Neustart mit Honig - Kasseler Stadthonig
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Neustart mit Honig - Kasseler Stadthonig
8 PANORAMA HF2 LEUTE Wladimir Klitschko, 39, ukrainischer Boxer, wird Dozent an der Uni St. Gallen. Sein Lehrgang für Führungskräfte heißt „Brain and Power“. Wie oft der promovierte Sportwissenschaftler persönlich bei dem Weiterbildungsstudiengang auftritt, hängt davon ab, wann es zu einem Rückkampf gegen Tyson Fury kommt. Der Brite hatte Klitschko im November den Weltmeistertitel im Schwergewicht abgenommen. Jennifer Aniston, 47, US-Schauspielerin, will sich niemals vorschreiben lassen, was sie anziehen darf oder was nicht. „Wenn ich die erste 80-Jährige bin, die sich erfolgreich im Bikini raustraut – gern!“, sagte sie dem deutschen People-Magazin. „Ich finde aber nicht, dass sich irgendjemand bei irgendetwas nur wegen des Alters zurückhalten muss.“ Ihren Geburtstag an diesem Donnerstag spielte sie herunter: „Ist es schon wieder so weit? Ich lasse dieses Jahr aus!“ FOTO: DPA Richard Lugner, 83, österreichischer Bauunternehmer und Opernball-Routinier, will nächster Bundespräsident seiner Heimat werden. Er werde zur Wahl im April antreten, teilte „Mörtel“ Lugner am Mittwoch in Wien mit. Das Amt wolle er gemeinsam mit seiner 26-jährigen deutschen Frau Cathy bekleiden. Bereits Ende Januar empfahl Lugner sich in einem Video für das höchste Amt im Staate. Als Medienprofi und Schauspieler bringe er wichtige Voraussetzungen für das Amt mit, hieß es in dem Clip. Eines seiner Hauptanliegen sei es, die Tradition der Militärkapellen in Österreich zu erhalten. Lugner hatte bereits 1998 für das Amt kandidiert und fast zehn Prozent der Stimmen bekommen. MELDUNGEN Wikipedia sperrt Schweizer Zürich – Es ist ärgerlich, im Internet Unerfreuliches über sich lesen zu müssen, da sind sich alle einig. Noch unschöner wird es, wenn das Ganze auf Wikipedia zum Allgemeingut wird. Da hilft nur: Kritisches löschen, Positives hinzuschreiben. Wie eine Recherche der Nordwestschweiz ergab, haben Schweizer Bundesangestellte jahrelang genau das gemacht. Einschlägige Artikel, etwa über die Vorratsdatenspeicherung, wurden unsachgemäß verändert – bis die Plattform reagierte: Die IP der Schweizer Bundesverwaltung, eine Adresse, unter der Zehntausende Mitarbeiter zusammengefasst sind, wurde in den vergangenen Jahren mehrfach von Wikipedia gesperrt. Die Angestellten des Bundes, bis 2002 nannte man sie Beamte, wollen aber auch die Kritik an der Wikipedia-Manipulation nicht so einfach hinnehmen. Die Berichte seien „tendenziös und verzerrend“, schimpfte ein Mitarbeiter des Schweizer Bundesarchivs in einer „Gegendarstellung“. Von der Schweizer Bundeskanzlei heißt es, es gebe keine zentralen Richtlinien für den Umgang mit Wikipedia. thei „Saufverbot“ aufgehoben Palma de Mallorca – Die Aufhebung der 2014 eingeführten Benimmregeln für die Playa de Palma sorgt auf Mallorca für politische Unruhe. Die linke Stadtverwaltung und die Madrider Zentralregierung schieben sich vor dem Hintergrund einer unklaren Lage gegenseitig die Verantwortung zu, wie die Zeitung Diario de Mallorca und andere Medien am Mittwoch berichteten. Die „Verordnung für ein zivilisiertes Zusammenleben“, die unter anderem Saufgelage im öffentlichen Raum und Lärmbelästigung unter Strafe gestellt hat, wurde vergangene Woche vom Obersten Gericht der Balearen gekippt. Bürgermeister José Hila will jetzt unter anderem rechtlich klären lassen, was mit den rund 18 000 bisher eingeleiteten Verfahren wegen Verstößen gegen die „Benimmregeln“ geschehen soll. dpa von susanne höll Kassel – Die Rollos am Geschäft im Kasseler Nordend sind geschlossen. Drinnen aber tut sich etwas. Am Eingang steht ein gut gelaunter Mann mit Brille, Bart und ziemlich kahlem Kopf. Um ihn herum Kisten, an der frisch gestrichenen Wand eine Blümchen-Banderole in Pastell. Victor Hernández, seines Zeichens Stadtimker von Kassel, bezieht eine neue Werkstatt. Eben jene Räume, in denen vor bald zehn Jahren Halid Yozgat erschossen wurde, vermutlich von den Neonazi-Terroristen des NSU. Da, wo der Schreibtisch mit der Kasse stand, unter dem Yozgat am 6. April 2006 zusammensackte, steht eine helle Holztheke, darauf ein Kästchen mit kleinen Glasflaschen, gefüllt mit Propolis, Bienenharz, angeblich gut zur Behandlung kleiner Infektionen. Auf der Theke ein Spielzeug-Imker, ein Geschenk von seinem Neffen, sagt Hernández. Rund herum Gläser voller Honig. Der 38-Jährige ist mitten im Umzug. Im Frühsommer, so sein Plan, werden die Rollos hochgezogen, die Türen für Kunden geöffnet. Einem dunklen Ort wird neues Leben eingehaucht. Hernández sagt: „Die Leute sollen merken, dass es hier bunt ist und nicht düster.“ Stimmt, jetzt ist der Laden farbenfroh. Die Wände in Gelb- und Ockertönen, viel mildes Licht aus Decken-Spots. Bis im vergangenen Jahr war das anders; ein junger Mann aus der Yozgat-Familie hatte in den Räumen des Hauses 82 in der bis heute nicht allzu gut beleumundeten Holländischen Straße einen Trödelladen. Das Geschäft lief nicht recht. Die Yozgats wollten verkaufen. Ein Sportwettenbetreiber sei interessiert gewesen, ein Spielhallen-Unternehmer auch, erzählt Hernández. Hätte zum alten Ruf des Nordends gepasst, Problem-Quartier, laut, grau, viel Milieu. Aber die Dinge ändern sich. Die Universität bringt neuen Schwung. Und Leute wie Hernández auch. Noch mehr Wettbüros brauche die Nordstadt nun wirklich nicht, sagt er: „Ich fand, da muss was Nettes rein, was Außergewöhnliches.“ Eine Hutmacherin vielleicht. Oder eine vegane Bäckerei. Hübsche Ideen. Aber Fehlanzeige. Hernández war damals auf der Suche nach einer Werkstatt und kaufte den Laden. Der Sohn eines spanischen Bauingenieurs ist in Deutschland geboren, wuchs auf nahe Warburg, spricht mit dem rollenden westfälischen R, kam als Student nach Kassel, im Jahr 2000. Mit einem Kumpel bezog er die Dachgeschosswohnung in der Holländischen Straße 82, unten war das Internet-Café. Preiswert war die Bleibe damals. Hernández erinnert sich: „Da war’s noch richtig finster. Fixer im Treppenhaus, schwieriges Viertel.“ An den 6. April 2006 erinnert er sich noch gut. Er hatte seine Dachgeschosswohnung inzwischen gekauft, mit Hilfe der Eltern und der Bank, eine Freundin half beim Renovieren. Hernández begleitete sie zum Auto, als plötzlich Vater Yozgat aus der Tür rannte und schrie: „Mein Sohn, mein Sohn“. Yozgats blutverschmierte Hände bemerkte Hernández damals nicht. Erst als ein Leichenwagen kam, begriff er, was im Erdgeschoss geschehen war. Von der Existenz des NSU erfuhr er, wie der Rest der Welt, erst im November 2011. Und seither sorgte sich Hernández ab und Donnerstag, 11. Februar 2016, Nr. 34 DEFGH Neustart mit Honig Holländische Straße 82 in Kassel: In diesem Haus wurde im Jahr 2006 der Café-Besitzer Halid Yozgat von der Terrorzelle NSU erschossen. Stadtimker Victor Hernández will dort nun einen Laden eröffnen an, dass sein Haus womöglich stigmatisiert sein könnte. Seit vier Jahren finden vor seiner Haustür regelmäßig Gedenkveranstaltungen für Halid Yozgat statt, der Eingang zum städtischen Hauptfriedhof in der Nähe ist nach dem Toten benannt. Dort steht auch ein Denkmal, für alle NSU-Opfer. Ein Ort mit Bürde. Hernández findet es völlig richtig, dass man sich an die Toten erinnert, würdig und angemessen. Aber bunt und freundlich dürfe das Haus dennoch sein. Er hat die Fassade im Erdgeschoss renoviert, im Frühjahr soll ein brasilianischer Künstler eine riesengroße Biene an die Hauswand malen. Er pocht mit dem Finger auf den Holztisch und sagt fast trotzig: „Kassel ist schön. Und das Nordend ist auch schön“. Ein Lokalpatriot mit Migrationshintergrund. Und inzwischen ziemlich bekannt in der Stadt, seines Honigs wegen. Auf die Imkerei stieß er 2010. Eine Freundin erzählte ihm von Stadthonig aus Prag. Fand er interessant. Denn er pflegt einen „Hang zum Lukullischen“. Hat schon selbst Würste gemacht und Käse auch, zum Vergnügen. Aber Bienen? Er hatte selbst nicht mal einen kleinen Garten. Das kann eigentlich nichts werden, glaubte Hernández. Er machte sich kundig, bei Imkern und in Fachkursen. Ganze zwei Jahre lang. Und stellte dann auf dem Dach des Hauses in der Holländischen Straße 82 die „Wieso soll nicht aus einem Ort des Schreckens etwas Schönes entstehen?“ Er pflege einen „Hang zum Lukullischen“, sagt Victor Hernández. Der Sohn eines Spaniers ist in Deutschland geboren, wuchs auf nahe Warburg, spricht mit dem rollenden westfälischen R, kam als Student nach Kassel. Seinen roten Bienenstock hat er auf das Dach des Gebäudes gestellt. FOTO: BERT BOSTELMANN / BILDFOLIO ersten beiden Stöcke auf, band sie fest, an einem alten Schornstein. Vor dem Haus liegt der Hauptfriedhof, 40 Hektar Natur mit Bäumen und Blumen. Ein Bienen-Paradies. Sein Nordend-Honig wurde schon im ersten Jahr prämiert. Inzwischen besitzt er 30 Völker, die auf den schönsten Dächern der Stadt hausen. Noch kann er vom Honig nicht leben. Sein Geld verdient er mit einer kleinen PR-Firma und aus Vermietungen. Imkern ist in vielen Städten ein Trend. Die Vereine vermelden Zulauf, Imker-Kurse sind ausgebucht. Die Leute stellen sich einen Kasten auf den Balkon, ziehen sich Handschuhe an und machen eigenen Honig. Hernández runzelt die Stirn und sagt: „Manche gehen viel zu naiv an die Sache ran.“ Er traf Möchtegern-Imker, denen zwei Jahre lang etliche Völker starben, bis sie auf die Idee kamen, sich Fachwissen anzueignen. Oder solche, die im Spätsommer in Urlaub fuhren und ihre Bienen verhungern ließen. „Ein Bienenvolk ist doch kein Gartenzwerg“, wettert er. Und Imkerei sei auch kein einfaches Freizeitvergnügen für städtische Naturfreunde, im Gegenteil: „Das ist Schufterei. Man schleppt gut und gerne auch mal 30 Kilo durch die Gegend.“ Dafür entschädigt ihn die Zeit in der Natur. Und der Ausblick von Kassels Dächern. Vielleicht wird er in diesem Jahr Herr über 100 Völker sein und am Honig verdienen, Kundschaft und Neugierige im Bienenladen empfangen, erzählen, was die Arbeiter im Stock machen und was die Königin, die nur so lange gefüttert und gewärmt wird, wie sie Eier legt. Er schaut sich um im neuen Geschäft und sagt: „Wieso soll nicht aus einem Ort des Schreckens etwas Schönes entstehen?“ Der Lehrmeister Er hat die Nouvelle Cuisine erfunden und Hobbyköchen den Respekt vor regionalen Zutaten beigebracht: Paul Bocuse zum 90. Geburtstag Wenn ein Gastronom seine Besucher im Internet mit der Triumphbotschaft begrüßt, dass sein Restaurant im roten Michelin-Führer seit 50 Jahren mit drei Sternen ausgezeichnet ist, kann er mit ehrfürchtigem Staunen rechnen. Wenn sich in dieser Edelherberge aber das Speisenangebot seit vielen Jahren nicht mehr verändert hat, wenn nur noch die Preise sich nach oben bewegen, wird man fragen müssen, was wohl die Gründe sind für diese Sonderbehandlung, die dem von Michelin verkündeten Kriterium der Innovation strikt widerspricht. Es gibt nur einen Grund, der alles erklärt, der Name des Kochs: Paul Bocuse. Bocuse ist eine französische Legende und eine gastronomische Weltinstanz, er wird als Gott des Geschmacks verehrt und von den Medien umjubelt. Zu seinen runden Geburtstagen kommen Fernsehteams aus aller Welt angereist. Für ihn hat man den Ehrentitel „Jahrhundert-Koch“ erfunden. Er gilt als Schöpfer der „Nouvelle Cuisine“ und als Vorkämpfer einer kulinarischen Revolution, obwohl er, wie er selber zugibt, als Koch nur klug abgewandelt und als Buchautor geschickt vermarktet hat, was andere vor ihm erfunden haben. Alle Welt ist sich aber einig: Kein Mensch hat im 20. Jahrhundert auf kulinarischem Sektor so viel bewegt wie Paul Bocuse. Als Nachfahre eines alten französischen Gastronomengeschlechts hat er auf einem ererbten Grundstück in Collongesau-Mont-d’Or an der Saône ein gastronomisches Imperium aufgebaut, das neben den beiden mit Sternen überhäuften lokalen Restaurants gleich fünf Bistros in der benachbarten Stadt Lyon und mehrere regional spezialisierte Lokale außerhalb Frankreichs betreibt. Viele der heute prägenden Köche in Europa haben im diktatorisch streng geführten Betrieb von Bocuse nicht nur die Grundbegriffe des Kulinarischen und die Rituale des Gästeverführens erlernt, sondern auch die kommerziellen Strategien, Kein Mensch hat im 20. Jahrhundert auf kulinarischem Sektor so viel bewegt wie Paul Bocuse. FOTO: DPA die man braucht, um mit einem gehobenen Restaurant überleben zu können oder gar Gewinn zu machen. Die jüngsten Selbstmorde von Spitzenköchen haben auf schockierende Weise gezeigt, welchen Risiken Gastronomen ausgesetzt sind, deren Restaurants in die oberste Kategorie hinaufgelobt worden sind. Der Schweizer Drei-Sterne-Koch Benoît Violier, dessen „L’Hôtel de Ville“ in Crissiers kurz vorher noch als „Bestes Restaurant der Welt“ ausgezeichnet worden ist, war gerade mal 42 Jahre alt, als er sich zu Hause erschoss. Angesichts solcher Nachrichten bekommt die Lebensleistung von Paul Bocuse, der an diesem Donnerstag seinen 90. Geburtstag in dem von der Fachwelt nie angezweifelten eigenen Lokal feiern kann, fast etwas Titanisches. Fügt man noch hinzu, dass der Meister auch als Patriarch einen gewissen Ruhm genießt – seinen Angaben nach lebt er mit drei Frauen friedlich zusammen –, dann wird man diesem Mann gerne einen Sonderrang in der jüngeren französischen Geschichte zuerkennen. Doch was von Bocuse bleibt, was die Welt von ihm gelernt hat, ist sehr viel irdischer, nützlicher und elementarer. Eckart Witzigmann, einer seiner berühmtesten Schüler, hat es in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Ich habe Respekt vor dem Produkt von ihm gelernt.“ Paul Bocuse, der auch während seiner Ausbildung seine engere Heimat nie verließ, hat als Koch den Wert frischer regionaler Produkte auf überragende Weise vorgeführt. Seine Kreationen mit Geflügel aus der benachbarten Bresse, Rindfleisch aus dem Charolais, Schnecken aus Burgund und Trüffeln aus dem Périgord gelten seit ihrer Erfindung bei Kennern als Maßstab für den Himmel. Und da diese Gerichte in den Restaurants von Bocuse immer noch angeboten werden, obwohl er längst nicht mehr selber am Herd steht, sind vielleicht auch die drei Sterne nach wie vor angebracht. gottfried knapp #PNGIGTMÒPPGPPWTFCPPXQPFGPDGUVGP(QPFURTQɦVKGTGPYGPP KJTG(QPFUIGUGNNUEJCHVKPFKGDGUVGP(QPFUOCPCIGTKPXGUVKGTV 51..+*4(10&5/#0#)'40746+6'.*#.6'0 1&'4#7%*)'9+00'0! *GPPKPI)GDJCTFVKUVMWT\OKVVGNWPFNCPIHTKUVKIFGTGTHQNITGKEJUVG(QPFUOCPCIGTHØTFGWVUEJG#MVKGP 9KTUEJÀV\GPWPUINØEMNKEJFCUUOKVKJO\WO\YGKVGP/CNKP(QNIGFGT(QPFUOCPCIGTFGU,CJTGUCWU FGO6GCOFGT&95MQOOV7PFYKTUKPFWPUUKEJGTFCUUGTCNUWPUGTINQDCNGT#MVKGPEJGHOKVUGKPGT GZ\GNNGPVGP'ZRGTVKUGCWEJWPUGTGP#PNGIGTPYGKVGT(TGWFGOCEJGPYKTF )'.�.#)'0'7&'0-'0 YYY&95FGPGWFGPMGP &KG&95&$#9/)TWRRGKUVPCEJXGTYCNVGVGO(QPFUXGTOÒIGPFGTITÒ»VGFGWVUEJG#PDKGVGTXQP9GTVRCRKGT2WDNKMWOUHQPFU3WGNNG$8+5VCPF'PFG0QXGODGT 3WGNNG'WTQ