07-4K-00494-U-A - Thüringer Oberverwaltungsgericht

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07-4K-00494-U-A - Thüringer Oberverwaltungsgericht
4 K 494/07 Ge
VERWALTUNGSGERICHT GERA
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Verwaltungsstreitverfahren
der G_____ KG,
L_____, _____ B_____
- Klägerin prozessbevollmächtigt:
Rechtsanwälte Dr. Grooterhorst und Partner,
Königsallee 53-55, 40212 Düsseldorf
gegen
die Stadt Gera,
vertreten durch den Oberbürgermeister,
Kornmarkt 12, 07545 Gera
- Beklagte wegen
Bauplanungs-, Bauordnungs- und Städtebauförderungsrechts
h a t die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Gera durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Zundel,
die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Jung und
die Richterin am Verwaltungsgericht Mößner sowie
den ehrenamtlichen Richter und
den ehrenamtlichen Richter
aufgrund der mündlichen Verhandlung am 7. Mai 2009 f ü r R e c h t e r k a n n t :
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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin beantragte am 3. April 2006 bei der Beklagten die Erteilung einer
Baugenehmigung für den Neubau eines Elektrofachmarktes auf dem Grundstück in Gera,
Gemarkung Tinz, Flur 1, Teilfläche aus Flurstück a (I_____ 1). Das Grundstück ist das
frühere Milchhofgelände mit einer Gesamtgrundstücksgröße von 45.370 m². Der Betrieb des
Milchhofes wurde 1995 eingestellt. Das Vorhaben der Klägerin soll eine gewerbliche
Nutzfläche von 4.172 m² bei einer Verkaufsfläche von 2.950 m² aufweisen.
Nach vorheriger Anhörung lehnte die Beklagte die Erteilung der begehrten Baugenehmigung
mit Bescheid vom 22. Juni 2007 ab. Der hiergegen von der Klägerin erhobene Widerspruch
wurde bislang nicht beschieden.
Am 26. Juni 2007 hat die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben.
Sie trägt vor: In bauplanungsrechtlicher Hinsicht ergebe sich ein Genehmigungsanspruch der
Klägerin aus § 34 BauGB, weil für den fraglichen Bereich kein Bebauungsplan bestehe und
sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung
einfüge. Die Art der baulichen Nutzung füge sich insbesondere aufgrund der in der näheren
Umgebung vorhandenen großflächigen Einzelhandelsbetriebe problemlos ein. Von dem
Vorhaben seien auch keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in
Gera nach § 34 Abs. 3 BauGB zu erwarten. Dies ergebe sich im einzelnen und zweifelsfrei
aus einem von ihr eingeholten Gutachten des Instituts Dr. Lademann und Partner GmbH aus
dem Monat Juli 2006. Schließlich sei die Erschließung des Baugrundstücks gesichert und die
Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse blieben gewahrt. Das Ortsbild
werde ebenfalls nicht beeinträchtigt. Auch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften stünden
der Erteilung der Baugenehmigung nicht entgegen.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 22. Juni 2007 zu
verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung zum Neubau eines Elektrofachmarktes in Gera, I_____ 1, zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der Klägerin kein Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten
Baugenehmigung zustehe. Der Elektrofachmarkt füge sich bereits nicht im Sinne von § 34
Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Diese sei insbesondere nicht als faktisches
Sondergebiet zu qualifizieren. Vielmehr handele es sich um eine sogenannte Gemengelage, in
der ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb nicht zulässig sei. Ein solcher Markt sei gemäß
§ 11 BauNVO nur in einem festgesetzten Sondergebiet bzw. in einem Kerngebiet
bauplanungsrechtlich zulässig.
Darüber hinaus seien von dem geplanten Vorhaben schädliche Auswirkungen auf die
zentralen Versorgungsbereiche im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB zu erwarten. Bereits ein
Vergleich des bereits getätigten Umsatzes in dem Versorgungsbereich in Gera mit dem
angestrebten Umsatz durch das geplante Vorhaben belege ohne weiteres, dass schädliche
Auswirkungen zu erwarten seien. Außerdem ergebe sich dies im einzelnen und zweifelsfrei
aus
dem
von
ihr
eingeholten
Gutachten
der
Gesellschaft
für
Markt-
und
Absatzforschung mbH aus dem Monat April 2007.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme des Augenscheins in der mündlichen
Verhandlung am 7. Mai 2009. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den
Inhalt der Niederschrift und die Karte auf Blatt 23 der Beiakte 4 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (4 Bände) sowie auf die
eingeholten Parteigutachten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten
Baugenehmigung zur Errichtung eines Elektrofachmarktes. Der dies ablehnende Bescheid der
Beklagten vom 22. Juni 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten
(vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Nachdem alle bisherigen Versuche der Beklagten gescheitert sind, für den Bereich des
ehemaligen Milchhofes einen Bebauungsplan aufzustellen, richtet sich die Zulässigkeit des
Vorhabens der Klägerin ausschließlich nach § 34 BauGB, weil auch eine Außenbereichslage
im Sinne von § 35 BauGB ausscheidet. Eine Außenbereichslage des Milchhofgrundstücks
greift deshalb nicht Platz, weil die dort aufstehenden Gebäude trotz der Betriebsaufgabe im
Jahr 1995 (mithin im Zeitpunkt der Baugenehmigungsantragstellung seit elf Jahren) bei der
Bewertung der Grenzen des Ortsteils mit einzubeziehen sind. Nach Auffassung der Kammer
hat sich nämlich die Baugenehmigung für das Milchhofgelände vom 2. Oktober 1974 nicht
gemäß § 43 Abs. 2 ThürVwVfG "auf andere Weise" - insbesondere durch Zeitablauf erledigt
(vgl. hierzu: ThürOVG, Urteil vom 29. November 1999 - 1 EO 658/99 - alle Entscheidungen
zitiert nach juris). Maßstab für die Beurteilung, ob die Baugenehmigung ihre
Rechtswirkungen verloren hat, ist die Verkehrsauffassung (vgl. VG Gera, Beschluss vom
6. Januar 2003 - 4 E 2403/02 GE -). Soweit die Verkehrsauffassung noch mit einer
Wiederaufnahme
der
Nutzung
rechnet,
kann
von
einer
Funktionslosigkeit
der
Baugenehmigung nicht ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung des Thüringer
Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.) kommt als ein Indiz für die endgültige Aufgabe einer
Nutzung eine verwahrloste Bausubstanz in Betracht. Eine solche hat die Kammer aber bei den
Milchhofgebäuden keineswegs angetroffen: Insbesondere das große Bürogebäude weist jedenfalls äußerlich - einen gut erhaltenen Zustand auf. Es war also zu jedem Zeitpunkt ein
baulich nutzbarer Bestand vorhanden. In diesem Zusammenhang spielt auch die besondere
Größe des Objektes bei der Frist für eine Nachnutzung eine besondere Rolle. Hierzu hat die
Kammer zu einem vergleichbaren Fall im Urteil vom 28. August 2006 (- 4 K 1194/05 Ge -)
ausgeführt: "Angesichts der Größe des Objektes konnte auch niemand davon ausgehen, dass
man hier nicht versuchen würde, eine ähnliche Nutzung wie früher zu etablieren. Dabei ist
auch zu berücksichtigen, dass es naturgemäß nicht einfach ist, für ein Gebäude dieser
Größenordnung
eine
sinnvolle
Nachnutzung
zu
finden.
Die
Suche
nach
einer
Nachfolgenutzung nimmt erfahrungsgemäß erheblich mehr Zeit in Anspruch als
beispielsweise bei einem Einfamilienhaus, so dass ein deutlich längerer Übergangszeitraum
zu gewähren ist." Hieran hält die Kammer fest. Jedenfalls ist ein Zeitraum von elf Jahren der
Nutzungsunterbrechung bei einer im Wesentlichen intakten Bausubstanz nicht ausreichend,
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mit der Verkehrsauffassung darauf zu schließen, dass eine endgültige Nutzungsaufgabe für
alle Zeiten erfolgt sei. Im Übrigen ist gerichtsbekannt, dass die Bevölkerung der Stadt Gera
stets darüber informiert war, dass über etliche Nachnutzungskonzepte verhandelt wurde. Nach
dem Vorstehenden sind die Baulichkeiten auf dem Gelände des ehemaligen Milchhofes in den
im Zusammenhang bebauten Ortsteil mit einzubeziehen und die (ehemalige) Funktion der
Gebäude mit zu bewerten.
Das Vorhaben der Klägerin unterfällt nicht gemäß § 34 Abs. 2 BauGB den Bestimmungen der
Baunutzungsverordnung (insbesondere nicht § 11 Abs. 3 BauNVO).
Bei der sonach aufzuwerfenden Frage des Charakters des hier maßgeblichen Ortsteils sind
zunächst einmal dessen Begrenzungen zu ermitteln und aufzuzeigen: Insoweit hält die
Kammer den gesamten Bereich zwischen der S_____, der I_____ und der oberen L____ für
maßgeblich, wie er auf Blatt 23 der Beiakte 4 dargestellt ist. Entgegen der Auffassung des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist der gegenüber der S____ anzutreffende gewerbliche
Bereich (z. B. Netto-Markt, Fressnapf u. ä.) bei natürlicher Betrachtungsweise nicht mehr als
prägend für das Milchhofgrundstück einzubeziehen, weil insoweit der S_____ als
vielbefahrener vierspuriger Einfallstraße in die Innenstadt zweifellos trennende Funktion
beizumessen ist. Nach Norden hin verbietet sich eine Einbeziehung des RiegerMöbelmarktes, weil sich zwischen dem Milchhofgelände und dem Möbelmarkt eine größere
Kleingartenanlage befindet. Bei dieser Anlage dürfte es sich um eine Außenbereichsfläche
handeln.
Was den Gebietscharakter des so abgegrenzten Ortsteils anbetrifft, konnte die Kammer
aufgrund
der
ausführlichen
Ortsbesichtigung
keines
der
Baugebiete
der
Baunutzungsverordnung erkennen: Zwar finden sich in dem fraglichen Bereich mit dem
Getränkemarkt, dem Bau- und Gartenmarkt sowie dem Praktiker-Baumarkt einige
großflächige Einzelhandelsbetriebe. Angesichts der anderweitigen Nutzungen mit dem
Kompressorenwerk, dem Bürogebäude, der Tischlerei, dem Pfennigpfeiffer-Verkaufsmarkt,
der Diskothek, dem Baubetrieb, dem Wohngebäude und (nicht zuletzt) den Nutzungen auf
dem Milchhofgelände mit Produktion und Büros scheidet die Annahme eines faktischen
Sondergebietes nach § 11 der Baunutzungsverordnung zweifelsfrei aus. Ob die Annahme
eines faktischen Sondergebietes im Rahmen von § 34 BauGB überhaupt möglich erscheint
(bejahend: Urteil der Kammer vom 8. Oktober 1998 - 4 K 212/98.GE), kann daher vorliegend
dahinstehen.
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Des Weiteren kommt die Annahme eines faktischen Kerngebietes, in welchem ein
großflächiger Einzelhandelsbetrieb gemäß § 11 BauNVO zulässig wäre, nicht in Betracht.
Insoweit fehlt es an jeglichen zentralen Einrichtungen der Beklagten in dem fraglichen
Bereich. Dieser Bereich stellt zweifelsfrei nicht einen Kern der Stadt Gera dar. Aber auch die
Frage nach der Annahme eines faktischen Gewerbegebietes im Sinne von § 8 BauNVO ist zu
verneinen, weil dem insbesondere die großflächigen Einzelhandelsbetriebe entgegenstehen.
Auch anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung entspricht der fragliche Bereich
nicht.
Als Zwischenergebnis bleibt mithin festzuhalten, dass der fragliche Bereich als eine
Gemengelage mit unterschiedlichen baulichen Nutzungen, vom Wohngebäude bis hin zum
großflächigen Einzelhandelsbetrieb, zu qualifizieren ist.
An dem so gefundenen Gebietscharakter als eine Gemengelage ändert sich auch dann nichts,
wenn man mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Auffassung sein wollte, das
Gelände von Möbel-Rieger sei mit einzubeziehen und der Kleingartenanlage käme insoweit
keine trennende Wirkung als Außenbereichslage zu. Selbst die Einbeziehung der
Verkaufsflächen von Möbel-Rieger in Höhe von 22.500 m² und Rieger-Discount von
4.560 m² änderte an dem Gebietscharakter nichts und führte angesichts der vielen anderen
Nutzungen auch noch nicht zur Annahme eines faktischen Sondergebietes.
In einem derartigen Gebiet stellt sich aber das Bauvorhaben der Klägerin gemäß § 34
Abs. 1 BauGB grundsätzlich als zulässig dar, weil es sich nach Art und Maß der baulichen
Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart
der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. In Anbetracht dieses
Zwischenergebnisses gilt die Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3 und 4 BauNVO auch
angesichts einer Überschreitung von 1.200 m² Geschossfläche beim Vorhaben der Klägerin
weder unmittelbar noch entsprechend (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2009 - 4 B 3/09
-). Dieser Vorschrift kommt im unbeplanten Bereich nur im Rahmen einer Gebietseinordnung
nach § 34 Abs. 2 BauGB Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2009 4 B 4/09 -). Nach den vorgenannten höchstrichterlichen Entscheidungen kann ein Vorhaben
nach § 34 Abs. 1 BauGB - wie das vorliegende - trotz seines Einfügens allein nach § 34
Abs. 3 BauGB unzulässig sein. Nach der im Jahr 2004 eingefügten, vorgenannten Vorschrift
dürfen von Vorhaben nach Abs. 1 oder 2 keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale
Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Hieran
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scheitert das von der Klägerin geplante Vorhaben, weil schädliche Auswirkungen auf zentrale
Versorgungsbereiche der Stadt Gera zu erwarten sind.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist durch die Kammer eine Prognose zu treffen, deren
Grundlagen zunächst zu ermitteln sind. Die Kammer hat davon abgesehen, ein weiteres
(drittes) Gutachten in Auftrag zu geben. Sie hat sich vielmehr an der höchstrichterlichen
Rechtsprechung orientiert, wonach es Aufgabe des Tatsachengerichts ist, die Methode zu
bestimmen, anhand derer ein Kaufkraftabfluss prognostisch ermittelt wird, wobei die Relation
zwischen der Größe der Verkaufsfläche des Vorhabens und der Größe der Verkaufsfläche
derselben Branche im betroffenen zentralen Versorgungsbereich eines von mehreren
tauglichen Hilfsmitteln zur Quantifizierung eines erwarteten Kaufkraftabflusses ist (vgl. z. B.
BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 C 7/07 -). Das Bundesverwaltungsgericht hat im
Beschluss vom 17. Februar 2009 (a.a.O.) gefordert, dass im Rahmen der Prognose des § 34
Abs. 3 BauGB alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls in den Blick zu nehmen seien. So
seien bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben insbesondere zu berücksichtigen die
Verkaufsfläche des Vorhabens im Vergleich zu den im Versorgungsbereich vorhandenen
Verkaufsflächen derselben Branche, die voraussichtliche Umsatzumverteilung und die
Entfernung zwischen dem Vorhaben und dem betroffenen zentralen Versorgungsbereich.
Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 11. Oktober 2007
(a.a.O.) sind Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche nicht erst dann schädlich, wenn
sie die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreiten. Vielmehr lässt die Gesetzesbegründung
zu § 34 Abs. 3 BauGB die Vermeidung städtebaulich "nachhaltiger" Auswirkungen auf
zentrale Versorgungsbereiche genügen (vgl. BTDrucks. 15/2250 S. 54). In diesem
Zusammenhang spricht das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung von
einer nachhaltigen Störung der Funktionsfähigkeit der Versorgungsbereiche.
In Anwendung all dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass von
dem Vorhaben der Klägerin schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in
der Stadt Gera zu erwarten sind.
Insoweit kommt zunächst einmal einem Vergleich der Größen der Verkaufsflächen im
Elektroeinzelhandel der Stadt Gera eine nicht unbedeutende Indizwirkung zu: Das Gericht
geht in Übereinstimmung mit dem GMA-Gutachten und dem dort auf Blatt 28 einkopierten
Stadtplan davon aus, dass es im Elektrofachbereich in Gera vier vorhandene zentrale
Versorgungsbereiche gibt: Da gibt es zunächst den ProMarkt in den Gera-Arcaden mit einer
Verkaufsfläche von 2.300 m². Es folgt das Quelle-Technik-Center im Bieblach-Center mit
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840 m² Verkaufsfläche. Als dritter Bereich ist der HS-Haushalt und Service Bieblach-Ost mit
785 m² Verkaufsfläche zu nennen. Abschließend ist der MediMax "Am Wintergarten" mit
1.370 m² Verkaufsfläche zu erwähnen. Der letztgenannte Elektrofachmarkt konnte im
Gutachten von Dr. Lademann noch keine Berücksichtigung finden, weil es ihn damals noch
nicht gab. Addiert man diese Verkaufsflächen der vier zentralen Versorgungsbereiche im
Elektrofachhandel, so ergibt sich ein Wert von 5.295 m² Verkaufsfläche. Dem steht die
Verkaufsfläche von 2.950 m² im geplanten Vorhaben der Klägerin gegenüber, woraus sich
immerhin ein Anteil von 56 Prozent der bisherigen Gesamtverkaufsflächen errechnet. Bereits
daraus dürfte auf eine Schädlichkeit im Sinne einer Nachhaltigkeit geschlossen werden.
In diesem Zusammenhang legt das Gericht zur Vermeidung jedweder Missverständnisse Wert
auf die Feststellung, dass es mit der Verwertung des Planes auf Blatt 28 des Gutachtens der
Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbH keinesfalls den Ausführungen dieses
Gutachtens folgt.
Als weiteres Kriterium für die Schädlichkeit des Vorhabens der Klägerin nimmt die Kammer
die vorhandenen und prognostizierten Umsatzzahlen in den Blick: Diese Zahlen sind in
beiden vorgelegten Gutachten nahezu identisch, so dass die Kammer hier von unstreitigen
Werten
ausgeht.
In
den
vorhandenen
zentralen
Versorgungsbereichen
des
Elektroeinzelhandels werden ca. 30 Millionen Euro jährlich Umsatz erzielt (GMA-Gutachten:
30,2; Dr. Lademann-Gutachten: 30,0). Dem steht eine Umsatzprognose des von der Klägerin
geplanten Vorhabens in Höhe von über 15 Millionen Euro gegenüber (GMA-Gutachten: 15,3;
Dr. Lademann-Gutachten: 15,6). Rein rechnerisch heißt dies also, dass allein der Umsatz im
klägerischen Vorhaben die Hälfte des Umsatzes aller zentralen Versorgungsbereiche des
Elektroeinzelhandels in Gera betragen wird. Obwohl die Kammer nicht verkennt, dass insbesondere aufgrund der Nähe der Autobahnabfahrt - nicht der gesamte Umsatz im
Vorhaben der Klägerin zulasten der bisherigen Versorgungsbereiche gehen wird, ist jedoch
angesichts der außerordentlich hohen Umsatzprognose von einer schädlichen Auswirkung
durch das Vorhaben der Klägerin zumindest im Sinne einer Nachhaltigkeit auszugehen.
Als letzten objektiven Wert hat die Kammer die Entfernung des geplanten Elektrofachmarktes
zur Innenstadt von Gera (Gera-Arcaden) in den Blick genommen. Diese Entfernung ist mit
2,8 km bei einem Oberzentrum - wie es Gera ist - und an einer vielbefahrenen Einfallstraße
nicht so groß, dass schädliche Einwirkungen nicht zu erwarten wären. Hinzu kommt dabei,
dass die Kunden im Elektroeinzelhandel vielfach ohnehin ihren Pkw benutzen, nicht zuletzt,
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um sperrigere Ware einzuladen und zu befördern. Insofern relativiert sich die Entfernung
weiterhin.
Nach allem ist die Kammer der Überzeugung, dass von dem an sich nach § 34 Abs. 1 BauGB
erlaubten Vorhaben der Klägerin schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche
in der Stadt Gera zu erwarten sind und daher die Baugenehmigung zu Recht versagt wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf
§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann innerhalb e i n e s M o n a t s nach Zustellung des Urteils die
Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem
Verwaltungsgericht Gera,
Postfach 15 61, 07505 Gera,
Hainstraße 21, 07545 Gera,
zu stellen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Antrag ist binnen zwei Monaten
nach Zustellung des vorliegenden Urteils zu begründen. Die Begründung ist, soweit sie nicht
bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem
Thüringer Oberverwaltungsgericht,
Kaufstraße 2 – 4, 99423 Weimar
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen oder
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist oder
3. die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat oder
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend
gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertretungszwang durch einen Rechtsanwalt oder
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule mit Befähigung zum Richteramt oder einen
Vertretungsberechtigten nach Maßgabe des § 67 VwGO.
Zundel
Dr. Jung
Mößner
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Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 442.500,00 € festgesetzt (§ 52 GKG).
Rechtsmittelbelehrung
Hinsichtlich der Entscheidung über den Streitwert steht den Beteiligten und den sonst von
der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Thüringer Oberverwaltungsgericht,
Kaufstraße 2-4, 99423 Weimar, zu, für die kein Vertretungszwang besteht (§ 68 Abs. 1
GKG).
Die Beschwerde ist bei dem
Verwaltungsgericht Gera,
Postfach 15 61, 07505 Gera,
Hainstraße 21, 07545 Gera,
schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle spätestens innerhalb von sechs Monaten,
nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich
anderweitig erledigt hat, einzulegen.
Die Streitwertbeschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
200,00 € nicht übersteigt (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Zundel
Dr. Jung
Mößner
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