Das Buch vom Sitzen

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Das Buch vom Sitzen
Bequem sitzen. Das Buch zum Sitzen.
Vom Sitzen zum Firmen-Sitz. Das Unternehmen Erpo International
Macht Sitzen glücklich?
Körper-Sprache. Die Ergonomie des Sitzens.
Formen des Besitzens. Erpo Zielgruppenforschung
Erpo – Synonym für „Bequem Sitzen“
Gestaltungs-Räume: Erpo Classics
Bewegungs-Räume: Erpo Das Prinzip der Bequemlichkeit
Spiel-Räume: Leistung hat einen (Marken-)Namen
Entfaltungs-Räume: Einzelsessel mit Zukunfts-Potential
Bequemlichkeit geht unter die Haut. Made in Germany.
Unternehmerische Zukunft mit klarer Botschaft
Das Buch zum Sitzen
Einfach „Bequem sitzen.“ In wie vielen Alltagssituationen steht dieser Wunsch im Vordergrund um sich nach einem anstrengenden Tag zu erholen, zusammen auf das Erlebte anzustossen, sich im intensiven Gespräch zusammenzufinden. Doch was heisst
eigentlich „Bequem sitzen“?
Jene scheinbar banale Haltung, die sich so tief in unsere Sprache eingeschrieben hat,
dass „es sitzt“, entzieht sich bei genauerer Betrachtung einer einfachen Definition. Die
Kulturgeschichte spricht Bände über die Symbolik des Sitzens, und Ergonomen widersprechen entschieden der Annahme, Sitzen sei etwas Statisches. Mit dieser Situation
konfrontiert, gilt es, Polstermöbel zu entwickeln, auf denen es sich „Bequem sitzen“
lässt. Wenn die Bequemlichkeit des Sitzens (nicht nur) im Auge des Betrachters liegt,
erfordert dies zu allererst einen differenzierten Blick auf die Sitzenden selbst und ihren
Lebenskontext. All diese Überlegungen sind eingebettet in eine Unternehmenskultur,
die den geeigneten strategischen, personellen und materiellen Rahmen schafft, um
wirtschaftlich erfolgreich Qualitätsprodukte „Made in Germany“ zu entwickeln.
Veränderungen in Gesellschaft, Industrie und Handelsstrukturen rufen dazu auf, über
eine mehr oder minder mechanische Bearbeitung des Tagesgeschäfts hinaus über all
diese Kontexte zu reflektieren. Entwicklungen zu hinterfragen, anstatt ihnen in Anpassung an scheinbare Anforderungen der Situation oder „des Marktes“ kritiklos zu folgen.
In Krisenzeiten nach Ursachen anstatt „Sündenböcken“ zu suchen. Die Aufgabe des
Unternehmers besteht nun einmal nicht ausschliesslich darin, unter dem Strich „gute“
Zahlen zu präsentieren. Sie geht vielmehr einher mit einem hohen Mass an Verantwortung für Mitarbeiter, Handels- und Kooperationspartner und eine soziale und ökologische Umwelt. Eine solche Verantwortlichkeit wird allerdings vielfach nicht (mehr) gerne
gesehen. Dabei steht ihre Wahrung nicht im Widerspruch zum Unternehmenserfolg,
denn langfristiger Erfolg kann nur erzielt werden, wenn unternehmerisches Handeln
seine inhaltliche Verankerung erfährt.
Die Unternehmensgeschichte des Baden-Württembergischen Polstermöbelherstellers
Erpo macht deutlich, wie tief die (im doppelten Wortsinn) Auseinandersetzungen mit
dem Thema reichen, wenn jenseits einer nur augenblicklich schönen Oberfläche Polstermöbel entstehen, die sich als Synonym für „Bequem sitzen“ etabliert haben.
Thomas Jungjohann
Geschäftsführender
Gesellschafter
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Vom Sitzen zum Firmen-Sitz. Das Unternehmen Erpo International
„Wir gestalten aktiv die Zukunft unseres Unternehmens.
Wir sind nicht die Mitläufer der Branche.
Wir sind bereit neue Wege zu gehen.
Wir fördern Kreativität und Ideen.
Wir informieren und sind aufnahmebereit.“
Unter dem Titel „Was wir wollen“ formulierte Thomas Jungjohann diese Leitsätze, als
er im Frühjahr 1988 die Geschäftsführung des Ertinger Polstermöbelunternehmens
Erpo übernahm. Es sind Aussagen, die bis heute den Stil von Erpo prägen. Es sind
Erfolgsfaktoren – und es sind Indikatoren, an deren Handhabung sich mehr denn je
Managementqualität messen lässt.
Ein solcher Erfolg war dem 1952 gegründeten Unternehmen freilich nicht immer auf die
Fahnen geschrieben.
Aufbau-Phase. Identitätsfindung von Unternehmen und Gesellschaft
Die ehemalige Lumpenfabrik der Vorkriegszeit startete 1952 unter dem Namen Erpo
die Produktion von Matratzen, später auch Polstermöbeln, deren Konstruktion durchaus Parallelen aufwies. Beide Produkte trafen sich in einem der wohl typischsten Produkte der Nachkriegszeit: der Schlafcouch. Als aufwendig gestaltetes Werk präsentiert
sich der Produktkatalog aus dem Jahr 1959, auf dessen Titel eine im Stil der Zeit abstrahierte Strichzeichnung die Botschaft des gehobenen Wohnens visualisiert. Die in
kontemplativer Entspannung mit übereinander geschlagenen Beinen sitzende Dame ist
vertieft in ihre Lektüre – und dabei durchaus ihrer Wirkung und Haltung bewusst. Sitzen wird zum inszenatorischen Akt, zum Lebensstil-Bekenntnis in einer Zeit der wirtschaftlichen Konjunkturbelebung.
In fotorealistischer Darstellung zeigt das Einstiegsbild eine aus unterschiedlichen Produkten zusammengestellte Sesselgruppe vor dem offenen Kamin – der als weiteres
Symbol gesellschaftlicher Etabliertheit ergänzt wird durch den obligatorischen Orientteppich im Vordergrund und die Fächerpalme auf dem Beistelltisch. Fast unauffällig im
Bildhintergrund erstreckt sich zwischen Kamin und Palme der „eigentliche“ Gegenstand
der Offerte: das Eckcouch-Doppelbett. In ihm treffen sich der Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg und die nach wie vor vorherrschende Knappheit von Wohnraum.
Lösung verspricht die Eliminierung des derzeit in lebens-stilistischer Hinsicht „unrentablen“ Schlafzimmers zugunsten des vergleichsweise opulent gestalteten Wohnraumes. Er verwandelt sich, wenn die Gäste sich verabschiedet haben und der Tag dem
Ende zugeht, in ein ambulantes Schlafzimmer – um nach Sonnenaufgang wieder seine
repräsentative Funktion zurück zu erlangen. Auch für Reisende, die ihre neu erlangte
auto-mobile Freiheit geniessen, stellen Klappcouchen die erschwingliche Alternative
zur Hotelübernachtung dar, welche das Nachkriegs-Budget gesprengt hätte.
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„Einbett-Couchen“, „Doppelbett-Couchen“ und „Einbett-Kipp-Couchen“ bilden denn
auch drei wesentliche Abschnitte in diesem Katalog, gefolgt von „Liegen, Eckcouchen,
Polsterbänken“, „Clubcouchen und Schalen“, „Sesseln, Clubsesseln und Gondeln“ sowie dem Ursprungsprodukt „Matratzen“.
Die Wirkung der Abbildungen – teilweise in Form eingeklebter Fotoabzüge – wird unterstrichen durch diagonal beschnittene Zwischenblätter, hinter denen sich die Bemassungen der Produkte verbergen. Helle, lineare Strukturen auf pastellig-buntem Grund
sind Zeugen einer Zeit, da die Stilisierung eines „leichten“ Lebens die Schatten der
Kriegs- und Nachkriegszeit überlagern soll. In sämtlichen Branchen erfreuen sich Unternehmen einer ungebremsten Nachfrage infolge des zerstörerischen Vakuums an
Produkten, aber auch Sinnerfüllung und Lebensfreude. Erpo floriert. Für das Bettcouchmodell „2040“ bezahlt der stolze Kunde im Jahr 1959 DM 486,--.
Partnerschaft. Geschäftsbeziehungen als unternehmerisches Spiegelbild.
Eng verbunden mit der Geschichte von Erpo als Hersteller von Polstermöbeln ist die
Entwicklung des Möbelhandels als Mittler zwischen Produzenten und Endkunden. Eine
der langjährigsten Geschäftsbeziehungen, welche zugleich exemplarisch die unternehmerischen Konjunkturen bei Erpo wiederspiegelt, ist die Zusammenarbeit mit Möbel Mann. Eine knappe Notiz in den Firmenunterlagen am Stammsitz Karlsruhe protokolliert die Anfangsphase einer nunmehr vier Jahrzehnte währenden Kooperation.
„Sehr geehrte Herren! Wir empfingen heute bestens dankend Ihr Rundschreiben vom
10.11.66 und teilen Ihnen der Ordnung halber mit, dass wir mit der in Ihrem Schreiben
angegebenen Rechnungsregulierung – entgegen unseren sonst üblichen Hauskonditionen – einverstanden sind.“
Krisen Management. Neue Anforderungen eines Käufermarktes
Zeitgleich, Ende der 1960er Jahre warfen zunehmende Sättigung des Marktes sowie
erste Krisensignale Schatten über das einst so erfolgreiche Unternehmertum. Das
Nachkriegs-Wirtschaftswunder begann zu verblassen, Arbeitslosigkeit, Kalter Krieg und
die politisch-systemkritisch motivierten 1968er Proteste dämpften die bis dato vorherrschende Euphorie. Nun, da sich Produkte nicht mehr gleichsam „von selbst“ verkauften, sahen sich Unternehmen mit neuen Anforderungen konfrontiert. Es galt, eine engere Anpassung herzustellen zwischen Produkt und Zielgruppe.
Nicht zufällig entwickelte sich zu dieser Zeit der gestiegenen Anforderungen an Anbieter von Produkten und Dienstleistungen das Marketing als neue betriebswirtschaftliche
Disziplin. Ein neu überarbeitetes Logo soll die zeitgemässe Ausrichtung des Unternehmens visualisieren. Statt des kantigen Schriftzugs „Erpo“ in ovaler Kontur prägt
eine von der Kreisform ausgehende Typo in Kleinschreibung seit Anfang 1973 das
unternehmerische Erscheinungsbild.
Und die unternehmerische Korrespondenz mit dem vom Gründer und Inhaber Hugo
Mann geleiteten Unternehmen Möbel Mann zeigt auf, wie Hersteller und Händler sich
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in gegenseitigen Aushandlungsprozessen herausfordern, immer mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen, die Produkte von Erpo für beide Seiten gewinnbringend an den
Endkunden zu verkaufen. Preiserhöhungen – „Materialpreis- und Lohnkostenerhöhungen zwingen auch uns…“, so Günther Blauw am 01.02.1973 – werden akzeptiert, über
das Datum des Inkrafttretens jedoch verhandelt. Bonusregelungen motivieren Handelspartner zur Steigerung des Umsatzes mit Erpo – und zeigen die jeweilige Position
im Kräftemessen um attraktive Konditionen. Mit 0,5 % ab 1,5 Mio. DM und 0,75 % ab 2
Mio. DM Jahresumsatz im Jahr 1980, doch wurde, wie Erpo dem Kunden Mann am
21.02.1980 mitteilt, mit netto DM 1.079.038,35 „das Limit von 1,5 Mill. für die Ausschüttung eines Bonuses leider nicht erreicht“.
Neben Diskussionen um die nüchternen Fakten von Kalkulation und Konditionen sind
sich Hersteller wie Handel gleichermassen der Bedeutung einer optimalen
Präsentation der Produkte im Möbelhaus bewusst. „Stufenkollektionen“ in DIN A 4Grösse sind per vertraglicher Definition fester Bestandteil im Lieferumfang für
Ausstellungsmodelle und werden, auch als Symbol einer festen Anbindung der
Geschäftsbeziehung, individuell mit dem Namen absatzstarker Handelspartner
versehen.
In grossformatigen, dunkelbraunen Verkaufshandbüchern werden die Modelle im Ambiente, im Detail sowie in ihrem Aufbau präsentiert. In einem Umfeld, das von bürgerlichen Prestige- und Wertvorstellungen erzählt, herrscht eine gediegene, ebenfalls von
Braun- und Beigetönen dominierte Schwere vor. Die Bezüge der Polstermöbel in natürlichem, angerauhtem Leder mit „gewollt legerer Faltenbildung“, so der explizite Hinweis, die Echtholzblenden aus Eiche oder Kirschbaum, die ebenfalls hölzernen Couchtische mit ihren weich gerundeten Kanten. Sie alle kommunizieren Natürlichkeit, Behaglichkeit und Harmonie, die Hinwendung zum Echten und Edlen. Selbst die Unternehmens-Typographie, die in Anlehnung an das Logo aus geschwungenen Rundungen aufgebaut ist, unterstützt den Eindruck des gemässigt modernen, gediegenen Auftritts. Als zeitgenössische Trend-Insignie schmücken nicht Schnittblumen oder lebendig
wirkende Pflanzen das Wohnumfeld, sondern üppige, akribisch komponierte Arrangements aus Textilblumen oder -palmen, die dank neuartiger Fertigungstechniken in
Nachahmung ihrer „echten“ Vorbilder eine besondere Form der Künstlichkeit ausstrahlen.
„Garantierter Sitzkomfort“ ist in dieser Zeit eines der zentralen Verkaufsargumente von
Erpo. Dieses abstrakte Merkmal wird visualisiert durch Querschnittzeichnungen, welche den Aufbau der Produkte verdeutlichen, vom Holzkorpus über Wellenfedern die
damals noch teilweise eingesetzten Federkerne, bis hin zur Polsterung aus verschiedenen, in ihrem Gewicht genau klassifizierten Schäumen. Hinzu kommen Schemazeichnungen, die über die Abmessungen der Produkte Auskunft geben.
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Verkaufsförderung. Visualisierung von Qualität und Nutzen
Die – auch durch Umsatzrückgänge motivierte – Fokussierung einer systematischen
und gezielten Kommunikationspolitik ist ein progressiver Kerngedanke der Unternehmensstrategie von Erpo in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Neben klar
aufgebauten Verkaufsunterlagen mit einem konsequenten und wiedererkennbaren
Erscheinungsbild werden in diesen Jahren auch die an den Handel gerichteten Schulungsmassnahmen intensiviert. Um sich gegenüber Mitbewerbern zu differenzieren und
sich im Umfeld vielfach scheinbar austauschbarer Produkte zu positionieren, werden
die Produktmerkmale von Erpo als Verkaufsargument hervorgehoben.
Dargestellt werden diese Massnahmen nicht nur in Broschüren und Handbüchern,
sondern auch in für die im Zeitkontext aussergewöhnlich fortschrittlichen multimedialen
Präsentationsformen. High Tech-Koffer beinhalten diagestützte Vorläufer des Beamers
und Kassettengeräte, um didaktisch anschaulich aufbereitete Informationen in Bild und
Ton zu übermitteln. Und eines der ersten Videogeräte kam bei diesen Schulungsmassnahmen zum Einsatz.
Unter dem Motto „Verkauf mit Argumenten“ zeigt eine aus annähernd 300 Dias bestehende Präsentation auf, durch welche Hintergründe in Verarbeitungs- und Materialqualität sich die Modelle von Erpo von Konkurrenzprodukten unterscheiden. Eine auch ein
Vierteljahrhundert danach noch aktuelle Form, sich von einem auf Niedrigpreise ausgerichteten Wettbewerb zu distanzieren und stattdessen den hohen Anspruch und Mehrwert der Produkte hervorzuheben. Eine kurze Geschichte zeigt die Ursprünge des
Sitzkomforts in Gegenüberstellung mit den Ansprüchen von Erpo auf. Fertigung und
Aufbau von Sesseln und Gestellen demonstrieren die aufwendige Konstruktion der
Produkte auch in Bereichen, die kein Endkunde je mehr zu Gesicht bekommt. Zulieferer von Bezugsmaterialien wie Leder Textilien und Velours öffnen ihre Pforten, um
Herstellprozesse „Made in Germany“ zu visualisieren, und schliesslich zeigt ein Blick in
Polsterei und Näherei, wie mit den sorgsam ausgewählten Materialien umgegangen
wird, um auch langfristig Sitzkomfort garantieren zu können.
Parallel dazu leitet Die Broschüre „Erpo Polstermöbel – ein Buch mit 7 QualitätsSiegeln“ den Blick des Betrachters in die Tiefe der Produkte und zeigt, welche Produktmerkmale unter den sichtbaren Oberflächen die Qualität von Polstermöbeln
bestimmen.
Verkaufsförderung. Der Kunde soll König sein.
Um individuell auf Kundenwünsche eingehen zu können, werden Verkäufer in fiktiven
Rollenspielen zudem dazu angeregt, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfragen, anstatt
ausschliesslich produktorientiert zu argumentieren. Die Betrachtung fokussiert zu dieser Zeit ausschliesslich physische Merkmale potentieller Käufer. Körpergrösse, Gewicht und Alter, aus dem sich auf die bevorzugte Sitzhaltung schliessen lässt. Lebensstilistische und ästhetische Präferenzen kommen im Schulungs-Handbuch von 1979
jedoch nicht zur Sprache. Deutlich wird damit einerseits die Bedeutung einer individuel6
len Hinwendung zum Kunden, andererseits aber auch die Notwendigkeit, geeignete
Kriterien auszuwählen, an denen sich seine Präferenzen festmachen lassen.
Die Schulungen, vom damaligen Inhaber in den Häusern der Handelspartner selbst
durchgeführt, finden positive Akzeptanz. Optimale Informationen über Erpo, Fertigung,
Qualität und „Botschaft“ der Produkte, verbunden mit der praktischen Unterstützung im
Beratungsgespräch mit dem Endkunden, tragen zur Festigung der Geschäftsbeziehung bei und heben die Produkte von Erpo aus der Masse gleichartiger Produkte von
Konkurrenz-Anbietern heraus.
Elchtest. Übernahme durch Ekornes
Dennoch gelingt es nicht, sich den Anforderungen potentieller Kunden in gewinnbringender Weise zu stellen. Zu wenig Profil weist die Produktpalette auf, ein zu geringes
Mass an Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit. Als Spiegelbild der sich zuspitzenden unternehmerischen Situation wirkt Mitte der 1980er Jahre die Produktpräsentation gleichsam „ernüchtert“. Mit dem Charme eines Schraubenkatalogs zeigt Erpo seine Produkte nun frei im undekoriertem Raum, begleitet lediglich von dem einen oder
anderen eher hilflos wirkenden Accessoire wie der “beiläufig“ hingelegten Zeitung oder
dem Textilblumengesteck, das bereits die Aufnahmen eine halbe Dekade zuvor geziert
hatte. Das Sortiment wurde gestrafft wie die im Telegrammstil gehaltenen Produktbeschreibungen: „Moderne Vollpolstergruppe. Hartholzgestell, Stahlwellenunterfederung.
Hochwertige Polyätherschaumpolsterung, legere Fiberfill-Auflagematten, salopp gearbeitet mit gewollter Faltenbildung. Sofas echte Rückenspannteile, Kunststoffgleitfüsse.“
So wurden, begleitet von den bereits bekannten Querschnittzeichnungen und Massskizzen Sofas und Sessel angeboten mit dem Faltenspiel gleichsam übergeworfener
Polsterauflagen als gemeinsamem Stilelement. Unter diesem Design kommt nun auch
das Schlafsofa mit eingebautem Bettkasten wieder zum Einsatz, das Erpo in den Erfolgsjahren der Nachkriegszeit begleitet hatte.
Eine echte Innovation verbirgt sich unter der Nummer 1420. Unter dem Namen „Lugano“ ist dieses Produkt bis heute einer der Bestseller von Erpo und begründete die wenige Jahre später ausgebaute Kernkompetenz „Das Prinzip der Bequemlichkeit®. Doch
offensichtlich schlummerten die weitreichenden Potentiale dieser Entwicklung zu jenem
Zeitpunkt noch. Wurde sie an wenig prominenter Stelle im Katalog knapp als „Hochlehn-Sessel (und -sofa) mit Funktion. Sitz-, Rücken- und Kopfteil bis Liegestellung verstellbar“ angeboten. So verhallen weiterhin positive Ansätze, ohne sich in erkennbarem
Unternehmenserfolg niederzuschlagen. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten waren Fortbestand und Zukunft des Unternehmens Erpo fraglich geworden.
Die unter dem Namen „Ekornes Erpo“ angebotene „Collection für individuellen Sitzkomfort“ untergliederte sich in die Erpo Modelle und die Produkte von Ekornes – Sofas
Sessel und Tische ohne einheitliche Produktaussage sowie die unter dem Namen
„Stressless“ angebotenen Funktionssessel. Sie stehen sich wie fremde Welten gegenüber und geben ein getreues Spiegelbild der damaligen unternehmerischen Situation.
Noch unrealisiert „in der Schublade“ lagen erste Entwürfe eines nach dem Systemprinzip aufgebauten Programms modern-klassischer Sofas.
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Auch die erneut überarbeitete Präsentation zeigt Orientierungslosigkeit. Verschiedene
fotografische Stile und Konzepte prallen ebenso aufeinander wie ein Patchwork gestalterischer Elemente. Ekornes Erpo lässt damit die erforderliche Profilierung vermissen.
Statt einer Ausrichtung an der Zielgruppe flottiert das Sortiment zwischen unterschiedlichen Produktschwerpunkten.
Zum 1. Januar 1988 übernahm der heutige Geschäftsführende Gesellschafter Thomas
Jungjohann die Geschäftsführung.
Führungs-Spitze. Alleingang statt Daumenschrauben
Mit der Zielsetzung, sich auf die Kernkompetenzen im oberen Marktsegment zu konzentrieren, restrukturierte Jungjohann das Unternehmen komplett um. Ein klares Produktkonzept wurde erarbeitet, an dem sich Marketing und Vertrieb klar ausrichteten. Zu
eng waren jedoch die Verflechtungen mit der norwegischen Muttergesellschaft, um mit
den bestehenden Strukturen den erhofften Turnaround realisieren zu können. Die nach
wie vor durch Erpo vertretenen Handelswaren von Ekornes konterkarierten die Herausbildung eines unverwechselbaren Profils, finanzielle Wechselbeziehungen belasteten das Betriebsergebnis des schwäbischen Unternehmens. Bald wurde deutlich, dass
dessen Zukunft auch unter der neuen Führung unter dem erdrückenden Konzerndach
mehr als fraglich war, so dass Thomas Jungjohann bereits Mitte 1990 eine Weiterentwicklung der Erpo Möbelwerke ausserhalb der bestehenden Strukturen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Ekornes Gruppe diskutierte, um die Entwicklung des Unternehmens unabhängig und ohne externe Daumenschrauben nach eigenen Vorstellungen realisieren zu können.
Die bevorstehende Übernahme von Erpo durch Thomas Jungjohann und der damit
einhergehende unternehmerische Kurswechsel wird 1991 symbolisiert durch eine
komplette Überarbeitung des Logos. Die Kleinschreibung des Logos bleibt erhalten, die
einzelnen Lettern, die zuvor kugelig nebeneinander angeordnet waren, werden
gestalterisch zu einer neuen Geschlossenheit integriert und zweifarbig voneinander
differenziert. „er-po“ in charakteristischem blau und schwarz steht für Ertinger
Polstermöbel.
In einem ersten Schritt am 21. Dezember 1993 übernahm Jungjohann 49% der Anteile
an der Erpo Möbelwerk GmbH & Co KG und Mitte 1994 die restlichen Anteile.
„Bequem sitzen“
Während konzernstrategische Überlegungen Ekornes zum Kauf von Erpo bewogen
hatten, standen für Herrn Jungjohann die Unternehmensinhalte im Vordergrund. „Bequem sitzen“ lautete das Ziel, das es mit geeigneten unternehmerischen Massnahmen
zu erfüllen gilt.
Voraussetzung, um dieses Versprechen einzulösen, ist die leidenschaftliche Neugier
darauf, was sich hinter dieser scheinbar so alltäglichen Körperhaltung des Sitzens
verbirgt. Um ein Schiff zu bauen, braucht man die Sehnsucht nach dem Meer. Um er8
folgreich Polstermöbel zu entwickeln und zu verkaufen, gilt es zu wissen, was „Sitzen“
in unserer Kultur bedeutet.
Zahllose Rituale und Gewohnheiten ranken sich ums Sitzen, und bildlich hat sich das
Sitzen in die Sprache eingeschrieben. Hinzu kommen ergonomische Überlegungen
ebenso wie die Frage nach den Lebensstilen einer Gesellschaft, die nicht mehr in
einem Mangel an Produkten lebt, sondern einem Überangebot nicht mehr
nachvollziehbarer Leistungen ausgesetzt ist. Wer sich in diesem Umfeld als Anbieter
profilieren will, muss Käufer in ihren Bedürfnissen ernst nehmen, die Bedeutung des
eigenen Produkts in diesem Umfeld erkennen und sein Angebot darauf zuschneidern.
Es gilt, ein eigenständiges Profil und Kernkompetenzen zu entwickeln, diese zu
perfektionieren und zu kommunizieren. Noch mehr als zwei Jahrzehnte später prägen
die beiden zu diesem Zeitpunkt ausgearbeiteten, jeweils prägnant in ihren Merkmalen
definierten Produktbereiche Das Prinzip der Bequemlichkeit und Erpo Classics das
Angebot des Unternehmens. Sie garantieren „Bequem sitzen.“ zum einen durch die
modern-klassischen Sofas des Produktbereichs Erpo Classics, dessen ausgefeiltes
Baukastensystem die zeitüberdauernde Formensprache auf individuelle Ansprüche
abstimmt. Mit dem Kernkompetenzbereich Das Prinzip der Bequemlichkeit realisiert
sich „Bequem sitzen.“ mit einem integrierten Verstellmechanismus, der dem scheinbar
statischen Sitzen Dynamik verleiht. Mit dieser produktpolitischen Entscheidung
unterstrich Thomas Jungjohann seine Haltung, sich auf die eigenen Fähigkeiten zu
konzentrieren und sich über diese Potentiale unverwechselbar zu positionieren, anstatt
im „Alles-und-Nichts“ der Beliebigkeit zur Profillosigkeit abzugleiten.
Den Start in diese neue Ära von Erpo markierten auf der Internationalen Möbelmesse
1994 ein komplett neuer Messestand und eine überarbeitete Corporate Identity.
Engagement als Erfolgsfaktor
Der neue Kurs zeigte Erfolg. Unter der Führung von Thomas Jungjohann als engagiertem, mit seinem Unternehmen „verwachsener“ Unternehmer begibt sich Erpo auf einen
straken Wachstumskurs und vermeldet in den Folgejahren Umsatzzuwächse von bis
zu 50 %. Begleitet wird dieser Expansionskurs durch grundlegende Investitionen. Um
die wachsenden Nachfrage nicht weiter mit steigenden Lieferzeiten „beantworten“ zu
müssen, entschliesst sich Thomas Jungjohann 1998 zur Übernahme des Donzdorfer
Polstermöbelunternehmens Dreipunkt.
Kompetenz „Made in Germany“ von internationaler Geltung
Die Botschaft eines Unternehmens liegt nicht nur in den Produkten selbst, sondern
auch in der Konstellation der in den Geschäftsprozess involvierten Personen. Ihre Haltung entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Produktdesign und Qualität, Handwerk
und Markenbild stellen tragende Säulen dieser Geschichte dar. Und während zahlreiche Mitbewerber in Zeiten des konjunkturellen Gegenwinds ihr Heil in scheinbar „günstigen“, de facto aber noch nicht einmal „billigen“ Produktionsstandorten in Niedriglohnländern suchen, ging Erpo den entgegengesetzten Weg. Alle Fertigungsprozesse und
Produkte werden am Standort Deutschland hergestellt. Bei wachsendem Exportanteil,
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der mit 30 %% deutlich über dem Branchendurchschnitt liegt, überzeugt Erpo seine
Kunden in Europa, Japan und Asia-Pacific, welche Geschichte hinter „Bequem sitzen.“
und Made in Germany steht.
Die kultursemiotische Betrachtung des scheinbar selbstverständlichen Sitzens sowie
die medizinisch-ergonomische Analyse dieser (Körper-) Haltung geben Hinweis auf
diejenigen Anforderungen, die sich aus dem Blickwinkel der Erpo Zielgruppen an Polstermöbel richten. Die Übersetzung dieser Inhalte in konkrete Produkte zeigen die Formensprache von Erpo Classics und Das Prinzip der Bequemlichkeit.
Körper-Botschaft. Macht Sitzen glücklich?
Um ein Schiff zu bauen, denke man an die Sehnsucht nach dem Meer. Um erfolgreich
Polstermöbel zu entwickeln und zu verkaufen, gilt es zu wissen, was „Sitzen“ in unserer Kultur bedeutet. Zahllose Rituale, Konventionen und Gewohnheiten ranken sich
ums Sitzen – und bildlich hat sich das Sitzen in der Sprache niedergelassen. „Das
sitzt.“
Thron der Monarchen. Präsentierteller oder Pranger?
Beim Anblick eines kostbaren Louis XV-Sessels gefror Fürstin Gracia Patricia von Monaco ihr sonst so gewinnendes Lächeln. Aus Anlass einer Feierstunde im Festsaal der
altehrwürdigen Académie Francaise in Paris war ihr das glanzvolle Museumsstück vom
Hausherrn persönlich und protokollgerecht angeboten worden, während die anderen
Gäste auf Plastikstühlen Platz nehmen müssten. Nach der Veranstaltung des exklusiven Literatenzirkels sagte Gracia: „Es war eine grosse Ehre, aber ich fühlte mich ein
wenig wie auf dem Präsentierteller.“
Die Geschichte zeigt, wie sensibel Rituale und Gefühle von Repräsentation aufeinander bezogen sind. Während die Akademie politisch korrekt – vielleicht auch überkorrekt
– handelte und ihrem Ehrengast mit der Bereitstellung des antiken Möbels huldigte,
war dies der Fürstin mit ursprünglich bürgerlicher Herkunft eher peinlich – selbst wenn
die billigen Plastikstühle für das „gemeine Volk“ bequemer waren als die sitz-bare Antiquität für die elegante und kultivierte Monarchin.
Oder gibt es für die Reaktion der Fürstin noch tiefere Gründe, die sich aus der engen,
latent gespannten Beziehung zwischen dem Fürstentum Monaco und dem französischen Staat ergeben? Monaco, eine konstitutionelle Erbmonarchie, die von Frankreich
aussenpolitisch vertreten wird, ist zwar ein souveräner Staat – bei seiner Regierungsbildung hat jedoch Frankreich ein in der monegassischen Verfassung verbrieftes Recht
zur Mitsprache. Und die deprimierendste Vorstellung ist ebenfalls gesetzlich verankert.
Hält die Fürstenfamilie keine Kinder als direkte Erben für die Nachwelt bereit, fällt Monaco an Frankreich. Möglicherweise war es auch diese beständige, schlummernde
Existenzbedrohung durch Frankreich, die der Fürstin beim Anblick eines Fauteuils aus
der gloriosen, französischen Vergangenheit zu schaffen machte. Vielleicht empfand sie
das Sitzangebot als Beleidigung, so als hätte man sie kurzerhand zur französischen
Königin erhoben, die von nicht-standesgemässen französischen „Plastik-Untertanen“
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umgeben ist. So, als hätte man ihr eine Dornenkrone aufgesetzt. Denn, ein Plastikstuhl
markiert nur niedere gesellschaftliche Rang-Ansprüche.
Die Anekdote um Fürstin Gracia in der Académie Francais zeigt, wie eng Erniedrigung
und Huldigung unter dem Aspekt des monarchischen Sitzens beieinanderliegen können. Auch im normalen, bürgerlichen Alltag gilt: Bewegt man sich auf fremdem Territorium, befindet der Gastgeber mit grosszügiger Geste über den Sitzplatz seines Gastes,
von dem dieser sich nur erheben darf, wenn er seine Ortsveränderung rechtfertigt oder
entschuldigt – sei es, dass er ein Bild an der Wand näher betrachten, einen Blick aus
dem Fenster werfen oder sich irgendwann verabschieden will. Damit er seine vorübergehende Gefangenschaft, welche die Ressource Lebenszeit unwiederbringlich verbraucht, leichter erträgt, erhält er vom Gastgeber ein Getränk, gegebebenenfalls etwas
zu knabbern und hoffentlich einen bequemen Sitzplatz. Gewährtes Sitzen ist eine fixierte Position im Raum und kontrollierte Überwachung des Gastes an einem Ort durch
den Gastgeber. Mit dem angebotenen Sitzplatz tauscht der Gast ein Stück persönliche
Freiheit gegen Bequemlichkeit und gegen die Gefahr der Vereinnahmung ein.
Königin und Abgeordnete. Gefangene im selben Staatsschiff.
Ein anderes Beispiel für gehuldigtes Sitzen ist die britische Königin. Während sie nach
einer parlamentarischen Neuwahl selbstverständlich sitzend die – wenn auch vom
Premierminister verfasste – Regierungserklärung auf ihrem Thron im Oberhaus verliest, stehen die Abgeordneten aus dem Unterhaus samt Premierminister wie brave
Schulbuben während der gesamten Zeremonie hinter einer Schranke als Zuhörer. Sie
werden erst kurz vor der Verlesung dorthin beordert. Wer sind hier die Gefangenen?
Der eingepflanzte König ist einsam und traurig.
Könige sind Stellvertreter und Vermittler der Götter, aber nicht unbedingt glückliche
Thron-Besitzer. Sie werden nicht auf eigenem Wunsch auf den Thron erhoben, sondern weil es die Erbfolge oder – in archaischen Zeiten – ein Volksstamm so will. Monarchen opfern sich selbst und sind Mängelwesen. Sie sind – zumindest im Märchen –
grundsätzlich melancholisch und einsam. Ihnen fehlt etwas zum Beispiel ein Prinz für
die schöne Tochter als Thronfolger, Land zur Vergrösserung von Reichtum, Ruhm und
Macht, Frieden in kriegerischen Zeiten. Da sie immer etwas vermissen, leben sie
merkwürdig zurückgezogen in der Gegenwart und sorgen sich einer visionären Zukunft
entgegen.
Offensichtlich sind Majestäten auch nicht in der Lage, persönliche Wünsche und Sehnsüchte ihrer Umgebung mitzuteilen. Im Märchen „Der gestiefelte Kater“ ist die Katze
der einzige externe Mitarbeiter am Hof, der – im Unterschied zu allen Untertanen und
Hofangestellten – von der geheimen Sehnsucht des Königs nach Rebhühnern weiss.
Der auf seinem Thron eingepflanzte König ist nicht besser dran als ein gewöhnlicher
Hund, dem man befiehlt „Mach Sitz!“ Und stirbt ein König, heisst es: „Der König ist tot,
es lebe der König“. Der einzelne Monarch ist längst nicht so wichtig wie die abstrakte,
dauerhafte Präsenz des königlichen Geschlechts, die es über Generationen hinweg zu
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erhalten gilt. Das thronende Sitzen der Könige ist herrschendes und beherrschtes, herablassendes und erniedrigtes, aktives und passives Sitzen, Privileg und Martyrium
zugleich. Der Monarch muss seine gesamte Energie sitzend darauf verwenden, als
identitätsstiftender und sinngebender Mittelpunkt sein Volk zu repräsentieren.
Latente Revolution. Huldigung als Volks-Aufstand.
Eine andere Form der Huldigung ist das sich Erheben eines sitzenden Kollektivs.
Betrat während der Unterrichtsstunde der Herr Direktor den Klassenraum, um dem
Unterricht beizuwohnen, z.B. zur Kontrolle der fachlichen, didaktischen und pädagogischen (Un-) Fähigkeiten eines Lehrers, so erhoben sich die Schüler und auch der jeweilige Lehrer. Falls er gerade gesessen hatte. Dies galt ebenso, wenn der Hausmeister während der Unterrichtsstunden durch die Klassenräume lief, um aus einem dicken
Buch die Bekanntmachungen der Schulleitung zu verkünden. Auch der jeweilige Lehrer, der zu Beginn der Unterrichtsstunde den Klassenraum betrat, wurde durch das
Erheben der Schüler begrüsst. Das schneidende „Sätzen Sä sech!“ des Lehrers Professor Crey (alias „Schnauz“) ist uns aus dem Film „Die Feuerzangenbowle“ vertraut.
Wird während der Mitgliederversammlung eines Vereins der verstorbenen Mitglieder
gedacht, erheben sich alle Anwesenden. Auch die Herren am Vorstandstisch und das
Präsidium für eine Schweigeminute von ihren Plätzen, um die Toten zu ehren. Betreten
in einem Gericht die Richter den Saal zu Beginn einer Verhandlung, erheben sich alle
Anwesenden, bis der Richter (auch wenn er auf den folgenden Fall nur schlecht vorbereitet ist) selbst Platz genommen hat und die Versammelten auffordert, sich wieder
hinzusetzen.
Im protestantischen wie katholischen Gottesdienst gehört das sich wiederholte Erheben der sitzenden (katholisch plus knienden) Gemeinde während der Gebete und anderer Gottesanrufungen zur Liturgie, in die man als Besucher auch körperlich eingespannt wird. Vor internationalen Fussballspielen werden die beiden Nationalhymnen
der teilnehmenden Länder von allen Besuchern und Teilnehmern stehend gesungen,
wobei die Hymne des Gastlandes zuerst gespielt wird. Bei einem Orchesterkonzert
erhebt sich der Solist (falls er bei der Darbietung gesessen hat) nach dem Auftritt von
seinem Hocker und verbeugt sich vor dem Publikum. Auf ein besonderes Zeichen des
Dirigenten erhebt sich das gesamte Orchester und huldigt dem Publikum wie dem Solisten. Meist erheben sich dann auch noch grosse Teile des Publikums, während es
begeistert klatscht.
Das höfische Zeremoniell schrieb für Festessen vor, dass die Bediensteten während
der gesamten Veranstaltung am Tisch standen und ihren Dienst an den selbstverständlich sitzenden Herrschaften stehend verrichteten. In gebührender Entfernung
standen die Hofbeamten und schauten dem Geschehen als einem öffentlichen Ereignis
stundenlang zu, was für sie Ehre und Pflicht zugleich war.
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Die Sprache hat ihren Sitz im Leben.
„Das sitzt“, sagt man und bezeichnet damit die gute Passform eines Kleidungsstücks
oder eine gut gelungene Formulierung. Der Reichtum an Metaphern von „sitzen“,
„Sitz“, „setzen“ und „Stuhl“ in der deutschen Sprache ist sehr gross. Wer einen
Schwips hat, „hat einen sitzen“. Wer als Schüler nicht in die nächst höhere Klasse
„versetzt“ wird oder als Erwachsener keinen Ehepartner findet, „bleibt sitzen“. Wer im
Gefängnis eine Strafe verbüsst, der „sitzt“. Wer in der „Klemme sitzt“, hat nicht viel zu
lachen. Wer „Sitz und Stimme“ hat, gilt in einem Gremium als gewählte Autorität. Wer
keinen „Wohnsitz“ nachweisen kann, gilt als „nicht sesshaft“ und muss mit gesellschaftlichen Nachteilen rechnen. Wer sich mit einer Idee „durchsetzt“, hat damit Erfolg vor
seinen Widersachern. Wer im Berufsleben die Position seines Kollegen einnehmen
will, „sägt an seinem Stuhl“ und riskiert, dass irgendwann sein eigener „Stuhl wackelt“.
„Sitz“ und „Stuhl“ bezeichnen stabile gesellschaftliche Positionen wie: „Wohnsitz“, „Alterssitz“, „Vorsitz“, „Firmensitz“, „Besitz“, „Landsitz“, „Ansitz“ oder „Lehrstuhl“, „Richterstuhl“, „Heiliger Stuhl“ und ebenso stabile technische Vorrichtungen wie „Webstuhl“,
„Dachstuhl“, „Glockenstuhl“. „Rollstuhl“ und „heisser Stuhl“ sind moderne, ambulante
Varianten des statischen Sitz-Gestells. Das Bedeutungsfeld der Wörter spiegelt deutlich die Ambivalenz von positiver und negativer Bewertung wider, die dem Sitzen eigentümlich ist. So fördert Sitzen den konzentrierenden, aktiven Blick nach innen einerseits und begleitet schwerwiegende Mängel andererseits.
Sitzen als Norm und Gewohnheit. Körperliche Aggregatzustände.
Neben Liegen, Gehen, Laufen, Klettern, Hocken und Kauern ist das Sitzen des Menschen einer seiner körperlichen Aggregatzustände, der kulturell determiniert ist. Zu den
besondere Formen zählen: Stehsitzen, Lotos-Sitz und der Schneidersitz.
Sitzen ist eine Körperhaltung, die in unserer Gesellschaft einer Legitimation bedarf.
Wer einfach nur – ohne etwas Sinnvolles zu tun – herumsitzt, gilt schnell als faul. Führt
er aber wichtigtuerisch den Vorsitz einer Versammlung, schreibt er gerade an seiner
Predigt oder Steuererklärung, füllt er seinen Lottoschein oder ein Kreuzworträtsel aus,
ist er berechtigt, dies im Sitzen zu tun.
Essen war früher eine rein sitzende Tätigkeit. Wenn früher jemand kauend auf der
Strasse herumlief, galt er als asozial. Wer heute durch die Fussgängerzone einer Stadt
geht, trifft ständig auf Leute, die offensichtlich auf der Flucht sind, weil sie unter dem
Gehen Pizzen, Gyros, Burger und dergleichen verschlingen und in der freien Hand
noch ein Getränk mit sich führen.
Das Sitzen ist gesellschaftlich eingeübt.
Sitzen ist gesellschaftlich eingeübt und kontextabhängig. Sitzen ist eine Ekstase aus
der Zeit heraus. Man setzt sich einzeln oder zusammen hin und verfolgt einen bestimmten Zweck, während „draussen“ der Alltag weitertobt. Einzeln: ein Buch lesen,
nachdenken, meditieren, schreiben, essen, Musik hören, telefonieren, fernsehen,
schaukeln, am Notebook sitzen. Zusammen, aber nicht immer gemeinsam, eine Be13
sprechung, „Sitzung“ oder eine Konferenz abhalten, einer Festveranstaltung oder einer
Vorstandssitzung beiwohnen, als Zeuge, Richter oder Angeklagter an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen, an einem „runden Tisch“ zur Konfliktbewältigung beitragen,
als Zuhörer in einem Konzert oder in einem Vortrag sitzen, zu einem gemeinsamen
Essen eingeladen sein, eine Partie Schach spielen, als Patient in einem Wartezimmer
dem Aufruf entgegensehen, als Passagier während eines Fluges, als Reisender in Zug
oder Bus sitzen. Gemeinsame Sitzungen, die oft als zeitraubend und zu lang empfunden werden, sind zeitlich vereinbart – zumindest, was ihren Beginn betrifft. Das Ende
ist entweder genau definiert oder gilt als stillschweigend vereinbart. Der ehemalige
Ford-Chef Daniel Goedevert stellte einst fest, dass Sitzungen in „Stehungen“ umgewandelt werden müssten, auf dass sich ihre Dauer auf die Hälfte reduzieren liesse.
Das Zusammensitzen mehrerer Personen bei Besprechungen definiert nicht nur die
Ekstase, erinnert an den Zweck der Zusammenkunft, sondern führt einerseits zur körperlichen Gleichberechtigung unterschiedlich grosser Menschen und legt andererseits
die soziale Rangordnung fest- Der Chef sitzt meist am Kopfende. Und: Je wertvoller
die Polstermöbel im Raum, desto höher sind die Erwartungen an den Besucher.
Drohung, Geborgenheit und Massregelung.
Wer auf einem Stuhl oder Polstermöbel sitzt, kann sich leicht durch herumstehende,
ihn umstehende Personen bedroht fühlen. In einem Cartoon, in dem die körperliche
Grösse des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl im übertragenen Sinne seine
„Übermacht“ verdeutlichen sollte, sitzt dieser neben der damaligen filigranen, britischen
Premierministerin Margret Thatcher. Frau Thatcher fühlt sich offensichtlich nicht wohl
und zischt Kohl von der Seite an: „Sit down you tall German!“ Kohl reagiert wie immer
lakonisch: „I am sitting, Madame.“
Geborgenheit im Sitzen erfährt man nicht nur auf einem Polstermöbel oder als Kind auf
dem Schoss eines vertrauten Erwachsenen. Geborgenheit archaischer Art erfahren
auch Fahrer und Beifahrer in einem Porsche Carrera der älteren Bauart. Beim Blick
durch die Windschutzscheibe auf die beiden röhrenförmigen Kotflügel, die aus diesem
Blickwinkel an Oberschenkel erinnern, fühlt man sich wie auf dem Schoss eines dahin
eilenden Urwesens.
Das Sitzen hat in der Erziehung eine wichtige sedierende und disziplinierende Funktion. „Setz dich hin und sei still!“, werden motorisch hyperaktive Kinder angeherrscht.
Und zum „Nachsitzen“ werden Schüler am Nachmittag bestellt, wenn die Schulaufgaben nur mangelhaft erledigt wurden.
Der Sitzplatz als Drehscheibe.
Der Sitzplatz ist Drehscheibe und Sparringspartner für Kommunikation und Konvention.
So rankt sich um ihn die Konvention, dass man – besonders in öffentlichen Einrichtungen – als Herr einer Dame oder einem deutlich älteren, gebrechlichen Menschen den
eigenen Platz anbietet, falls alle anderen Sitzmöglichkeiten schon besetzt sind. Der
eingenommene Sitzplatz stellt so etwas dar wie eine kleine Trutzburg, von der man
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nicht ohne weiteres vertrieben werden kann. „Ist der Platz noch frei?“ fragt der höfliche
Mensch nach einem Sitzplatz, wenn er auf einen vermeintlich nicht weiter markierten
freien Stuhl oder Sitz trifft. Umgekehrt markieren auf dem Sitz deponierte persönliche
Gegenstände – Schal, Schreibblock oder Veranstaltungsprogramm – im Lehrsaal wie
im Konzert die Besetzung des an sich noch menschenleeren Platzes.
Der bereits erwähnte, vom Gast angebotene Sitzplatz (der einer Sitzordnung folgt) signalisiert die Bereitschaft zur Verbindlichkeit, den Gast als einen „Fremden“ vorübergehend zu integrieren und ihn zumindest so lange zu akzeptieren.
Ein Steh-Empfang signalisiert von vornherein, dass es keine Sitzordnung (und auch
keine Stehordnung) gibt. Veranstaltungen dieser Art verlaufen rascher und improvisierter ab als ein Festessen mit fester Sitzordnung, sie dauern nicht sehr lange, kennen
auch nicht die Sub-Einrichtung einer Tischdame. Man kann sich als Gast entfernen,
auch wenn das gesellschaftliche Ereignis noch nicht zu einem Abschluss gekommen
ist. Steh-Empfänge haben den Vorteil, dass man sich die Gesprächspartner selbst
auswählen kann und dass man nicht neben einem langweiligen Tischnachbarn kommunikativ vertrocknen muss. Es ist eine ambulante (lat. herumgehen) Situation.
Der Sitzplatz als wirtschaftliches Gut.
Sitzplätze in der Öffentlichkeit sind meist knapp, zahlenmässig begrenzt und leistungsbezogen – also müssen sie bewirtschaftet werden. Man muss sie mieten und vor der
Nutzung reservieren lassen. Auf der berühmten Eintrittskarte sind peinlich genau Datum des Ereignisses und Platznummer dokumentiert: Konzertsaal, Theater, Stadion,
Flugzeug und Bundesbahn.
Funktionsträger funktionieren im Sitzen.
In Institutionen sind Sitzplätze über einen längeren Zeitraum an Personen als Funktionsträger gebunden und entsprechend durch Schilder auf dem Verhandlungstisch
markiert. In Räumen mit hoher repräsentativer Funktion wie dem Parlament oder dem
Vorstandstisch in einem Vereinshaus wird der Sitzplatz einer gerade verstorbenen (Autoritäts-) Person durch einen Blumenstrauss besetzt. Ein solcher Sitzplatz wird zu einer
erweiterten sterbliche Hülle. Die Blumen signalisieren nicht nur Verehrung und Trauer,
sondern sollen den Verstorbenen, dessen Geist noch anwesend ist, ehren und versöhnlich stimmen.
Ehrfurcht gebietende Chefsessel sind die bürgerlichen Throne der Moderne und die
Schreibtische der hohen Herren erinnern in Form und Grösse an die Wucht eines Altars. Es sind die feudalen und klerikalen Atmosphären, die im grossbürgerlichen Milieu
zusammenfallen.
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Metaphysik des Sitzens.
Als Reisender oder als Medienbenutzer nimmt der Mensch eine utopische Position ein.
Er ist überall und nirgendwo. Die Beengtheit seines Sitzplatzes wird durch die unendliche Weite des realen oder virtuellen Welt-Raumes kompensiert, in dem er sich bewegt.
Der Soldat in Panzer und U-Boot, der Pilot in seiner Kanzel, der Astronaut in seinem
Shuttle, der Mönch in seiner Klosterzelle, der Gefangene hinter Gittern oder die Auswanderer auf der Mayflower – sie alle bezahlen ihre extreme, asketische Enge mit der
extremen Vision und Hoffnung auf das siegreiche, freie, ewige Leben danach. Auch die
Souffleuse in ihrer engen Kabine flüstert und sitzt bezogen auf den Erfolg „ihrer“
Schauspieler. Ebenso visionär agiert der katholische Geistliche in seinem vergitterten
und identitätsvernichtenden Beichtstuhl. Der Leuchtturmwärter „sitzt“ auf dem begrenzten Turm und entlässt signalhafte Strahlen zur Orientierung der Schiffe in der unendlichen Weite des maritimen Raumes. Studenten und Schüler schliesslich sitzen viel in
asketischer Umgebung und bereiten sich auf Prüfungen, bzw. auf das Berufsleben vor.
Der Sitzende in seinen unterschiedlichsten Situationen gleicht hier einer Uhrfeder, die
für einen späteren Zweck aufgezogen wird.
Der Mensch sitzt für sein Seelenheil.
Der mangelnde Bewegungsspielraum des Sitzens und der Sesshaftigkeit beruhigt und
besänftigt die Gemüter. Sogenannte Krabbelkinder, die bei ihrer Entdeckungsreise im
Wohnzimmer ihre Eindrücke nicht mehr verkraften können, deshalb ungebärdig werden und laut schreien, setzt man schleunigst in ihr Laufställchen – und schon verwandelt sich die aggressive Stimmung des Kleinkindes in ein glücklich-seeliges Glucksen.
Kommt es auf der Autobahn im aggressiven Wochenendverkehr an einem Freitag
Nachmittag zu einem Stau, von dem man weiss, dass er lange anhalten wird – verwandelt sich die Autobahn urplötzlich in eine Art Beach-Party. Die gefrusteten Menschen springen wie befreit aus ihren Autos, knüpfen fröhlich Kontakte mit den anderen
Leidensgenossen, bieten sich gegenseitig Zigaretten und Getränke an und drehen ihre
Radios auf. Ein passageres Volksfest. Sitzen und Sesshaftigkeit sind ein verschreibungsfreies Sedativum – lateinisch „sedare“ heisst „machen, dass sich etwas setzt“.
Auch wer im Stehen in Streit gerät, sollte – bevor es zur Schlägerei kommt – sich
schleunigst mit seinem(n) Kontrahenten zusammensetzen.
Sesshaftigkeit. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
Politisch ist es deshalb nicht sehr klug, mit der Abschaffung der Eigenheimzulage zu
drohen. Dies schadet der Bürgerpflicht. Die Erhebung der Grunderwerbsteuer ist schon
Hohn genug, angesichts der Kosten, die bei Hausbau oder Hauskauf für den Eigentümer anfallen. Passagiere (passager heisst auch „unverbindlich“) zahlen keine Steuern!
Der Staat sollte deshalb froh sein über die Sesshaftigkeit seiner Bürger – und sie dafür
belohnen! Beide Massnahmen stellen eine arge Bestrafung für den gebeutelten Eigentümer dar, der doch gerade für Sesshaftigkeit, Ruhe und Frieden in seiner neuen Umgebung sorgt. Politiker, die doch selbst gerne an ihrem Stuhl kleben, sind sehr blind für
gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge.
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Vierbeinige Kollegen
Polstermöbel und Stühle als menschliche Parallel-Körper
Stühle und Polstermöbel, besonders Sessel, erinnern in ihrer Struktur an den menschlichen Körperbau. Polstermöbel: Ein Innengerüst / Gestell (Skelett) ist von einer Polsterung (Muskeln, Gewebe, Haut) umgeben. Sitzfläche (Gesäss). Gelenke, z.T. motorgetrieben, sorgen für die Beweglichkeit einzelner Teile. Ein Lehnstuhl hat Vorderbeine
(Beine), Lehne (Kragen und Arme), Hinterbeine (Frackschösse) und eine Sitzfläche
(Gesäss). Der sitzende Mensch wiederum verkörpert die Struktur eines Stuhls. Seine
beiden Vorderbeine entsprechen den Unterschenkeln des Sitzenden, die Oberschenkel
der Sitzfläche, die beiden Sitzhöcker stellen die stark verkürzten Hinterbeine eines
Stuhls dar.
Kleine Philosophie der Polsterung
Die Intensität der Polsterung bei Stühlen und Polstermöbeln bewegt sich in einem Kontinuum zwischen stoss ähnlicher Härte und schwebender Schwerelosigkeit im Raum.
Während der harte Stuhl den Sitzenden nach kurzer Zeit wieder aufspringen lässt oder
ihn unter Zwang martert, lässt eine gute, weiche Polsterung Zeit und Raum des Sitzens
vergessen. Man schwelgt einzeln oder in das Gespräch versunken dahin.
Heisser Stuhl. Der Sitzende im Brennspiegel
Lehnstuhl, Polstermöbel, Thron. Der Sitzende befindet sich in einer Art Brennspiegel,
was sich in der Apsis im Innern oder der konkaven Aussenfassade einer Kirche oder
eines Barockpalastes architektonisch fortsetzt. Das „Eingekastelte“ findet sich auch im
Chorgestühl und im Grundriss eines Schlosses in Form eines Hufeisens.
Sitzen als Versenkung.
Sitzen markiert Ekstase aus dem alltäglichen Zeitgerüst heraus. Sitzen bedeutet Einengung des Bewegungsspielraumes und Zurückgezogenheit. Sitzen bietet Gelegenheit
zur Introspektion. In dem Gedicht „Ich saz uf eime steine“ des Minnesängers Walther
von der Vogelweide (1170-1230) wird die äussere Sitzhaltung des Dichters mit seiner
inneren Befindlichkeit – Verzweiflung und Resignation – identifiziert.
Ich sass auf einem Stein,
und schlug ein Bein über das andere.
Darauf stützte ich den Ellenbogen.
Ich hatte in meine Hand geschmiegt
das Kinn und meine eine Wange.
So erwog ich in aller Eindringlichkeit,
wie man auf dieser Welt zu leben habe.
Keinen Rat wusste ich zu geben,
wie man drei Dinge erwerben könne,
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ohne dass eines von ihnen verlorenginge.
Zwei von ihnen sind Ehre und Besitz,
die einander oft Abbruch tun;
das dritte ist die Gnade Gottes,
weit höher geltend als die beiden andern.
Die wünschte ich in ein Gefäss zu tun.
Aber zu unserm Leid kann das nicht sein,
dass Besitz und Ehre in der Welt
und dazu Gottes Gnade
zusammen in ein Herz kommen.
Weg und Steg ist ihnen verbaut,
Verrat lauert im Hinterhalt,
Gewalttat zieht auf der Strasse,
Friede und Recht sind todwund.
Bevor diese beiden nicht gesunden,
haben die drei keine Sicherheit.
Übersetzung Peter Wapnewski
In der Manessischen Handschrift ist diese Sitzhaltung in Text und bildlicher Darstellung
des Hofdichters aufs Genaueste wiedergegeben. Das abgeschnallte, an den Felsen
gelehnte Schwert symbolisiert eindrücklich Ekstase und Versunkenheit des Minnesängers. Sitzen als Introspektion zur Verwurzelung im Diesseits und zur Überwindung
existentieller Zweifel.
Walther von der Vogelweide hat in seinen Dichtungen nicht nur die gleichberechtigte
Liebe zwischen Mann und Frau beschrieben und besungen, sondern als beratender
Hofpoet vielen Monarchen gedient und dabei in politischer Hinsicht meist kein Blatt vor
den Mund genommen. Das anstrengende Dasein als fahrender Sänger und PRBerater – zwischen Anpassung und Authentizität balancierend – hat er verabscheut
und sich nach der Sesshaftigkeit und Unabhängigkeit eines kleinen Besitzes gesehnt,
bis ihm Kaiser Friedrich II einen Gutshof in der Nähe von Würzburg vermachte. „Ich
han min lehen, al die werlt, ich han min lehen“ sang er voller Glück.
Sitzen macht glücklich!
Die älteste Form des Sitzens, der Thron der einsamen und traurigen Könige als Abbild
thronender Götter, hat sich im Laufe der Kulturgeschichte zum vielgestaltigen Sitzmöbel bürgerlicher Zivilisation gewandelt. Wer sich heute, ob als Bürger, Künstler oder
Unternehmer sitzend frei erheben kann über die Besessenheit seiner Zwänge und sitzend den Kopf frei hat für den Rausch seiner sprudelnden Gestaltungskraft, macht den
Sitzplatz zum Zentrum seiner Welt. Ergebnisse dieses aktiven Sitzens sind Ideen, Pläne und Konzepte, die den Menschen vom Hocker reissen, um sie der Welt begeistert
und standhaft zu präsentieren. Ästhetik, Handwerk und Ergonomie werden somit zu
Garanten des glücklichen Sitzens!
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Erpo International. Synonym für „Bequem Sitzen.“
Kulturell, gesellschaftlich und ergonomisch fundierte Anforderungen stecken den Rahmen ab für die Entwicklung und Verkauf von Polstermöbeln. Sie geben eine zunächst
noch abstrakte Anweisung, die es in die Sprache konkreter Produkte zu übersetzen
gilt. Anstatt sich in einer Vielheit unterschiedlicher Formen zu verlieren, fokussiert Erpo
zwei Kernkompetenzbereiche Das Prinzip der Bequemlichkeit und Erpo Classics.
Gestaltungs-Räume: Erpo Classics
Polstermöbel wandeln sich, wie alle Bereiche von Architektur und Einrichtung, mit
Modeströmungen, wie sie auch in der Kleidermode zu beobachten sind. So inspirierte
in den 1960er Jahren das neu entdeckte Material Kunststoff Möbeldesigner ebenso zu
Design-Utopien und Modemacher, welche von Courreges bis Rabanne dem neuen,
artifiziellen Look frönten. Die Weichheit der Post-1968er Hippie-Mode machte auch vor
den Polstermöbeln mit ihren derzeit amorph-üppigen Rundungen nicht Halt. Als in den
80er Jahren die um Ettore Sottsass gegründete Gruppe Memphis in antifunktionalistischer Manier comic-bunte Kunststoffobjekte für den Wohnbereich formte,
schwappte deren plakativer Farbenreichtum, aber auch die Auflösung einer „natürlichen“ Form gleichermassen auf die Kleider- und Frisurenmode über. Dreiecksformen
prägen die Silhouetten der Anzüge, kantig-bunt sind auch die sprayverstärkten, polychrom gefärbten Haartrachten. Das puristische Design der 90er Jahre – prominenter
Vertreter des vom Zuber abgeleitete Badezimmer von Philippe Starck – findet seinen
Widerhall in der Mode, wenn etwa Jil Sanders Models scheinbar ungeschminkt und
müde über die Runways der Mode-Metropolen defilierten. Mode und Wohnen – eine
scheinbar untrennbare Koppelung also, durchbrochen lediglich von wenigen Klassikern
der Formensprache, welche epochenübergreifend ihre Gültigkeit behalten haben.
Sofas von überzeitlicher Gültigkeit
Zu ihnen zählen die modern-klassischen Sofas Erpo Classics. Rechte Winkel dominieren an diesem Produkt. Zwischen senkrechten Flanken, ob auf Füssen oder bis zum
Boden reichend, spannt sich waagerecht die Sitzfläche, rückseitig begrenzt durch eine
ebenfalls senkrechte Rückenlehne, deren benutzerfreundiche Neigung sich erst durch
die Struktur der Kissen ergibt. Fast scheint es, als läge die zeitüberdauernde Gültigkeit
dieser Sofas in jener optischen Statik begründet, die den Eindruck erweckt, als könne
und dürfe sich diese Form niemals ändern. Tatsächlich liegen die Wurzeln dieses
Klassikers nicht etwa in der Designgeschichte der vergangenen Jahrzehnte, sondern
reichen bis Ende des 19. Jahrhundert zurück. Zu jener Zeit standen mit historisierenden Elementen überladene, dem Massengeschmack entsprechende Möbelstücke einem nur minderheitlich vertretenen, aber doch unaufhaltsamen Trend gegenüber. Ähnlich wie zuvor im Biedermeier gab es verschiedene Motivationsgründe, aufwendige
Formen und Ornamente auf die Grundform der Objekte zu reduzieren und den technischen Aufbau betonen, anstatt die Bauweise von Möbelstücken zu kaschieren. So bewegten in den USA religiöse und weltanschauliche Gründe die Shaker, Gebrauchsmöbel herzustellen, die hochwertig im Material und in ihrer formalen wie handwerklichen
Qualität langlebig waren. Auch europäische Reformbewegungen sprachen sich für eine
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Entwicklung erschwinglicher, praktischer und zugleich ästhetischer Einrichtungsgegenstände aus, eine Idee, die Design auf hohem Niveau hervorbrachte, das Kriterium
der Erschwinglichkeit jedoch auf einen elitären Kreis wohlhabender Zielgruppen beschränkte. Die britische Arts and Crafts Bewegung wandte sich, inspiriert durch Ideen
von John Ruskin, gegen eine industrielle Massenfertigung von Mobiliar und plädierte
für die Wiederaufnahme handwerklicher Techniken zur Herstellung schlichter und
zugleich gestalterisch anspruchsvoller Produkte. Und primär ästhetische Überlegungen
motivierten avantgardistische Gestalter um die Jahrhundertwende, zunehmend auf die
rein schmückenden Formen des damals herrschenden Stilpluralismus zu verzichten,
was 1908 im Statement des Architekten Adolf Loos gipfelte: „Ornament ist vergeudete
Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit. (…) Heute bedeutet es auch vergeudetes Material, und beides bedeutet vergeudetes Kapital.“ Die floralen Elemente des
Jugendstils stehen funktional-kubischen Konstruktionen gegenüber, welche als prägendes Stilelement den rechten Winkel betonen. So abstrahierte Koloman Moser im
Jahr 1904 die einstige Geschwungenheit von Rücken- und Armlehnen in eine orthogonale Sofakonstruktion mit planem Wandbrett und rechtwinklig dazu angeordneten,
senkrechten Armlehnen und nimmt damit deutliche Anleihen an einer Bank. Viele Entwürfe seiner Zeitgenossen wie Charles Rennie Mackintosh oder Peter Behrens lassen
sich in ihren Grundzügen ebenso auf eine systematische Komposition aus Quadraten
zurückführen wie Richard Riemerschmieds Maschinenmöbel Programm.
Deutlich wird in all diesen zeitlich leicht versetzt oder sogar parallel verlaufenden Bewegungen, dass neue Lebens- und Gesellschaftsformen nach neuen Designformen
verlangen, die einer veränderten Haltung Rechnung tragen. In der strengen Rechtwinkligkeit der zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu entstandenen Entwürfe treffen sich das
aufrechte Sitzen auf dem Stuhl und die entspannte Zurückgelehntheit auf einem bis
dato klassischen Sofa oder Recarmiere. Formale Klarheit geht einher mit Bequemlichkeit. Während das Sitzen am Ess- oder Besprechungstisch ein primär aktives Sitzen
bedeutet, zeugt das zumeist in Wohnzimmern oder Salons angeordnete Sofa von einem weit grösseren Grad an Ruhe und Zurückgezogenheit. Deutlich wird so die Differenzierung nicht nur in unterschiedliche Funktionsbereiche, sondern in eine gezielte
Abstufung an Intimität einzelner Wohnungsbereiche.
In diesem Kontext liegen die Wurzeln der modern-klassischen Sofas, die damit weniger
Design, denn eine Gattung von Sitzmöbeln beschreiben, welche damals wie heute den
Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden. Diese Idee des modern-klassischen
Sofas wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten von verschiedenen Herstellern aufgegriffen, weiterentwickelt und in unterschiedlicher Weise interpretiert.
Das Chamaeleon unter den Polstermöbeln widerstand damit nicht nur ein Jahrhundert
unterschiedlichster Modeströmungen, denen es sich in geheimer Eigenständigkeit anpasste, ohne an Kantigkeit seiner Form einzubüssen. Auch innerhalb verschiedener
Verwendungskontexte vollzieht es Meisterleistungen der Integration trotz oder wegen
seiner fast archetypischen Gestalt, ganz so, als entstünde dieses Möbelstück erst unter
dem interpretierenden Auge seines Betrachters. In ihrem unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsprojekt legte Dr. Monika Kritzmöller 500 Befragten 36 Abbildungen
von Möbelstücken aus allen Wohnungsbereichen und unterschiedlichen Stilrichtungen
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zur Beurteilung vor. Im Ergebnis verzeichnete das Modell Erpo Classics die höchste
Zustimmung unter allen Möbelstücken. Mit anderen Worten: Sehr unterschiedliche
Personen mit ihrem jeweils spezifischen Blickwinkel konnten dieser modernklassischen Form zustimmen und sie für sich, in ihrem ganz individuellen Erfahrungshorizont, positiv interpretieren. Personen, die Erpo Classics als ihren Favoriten genannt
hatten, äusserten in anderen Wohnbereichen stilistisch sehr unterschiedliche Vorlieben
und konnten sich für futuristisch-extravagantes Design ebenso begeistern wie für edle
Antiquitäten oder moderne Klassiker. In jeden dieser Kontexte liesse sich das Erpo
Classics ohne jede Modifikation integrieren. Damit steht die zeitüberdauernde Statik
dieser Form in enger Wechselwirkung mit der Heterogenität der in einer individualisierten Gesellschaft nebeneinander existierenden und sich zugleich rasch wandelnden
Lebensstile.
In diesem Kontext kann es nur zwei Wege geben. Den Versuch, Produkte gleichsam
im Zeitraffer immer neu zu entwickeln und damit einem angeblichen Wunsch „des
Marktes“ nach permanenten Innovationen Rechnung zu tragen. Oder aber, dem gegenüber aufzuzeigen, welche Potentiale gerade in der Wahrung von Kontinuität – zu
deutsch Beständigkeit – liegen. Kult-Klassiker in anderen Branchen sprechen hier eine
deutliche Sprache. Von der Hermès Kelly Bag über die Champagnerflöte von Baccarat
bis hin zum Land Rover Defender. Es wäre absurd, an diesen Produkten etwas ändern
zu wollen, nur weil sie seit Jahrzehnten fast unverändert angeboten werden. Kontinuität in diesem Sinne bedeutet hier – ebenso wie bei Erpo Classics – Verlässlichkeit und
Gültigkeit als eine der wenigen Konstanten eines bewegten und unüberschaubar gewordenen Angebots. Ihre dennoch unverkennbare Aktualität verdanken diese Produkte
der interpretativen Wandelbarkeit, mit der sie sich den stilistischen Kontexten ihrer BeSitzer anpassen – und nicht umgekehrt.
Seit 1990 ist das Konzept der Erpo Classics untrennbar verknüpft mit der Aussage „Die
Sofas, die nicht aus der Mode gehen.“ Wohl dem Hersteller, der eine solche Feststellung für sein Produkt treffen kann – gerade in einer Zeit scheinbarer Kurzlebigkeit in
allen Lebens- und Konsumbereichen und der angeblichen Unberechenbarkeit „des
Marktes“.
Identitäts-Fragen. Qualität und Individualität als unternehmerisches Marken-Zeichen
Und dennoch. Kein Anbieter wird diese klassisch-kubische Form je sein eigen nennen
können, zu allgemeingültig, zu übergreifend ist ihre Gestaltung, als dass sie sich auf
einen einzigen Namen festschreiben liesse. Was zählt, ist hingegen die unternehmerische Strategie, mit der sich ein Hersteller dieser Formensprache annimmt und sie dauerhaft in die Lebenskontexte unterschiedlichster Zielgruppen überführt. Kernaspekte
einer solchen Strategie betreffen die Produktqualität ebenso wie die Ausgestaltung des
Angebotsspektrums. Sie reichen über das Produkt hinaus, wenn es gilt, die Kommunikation mit dem Endkunden auf dessen „Sprache“ auszurichten und diesem durch den
Aufbau geeigneter Handelsstrukturen kompetente Ansprechpartner zu vermitteln. All
diese Merkmale werden verkörpert durch die Marke als Symbol eines klar definierten
Leistungsspektrums.
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Sofas, die nicht aus der Mode gehen, sind für einen langfristigen Gebrauch konzipiert.
Polstermöbel in privaten Wohnräumen werden durchschnittlich mindestens 10 Jahre
lang genutzt, bevor die Entscheidung für eine Neuanschaffung fällt. Selbstredend wird
dieser Wert „unterboten“ durch ein breites Spektrum niedrigpreisiger Anbieter von Produkten minderer Qualität oder modischem Design, das per se ein „Verfalldatum“ markiert. Es ist also davon auszugehen, dass Polstermöbel im oberen Preissegment deutlich länger in den Wohnungen ihrer Be-Sitzer verbleiben. Grund genug, den langjährigen Beanspruchungen ein hohes Niveau an Material- und Verarbeitungsqualität entgegenzusetzen. Erpo Produkte werden ausschliesslich am Standort Baden-Württemberg
produziert, wo sie individuell auf Kundenwunsch in handwerklicher Verarbeitung gefertigt werden. Nur solche Produktionsbedingungen ermögliche es auch, Polstermöbel in
enger Anbindung an die Kundenwünsche herzustellen, so dass die Produkte Erpo
Classics mit ihrem zeitüberdauernden Design, als Unikate die Fertigung verlassen.
Systemtheorie. Mehr als nur „ein“ Sofa
Hinter Erpo Classics steht ein ausgefeilter Systemgedanke, der es nicht nur erlaubt,
Sofas und Sessel den individuellen Anforderungen entsprechend zu konfigurieren und
optimal auf die Sitzgewohnheiten, die ästhetischen Ansprüche und die Wohnverhältnisse ihrer künftigen Besitzer abzustimmen. Imaginäre Reisen führten etwa ins Erkerzimmer der stilvollen Altbau-Wohnung prädestiniert als Ruhe- und zugleich Aussichtspunkt über der Stadt. Die Nische des Erkers misst 223 cm. Das eigens dafür angefertigte Erpo Classics Sofa 213 cm. Ein standardisiertes Mass hätte hier keinen Platz gefunden und die Reduktion auf einen einzelnen Sessel stellt hier ebenso wenig eine
praktikable Lösung dar. „Bequem sitzen.“ bedeutet auch, sich jenseits von Norm- und
Durchschnittsmassen der Sitzenden zu bewegen. So etwa das Paar, „sie“ von filigraner
Gestalt, die eine ganz besondere Anziehung auf ihren Partner von der Statur eines
Bodyguards ausübt. Weniger anziehend wären Sofas, die nur eine einzige standardisierte Sitztiefe und -höhe aufweisen. Mit Erpo Classics finden beide die für sie ideale
Position und individuelle Sitztiefe.
Selbstredend unterstreicht schwarzes Leder die Aussage modern-klassischer Sofas.
Gleichermassen bieten diese Formen jedoch eine ideale Plattform für ungewöhnliche
Farbgebungen oder Texturen. In Einzelfertigung wird Erpo Classics mit einer reichhaltigen Auswahl unterschiedlicher Lederqualitäten, Stoffen und der High Tech-Faser
Avantgarde angeboten – oder individuell in einem vom Kunden gewünschten Bezugsmaterial bezogen. Die Wandlungsfähigkeit der kubischen Form kommt in den Details
zum Ausdruck. Wenn bis zum Boden reichende Wangen die Statik der Form unterstreichen – oder schlanke Füsse sie scheinbar zum Schweben bringen. Schmale,
hohe Armlehnen die Vertikale betonen oder die niedrige Variante in Überbreite das
Sofa in eine scheinbar unendliche Horizontale erstrecken. Dank flexibel kombinierbarer
Anreih- und Zwischenelemente sind es die individuellen Vorstellungen der Kunden,
welche die „Grenzen“ räumlicher Ausdehnung zwischen einzelnen Sofas oder langgestreckten Ecklösungen definieren, nicht aber ein rigide vorgegebener Sortimentsumfang.
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Unterschiedliche Modelle mit jeweils frei wählbaren Sitz- und Rückenkissen, Polsterfüllungen, Sitztiefen, Armlehn- und Fussformen eröffnen Gestaltungswelten, um Erpo
Classics dauerhaft in unterschiedlichste Wohn- und Lebensformen einer individualisierten Gesellschaft zu integrieren. Der Bogen schliesst sich zwischen den formalen Möglichkeiten einer permanenten Neuinterpretation dieser modern-klassischen Polstermöbel und der technischen Umsetzung dieser Vorstellungen in einem flexiblen Fertigungsprozess.
Bewegungs-Räume. Erpo Das Prinzip der Bequemlichkeit®
Sitzen bedeutet Bewegung, so verdeutlicht es der Ergonomie-Forscher Dr. Stefan
Queisser. Vielfach wird diese Beweglichkeit unterschätzt, wird das (Herum-) Sitzen mit
einer Passivität assoziiert, die den sicht- und beobachtbaren Tatsachen widerspricht.
Bereits der Sitzende selbst fordert mit seinem Körper diese Mobilität ein, indem er sich
im Gespräch nach vorne neigt, hin zu seinem Gesprächspartner, oder sich entspannt
zurücklehnt, die Beine wechselseitig übereinanderschlägt, sich im Schneidersitz oder
quer auf dem Sofa niederlässt. Wenn Sitzen zugleich Beweglichkeit und ein Maximum
an Entspannung bedeuten soll, werden besondere Anforderungen an das Sitzen deutlich.
In der Berufswelt sind Analysen der Ergonomie längst fester Bestandteil der Entwicklung von Arbeitsplätzen und -geräten, werden Bürostühle mit Kipp-, Schwenk- und
Drehmechanismen und verstellbaren Lehnen ausgestattet, ganz zu schweigen von den
Arbeitsplätzen von Professionen, die im Sitzen verantwortungsvolle, nicht nur intellektuelle, sondern auch steuernde Leistungen vollbringen. So werden Cockpits von Flugzeugen förmlich an die Körper der Piloten angepasst, um eine maximale Flugsicherheit
zu gewährleisten.
Ein anderes Bild zeigt sich im Bereich der privaten Entspannung. Polstermöbel entstehen vielfach mit primärem Augenmerk auf die optische Wirkung, ganz so, als sei „Bequem sitzen“ ausserhalb der beruflichen Wertschöpfung von nachrangiger Bedeutung.
Oder aber, Bequemlichkeit wird in formalem Widerspruch zur Ästhetik angesiedelt,
wenn Polstermöbel mit Funktion dem Schönheitsempfinden designorientierter Käufer
derart widersprechen, dass letztlich doch die Form die Entscheidung für ein Produkt
prägt. Dies, obwohl Sofas und Sessel mit beweglichen, ergonomisch auf den menschlichen Körper abgestimmten Mechaniken entspanntes, belastungsfreies Sitzen in idealer Weise unterstützen.
Aufgabenstellung. „Kinematik-Sessel“ Lugano
Bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten unternahm Erpo den Versuch, eine Brücke zu
bauen zwischen diesen nur scheinbar widersprüchlichen Anforderungen an das Sitzen.
Die damals formulierte Aufgabenstellung lautete, einen designorientierten Sessel zu
entwickeln, der seinem Besitzer durch integrierte Verstellfunktionen allen erdenklichen
Komfort bietet. Mit den damals im Polstermöbelbereich bestehenden Funktionen war
dies jedoch nicht zu realisieren. Zu jener Zeit wandte sich der Eislinger Designer Wolfgang C.R. Mezger an Erpo, um seine Polstermöbelentwürfe anzubieten. Anstatt eine
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seiner bestehenden Ideen zu verkaufen, erhielt er die scheinbar unlösbare Aufgabe zur
Konstruktion eines „Kinematik-Sessels“. Motiviert durch den hohen Anspruch dieser
Fragestellung, begann Mezger zu konstruieren. Jedoch liess sich ein solcher Entwurf
nicht in einem verkleinerten Modell darstellen. Nachdem erste Entwurfszeichnungen
die gestalterische Grobrichtung abgesteckt hatten, musste eine entsprechend aufwendige 1:1-Umsetzung erstellt und getestet werden.
Zusammen mit seinem Schwiegervater schweisste der Designer erste Gestellvarianten
zusammen, erprobte deren Funktionsfähigkeit und liess das so entstandene „Skelett“
von einem befreundeten Polsterer nach seinen Angaben zum Leben erwecken. Es war
das erste „grosse“ Polstermöbelprojekt Wolfgang C.R. Mezgers, der 1980 sein Studium
abgeschlossen und zwei Jahre später sein eigenes Designbüro eröffnet hatte. Und er
traf damit bei Erpo auf offene Türen. Der Entwurf wurde umgesetzt und begleitet bis
heute unter dem Namen „Lugano“ den Erfolg des Kernkompetenzbereichs Das Prinzip
der Bequemlichkeit®.
Deutlich trägt das Modell Lugano die typische gestalterische „Handschrift“ von Erpo.
Nicht nur die Form in ihrer Gesamtheit, sondern gerade die Verbindung verschiedener
Bauteile prägen die Aussage des Modells. Verbindungen, die sich je nach Aufgabenstellung am Übergang zwischen Platte und Gestell eines Tisches manifestieren, zwischen Sitz und Lehne eines Stuhles oder beim Aufeinandertreffen verschiedener Materialien ausmachen lassen. Lugano unterscheidet zwischen „additiver“ und „subtraktiver“
Gestaltung. Die subtraktive Gestaltung nimmt ihren Ausgang von einem in sich geschlossenen Körper, aus dem – einer Bildhauerarbeit gleich – eine Form herausgearbeitet wird. Dem gegenüber geht die additive Gestaltung aus von diversen Einzelteilen,
die es gilt, zu einer ästhetisch wie technisch stimmigen Einheit zu vereinen. So also
das Procedere beim Modell Lugano, bei dem „alles nach innen geklappt“ ist. Armlehnen, Kopfteil, das Polster des Sitzes. Lose aufgelegte Kissen, zu der Zeit ein absolutes
Novum, formieren sich wie Arme, die den Besitzer bergend in sich aufnehmen. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch den weichen Faltenwurf hochwertigen Leders. Lugano „lebt“ von einer Vielzahl differenziert ausgearbeiteter und dennoch jedes für sich
zurückhaltender Details.
Anpassungs-Leistung. Polstermöbel in Einklang mit ihren Be-Sitzern
Erpo setzte mit Lugano den Startschuss für eine bislang unbekannte Dimension des
Sitzens. Erpo löste sich mit dem Produktbereich „Das Prinzip der Bequemlichkeit®“ von
einer völlig starren Konstruktion der Polstermöbeln. Ohne dass jedoch gleichermassen
umständliche wie unästhetische Hebelmechanismen zum Einsatz kommen. Damals
wie heute sind Sitz und Rückenlehne nicht starr mit dem Korpus verbunden, sondern
beweglich gelagert, so dass sie sich flexibel an die individuellen
Bewegungsgewohnheiten der Be-Sitzer anpassen. Und damals wie heute ist der
Mechanismus völlig unsichtbar in das Polstermöbel integriert.
Bis ins Jahr 2000 waren die zum Einsatz kommenden Funktionselemente
vergleichsweise simpel, ihre Wirkung jedoch innovativ. Zwei an der Unterseite jeder
Sitzeinheit angeordnete Gleitwinkel ermöglichen es, Sitze und Lehnen in ihrer Neigung
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und ihrem Winkel zueinander zu verändern, indem der Besitzer sein Körpergewicht
verlagert. Das Spektrum möglicher Bewegungen beim Sitzen wird erweitert, was einer
Ermüdung oder einseitigen Belastung entgegenwirkt.
Um Unterschieden des Körpergewichts und der Motorik Rechnung zu tragen, wurde
die Beweglichkeit der Komponenten zusätzlich durch einen auf die Schmalseiten der
Gleitwinkel einwirkenden Mechanismus regulierbar gemacht. Durch die Erpo
Verstellschraube lässt sich der Reibwiderstand und damit auch der zur Bewegung von
Sitz und Rückenlehne erforderliche Druck modifizieren.
Zwei Jahrzehnte lang bewährten sich diese Funktionselemente als effizienter
Mechanismus, um „Bequem Sitzen“ nach Massgabe des jeweiligen Be-Sitzers zu
definieren. Pünktlich zum „Geburtstag“ der Funktion, die Das Prinzip der
Bequemlichkeit® begründete, wurde dieser bekannte Mechanismus 2005 grundlegend
überarbeitet, um Bequemlichkeit und Bedienkomfort noch weiter zu optimieren. Wie
bisher, passen sich Rückenlehne und Sitz in ihrer Neigung der Haltung des Sitzenden
an, vollziehen seine Bewegungen mit. Beim aufrechten Sitzen, dem entspannten
Zurücklehnen oder der Dynamik der Bewegung in einem angeregten Gespräch. Und
niemals steht dem Temperament des Menschen die Starre unveränderlicher
Sitzkomponenten entgegen. Eine Bedingung, um sich im Sitzen optimal entspannen zu
können.
Entspannungs-Technik. Individuelle Definitionen von „Bequem sitzen“
Die neuen Systemkomponenten tragen nicht nur unterschiedlichen Haltungen und
Bewegungsabläufen Rechnung, sondern auch dem Körpergewicht derer, die es sich
auf den Modellen bequem machen. Präziser denn je lässt sich individuell definieren,
was „Bequem sitzen“ ausmacht ohne dass das Gewicht des Sitzenden Einfluss nimmt
auf die Wirksamkeit des Bewegungsablaufs. Üblicherweise steht bei den am Markt
angebotenen Verstellmechanismen die Führung der Sitzfläche in Verbindung mit einer
Bremse zur Regulierung des Reibungswiderstandes, so dass schwerere Personen
eine stärkere Bremsung auslösen als leichtere und sich jeglicher Versuch einer
gezielten Einstellung durch diesen Einfluss erübrigt. Die Systemkomponenten des
Prinzip der Bequemlichkeit hingegen entkoppeln beide Funktionen, so dass die
Bremswirkung eine unabhängige und damit gezielt beeinflussbare Grösse darstellt.
Dem Benutzer begegnet diese Funktion in Form von zwei beiderseitig an den
Sitzunterseiten angebrachten Systemkomponenten. Im Inneren der beiden,
verwindungssteifen Gehäuse finden sich die neu entwickelten feinmechanischen
Systemkomponenten, welche die Beweglichkeit von Sitz und Lehne steuern. Technik,
die als Ergebnis aufwändiger Entwicklungsarbeit nicht durch ihre Kompliziertheit
auffällt, sondern vielmehr besticht durch einfachste, sich selbst durch den
Bewegungsablauf des Sitzenden erschliessende Funktion.
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Feinmechanische Präzision in neuer Hoch-Form
Die Erpo Verstellschraube zur Regulierung des Bewegungswiderstandes von Sitz und
Lehne ist gleichsam die sichtbare „Spitze des Eisbergs“.
Die Erpo Verstellschraube führt durch zwei Metallschienen. Die obere ruht fest am
Schraubenhals, während die untere beim Feststellen des Gewindes herangezogen
wird. Sie weist ein sehr feines Gewinde auf, durch die Gangbarkeit exakt reguliert
werden kann. Dazwischenliegen die beiden Bremsbacken mit einem geringem
Reibungswiderstand und der Gleitwinkel. Ähnlich dem Lenkgestänge eines Autos,
steuert er die Bewegung von Sitz und Rückenlehne. Um dem Benutzer „Ankerpunkte“
zu geben zwischen leichtester und schwergängiger Einstellung ist das Gewinde zudem
mit einer Beschränkung ausgestattet.
Indem die Bremsbacken an der Breitseite des Gleitwinkels ansetzen, kann ihre Fläche
relativ gross gehalten werden. Dadurch reichts selbst ein niedriger Reibungswiderstand
aus, um Das Prinzip der Bequemlichkeit® in seiner Beweglichkeit zu dosieren. Das
feine Gewinde und das gross dimensionierte Handrad ergeben zudem eine kraftvolle
Hebelwirkung, so dass sich mit geringem manuellen Aufwand ein hoher Klemmdruck
erzeugen lässt. Beides sorgt für eine optimale Feinabstimmung. Die Verstellbarkeit von
Sitz und Rückenlehne lässt sich stufenlos regulieren von maximaler Leichtgängigkeit,
bis hin zu einer Fixierung, welche eine Verstellung nur unter hohem Widerstand
erlaubt.
An der Unterseite des jeder Sitzeinheit sind für diese feinmechanische Präzision zwei
Systemkomponenten angebracht und werden beidseitig in ihrer Bewegung durch die
Gleitwinkel gesteuert.
Einfach „Bequem sitzen“
Sich hinsetzen, zurücklehnen und sich aufgehoben fühlen. So lautet die
Aufgabenstellung an Das Prinzip der Bequemlichkeit®. Ohne Hektik eines selbst
gesteckten Erneuerungszwangs prägen Kontinuität und überzeitliche Gültigkeit das
Bild dieses Kernkompetenzbereichs. Neben dem internen Engagement unserer
Mitarbeiter und der detailgenauen Produktentwicklung ist auch in diesem
Kernkompetenzbereich der Standort Baden-Württemberg ausschlaggebend für die
gleichbleibende Qualität unserer Produkte. Sämtliche Komponenten werden im
Unternehmen selbst oder von langjähriger Zulieferern in Baden-Württemberg gefertigt.
Spiel-Räume. Leistung hat einen (Marken-)Namen
Mit dem Produktbereich Das Prinzip der Bequemlichkeit präsentiert sich dem Käufer
ein Markenprodukt, dessen Name Synonym ist für zuverlässige und unverwechselbare
Leistung. In anderen Branchen unabdingbarer Bestandteil des Marktgeschehens,
spielen Markennamen in der Möbelindustrie eine vergleichsweise untergeordnete
Rolle. Undenkbar wäre die Situation etwa im Automobiksektor, wenn beim Händler
„(irgend-)ein Sportwagen“ nachgefragt würde“. Die Vorstellungen der Konsumenten
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sind eng mit der Benennung von Herstellernamen und der Marke verknüpft, welche
einen wesentlichen Beitrag zu seiner Orientierung in der Fülle des Angebots leisten.
Anders hingegen in der Einrichtungsbranche, wo Endkunden von wenigen Ausnahmen
abgesehen ganz selbstverständlich „ein Sofa“ nachfragen, in der Erwartung, vom
Einrichtungsberater an ein passendes Produkt herangeführt zu werden. Für den Laien
gestaltet sich das sich bietende Angebot höchst unübersichtlich, zumal verbindliche
Kriterien der Beurteilung von Produkten fehlen. Es existieren weder Test- und
Sitzberichte von Polstermöbeln, wie sie als Fahrberichte bei Autos gang und gäbe sind,
noch allgemeinverständliche Kennzahlen wie PS, Hubraum oder Bremsweg, die eine
Einordnung erleichtern. Stolz präsentieren deutsche Automobilhersteller in
Betriebsbesichtigungen dem frischgebackenen Fahrer ihre Produktionsstrassen, damit
dieser einen Einblick in das Entstehen seines Modells erhält. Der Produktionsprozess
von Möbeln hingegen liegt – oft aus gutem Grund – meist im Dunkeln. Im Ergebnis
fehlt der Einblick in die Wertigkeit von Produkten und Anschaffungen von Möbeln
entpuppen sich häufig als Fehlkäufe.
Um dem zu begegnen, betreibt Erpo eine klare Politik der Markenführung und verwahrt
sich entschieden gegen den Versuch von Nachahmern, das Image seiner
hochwertigen Produkte durch minderwertige Imitationen zu verwässern. Das Produkt
hat einen Namen. Nach einem langjährigen Weg durch die Instanzen gab der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung vom 21.10.2004 der Klage von Erpo statt.
Das letztinstanzliche Urteil berechtigt Erpo zur Führung des Slogans „Das Prinzip der
Bequemlichkeit“ als Gemeinschaftsmarke und wies damit gegenlautende Ansprüche
des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt endgültig zurück.
Nicht zuletzt mit dem seit 1985 mit unverändertem Erfolg produzierten Beststeller „Lugano“ wurde diese Form des Bequemen Sitzens für Erpo zum Markenzeichen. Grund
genug „Das Prinzip der Bequemlichkeit“ unter Markenschutz zu stellen. Dieses Markenzeichen ermöglicht eine klare Zuordnung von Benennung und Funktion und macht
Erpo auch in der Kommunikation eindeutig wiedererkennbar.
Gegen die Markenanmeldung von Erpo sprach sich zunächst das Harmonisierungsamt
für den Binnenmarkt aus. Die Begründung: Die Wortzusammenstellung „Das Prinzip
der Bequemlichkeit“ bezeichne lediglich ein Merkmal der betroffenen Waren und sei
damit nicht als Marke schützenswert. Eine solche Argumentation kann im Ergebnis
nicht anders gewertet werden als ein plagiierungsförderliches Bremsmanöver zu Ungunsten der Leistung eines verankerten Unternehmens.
Aufgrund des Differenzierungswertes unserer Produkte und die millionenfach kommunizierten Aussage Das Prinzip der Bequemlichkeit®, wandte sich Erpo deshalb zur
Durchsetzung seiner Interessen an den Europäischen Gerichtshof und erzielte im Dezember 2001 einen ersten Erfolg durch ein erstinstanzliches Urteil, gegen das das
Harmonisierungsamt Widerspruch einlegte.
Die am 21.10.2004 erfolgte Bestätigung des Richterspruches setzt bahnbrechende
Zeichen für den Markenschutz in Europa und weist Versuche der Produktpiraterie in
ihre Schranken. Erpo sieht in diesem Urteil auch ein deutliches Zeichen hin zur Bestä27
tigung der individuellen unternehmerischen Leistung in einem wirtschaftlichen Umfeld
in dem Konkurrenten eher durch Nachahmungen auffallen als durch Erfolge in der eigenen Produktentwicklung.
Qualität „Made in Germany“
Ein Blick in die Fertigung im Baden-Württembergischen Ertingen zeigt, dass bequemes
Sitzen nicht nur eine Frage der äusseren Hülle, sondern auch des Darunter ist. Wie bei
kaum einem anderen deutschen Polstermöbelhersteller dominiert bei Erpo die handwerkliche Fertigung aller Komponenten am Standort Deutschland. Angefangen von
den Gestellen über den Aufbau der Polsterung bis hin zu den Bezügen kommen ausschliesslich hochwertige Materialien zum Einsatz und werden individuell auftragsbezogen gefertigt.
Ein Blick in die Fertigung zeigt auf, wie unverändert hoch der Anteil an Handarbeit
geblieben ist, um höchsten Ansprüchen gerecht zu werden. „Bequem sitzen.“, so lautet
der schlichte und dennoch aufwendige Auftrag, den Erpo nach wie vor verfolgt.
Haut-nah. Die Bezugsmaterialien
Im Lager reihen sich Stoffballen in Regalen aneinander, daneben stapeln sich auf hohen hölzernen Böcken ganze Lederhäute, die zuvor sorgsam auf ihre Qualität hin geprüft und nach Farben und Struktur geordnet wurden. Auftragsbezogen stellen geschulte Mitarbeiter das passende Material zusammen; eine Aufgabe, die bei Leder mit
seinen vielfältigen Farbnuancen und unterschiedlichen Qualitäten besonders anspruchsvoll ist. Auf grossflächigen Cuttern wird das Bezugsmaterial zugeschnitten.
Präzise Sticheleien. Die Näherei als „Seele“ der Polstermöbelfertigung
Auftragsbezogen sortiert, gehen die zugeschnittenen Teile in die Näherei. Was für Laien „ganz normalen“ Nähmaschinen sind, beinhaltet hochpräzise Technik als Voraussetzung, um die Erpo eigenen Qualitätsstandards einzuhalten. Als Beispiel das Nähen
einer „Doppelsteppstich-Naht“. Die beiden äusseren Linien müssen parallel zur Mittelnaht verlaufen, das Ganze mit einem darunter genähten Band unterfüttert werden, um
zu verhindern, dass nach Jahren des Gebrauchs irgendwann die Nähte aufplatzen.
Während andere Hersteller ganz auf diesen Arbeitsschritt verzichten oder sich auf eine
einzige Farbe beschränken, stimmt Erpo weisse und schwarze Bänder auf die Helligkeit des Bezugsmaterials ab. Gleichermassen sind Reissverschlüsse und Futterstoff
dem Bezugsstoff farblich angepasst. Verarbeitungsqualität bis ins Detail.
Bis ins „Herz“. Qualität auch beim Unterbau
Diese Qualität begegnet dem Betrachter auch im Werk 1, wo das „Innenleben“ der
Produkte aufgebaut wird. Niemand bekommt diese Materialien mehr zu Gesicht, hat
das fertige Produkt einmal das Werksgelände verlassen. Der Unterbau der Erpo Classics Sofas besteht aus massivem Buchenholz. Die Rahmen der Sitzfläche und der
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Rückenlehnen beim Prinzip der Bequemlichkeit aus glänzend verzinktem Stahl die
dann mit Gurten unterschiedlicher Straffheit bespannt werden. Wenngleich auch hier
zeitintensive Handarbeit geleistet werden muss, denkt bei Erpo niemand an die billigere Alternative, einfach einen durchgehenden Schlauch über ein Gestell zu stülpen.
Verbindungen auf Dauer. Vielschichtige Polsterkomponenten
Metallrahmen wie auch die übrigen, aus massivem oder geschichtetem Buchenholz
gefertigten Gestellteile werden in weiteren Arbeitsschritten Schicht um Schicht mit speziell kombinierten Kalt- und Polyätherschaumstoffen verkleidet. Bei einem Lugano
Sessel sind es 18 Einzelelemente, die miteinander verbunden werden, bei einem zweisitzigen Sofa bereits 30.
Zuverlässigkeit mit Kalkül. Von der Planung bis zur Qualitätskontrolle
Sind der Unterbau montiert und der Bezug genäht, treffen sich Hülle und Gestell. Kissenfüllungen werden von Hand aufgeschüttelt, bevor sie in die Hüllen wandern und die
Produkte ihr wunschgemässes Kleid erhält. Letzte „Hürde“, bevor das Modell verladen
wird, ist eine eingehende Qualitätskontrolle, die von namentlich registrierten Mitarbeitern durchgeführt wird.
Präzise gesteuert wird der gesamte Prozess durch eine Fertigungsplanung, die nicht
nur Beginn und Ende eines jeden Verarbeitungsschritts angibt, sondern direkt nach der
Auftragserfassung den genauen Liefertag aufzeigt. Der Kunde kann sich auf die Einhaltung dieses Termins ebenso verlassen wie auf die Qualität der Produkte. „Made in
Germany“ bedeutet für uns nicht ein Etikett, das einem Produkt mit ungewissem Innenleben „aufgeklebt“ wird oder unzuverlässigen Versprechungen über Liefertermine. Damit wird deutlich, dass nicht nur die Konzentration auf produktspezifische Kernkompetenzen einen der Erfolgsfaktoren von Erpo ausmacht sondern auch das klare Bekenntnis zu den lokalen Kernkompetenzen einer Region, die sich seit jeher durch höchste
Leistung und höchste Ansprüche von sich reden macht.
Inhalts-Verzeichnis. Unternehmerische Zukunft mit klarer Botschaft
Um die Zukunft eines Unternehmens aktiv zu gestalten, bedarf es zu allererst einer
fokussierten Hinwendung zu diesem Unternehmen, seinen Produkten, deren Botschaft
und Zielgruppen, eingebettet in das komplexe Gefüge „des Marktes“, mit dem gerne all
jene Prozesse abstrahierend zusammengefasst werden, die sich gemeinhin einer
linearen Erfassung und Steuerung entziehen. Wer nicht Mitläufer der Branche sein will,
muss bereit sein, sicheres und durch Referenzbeispiele erprobtes Terrain zu verlassen
und Entscheidungen zu treffen, deren Allgemeingültigkeit sich nicht im langjährigen
Gebrauch eingeschliffen hat. Neue Wege zu gehen bedeutet damit nicht nur, den Mut
zu haben, alte Pfade zu verlassen. Alternative Stossrichtungen wollen zu allererst
durch innovatives Denken und Handeln entwickelt werden. Voraussetzung sind
Kreativität und Ideenreichtum, die sich Kriterien der „Bequemlichkeit“ ebensowenig
anpassen wie unternehmerischen Strukturen. Einer guten Idee, so heisst es, ist es
gleichgültig, wer sie hat. Sie aufzugreifen, erfordert die geistige Weite, um neue
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Potentiale zu erkennen, die Bereitschaft, einem kreativen Kopf die nötige
Aufmerksamkeit zu widmen und den Versuch zu unternehmen, innovativen Inhalten zu
folgen. Und wer die Anerkennung seiner Leistung fordert, muss diese zu allererst in
geeigneter Form kommunizieren.
Die Leitsätze aus dem Jahr 1988 haben mit dieser Interpretation nicht nur für das
Unternehmen Erpo ihre Gültigkeit bewiesen. Es sind Gedanken, die von einem
Unternehmertum künden, das dieser Begrifflichkeit gerecht wird und Dinge unternimmt
statt sie zu unterlassen oder in Gremienentscheidungen zu vertagen. Die Leitsätze
künden auch von einem Unternehmen, das sich auf die inhaltlichen Ziele seiner
Tätigkeit konzentriert, Die leidenschaftliche Neugier auf das Produkt ist dabei eine
wesentliche Grundvoraussetzung, um mit unternehmerischem Handeln überzeugen zu
können.
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