Die Strategien aus Elterntrainings finden ihren We

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Die Strategien aus Elterntrainings finden ihren We
Lerntherapie in der schulischen Praxis.
Umgang mit Unterrichtsstörungen –
Die Strategien aus Elterntrainings finden ihren Weg ins Klassenzimmer
Abschlussarbeit im Rahmen der Ausbildung „Lerntherapeut/in IFLW“
beim Institut für integratives Lernen und Weiterbildung (IFLW) – www.iflw.de
Nicola Ihde-Soltysiak
Willinghusener Birkenweg 9
22885 Barsbüttel
Tel: 040/308 909 86
E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
S.
3
Anlass und Fragestellung
S.
4
2.0.
Die Ausgangslage
S. 05
2.1.
Der schulische Hintergrund
S. 05
2.2.
Die Klasse H9a
S. 06
3.0
Störendes Verhalten
S. 08
3.1
Störendes Verhalten im Unterricht – hausgemacht
S. 08
3.2
Wann ist ein Kind ein Problemkind?
S. 10
3.3
Das Lehrerverhalten hat mehr Einfluss als erwartet
S. 12
4.0
Umgang mit störendem Verhalten
S. 15
4.1
Selbstgemachte Unterrichtsfallen
S. 16
4.2
Wir belohnen unerwünschtes Verhalten
S. 16
4.3
Wir ignorieren erwünschtes Verhalten
S. 17
4.4
Eskalationsfallen
S. 17
4.5
Der Gebrauch ungünstiger Anweisungen
S. 18
4.6
Negative emotionale Mitteilungen
S. 19
4.7
Anderen zusehen
S. 19
5.0
Erziehungsstrategien im unterrichtenden Kontext
S. 20
5.1
Vergleich von Erziehungstrainings
S. 20
5.2
Anwendung der Programme
S. 23
5.3
Bausteine eines gezielten Trainings
S. 24
5.4
Zusammenstellung der Gruppe
S. 24
5.5.
Räumlichkeiten
S. 25
5.6
Das therapeutische Verfahren
S. 26
5.6.1
Kognitives Modellieren
S. 26
5.6.2
Einüben des Verhaltens
S. 27
5.6.3
Operante Verstärker
S. 28
6.0
Strategien im Klassenzimmer
S. 29
7.0
Zusätzliche Bedingungen, um das Lernen zu fördern
S. 32
8.0
Fazit
S. 34
9.0
Literatur
S. 36
1.0
Einleitung
2
Vorwort
Ich bin Grund-, Haupt- und Realschullehrerin und unterrichte seit etwa zehn Jahren in Hamburger Schulen, davon überwiegend in der Sekundarstufe I.
Meinen Beruf habe ich aus Überzeugung gewählt und ebenso bin ich bemüht ihn weiter auszugestalten.
Trotz pädagogischen, didaktischen und fachbezogenen Studiums war ich auf die Praxis wenig
eingestellt. Auch das Referat war wenig geeignet, mich auf die wirklichen Herausforderungen
der Lehrtätigkeit vorzubereiten. Dennoch hatte ich einen gewissen Vorteil, der sich aus der
vermeintlichen Hyperaktivität meines Sohnes ergab. Durch die Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe konnte ich mich frühzeitig über lerntherapeutische Themen informieren. Dieses hatte
automatisch Auswirkung auf meinen Unterrichtsstil, der durch Fördern und Fordern, Zuneigung, Zutrauen und Disziplin geprägt ist.
Ehrlicherweise muss ich zugestehen, dass diese Eigenschaften erst undifferenziert waren. Das
Erleben, dass das Unterrichten zuerst aus Try - and Errorversuchen bestand bis zur intensiven
Auseinandersetzung mit Verhaltensauffälligkeiten, Teilleistungsstörungen und neuen Unterrichtsideen, hin zur Entwicklung eines konstruktiven Unterrichtskonzeptes.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass diese Entwicklung in einer lerntherapeutischen Ausbildung mündete.
Dieser Weg ist nicht immer geradlinig gewesen, sondern orientierte sich an meinem Bedürfnis, Problematiken zu verstehen und verändern zu wollen.
Dadurch hat sich zwangsläufig auch mein Blick auf die gängige Unterrichtspraxis verändert
und mein Umgang mit ihr.
Als Folge dessen erscheint mir eine kritische Auseinandersetzung mit dem System nötig. Diese sollte jedoch als Anregung verstanden werden, denn als Vorwurf.
3
1.0 Einleitung
Anlass und Fragestellung
März 2006
Diese Abschlussarbeit ist durch meine praktische Arbeit autobiographisch geprägt.
Die lerntherapeutische Ausbildung hat in mir die Erkenntnis gefestigt, dass viele Aspekte unmittelbar zur Lehrerausbildung gehören sollten, um unserer vielfältigen Schülerschaft gerecht
zu werden und souverän mit vielfältigen Situationen umgehen zu können.
Natürlich könnte ich Einblicke zu diversen Themen der Lerntherapie und ihrer möglichen
Umsetzung im System Schule geben, das würde jedoch weit über den gesetzten Rahmen der
Arbeit hinausgehen.
Das Thema dieser Arbeit ist der Umgang mit Unterrichtsstörungen.
Das Thema begegnet jedem Lehrenden täglich in seiner Tätigkeit und ist regelmäßiges Gesprächsthema in den Pausen. Auffällig ist, dass sich Lehrende überwiegend über Negatives,
denn über Positives austauschen. Gleichwohl ist in jedem der Wunsch spürbar, erfolgreich in
seiner Tätigkeit sein zu wollen.
Dieser Wunsch ist oftmals verbunden mit einem aktiven Arbeitsdrang. Das und die wiederholte Konfrontation mit verhaltensauffälligen Schülern, dem Erleben, das der Unterrichtsstoff
kaum zu bewältigen ist, Eltern immer weniger erreichbar sind, das Gefühl zu scheitern usw.
führt letztendlich in eine Spirale, die nicht selten im Burnout-Syndrom endet.
Meine Überlegungen durch meine Tätigkeit gehen dahin, dass sich ein Großteil von Stress
vermeiden ließe, wenn KollegInnen versierter im Umgang mit Unterrichtsstörungen wären.
Meine These ist, dass sich allein dadurch der tägliche Stress nahezu um die Hälfte verringern
ließe. Diese Einschätzung beruht auf der Einbindung von Strategien aus Elterntrainingsprogrammen, die ich im Unterricht umgesetzt habe und deren Entlastung ich an mir selbst erfahren konnte.
Die Fragestellung ist daher, wie Strategien aus Elterntrainingsprogrammen erfolgreich im
Unterricht genutzt werden können unter Berücksichtigung einschlägiger Programme.
Es werden im Folgenden Ursachen für Unterrichtsstörungen dargestellt und der Begriff Problemkind erörtert. Im Vordergrund steht die Rolle des Lehrenden. Des Weiteren werden Erziehungstraining vorgestellt und wie sie im schulischen Kontext eingebunden werden können.
Einzelne unterrichtstypische Situationen werden dargestellt unterer Einbindung von exemplarischen Strategien aus Elterntrainings, aber auch aufgezeigt, wo sie sich als problematisch
erweisen können.
4
2.0 Die Ausgangslage
Zuvor erscheint es mir sinnvoll, meine Ausgangslage zu schildern um einen Eindruck zu vermitteln, warum ein verändertes Lehrerverhalten zu Störungen wichtig ist, nicht nur unter dem
Aspekt der Lehrergesundheit, sondern auch unter dem Aspekt Schule als System.
Ich bin mit sicher, dass meine Ausgangslage auf andere Schulen durchaus übertragbar sind.
2.1 Der schulische Hintergrund
Unsere Schule liegt im Osten von Hamburg, in einem eher normkonservativen Stadtteil. Der
Stadtteil wird als Dorf bezeichnet, da er geringfügige Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr hat. Dadurch wirkt der Stadtteil isoliert.
Er bietet wenige Freizeitmöglichkeiten und auch der Stadtkern wirkt wenig besucht und leer.
Obwohl der Stadtteil Rahlstedt als wohlhabend zu bezeichnen wäre, ist die Schülerschaft äußerst heterogen.
Die uns angeschlossene Grundschule entlässt nahezu 80 Prozent ihrer Schülerschaft an die
umliegenden Gymnasien. Das hat Auswirkungen auf die Gestaltung der Sekundarstufe I.
In diesem Jahr werden nur acht Schüler unserer Grundschule in die 5. Klasse übergehen. Die
restlichen Anmeldungen kommen aus benachbarten Stadtteilen. Diese sind soziale Brennpunkte. Einer davon, der Stadtteil Jenfeld, hat durch den Fall „Jessica“ traurige Berühmtheit
in Deutschland erlangt.
Wie in anderen Großstädten auch haben Schulen entsprechend mit den Besonderheiten sozialer Brennpunkte zu kämpfen: Bildungsferne Elternhäuser, soziale Verwahrlosung, Schulabsentismus, das Abgleiten in Kriminalität oder Sucht, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Hinzu kommt, dass ein Behördensystem existiert, dass ein schnelles Handeln eher verhindert.
Die sozialen Dienste, die Regionale Beratungs- und Unterstützungsstelle (REBUS) sind zwar
direkte Ansprechpartner von Schulen aber personell unterbesetzt, um den ständig wachsenden
Strom problematischer Schüler Herr zu werden. Darüber hinaus mangelt es an Schulpsychologen1, Sozialpädagogen und ausreichenden therapeutischen Stellen.2
1
Auf 1500 Schüler kommt ein Schulpsychologe, pro Schule gibt es eine Beratungslehrerin, die zwischen 350 bis
600 Schüler betreut.
2
Die Auszüge einer Berliner Untersuchung belegen ein Potential verhaltensauffälliger Schüler von 18% Krowatschek, Dieter; Krowatschek, Gita; Wingert, Gordon: Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes und Neues: ein
Erziehungsprogramm aus der Praxis. AOL-Verlag S 18.
5
Ich könnte jetzt natürlich in die alte Leier zurückfallen und jammern, wie schwierig und aufreibend das alles ist, das halte ich jedoch für kontraproduktiv. Natürlich ist es schwer, aber
diese Methode des Jammern und des Verharrens darin wird nicht dazu führen, dass sich an
der Arbeit und dem Umgehen mit Schülern etwas verändert. Das Begreifen, dass es eine Herausforderung ist und Möglichkeiten bestehen auch unter besonderen Bedingungen Schulleben und Unterricht zu gestalten war und ist für mich Anreiz mich immer wieder mit den
Schülern darüber auseinanderzusetzen. Notwendigerweise ist es daher, sich fortzubilden.
Nach wie vor besteht bei vielen Lehrkräften ein Mangel an psychologischen Grundkenntnissen, an Gesprächsführung, Einsicht in der Entstehung von Konflikten und einer inneren Haltung, sich auf die Bedürfnisse der Schülerschaft einzustellen.
2.2 Die Klasse H9a
In der H9a unterrichte ich als Klassenlehrerin seit 2003.
Die von mir unterrichteten Fächer sind Deutsch, Englisch, Biologie, Geschichte, Arbeitslehre
bzw. Berufsorientierung, und Streitschlichtung.
Meine Fächerkombination ermöglicht es, dass ich mehr als 14 Stunden in der eigenen Klasse
unterrichte. Dieses lässt ein projektorientiertes Arbeiten zu. Zusätzlich kann der 45 Minutentakt der Stunden aufgehoben und Unterrichtsschwerpunkte durch Stundentausch tiefer erarbeitet werden.
Zu Beginn der 7. Klasse waren es 18 Schüler. Jetzt im Abschlussjahr sind durch Schulabgänge, Schulwechsel oder Wiederholungen nur noch 15 Schüler in der Klasse. Ähnlich sieht es in
der Parallelklasse aus.
Die Klassenstärke ist eher untypisch, da die Klassenfrequenzen zwischen 25 und 30 liegen.
Pädagogisch sollte eine Klassenfrequenz um 20 Schüler verpflichtend sein, da dies übersichtlich, zum anderen jedoch auch den Freiraum pädagogischen Handelns ermöglicht. Leider ermöglichen uns die kultusministerischen Verantwortlichen dies nicht.
Die Klassen wurden aus den drei Beobachtungsstufen zusammengesetzt3. Nachteilig war,
dass meine Kollegin und ich die Schüler nicht kannten. Daher war die Auswahl unserer Schüler zufällig.
3
Die Grundschule endet nach der 4. Klasse, anschließend gehen die Schüler für zwei Jahre, je nach Empfehlung,
auf einen der dreigliedrigen Schulzweige. Anschließend wird die Schullaufbahn Haupt- Realschule oder Gymnasium nach Notendurchschnitt festgelegt.
6
Zu Beginn der Klasse fiel mir auf, dass unsere Schüler durchaus intelligent sind, aber es an
Teilqualifikationen mangelte. Unterrichtsunterbrechungen durch Störungen und andere Verhaltensauffälligkeiten waren an der Tagesordnung.
Auch das Einfordern der Hausaufgaben artete zu einem ständigen Kampf aus und es war nur
gegen Widerstand möglich, die geforderten Unterrichtsinhalte umzusetzen. Frustriert musste
ich konstatieren, dass meine Schüler äußerst unzuverlässig waren und ich mich ratlos erlebte,
wie ich damit umzugehen hatte. Dementsprechend hagelte es Beschwerdebriefe, Telefonate,
etc., immer in der Hoffnung, dass sich durch das Einbinden der Elternschaft Verbesserungen
zeigen mögen. An dieser Stelle hört sich das ziemlich deprimiert an, war es zeitweise auch,
aber ganz hilflos war ich doch nicht.
Relativ schnell gelang es mir dann doch in der Klasse eine „Arbeitsruhe“ herzustellen und
eine respektvolle Klassengemeinschaft herzustellen.4
Hierzu konnte ich auf meine Ausbildung als Elterntrainerin zurückgreifen, denn was dort
vermittelt wird, kann doch sicherlich auch auf den Unterricht übertragen werden. Ähnlich
verhielt es sich mit anderen lerntherapeutischen Aspekten.5
4
In Anbetracht, dass sich Gruppen neu finden müssen und versuchen ihren Handlungsspielraum auszuloten ist
ein halbes Jahr schnell.
5
Innerhalb der Klasse wurden lerntherapeutische Themen aufgegriffen: Konzentrationstraining, Kinesiologie,
LRS- Material bis hin zur kompletten Unterrichtsumgestaltung – neues individualisiertes Lernen anhand von
Kompetenzrastern. Die Idee ist, dass Schüler selbstgesteuert lernen und diesen Prozess eigenverantwortlich gestalten können. Siehe hierzu auch unter dem Institut Beatenberg/Schweiz.
7
3.0 Störendes Verhalten
3.1 Störendes Verhalten im Unterricht – hausgemacht
Zu Beginn möchte ich feststellen, dass m.E. keiner meiner Schüler ADS oder ADHS hat. Ich
vermute eher, dass die Schüler auffälliges und störendes Verhalten erlernt und dieses Muster
beibehalten haben, denn sonst wäre eine Problembehebung kaum möglich oder der Einsatz
von Ritalin gegeben gewesen. Hinzu kommt erschwerend, dass auffällige Jugendliche Bündnisse mit anderen, sich ähnlich verhaltenden Schülern schließen.6
Diese Muster können durchs schulische System begünstigt werden, da auch hier inkonsistentes Verhalten, zu viele Anweisungen auf einmal oder zu wenige, eher Tadel, denn Lob und
ungünstige Strafen und Belohnungen an der Tagesordnung sind.
Ungünstiges Verhalten wird erlernt und häufig sind wir Eltern und Lehrer an der Ausprägung
dieses Verhaltens direkt beteiligt. Daher ist es umso dringender rechtzeitig problematisches
Verhalten anzugehen.
Prof. Dr. Kurt Hahlwege schildert es folgendermaßen:
„ Mit jeder Stufe werden die Probleme schwerwiegender und damit änderungsresistenter. Das
Entwicklungsrisiko wird erhöht durch die Häufigkeit und Vielfalt der Probleme und ihr Auftreten in unterschiedlichen Bereichen und Umgebungen (Generalisierung). Durch ein neues
Problemverhalten verschwindet nicht zwangsläufig bisherige Probleme: Mit zunehmenden
Alter kann somit eine steigende Anzahl von Problemverhaltensweisen auftreten (Diversifkation).“7
Wir benötigen Strategien, positives Verhalten zu fördern und angemessen auf nicht erwünschtes Verhalten zu reagieren. Das verlangt uns Konsequenz ab, aber ohne Konsequenzen gäbe
es nur noch Laisser-faire. Vernünftig eingesetzte Konsequenzen führen zu Autorität.8
Konsequentes Verhalten oder Disziplin wird gesellschaftlich häufig mit Strafen oder Dressur
gleichgesetzt. Unter Disziplin versteht Krowatschek, bezogen auf den Unterricht: Mitarbeit,
Anstrengungsbereitschaft, gegenseitige Akzeptanz und Respekt, Regel - und Sozialverhal-
6
Hahlwege, Prof. Dr. Kurt: Prävention von kindlichen Verhaltensstörungen. Bevor das Kind in den Brunnen
fällt. In: Deutsch, W. Wenglorz, M (Hrsg.) (2001). Zentrale Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart: Klett-Cotta. S.4
7
Ebenda: S. 4
8
Den vielfach diskutierten Begriff Autorität möchte ich hier nicht näher ausführen. Anzumerken ist jedoch, dass
autoritative Erziehungskonzepte in ihrer Wirksamkeit bestätigt werden und Kinder als zufriedener und kooperativer erlebt werden. Die von mir angewendeten Strategien beruhen auf dem Triple P Konzept, deren Strategien
sich auch bei Krowatschek, Döpfner und Lauth und Schlottke wieder finden lassen. Egal welches Konzept angewendet wird, ist es doch hauptsächlich überhaupt angemessen reagieren zu können und damit ein Vorbild zu
geben. Mittlerweile konnte ich zu Dieter Krowatschek Kontakt herstellen, der mir in ähnlicher Weise antwortete.
8
ten9. In der Pädagogik bedeutet es, unmittelbar auf Verhalten zu reagieren, im positiven wie
im negativen Sinne. Nur durch konsequentes Verhalten unsererseits erleben uns Kinder als
berechenbare Individuen, die meinen was sie sagen und tun. Der Schwerpunkt der von uns
angewendeten Konsequenz soll sein, dass erwünschtes positives Verhalten gefördert wird.
Ebenso sollten wir den Kindern positiv und offen begegnen.
Häufig genug erfahren Kinder, dass sie aufgrund bestimmter Verhaltensweisen stigmatisiert
werden. Ihr Bemühen um Besserung wird oft genug übersehen und bleibt ungewürdigt. Kein
Wunder also, wenn Kinder frustriert sind und resigniert ihrem von ihnen erwarteten Status
entsprechen.
Dieses Resignieren hat gravierende Folgen. Schüler mit einer guten Grundintelligenz landen
in der Hauptschule, nicht etwa weil sie Hauptschüler sind, sondern weil sie als nicht unterrichtbar eingestuft wurden. Hier ist eine maßgebliche Diskrepanz im System Schule zu sehen.
Anstatt zu fördern wird ge- und überfordert und anschließend abqualifiziert. Das probateste
Mittel sind Noten und dann kann die schulische Laufbahn sehr schnell abwärts gehen: Vom
Gymnasium zur Realschule, weiter runter in die Hauptschule. Gelegentlich erweckt das den
Eindruck, als ob Lehrende nicht schnell genug abwarten können, bis Schüler ihre Vollzeitschulpflicht erfüllt hätten. Das was danach folgt ist nicht mehr ihr Problem. Manch meiner
Kollegen würde dies als polemisch erachten, dennoch ist es Teil der Schulrealität. Hier
scheint Pädagogik ein Fremdwort zu sein.
Eigentlich sollte der Leitgedanke unseres Handels doch sein, immer die Würde des Kindes zu
wahren und es nicht zu diskriminieren. Dieser Gedanke ist sowohl im Grundgesetz als auch in
jedem Schulgesetz wieder zu finden. Dieses bekommt einen schalen Beigeschmack, wenn
wir kritisch die Realität im schulischen Alltag betrachten.
Ja, auch ich muss zugeben, so verfahren zu haben. Ich selber kenne die Äußerungen, die man
von sich gibt, um seine Handlungen zu rechtfertigen. „Schuld haben die Kinder, weil….“,
„die Eltern, weil…..“, „die Behörde, weil…..“.
Fühlt man sich deswegen besser? Wohl kaum. Das innere Gefühl, dass man selber etwas
falsch gemacht hat bleibt, wird dann aber konsequent verdrängt. Eine Schutzhaltung, denn
ohne diese müsste man selber etwas verändern – unmöglich, da wir doch intellektuell unserem Klientel überlegen sind. Schließlich wissen wir doch was das Beste ist, ... .
So gesehen kann daraus eine argumentatorische Spirale aussehen, die letztendlich zu Stress
führt. Das kann nicht gesund sein.
9
Krowatschek, Dieter; Krowatschek, Gita; Wingert, Gordon: Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes und Neues: ein Erziehungsprogramm aus der Praxis. AOL-Verlag S. 30
9
3.2 Wann ist ein Kind ein Problemkind?
Durch die Arbeit an dieser Frage musste ich feststellen, dass die Frage sehr zu subjektiven
Äußerungen, begleitet von vielen subjektiven Empfindungen führt. Eigentlich muss jeder
Lehrender diese Frage für sich selber inhaltlich klären.
Mir war es in diesem Zusammenhang hilfreich, mich mit meinem eigenen pädagogischen
Handeln auseinanderzusetzen. Die Leitfrage ist, ob ich professionell arbeite.
Unter professionellem Handeln versteht Olga Jaumann-Graummann:
„Pädagogisches Handeln ist nur dann professionell, wenn es auf der Basis pädagogischer,
psychologischer und soziologischer Kenntnisse reflektiert und an den im Unterricht durchgeführten systematischen Beobachtungen überprüft wird.“10
Jeder Lehrer hat ein theoretisches Grundwissen erlernt. Dazu gehören die Pädagogik, psychologische Grundkenntnisse und Didaktik. Dieses Grundgerüst
dient dazu Unterricht zu pla-
nen, vorzubereiten und durchzuführen. Jeder Lehrer muss in der Lage sein, seinen Unterricht
reflektieren und entsprechend modifizieren zu können.
Wenn unterrichtliche Diskrepanzen auftreten, gehört es Aussagen zu überprüfen. Wir sollten
vorsichtig sein, wenn wir sagen: „Ach, war ja klar, das Sebastian nicht mitgemacht hat. Der
will sich einfach nicht konzentrieren.“ Innerhalb des Lehrerberufes haben solche Aussagen
Konsequenzen, nämlich für diejenigen, über die wir solche Aussagen treffen. Haben wir hierfür Beweise oder ist es eine Theorie? Im schlimmsten Fall sind solche Aussagen unprofessionelles Verhalten.
Häufig geraten sie dann ins Rampenlicht, wenn es Probleme gibt, wenn sich Kinder im Unterricht nicht so verhalten, wie erwartet, wenn sie sich gegen die Anforderungen auflehnen,
wenn die Leistungen absinken. Die Lehrer fühlen sich unbewusst aufgefordert sich über das
Kind und seine Intentionen verbal zu äußern. Damit müssen Lehrer aber gleichzeitig ihre
Denkweise offen legen.
Je mehr wir uns bewusst sind, welche Theorien es sind, die unser pädagogisches Handeln und
Denken bestimmen, desto professioneller können wir uns äußern und verhalten.
In einer Umfrage unter Lehrern wird deutlich, dass Problemkinder Kinder sind, die eine Verhaltensstörung zeigen, die im Unterricht stören und eine Störung auf der Beziehungsebene
haben.11
10
Olga Graumann: Fordern und Fördern. „Problemkinder“ im Alltag der Grundschule. In: Bennack, Jürgen
(Hrg.): Basiswissen Grundschule, Bd. 17. Baltmannsweiler 2004, S. 8
10
Jede Definition, die Lehrer finden, haben graduelle Unterschiede. Damit haben wir Lehrer
eine Definitionsmacht. Wir können ein „normales“ Kind zu einem Problemkind machen, aufgrund subjektiver Beobachtungen, und ohne dass das Kind sich dagegen wehren kann. Wenn
wir uns dem Kind entsprechen gegenüber verhalten, können wir tatsächlich unerwünschte
Verhaltensweisen provozieren. Das Kind passt sich unseren Erwartungen an.
Wenn wir uns dieser Macht bewusst sind, können wir verantwortungsbewusst mit Begriffen
wie „verhaltensgestört“, „unbeschulbar“, etc. umgehen. Entsprechend sollten Lehrer Grundwissen über Verhaltensstörungen, ADS, usw. haben. Die Klärung von Begrifflichkeiten und
das Wissen darüber gehen vor Diagnostik und Intervention.
Professionelles handeln heißt: „Abstand nehmen vom schnellschüssigen Etikettieren, Feststellen, Definieren und zunächst und immer wieder neu die offene Frage stellen: Wo liegt das
Problem?“12 Hiermit ist eine hilfreiche Strategie gegeben, die uns zwingt das Verhalten des
Kindes objektiv zu betrachten. Wofür ist sein Verhalten Ausdruck? Warum reagiere ich auf
sein Verhalten? In welcher Beziehung stehe ich zum Kind? Wie ging es mir in der problematischen Situation? Was war vorher/hinterher? Habe ich angemessen reagiert? Hatte ich Stress,
der mein Verhalten beeinflusst? Solche Fragen können scheinbare Problemfälle schnell relativieren und reduzieren, eigenes Fehlverhalten offen legen und neue Strategien anbahnen.
Solch eine Analyse kann uns helfen tatsächliche Problemkinder zu identifizieren.
Lehrende sind Profis. Als solche sollten sie versuchen, sich selber anzunehmen. Die meisten
Probleme können sie in der Tat selber lösen, vorausgesetzt, sie sind zur Reflexion bereit. Als
Profi gehört es sich aber auch zu wissen, wo und wann sich weiterführende professionelle
Hilfe geholt wird, ohne dem Irrglauben zu verfallen, dass sie unprofessionell seien.
Ist eine Beziehungsstörung zwischen Lehrer und Kind festgestellt, so kann die Ursache nie
nur im Kind gesucht werden, sondern in der Interaktion zwischen beiden. Hier kann sie auch
nur behoben werden.
Deutet sich durch störendes Unterrichtsverhalten, Aussagen des Kindes und das seiner Eltern
tiefer liegende Probleme an, sollten weiterführende Beratungsstellen herangezogen werden.
Lehrer sollten sich aber auch eine realistische Betrachtung ihrer Arbeit aneignen und sich von
einer Phantasie generell befreien: Unterricht kann nie „störungsfrei“ sein. Sie sind Teil unserer Schulrealität. Das starre Schulsystem, veränderte soziologische Bedingungen und andere
Wertvorstellungen unserer Schülerschaft laden zu Störungen ein. Mit dieser Erkenntnis kann
Unterricht so konzipiert sein, dass er Störungen weitestgehend entgegenwirkt, aber nie voll-
11
12
Olga Graumann: Fordern und Fördern. S. 12
Ebenda. S. 37
11
ständig beseitigen wird. Hand aufs Herz: Was würden wir wohl denken, wenn alle Kinder nur
noch diszipliniert mitarbeiten würden? „Wie langweilig!“
Andererseits müssen wir uns die Frage stellen, ob wir uns mit den richtigen Problemen beschäftigen. Innerhalb einer Berliner Studie gaben 41% der Schüler an, schon mal gemobbt zu
haben. 30% äußerten Opfer von Mobbing gewesen zu sein. Die Zahl wirkt umso höher, wenn
Untersuchungen belegen, dass sehr viel Zeit darauf verwendet wird, Herumalbern und Hereinrufen in der Klasse zu unterbinden. Mit Zunahme der Probleme, beim Mobbing oder bei Gewalt gegen Schüler wird gar nicht mehr reagiert oder ignoriert.13
3.3 Das Lehrerverhalten hat mehr Einfluss als erwartet
Offensichtlich besteht doch mehr Handlungsspielraum, was die Entstehung und Regelung von
Disziplinkonflikten angeht. Die Untersuchung von Helmke und Renkl untersuchte den Schüler- und Lehrereinfluss auf das Aufmerksamkeitsveralten der Schüler.14 Unterschieden wurde
inwieweit das Aufmerksamkeitsverhalten der Schüler von den individuellen Voraussetzungen
des einzelnen Schülers abhing. Eine weitere Frage beschäftige sich mit der Frage, ob die Unterschiede im Aufmerksamkeitsverhalten zwischen den Schülern mehr von diesen individuellen Voraussetzungen oder mehr von der Tatsache beeinflusst wurde, zu welcher Klasse ein
Schüler gehörte.
Interessanterweise spielten die individuellen Voraussetzungen keine große Rolle. Als wichtigster Einflussfaktor erwies sich das Lehrerverhalten. Wichtigste Faktoren waren die Klassenführung, die Adaptivität und ein positives Sozialklima.
Am erfolgreichsten wurden die Lehrer von Schülern beurteilt, die:
-
für sichtbare Strukturen und feste Regeln im Unterricht sorgen und auch bereit sind,
dies konsequent zu tun.
13
Krowatschek, Dieter; Krowatschek, Gita; Wingert, Gordon: Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes und
Neues: ein Erziehungsprogramm aus der Praxis. AOL-Verlag S14,15
14
Helmke, A; Renkl, A: Unaufmerksamkeit in Grundschulklassen: Problem der Klasse oder des Lehrers? Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie1993, 185-205
Auszüge hiervon in : Basiswissen Grundschule, Bd. II. Barbara Jürgens: Schwierige Schüler? Disziplinkonflikte
in der Schule. S. 43-73
12
-
Das Geschehen im Unterricht für die Schüler vorhersehbar und durchschaubar machen. Die Schüler sind nicht auf Vermutungen über unausgesprochene Erwartungen
angewiesen, sondern sie „wissen“ wie sie sich verhalten sollen.
-
dem Bedürfnis nach persönlicher Unterstützung entgegenkommen. Sie variieren die
Schwierigkeit von Fragen, geben leistungsschwächeren Schülern Hilfen und tun dies
diskret und ohne Bloßstellung (Adaptivität).
-
die Bedeutung, die Gefühle und persönlicher Austausch für die Schüler haben berücksichtigen. Sie zeigen positive Zuwendung beim thematisieren von Gefühlen und nehmen dabei eine respektvolle Haltung ein. Sie verfolgen außerfachliche Ziele (positives
Sozialklima).
Innerhalb der Lehrerschaft wurde die Lehrer positiv beurteilt, die:
-
emotional zugewandt und wertschätzend, aber gleichzeitig konsequent auf Unterrichtsstörungen reagieren.
-
Sich stark an den Interessen der Schüler orientieren, dem Unterricht aber gleichzeitig
Struktur und Inhalte vorgeben.
-
Wenig Leistungsdruck ausüben, aber zügig im Unterrichtsstoff weiter gehen.
-
Besonders gut mehrere Dinge gleichzeitig tun, z.B. den Unterricht wahrnehmen, was
in der Klasse geschieht, die gesamte Klasse aktivieren und auf einzelne Schüler eingehen.
Lehrer mit ausgeprägten Fähigkeiten im sozial-emotionalen Bereich haben weniger Disziplinkonflikte und Gesundheitlich weniger Probleme.
Sie erreichen bei ihren Schülern gute Leistungen und Wohlbefinden. Sie sind weniger abhängig von Stimmung und Verhalten der Klassen und insgesamt deutlich zufriedener.
Kritisch zu sehen ist, dass nach dieser Untersuchung nur etwa 15% der Lehrer zu den ausgesprochenen Fähigen und Erfolgreichen gehört.
Deswegen ist die Lage innerhalb der Lehrerschaft nicht aussichtslos. Sie belegt, dass diese
vermehrt darauf angewiesen sind, dass Schüler ein Minimum an Kooperationsbereitschaft und
Anpassung an schulische Normen mitbringen und dass sie selber Disziplinkonflikte durch ihr
konkretes Verhalten beeinflussen. Ihre eigene Sicht auf Disziplinkonflikte, ihre Vorstellungen
darüber, was darunter zu verstehen, was sie verursacht und wie man sie lindern könnte wirken
sich auf Entstehung und Verlauf der Konflikte aus.15
15
Barbara Jürgens: Schwierige Schüler. S 44 ff
13
Wir Lehrer haben eine wichtige und prägende Wirkung. Noch in Jahren wird über uns im
Positiven, wie im Negativen berichtet. Damit werden Lehrer zu Modellen für Verhalten. Viele
Referendare kopieren zu Anfang ihrer Unterrichtszeit, die Lehrenden, die sie selber als positiv
empfunden haben. Umso mehr sollten wir diese Rolle positiv besetzen, gerade wenn unsere
Schülerschaft aus so genannten sozialen Brennpunkten kommt. Wir sind dann die wenigen
Modelle für das richtige Miteinander umgehen, das richtige Streiten, das richtige Sprechen.
Krowatschek, Dieter; Krowatschek, Gita; Wingert, Gordon: Disziplin im Klassenzimmer. Bewährtes
und Neues: ein Erziehungsprogramm aus der Praxis. AOL-Verlag S.26f
14
4.0 Umgang mit störendem Verhalten
Ich betrete den Klassenraum. Ein ohrenbetäubender Lärm schlägt mir entgegen. Schüler rennen umher, beschimpfen sich mit Fäkalausdrücken und anderem Unaussprechlichen, Gegenstände fliegen umher. Zwei Schüler scheinen sich zu streiten, ein nicht ungefährer Anteil steht
daneben, feuert die Streithähne durch Kommentare an. Einige wenige sitzen tatsächlich an
ihren Plätzen und erwecken den Eindruck, als ob sie am Liebsten unsichtbar wären. Der Klassenraum wirkt ungemütlich und unaufgeräumt. Er spiegelt den Zustand der Schüler wieder.
So sah es zu Beginn der Klassensituation aus und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es
auch in anderen Klassenzimmern so zugeht.
Und in dieses Chaos soll ich Ordnung bringen? Allein dieser Gedanke kann schon Schweißausbrüche auslösen. Wo muss ich anfangen?
Früher hätte ich den Klassenraum betreten und laut „schreiend“ auf mich aufmerksam gemacht, mit der Forderung, dass sich die Schüler gefälligst auf ihre Plätze zu setzen hätten,
schließlich sei Unterricht und überhaupt, wie denn der Klassenraum aussehe, usw.. Danach
hätte ich mich erschöpft ans Lehrerpult gesetzt und versucht irgendwie den Einstieg zum Unterrichten wieder zu finden, im Hinterkopf den Gedanken, aus denen kann ja bei dem Verhalten nichts werden.
Eben beschriebene Situation kenne ich seit zweieinhalb Jahren nicht mehr. Entspannt betrete
ich den Klassenraum. Meine Schüler bemerken mich, setzen sich hin, lächeln mich erwartungsfreudig an. Ich lächle zurück. Sie wissen, dass ich zu Beginn der Stunde immer etwas zu
sagen habe, dann geht es ans Arbeiten. Das sind meine Hauptschüler!
Diese radikale Verhaltensänderung hat es tatsächlich gegeben.
Maßgeblich hierfür war, dass sich nicht die Schüler wirklich verändert haben. Oben genanntes
Verhalten zeigt sie auch heute noch bei Kollegen. Nein, mein Verhalten gegenüber meinen
Schülern hat sich verändert.
Zurück zur Ausgangssituation. Durch das beschriebene Chaos kann man sich leicht einschüchtern und verunsichern lassen.
Wichtig ist es zu fokussieren, auf welches Verhalten man selber eingehen möchte. Welches
Verhalten soll gefördert werden?
In dem Beispiel bleibt nur eine Alternative, die Schüler, die an ihren Plätzen sitzen.
15
Ich gehe also zu ihnen rüber und bemerke mit deutlich vernehmbarer Stimme, dass ich es hervorragend finde, dass sie schon arbeitsbereit sind Dieses wird natürlich von den Mitschülern
bemerkt. Nach und nach begeben die anderen sich auf ihre Plätze. Auch dieses wird positiv
angemerkt. Schnell kehrt eine Arbeitsruhe ein.
Wieder kann ich mich entscheiden, belasse ich es dabei oder hacke ich auf der Anfangssituation herum?
Ich belasse es, denn wenn ich zur Ausgangssituation zurückkehre, widme ich ihr zu viel Aufmerksamkeit. Störende Schüler erhalten den Eindruck, dass sie von mir Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie unangemessenes Verhalten zeigen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit
erhöht, dass sie es wieder zeigen.
Wir Lehrer müssen uns immer wieder klar machen wofür wir Aufmerksamkeit schenken und
was wir ignorieren müssen und wann wir mit Konsequenzen reagieren
4.1
Selbstgemachte Unterrichtsfallen
Es begegnen uns täglich schwierige Situationen, durch die wir in typische Fallen treten können durch die Problemverhalten verstärkt werden können. Sicherlich lassen wir die eine oder
andere Situation zu. Problematisch wird es, wenn Handlungen zu einem Dauerzustand werden, weil wir immer wieder in dieselben Fallen treten.
4.2
Wir belohnen unerwünschtes Verhalten
Patrice wirft Mitten im Unterricht eine Bemerkung in den Raum, die nichts mit dem Thema
zu hat. Alle Schüler lachen. Ich auch. Dann fällt mir auf, dass das unterrichtsstörend war und
beginne eine längere Diskussion, warum sich das nicht gehört. Das Schülerverhalten hat Nutzen gezeigt. Ich habe mitgelacht, also war die Bemerkung positiv und meine Reaktion darauf
auch. Durch die Diskussion habe ich zusätzlich Aufmerksamkeit geschenkt, wieder eine positive Reaktion auf ein Verhalten, das doch im Unterricht gar nicht erwünscht ist, nämlich eine
Unterbrechung. Die Mitschüler bemerken dies natürlich auch als positiv. Was habe ich er-
16
reicht? Meine Schüler nehmen mit, dass sie durch Bemerkungen den Unterrichtfluss beeinflussen können, weil ich darauf eingehe. Sie haben eine Kontrollmöglichkeit erlangt.
Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, dass das häufiger eintritt.
4.3 Wir ignorieren erwünschtes Verhalten:
Hundertmal bemerken wir, wenn Schüler sich nicht benehmen. Wie oft registrieren wir aber,
wie oft sie sich angemessen verhalten? Eher weniger. Hier muss unsere eigene Wahrnehmung
verändert werden. Wir sollten genauer hinsehen. Wenn wir bemerken, dass ein Schüler mitschreibt, zuhört, die geforderten Materialien auf dem Tisch liegen, dann sollten wir das auch
positiv hervorheben. Das ist es doch, was wir wollen. Also loben, loben, loben. Das Lob positiv verstärkt ist doch nichts neues, warum fällt es dann so schwer es zu tun? Und was passiert,
wenn wir die Kinder nicht loben? Sie lernen, dass es nichts bringt, wenn sie sich an die Regeln halten.
4.4. Eskalationsfallen
Schüler können lernen, dass ihnen durch Steigerung eines Verhaltens ein Wunsch erfüllt wird.
Die Schüler sollen einen längeren Text von der Tafel abschreiben.
Tim sitzt tatenlos vor seinem aufgeschlagenen Text. Er bemerkt lauthals, dass der Text viel zu
lang sei. Er wird von mir aufgefordert endlich anzufangen. Kurzfristig herrscht Ruhe. Tim
macht kurz darauf den Vorschlag, dass er doch erst die eine Hälfte schreiben könne und den
Rest morgen. Wieder gehe ich auf ihn ein, erkläre ihm, dass der Text wichtig sei und er nicht
immer Dinge aufschieben solle. Danach ist es wieder ruhig. Nach wenigen Minuten bemerkt
Tim, dass er den Text doch kopieren könne und mir dann morgen die Abschrift zeigt. Entnervt äußere ich, dass das mal wieder typisch sei, dass man von Tim nichts anderes erwarten
könne und lasse ich ihn vor seinem Heft sitzen. Natürlich hat Tim den Text nicht abgeschrieben. Er hat sein Ziel erreicht, nämlich nicht abschreiben zu müssen. 16
16
Natürlich ist so eine Situation an den Nerven zehrend, aber Tims Kreativität ist doch wirklich beeindruckend.
Hieraus hätte sich ein Lösungsweg finden lassen.
17
Ich habe auch profitiert, nämlich durch das kurzfristige Herstellen vermeintlicher Ruhe.
Letztendlich hat Tim sein Ziel durchgesetzt. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich diese Situation wiederholen wird? Sehr!
Auch ich kann erneut in die Eskalationsfalle tappen. Es ist leicht sich anzugewöhnen Aufforderungen ständig zu wiederholen. Dabei wird die Stimme von Mal zu Mal lauter, in der Hoffnung, dass die Aufforderung endlich umgesetzt wird, bis wir schließlich sehr verärgert verlangen, dass uns Folge geleistet wird. Als Höhepunkt drohen wir dann noch mit einer Klassenkonferenz. Der Lerneffekt unserer Schüler besteht darin, dass wir es nur dann ernst meinen, wenn wir schreien oder Drohungen zur Hilfe nehmen.
4.5
Der Gebrauch ungünstiger Anweisungen:
Lehrer sind es gewohnt Anweisungen zu geben. Ob diese befolgt werden ist immer in Abhängigkeit davon, wie wir sie geben.
Geben wir zu viele besteht immer die Möglichkeit, dass einige von den Schülern nicht befolgt
werden. Darüber hinaus können wir das Gefühl vermitteln, dass die Schüler es uns sowieso
nichts recht machen können.
Es können aber auch zu wenige oder zu ungenaue sein. Besonders unstrukturierte Anweisungen können bei Schülern Unsicherheiten wecken, so dass sie nicht wissen, was von ihnen erwartet wird. Die Aufforderung „Fangt an!“ muss demnach präzisiert werden. Womit? was
genau soll getan werden.
Harte Anweisungen fallen meistens, wenn Anweisungen gegeben wurden, die Schüler überfordern. Obwohl sie geneigt sind die Anweisung zu befolgen, entspricht ihre Umsetzung nicht
der Erwartungshaltung des Lehrenden.
Dann gibt es wieder Anweisungen, die zur falschen Zeit gemacht wurden. Schüler die gerade
in eine Arbeit vertieft sind, können nicht gleichzeitig den Klassendienst erledigen. Auch gibt
es Pausensituationen, in denen Schüler miteinander reden. Der Lehrer tritt hinzu und unterbricht das Gespräch mit einer Forderung. Mal ehrlich, angenommen wir würden gerade ein
Gespräch führen, wie sehr schätzen wir es dann, unterbrochen zu werden?
18
4.6
Negative emotionale Mitteilungen
Wenn wir dazu tendieren die Person zu kritisieren, anstelle des Verhaltens, dann tragen wir
einen erheblichen Anteil dazu bei, das Selbstwertgefühl unserer Schüler zu untergraben. Ebenso tragen von uns gemachte Äußerungen wie:„Das werde ich dann nachher mit deiner
Mutter telefonisch besprechen“, dazu bei, dass Schuldgefühle entstehen oder nur aus Scham
gehorcht wird. Hier sind wir wieder beim Thema Respekt. Wir haben doch als Kinder selber
solche Gespräche erlebt. Wir waren dann doch häufig genug wütend und unser Selbstwertgefühl hat mehr als gelitten.
4.7
Anderen zusehen
Wir alle lernen am Modell. Viele unserer Unterrichtmethoden sind dadurch geprägt worden.
Auch unser Verhalten hat Vorbildfunktion. Den Eindruck, den wir bei unseren Schülern hinterlassen ist wegweisend für die Zukunft. Ein Schüler, der Schule als negativ empfunden hat,
wird dies auch bei seinen eigenen Kindern so sehen und wahrscheinlich mit denselben Mitteln
aus der Vergangenheit reagieren.
Wenn wir im Unterricht schreien, drohen, Anweisungen geben, die wir nicht um in die Tat
umsetzen, dann ist es doch kein Wunder, wenn unsere Schüler ebenfalls unzuverlässig und
aufsässig werden.
Disziplinarische Schwierigkeiten können das Unterrichtsgeschehen erheblich beeinflussen
und den Spaß am Unterrichten langfristig nehmen.
Fehlverhalten ist menschlich. Die Kinder sind – Gott sei Dank – sehr langmütig. In der Regel
verzeihen sie schnell. Schwierig wird es, wenn eigenes Fehlverhalten immer wieder vorkommt. Die Kinder fangen sprichwörtlich an zu rebellieren.
Den Weg aus der Krise muss jeder für sich selber erarbeiten – der Ausgangspunkt ist meistens
die Selbstreflexion und die Erkenntnis, dass man selber ein Problem hat. Meistens ist dies der
Weg zur Besserung.
19
5.0 Erziehungsstrategien im unterrichtenden Kontext
Wiedererwartend ist das Feld der disziplinarischen Schwierigkeiten besser erforscht als erwartet. Die Schwierigkeit besteht darin, das für einen selbst geeignete Programm zu finden.
Elterntrainings, Erziehungsprogramme sind vielfältig. Die Auswahl kann sich schwierig gestalten.
Ein unterstützendes Auswahlkriterium kann sein, wenn die Programme nachweislich standardisiert und wissenschaftlich erforscht und evaluiert sind.
Diese Zeit der Überprüfung sollte sich unbedingt genommen werden. Der Markt boomt und
schnelle Versprechungen können sich im Nachhinein als leere Worthülse darstellen.
5.1
Vergleich von Erziehungstrainings
Erziehungsstrategien sind universell. Die Unterschiede der Programme von Dieter Krowatschek und Triple P sind marginal. Der wesentliche Unterschied besteht in der Kombination
der Programme. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel gewaltpräventiv, bei ADS/ADHS wirksam
zu sein und Lernstörungen vorzubeugen.
Sie sind individuell und flexibel einsetzbar und richten sich nach den Bedürfnissen von Kind,
Eltern und Pädagogen. Da jedes Kind individuell handelt, müssen die Strategien entsprechend individuell auf das Verhalten angewendet werden. Alleine dadurch kann es kein Erziehungspatentrezept geben.
Das Training nach Lauth und Schlottke wird nachfolgend dargestellt.
20
Tabellarischer Vergleich der Strategien
Vergleich
Programm
Strategie
Lauth
und Krowatschek
Triple P
Schlottke
Beobachten kindlichen Verhaltens
X
X
X
X
X
X
Regeln
X
X
X
Loben
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Zuneigung zeigen
beschreibend
Aufmerksamkeit
Schenken
Lernen am Modell
Beiläufiges Lernen
X
Selbstinstruktion
X
X
X
Tokens/Verstärker/Punktepäne
X
X
X
Wegnehmen
X
-
-
Direktes Ansprechen
X
X
X
Logische Konsequenzen
X
X
X
Absichtliches Ignorieren
-
X
X
Stiller Stuhl
-
X
X
Auszeit
-
X
X
Broken Record
-
X
X
Kooperationsroutine
-
-
X
Routine zur Verhaltensänderung
-
-
X
Belohnung/Sanktion
21
Alle vorgestellten Programme sind im verhaltenstherapeutischen Bereich anzusiedeln.
Die Strategien sanktionieren erwünschtes, sowie unerwünschtes Verhalten. Der Schwerpunkt
liegt immer auf der Förderung von positivem Verhalten und dem Ziel dem Kind Basisprozesse, Handlungsregulation und Handlungsstrategien zu vermitteln. 17
Gearbeitet wird ausschließlich über die Eltern, bzw. Pädagogen. Diese evaluieren zuerst ihr
eigenes Erziehungsverhalten und welche Auswirkungen es auf das Kind hat, dann geht es in
die Erarbeitung der Strategien.
Kinder sollen im Alltag in geeigneter Weise unterstützt und angeregt werden. Alle am Kind
beteiligten sollen befähigt werden ihre bestehenden Erziehungsprobleme zu reflektieren sowie dadurch zu vermindern, dass sie die Situation umgestalten und die Erziehung verändern.
In nachfolgenden Reflexionen werden positive und negative Erfahrungen aufgearbeitet. Neue
Strategien werden vermittelt und neue Ziele erarbeitet.
Das Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern nach Lauth/Schlottke verfolgt ebenfalls
obige Ziele. Der Schwerpunkt in der Arbeit mit Kindern liegt im Bereich der Aufmerksamkeitsstörung. Eine intensive Diagnose geht der Arbeit voraus. Die Arbeitsweise mit den Strategien unterscheidet sich dahingehend, dass der Therapeut sowohl das Kind, alleine oder in
der Gruppe, als auch die Eltern begleitet. Zusätzlich gibt es einen Lehrertrainingsbaustein.18
Triple P (Ebene 5) bietet hier speziell geschulte Trainer an, die die Familie einzeln zuhause
betreut und ein individuell abgestimmtes Training erarbeitet. Auch hier wird zuerst diagnostiziert.
Gemeinsamkeiten bestehen darin, dass Eltern und Pädagogen als Experten für das Kind angesehen werden. Die Anforderungen werden mit Hilfe des Therapeuten/des Trainers so gestaltet, dass ein Scheitern verhindert wird.19
Durch Bewältigung risikoreicher Situationen erleben sowohl Kind, Eltern als auch Pädagogen
Erfolgserlebnisse, die motivieren und die Beziehung zum Kind positiv verändern.
17
Lauth und Schlottke: Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Diagnostik und Therapie. Weinheim,
Basel 1997. S. 44
18
Dies.: Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Diagnostik und Therapie. Weinheim, Basel 1997.
S. 193, 194
19
Dies.: Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Diagnostik und Therapie. S. 44
22
5.2
Anwendung der Programme
M.E. scheint es sinnvoll, wenn Lehrer mit einem Programm beginnen, das eher niederschwelliger angelegt ist. Sie beginnen mit Strategien, die für „normale“ Störungen geeignet sind und
bei denen die Wahrscheinlichkeit höher liegt Erfolg zu haben.
Obwohl Krowatschek und Triple P autodidaktisch angeeignet werden können, ist eine angeleitete Schulung durch Trainer anzuraten. Die Fallreflexion und Beratung durch „Leidensgenossen“ ist hilfreich. Sie bestärkt, relativiert und kann neue Blickwinkel auf das Problem bewirken. Feste Trainingszeiten und Absprachen haben einen deutlich höheren Effekt, als ein
eigenständig durchgeführtes Studium, das immer die Gefahr birgt, dass es mangels Zeit,
Stress und ähnlicher Faktoren nicht zu Ende geführt wird. Zudem birgt es die Gefahr, dass
Strategien nicht richtig umgesetzt werden und unter Umständen eher schaden als nützen.
Ein Beispiel hierfür wäre die Reality-Show „Super Nanny“. Strategien werden festgelegt,
ohne, dass Eltern tatsächlich reflektieren können, ob diese Strategie für sie tatsächlich nützlich ist. Auffällig, die oftmals zu viel verwendeten Regeln. Ebenfalls häufig zu beobachten,
der Einsatz der stillen Bank oder der Auszeit. Diese werden oftmals ohne Absprache mit den
Kindern eingesetzt. Am Ende geht natürlich alles gut aus, aber dann fällt die Anleitung weg.
Hier ist der Zuschauer ausgeschlossen, ob der vermeintlich positive Effekt tatsächlich beibehalten werden kann ist nicht mehr nachzuverfolgen.
Der Zuschauer kann jetzt auf die Idee kommen, prima, das hat ja gut geklappt- mach ich es
doch genauso. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Ist der Zuschauer geschult, wann diese
Strategien eingesetzt werden? Weiß er um die Beschaffung der Räumlichkeiten, in denen der
Stille Stuhl oder die Auszeit angewendet werden soll? Wie lange die Dauer solcher Strategien
sind etc.? In der Regel nicht. Die Folgen sind unter Umständen traumatisierte Kinder, die
dann tatsächlich Verhaltenstörungen zeigen.
Für extrem auffällige Kinder erscheint mir eine die Unterstützung durch einen geschulten
Therapeuten ratsam. Hier tendiere ich ganz eindeutig zum Training von Lauth und Schlottke
oder dem Einzeltraining von Triple P. Ein selbständig durchgeführtes Training durch Lehrer
ist auch hier nur unter Schulung anzuraten. Bei aller Kompetenz eines Lehrers, er ist nicht
Therapeut und muss sich hier seiner Grenzen bewusst sein.
Wichtiger erscheint mir hier der systemische Ansatz, der Kind, Eltern und Lehrer involviert.
23
5. 3 Die Bausteine eines gezielten Trainings
Wenn sich ein Unterrichtender entschließt, ein Trainingsprogramm im Klassenraum zu absolvieren , sollte er folgende Schritte beachten, die sich im Wesentlichen an dem Training mit
aufmerksamkeitsgestörten Kindern von Lauth und Schlottke orientieren20:
Entweder erfolgt das Training im Klassenverbund oder in Kursen mit „Gleichgesinnten“ Kindern, die dieselbe Verhaltensproblematik haben. Wichtig ist die Kennenlernphase, die dem
Lehrenden abfordert mehr als einen Kontakt zum Kind vorauszuschicken. Darüber hinaus
sollte in den ersten zwei Stunden das Kennenlernen Vorrang haben.
Im Klassenverband ist das Kennenlerenen zwar vorausgesetzt, jedoch sollte die Eigendynamik eines Trainings im Klassenverband nicht unterschätzt werden. Auch hier gilt es, einen
vertrauten Umgang herzustellen, z.B. durch motivierende Spiele um ein trainingsfreundliches
Klima herzustellen.
Im Idealfalle werden Hausbesuche getätigt um die Beziehung zum Kind zu verbessern, die
örtlichen Bedingungen und Spielmöglichkeiten zu begutachten. Darüber hinaus werden die
elterlichen Einstellungen und Verhaltenweisen deutlicher, bzw. verständlicher, über die auch
Hinweise für die Elternanleitung gewonnen werden können.
Unabdingbar ist der Kontakt zum Elternhaus. Sollte ein Hausbesuch in dem Umfang nicht
möglich sein, kann auch ein Fragebogen eingesetzt werden, der anschließend einer Auswertung bedarf. 21
Unabhängig, für welches Vorgehen sich entschieden wird: Zeitaufwändig wird es auf alle
Fälle. Der Zeitaufwand wird sich jedoch schnell relativieren, wenn sich die ersten Erfolge
einstellen.
5.4 Die Zusammenstellung der Gruppe
Sofern nicht außerschulische Stellen eingeschaltet sind, ist eine Einzeltherapie innerhalb der
Schule nicht verwirklichbar. Das ist behördlich unwirtschaftlich. Der Beratungsdienst der
Schulen kann nur in besonders dringlichen Fällen, eine „Einzeltherapie“, die sich schwerpunktmäßig auf spielerische Elemente und Gesprächen stützt, anbieten.
20
21
Lauth und Schlottke: Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. S. 123-126
Triple P: Elternfragebogen. EFB-Q
24
Eine Einzeltherapie ist dringend anzuraten, wenn das Kind ein großes Ausmaß an Störverhalten an den Tag legt (Zerstörung von Materialien, Umherlaufen, außergewöhnliche motorische
Unruhe), es große Schwierigkeiten im Umgang mit anderen oder nur eine geringe Selbststeuerungsfähigkeit zeigt bis hin zu ausgeprägten Meidungserhalten.
Die Gruppen können jahrgangsbezogen oder jahrgangsübergreifend (Jahrgang 1 und 2, sowie
Jahrgang 3 und 4, usw.) gebildet werden.
5.5 Räumlichkeiten
Innerhalb der schulischen Einrichtung sollte der Trainingsraum einen festen Platz haben. M.E.
sollte der Raum nicht als Therapieraum Bedeutung haben, sondern einen eigenen Namen erhalten, um einer möglichen Stigmatisierung der Kinder durch Mitschüler vorzubeugen.
Tische und Stühle, Videogeräte zum Aufnehmen und Wiedergabe von Aufzeichnungen sollten zur Grundausstattung gehören.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, wenn der Raum reizarm gestaltet ist, dass Ablenkungen,
z.B. durch Regale mit Spielsachen oder ähnlichen Gegenständen ausgeschlossen sind. Der
Arbeitsplatz ist von störenden und nicht benötigten Materialien befreit.
Die Arbeitsmaterialien sind bereitgelegt und vorsortiert und liegen in Reichweite des Trainers.
Um eine ruhige Atmosphäre herzustellen müssen Störungen vorgebeugt werden. Besuche
anderer sind auszuschließen und eventuell ein Schild an die Tür zu hängen.
Eine feste Sitzordnung hat mehrere Vorteile:
Bearbeitungsprozesse sind leicht zu beobachten und es kann gegebenenfalls besser eingegriffen werden, z.B. beim Anleiten oder Modellieren.
Direkte Konflikte sind eher unwahrscheinlich. Die Kinder können die Modellierungsprozesse
besser wahrnehmen.
Der Raum ist dahingehend vorbereitet, dass die Kinder schnell den gleichen Sitzplatz einnehmen.
25
5.6
Das therapeutische Verfahren:
Im Folgenden sind die Grundbestandteile des Basistrainings dargestellt, die miteinander kombiniert wirken. Sie ermöglichen eine flexible Handlung des Trainers. Sie werden in den Trainingseinheiten regelmäßig eingesetzt, deswegen stelle ich nur die Grundideen dar.
5.6.1 Kognitives Modellieren
Schüler sind kreativ und in der Regel selbständig. Lauth und Schlottke schlagen vor kognitiv
zu Modellieren. Schüler und Schülerinnen erlernen durch die Vorbildfunktion des Lehrers die
Erarbeitung einer Aufgabe. Ausgangssituation ist immer: Was ist meine Aufgabe? Worum
geht es hier? (Problembestimmung). Ja ich weiß, was ich machen soll! (Annäherung an das
Problem) Wie gehe ich vor? Ich gehe bedacht vor und sehe mir die einzelnen Bilder genau an;
ich beschreibe zunächst, was ich sehe! (Planung des Vorgehens)22.
Das Modellieren von erwünschten Verhalten ist allen Modellen gemeinsam, bei Lauth und
Schlottke ebenso bei Krowatschek23, als auch bei Triple P24 zu finden.
Einerseits wird den Schülerinnen und Schülern erwünschtes Verhalten modelliert, andererseits wird es ihnen durch Selbstinstruktionstraining näher gebracht, das das kognitive Modellieren erweitert. Die Kinder werden zu Selbstanweisungen angeregt.
Die Selbstanweisungen werden zuerst modelliert. Der Trainer demonstriert das förderliche
Verhalten. Das Tun wird durch Selbstanweisung begleitet, das Kind beobachtet. Das Ziel ist
es in weiteren Stufen die Form des Modellierens zu übernehmen und das gezeigte Verhalten
zu verinnerlichen: Es lernt über externe Verhaltssteuerung, in der das Kind nach den Selbstanweisungen des Trainers handelt. Anschließen lernt es die offene Selbstinstruierung. Das
Kind lernt durch eigene Selbstanweisung. Die ausgeblendete Selbstinstruierung ist erlernt,
wenn das Kind sein Verhalten durch flüsternde Selbstanweisung lenkt.
Die Stufe der verdeckten Selbstinstruierung ist erreicht, wenn das Kind durch verinnerlichte
Selbstverbalisierung steuert, also nicht mehr flüstert, sondern „denkt“.
22
Lauth und Schlottke: Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. S. 127-129.
Krowatschek, Dieter: Das Marburger Konzentrationstraining, S.
24
Elterntrainingsbuch: Sitzung 2. Positiv fördern mit den „Methoden Lernen am Modell“ und „Fragen-SagenTun“.
23
26
Entscheidend ist der Modellierungsdialog, der vom Trainer begleitet und verstärkt wird.
Er ermutigt das Kind innezuhalten und bedacht vorzugehen. Diese Erkenntnis wird von den
Kindern selbst in einem Erkenntnisdialog herausgefunden durch offene Fragen an die Kinder.
Ihre Antworte müssen paraphrasiert, also zielbezogen, umschrieben werden. Lob seitens des
Trainers, verbal und nonverbal, wirkt verstärkend.
Niemand sollte erwarten, dass sich Einsichten sofort beim Kind einstellen. Sie bahnen sich
erst über mehrere Gedankenschritte an, ehe sie verinnerlicht und damit wirksam sind.
Abweichende Äußerungen sollten sich im Modellierungsdialog immer auf das Gesprächsziel
beziehen. Dadurch wird eine zunehmende „Vehaltensformung“, das Shaping, vollzogen.
5.6.2 Einüben des Verhaltens
Eine feste zeitliche und organisatorische Struktur des Trainings, gibt den Kindern einen nötigen Orientierungsrahmen. Zunehmend schwierigere Aufgaben führen zu differenzierten und
komplexeren Aufmerksamkeitsleistungen.
Der Trainer gibt beim Arbeiten prozessorientierte Hilfen, z.B. Lösungshinweise, die dem
Kind helfen zu entscheiden, wie es vorgehen kann.
Die „parallele Handlungssteuerung“ bietet der Trainer an, um zu demonstrieren, wie er selbst
vorgeht. Er bietet einen Lösungsweg an, auf das das Kind zurückgreifen kann. Das Modellieren des Lösungsweges kann solange demonstriert werden, bis das Kind die Anregungen des
Trainers aufnimmt und umsetzt. Günstige Aufgabenbearbeitungen werden verstärkt.
Durch dieses Vorgehen wird erwünschtes Verhalten sichtbar. Kinder erhalten eine Vorstellung von erwartetem Verhalten.
Operationen wie zum Beispiel „Aufpassen“ wird durch eine Stopp-Karte modelliert. Ebenso
können genaues Hinsehen und Beschreiben, Diktate schreiben etc. erarbeitet werden.
27
5.6.3 Operante Verstärker
Hinter dem Einsatz von Verstärkern steht die Idee, dass durch diese Verhaltensweisen unterstützt werden und in langfristiger Perspektive Selbstkontrollfertigkeiten aufgebaut werden.
Verstärker können Lob, Verstärker-Vergabe, z.B. Punkte in einem Punkteplan, Gegenstände,
die in einer bestimmten Anzahl erworben werden oder erreichte Belohnungen sein.
Die Wahrscheinlichkeit, dass bei positiven Verstärkern erwünschtes Verhalten häufiger gezeigt wird, ist höher, als bei negativen.
Lauth und Schlottke sehen auch Verstärker-Wegnahme als Operation vor. Hier wird die
Kombination von Verstärker-Vergabe und Verstärker-Wegnahme vorgenommen25.
Bedingung für das Umgehen mit Verstärkern ist, dass den Kindern die Vergabe und Wegnahme dieser transparent sind. Es müssen Verhaltensregeln und Sanktionen deutlich besprochen sein. Idealerweise stimmen die Kinder darüber ab.
Anfänglich wird häufig über Verstärker operiert. Die Vergabe dieser wird mit zu zunehmenden Training länger, bis sie nicht mehr benötigt wird. Abweichend von Laut und Schlottke
arbeiten Krowatschek26 und TripleP ausschließlich mit positiven Verstärkern. Die Kinder legen selber fest, wie viele Punkte sie für Aufgaben innerhalb einer Woche erreichen können.
Einmal vergebene Punkte werden nicht weggenommen. Die Wochenbilanz zeigt, ob sie sich
selber realistisch eingeschätzt haben. Wenn das Ziel erreicht wurde, gibt es eine Belohnung.
Dieses kann am z.B. am Freitag bedeuten, dass sie keine Hausaufgaben bekommen oder dass
sie sich eine Belohnung aussuchen können. Die Konsequenz für ein nicht erreichtes Ziel ist,
dass Aufgaben weiterhin bearbeitet, bzw. nachgeholt werden müssen oder es keine Belohnung
gibt. Nicht zu unterschätzen ist der Ehrgeiz der Kinder, der sich durch Beobachtung entwickelt. Gerade, wenn ein vermeintlich schwächeres Kind eine Belohnung erhält, weckt das den
Wunsch ebenso erfolgreich zu sein.
Hier sollte ein Reflexionsgespräch als prozessorientierte Hilfe dienlich sein, mit dem Kind zu
überlegen, wo das Problem lag, welche Situationen und Handlungen hinderlich für das Erreichen des Ziels waren. Danach wird ermuntert und ein neues Ziel für die nächste Woche vereinbart. Besonders in diesen Fällen muss vermehrt auf positive Handlungen geachtet und diese dem Kind entsprechend rückgemeldet werden.
Punktepläne sind ebenfalls sinnvoll im häuslichen Bereich anzuwenden.
25
Lauth und Schlottke: Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. S. 131-137
26
Krowatschek, Dieter: Förderpläne – Kein Problem. Beobachten –entwickeln-durchführen –evaluieren. AOLVerlag. 2007
28
6.0
Strategien im Klassenzimmer:
Auch unabhängig von einem gezielten Training können Strategien fester Bestandteil im Unterrichtsgeschehen werden, um Disziplin zu erreichen.
Diese Maßnahmen sollten niemals einzeln oder isoliert angewendet werden.
Am handlungsfähigsten ist ein Unterrichtender, wenn er über mehrere Strategien verfügt und
diese situationsangemessen einsetzen kann.
Diese sollte er nach und nach einüben, um Sicherheit zu erlangen.
Doch Vorsicht, der inflationäre Gebrauch einzelner Strategien führt dazu, dass sich diese
schnell abnutzen und die beabsichtigte Wirkung verloren geht.
Vor dem Einsatz von Maßnahmen sollte sich der Unterrichtende folgende Fragen zu Herzen
nehmen:
•
Präventive Maßnahmen: Wie kann vorgebeugt werden, was kann selber getan werden, damit undiszipliniertes Verhalten nicht auftritt?
•
Unterstützende Maßnahmen: Welche Handlungsmöglichkeiten stehen mir zu Verfügung, wenn erste Anzeichen von Disziplinlosigkeit auftreten? Wo kann ich helfen
und wie unterstütze ich?
•
Korrektive Maßnahmen: Wie gehe ich mit Fehlverhalten um? Wie erreiche ich positive Veränderung?
Im Folgenden drei Beispiele:
Sie sind realitätsnah. Die genannten Strategien sollen exemplarisch Handlungsmöglichkeiten
aufzeigen, ohne verbindlich zu sein. Jeder Lehrende muss für sich selber herausfinden, welche
Strategie er bevorzugt, bei welcher er am authentischsten ist. Ihm müssen die Grenzen jeder
Strategie bewusst sein.
1. Katharina soll ihre Arbeitsmaterialen bereit legen. Nach dreimaliger Ermahnung ist sie
immer noch nicht arbeitsbereit. Sie lenkt auf andere ab, hat andere Dinge anzuführen.
Hier ist es sinnvoll die Aufforderungszeit zu verkürzen, um nicht in die Eskalationsfalle zu tappen. Der Lehrer wartet nach der ersten Aufforderung eine kurze Zeit ab.
Wenn Katharina der Aufforderung nachkommt, wird sie gelobt.
Sollte sie nicht reagieren, wird die Aufforderung wiederholt und wieder eine kurze
Zeitspanne von wenigen Sekunden abgewartet.
29
Wenn Katharina wieder nicht reagiert, sollte jetzt eine Konsequenz folgen.
Erfolg versprechend ist die Broken Record Technique. Der Lehrende wiederholt die
Anweisung immer wieder mit ruhiger Stimme, wie bei einer gesprungenen Platte.
Dieses verlangt Geduld ab. Der Lehrer muss mit Gegenargumentation rechnen oder
mit Ablenkung. Letztendlich wird Katharina die Aufforderung umsetzen, da sie durch
ständige Wiederholung ankommt.27
Um die Broken Record Technique einzusetzen ist die Grundvoraussetzung, dass der
Lehrende selber in ruhiger Verfassung ist, um nicht ins Schreien oder Diskutieren abzugleiten.
2. Martin schreit wiederholt in den Unterricht hinein. Der Lehrer, aber auch einzelne
Mitschüler beschweren sich. Martin macht weiter. Auch hier sollte der Lehrende nicht
allzu lange warten. Zwei Möglichkeiten stehen zur Auswahl an. A) Das absichtliche
Ignorieren: Die Klasse kennt ein verabredetes Zeichen. Von da an wird Martins Verhalten ignoriert. Die Klasse unterlässt Hinweise auf sein unerwünschtes Verhalten, ebenso wenig geht der Lehrer auf die Handlungen ein. Von dem Zeitpunkt an, wenn
sich Martin wieder an die Klassenregeln hält und sich meldet, wird sofort positiv auf
ihn eingewirkt. Der Lehrer nimmt Martin sofort als Meldenden zur Kenntnis uns lobt
den Beitrag, und dass er sich an die Gesprächsregeln gehalten hat. Auch der Klasse
wird verbal oder nonverbal gezeigt, dass die Unterstützung positiv gewertet wird.28
Absichtliches Ignorieren macht nur dann Sinn, wenn der Lehrende ausgeglichen ist
und die Klasse die Methode kennt. Diese Methode sollte niemals unter Zeitdruck ausgeführt werden.
B) Wenn der Lehrende das Gefühl hat, dass die Situation eskalieren könnte ist die
Auszeit eine Möglichkeit dafür zu sorgen, dass sich Martin, die Klasse aber auch der
Lehrende selbst beruhigen können. Nach dreimaliger Verwarnung wird die Auszeit
ausgesprochen, das heißt, Martin muss für eine kurze Zeitspanne den Raum verlassen.
Dabei soll er ruhig sein. Eine Schwierigkeit kann darin bestehen, den richtigen Raum
zu haben, der reizarm ist und wenige Möglichkeiten bietet anderweitig auffällig zu
sein oder zu spielen. Die Auszeit sollte also nicht den Zweck einer Belohnung erfüllen.
Vielerorts werden Schüler vor die Tür geschickt. Das kann eine Gefahr sein, wenn
damit zu rechnen ist, dass Kinder weglaufen. Dann wird gegen die Aufsichtspflicht
verletzt.
27
28
Krowatschek: Disziplin im Klassenzimmer. S. 175
Das Triple P Gruppenarbeitsbuch. S. 42
30
Sinnlos ist die Methode auch, wenn gleichzeitig mehrere Schüler vor die Tür gestellt
werden. Das Risiko erhöht sich, dass diese Schüler sich anderweitig beschäftigen. Das
Ziel der Strategie verpufft.
Ob vor die Tür stellen oder in einen vorhanden Gruppenraum zu gehen ist Ermessenssache. Wichtig ist, dass die Strategie bekannt gemacht und demonstriert wurde. Sie
funktioniert nur, wenn die Schüler wissen, dass ihnen der Lehrer mit Zuwendung und
Freundlichkeit begegnet und auch über ein Repertoire an anderen Strategien verfügt.
Eine kurze Zeitspanne von zwei bis drei Minuten minimiert ebenfalls oben genannte
Risiken.
Danach kommt der Schüler wieder in den Klassenraum, setzt sich und macht wieder
mit.29
Der Lehrer sollte unbedingt unterlassen, auf den Vorfall erneut einzugehen. Die Strategie soll für sich alleine wirken. Darüber hinaus weiß Martin, warum er hinausgeschickt wurde.
Sobald er wieder wünschenswertes Verhalten zeigt, lobt der Lehrer sofort.
Wichtig ist, dass sich die Lehrenden nach einer Sanktion sofort wieder positiv dem
Schüler zuwenden. Das deeskaliert, der Schüler fühlt sich angenommen.
Auch die Eltern sollten über diese Methode informiert sein. Diese kann auf einem Elternabend vorgestellt und exemplarisch demonstriert werden. Es ist ebenfalls sinnvoll
in diesem Zusammenhang zu berichten, welche anderen Strategien verwendet werden.
Die Eltern unterstützen bei guter Information den Lehrenden vorbehaltlos.
3. Jede Klasse hat Klassenregeln. Selina wirft mit Papierkügelchen.
Die klare ruhige Anweisung ist eine kurze, aber effiziente Möglichkeit, auf das Verhalten einzugehen. Selina wird vom Lehrenden auf die Klassenregeln angesprochen.
Sie wird nach der Regel befragt. Sie beantwortet entsprechend, dass sie den Klassenraum sauber zu halten habe. Dabei sollte es nicht belassen werden. Im Anschluss soll
Selina demonstrieren, wie sie diese Regel umzusetzen ist. Selina erhebt sich und beseitigt den von ihr verursachten Müll.30
Auch hier ist wieder ein Lob angebracht. Wenn Schüler positives Verhalten nach einer
problematischen Situation zeigen, ist es immer eine Leistung, da sie sich kooperativ
verhalten. Sie signalisieren damit, dass sie zur Gruppe gehören wollen, aber auch, dass
sie den Lehrenden als Autorität wahrnehmen.
29
Das Triple P Gruppenarbeitsbuch. S. 48f
Krowatschek: Disziplin im Klassenzimmer. S.162
30
Das Triple P Gruppenarbeitsbuch. S.42
31
Wenn sich Selina weigert, der Regel nachzukommen muss logischerweise eine andere
Strategie angewendet werden. Das kann die Broken-Record-Technik sein, eine Extraaufgabe, aber auch der Stille Stuhl oder die Auszeit.
Der Lehrende sollte über ein gutes Handlungsrepertoire verfügen.
Eine allgemeine Übersicht gibt Krowatschek für Lehrende in eskalierenden Situationen31:
•
Ruhig bleiben,
•
Versuchen, zuzuhören,
•
Wenn möglich den Schüler isolieren,
•
Unmissverständlich, aber beruhigend auf den Schüler einwirken und möglichst nicht
selber schreien.
•
Grenzen setzen und ruhig und gelassen verdeutlichen, was der Schüler auf keinen Fall
darf,
•
Hellhörig werden in Bezug auf nonverbale Signale
Egal zu welcher Strategie Lehrende greifen, sollten sie sich selber hinsichtlich ihrer Handlungen hinterfragen. Die Grenze zwischen Schaffen von Disziplin gegen Dressieren und Unterwerfen kann unter Umständen sehr dünn sein. Deswegen sollte vermieden werden in Panik zu
verfallen oder überzureagieren. Es lohnt sich nicht, sich auf Machtkämpfe einzulassen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass man selber droht oder persönlich wird, ist dann deutlich höher. Der
Weg heißt positives Handeln!
7.0
Zusätzliche Bedingungen, um das Lernen zu fördern
Das Schaffen einer lernfreundlichen Umgebung stützt sich nicht alleine auf den Umgang mit
Erziehungsstrategien.
Weitere Faktoren wirken begünstigend.
Zum einem sollte sich jeder der unterrichtet nicht zu viel von sich erwarten, sondern seine
Unterrichtsbedingungen realistisch einschätzen können. Das und eine professionelle Haltung
zum Beruf kann schon für sich allein entlastend wirken.
31
Krowatschek: Disziplin im Klassenzimmer. S. 173
32
Hilfreich kann es ebenfalls sein, sich ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen - mit Kollegen, mit Eltern.
Eltern unterstützen gerne, wenn sie rechtzeitig informiert sind und die erfragte Hilfe nicht als
Angriff verbalisiert wurde. Das erfordert Offenheit und zeigt sich als Gewinn, wenn Eltern
das Gefühl haben mitgestalten zu können. Die Unterstützung zeigt sich als Hausaufgabenhilfe, Begleitung bei Ausflügen oder Klassenreisen oder gemeinsamen Verabredungen mit den
Kindern, Vorbereitung von Schulfesten bis zur Einbindung in den Unterricht.
Kollegen profitieren von neuen Ideen uns sind diesen in der Regel aufgeschlossen. Gerade
ältere Kollegen sind ein Gewinn, ihre Erfahrungen sind bereichernd. Gemeinsame Fallbesprechungen entlasten, wie die Erfahrungen, nicht alleine mit seinen Problemen dazustehen.
Kollegen können sich gegenseitig unterstützen, z.B. dass sich einer bereit erklärt einen problematischen Schüler für eine Stunde mitzubetreuen und umgekehrt. Das entlastet nicht nur die
Lehrenden, sondern auch die Klasse.
Gemeinsam kann das soziale Lernen erarbeitet und umgesetzt werden. Das Schaffen von Ritualen gibt Sicherheit. Wünschenswert sind pädagogische Standards, die Verbindlichkeit erhalten. Ein Kollegium, das dieses schafft, gibt damit auch den Kindern einen festen Orientierungsrahmen, innerhalb dessen sie sich gut bewegen und wohlfühlen können.
Letztendlich sind problematische Kinder nicht nur Schüler des Lehrenden, sondern der gesamten Schule. Warum also nicht ein Schulprofil erstellen, dass diesem Ansinnen gerecht
wird?
Ich denke, dass das ein wesentlicher Teil der Schulentwicklung ist. Dieses wird unweigerlich
Auswirkungen auf die Pausengestaltung, das Schulleben, die Unterrichtsgestaltung - also der
Identifikation mit der Schule haben.
Schüler, die sinnvolle Beschäftigung im Schulalltag haben tendieren weniger zu auffälligem
Verhalten.
33
8.0
Fazit
Nachtrag: März 2007
Vor genau einem Jahr begann ich mit dieser Arbeit.
Anfänglich war ich in einer „selbstgerechten“ Haltung, mit scharfen Untertönen zum erlebten
Schulsystem. Dann kam erneut die inhaltliche Auseinandersetzung.
Gut so, denn das relativiert. Entsprechend musste ich den Inhalt gehörig überarbeiten.
Die intensive Auseinandersetzung mit subjektiv gefühlten Erlebnissen und ihre Überprüfung
an wissenschaftlichen Ergebnissen führen zu objektiven Erkenntnissen.
Das Verfassen der Arbeit hat mich zu einer meiner eigenen Forderungen gezwungen – zur
Selbstreflexion.
Insgesamt hat sich für mich erneut bestätigt, dass die meisten Disziplinprobleme hausgemacht
sind. Das verlangt professionelles Verhalten ab, inklusive der Frage, wann Hilfe eingeschaltet
wird.
Das Verfassen der Arbeit führte zu vielen Gesprächen mit Kollegen und der Auseinandersetzung mit Betrachtungsweisen. Trotz aller wissenschaftlicher Erforschung ist das Durchsetzen
von Disziplin weiterhin pädagogisches Neuland oder aber durch Weltanschauung besetztes
Terrain.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat mich in meiner These bestätigt, dass besonders
die Lehrerrolle eine besondere Wirkung auf die Ausprägung von Unterrichtsstörungen hat,
aber auch die Schullaufbahn eines Schülers entscheidend beeinflussen kann.
Gerade zum Abschluss dieser Arbeit hat Deutschland die neueste PISA-Untersuchung erreicht. Die Definitionsmacht der Lehrenden, besonders am Ende der 4. Klasse, entscheidet
maßgeblich über die Schullaufbahn eines Schülers. Auch diese These hat sich verifiziert.
Offensichtlich entscheidet die soziale Herkunft mehr über die Karriere eines Schülers, denn
seine tatsächliche Leistung. Damit wird letztendlich aber auch Schülerverhalten beeinflusst.
Das macht mich wieder einmal nachdenklich, aber auch demütig hinsichtlich meiner eigenen
Rolle im Schulsystem, denn mein eigenes Handeln hat immer eine Außenwirkung.
Mittlerweile hat sich meine Rolle drastisch verändert. War ich im letzten Jahr „nur“ Lehrerin,
bin ich jetzt in der Verantwortung eine Grundschule, die einer Gesamtschule angegliedert ist,
zu leiten. Das ist eine Herausforderung. Ich bin bemüht die oben genannten Erkenntnisse in
meine Arbeit einfließen zu lassen.
Mittlerweile lässt sich das eine oder andere umsetzten, teilweise auch gegen Widerstand. Es
zeichnet sich langsam, aber deutlich eine Wende ab.
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Krisen können sehr hilfreich sein, Bestehende Strukturen zu verändern.
Mit einzelnen Mitarbeitern wurde eine Fortbildung zum Thema Erziehungsstrategien durchgeführt. Die Rückmeldung war, dass es tatsächlich klappt und sie in diversen Bereichen weniger Stress haben.
Auf diesem Weg werden wir weitermachen. Das Interesse wurde geweckt. Letztendlich können wir Wege nur gemeinsam gestalten. Einzelkämpfer werden zwar gebraucht, können alleine aber nur ermüden.
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Literatur
Bennack, Jürgen (Hrg.): Basiswissen Grundschule, Bd. 17. Baltmannsweiler 2004
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