Junge Oper - Jugendtheater.net

Transcription

Junge Oper - Jugendtheater.net
Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland
Junge Oper
Der Regisseur und Musiktheaterpädagoge Markus Kosuch und die Regisseurin Andrea Gronemeyer im Gespräch über modernes Musiktheater für junge Zuschauer
Markus Kosuch: Bei der Gründung der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart 1995
sagte ich: Kinder und Jugendliche sind das Publikum von heute. Sie haben das gleiche Anrecht auf Musiktheater wie alle anderen Zuschauer auch. Kinder und Jugendliche brauchen heute Räume, in denen sie Anregung und Nahrung bekommen, ein
eigenes Verständnis von der Welt wie sie ist und sein könnte zu entwickeln – Räume
in denen sie der Kunst und sich selbst begegnen können. Musiktheater so wie ich es
verstehe und in Stuttgart von 1995 bis 2001 oder meiner Inszenierung der Hip
H’Opera Cosi fan tutti an der Komischen Oper Berlin umgesetzt habe, ist so wertvoll,
weil Geschichten und Zustände nicht nur über Sprache, sondern auch über Musik,
Klänge, Bilder und szenische Vorgänge erzählt werden. Das Musiktheater wird von
Kindern und Jugendlichen auf allen „Kanälen“ wahrgenommen und auf ihre sehr eigene Art verstanden. Das faszinierende am Musiktheater ist, das der Zuschauer im
Gegensatz zum Film selbst entscheidet, wo er hinschaut, hinhört, hinspürt und welcher Ebene der Erzählung (Musik, Text, Szene, Bühnenbild etc.) er folgt und auf sich
wirken lässt. Nur wenn wir Kinder und Jugendliche heute als Zuschauer ernst nehmen, werden sie eventuell das Publikum von morgen. Sie als das Publikum von morgen zu instrumentalisieren, halte ich für kontraproduktiv.
Die Chancen sind sehr groß. Meine Erfahrungen, die ich in den letzten fünfzehn Jahren mit Kindern und Jugendlichen als Zuschauende und Mitwirkende gewonnen habe, sagen mir: Kinder und Jugendliche sind offen, neugierig und wissbegierig, wenn
man auf sie zugeht, sie ernst nimmt. Sie wollen nicht alles vereinfacht oder womöglich erklärt bekommen. Sie wollen die Welt selbst entdecken, im Musiktheater insbesondere die Welt der Klänge und Klangmöglichkeiten.
Kinder und Jugendliche haben ein Anrecht auf alle Formen des Musiktheaters. Musiktheater das von Komponisten heute komponiert wird, sollte alle Klangmöglichkeiten ausschöpfen und dazu gehören „harmonische“ Melodien und Klänge aus der
Klassik ebenso, wie freitonales und so genannt zeitgenössisches Material oder Elemente andere Stilistiken, insbesondere des Jazz und Hip Hop. Ich sehe große Chancen für Komponisten und Autoren, die ernsthaft eigene Erzähl- und Klangwelten erfinden, dem jungen Publikum etwas zutrauen und sich, ihre Arbeit und das junge
Publikum ernst nehmen.
Das klassische Repertoire für Kinder ist mit Kinderopern wie Ravels „Das Kind und
die Zauberdinge“ oder C. A. Cuis „Der gestiefelte Kater“ relativ überschaubar. Die
Bearbeitungen von klassischen Opern für Kinder halte ich für problematisch, weil oft
Musik und Handlung zur Eindimensionalität vereinfacht werden. Das unterfordert
Kinder. Das klassische Repertoire für Jugendliche ist absolut geeignet und es gibt
Markus Kosuch und Andrea Gronemeyer: Junge Oper
mittlerweile viele spannende Konzepte, mit Jugendlichen praktisch und erfahrungsbezogen mit Opern zu arbeiten. Die „Szenische Interpretation von Musik und Theater“ ermöglicht beispielsweise Kindern und Jugendlichen, ihre eigenen Erfahrungen
mit der Musik und Handlung eines Werks des Musiktheaters in Beziehung zu setzen.
Dabei entstehen Räume in denen Jugendliche Wahrnehmung und Sensibilität entwickeln und, solcherart neugierig gemacht, sich beim Besuch von Musiktheateraufführungen bewegen, bannen, faszinieren und befremden lassen.
Andrea Gronemeyer: Kinder sind nicht das Publikum von morgen, sondern ein Publikum von heute. Das ist ein wichtiger Leitsatz des zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters und es ist gut zu hören, dass dieser Satz auch selbstverständlich für
einen der Pioniere der Jungen-Oper-Bewegung in Deutschland ist. Gemeint ist damit
ja vor allem, dass man, wenn man Theater für Kinder macht, nicht in erster Linie darüber nachdenkt, wie man Kinder möglichst effektiv auf darauf trimmt, eines Tages
auch treue Abonnenten und Theatergänger zu werden. Eigentlich ist ja gegen einen
solchen Zweck nichts einzuwenden, denn eine junge Oper, die nicht auch nachhaltiges Interesse an der Kunst des Musiktheaters weckt, kann wohl kaum gute Arbeit
geleistet haben. Das Beharren auf dem Recht der Kinder als einem „Publikum von
heute“ ist allerdings wohl eher ein kritischer Reflex auf die weit verbreitete Auffassung, dass es im Musiktheater für junge Menschen in erster Linie darum gehen soll,
Kinder und Jugendliche für das klassische Repertoire und die traditionellen Präsentationsformen und Produktionsweisen der Institution Oper und ihrer Rituale zu begeistern. In diesem Zusammenhang wird auch gerne das wenig lustvoll klingende Verb
„heranführen“ benutzt. Betrachtet man die Spielpläne der Opernhäuser scheint es
freilich tatsächlich weniger um die Entwicklung einer Kunst für junge Menschen zu
gehen, wie Sie es in Ihrem Eingangsstatement postulieren, sondern um die Ausbildung eines bestimmten Kunstverständnisses. Da finden sich vor allem auf vermeintliche Kindertauglichkeit zurechtgestutzte Versionen des klassisch-romantischen Opernrepertoires oder pädagogische Projekte, um Voraussetzungen für das Verständnis dieses Repertoires zu schaffen. Was im Kinder- und Jugendtheater der letzten
dreißig Jahre die ästhetische Diskussion bestimmte, hat freilich bisher noch kaum
Eingang in die Diskussion um das junge Publikum der Opernhäuser gefunden: Wie
erreicht man das Publikum von heute? Wie muss Musiktheater sein, damit ein Kind
etwas damit anfangen kann? Wie reagieren wir auf die alltäglich Erfahrung in der
Jungen Oper, dass Kinder die Kunststimmen der Oper keinesfalls immer genießen,
sondern sich gerne mal die Ohren zuhalten? Sie sprechen ganz richtig die große Offenheit von Kindern für zeitgenössische Musik an und mir ganz und gar aus der Seele, wenn Sie sagen, dass Kinder sich nichts erklären lassen, sondern viel lieber
selbst entdecken wollen. Was bedeutet das nun aber für die Entwicklung eines Musiktheaters für junges Publikum? Ich meine, wir müssen zunächst einmal die Bedeutung des Librettos für das Musiktheater aufwerten. Kinder ernst zu nehmen, fängt
damit an, dass man ihnen Geschichten erzählt, die sich ernsthaft mit ihren Fragen an
das Leben und die Welt beschäftigen und von ihrer Erfahrungswelt ausgehen. Die
wenigsten Stoffe des Repertoires können das leisten und bei den seltenen neuen
Stücken, die speziell für Kinder komponiert wurden, gibt es ein trauriges Missverhältnis zwischen anspruchsvoller Musik und eher banalem, oft albernem und kindertümelndem Inhalt zu beklagen. Ich würde mir eine junge Oper wünschen, die neben
www.jugendtheater.net
Seite 2 von 5
Markus Kosuch und Andrea Gronemeyer: Junge Oper
der Musik auch den Text sorgfältig behandelt und ernsthaft versucht, mit Musik für
das Publikum relevante Geschichten zu erzählen. Dasselbe gilt natürlich auch für die
anderen beteiligten Künste. Kinder ernst nehmen heißt, ihnen im Musiktheater Darstellungskunst,
bildnerische
Kunst,
kompositorische
und
musikalischinterpretatorische Kunst von höchster Qualität zu bieten. Aber was ist Qualität für
Kinder? Es überrascht mich immer wieder, in welchem Maße Regisseure und Ausstatter ihre eigenen Qualitätsmaßstäbe völlig verraten, sobald sie für Kinder produzieren und sich kindisch zu freuen scheinen, wenn sie aus falsch verstandener Hinwendung zum jungen Publikum so richtig tief in die Kitsch- und Klischeekiste greifen.
Polemik beiseite: Kinder können Kunst verstehen, dem würde heute niemand ernsthaft widersprechen, aber Kunst für Kinder machen heißt auch zu beachten, dass ihr
Horizont und ihre Erfahrungen begrenzt sind – mit der Welt ebenso wie mit der
Kunst. Kinder sind nämlich gar kein kritisches Publikum, man kann sie mit Kitsch ebenso begeistern wie mit Kunst, man kann sie mit Mangelhaftem unterhalten, weil
sich ihr Qualitätsbewusstsein ja erst durch Erfahrung von Qualität herausbilden kann.
Musiktheater für Kinder ist also immer auch Bildungsarbeit. Entscheidend ist jedoch,
ob wir durch Erklärung und Belehrung, durch Vereinfachung und Illustrativer Verdopplung bilden oder indem wir die Kinder durch die ihren Erfahrungen entsprechenden Geheimnisse und Rätsel, auch durch ein gewisses Maß an Überforderung etwas
entdecken lassen?
M. K.: Das ist aus meiner Sicht eine der zentralen Fragen, die ich klar beantworten
kann: Wir sollten ihre Neugierde wecken und ihnen zutrauen, dass sie die (musikalische) Welt selbst entdecken, Rätsel und Geheimnisse lösen können und wollen!
A. G.: Und um genau das zu erreichen, brauchen wir ein neues Kindermusiktheater,
dass durch eine eigenständige auf die Kinder ausgerichtete Qualität für die Oper begeistert. Ich bin fest davon überzeugt, dass gutes Kindermusiktheater mehr und
nachhaltiger für das Musiktheater begeistern kann als die beste pädagogische Heranführung an das klassisch-romantische Repertoire. Wir brauchen also neue musiktheatrale Formen, die Kinder auf eine anspruchsvolle Weise fordern und weiterbringen. Das Kinder- und Jugendtheater hat das für das Sprechtheater in den letzten
dreißig Jahren vorgemacht und ich glaube im Kindermusiktheater können wir von der
ästhetischen Diskussion, die dort so engagiert geführt wird, profitieren. In Mannheim
ist aus diesem Grund die Junge Oper als spartenübergreifendes Unternehmen zwischen der Oper und dem „Schnawwl“, der Kinder- und Jugendtheatersparte des Nationaltheaters, gegründet worden. Wir haben uns vorgenommen, die traditionelle
Form der Oper in Frage zu stellen und mit neu entwickelten Stücken und auf der
Probe entstehenden Kompositionen auch neu zu erfinden. So kann man zum Beispiel fragen: Muss in der Oper der Text nur gesungen werden? Eignet sich das Ideal
der durchkomponierten, emotionstarken aber handlungsarmen Oper spätromantischer Prägung überhaupt für das Kindertheater? Müssen wir die klassische Form der
Oper überhaupt erhalten oder geht es nicht viel mehr um Erweiterungen des Genres
im produktiven Crossover mit dem Sprech-, Tanz- und Materialtheater und dem Instrumentalen Theater? Welche Rollen können die Instrumentalisten spielen? Kann in
der Oper nicht auch das Entstehen von Klang wieder sichtbar gemacht werden?
Kann man Musik für Kinder schreiben ohne sich künstlerisch einzuengen? Was sind
www.jugendtheater.net
Seite 3 von 5
Markus Kosuch und Andrea Gronemeyer: Junge Oper
die Unterschiede im Komponieren für Kinder und für Erwachsene? Wie steht es um
Tonalität und Puls, um Durchhörbarkeit und vermeintliche Semantik? Das sind Fragen, die mich brennend interessieren und denen ich in enger Zusammenarbeit mit
Komponisten in neuen Projekten auf den Grund gehen will. Ich glaube, dass wir eine
enge Zusammenarbeit zwischen Librettisten, Komponisten, Regisseuren, Dramaturgen und Musiktheaterpädagogen und auch der Interpreten bei der Entwicklung eines
Musiktheaters für Kinder und Jugendliche und deshalb auch unbedingt vollkommen
andere Produktionsbedingungen brauchen, als sie in der Oper heute üblich sind.
M. K.: Mir gefällt Ihre fragende Haltung, die eine treibende Produktivkraft in der Entwicklung eines Musiktheaters für und mit Kindern und Jugendlichen sein kann. Neben dieser fragenden Grundhaltung, finde ich es wichtig, dass wir als Künstler und
Produzenten versuchen, diese Fragen mit konkreten Projekten zu beantworten und
dabei in einen engen Dialog mit dem Publikum treten. In Projekten wie „Erlebnisraum
Oper“ (Staatsoper Stuttgart), „Oper jung“ (Komischen Oper Berlin) und „Oper│leben“
(Staatsoper Berlin) wird das Publikum an der Auseinandersetzung mit diesen Fragen
beteiligt und den Künstler die Möglichkeit geboten ihr Publikum bewusst kennen zu
lernen.
A. G.: Ich habe tatsächlich den Eindruck, das der Bereich der Musiktheaterpädagogik, dass heißt die Projekte die das junge Publikum auch als Mitwirkende beteiligen,
auf einem sehr viel höheren Entwicklungsstand sind als das Kindermusiktheater
selbst. Ich bin überzeugt, dass Kinder und Jugendliche, die das Medium durchs Selbermachen kennen lernen dürfen, nachhaltig für diese Kunst gewonnen werden können. Ich habe aber auch den Eindruck, dass bei einer großen Zahl dieser Projekte
eher gut Gemeintes als gut Gemachtes herauskommt. Ich fürchte, manche Intendanten beschränken ihre Bemühungen um das junge Publikum noch zu sehr auf theaterpädagogische Projekte. Es ist aber an der Zeit , größere Anstrengen auch für eine
professionelle Musiktheaterkunst für Kinder zu unternehmen und dafür muss bedeutender Teil der finanziellen Mittel an den Häusern ins Kindermusiktheater investiert
werden.
M. K.: Mir gefällt ausgesprochen gut, dass Sie auch die Produktionsbedingungen und
die enge Zusammenarbeit der Künstlern ansprechen. Hier sehe ich eine große Verantwortung bei den Intendanten, die langsam zu verstehen beginnen, dass Kinderund Jugendarbeit nicht ein Anhängsel der Marketingabteilung sein darf, sondern ins
Zentrum der Theaterarbeit gehört, am Besten eben in einer eigenständigen Sparte.
A. G.: Was die Existenz von eigenständigen Sparten für die Entwicklung einer neuen
Gattung bedeuten kann, sieht man an den Kinder- und Jugendtheatersparten der
Sprechtheater, hier sind im geschützten Rahmen autonomer Sparten mit eigenen
Ensembles große künstlerische Fortschritte gemacht und ein eigenes Repertoire
entwickelt worden. Es wäre ein Traum, wenn auch das Kindermusiktheater einen
solchen Freiraum für seine Entwicklung bekäme. Sie teilen sicher meine Erfahrung,
dass es äußerst schwer und unerquicklich sein kann, viel beschäftigte und ambitionierte Sänger und Orchestermusiker aus den engen Produktionszwängen der großen
Opernhäuser herauszueisen und für die mühevolle und wenig Ruhm versprechende
Arbeit bei der Entwicklung neuen Kindermusiktheaters zu begeistern.
www.jugendtheater.net
Seite 4 von 5
Markus Kosuch und Andrea Gronemeyer: Junge Oper
Ob ein solches mit Anleihen aus der Popmusik entstehen kann bezweifle ich jedoch.
Kinder üben sich heute schon sehr früh darin, Musik nebenbei zu konsumieren.
Wenn man Musik im Theater vom emotionalen Gleitmittel wieder zum dramatischen
Protagonisten emanzipieren will, sollte man auf Ungewohntes setzen, auf Überraschungen, die zum Hinhören verleiten und das Spektrum von dem was Musik und
Klang ist erweitern.
M. K.: Die Auffassung teile ich. Wenn man sich aber mit solchen Musikströmungen
wie Jazz und Hip Hop künstlerisch auseinander setzt, wie wir es beispielsweise im
cross culture projekt „Hip H’Opera Così van tutti“ an der Komischen Oper Berlin gemacht haben. Die Rekomposition von Mozarts „Così fan tutte“ hat die in der Konfrontation von Klassik und HipHop beide Zuhörergruppen überrascht und zum neuen
Hinhören verleitet.
© Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt
am Main und Berlin
Der Text ist in englischer Sprache erschienen in "IXYPSILONZETT" Magazin für Kinder- und Jugendtheater, Heft 1, 2008
www.jugendtheater.net
Seite 5 von 5