BlickpunktFilm 18 14

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BlickpunktFilm 18 14
KINO MAGAZIN
Wortmeldung
Die Deutsche Filmakademie redet mit
Foto: Florian Liedel/Deutsche Filmakademie e.V.
Locker bleiben
von Alfred Holighaus
An dieser Stelle bezieht die deutsche Filmakademie exklusiv in regelmäßigen
Wortmeldungen Stellung zu neuen Aktivitäten, neuen Entwicklungen und
neuen Diskussionen rund um den deutschen Film. Alfred Holighaus, einer der
beiden Geschäftsführer der Filmakademie, koordiniert die Inhalte.
Kein deutscher Film in Cannes. Diese Nachricht schlägt längst nicht mehr ein wie eine
Bombe. Das ist „business as usual“. Oder –
für unsere französischen Freunde –
„honi soit qui mal y pense“. Ein Schuft, wer
Schlechtes dabei denkt.
Kein deutscher Film in Cannes. Normal.
Oder doch ignorant? Oder sehen wir das
falsch, weil wir gerade einen Marktanteil
von über 40 Prozent sehen (eine eigentlich
französische Perspektive)? Und deshalb
denken: Wir sind doch wer. Oder weil wir im
Line-up für den Deutschen Filmpreis eine
so schon sehr, sehr lange oder vielleicht
auch noch nie da gewesene Vielfalt sehen?
Eine Vielfalt, die noch nicht mal alles, was
im deutschen Film besonders und auffällig
war, berücksichtigen konnte – und dabei
schon viel mehr berücksichtigt hat, als das
Publikum wahrnimmt. Wobei unser Publikum mittlerweile weniger bei der Wahrnehmung der deutschen Filme selbst überfordert zu sein scheint, als bei der Wahrnehmung ihrer puren Existenz. Oder weil wir
gerade wieder ein reelles, unangestrengtes
Verhältnis zum Filmschaffen in unserem
Land aufbauen? Wir wissen es nicht. Das –
wie es in deutschen Tageszeitungen gern
genannt wird – „weltwichtigste Filmfestival“ findet jedenfalls ziemlich konsequent
nichts Wichtiges in Deutschland. Und das
fordert uns heraus.
Inhaltlich, weil wir uns plötzlich darum sorgen, nicht universell genug zu erzählen
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und thematisch zu sehr im eigenen Saft zu
schmoren. Strukturell, weil wir befürchten,
organisatorisch nicht gut genug aufgestellt
zu sein, um die Bedeutung und die Interessen des deutschen Films in der kinematografischen Globalität deutlich und nachvollziehbar zu machen. Wenn Zweifel geweckt werden, soll man ihnen nachgehen,
ohne das Denken zu vernachlässigen. Man
sollte aber vor allem locker bleiben. Denn,
wer sagt denn, dass die Filme der von uns
allen geliebten Stammgäste an der Côte
Die Absage von Cannes an den
deutschen Film fordert uns heraus
d’Azur halten, was unsere Filme möglicherund falscherweise nicht versprechen? Logo: Ken Loach, Mike Leigh, David Cronenberg, Oliver Assayas, Jean-Luc Godard und
natürlich die Brüder Dardenne – deren
neue Filme werden erwartet und wollen
gesehen werden. Aber wir wissen über diese Filme genauso viel, oder wenig, wie über
deutsche Kandidaten, die nicht berücksichtigt wurden oder zurückgezogen haben.
Jetzt findet Cannes also einmal mehr ohne
auffällige deutsche Beteiligung im offiziellen Programm statt. Das hat der deutsche
Film mit dem – sagen wir mal – pakistanischen gemeinsam. Der Unterschied ist eine
strukturelle Möglichkeit, die bei vielen Produzenten und Filmemachern längst zur
konkreten Vision geworden ist, nämlich,
sich international an Filmen unterschiedlichster Provenienz zu beteiligen. Darin
sind deutsche Produzenten seit Jahren
und selbstverständlich so gut, dass sie
auch zu den Stammgästen in allen Sektionen von Cannes gehören. Und auch das ist
deutscher Film.
Auf dem Festival mit dem (gerade noch)
schlechteren Wetter, dem (angeblich)
schlechteren Essen und den (eindeutig!)
schlechter gelaunten Kritikern – also in Berlin – gab es in diesem Jahr ein ganz anderes
Bild des deutschen Films. Im Wettbewerb
ließ er sich selbstbewusst inhaltlich und formal unterschiedlichst gleich vier Mal sehen.
Und in den anderen Sektionen kam er pointiert, genau, irritierend, aufregend, unterhaltsam und auch mal anstrengend daher.
Unterm Strich war der deutsche Film lässig
und selbstbewusst, schlau und gut gemacht, ambitioniert und entspannt. Die
Berlinale konnte aus dem Vollen schöpfen.
Stellen wir uns doch einfach mal vor, dass
Cannes da nicht mithalten konnte. Da mag
sich Fatih Akin wenige Tage vor der Bekanntgabe des Programms aus dem Angebot für Cannes zurückgezogen haben.
Cannes selbst hat sich bei der Verkündung
seines offiziellen Programms vom deutschen Film zurückgezogen – und damit
den Wettbewerb mit Berlin entweder nicht
ernst oder erst gar nicht angenommen.
Honi soit qui mal y pense.
Blickpunkt:Film 18/14