wichtige Voraussetzung, um im Lande richtig Fuß zu fassen“. Obwohl Deutsch immer noch die Alltagssprache dieser drei Emigranten ist. Denn kaum einer der rund 45 000 „Chao Samui“ findet den Weg zu ihr, in Andre´s Happy Family-Restaurant am CoconutBeach und in das „99 Baht“, die Gaststätte von Günther in Lamai. Wie auch! Die Restaurants servieren mit Schweins- braten und Jägerschnitzel. Das würden Thais nicht unbedingt freiwillig wählen. Umgekehrt taugt die scharfe Thai-Küche Günther und André nicht. Geschmackssache ist sicher auch das Oktoberfest, das Günther als Münchner „Experte“ gemeinsam mit den Gastwirten aus der Straße – fast nur deutschsprachige Ausländer mit ähnlichem Speisenangebot – organisiert. Günther hängt die weiß-blaue Fahne ans Dach, eine Web-Cam liefert Live-Bilder von der Theresienwiese und eine „Blasmusi“ spielt auf. Fehlanzeige aber beim Trachtengewand. „Hier auf Ko Samui trägt keiner Lederhos’n“, versichert er. Auf den ersten Blick scheinen Sonja, Günther und André durchaus glücklich darüber, diesen Schritt gewagt zu haben. „Die Thais sind einfach sehr entspannt und unkompliziert – sie denken nicht ans Morgen“, bestätigen die drei unisono. Aber ihre Euphorie scheint gedämpft: „Ich sehe viele Glücksritter kommen und gehen“, sagt Günther, „sie machen hier Urlaub, freuen sich über die niedrigen Preise, investieren das Ersparte, aber verdienen nichts.“ Seiner Schätzung nach reisen 95 Prozent in die alte Heimat zurück – und zwar pleite! Denn gerade in der Gastronomie lässt sich nicht mehr reich werden. Dieser Geschäftszweig bleibt Auswanderern aber oft als einzige Einnahmequelle. Auch wenn das Leben billig ist – Sonja braucht umgerechnet fünf Euro pro Tag –, verdient man nur während der 6-monatigen Hauptsaison, die restliche Zeit muss das Ersparte reichen. Sonja – übrigens eine der wenigen Aussteigerinnen auf der Insel – hat es „geschafft“ . Die Ex- Münchnerin baut sich nun sogar ein eigenes Haus. Trotz Wermutstropfen: „Thailand ist ein Land für Männer“, bedauert sie und deutet auf die unzähligen Touristen, die mit einer zarten Thai an der Hand an ihrem Café vorbeistolzieren. „Trotz vieler einheimischer Freunde fühle ich mich einsam – ich finde einfach keinen netten Mann!“ Bei einem 14Stunden-Tag bleibt wenig Zeit zur Suche. Wehmütige Erinnerung ans Bayernland Arbeiten muss man nämlich auch im „Paradies“. Günther plagt sich im „99 Baht“ kaum weniger als einst im „guad´n oidn Minga“. André hat gleich mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen und seine vierköpfige Familie zu ernähren. „Als ich mich das erste Mal hier niederließ, fiel ich beim Kauf eines Ladens finanziell erst einmal richtig auf die Nase“, gesteht er und rät eindringlich, nie etwas zu unterschreiben, was man nicht ver- steht, sich unbedingt ins thailändische Recht einzuarbeiten und stets Verträge zu machen. „Und ohne einen Batzen Geld braucht man gar nicht herzukommen“, ergänzt er. André wagte als Einziger einen Neuanfang in Deutschland, „um meiner thailändischen Frau zu zeigen, dass in der Bundesrepublik das Geld nicht auf den Bäumen wächst“. Zusammen mit der ältesten Tochter zog die Familie vor zehn Jahren nach Nordfriesland. Die Entscheidung, es wieder auf Ko Samui zu versuchen, fiel nach einem kurzen Jahr leicht: „Der Rassismus meiner Frau gegenüber war schrecklich“. D as Insel-Leben birgt hingegen andere Probleme – viele Landsleute verfallen dem Alkohol. „Wer nicht gefestigt ist, rutscht ab“, sagt Sonja. Zumal Animositäten unter den „Farang“ – weißen Ausländern – durchaus vorhanden sind. Während sie noch regelmäßig im Meer schwimmt, zieht es ihre Kollegen längst nicht mehr an den Strand. „Auch das bayerische Oberland ist schön“, erinnert sich Günther und denkt etwas wehmütig an die einst so geliebten Motorradfahrten Richtung Sudelfeld. „Bis auf einen richtigen Weißwurschtsenf geht mir aber nix ab“, ergänzt er schnell. Müsste sich André nicht, wie auch Sonja und Günther, alle drei Monate um die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung bemühen, wäre er „wunschlos glücklich“. „Deutschland wird mich nie mehr sehen“, lacht er. Sonja nickt zustimmend: „Manche träumen ihr Leben, ich aber lebe jetzt meinen Traum!“ Nur Günther rät beim Abschied: „Lasst´s das Aussteigen sein – dahoam ist es gar nicht so schlecht“! Palmen, Sonne, Strand. Wer würde nicht gerne für immer an einem solchen Ort leben und arbeiten. Ein schöner Traum, aus dem mancher Aussteiger schnell erwacht, wenn er mit der Realität im „Paradies“ konfrontiert wird. Foto: fotolia