Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes
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Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes
Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in Theorie und Praxis Dr. Arnd Grimmer DBV-Winterthur Lebensversicherung AG Wiesbaden Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) Zur besonderen Regelung der Vertragsbeziehungen im Versicherungsgewerbe geschaffen (1908): • Standardisierung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) • Grundsatz der Vertragsfreiheit -> dispositive Regelungen, zwingende und halbzwingende Regelungen • Im Kontext von BGB, HGB, VAG, ... Seither: • Weiterentwicklung im Zuge der Rechtsprechung • Geänderte Rahmenbedingungen seit Deregulierung (1994) • Erweitertes Verbraucherschutzbedürfnis Neufassung erforderlich Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 2/20 Struktur des VVG • Zustandekommen des Versicherungsvertrags: o Vertragsangebot Verbraucherinformation Annahme Billigungsklausel Police o Widerrufsrecht – Rücktrittsrecht – Widerspruchsrecht • Versicherungsvermittlung: o Versicherungsvertreter – Versicherungsmakler • Beitragszahlung: o Beitragszahlungspflicht o Fälligkeit o Erst- und Folgebeitrag Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 3/20 • Risikoausschlüsse und Obliegenheiten: o Begriffe o Obliegenheiten: Vorvertragliche Anzeigepflicht – Gefahrerhöhung – Rettungspflicht o Risikoausschlüsse: objektiv und subjektiv – Herbeiführung des Versicherungsfalls • Leistungspflicht: o Versichertes Risiko – Versicherungsfall – Beweislast o Versichertes Interesse – Leistung – Schaden – Versicherungssumme o Unter- und Überversicherung o Verjährung • Spartenbezogene Regelungen: o Schadenversicherung (allgemein, HaftpflichtV, TransportV, ...) o Lebensversicherung o Krankenversicherung o Unfallversicherung Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 4/20 Die Novelle greift zahlreiche Änderungen auf, schafft aber kein grundsätzlich neues VVG. Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 5/20 Änderungen für alle Sparten • Informations- und Beratungspflichten vor Vertragsabschluss (s. u.) • Wegfall des Policenmodells (s. u.) • Verkürzte Festlaufzeiten • Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips (s. u.) • Vorvertragliche Obliegenheiten (Anzeigepflichten, Nachmeldefrist, ...) (s. u.) • Allgemeines Widerrufsrecht • Wegfall der Unteilbarkeit der Prämie Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 6/20 Einzelbeispiele Informations- und Beratungspflichten vor Vertragsabschluss und Wegfall des Policenmodells § 6 (1) VVG: Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des VN und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom VN zu zahlenden Prämie, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren. (...) Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 7/20 • Regelungen analog zu EU-Vermittlerrichtlinie • Versicherungsvertreter, Versicherungsmakler, Versicherungsberater • Keine Beratungspflicht im Fernabsatz (Direktversicherer etc.) • Keine Beratungspflicht bei Großrisiken • Verzichtmöglichkeit des VN nach § 6 (3) VVG europarechtlich umstritten • Beratungspflicht bei erkennbarem Anlass auch nach Vertragsabschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 8/20 § 7 (1) VVG: Der Versicherer hat dem VN rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die in einer Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmte Information in Textform mitzuteilen. (...) • Bisher: Policenmodell, künftig: Antrags- oder Invitatiomodell • Schon bisher für Verträge im Fernabsatzverkehr • Verzichtsmöglichkeit des VN • Bisherige Grundlage der Informationspflichten: § 10a VAG • Sonderregelungen für Lebens- und Krankenversicherung • Grundproblem: VN liest umfangreiche Begleittexte weder vor noch nach Vertragsabschluss Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 9/20 Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips § 28 (1) VVG: Bestimmt der Vertrag, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom VN zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, ist er nur leistungsfrei, wenn der VN die Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. (...) Ebenso bei: • Gefahrerhöhung (§ 26 (1) VVG) • Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 (2) VVG) Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 10/20 • Prinzip bleibt aber bestehen bei Verletzung vorvertraglicher Obliegenheiten • Einfache Fahrlässigkeit bleibt wie bisher folgenlos • Unklar, ob Quote Null zulässig • Kausalitätserfordernis • Beweislast: o für Vorsatz beim Versicherer o für Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit beim VN Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 11/20 Vorvertragliche Anzeigepflichten • Anzeigepflicht für gefahrerhebliche Umstände nur, wenn danach in Textform gefragt wurde (§ 19 (1) VVG) • Nachmeldefrist zwischen Antrag und Policierung entfällt, sofern der Versicherer nicht ausdrücklich nachfragt (§ 19 (1) VVG) • Bei Verletzung der Anzeigepflicht o Rücktrittsrecht des Versicherers (nur bei Vorsatz / grober Fahrlässigkeit des VN und wenn der Vertrag sonst nicht geschlossen worden wäre) o Kündigungsrecht des Versicherers mit Frist von einem Monat (wenn der Vertrag sonst nicht geschlossen worden wäre) o Möglichkeit des Versicherers zur Vertragsanpassung (nicht bei Vorsatz des VN) Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 12/20 Änderungen für einzelne Sparten • Haftpflichtversicherung: o Erweiterung des Direktanspruchs bei bestimmten Pflichtversicherungen • Lebensversicherung: o Modellrechnung o Überschussbeteiligung (s. u.) o Rückkaufswert und Verteilung der Abschlusskosten (s. u.) o Offenlegung der Abschluss- und Vertriebskosten • Berufsunfähigkeitsversicherung (s. u.) • Krankenversicherung: o Wirtschaftlichkeitsgebot o Bestimmungen des Gesundheitsreformgesetzes (Alterungsrückstellung, Basistarif, ...) vom Frühjahr 2007 Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 13/20 Einzelbeispiele Lebensversicherung: Überschussbeteiligung § 153 (1) VVG: Dem VN steht eine Beteiligung an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven (Überschussbeteiligung) zu, es sei denn, die Überschussbeteiligung ist durch ausdrückliche Vereinbarung ausgeschlossen; die Überschussbeteiligung kann nur insgesamt ausgeschlossen werden. § 153 (2) VVG: Der Versicherer hat die Beteiligung an dem Überschuss nach einem verursachungsorientierten Verfahren durchzuführen; andere vergleichbare angemessene Verteilungsgrundsätze Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 14/20 können vereinbart werden. • Überschüsse als Konsequenz des Vorsichtsprinzips • Bewertungsreserven durch Bilanzvorschriften für Vermögenswerte • Keine Unterscheidung nach Kapitalanlagen, also auch festverzinsliche Wertpapiere • Weiterhin 90 % der Überschüsse aus Kapitalerträgen gemäß ZR-QuotenV • Kein individueller einzelvertraglicher Anspruch, Zusammenfassung von Verträgen zu Bestandsgruppen weiterhin zulässig • Verursachungsorientiert vs. verursachungsgerecht Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 15/20 § 153 (3) VVG: Der Versicherer hat die Bewertungsreserven jährlich neu zu ermitteln und nach einem verursachungsorientierten Verfahren rechnerisch zuzuordnen. Bei der Beendigung des Vertrages wird der für diesen Zeitpunkt zu ermittelnde Betrag zur Hälfte zugeteilt und an den VN ausgezahlt; eine frühere Zuteilung kann vereinbart werden. (...) • Pufferfunktion der Bewertungsreserven • Beendigung des Vertrages: o Ende Aufschubzeit bei Rentenversicherung o Auch bei Kündigung • Frühere Zuteilung kann auch zum Nachteil des VN sein (vgl. § 171 VVG) Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 16/20 • Bewertungs- und Zuteilungsverfahren auf dem Verordnungsweg festzulegen Lebensversicherung: Rückkaufswert und Verteilung der Abschlusskosten § 169 (3) VVG: Der Rückkaufswert ist das nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode berechnete Deckungskapital (DK) der Versicherung, bei einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses jedoch mindestens der Betrag des DK, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt; die aufsichtsrechtlichen Regelungen über Höchstzillmersätze bleiben unberührt. Der Rückkaufswert und das Ausmaß, in dem er garantiert ist, sind dem VN vor Abgabe von dessen Vertragserklärung mitzuteilen; das Nähere regelt die Rechtsverordnung nach § 7 Abs. 2. (...) Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 17/20 • Alte Zeitwertdefinition des Rückkaufswerts intransparent, BGH-Urteil vom 12. Oktober 2005 • Zeitwert bleibt Grundlage bei Versicherungen, deren Kapitalanlagerisiko der VN trägt • Höhere Rückkaufswerte bei Frühstorno, nicht aber bei Rücktritt oder Anfechtung durch Versicherer • Höhere Rückkaufswerte in den ersten Jahren gehen zu Lasten der Ablaufleistung planmäßig endender Verträge • Verteilung der Abschlusskosten auch bei Verträgen gegen Einmalbeitrag • Stornoabzug muss vorab beziffert werden und darf nicht zur Deckung von Amortisationskosten dienen • Rückkaufswert auch Bemessungsgrundlage bei Beitragsfreistellung Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 18/20 Berufsunfähigkeitsversicherung § 172 (2) VVG: Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann. • Festlegungen stark an bestehenden AVB orientiert • § 172 VVG ist disponibel • Zuletzt ausgeübter Beruf, Verweisung zulässig • Dauerhaftigkeit der BU ist prognosegebunden Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 19/20 • Erklärungspflicht des Versicherers, ob er seine Leistungspflicht anerkennt • Einmalige Befristung zulässig • Nachträgliche Leistungsfreiheit nur bei tatsächlich geänderter Sachlage • Übergangsfrist • Bestimmungen der Lebensversicherung gelten, sofern sachlich angemessen: o Angemessen: z. B. Bedingungsanpassung (§ 164 VVG) o Nicht angemessen: z. B. Rückkaufswertregelung (§ 169 VVG) Fachhochschule Bochum: Campus meets Company Dr. Arnd Grimmer – DBV-Winterthur – 12.06.2007 – Blatt 20/20