15. Fall – Der verschwiegene Unfall
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15. Fall – Der verschwiegene Unfall
15. Fall – Der verschwiegene Unfall - EBV Nach den Vorfällen mit dem Fahrrad und dem Mähdrescher ist die I verzweifelt. Durch die Zahlung des Schadensersatzes an P ist sie finanziell ruiniert. Deswegen verkauft sie ihren PKW an den Nachbarn N. Dieser bezahlt das Auto und nimmt es sofort mit. Hierbei verschweigt sie dem N, dass der Wagen vor einigen Wochen einen schweren Unfall hatte. N bemerkt im Laufe der nächsten Wochen, dass das Fahrzeug zunehmend vibriert. Bei einer Untersuchung bei einem Händler seines Vertrauens wird der Schaden entdeckt. Um sich einer eventuellen strafrechtlichen Verfolgung wegen Betrugs zu entziehen, nimmt I das Auto von N zurück nachdem dieser ihr mitgeteilt hat, sich von jeglicher rechtlicher Bindung lösen zu wollen, und zahlt ihm den Kaufpreis in bar aus. Ganz zufrieden ist sie jedoch nicht. I ist der Meinung, dass N ja mit dem Auto gefahren sei und dies honoriert werden müsse. Besteht seitens der I ein Anspruch gegen N bzgl. der aufgeworfenen Frage? Abwandlung: Was ist, wenn N das Fahrzeug in der Zwischenzeit an seinen Freund P vermietet hätte und der Mietvertrag unerkannt unwirksam war? Besteht ein Anspruch der I gegen P hinsichtlich der aufgeworfenen Frage? Lösung Fall 15 I. Anspruch der I gegen N gem. §§ 990 I, 987 I BGB I könnte gegen N einen Anspruch auf Nutzungsersatz für die Zeit haben, in der N mit dem Auto „unterwegs“ war. 1. Vindikationslage Zunächst müsste eine Vindikationslage zum Zeitpunkt der Nutzungsziehung vorgelegen haben. a) Eigentum der I I müsste zum Zeitpunkt der Nutzung des PKW Eigentümerin gewesen sein. Dies könnte sie jedoch gem. § 929 S. 1 BGB an N verloren haben. I und N müssten sich somit einig gewesen sein, dass das Eigentum an den PKW von I auf N übergehen sollte. Ferner müsste I dem N den PKW übergeben haben. Die Einigung gem. § 929 BGB ist ein dinglicher Vertrag, auf den grundsätzlich die Regeln des allg. Teils des BGB anwendbar sind. Mithin bedarf es somit zweier übereinstimmender aufeinander bezogener Willenserklärungen, wobei dies auch durch schlüssiges Verhalten geschehen kann. Durch die Übergabe des PKW brachten beide Parteien zum Ausdruck, dass sie sich über den Eigentumsübergang geeinigt haben. I hat somit das Eigentum an dem PKW verloren. (1) Unwirksamkeit der Einigung gem. § 142 BGB Die Einigung könnte jedoch unwirksam sein. Dies wäre dann der Fall, wenn N ein Anfechtungsrecht zustehen würde. Hierfür bedarf es zunächst eines Anfechtungsgrundes. In Betracht kommt hier § 123 BGB. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn ein Irrtum durch eine Täuschung noch bei Übereignung vorliegen würde. (aa) Anfechtungsgrund § 123 BGB Eine Anfechtungsgrund gem. § 123 BGB liegt vor, wenn N durch eine arglistige Täuschung der I zur Abgabe seiner Willenserklärung bestimmt worden ist. Zunächst müsste eine Täuschungshandlung der I vorliegen. In Betracht kommt dabei jedes Verhalten, durch das Tatsachen vorgespiegelt, entstellt oder unterdrückt werden. Das Verhalten kann dabei in einer positiven Erregung des Irrtums oder durch Unterlassen der Aufklärung liegen. I wusste von der mangelnden Unfallfreiheit des Fahrzeugs. Diese Wesentlichkeit verschwieg sie dem N. Eine aktive Täuschung der I liegt nicht vor. Mithin kommt als Täuschungshandlung nur das Unterlassen der Aufklärung in Betracht. Das Verschweigen von Tatsachen kommt jedoch nur dann als Täuschung in Betracht, wenn eine Aufklärungspflicht besteht, da es grundsätzlich keine allgemeine Pflicht gibt, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließungsgründe des anderen Teils von Bedeutung sein können. Ob eine solche Pflicht besteht, richtet sich grundsätzlich nach § 242 BGB. Entscheidend soll dabei sein, ob der andere redlicherweise eine Aufklärung erwarten durfte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Tatsachen verschwiegen werden, bei denen der Täuschende weiß, dass sie für den Vertragspartner von wesentlicher Bedeutung sind, weil sie den Vertragszweck vereiteln können. I wird klar gewesen sein, dass N das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn dieser von der mangelnden Unfallfreiheit gewusst hätte. Sie hat somit eine Tatsache verschwiegen, die für den Vertragspartner, hier den N, von wesentlicher Bedeutung ist und den Vertragszweck vereitelt hätte. Ferner müsste I arglistig gehandelt haben. Arglistig ist die Täuschung, wenn sie mit Täuschungswillen vorgenommen worden ist, wobei bedingter Vorsatz genügt. I wusste um die mangelnde Unfallfreiheit des PKW. Mithin handelte I vorsätzlich und somit arglistig i.S.d § 123 BGB. Ein Anfechtungsgrund gem. § 123 BGB besteht somit. (bb) Anfechtungserklärung gem. § 143 BGB Ferner müsste N die Anfechtung auch erklären. Ausreichend ist hierbei, dass das Geleistete zurückgefordert wird. Vorliegend verlangt N von I die Rückzahlung der 1.000 €. Mithin liegt eine Anfechtungserklärung vor. (cc) Anfechtungsfrist gem. § 124 BGB Des Weiteren müsste N die Anfechtungsfrist gem. § 124 BGB beachtet haben. Mangels Angaben kann hiervon ausgegangen werden. (dd) Zwischenergebnis N steht ein Anfechtungsrecht gem. § 123 BGB zu. Mithin ist die Einigung gem. § 142 BGB als von Anfang an nichtig zu betrachten. Mithin ist I Eigentümerin des PKW zum Zeitpunkt der Nutzungsziehung. b) Besitzer N N müsste zum Zeitpunkt der Nutzungen auch Besitzer des PKW gewesen sein. N ist mit dem PKW gefahren. Folglich hatte er die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrzeug und war infolgedessen unmittelbarer Besitzer i.S.d. § 854 I BGB. c) Recht zum Besitz N dürfte des Weiteren kein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB gehabt haben. N hat durch die erfolgte Anfechtung die Besitzverschaffungspflicht der I aus dem Kaufvertrag ebenfalls gem. § 142 I BGB rückwirkend beseitigt. Mithin bestand kein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB. 2. Bösgläubigkeit des N N müsste gem. § 990 I BGB bzgl. seines Besitzes bösgläubig gewesen sein. N hatte im Zeitpunkt der Nutzung des PKW kein Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Unwirksamkeit des Kaufvertrages und daher auch nicht von seiner fehlenden Besitzberechtigung. Die Anfechtungserklärung durch ihn erfolgte erst nach der Nutzung des PKW. Anhaltspunkte dafür, dass N bereits im Zeitpunkt der Nutzung die arglistige Täuschung der I und damit den Anfechtungsgrund und die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts kannte bzw. kennen musste und somit nach §§ 142 II, 122 I BGB als bösgläubig anzusehen ist, bestehen nicht. Vielmehr hat er von der Täuschung durch I erst nach einiger Zeit erfahren. 3. Ergebnis Ein Anspruch gem. §§ 990 I, 987 I BGB von I gegen N besteht nicht. Wegen § 993 I a.E bestehen keine weiteren Ansprüche. Abwandlung: I. Anspruch der I gegen P gem. § 988 BGB I könnte gegen P einen Anspruch auf Nutzungsersatz gem. § 988 BGB haben. Anmerkung: Ein Anspruch auf Nutzungsersatz gem. § 987 BGB kommt aufgrund der fehlenden Bösgläubigkeit nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass etwaige Ansprüche aus dem Deliktsrecht und dem Bereicherungsrecht gem. § 993 I a.E. BGB gesperrt sind. 1. Unentgeltliche Erlangung des Besitzes P müsste zunächst den Besitz an dem PKW unentgeltlich erlangt haben. P war im Besitz des PKW. Des Weiteren müsste P1 den Besitz unentgeltlich erlangt haben. Zwischen N und P wurde ein Mietvertrag geschlossen. Aus diesem Grund hat P den Mietpreis an N gezahlt. Folglich hat er den Besitz an dem PKW nicht unentgeltlich erlangt. Ein Nutzungsersatzanspruch kommt folglich gem. § 988 BGB nicht in Betracht. 2. Analogie unentgeltlich = rechtsgrundlos? Fraglich ist, ob in diesem Fall eine analoge Anwendung des § 988 BGB in Betracht kommt. Dies wird nicht einheitlich beantwortet. a) Erste Ansicht Zum Teil wird eine analoge Anwendung des § 988 BGB auf den rechtsgrundlosen Erwerb abgelehnt. Nach dieser Ansicht kommt eine direkte Anwendung der §§ 812 ff. BGB entgegen dem Wortlaut des § 993 I a.E BGB in Betracht. b) Zweite Ansicht Nach der h.M ist der rechtsgrundlose Besitzerwerb dem unentgeltlichen im Rahmen des § 988 BGB gleich zu stellen. Diese Ansicht gelangt hier somit doch zu einem Anspruch aus § 988 BGB. c) Stellungnahme Fraglich ist, welcher Ansicht gefolgt werden kann. Für die erste Ansicht spricht der Gedanke des Bereicherungsrechts. Danach sind fehlgeschlagene Geschäfte nach den Regeln über die Leistungskondiktion abzuwickeln. Da dies ausnahmslos für fehlgeschlagene schuldrechtliche Geschäfte gilt, müssen die Regeln erst recht zur Anwendung kommen, wenn auch die dingliche Übereignung fehlgeschlagen ist. Die Sperrwirkung des § 993 I a.E. BGB soll in diesem Fall aufgrund des Wertungswiderspruchs nicht gelten. Hiergegen wendet die h.M jedoch, dass die §§ 987 ff. BGB geradewegs abschließende Regelungen darstellen. Ferner besteht ein Wertungswiderspruch, wenn derjenige privilegiert wird, der eine Sache aufgrund eines nichtigen Kausal- und Verfügungsgeschäfts nutzt. Der Eigentümer steht in diesem Fall schlechter, als wenn er sein Eigentum durch eine wirksame Übereignung verloren hätte. Wäre dies der Fall, bestünde ein Anspruch auf Nutzungsersatz gem. §§ 812 ff. BGB. Aus diesen Gründen soll der h.M. gefolgt werden. 3. Ergebnis I hat gegen P einen Anspruch auf Nutzungsersatz gem. § 988 BGB analog.