Wiesenbrüterschutz in der Kulturlandschaft
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Wiesenbrüterschutz in der Kulturlandschaft
Wiesenbrüterschutz in der Kulturlandschaft – mehr als nur Vertragsnaturschutz Schutzkonzepte für das Braunkehlchen im Unteren Ammertal (Baden-Württemberg) Von Rainer Luick, Johannes Bierer und Florian Wagner Zusammenfassung Summary In der Region des Unteren Ammertals bei Tübingen besteht eine Restpopulation des Braunkehlchens (Saxicola rubetra) von aktuell zwei bis fünf Brutpaaren. Noch zu Beginn der 1980er Jahre wurden dort jährlich bis zu 30 Brutpaare gezählt.Der beständige Rückgang des Braunkehlchens und der Status als Art der Roten Liste begründen schon seit langer Zeit Forderungen des Naturschutzes auf Implementierung von Maßnahmen für ein geeignetes Artenschutzkonzept. Am Beispiel des Unteren Ammertals werden vor diesem Hintergrund Zusammenhänge, warum Schutzkonzepte nicht umgesetzt werden oder nicht erfolgreich sind, dargestellt. Es wird herausgearbeitet, dass ein zentraler Problembereich bei Defiziten im kommunikativen Bereich zu sehen ist. Unter anderem werden die Möglichkeiten des Vertragsnaturschutzes als Einkommensquelle für die potenziellen Akteure kommunikativ ungenügend transportiert. Hemmschwellen sind weiterhin die oft vorhandenen emotionalen „Altlasten“ bei den Beteiligten. Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Artenschutzprogrammen ist eine Moderation und oft sogar eine vorausgehende Mediation, um polarisierte Standpunkte aufzuarbeiten und um sich von langjährig gepflegten Feindbildern zu verabschieden. Die Notwendigkeit von Moderation und Mediation zur Kommunikation von Naturschutzzielen und -maßnahmen ist aber im vorhandenen Umsetzungsinstrumentarium des Naturschutzes nicht definiert und wird bislang nicht als eigenständiges Aufgabenfeld mit professionellem Knowhow thematisiert. Protection of Farm Birds in Cultural Landscapes – Management concepts for the whinchat (Saxicola rubetra) in the Ammertal region (District of Tübingen), Baden-Württemberg The Ammer Valley in the district of Tübingen (Federal State of Baden-Württemberg) has been assessed as important breeding area of the whinchat (Saxicola rubetra) in South-West Germany. In the last decades the population dramatically declined from about 30 breeding pairs in the early 1980s to two to five pairs at present. It has been regularly highlighted that conservation measures should be implemented to protect and support the local population of the whinchat. The situation in the Ammertal is typical for many other breeding areas of the whinchat in Germany. With the introduction of agri-environmental schemes (MEKA I + MEKA II) and the Conservation and Countryside Management Regulation (‘Landschaftspflege-Richtlinie’) in the early 1990s such programmes are now available - at least in theory. A scientific investigation collected data such as historical maps and present data including aerial photographs, landuse distribution and occurrence of the whinchat. Furthermore, a sociological study was carried out referring to requirements of regional landusers who participate in special conservation programmes targeting the whinchat population. The results show that communication problems between conservationists and landusers led to a reluctance of the farmers to apply for programmes. It is pointed out that mediation and special communication efforts are necessary to make conservation approaches work successfully. 1 Einleitung Der Vertragsnaturschutz ist mit zahlreichen Varianten auch in Baden-Württemberg seit langen Jahren als flächen- und zielorientiertes Instrument des Arten- und Biotopschutzes im Offenland implementiert. Dennoch konnte selbst in prioritären Lebensräumen vielerorts der Rückgang bedrohter Tier- und Pflanzenarten weder zum Stillstand gebracht noch umgekehrt werden. Die Gründe hierfür sind zahlreich und komplex. Für das Grünland sind die ökonomischen und agrarstrukturellen Kausalketten wiederholt beschrieben (u.a. BRIEMLE et al.1991, DIERSCHKE & BRIEMLE 2002, HAMPICKE 1993, KAPFER 1993, LINCKH et al. 1996, LUICK 1996, 1997, NITSCHE & NITSCHE 1994, POSCHLOD & SCHUMACHER 2001). Dazu zählen: Umbruch Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 zu Ackerland, Meliorationen, intensivere Bewirtschaftung (u.a. Düngung und Erhöhung der Nutzungsfrequenz, frühe Mähzeitpunkte, Übergang von der Heu- auf die Silagewirtschaft, Mähtechnik, Sukzession und Aufforstung) und auch sekundäre Effekte wie z.B. Bodenverdichtung und großflächige und zeitgleiche Bewirtschaftung. Warum sowohl großflächige Naturschutzals auch spezielle Artenschutzprojekte scheitern, wird in aller Regel mit nicht vorhandenen oder nicht ausreichenden Finanzmitteln für die Kompensation entgangener bzw. erbrachter Leistungen der Landwirtschaft erklärt. Weit weniger Beachtung finden in der Erklärung für mangelnden Erfolg von Naturschutzstrategien bislang aber agrarsoziologische und kommunikative Einflussfaktoren. Dass parallel zur Bearbeitung von natur- schutzfachlichen Fragestellungen vermehrt Stimmungsbilder und Motivationen der potenziellen Akteure eines Naturschutzkonzeptes mitberücksichtigt werden müssen, ist Gegenstand dieses Aufsatzes. Am Beispiel der Entwicklung der Braunkehlchenpopulation (Saxicola rubetra) in der Region des Unteren Ammertals bei Tübingen/Baden-Württemberg wird dieser Zusammenhang dargestellt (Abb. 1 und 2). 2 Bestandsentwicklung und Schutzstatus des Braunkehlchens in Baden-Württemberg Das Braunkehlchen – in Mitteleuropa ein Sommervogel – gehört zum westpaläarktischen Faunentyp mit Verbreitung in der borealen, gemäßigten und mediterranen Zone sowie in der Steppenzone und in Gebirgsregionen (BASTIAN & BASTIAN 1996, HÖLZINGER 1999, VOOUS 1962). Hinsichtlich seiner Ansprüche an Habitatrequisiten ist es keine hochspezialisierte Vogelart, sondern vielmehr ein (ehemaliger) „Allerweltsvogel“, der laut BREHM (1879) „… in allen Ebenen Deutschlands und der benachbarten Länder sehr häufig zu finden war …“. In BadenWürttemberg sind die bevorzugten Siedlungsräume nach MAULBETSCH & REBSTOCK (1999) reich strukturierte Wiesen- und Weideflächen, wobei der Lebensraum von Feuchtwiesen in Talauen und Niedermoorflächen über Fettwiesen bis hin zu halbtrockenrasenähnlichen Vegetationsformen reichen kann. Die Nahrungssuche erfolgt in der Regel durch verschiedene Ausprägungen der Ansitzjagd auf Insekten (OPPERMANN 1999). Geeignete Siedlungsräume des Braunkehlchens wurden bis vor wenigen Jahrzehnten durch extensive landwirtschaftliche Grünlandnutzungen gefördert, ja gestaltet. Nach FLADE (1994) und KRATOCHWIL & SCHWABE (2001) gilt das Braunkehlchen als charakteristische Leitart strukturreicher Offenlandbiotope. Für Baden-Württemberg werden Entwicklungen und verlässliche Bestandszahlen der Braunkehlchenpopulationen der zurückliegenden 50 Jahre von MAULBETSCH & REBSTOCK (1999) vorgelegt (Abb. 3). Um 1950 wurde die Population auf etwa 5 000 Brutpaare geschätzt, für den Zeitraum 1965 bis 1979 auf rund 2 600 Paare und für 1980 bis 1994 auf 1 500 Paare. BASTIAN & BASTIAN (1996) gehen für Mitte der 90er Jahre sogar 69 von nur noch maximal 1 000 Brutpaaren aus. Allein im Vorland der Schwäbischen Alb im Lkr. Göppingen ist nach LISSAK (1988) eine Braunkehlchenpopulation in drei Jahrzehnten um 90 % zurückgegangen. Aktuelle Hauptvorkommensgebiete in Baden-Würt- temberg sind (noch) der Südschwarzwald und das Becken der Baar, das westliche Vorland der Schwäbischen Alb und das Federseegebiet in Oberschwaben. Mit rund 200 Brutpaaren hat das Federseebecken die momentan größte geschlossene Einzelpopula- Abb. 1: Lage und Übersicht des Untersuchungsgebietes im Lkr. Tübingen, Baden-Württemberg. tion in Baden-Württemberg, die sich allerdings weitgehend auf die Bereiche der Naturschutzgebiete mit gezieltem Lebensraummanagement beschränkt (J. EINSTEIN 2003, mdl.). Die dramatischen Bestandsrückgänge und der komplette Rückzug aus zahlreichen ehemaligen Hauptsiedlungsregionen wird ursächlich durch die benannten Landschaftsund Bewirtschaftungsveränderungen erklärt. Nach den Prognosen von MAULBETSCH & REBSTOCK (1999) sieht in den kommenden Jahren die Entwicklung der Braunkehlchenbestände im Südwesten düster aus: „Der seit Mitte der 1960er Jahre festgestellte starke Rückgang der Brutbestände setzt sich fort und hält auch über das Ende der 1990er Jahre hinaus an. Es hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass diese Art ohne unterstützende Maßnahmen in der Kulturlandschaft nicht oder nur in geringen Populationsgrößen erhalten werden kann“. In der aktuellen Roten Liste für Vogelarten in Deutschland (NABU & LBV 2003) ist das Braunkehlchen in der Kategorie 3 (gefährdet) eingestuft. In der Kommentierung wird festgestellt, dass gerade die Wiesenvögel in den vergangenen 20 Jahren dramatische Bestandseinbrüche aufweisen, darunter überwiegend Insektenfresser und Arten, die auf offene Standorte angewiesen sind. In der Roten Liste Baden-Württembergs ist das Braunkehlchen in Kategorie 2 (stark gefährdet) aufgeführt, das heißt, es werden konkrete Schutzmaßnahmen für dringend erforderlich gehalten (HÖLZINGER et al. 1996). Begründet mit den großräumig negativen Bestandstrends ergeben sich auch aus dem europäischen Kontext Schutzverpflichtungen: Nach dem Anhang der Berner Konvention zum Schutz wandernder Tierarten hat das Braunkehlchen den Status als “Strictly Protected Fauna Species” und wird außerdem im Anhang II der EU-Vogelschutzrichtlinie als eine in Baden-Württemberg auftretende, gefährdete Zugvogelart geführt (Berner Konvention 2000). 3 Charakterisierung des Untersuchungsgebietes 3.1 Das Untere Ammertal im Landkreis Tübingen und seine Braunkehlchen Abb. 2: Blick über die Niederung des Ammertals vom Keuperzug des Spitzbergs in Richtung Unterjesingen. Die noch in den 1970er Jahren vom Grünland dominierte, teils anmoorige Aue hat sich seitdem in weiten Teilen in eine Ackerlandschaft verwandelt. Das verbliebene Grünland wird zwar nicht intensiv bewirtschaftet, es bietet aber durch die frühen Mahdtermine, fehlende Staudensäume und Brachinseln kaum noch Lebensräume, die für das Braunkehlchen geeignet sind. Foto: Rainer Luick 70 Das Untersuchungsgebiet des Unteren Ammertales (s. Abb. 1 und 2) bildet den nördlichen Teil der Tübinger Stufenrandbucht und wird im Norden von den Keuperhöhen des Schönbuchs und im Süden durch die des Spitzbergs umrahmt. Die ehemals – zumindest stellenweise – anmoorige Talsohle und die sanft ansteigenden Gipskeuperhänge werden heute überwiegend als Acker- oder Grünland genutzt. Das Gebiet umfasst rund 400 ha und liegt im 1999 ausgewiesenen Landschaftsschutzgebiet Unteres Ammertal. Das komplette Untersuchungsgebiet ist Teil eines großräumigen SPA-Gebietes (= Special Protected Area, Gebiet nach der EU-Vogelschutz-Richtlinie, 79/409/EWG) (CodeNr. SPA 7420-401: Schönbuch). Es ist davon auszugehen, dass es nach der endgültigen Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 normativen Auswahl durch die EU ein Baustein des europäischen Schutzgebietsnetzes NATURA 2000 werden wird. In der ornithologisch-naturschutzfachlichen Literatur wird das Untere Ammertal als ein für Baden-Württemberg bedeutsames Brutgebiet des Braunkehlchens beschrieben. Auch im Zielartenkonzept Baden-Württemberg (NAFAWEB 2001, RECK et al. 1996), welches das bereits in Umsetzung befindliche Artenschutzprogramm des Landes um sachlich und räumlich integrierte Ziele ergänzt, ist der Bestand im Ammertal ausdrücklich erwähnt. Es wird explizit empfohlen, die vorhandenen Bestände zu stabilisieren und durch geeignete Schutzmaßnahmen auszudehnen (KRAMER 1996). Der Wunsch, das Braunkehlchen landesweit und im konkreten Untersuchungsraum zu halten, ist also keineswegs neu. Die Zielsetzungen kontrastieren aber mit den realen Zuständen, bzw. den Entwicklungen, die sich parallel zur naturschutzpolitischen Diskussion abgespielt haben: Seit 1958 werden – allerdings in ungleichmäßigen Abständen – Bestandszahlen der revieranzeigenden Braunkehlchen im Unteren Ammertal ermittelt (AMMERMANN et al. 1998, Abb. 4). Zu Beginn der 80er Jahre gab es noch rund 30 Paare, seitdem hat die Population weiter drastisch abgenommen. Im Jahr 2001 wurden lediglich fünf Brutpaare und ein unverpaartes Männchen kartiert (LAEMMERT 2001). Die Jahre 2002 und 2003 waren noch schlechter für die Braunkehlchen: SÜSSER (2003) registrierte nur noch drei bzw. zwei Brutpaare. Es stellt sich daher zwangsläufig die Frage, warum trotz vorhandener Konventionen, gut formulierten Absichtserklärungen und bester Datenlage für das Untersuchungsgebiet bis zum aktuellen Zeitpunkt keinerlei wirksame Maßnahmen zum Schutz des Braunkehlchens greifen konnten? Abb. 3: Bestandszahlen der Braunkehlchenpopulationen in Baden-Württemberg nach Daten von MAULBETSCH & REBSTOCK (1999). Abb. 4: Revieranzeigende Männchen im Unteren Ammertal: Angaben nach AMMERMANN et al. (1998, 1999), HAUSTETTER (1992), KLEMM & MAURER (1989, zitiert in HAUSTETTER 1992), KRATZER (1984; zitiert in AMMERMANN et al. 1998), LAEMMERT (2000), MÖRIKE (1958; zitiert in MAULBETSCH & REBSTOCK 1999) und SÜSSER (2003). 3.2 Agrarstatistische und agrarökologische Grundlagen Zeitlicher Nutzungsvergleich Als Grundlage eines zielorientierten Schutzkonzeptes für die Braunkehlchenpopulation im Unteren Ammertal wurden mit Hilfe eines Geographischen Informationssystems (GIS) aussagefähige Landnutzungsparameter analysiert. Dazu wurden historische Quellen (Nutzungskarte von 1848, Luftbilder von 1968 und 1998) ausgewertet sowie mittels einer luftbildgestützten und im Gelände korrigierten Nutzungskartierung der aktuelle Zustand parzellenscharf erfasst. Die Naturraumentwicklung im Unteren Ammertal lässt sich auf dieser Datengrundlage auf hohem Genauigkeitsniveau nachvollziehen (Abb. 5). Agrarstruktur und betriebliche Situation der Bewirtschafter Die landschaftlichen Veränderungen werden im Untersuchungsgebiet ergänzend anhand agrarstruktureller Daten dokumentiert. So hat die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe seit den 1960er Jahren im Vergleich zu anderen Regionen überproportional abgenommen. Im Dorf Unterjesingen, auf dessen Ge- Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 Abb. 5: Grünlandverteilung und Entwicklung der Grünlandbestände zwischen 1848 und 2002 im Kernbereich der Vorkommensgebiete des Braunkehlchens im Ammertal, Lkr. Tübingen. markung das Untersuchungsgebiet überwiegend liegt, hat sich deren Zahl von 160 auf aktuell noch 21 verringert, davon werden nur noch vier Betriebe im Haupterwerb bewirtschaftet (Statistisches Landesamt BadenWürttemberg, verschiedene Jahrgänge). Parallel dazu hat auch das Großvieh als wichtige Verwertergruppe des extensiven Grünlandes gravierend abgenommen (vgl. Tab. 1). Unterjesingen liegt damit im generellen Trend für den Lks. Tübingen. Dort ist von 1960 bis 2001 die Zahl der Milchkühe um Tab. 1: Landwirtschaftliche Rahmendaten der Ortschaft Unterjesingen, Lkr. Tübingen (Quelle: Staatliche Archivverwaltung BadenWürttemberg 1967, Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, verschiedene Jahrgänge). 1960 2001 landwirtschaftliche Betriebe 160 21 Rinder 360 76 Pferde 12 45 71 Landwirte an, dass durchschnittlich ein Aufwand von einer Arbeitsstunde pro ha Grünland notwendig ist. Schnittzeitpunkt Der Termin des ersten Schnittzeitpunkts liegt nach Angabe der befragten Landwirte je nach Witterung von Anfang Juni – bei guten Verhältnissen – bis spätestens in der zweiten Junihälfte. Nur in seltenen Fällen erfolgt die Mahd noch im Juli. Diese Erfahrungswerte der Landwirte werden durch die Wetterdaten der Jahre 1991 bis 2001 (Deutscher Wetterdienst 1991 bis 2001) bestätigt. Werden daraus niederschlagsfreie Phasen von vier Tagen selektiert, die in der Regel für die Trocknung des Heus ausreichen müssten, so lässt sich der mittlere Mahdtermin der letzten zehn Jahre ermitteln. Der Median des ersten Schnitts liegt dabei um den 13. Juni. Richten sich die Landwirte nach dem ersten möglichen Termin im Juni, bedeutet das für die Braunkehlchen im Gebiet, dass der Schnitt regelmäßig zwei bis vier Wochen zu früh für einen erfolgreichen Brutverlauf erfolgt. Abb. 6: Braunkehlchen-Männchen auf einem Pfahl als Sitzwarte. Alle Aufnahmen von Helmut Rebstock aus dem Gebiet des “Artenschutzprogramms Braunkehlchen“ bei Balingen-Ostdorf und Geislingen im Vorland der Schwäbischen Alb. 82 % zurückgegangen. Im Durchschnitt aller Landkreise in Baden-Württemberg beträgt der Rückgang der Milchkühe 52 % (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, verschiedene Jahrgänge). Auffällig ist weiterhin eine Verlagerung des Tierbestandes von der Rinderhaltung hin zur Freizeit-Pferdehaltung, eine typische Entwicklung für viele im Sog des Ballungsraumes Stuttgart liegende Ortschaften (WAGNER & LUICK 2002). Im Jahr 2002 existierten im Dorf Unterjesingen noch neun Betriebe, die nennenswerte Grünlandanteile im Gebiet bewirtschaften. Die Betriebsleiter wurden zu Aspekten der Bewirtschaftung des Grünlandes und zu betriebsspezifischen Verhältnissen befragt. Es zeigte sich, dass das Grünland ausnahmslos extensiv, in der Regel als ZweischnittWiesen, bewirtschaftet wird. Teilweise erfolgt sporadisch eine moderate Düngung mit Festmist. Eine mineralische Düngung wird schon lange nicht mehr – nach manchen Angaben seit über 10 Jahren – vorgenommen. Der überwiegende Teil des Grünlandes wird zur Heuproduktion genutzt, während Silagewerbung nur für einen Betrieb von Bedeutung ist. Das lokal erzeugte Heu wird überwiegend in der Pferdehaltung eingesetzt. Nur noch zum kleineren Teil wird der Grünlandaufwuchs für die Rinder- oder Kälbermast verwendet (z.B. als Raufutterergänzung zum Silomais). Die durchschnittlichen Erträge der Wiesen werden von den Landwirten selbst auf ungefähr 40 dt/ha geschätzt und sind damit als extensiv einzuordnen (DIERSCHKE & BRIEMLE 2002). Die Mehrheit der Landwirte mäht mit dem Kreiselmäher. Nur ausnahmsweise, z.B. bei Geräteschaden, wird noch der Messerbalken verwendet. Zum Aspekt der Mähleistung geben die 72 4 Ergebnisse 4.1 Veränderung der Landnutzung und Bestandsentwicklung des Braunkehlchens im Untersuchungsraum Die Landschaftsanalysen zeigen, dass im Zeitraum von 1848 bis 1968 der Anteil des Grünlandes von etwa 297 ha auf 89 ha zurückgegangen ist. Das heißt, dass bereits vor drei Jahrzehnten nur noch rund ein Drittel der ehemaligen Siedlungsareale für Braunkehlchen potenziell verfügbar waren. Zu dieser Zeit dürfte die Anzahl der Brutpaare bei 30 bis 40 Paaren gelegen haben (vgl. Abb. 4). Seit 1968 lassen sich interessanterweise nur noch geringfügige Änderungen der prozentualen Verteilung der Nutzungsformen feststellen, die Zahl der BraunkehlchenBrutpaare hat jedoch, wie erwähnt, auf zwei Paare im Jahr 2003 abgenommen. Ergänzend zur Nutzungsform wurde anhand der Luftbilder von 1968 und 1998 die Schlaggrößen der unterschiedlichen Nutzungseinheiten abgegrenzt und bilanziert. Hier lässt sich eine mittlere Vergrößerung der Einheiten um 45 % feststellen; im Extremfall wurde in Teilräumen eine Zunahme von 113 % bilanziert. Das lässt aufgrund der vor Jahrzehnten üblichen kleinflächigeren Bewirtschaftung, die außerdem nicht zeitgleich erfolgte, auf einen massiven Verlust an Ökotonstrukturen schließen. Damit in Zusammenhang steht auch der Wandel der Bewirtschaftungstechnik im Grünland. So war noch vor drei bis vier Jahrzehnten die Mahd mit Auslegerbalkenmähern, mit kleinen Motormähern, ja selbst noch mit der Sense vorherrschend, die sich außerdem bei der Vielzahl an Bewirtschaftern und Parzellen über Wochen hinziehen konnte. Das Entscheidungskriterium, ob und wann wie viele Wiesen gemäht wurden, war früher im Wesentlichen davon bestimmt, wie viel Fläche und damit Heu mit der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft und Technik an den wahrscheinlich regenfreien Tagen bewältigt werden konnte. Für einen Arbeitsintervall mit sicherer und trockener Heubergung mussten früher drei bis vier Tage einkalkuliert werden und es konnten nur vergleichsweise kleine Flächen gleichzeitig abgeerntet werden. Heute kann durch die im Vergleich zu den 1960er Jahren verbesserte Arbeitsleistung das Grünland von den wenigen verblieben Bewirtschaftern theoretisch beim ersten günstigen Erntezeitpunkt komplett abgeerntet werden. Der Betrieb mit der größten Flächenausstattung im Untersuchungsraum (30 ha und damit rund 30 % des gesamten Grünlandes) ist technisch in der Lage, seine Flächen innerhalb von zwei bis drei Tagen vollständig zu mähen. 4.2 Analyse der vorhandenen Instrumente des Vertragsnaturschutzes Bei Übertragung der für Mitteleuropa gut analysierten Lebensraumansprüche des Braunkehlchens (u.a. OPPERMANN 1999) auf das Untere Ammertal erscheint es für die Habitatoptimierung der Art daher sinnvoll, mit Instrumenten des Vertragsnaturschutzes eine Entzerrung des zu frühen und zeitlich synchronisierten ersten Wiesenschnittes anzustreben und Nutzungen mit einen späten Schnitt im Gebiet zu etablieren. Ein seit 1988 erfolgreich operierendes Artenschutzprogramm im Vorland der Schwäbischen Alb bei Balingen (Zollernalbkreis) unterstützt diese Auffassung. Dort ist es mit der umfangreichen Verlagerung des ersten Schnittzeitpunktes auf frühestens 30. Juni oder 15. Juli (je nach Variante des gewählten Vertragsnaturschutzprogrammes) gelungen, eine stabile Population von ca. 30 Brutpaaren dauerhaft zu halten (MAULBETSCH & REBSTOCK 1996, REBSTOCK 2003, mdl.). Artenschutzmaßnahmen lassen sich nur über freiwillige Vertragsangebote an die Bewirtschafter umsetzen. In Baden-Württemberg stehen im Grünland Verträge, die auch die Honorierung eines späten Schnittes ermöglichen, über die Förderinstrumente des MarktEntlastungs- und KulturlandlandschaftsAusgleichs (MEKA) und der Landschaftspflegerichtlinie (LPR) zur Verfügung. MarktEntlastungs- und KulturlandschaftsAusgleich (MEKA) Das baden-württembergische Agrar-Umweltprogramm MEKA II nach der EU Verordnung 1257/99 stößt bei der Landwirtschaft im Untersuchungsraum auf große Resonanz und wird nahezu flächendeckend wahrgenommen. MEKA II hat wie sein Vorgänger MEKA I eine baukastenartige, kumulative Konzeption, bei der angebotene ökologische Leistungen mit Punkten bewertet sind, die mit je € 10 pro ha honoriert werden. Im MEKA II-Programm können für die Grünlandnutzung ohne besondere Auflagen neun Punkte gewährt werden, zusätzlich gibt es vier Punkte, wenn ein Viehbesatz zwischen 0,5 und 1,4 GVE pro ha (= Großvieheinheit, enspricht einem Äquivalent von 500 kg Lebendtiermasse) eingehalten wird. Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 Handelt es sich um artenreiches Grünland, wobei nach einem definierten Pflanzenartenkatalog mindestes vier Arten auf einem Flurstück vorkommen müssen, dürfen weitere fünf Punkte addiert werden. Weitere maximal zehn Punkte können innerhalb von Gebieten, die für den Biotop- und Artenschutz oder die Landschaftserhaltung relevant sind, für verschiedene Maßnahmen (z.B. verzögerter Schnittzeitpunkt) gewährt werden. Bei Kumulation aller Bedingungen können also maximal 28 Punkte (= € 280) erreicht werden. Ebenfalls 28 Punkte werden wesentlich einfacher erreicht, wenn es sich um Grünland innerhalb eines designierten SPA- oder FFH-Gebiets (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, 92/43/EWG) handelt, was im Ammertal der Fall ist. In dieser Gebietskulisse genügt eine maximal zweimalige Grünlandnutzung, um die genannte Punktzahl zu erreichen. Folgende Feststellungen sind zu treffen: Obwohl fast das komplette Grünland im Untersuchungsgebiet über MEKA gefördert wird, sind die Braunkehlchen in ständigem Rückgang. Die Programmbewertung aus spezifischen Artenschutzgesichtspunkten zeigt daher, dass über MEKA allein keine ausreichenden Impulse erfolgen, damit Landwirte auf einen verspäteten Mahdtermin übergehen. Landschaftspflegerichtlinie (LPR) Als zielgerichtetes Instrument für die Habitatoptimierung der Braunkehlchenpopulation im Untersuchungsgebiet steht alternativ zu MEKA II die Landschaftspflegerichtlinie (LPR) zur Verfügung. Die LPR, die in großen Teilen ebenfalls durch die EU-Verordnung 1257/99 ko-finanziert ist, dient insbesondere der Finanzierung von speziellen Artenschutzmaßnahmen (MLR 2001c). Maßnahmen nach der LPR können allerdings nur in normativen Schutzgebieten oder in definierten und abgegrenzten Projektgebieten gefördert werden. Das Untere Ammertal ist sowohl als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen als auch vorgeschlagenes SPA-Gebiet. Die Erschließung der Fördermittel gemäß LPR ist daher zumindest formal möglich. In Bezug auf die Wiesenbrüter ermöglicht der Maßnahmenkatalog der LPR die vertragliche Verpflichtung zu einem späten ersten Schnitt (z.B. nach dem 1. Juli) einschließlich verminderter Düngung. Diese Maßnahme kann mit bis zu 505 € pro ha honoriert werden. Ebenso kann die Umwandlung von Acker in extensives Grünland mit bis zu 805 € pro ha vergütet werden. Die Berechnung der Fördermittel richtet sich nicht nur nach der gegenwärtigen Nutzungsform (Acker, Grünland), sondern auch nach der Flurbilanzstufe (s. Tab. 2), die der Erfassung der natürlichen Ertragsfähigkeit der Böden dient. Die Förderung gemäß LPR schließt die Förderung nach MEKA II aus. Es ist jedoch jederzeit möglich, eine bestehende MEKA-Fläche in die LPR-Honorierung zu überführen, da damit eine ökologisch „höherwertige Nutzung“ erreicht wird. Es kann zusammengefasst werden: Der Einsatz der LPR scheint derzeit das einzige Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 Tab. 2: Maßnahmen und Förderumfang gemäß LPR (Quelle: Landschaftspflege-Richtlinie BadenWürttemberg, Anhang 1). Flächennutzung/ Extensivierungsstufe Flurbilanzstufe €/ha gemäß LPR (ohne Zuschläge) Mahd nach dem 1. Juli und reduzierte Düngung I II 505 420 Umwandlung von Acker in extensives Grünland, später Schnitt, keine Düngung I II 805 785 Instrument des Vertragsnaturschutzes zu sein, um das spezielle Ziel, die Entwicklung einer überlebensfähigen Braunkehlchenpopulation, zu erreichen. Derzeit werden im Unteren Ammertal auf ca. 9 ha landwirtschaftlicher Flächen Vertragsnaturschutzmaßnahmen nach der LPR gefördert. Es handelt sich jedoch nicht um Verträge, die auf das Braunkehlchen optimiert sind, sondern um allgemeine Extensivierungen (u.a. Mahd nicht vor dem 15. Juni und Düngeverzicht) und um die Förderung von Altgras- und Ackerrandstreifen auf der Grundlage von Empfehlungen eines BiotopvernetzungsKonzeptes (Landratsamt Tübingen, mdl. 2002). 5 Vorschläge für ein Artenschutzkonzept Die noch vorhandene Braunkehlchen-Restpopulation im Untersuchungsgebiet in einer Größenordnung von pessimal zwei bis höchstens sechs Brutpaaren ist mittlerweile weit von einer überlebensfähigen Mindestpopulationsgröße entfernt, die eine langfristig positive Reproduktionsrate garantieren könnte. Diese wird im Sinne einer MVP-Betrachtung (= minimal viable population) nach verschiedenen Angaben mit theoretisch 50 Brutpaaren angegeben (u.a. AMLER et al. 1999, BASTIAN & BASTIAN 1996, HOVESTADT et al. 1994, MAULBETSCH & REBSTOCK 1999, OPPERMANN 1999). Entscheidend hierbei ist nicht nur die Größe eines potenziellen Siedlungsraumes, sondern vor allem die abiotischen und biotischen Qualitäten des Gebietes. Auf Grundlage der Daten der aktuellen Bodennutzung, der Flurbilanzstufe und der kartierten Brutstandorte der Braunkehlchen, sowie der Fördersätze nach LPR wurden für unterschiedliche Populationsgrößen des Braunkehlchens Kosten- und Umsetzungsszenarien für optimierte Brut- und Nahrungshabitate im GIS simuliert. Die Auswahl der Flächen für das Schutzprogramm erfolgte aufgrund der bisher kartierten Reviere des Braunkehlchens, die seit 1989 vorliegen. Die Art gilt als sehr standortstreu, es wurden auch im Ammertal immer wieder annähernd die gleichen Flächen besiedelt. Für die beiden Verbreitungsschwerpunkte wurden die Förderkosten eines späten Wiesenschnitts exemplarisch berechnet. Im GIS wurden die einzelnen Flurstücke im Untersuchungsgebiet mit den entsprechenden Förderhöhen für einen Schnitt nach dem 1. Juli hinterlegt. Eingehende Berechnungsparameter sind: Flächengröße, Einstufung der Bodenschätzung und die aktuelle Nutzung. Abb. 7: Braunkehlchen (Männchen) mit einer kurz vorher erbeuteten weiblichen Wanstschrecke im Schnabel, der es anschließend die Gliedmaßen sowie Flügel entfernte. Am Nest erfolgte die weitere Zerlegung und Verfütterung der Wanstschrecke an die zum damaligen Zeitpunkt neun Lebenstage alten Jungvögel. Minimalvariante mit Stabilisierung der aktuellen Population Die Stabilisierung der vorhandenen Braunkehlchen-Population von maximal sechs Brutpaaren durch die gezielte Verlagerung des ersten Schnittes auf Wiesen, die als Brutplatz genutzt werden, wird mit jährlichen Kosten von 505 € pro Brutpaar kalkuliert. Grundlage dieses Wertes ist ein vorgesehener Schutzbereich von einem ha für jedes Brutpaar. Das entspricht nach Literaturangaben ungefähr der ermittelten Revierfläche (u.a. BASTIAN & BASTIAN 1996, SCHMIDT & HANDKE 1954). Der Ansatz von 505 € gilt für Grünland der Vorrangstufe I, welche die beste Bilanzstufe bezeichnet. Daraus ergeben sich Anfangskosten von 3 030 € pro Jahr. Stabilisierung und mittelfristige Stärkung der aktuellen Population Für die Erhaltung und Dispersion von Populationen müssen Barrieren zwischen Lebensräumen in ihrer Isolationswirkung verringert werden (HOVESTADT et al. 1994). Im vorliegenden Fall wurde von einer kreisförmigen Ausweitung der Brutbereiche um die seit 1989 kartierten Reviere ausgegangen, da 73 Abb. 8: Mit Hinweistafeln, die während der Fortpflanzungszeit von Bodenbrütern im Gebiet bei Balingen im Vorland der Schwäbischen Alb an einigen Wegen aufgestellt werden, wird darum gebeten, diese Wege für eine begrenzte Zeit nicht zu nutzen. sich Braunkehlchen stark an tradierten Brutbereichen orientieren. Bei einer Ausweitung des Vertragsnaturschutzes auf die umliegenden Grünlandbereiche (ca. 58 ha) entstehen jährliche Kosten von 21 165 €. Diese Fläche könnte rein rechnerisch von 29 Brutpaaren, bei einer angenommenen Dichte von fünf Brutpaaren pro 10 ha besiedelt werden. Aufbau einer regionalen Metapopulation Zum Aufbau einer regionalen Metapopulation dürfen die Maßnahmen nicht auf das Ammertal beschränkt bleiben, sondern müssen auf geeignete Flächen im benachbarten Neckartal ausgedehnt werden. Dazu müssten dort allerdings standorttaugliche periphere Ackerflächen wieder in Grünland umgewandelt werden. Theoretisch ließe sich dann in dieser Naturraum-optimierten Gebietskulisse eine Population von 46 Brutpaaren stützen, von der vermutet wird, dass ein erfolgreicher Austausch möglich ist. Die angenommenen Maßnahmen umfassen an mehren Schwerpunktgebieten rund 92 ha und werden mit jährlichen Kosten von rund 54 873 € budgetiert. 6 Alles bestens? – oder: warum es trotzdem nicht klappt 6.1 Zwischenbilanz: Ausgangslage für die Etablierung des Vertragsnaturschutzes Nach den vorgestellten agrarstrukturellen und ökologischen Grundlagen sprechen die folgenden Bewertungen für eine günstige Ausgangslage zur Implementierung von Schutzmaßnahmen – zumindest für Maßnamen entsprechend dem Szenario I – für die (noch) vorhandenen Braunkehlchen: Ü Es existiert bereits eine gute Datengrundlage zu den Brutschwerpunkten des Braunkehlchens. Ü Durch die überschaubare Anzahl der Grünlandbewirtschafter ist es einfach, eine große Flächenwirksamkeit zu erreichen. Darüber hinaus erleichtern wenige Partner die Kontaktaufnahme für Behörden und den ehrenamtlichen Naturschutz. Ü Es überwiegt noch immer die traditionelle Heuproduktion und nicht wie sonst meist üb- 74 lich die Silagewirtschaft. Die Bewirtschaftung des extensiven Grünlandes ist außerdem stark am Betriebszweig Pferdehaltung orientiert, so dass Fragen nach Energie und Proteingehalt des gewonnenen Futters eine eher untergeordnete Rolle spielen. Damit ist auch aus agrarischer Sicht ein später Schnitt des Grünlandes prinzipiell nicht ausgeschlossen. Ü Die vorhandenen Instrumente des Vertragsnaturschutzes in Kombination mit relevanten Förderkulissen bieten im Grunde genommen einen attraktiven finanziellen Anreiz für die betroffenen Landnutzer. Aufgrund der planerischen und standörtlichen Vorgaben können sogar Höchstfördersätze kalkuliert werden. Ü Durch die GIS gestützten Planungsgrundlagen mit parzellenscharfen Berechnungen der Fördersätze kann der Aufwand für die zuständige Verwaltung deutlich minimiert werden. 6.2 Akzeptanzbereitschaft für Artenschutzkonzepte Die Umsetzung von Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes ist stark erschwert, wenn nicht sogar unmöglich, wenn sie bei den Akteuren vor Ort nicht auf Akzeptanz stoßen. In der vorgestellten Fallstudie sind das die verbliebenen Grünlandbewirtschafter im Neben- und Haupterwerb sowie die Hobbybetriebe. Die Gespräche mit diesen Akteuren offenbarten, dass zum momentanen Zeitpunkt kaum Bereitschaft besteht, in besonders ausgestaltete Verträge gemäß der LPR einzusteigen. Folgende sachliche Gründe für die ablehnende Haltung der Landwirte wurden angegeben: Ü Durch eine kalendarische Festlegung des Schnittzeitpunktes wird befürchtet, Flexibilität in der Arbeitsplanung zu verlieren. Da die Mahd äußerst wetterabhängig ist und zudem in Nebenerwerbsbetrieben mit untergeordneter Priorität eingebaut werden muss, soll eine möglichst flexible Handhabung des Schnittzeitpunktes erhalten bleiben. Ü Weiterhin werden arbeitsorganisatorische Gründe genannt, da bereits anfangs Juli andere Arbeitsspitzen anstehen. Zu diesem Zeitpunkt sollte der erste Wiesenschnitt auf alle Fälle abgeschlossen sein. Die durch den späten Schnitt zu erwartenden schlechteren Energie- und Proteingehalte waren von sekundärer Bedeutung. Ü Man sieht Probleme in den schon jetzt aufwändig gestalteten Verträgen und Vorschriften und will deshalb nicht noch mehr Verpflichtungen eingehen. Ein weiterer und wohl der entscheidendste Grund der Ablehnung von weiterem Engagement in der LPR scheint aber im emotionalen Verhältnis von Naturschutz und Landwirtschaft begründet zu sein. Dieses ist durch erhebliches gegenseitiges Misstrauen geprägt. Oft wurden in den Gesprächen auf die „alten Geschichten“ Bezug genommen. So schwelten im Unteren Ammertal jahrelange emotionale Befindlichkeiten zwischen behördlichem und privatem Naturschutz und Vertretern der Landwirtschaft. Auslöser für diese Polarisierung war aus Sicht der Land- wirtschaft vor allem die Strategie der Naturschutzverbände Flächen zu erwerben, um diese dann entweder stillzulegen oder in eigene Pflege zu nehmen. Weiterhin wurde befürchtet, dass die Interessen des Naturschutzes eine grundlegende Änderung des Wasserhaushaltes des Gebietes zum Ziele hätten. Der fachliche Hintergrund, der möglicherweise nicht oder nur unzureichend vermittelt wurde oder den man vielleicht auch nicht verstehen wollte, war folgender: Abgesehen von der für Braunkehlchen zu frühen ersten Wiesenmahd wurden als defizitäre Habitatrequisiten im Gebiet auch fehlende Vertikalstrukturen identifiziert. Diese Situation sollte aus Sicht des privaten Naturschutzes durch die Anlage von Brachstreifen und die Reduzierung der Unterhaltungsintensität von Entwässerungsgräben, mit der Möglichkeit zur Entwicklung grabenbegleitender Staudensäume, verbessert werden. Obwohl aus landwirtschaftlichen Kreisen weder eigenes Interesse am Kauf von Grünlandflächen noch am Bedarf von Heu oder Grünfutter bestand, wurde der Grundstückskauf von „nicht legitimierten Interessenskreisen“ heftig kritisiert. Die vorgebrachten Argumente betrafen: den Entzug von landwirtschaftlichen Produktionsflächen, die Beeinflussung der Grundpreise, die Ungepflegtheit der Landschaft und die Befürchtung von Verunkrautungen, ausgehend von Bracheflächen. Die Vorstellungen des Naturschutzes zu einer extensiveren Grabenräumung und -pflege wurden als Einstieg in eine komplette Versumpfung des Gebietes gesehen, mit den Folgen einer Unbefahrbarkeit der Flächen. Als konfrontativ wurde von Seiten der Landwirtschaft auch das öffentliche Auftreten und die Berichterstattung des ehrenamtlichen Naturschutzes in der Presse und Aktionen wie dem Auspflocken von Brutstandorten, um das Ausmähen der Gelege zu verhindern, aufgefasst. Daraus entstanden Antipathien und Protesthaltungen, die bis zum heutigen Tag virulent sind. 7 Empfehlungen für zukunftsfähige Artenschutzprogramme 7.1 Kommunikation Das zentrale Konfliktfeld bei der Etablierung von Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes ist, wie am Beispiel des Unteren Ammertals beschrieben, meist das erhebliche Kommunikationsdefizit zwischen Interessenslagern (u.a. HEILAND 2000), denn die Vermittlung von Inhalten ist nicht unabhängig von der emotionalen Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern (WATZLAWICK et al. 1996). Im Unteren Ammertal ist diese Beziehung gestört, was in erster Linie auf subjektiv empfundene „emotionale Altlasten“ zurückzuführen ist (Luz 1994). Das starke Misstrauen gegenüber dem Naturschutz resultiert freilich nicht nur aus selbst unmittelbar erlebten „schlechten Erfahrungen“, sondern ist vielmehr Ausdruck eines Stimmungsbildes einer Berufsgruppe, bei der sich die „schlechten Erfahrungen“ Einzelner mit dem Naturschutz in gruppendynami- Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 schen Prozessen auf die Mehrheit übertragen und für eine generell ablehnende Haltung sorgen. Genährt wird eine solche Stimmung zusätzlich durch gegenseitige Pauschalverurteilungen der Verbände beider Interessensgruppen. Der mentale Zustand der Landwirte kann insgesamt als ständige Verteidigungsposition gegenüber Einflussnahmen von außen beschrieben werden. Die seit langer Zeit vorhandenen ökonomisch und sozial schlechten Rahmenbedingungen der Landwirtschaft verlangen nach Ventilen und der Scheinallokation von Ursachen. Hierfür ist der gesellschaftlich und politisch nur schwach verankerte Naturschutz gut geeignet. Im vorliegenden Fall ist es den Akteuren der Naturschutzseite ein wichtiges Anliegen, den Zeitpunkt der Mahd mitbestimmen zu können. Das implizierte auf Seiten der Landnutzer das Gefühl, dass in ihren fachlichen Hoheitsbereich massiv eingegriffen werden soll. Für sie ist eine von außen geforderte Festlegung des Mahdtermins ein Ausdruck von Misstrauen in ihre Fachkompetenz und eine Begrenzung ihrer Bewirtschaftungsautonomie. Andererseits wird von landwirtschaftlicher Seite eine völlig unzureichende finanzielle gesellschaftliche Förderung für die Grünlandbewirtschaftung moniert. Diese emotionale Angst vor einem „Fremdbestimmtwerden“ ist der Auslöser von natürlicher Reaktanz, mit der bei allen Kommunikationsprozessen, insbesondere bei vorbelasteter Stimmungslage, potenziell gerechnet werden kann (HELLBRÜCK & FISCHER 1999). Eine auf den ersten Blick attraktiv erscheinende Honorierung einer Naturschutzleistung wird vor diesem Hintergrund völlig unbedeutend. Vorrangige Strategie für ein Artenschutzkonzept muss es daher sein, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Erste Schritte wurden bereits von der örtlichen NABU-Gruppe unternommen, die inzwischen sowohl auf Verbandsebene als auch im direkten Gespräch versucht, Verständnis für ihr Anliegen bei den Landwirten aufzubauen (AMMERMANN, mdl. 2002). Bei derartigen vertrauensbildenden Maßnahmen kann es hilfreich sein, Fehler der Vergangenheit einzuräumen und nicht den wissenschaftlich-dogmatischen Anspruch auf Wissen durch Fakten herauszustellen. Generell ist bei den Landwirten eine latente Grundangst vorhanden: Sie fühlen sich durch eine Vielzahl an Schutzgebietskategorien eingekreist, die für sie nicht mehr transparent sind. Dieses Unbehagen wird dahin extrapoliert, dass durch eine eventuelle Populationsstärkung des Braunkehlchens das bestehende Landschaftsschutzgebiet in eine andere Schutzgebietskategorie umgewandelt wird. Es wird bezweifelt, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen auf Dauer freiwillig bleiben und befürchtet, dass bei Projekterfolg obligate Nutzungseinschränkungen nachfolgen. 7.2 Projektvorbereitung und Projektmanagement Angesichts der verwirrenden Vielzahl von Fördermitteln und Vorschriften, mit denen ein moderner landwirtschaftlicher Betrieb Naturschutz und Landschaftsplanung 36, (3), 2004 Abb. 9: Markierung eines Braunkehlchen-Nestes in einer Wiese zum Schutz vor dem Ausmähen im Projektgebiet Balingen. Diese Markierungen sind dort nötig, wo keine vertraglichen Regelungen das spätere Abmähen der Wiesen lenken. Diese Maßnahme setzt das Einverständnis des Landwirtes voraus, der die Wiese bewirtschaftet. Obwohl die Landwirte stets Verständnis zeigten und die Nester nicht ausmähten, stellt diese Art des Wiesenbrüterschutzes nur eine Notlösung dar. heute umgehen muss, ist es von essenzieller Bedeutung, dass der Verwaltungsaufwand für Partner im Vertragsnaturschutz weitgehend minimiert wird. Um zu überzeugen ist eine detaillierte und transparente Darstellung der Fördergelder am besten geeignet. Auch für die zuständigen Behörden ist es notwendig, konkrete Kalkulationssummen nennen zu können. Eine GIS-gestützte Aufarbeitung der meist ohnehin vorhandenen Planungsdaten kann hier viel zum optimierten Vorgehen und Gelingen beitragen. Die gute Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbehörden sowie der beteiligten Verbände ist eine weitere Voraussetzung für erfolgreiches Projektmanagement. Vor allem die Projektakzeptanz und positive Einbindung der landwirtschaftlichen Fachbehörde, in Baden-Württemberg (noch bis Ende 2004) das jeweilige Amt für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur (ALLB), ist ein wichtiges Stellglied. Die Agrarverwaltung genießt unter den Landwirten traditionell meist einen wesentlich besseren Ruf als die entsprechenden Naturschutzbehörden. Die Unterstützung durch die offiziellen Bauernvertreter und das ALLB ist weiterhin ein ideales Mittel, um die geschilderten Vorbehalte gegenüber Naturschutzvorhaben zu verringern. Mit der einmaligen vertragsrechtlichen Realisierung eines Artenschutzprojekts ist es leider nicht getan. Für den nachhaltigen Erfolg einer Kampagne müssen Ansprechpartner über mehrere Jahre vorhanden sein, die alle Maßnahmen begleiten und deren Effektivität beurteilen. Das ist auch das Erfolgsrezept des Schutzprogrammes bei Balingen. Dort wird von den Moderatoren die herausragende Bedeutung der Präsenz der Naturschutzvertreter im Gebiet betont, über die der Kontakt mit den Landnutzern gesucht und gepflegt werden muss (MAULBETSCH & REBSTOCK, mdl. 2001). Entscheidend für einen Projekterfolg ist weiterhin ein konstantes begleitendes Monitoring als Voraussetzung zum Aufbau eines notwendigen „Win-Win-Bewusstseins“ zwischen und unter den Akteuren. Wenn die eingesetzten Finanzmittel, das Engagement der Landwirte und des privaten Naturschutzes nachweisbar dazu führen, dass ein Imageträger wie das Braunkehlchen sich im Bestand erholt und dieses gut kommuniziert wird, sollten weitere Allianzen für neue Projekte problemlos möglich sein. Da die beteiligten Behörden aufgrund ihrer ausgedünnten Personaldecke und Finanzsituation weder ein Projektcontrolling noch ein Monitoring installieren können, gibt es hier Ansatzpunkte, wo der ehrenamtliche Naturschutz eine tragende Rolle übernehmen kann. Eine synergistisch positive Zusammenarbeit zwischen dem behördlichen und dem privaten Naturschutz in diesem Sinne hat sich auch im Braunkehlchenschutzprojekt im Zollernalbkreis als sehr erfolgreich erwiesen. Der Erfolg von Artenschutzprojekten ist generell mit der Implementierung derartiger Managementebenen verknüpft. Eine kardinale Forderung für moderne Artenschutzprojekte mit Erfolgsaussichten ist daher, dass neben den konkreten Mitteln des Vertragsnaturschutzes auch die Kosten einer kompetenten Moderation und Mediation als eigenständige Leistung etabliert werden müssen. Leider ist die Einrichtung entsprechender „Schaltstellen“ zwischen Behörden, Akteuren und privatem Naturschutz weder bei der Naturschutz- noch bei der Landwirtschaftsverwaltung absehbar. 75 8 Wie wird es im Unteren Ammertal weitergehen? Im Jahr 2002 wurden im Untersuchungsgebiet 6,5 ha Grünland über Vertragsnaturschutzmaßnahmen mit einem Kostenaufwand von 1 428 € gefördert. Festzustellen ist, dass sich mit diesen Maßnahmen floristischvegetationskundliche Naturschutzzielsetzungen erreichen lassen und auch positive Effekte für einzelne Tierartengruppen, wie z.B. für manche Heuschrecken- und Schmetterlings-Arten, anzunehmen sind. Für die Braunkehlchen leisten die Maßnahmen aber keinen entscheidenden Beitrag zur Verbesserungen der defizitären Habitatstrukturen. Die für das Untere Ammertal entwickelten Szenarien für die Lebensraumoptimierung einer überlebensfähigen lokalen Population des Braunkehlchens belaufen sich kostenmäßig für Szenario II auf jährlich 28 000 bzw. rund 55 000 € für Szenario III. Nüchtern betrachtet ist es angesichts der desolaten finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte völlig utopisch, davon auszugehen, dass selbst Bruchteile dieser Summen je zur Verfügung stehen werden. Und selbst bei theoretischer Verfügbarkeit dieser Finanzmittel würden die notwendigen großflächigen Extensivierungen und die Rückführungen von Acker- zu Grünland aufgrund betrieblicher Zwänge und einer fehlenden Motivationsbereitschaft bei den Landnutzern sehr wahrscheinlich scheitern. Für die verbliebene Restpopulation des Braunkehlchens im Unteren Ammertal ist die Entscheidung für die zukünftige Entwicklung damit vermutlich vorgegeben: Die Art wird als regionaler Brutvogel aussterben, was jährlich eintreten kann. Weder der Rote Liste Status noch Verpflichtungen, die aus internationalen Übereinkünften resultieren, werden diese absehbare Entwicklung beeinflussen. Die Funktion des Braunkehlchens als ökologische Leitart lässt vermuten, dass mit dem regionalen Aussterben dieser Vogelart dokumentiert wird, dass ungezählte weitere Organismen ebenfalls verschwinden, ja schon verschwunden sind. Die Beschreibung zum Status von Artenschutzmaßnahmen und ihrer kommunikativen Problemlage am Beispiel des Braunkehlches im Ammertal bei Tübingen ist kein singulärer Zustand für Baden-Württemberg oder Deutschland und könnte allein für die Vogelwelt um zahlreiche weitere Arten ergänzt werden. Beispiele für Süddeutschland sind: Raufusshühner (Auerhuhn, Birkhuhn und Haselhuhn), Brachvogel, Wachtelkönig, Wiedehopf, Steinkauz oder Raubwürger. Nur verlaufen die Prozesse, die zum regionalen Aussterben einer Spezies führen, in aller Regel unbekannt, weil sie nicht durch ein regelmäßiges Monitoring begleitet werden. So lange Arten noch in zählbaren Exemplaren regelmäßig auftreten, sind sie – politisch gesehen – noch nicht ausgestorben. Aus nüchterner ökologischer Sicht ist jedoch bei Berücksichtigung der artspezifisch vorgegebenen Fakten diese Entscheidung bereits getroffen: Viele Arten werden aus immer größer werdenden Raumausschnitten verschwinden. Das fragmentierte Vorkommen 76 zahlreicher Arten mit Restpopulationen, die vielfach schon lange keine positiven Reproduktionskennziffern mehr aufweisen und populationsökolgisch nur noch als unselbständige Satelitenpopulationen gewertet werden können, begründet objektiv diese Kausalität. Der naturschutzpolitische Umgang mit diesem Sachverhalt ist bislang einfach: Das Vorkommen einer Art wird dann auf eine höhere räumlich-geographische Abstraktionsebene gehoben und existiert dann weiter. Vom ethischen Standpunkt gesehen sind der gesellschaftliche Sympathiewert für Arten- und Lebensraumschutz und die finanziellen Möglichkeiten (wieder einmal) auf einem Tiefstand angelangt. Zudem wird ein Großteil der (noch) vorhandenen personellen und monetären Ressourcen für administrative Aufgaben verbraucht. Die Kartierung von Biotopen, die Auswahl von FFH-Gebieten, die Aufstellung von Managementplänen für designierte NATURA 2000 Gebiete, das administrative Management der FFH- und SPA-Gebiete (z.B. Berichtspflichten) und die Bearbeitung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen sind wichtig, aber damit allein ist kaum praktischer Nutzen für die eigentlichen Naturschutzziele, das heißt dem konkreten Schutz von Arten und Lebensräumen, verbunden. Im Unteren Ammertal hätte für ein sinnvolles Schutzkonzept für das Braunkehlchen schon vor zwei Jahrzehnten ein synergistischer Prozess aus ausreichenden und sinnvollen Finanzmitteln in Verbindung mit wirkungsvollen Kommunikationsstrategien einsetzen müssen. In Baden-Württemberg wird durch die laufende Verwaltungsreform unter anderem auch die Landwirtschaftsund Naturschutzverwaltung als eigenständig agierende Fachverwaltung zum Jahr 2005 aufgelöst. Ob in den aufnehmenden Strukturen, den Landratsämtern und Regierungspräsidien, dann abgesehen von vorhandenen Finanzmitteln, Arbeitsvalenzen oder überhaupt Interessen für innovatives und kommunikations-orientiertes Projektmanagement im Naturschutz bestehen werden, ist mehr als fraglich. Der vorliegende Aufsatz schließt daher nicht mit einem positiven Resümee. Es muss sogar illusionslos die Frage gestellt werden, ob es in Gebieten wie dem Unteren Ammertal weiterhin Sinn macht, Schutzkonzepte, zumindest mit der Zielart Braunkehlchen, zu begründen. Der Aufsatz will aber im Positiven Empfehlungen für Artenschutzprojekte geben, wo (noch) erfolgversprechende Rahmenbedingungen vorhanden sind. Dank Wir bedanken uns bei Frau Dipl.-Ing. (FH) Renate Müßler vom Amt für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur (ALLB) Rottenburg für die Bereitstellung und Diskussion von wichtigen Daten, bei Herrn Dipl.-Ing. (FH) Lars Ostertag (FH Rottenburg) für die Erstellung der Graphiken und besonders bei Herrn Helmut Rebstock (Balingen) für die Bereitstellung der wundervollen Braunkehlchenbilder. Literatur AMLER, K., BAHL, A., HENLE, K., KAULE, G., POSCHLOD, P., SETTELE, J. (1999): Populationsbiologie in der Naturschutzpraxis – Isolation, Flächenbedarf und Biotopansprüche von Pflanzen und Tieren. Ulmer, Stuttgart. AMMERMANN, I., SÜSSER, M. & WEIßBECKER, V. 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AKTUELLES Schreiadler-Hilfe Hamburg (DWS). Kaum mehr als 100 Brutpaare des Schreiadlers, der auch als Pommernadler bekannt ist, gibt es noch in Deutschland, drei Viertel davon in Mecklenburg- Vorpommern. Für die Deutsche Wildtier Stiftung war das der wichtigste Grund, ein Schutzprojekt für den Greifvogel zu unterstützen. Während sich die Bestände anderer Greifvogelarten wie See- oder Steinadler allmählich erholten, drohe der Schreiadler in Deutschland ganz zu verschwinden. Dem störempfindlichen Vogel machten die Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft schwer zu schaffen. Wenn aus nur extensiv genutztem Wiesen und Weiden Mais- oder Getreideäcker werden, fänden die kleinen Adler nicht mehr genügend Nahrung, um ihren Nachwuchs – meist nur einen Jungvogel pro Brut – groß zu ziehen. Hinzu komme die Zerschneidung seiner Lebensräume durch Verkehr und Straßenbau. Die strukturreiche nordvorpommersche Waldlandschaft bietee, so die DWS, mit ihrem reifen Bestand verschiedener Laubhölzer und den angrenzenden Feuchtwiesen ideale Lebensbedingungen für den Schreiadler. In Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Amt für Umwelt und Natur in Stralsund und der Landgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern würde im Rahmen eines Moorschutzprogramms eine Fläche von 1 200 ha Größe des Unteren Recknitztales im Osten Mecklenburg-Vorpommerns wiedervernässt. Andere Flächen würden mit den örtlichen Landwirten als Jagdrevier für den Schreiadler gepflegt. Hinzu komme Öffentlichkeitsarbeit. Luchs in Sachsen Dresden (SMUL). „Der Luchs ist wieder da!“, meldete das sächsische Umweltministerium: Spuren im Schnee zeigten, dass die größte heimische Wildkatze auch in Sachsen wieder zu Hause sei. Die Tiere seien über die Westkarpaten und das Altvatergebirge sowie den Böhmer- und den Bayerischen Wald nach Sachsen eingewandert. Vor allem in der Sächsischen Schweiz, im Vogtland sowie im Osterzgebirge und dem Westlausitzer Bergland seien schon mehrfach Spuren gesichtet worden. Von einer sicheren Population in Sachsen könne jedoch noch nicht gesprochen werden. „Damit sich die Wildkatze wieder dauerhaft in der Region ansiedeln und vermehren kann, ist es notwendig, ihre Lebensräume zu erhalten und weiter zu entwickeln“, sagte Umweltminister Flath. Großräumige, unzerschnittene und reich strukturierte Waldgebiete mit Dickichten, Altholzinseln und felsigen Hängen böten ideale Lebensbedingungen für die Tiere. Im Jahr 1743 sei in Sachsen der letzte Luchs erlegt worden. Noch zwischen 1656 und 1680 seien es etwa 190 Tiere gewesen. Durch stärkere Bejagung und intensive Nutzung der Wälder sei die Wildkatze aus Sachsen verdrängt worden. In den 1960er-Jahren konnten erstmals wieder Luchse beim Streifzug durch das Elbsandsteingebirge gesichtet werden. Mahd für Brachen? Hamburg (DWS). Die Pflicht zum jährlichen Mähen und Mulchen von Stilllegungsflächen ist das Todesurteil für viele Niederwildund Vogelarten. Darauf wies die Deutsche Wildtier Stiftung in Hamburg hin: Agrarflächen, die zur Begrenzung der Überproduktion stillgelegt werden oder aus ökonomischen Gründen brach fallen, böten in der heutigen Agrarlandschaft Deutschlands oft den einzigen Rückzugsraum für viele Wildtierarten. Nachdem die Reform der EU-Agrarpolitik seitens der Europäischen Union beschlossen ist, seien die EU-Mitgliedsländer gefordert, diese Reform in nationales Recht umzusetzen. Sie sieht vor, dass künftig alle Agrarzahlungen an bestimmte ökologische Mindeststandards gebunden sein müssen. Der zurzeit diskutierte Gesetzentwurf in Deutschland beschreibe diese Mindeststandards. So solle u.a. künftig ein jährliches Mulchen bzw. Mähen von stillgelegten Flächen zur Pflicht werden. „Das kommt einem Todesurteil für viele Wildtiere gleich“, kritisierte Hilmar Freiherr von Münchhausen, Geschäftsführer der Deutschen Wildtier Stiftung. Erfahrungen nicht zuletzt aus dem Projekt „Lebensraum Brache“ (www.Lebensraum-Brache.de) zeigten deutlich, dass insbesondere die Stilllegungsflächen, die mit mehrjährigen blüten- und nektarreichen Ansaatmischungen begrünt werden, eine wichtige Funktion als Lebensraum für viele Tierarten in der Agrarlandschaft übernehmen. So gestaltete Flächen böten ganzjährig Nahrung und Deckung und seien gerade nach der Erntezeit und während des Winters lebenswichtige Strukturen in der Agrarlandschaft. Ein jährliches Mulchen würde diese wichtigen ökologischen Effekte zunichte machen. 77