Moderne Rhapsoden: Film und Fernsehen als soziale Enzyklopädie

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Moderne Rhapsoden: Film und Fernsehen als soziale Enzyklopädie
Technische Universität Berlin
Fakultät I Geisteswissenschaften
Institut für Sprache und Kommunikation
Fachgebiet Medienwissenschaft
Moderne Rhapsoden:
Film und Fernsehen als soziale Enzyklopädie
Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts
im Studiengang Kommunikation und Sprache mit dem Schwerpunkt
Medienwissenschaft
vorgelegt von
Annemarie Diehr
Erstgutachter: Prof. Dr. Norbert Bolz
Zweitgutachter: M.A. Johanna Lange
Eingereicht am 6. März 2015
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung ..................................................................................................................3
2.
Sänger der Gegenwart:
A
Audiovisuelle Medien im Zeichen formaler Kontinuität ..........................................5
2.1
Mediale Darstellung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit.....................6
2.2
Mythos als Konstante audiovisuellen Erzählens.............................................13
3.
Lernen durch Geschichten:
m
Mythen und Spielfilme als Enzyklopädien des sozialen Verhaltens ......................24
4.
5.
3.1
Wissen als soziales Konstrukt.........................................................................26
3.2
Mediale Wirklichkeit und Beobachtung von Verhalten..................................33
3.3
Sinnliches Erleben und Wissenserwerb ..........................................................41
Rhapsoden, Film und Fernsehen als Archivare sozialen Wissens ..........................53
4.1
Träger des kollektiven Gedächtnisses.............................................................53
4.2
Mythos als sinnstiftende Organisationsform...................................................61
Schlussbetrachtung und Ausblick ...........................................................................69
Literaturverzeichnis.........................................................................................................71
Anhang A: Die Reise des Helden in der Odyssee ...........................................................82
Anhang B: Die Reise des Helden in MATCH POINT ........................................................85
Anhang C: Die Reise des Helden in VINCENT WILL MEER .............................................87
1.
Einleitung
Achill und Brad Pitt (TROY, GB/USA 2004, Wolfgang Petersen), Athene und Isabel
Lucas (IMMORTALS, USA 2011, Tarsem Singh) oder Zeus und Liam Neeson (CLASH OF
THE
TITANS, USA 2010, Louis Leterrier) – zwischen diesen mythischen Figuren und
ihren modernen Verkörperungen liegen mehr als 2500 Jahre, die geprägt waren von tiefgreifenden medientechnischen und vielfältigen gesellschaftlichen Entwicklungen. Die
antiken Mythen haben dennoch nicht an Aktualität und Relevanz eingebüßt. Bei den
Reinszenierungen mythischer Erzählungen in Blockbustern aus Hollywood, etwa den in
Homers Ilias geschilderten Kampf des Griechischen Heeres mit der Stadt Troja im Film
TROY, handelt es sich jedoch lediglich um die markantesten Manifestationen der Aktualität mythologischer Stoffe. Die Verbindung zwischen Odysseus und der Figur Chris
Wilton im Film MATCH POINT (GB/USA/L 2005, Woody Allen) – der eine nach einem
gewonnenen Krieg auf einer Irrfahrt in die Heimat, der andere ein Irrfahrer als sozialer
Aufsteiger – bleibt für den zeitgenössischen Kinobesucher und Fernsehzuschauer hingegen meist latent.
Die klassischen Mythen des antiken Griechenlands wie die Reise des Odysseus erzählen die fiktionalen Produktionen für Film und Fernsehen selten in ihrer ursprünglichen inhaltlichen Ausgestaltung und Bedeutung. Immer, wenn auch meist unbewusst,
fungieren sie jedoch als Motivquellen und Handlungsmuster. Sie sind demnach als
Form zu verstehen, die Geschichtenerzählern als Vorlage dienen: Inhalte werden erzählbar, indem ein universelles und begrenztes strukturelles Repertoire entsprechend der jeweiligen Erzählintention gestaltet wird. Wenn Film und Fernsehen Informationen in
Form von audiovisuellen Erzählungen verbreiten und letztere ihr strukturelles Fundament in den mündlich erzählten und tradierten Mythen des antiken Griechenlands haben,
bedeutet dies, dass die Massenmedien nichts Neues, nach Luhmann (vgl. 1987: 102)
keine Informationen, sondern altbekannte Erzählungen in inhaltlich variabler Ausgestaltung vermitteln.
Die Frage nach einer Erklärung für die fortwährende Präsenz der Struktur antiker
Mythen in den fiktionalen Geschichten im Film und Fernsehen der Gegenwart berührt
neben medienwissenschaftlichen Betrachtungen weitere Wissenschaftsdisziplinen wie
die Psychologie, Literatur- und Kulturwissenschaft. Mit der vorliegenden Arbeit soll jedoch keinesfalls der Versuch unternommen werden, einen erschöpfenden Nachweis sowie eine endgültige Begründung für den dargelegten Zusammenhang zu erbringen.
Vielmehr dient die Betrachtung von Mythen und Spielfilmen als formal äquivalente
3
Narrationen als Prämisse für die intendierte Analyse der Effekte und Funktionen des antiken Sängers einerseits sowie der audiovisuellen Medien andererseits.
Film und Fernsehen werden verstanden als moderne Rhapsoden. Wie die Sänger der
antiken Mythen, so die These der vorliegenden Arbeit, vermitteln die audiovisuellen
Massenmedien tradiertes Wissen in Form von Erzählungen. Indem letztere hierdurch
bestimmte Verhaltensweisen aufseiten des Rezipienten prägen, erfüllen die erzählten
Geschichten damals wie heute vergleichbare Funktionen für die Gesellschaft. An die
These Eric Havelocks (vgl. 1963: 27) anknüpfend, nach der die homerischen Epen die
sozialen Enzyklopädien der antiken Gesellschaft sind, rücken die fiktionalen Film- und
Fernsehproduktionen in ihrer zentralen Bedeutung als Sozialisationsinstanz und kollektives Gedächtnis in den Mittelpunkt des Interesses. Den theoretischen Rahmen für die
sich anschließenden Betrachtungen bildet die Annahme, dass Wirklichkeit durch gesellschaftliche Prozesse entsteht und sich Individuen diese Wirklichkeit, die sich der persönlichen Erfahrung weitgehend entzieht, auf der Grundlage medialer Zeichenwelten
aktiv aneignen.
Aus dem skizzierten Forschungsinteresse ergibt sich der Aufbau der vorliegenden
Arbeit. Neben Einleitung und Fazit gliedert diese sich in drei weitere Kapitel, deren grobe Unterteilung der vergleichenden Gegenüberstellung von Rhapsoden sowie Film und
Fernsehen den nötigen Raum geben soll. Die Betrachtung des Fortbestandes sowohl der
Darstellungsform als auch der Struktur der rhapsodisch vermittelten Narrationen in der
Gegenwart bildet den Gegenstand des sich anschließenden zweiten Kapitels. Hiernach
wird im dritten Kapitel die Vermutung überprüft, dass orale und audiovisuelle Medien
und ihre Erzählungen vergleichbare Effekte auf den Rezipienten haben. Es wird zunächst nach dem Wesen des narrativ vermittelten Wissens gefragt, um daran anschließend zu ergründen, wie und mit welchem Ziel sich Zuschauer und Hörer dieses aneignen. Die sich andeutende Funktion von Erzählungen, zwischen Individuum und Gesellschaft zu vermitteln, wird im vierten Kapitel im Kontext einer historischen Perspektive
untersucht. Ausgehend von der Annahme, dass Medien kollektives Wissen archivieren,
wird hier auch die Frage zu beantworten sein, weshalb sich gerade der Mythos über
Jahrtausende hinweg als Garant für die Kontinuität des gesellschaftlichen Zusammenlebens bewährt hat.
4
2.
Sänger der Gegenwart: Audiovisuelle Medien im Zeichen formaler Kontinuität
Mit der Annahme einer formalen Kontinuität zwischen den Rhapsoden des antiken
Griechenlands und den Medien der Audiovisionen rücken die narrativen Qualitäten des
jeweiligen Mediums in den Mittelpunkt. Medien vermitteln Bedeutung und dienen im
Sinne eines instrumentellen Verständnisses von Medientechnologien zu deren Weitergabe und Verbreitung. Die Auffassung vom Medium als Vermittler macht die Frage
nach den jeweiligen Vermittlungsstrukturen unumgänglich. Rhapsoden sowie Film und
Fernsehen als konkrete historische Ausgestaltung eines kommunikativen Apparates, so
die die Untersuchung leitende Auffassung, vermitteln ihre Inhalte in Form von Erzählungen.
Die Figur des antiken Sängers illustriert dies exemplarisch. Die mündliche Darbietung epischer Dichtung durch den Rhapsoden folgt einer bestimmten Geschehensfolge,
die in den vermittelten Inhalten strukturell angelegt ist. Die durch den Rhapsoden wiedergegebenen Inhalte werden narrativ vermittelt. Der antike „Storyteller“ (Havelock
1963: 83) erzählt neben anderen die Geschichten Homers, die in den Epen Ilias und
Odyssee ihre formende Niederschrift finden. Homers Geschichten sind, der Einschätzung des Philologen Geoffrey Kirks (vgl. 1973: 240) folgend, die früheste schriftliche
Überlieferung antiker Mythen. Im Hinblick auf die folgenden Ausführungen wird der
Mythosbegriff jedoch nicht wie gemeinhin üblich inhaltlich, sondern formal zu bestimmen sein.
Den antiken Rhapsoden als Vermittler der griechischen Mythen entsprechen in der
Gegenwart die audiovisuellen Medien Film und Fernsehen1 als Erzähler fiktionaler Geschichten, wie Spielfilme sie als lediglich eine Variante von Film- und Fernsehnarration
darstellen. Da das Erzählen nicht auf mündliche oder schriftliche Darstellungsformen
von Sprache begrenzt ist, sondern Bilder ebenso einschließt, werden die audiovisuellen
Medien gleichermaßen als erzählende Medien begriffen. Insbesondere das Fernsehen
tritt als „Erzählmaschine“ (Hickethier 1994), „geschichtenerzählende[] Institution“ (Mikos 2000: 232), „system of storytelling” (Gerbner 1986: 18) oder „Bildergeschichtenerzähler“ (Haberer 1993: 128) in das Forschungsinteresse.
Wenn die narrativen Vermittlungsstrukturen von antiken Rhapsoden sowie Film und
Fernsehen in den Fokus der Betrachtung rücken, muss zwangsläufig die Jahrtausende
1
Wenn in dieser Arbeit umgangssprachlich Film und Fernsehen als audiovisuelle Medien bezeichnet werden, sind immer das Kino und das Fernsehen als technisch bedingte Vermittlungsformen gemeint.
5
währende medientechnische Entwicklung konstatiert werden, die den Nachweis einer
formalen Homologie zwischen oralen und audiovisuellen Medien sowie ihren Inhalten
scheinbar verbietet. Trotz des mediengeschichtlichen Fortschritts besteht eine solche
formale Kontinuität, und zwar zugleich in zweifacher Hinsicht. Unter der Prämisse
Rhapsoden sowie Film und Fernsehen als Erzähler aufzufassen, betrifft sie zum einen
die mediale Darstellung selbst und zum anderen die Struktur der vermittelten Inhalte.2
Beide Aspekte der formalen Kontinuität werden im Folgenden beleuchtet.
2.1
Mediale Darstellung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Die Geschichte der Medientechnik ist geprägt von Evolutionen und Umbrüchen. Die
bedeutendste und zugleich dem Entwicklungsprozess Impuls gebende Revolution markiert der Übergang von der Oralität zur Literalität durch die Erfindung der Schrift. Diesen tiefgreifenden Wandel verkörpert exemplarisch die Figur des antiken Sängers, dessen Vortrag sich auf beide Medientechnologien stützt: Auf der Grundlage schriftlich
fixierter epischer Dichtung memoriert der Rhapsode die Inhalte seiner mündlichen und
körperlichen Darbietung. Das Werk seines Vorgängers, des Aoiden, entbehrt in mykenischer Zeit (1600-1200 v. Chr.) noch jeglicher Schriftgrundlage. Der Aoide formt seine
Geschichte im Akt des Singens. Da das gesprochene Wort flüchtig ist, mündet das Bedürfnis, die aoidischen Gesänge vor dem Vergessen zu bewahren, um 800 v. Chr. in die
Entwicklung der phonetischen Alphabetschrift und die einsetzende Aufzeichnung der
gesungenen Geschichten im Medium Schrift (vgl. Powell 2002: 186).3 Lange Zeit bleibt
dies die einzige Bestimmung der Schrift, die zunächst nur von einigen wenigen Schriftkundigen angewandt wird (vgl. Powell 1991: 233). Zwar werden die aoidischen Überlieferungen durch die Entwicklung des griechischen Vokalalphabets dem Vergessen
entzogen, doch geht deren schriftliche Fixierung auch mit einem Bedeutungsverlust der
aoidischen Kunst einher. Nach ihrem endgültigen Niedergang im 5. Jahrhundert v. Chr.
(vgl. Powell 2002: 140), dem Untergang der mykenischen Kultur und den Dunklen
Jahrhunderten, treten die Rhapsoden im klassischen Griechenland die Nachfolge der
2
Diese Differenzierung entspricht dem strukturalistischen Ansatz von Seymour Chatman (vgl. 1978: 2226), der einerseits zwischen Inhalts- und Ausdrucksseite, andererseits zwischen Form und Substanz einer
Erzählung unterscheidet. Die inhaltliche Form bezieht sich auf die Komponenten der Erzählung (Ereignisse und Charaktere sowie deren Verknüpfung in einer Handlung), die Form des Ausdrucks auf die
Struktur der narrativen Vermittlung (mediale Darstellung der Narration).
3
Die frühesten Inschriften auf der Grundlage des griechischen Alphabets sind in Hexametern, dem gängigen Versmaß oraler Dichtung, verfasst (vgl. Havelock 1982: 15).
6
Aoiden an. Ihre Profession ist ein direktes Resultat der neuen Medientechnologie. Obgleich Rhapsoden schriftlich fixierte Dichtung darbieten, unterliegt die Art und Weise
ihrer narrativen Vermittlung den Prinzipien aoidischer Darstellung.
Die formende Anordnung der Worte im aoidischen Gesang gestaltet sich derart
kunstvoll, dass diese Art der erzählenden Vermittlung nach heutigem Verständnis als
Dichtung aufgefasst wird. In der oralen Kultur des antiken Griechenlands haben Rhythmus, Reim und Formelcharakter der Geschichten jedoch keine ästhetische, sondern
mnemonische Funktion (vgl. Havelock 1963: 166). Die Vermittlung der aoidischen Geschichten folgt notwendigerweise bestimmten formalen Prinzipien, da dem Sänger außer seinem Gedächtnis keinerlei externe Speichermedien zur Verfügung stehen. Erforderlich ist eine gesprochene Sprache, die als erinnerbare und zugleich variable Form
fungiert, um unterschiedlichste Inhalte zu bewahren und zu kommunizieren. Eric
Havelock (ebd.: 147) beschreibt das grundlegende Muster der oralen Mnemotechnik als
„variation within the same“.
Formgebende Prinzipien der mündlichen antiken Dichtung sind ein fester Sprachrhythmus, der Hexameter als metrisches Schema, sowie der Gebrauch von Sprachformeln. Der Wechsel von kurzen und langen Sprechsilben erzeugt einen regelmäßigen
Rhythmus, der sowohl das Erlernen als auch die Wiedergabe oraler Dichtung begünstigt.
Der epische Sänger memoriert Inhalte jedoch nicht Wort für Wort, weshalb wiederholt
vorgetragene Geschichten desselben Inhalts in ihrem Wortlaut variieren (vgl. Lord 1965:
108). Vielmehr erlernt und erinnert er eine zusammenhängende Gruppe von Wörtern,
ganze Sätze und Verse, mit einem bestimmten thematischen Bezug. Infolgedessen verfügt der Sänger über ein Repertoire, welches ihm den Aufbau seiner Narration ermöglicht. Eine unter denselben metrischen Bedingungen regelmäßig zum Ausdruck derselben Idee verwendete Wortgruppe nennt der Philologe Milman Parry4 (zit. n. Lord 1965:
58) „Formel“ („formula“). Resultat dieser der Erinnerung dienenden Gestaltungsprinzipien5 ist ein formelhafter Erzählstil, der innerhalb der oralen Kultur Griechenlands eine
Kunstsprache, eine Art künstliche Oralität, begründet. Diese wird ausschließlich von
4
Mit seiner Forschung erbrachte Parry den Nachweis, dass in den homerischen Epen Wortwahl und
-form durch das Versmaß bedingt sind. Standardisierte Sprachformeln werden zur Anordnung ebenfalls
standardisierter Themen genutzt. Hieraus entwickelt Parry die These, dass die Epen Homers nicht einem
einzigen Dichter geschuldet sind, sondern in einer langen Tradition mündlicher Überlieferung stehen (vgl.
Ong 32012: 22f.).
5
Die Formelhaftigkeit und thematische Verknüpfung der Gedächtnisinhalte begründen eine Technik, die
erlernt werden muss. Albert Lord, ein Schüler Milman Parrys und Weiterführer seiner Forschung,
beschreibt auf der Grundlage der Erfahrungen eines epischen Sängers in Jugoslawien die Etappen der
entsprechenden Lehrausbildung (vgl. Lord 1965: 57-64).
7
den Sängern beherrscht, jedoch von allen Griechen verstanden (vgl. Powell 2002: 135).6
Zur Zeit der Aoiden dient diese Kunstsprache neben dem Erinnern der Geschehensfolge
im Akt der Darbietung und der Gestaltung eigener Geschichten auch dem Erlernen bereits zirkulierender Geschichten auf Grundlage des Mündlichen (vgl. Powell 1991: 224).
Zwar übernehmen die formalen Gestaltungsprinzipien später dieselben Funktionen für
den Rhapsoden, jedoch kann dieser nunmehr auf schriftlich fixierte Dichtung als Lernvorlage zurückgreifen.
Im Akt des Singens fallen erzählende Vermittlung und Erinnerung der epischen Inhalte zusammen. Dabei handelt es sich um einen reflexartigen Prozess, der fest an den
Körper des Sängers gebunden ist. Die als Memorialtechnik fungierenden verbalen
Strukturen materialisieren sich während der Performanz durch Artikulation und Phonation des Sängers in „sound patterns“ (Havelock 1986: 71) mit charakteristischen prosodischen Eigenschaften. Diese begründen den Rhythmus der gesprochenen Worte. Des
Weiteren begünstigen der Einsatz von Musikinstrumenten sowie die Körperbewegungen des Sängers sowohl den rhythmischen Eindruck der Darbietung als auch die reflexartige Erinnerung des Rhapsoden. So koordiniert etwa die Betätigung der Leier durch
die Hand des Sängers die Bewegung seiner Sprechorgane (vgl. Havelock 1963: 149)
und versetzt schließlich den gesamten Körper in harmonische Bewegung. In der Darbietung von Aoiden und Rhapsoden gehen das gesprochene Wort und die Musik somit eine
machtvolle auditive Allianz ein, die durch den unmittelbaren Eindruck der Körperbewegung um visuelle Qualitäten ergänzt wird. Für das Publikum begründen die narrativen
Vermittlungsstrukturen, das Hören als Wahrnehmung von Sprache und Musik verbunden mit dem Sehen der Körperbewegungen des Sängers, ein sinnliches Erlebnis, welches für das Wesen oraler Kulturen bezeichnend ist.
Vor der Erfindung der Schrift ist das gesprochene, durch den Menschen geformte
Wort in seiner Gegenwärtigkeit der dominierende Sinneseindruck. In The Presence of
the Word (1967) betont Walter Ong die präsentische Qualität von „Sound“, dem natürlichen und ursprünglichen Medium des Wortes, als Ereignis:
Sound is more real or existential than other sense objects […]. Sound
itself is related to present actuality rather than to past or future. It must
emanate from a source here and now discernibly active, with the result
6
Walter Ong (32012: 36) beschreibt den formelhaften Charakter mündlicher Ausdrucksweise als eine tief
in der Psyche ihrer Sprecher und Hörer verankerte Denkweise: „all expression and all thought is to a
degree formulaic in the sense that every word and every concept conveyed in a word is a kind of formula,
a fixed way of processing the data of experience, determining the way experience and reflection are
intellectually organized, and acting as a mnemonic device of sorts”. Vgl. hierzu auch Havelock 1963;
Powell 2002: 224.
8
that involvement with sound is involvement with the present, with
here-and-now existence and activity (111f.).
Mittels des gesprochenen Wortes werden Menschen ihrer Innerlichkeit gewahr und können sich im Bewusstsein ihrer Person auch anderen Menschen ganzheitlich darstellen.
Das Erleben der eigenen Innerlichkeit in „Sound“ bildet für Ong (vgl. ebd.: 124f.) somit
die Voraussetzung für die kommunikative Begegnung zwischen Menschen. Bedingt
durch seine zeitlich und örtlich begrenzte Reichweite bindet das gesprochene Wort Individuen oraler Kulturen in enge Gemeinschaften (vgl. ebd.: 124; 32012: 68).
Mit der Einführung der Schrift, die in der Erfindung des Buchdrucks und der massenhaften Verbreitung schriftlicher Erzeugnisse ihre technische Vervollkommnung findet, verlagert sich die Bedeutung innerhalb der verschiedenen Sinneswahrnehmungen:
„As an intensification and extension of the visual function, the phonetic alphabet
diminishes the role of the other senses of sound and touch and taste in any literate
culture” (McLuhan 22011: 120). McLuhans (2008: 44) metaphorische Formel „Man was
given an eye for an ear” kondensiert diesen Gedanken. Anders als es die Radikalität dieser Aussage vermuten lässt, handelt es sich bei der Umstrukturierung der menschlichen
Sinneswahrnehmung um einen Jahrhunderte währenden Prozess: Trotz der potenziellen
Anwendungsvielfalt der Schrift bleibt die griechische Gesellschaft noch viele Jahrhunderte lang eine zutiefst mündlich geprägte7. Erst in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr.
ist die Alphabetisierung der Griechen auch institutionell abgeschlossen (vgl. Robb 1994:
253), sodass diese als Mitglieder einer literalen Kultur bezeichnet werden können.
In der literalen griechischen Gesellschaft ist das attische Drama8 die erste mündliche
Kunstform, die vollständig im Medium Schrift konzipiert wird (vgl. Ong 32012: 145).
Ohne diese neue Medientechnologie wäre die komplexe Komposition griechischer Dramen kaum denkbar: Insbesondere die Aufteilung der Sprechrollen unter mehreren Darstellern verlangt nach einer koordinierenden Textgrundlage.9 Da der Autor sein Stück
nach wie vor für eine mündliche Darstellung innerhalb einer oralen Gemeinschaft verfasst, prägen die formalen Charakteristika mündlicher Dichtung auch die dramatische
7
Noch in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. lernen Athenen, wenn überhaupt, erst im Erwachsenenalter schreiben. Zudem bleibt diese Fähigkeit weitgehend auf die eigene Unterschrift beschränkt.
Gesellschaftlicher Standard wird die Kunde des Alphabets in der frühen Bildung erst im späten Verlauf
desselben Jahrhunderts (vgl. Havelock 1963: 40).
8
Entwickelt hat sich das antike Theater aus den städtischen Dionysien als Nachfolger der Panathenäen
mit rhapsodischen Vorträgen. Um 400 v. Chr. ist es endgültig in Griechenland etabliert (vgl. Faulstich
2006: 56).
9
Die Autoren der jeweiligen Stücke werden dementsprechend und ihrem Selbstverständnis nach als Produzenten bezeichnet (vgl. Havelock 1982: 265; 1980: 717).
9
Performanz.10 Das attische Drama steht darüber hinaus insofern in der Nachfolge des
griechischen Rhapsoden, als es die auditiven und visuellen Qualitäten seiner Darstellung, Melodie und Rhythmus, beibehält und als Mehrpersonen-Medium sogar intensiviert. Mit Eric Havelock (vgl. 1982: 182) kann das Theater der griechischen Antike daher auch als intermediäre Kunst beschrieben werden, die die spezifischen Kräfte des
mündlichen Vortrags bewahrt, gleichzeitig aber bedingt durch die Möglichkeiten der
neuen Medientechnologie Schrift stärker reflexiv geprägt ist. Wenngleich die dramatische Performanz weiterhin den auditiven und visuellen Sinn anspricht, so lässt sich im
Vergleich zur Darbietung des Rhapsoden eine stärkere Akzentuierung des Visuellen
beobachten: Der Körper des Rhapsoden und die Bildlichkeit11 seiner sprachlichen Darstellung finden ihre dramatische Entsprechung in den Gesten gleich mehrerer Schauspielerkörper, die die Geschichte nicht erzählen, sondern in ihrer Verkörperung der Protagonisten, ausgestattet mit entsprechenden Gewändern und Masken, handelnd darstellen.
Eine Aktualisierung mittels technischer Apparaturen erfährt die unmittelbare Audiovisualität der rhapsodischen und theatralen Darstellung Jahrtausende später in den elektronischen Medien Film und Fernsehen. Letztere vermitteln ihre Botschaften ebenfalls
parallel auf zwei Wahrnehmungsebenen: auf der des Bildes sowie auf der des Tons. Obwohl technisch erzeugte und vermittelte Bilder und Töne kaum die Qualität der unmittelbar an den darstellenden Körper gebundenen sinnlichen Erfahrung mündlicher Kulturen erreichen, suchen sie diese nachzuahmen und noch zu übertreffen. Die technischen
Möglichkeiten der Gegenwart schaffen die Voraussetzung für ungekannte Seh- und
Höreindrücke, die in der wahrnehmbaren Realität jeder Entsprechung entbehren: Roboter mit übernatürlichen Fähigkeiten und synthetisch verzerrten Stimmen in ScienceFiction-Filmen beispielsweise.
Audiovisuelle Bilder, obgleich zweidimensional, erzeugen aufgrund ihres Abbildens
außerfilmischer Realität die Illusion eines dreidimensionalen Bildraumes. Sie zeigen jedoch nicht lediglich Reales im Sinne einer Abbildung. Vielmehr wird Reales in seiner
zeitlichen und räumlichen Bewegung präsentiert, das Bild dadurch performativ (vgl.
10
Vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen medientechnischen Entwicklung stehen auch Film und
Fernsehen insofern in dieser Tradition, als sie mündliche Kommunikation wahrnehmbar machen, die auf
schriftlichen Vorlagen in Form von Drehbüchern beruht (vgl. Böhn/Seidler 22014: 40). Nach der Unterscheidung zwischen medialer und konzeptueller Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Koch/Oesterreicher
(vgl. 1994: 587f.) entspricht dies der Verknüpfung von mündlicher Realisationsform (mediale Mündlichkeit) und mündlicher Ausdrucksweise (konzeptuelle Mündlichkeit).
11
Die Worte des Sängers beschreiben stets die visuellen Aspekte von Dingen. Anschauliche sprachliche
Formulierungen dienen nicht nur der Vorstellungskraft der Zuhörer, sie fungieren wie die verbalen Formeln als mnemonische Hilfestellung für den Sänger (vgl. Havelock 1963: 188f.).
10
Hickethier 32001: 42). Diese Eigenschaft teilen die elektronischen Medien Film und
Fernsehen mit den Darbietungen des antiken Theaters: Theater- sowie Film- und Fernsehschauspieler imitieren eine Handlung, indem sie das Geschehen mittels Körperbewegungen zeigen. Der Autor spricht gewissermaßen durch die handelnden Figuren. Der
Filmwissenschaftler David Bordwell (1985: 3) bezeichnet diesen Modus des Erzählens
als mimetische Narration: „Mimetic theories conceive of narration as the presentation of
a spectacle: a showing“. Bordwell bezieht sich hierin auf die artistotelische Unterscheidung zwischen verschiedenen Modi der Imitation: dem Zeigen einer fiktiven Handlung
durch verkörperte Charaktere einerseits und dem Erzählen einer Handlung durch einen
Erzähler andererseits.12 Die ideale Verkörperung letzteren Verfahrens, der diegetischen
Narration13, ist der griechische Rhapsode: Seine Formulierungen evozieren das Geschehen in der Vorstellung der Zuhörenden; seine Körperbewegungen imitieren lediglich
den Rhythmus der gesprochenen Worte, haben vorrangig mnemonische Funktion, und
dienen nicht der Handlungsdarstellung. Für das audiovisuelle Erzählen hingegen ist die
Performativität des technischen Bildes so essentiell14, dass Film und Fernsehen als Medien des „bildhaften Erzählens“ (Hickethier 32001: 42) beschrieben werden können. Darüber hinaus bedienen sich auch Film und Fernsehen, ebenso das Theater, insofern des
diegetischen Erzählens, als diese Medien nicht nur erzählen, indem sie zeigen, sie erzählen auch durch das Sprechen der Figuren über etwas, was sie nicht präsentieren.
Nicht weniger bedeutend für die narrative Vermittlung durch Film und Fernsehen ist
demnach der Ton und damit der Dreiklang von Sprache, Musik und Geräuschen. Ein
Fehlen dieser akustischen Mittel stört den audiovisuellen Wahrnehmungsprozess und
lässt ihn unvollständig erscheinen (vgl. ebd.: 94). Die Ära des Stummfilms und mit ihr
die Frühzeit des Kinos münden in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in die Entwicklung einer zufriedenstellenden Möglichkeit, Bild und Ton synchron aufzunehmen.
Bereits in den Jahren zuvor wurden Filmvorführungen häufig musikalisch von Musikautomaten, Grammophonen, Klavierspielern oder ganzen Orchestern (vgl. Müller 2003:
90) begleitet. Aber erst mit der Einführung des Tonfilms konstituiert die Verbindung
von Sprache, Musik und Geräuschen eine neben dem Bild wirkende und fortan unver12
In der Poetik ([Kap. 3]) heißt es hierzu: „es ist möglich, mit Hilfe derselben Mittel dieselben Gegenstände nachzuahmen, hierbei jedoch entweder zu berichten – in der Rolle eines anderen, wie Homer dichtet, oder so, daß man unwandelbar als derselbe spricht – oder alle Figuren als handelnde und in Tätigkeit
befindliche auftreten zu lassen“.
13
„Diegetic theories conceive of narration as consisting either literally or analogically of verbal activity: a
telling” (Bordwell 1985: 3).
14
Filmische und televisuelle Bilder zeigen die Welt darüber hinaus in einem Detailreichtum, der sich der
alltäglichen Wahrnehmung entzieht. Heike Klippel (1997: 162) bezeichnet dieses Charakteristikum als
„photographische Sichtbarkeitsfülle“.
11
zichtbare Wahrnehmungsebene. Beide Vermittlungsebenen können in unterschiedliche
Beziehung mit je unterschiedlichen Effekten zueinander treten. Film und Fernsehen haben hierdurch vielfältige Narrationsmöglichkeiten und können gegenüber der mündlichen Mittelung von Geschichten sehr viel komplexere Handlungsstrukturen in Wort,
Bild und Ton vermitteln.
Nach der Jahrhunderte währenden Dominanz des geschrieben Wortes wird die neuerliche Betonung der auditiven Wahrnehmung durch die elektronischen Medien rückblickend als Wiederkehr des gesprochenen Wortes in der Gegenwart bezeichnet. Walter
Ong nennt diesen Zustand in Orality and Literacy. The Technologizing of the Word
(1982: 3) in Abgrenzung zur primären Oralität schriftloser Kulturen „sekundäre Oralität“: „The electronic age is also an age of ‚secondary orality’, the orality of telephones,
radio, and television, which depends on writing and print for its existence”. Zur Materialisierung des Wortes in den Medien Sprache und Schrift zur Zeit der Rhapsoden sowie des antiken Theaters tritt dessen technische Verkörperung in der medialen Gegenwart.
Das sich mit der Erfindung der Schrift konstituierende Verhältnis von Mündlichkeit
und Schriftlichkeit, Ohr und Auge, welches sich gegenwärtig im audiovisuellen Einklang von Bild und Ton manifestiert, rückt erst mit der Entwicklung der elektronischen
Medien im 19. und 20. Jahrhundert in das Interesse kulturanthropologischer und medientheoretischer Debatten. Erst das Bewusstsein eines Kontrasts zwischen den neuen
elektronischen Medien und den Printmedien, hervorgerufen durch die ungewohnte Qualität des Mündlichen in Hörfunk und Fernsehen, sensibilisiert gleichermaßen für den
mediengeschichtlichen Übergang von einem Zustand ausschließlicher Oralität zur Literalität (vgl. Ong 32012: 2) von Kulturen. In diesem Sinn formuliert Ong15 (ebd.): „In
this diachronic framework, past and present, Homer and television can illuminate one
another”. Primäre und sekundäre Oralität, konstatiert Ong (vgl. ebd.: 134), sind einander sowohl auffallend ähnlich als auch different16: Zwar sind orale Kulturen in ihren jeweiligen historischen Ausformungen durch einen starken Gemeinschaftssinn gekenn15
In Anlehnung an Eric Havelock geht es Ong um den Nachweis einer mit der Entwicklung der Alphabetschrift einhergehenden Veränderung der Mentalität schriftlicher im Vergleich zu mündlichen Kulturen.
Walter Ong und Eric Havelock sind neben Marshall McLuhan die bekanntesten Vertreter der Toronto
School, einer Denkschule, die der Debatte über das Verhältnis von Oralität und Literalität in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die entscheidenden Impulse gibt. In der theoretischen Auseinandersetzung werden, ausgehend von den Forschungen Milman Parrys und Albert Lords über den mündlich-erzählenden Charakter homerischer Dichtung, gesprochene und geschriebene Sprache als zwei selbstständige Erscheinungsformen von Sprache betrachtet.
16
Zu diesem Schluss kommt auch Kathleen Welch (vgl. 1993: 24), die viele der von Ong definierten Charakteristika primärer Oralität (redundant, formelhaft, additiv) ebenfalls im Medium Fernsehen identifiziert.
12
zeichnet. In ihrer gegenwärtigen Ausprägung umfasst diese Gemeinschaft jedoch sehr
viel mehr Menschen17, da der Reichweite elektronisch vermittelter Mündlichkeit keine
räumlichen und zeitlichen Grenzen gesetzt sind. Auch die Interaktion zwischen Erzähler
und Zuhörer gestaltet sich, wie das nächste Kapitel zeigt, in der Rezeption des rhapsodischen Gesangs ähnlich wie in der Kino- und Fernsehrezeption – und doch anders.
Das Zusammenwirken von auditiver und visueller Darstellungsebene im Rahmen der
narrativen Vermittlung ist ein formales Charakteristikum, welches beiden untersuchten
Medien, den griechischen Rhapsoden sowie Film und Fernsehen, gemeinsam ist:
Das gesprochene oder gesungene Wort, zusammen mit dem visuellen
Bild des Sprechers oder Sängers ist […] auf dem besten Wege, durch
die Elektrotechnik seine alte Bedeutung wiederzugewinnen (Lord
1965: 11),
schreibt der Literaturwissenschaftler Harry Levin in seinem Geleitwort zu Albert Lords
bedeutendem Werk The Singer of Tales (1960; dt. Der Sänger erzählt. Wie ein Epos
entsteht, 1965). Die formale Kontinuität zwischen den Medien der oralen Kultur Griechenlands und den audiovisuellen Medien der Gegenwart betrifft neben der medialen
Darstellung die Struktur der jeweils narrativ vermittelten Inhalte. Im Folgenden rücken
die Narrationsmuster von Mythos und Spielfilm in den Fokus der Untersuchung.
2.2
Mythos als Konstante audiovisuellen Erzählens
Vor dem Hintergrund des Übergangs von der Oralität zur Literalität der griechischen
Gesellschaft ist Homer neben dem Rhapsoden eine weitere emblematische Figur. Seine
Dichtungen Ilias und Odyssee gelten als die frühesten Zeugnisse schriftlich fixierter
Dichtung. Aristoteles (vgl. Poet.: [Kap. 3]) exemplifiziert an ihnen seine Gattungsdefinition des antiken Epos als berichtende Nachahmung in Abgrenzung zum Drama. Epos
im antiken Griechenland meint jedoch nicht Literatur in einem zeitgenössischen, von
der Wortbedeutung abgeleiteten Verständnis, nämlich künstlerisches Schrifttum (vgl.
Moenninghoff 32007: 445). Vor ihrer kontinuierlichen Wiedergabe und Verbreitung in
ihrer bis in die Gegenwart schriftlich überlieferten Form durch den rhapsodischen Sänger werden die homerischen Erzählungen in jahrhundertelanger Überlieferung mündlich
17
Ong bezieht sich hier auf McLuhans Metapher des „globalen Dorfes“, die die Welt aufgrund der
elektronischen Vernetzung als eine Dorfgemeinschaft konzeptualisiert: „As electrically contracted, the
globe is no more than a village. Electric speed in bringing all social and political functions together in a
sudden implosion has heightened human awareness of responsibility to an intense degree” (McLuhan
2003: 6).
13
tradiert. Geschichten werden gesungen und sprachlich derart geformt, dass sie während
der Darbietung erinnert werden können. Über die Einbettung in die beschriebenen
rhythmischen Gesetzmäßigkeiten hinaus weist die erzählte Geschichte interne Strukturelemente auf, die heute als ästhetische Strategien betrachtet werden, die sich aber ursprünglich ebenfalls nach mnemonischen Bedürfnissen formiert haben.
Voraussetzung für das Memorieren von Geschichten im Akt der Imitation ist die
emotionale Identifikation des Erzählers mit den vermittelten Inhalten. Sie bildet die
Grundlage für die aktive Einbindung des Rhapsoden in das Wechselspiel von Einübung,
Wiederholung und Darbietung von Geschichten. Letztere setzen sich daher aus Handlungen und Geschehnissen zusammen, die von bedeutenden Personen ausgeführt werden bzw. sich durch diese ereignen (vgl. Havelock 1963: 217). Durch die mündliche
Wiedergabe der Erlebnisse und aktiven Handlungen einer Figur wird es dem Sänger
möglich, sich emotional mit dem Geschehen und den Figuren zu identifizieren. Es bedarf zudem bedeutender Charaktere, um Inhalte dauerhaft memorierbar zu machen:
„persons whose deeds are monumental, memorable and commonly public. […] outsize
figures, that is, heroic figures” (Ong 32012: 69). Die Taten des Helden18 konstituieren
eine Kette von Ereignissen, deren Anfangs- und Endpunkt durch die Geburt und den
Tod des Helden markiert sind (vgl. Havelock 1963: 171). Diese Eckpfeiler begrenzen
die Leben aller handelnden Figuren und umspannen daher einen Zeithorizont, in dem
die berichteten Ereignisse verortet werden.
Um die Geschehnisse während der Erzählung in der Erinnerung wieder erlebbar zu
machen, muss neben der Zuordnung eines Ereignisses zu einer handelnden Person eine
weitere Bedingung erfüllt sein. Diese betrifft die Abfolge der berichteten Ereignisse
selbst: Erst deren Organisation im Kontext eines Verlaufszusammenhangs macht die
Aussage zu einer narrativen und ihren Inhalt zu einer Geschichte19. Die narrative Darstellung aufeinanderfolgender Ereignisse unterliegt ordnenden Strukturen, die über das
Memorieren (vgl. Havelock 1963: 45) hinaus für die Wirkung der erzählten Geschichten
relevant sind und die sich im Laufe der Jahrhunderte als Erzählkonventionen etabliert
haben. Nach diesen Prinzipien formen sich die berichteten Geschehnisse nach dramatischen Gesichtspunkten zu einer in sich geschlossenen Handlung. In ihr spiegeln sich die
18
Nichtmenschliche Geschehnisse werden durch metaphorische Übertragung als Handlungen und Entscheidungen der Götterwelt (in Analogie zur menschlichen Welt) präsentiert. Unerklärliche Naturphänomene etwa werden hierdurch personifiziert und verständlich gemacht. Dadurch werden auch Handlungen,
die sich nicht dem Menschen zuordnen lassen, memorier- und imitierbar (vgl. Havelock 1963: 168-171).
19
Entsprechend der Unterscheidung Gérard Genettes (vgl. 1998: 117) zwischen narrativer Aussage (Erzählung), narrativem Inhalt (Geschichte) und dem narrativen Akt (Narration) geht die Erzählforschung
von einer Dichotomie von Erzählung und Geschichte aus (vgl. Andronikashvili 2009: 15).
14
Gliederung in Anfang, Mitte und Ende sowie die Relationen der Geschehnisse wider.
Entsprechende Anforderungen an die epische Dichtung formuliert Aristoteles in der
Poetik ([Kap. 23]):
Was die erzählende und nur in Versen nachahmende Dichtung angeht,
so ist folgendes klar: man muß die Fabeln wie in den Tragödien so
zusammenfügen, daß sie dramatisch sind und sich auf eine einzige,
ganze und in sich geschlossene Handlung mit Anfang, Mitte und Ende
beziehen, damit diese, in ihrer Einheit und Ganzheit einem Lebewesen
vergleichbar, das ihr eigentümliche Vergnügen bewirken kann.
Mit Vergnügen sind Jammer (Eleos) und Schaudern (Phobos) gemeint, die als Wirkung
vor allem dann eintreten, wenn Ereignisse unvorhergesehen und dennoch folgerichtig
auseinander hervorgehen (vgl. ebd. [Kap. 9]). Dieses Ziel zu erreichen, ist Aufgabe des
Dichters (vgl. ebd. [Kap. 14]): Er selektiert, ordnet und arrangiert die Geschehnisse
überlieferter oder frei erfundener Stoffe in der Art, dass sie gemäß ihrer Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit aufeinanderfolgen. Wo dies nicht der Fall ist, spricht Aristoteles (vgl. ebd. [Kap. 9]) von episodischen als den schlechtesten Handlungen.
Aristoteles rühmt die Leistung Homers, der sich gehütet hat, in der Ilias den gesamten trojanischen Krieg darzustellen, obgleich dieser ein Anfang und ein Ende hat. Die
Handlung wäre andernfalls zu umfangreich oder kompliziert ausgefallen (vgl. ebd. [Kap.
23]). Stattdessen führt Homer die wesentlichen Taten und Ereignisse20, die ihrerseits jeweils in sich geschlossene, parataktisch nebeneinander stehende Episoden darstellen, zu
einer einheitlichen Handlung zusammen (vgl. ebd. [Kap. 8]; [Kap. 26]). Letztere ist in
ihrem Kern – es geht um Achilles Zorn – nicht länger als die einer Tragödie, durch die
Ausgestaltung weiterer Ereignisse in zusätzlichen Episoden dennoch umfangreicher.
Ebenso die Odyssee: „Er [Homer] hat sich […] einen einzigen Teil vorgenommen und
die anderen Ereignisse in zahlreichen Episoden behandelt, wie im Schiffskatalog und in
den übrigen Episoden, durch die er seine Dichtung auseinanderzieht“ (ebd. [Kap. 23];
vgl. hierzu auch [Kap. 17]).21 Die aristotelische Unterscheidung zwischen der zentralen
Handlung der Ilias inklusive der sie konstituierenden Episoden einerseits und den zu-
20
Im aristotelischen Verständnis handelt es sich bei Ereignissen um Begebenheiten, zu denen auch Naturereignisse gehören, nicht aber unbedingt um intentionale Handlungen (vgl. Hofmann 2013: 14).
21
Die Zusammensetzung der Handlung aus mehreren, in sich geschlossenen, Episoden ermöglicht die Rezitation der Ilias: Im Rahmen seiner öffentlichen Auftritte bietet der Rhapsode nicht etwa den gesamten
Epos dar, sondern lediglich ausgewählte Episoden (vgl. Havelock 1982: 175). In diesem Sinne können die
Epen Homers als große Sammlungen einer Vielzahl von Geschichten betrachtet werden. Darin gleichen
sie formal der Programmstruktur des Fernsehens. Dieses vermittelt eine große Erzählung, das Programm
als narrative Einheit, die ihrerseits eine Addition von Episoden unterschiedlicher Formen (Spielfilme,
Nachrichten) darstellt (vgl. Hickethier 2000a: 35). Darüber hinaus weisen Epos und Programm hierin eine
formale Nähe zur gliedernden und klassifizierenden Struktur einer Enzyklopädie auf.
15
sätzlichen Episoden als selbstständige Teile andererseits bei gleichzeitiger Lobpreisung
der homerischen Epen als vollkommene „Nachahmung einer einzigen Handlung“ (ebd.
[Kap. 26]) ist nur scheinbar ein Widerspruch: Obwohl Aristoteles seine Überlegungen
stets durch das Prisma der dramatischen Handlung anstellt (vgl. Andronikashvili 2009:
76), die in ihrem Umfang wesentlich kürzer ist und auf die Ausgestaltung von Episoden
verzichtet (vgl. Aristot. poet. [Kap. 17]), betrachtet er für die epische Handlungsstruktur
die Einheit der zentralen Handlung sowie der Episoden als konstitutiv.
Die Anordnung der Ereignisse zu einer einheitlichen Handlung, die Handlungsstruktur, nennt Aristoteles Mythos (µῦθος): „Die Nachahmung von Handlung ist der Mythos.
Ich verstehe hier unter Mythos die Zusammensetzung der Geschehnisse“ (ebd. [Kap. 6]).
Die aristotelische Bestimmung des Mythos beinhaltet sowohl die Anordnung der Ereignisse im Akt der Konstruktion, der Dichtung, als auch die daraus resultierende Handlungseinheit im dichterischen Werk. Charakteristika des Mythos22 lassen sich aus den
zuvor zitierten Anforderungen an die in Versen nachahmende Dichtung ableiten (vgl.
ebd. [Kap. 23]): Der Mythos ist ein Ganzes, eine in sich geschlossene Handlung, die
durch Anfang und Ende begrenzt wird. Zwischen diesen Konstanten entspricht die Abfolge der Ereignisse einem dramatischen Verlauf, der durch Peripetie und Wiedererkennung gekennzeichnet ist:
Die Peripetie ist […] der Umschlag dessen, was erreicht werden soll,
in das Gegenteil […]. Die Wiedererkennung ist […] ein Umschlag von
Unkenntnis in Kenntnis, mit der Folge, daß Freundschaft oder Feindschaft eintritt, je nachdem die Beteiligten zu Glück oder Unglück bestimmt sind (ebd. [Kap. 11]).
Idealerweise fallen Peripetie und Wiedererkennung zusammen und bewirken dadurch
Jammer und Schaudern (vgl. ebd. [Kap. 11]).23 Sie markieren im mittleren Teil des Mythos eine Wende, eine Zustandsänderung, die für die dramatische Spannung konstitutiv
ist und das Ziel des Mythos definiert, nämlich den Umschlag von Glück in Unglück
oder umgekehrt. Im Hinblick auf das Ziel der Handlung gehen alle Ereignisse folgerichtig auseinander hervor und stehen somit in einem logischen und kausalen Zusammen22
Aristoteles unterscheidet zwischen epischem, tragischem und komischem Mythos. Die wesentlichen
Merkmale des Mythos sind den verschiedenen Gattungen gemeinsam: „Das Epos bedarf nämlich auch der
Peripetien und Wiedererkennungen und schweren Unglücksfälle“ (Aristot. poet. [Kap. 24]).
23
Obgleich Aristoteles die Wirkung des Epos nicht ausführt, lässt sich annehmen, dass diese ebenfalls
Jammer und Schaudern betrifft. Denn fast alle Elemente, die die Tragödie beinhaltet, schreibt Aristoteles
auch dem Epos zu. Unterschiede zwischen den Gattungen betreffen die Art der Nachahmung (vgl. ebd.
[Kap. 3]), die Melodik und Inszenierung (vgl. ebd. [Kap. 24]) sowie das Versmaß und die Ausdehnung
des Handlungsgefüges (vgl. ebd.). Da die Wirkung der Dichtung maßgeblich durch die Handlung bedingt
ist, misst Aristoteles dem Mythos im Hinblick auf die Formelemente der Tragödie (die qualitativen Teile
der Tragödie: Mythos, Charaktere, Sprache, Erkenntnisfähigkeit, Inszenierung und Melodik (vgl. ebd.
[Kap. 6])), die größte Bedeutung bei (vgl. ebd. [Kap. 6]).
16
hang. Die strukturelle Einheit des Mythos ergibt sich aus aristotelischer Sicht demnach
aus den konstitutiven Elementen Anfang, Mitte und Ende24 sowie einer Wende von einem Zustand in einen anderen. Insofern bildet das dichterische Werk, mit dessen Erzeugung der aristotelische Mythosbegriff eng verbunden ist (vgl. Andronikashvili 2009: 71),
eine abgeschlossene Einheit, einen fiktionalen Raum außerhalb der Welt, die es nachahmt.
Die Nachahmung des Dichters betreffe laut Aristoteles (Poet. [Kap. 9]) das Allgemeine, welches darin bestehe, „daß ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach der
Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut“. Handlungen
haben somit Modellcharakter. Letzterer lässt sich nicht nur aus der Geschichte extrahieren, sondern leitet bereits das dichterische Schaffen: Überlieferte und erfundene Stoffe
soll der Dichter zunächst im Allgemeinen skizzieren und erst dann mit den Eigennamen
der handelnden Charaktere befüllen und zu ihrer vollen Länge entwickeln (vgl. ebd.
[Kap. 17]). Aristoteles exemplifiziert den ersten Schritt am Stoff der Odyssee:
Jemand weilt viele Jahre in der Fremde, wird ständig von Poseidon
überwacht und ist ganz allein; bei ihm zu Hause steht es so, daß Freier
seinen Besitz verzehren und seinem Sohne nachstellen. Er kehrt nach
schweren Bedrängnissen zurück und gibt sich einigen Personen zu erkennen; er fällt über seine Feinde her, bleibt selbst unversehrt und vernichtet die Feinde (ebd.).
Obgleich Aristoteles inkonsequent hinsichtlich der Nennung von Eigennamen verfährt –
indem Poseidon konkretisiert wird, Odysseus aber nicht –, deutet sich in seiner Beschreibung die dichterische Leistung der konkreten Ausformung von Stoffen und ihrer
dramatischen Zuspitzung im Mythos25 an. Für diese Schritte bildet die Modellierung des
Handlungsverlaufs, des Allgemeinen, das strukturelle Gerüst. Tatsächlich bedient sich
Homer einer komplexen Erzählweise mit Parallelhandlungen (z.B. die „Telemachie“),
Einschüben und Rückblenden.26 So werden etwa die Abenteuer, die Odysseus auf seiner
Irrfahrt von Troja in seine Heimat zu bestehen hat, erst im zentralen Teil des Epos durch
24
Vgl. hierzu den aristotelischen Ganzheitsbegriff (Aristot. poet. [Kap. 7]): „Ein Ganzes ist, was Anfang,
Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem
jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm
nichts anderes mehr eintritt. Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas anderes nach sich zieht“.
25
Mythen, in denen wie in der Odyssee „die Guten und die Schlechten ein entgegengesetztes Ende finden“, nennt Aristoteles (ebd. [Kap. 13]) zweifach zusammengesetzte Fabeln.
26
Ob diese Stilmittel um der dramatischen Spannung willen bewusst eingesetzt wurden oder der Genese
des Epos aus der mündlichen Überlieferung geschuldet sind, lässt sich angesichts der umstrittenen Entstehung, Autorschaft und Überlieferung der Odyssee nicht mit Sicherheit feststellen.
17
Odysseus’ eigene Schilderung erzählt, obwohl sie der Heimkehrererzählung zeitlich
vorausgehen.
In Entsprechung zu Aristoteles unterscheidet die strukturalistische Erzähltheorie zwischen zwei für die Erzählung konstitutiven Dimensionen: histoire und discours. Die erfundenen oder imitierten Geschehnisse (nach Aristoteles ‚Stoff’) werden in der Geschichte (histoire) zu einer Kette von Ereignissen (nach Aristoteles ‚Mythos’) verknüpft
und mit Charakteren sowie situativen Elementen verbunden. Das ‚Was’ der Geschichte
materialisiert sich im ‚Wie’ des Diskurses (discours), der die Mittel beschreibt, durch
die die Geschichte kommuniziert wird (vgl. Kloepfer 42008: 287). An diese Unterscheidung anknüpfend, begreift Seymour Chatman (1978: 19f.) ‚Erzählung’ unter Berufung
auf den französischen Strukturalisten Claude Bremond als eine unabhängige Struktur,
die sich in verschiedenen Medien manifestieren kann: sowohl im Medium des Rhapsoden als auch in Film und Fernsehen.
Im Hinblick auf die Odyssee lässt sich ausgehend vom aristotelischen Mythos oder
der Chatmanschen Story zudem eine weitaus abstraktere Struktur27 identifizieren. Diese
Struktur ist zyklisch und wird von dem amerikanischen Mythenforscher Joseph
Campbell (32004: 28) wie folgt beschrieben:
A hero ventures forth from the world of common day into a region of
supernatural wonder: fabulous forces are there encountered and a
decisive victory is won: the hero comes back from this mysterious
adventure with the power to bestow boons on his fellow man [Herv. i.
Orig.].
Die in dieser schematischen Beschreibung der Heldenreise enthaltenen Schlüsselmomente Aufbruch (departure), Initiation (initiation) und Rückkehr (return) sind der Kern
dessen, was Campbell (vgl. ebd.) als Monomythos28 identifiziert. Entsprechend der aristotelischen Handlungseinheit mit Anfang, Mitte und Ende handelt es sich auch bei dieser universalen Struktur um eine Triade: der Aufbruch des Helden aus seiner gewohnten
Welt, die zu bestehenden Abenteuer während der Reise und seine Rückkehr.29 Aus der
27
Der Literaturwissenschaftler Zaal Andronikashvili (vgl. 2009: 72-78) bezeichnet die abstrakte logische
Struktur des Mythos als Logos (abgeleitet von gr. logoi ‚Stoff’). Der Logos ist das gemeinsame Substrat
für die historischen Vorlagen und die erdichteten Fabeln und enthält „Verknüpfung und Lösung, die Bewegung vom Anfang bis zur Wende und von der Wende bis zur Katastrophe. Der Logos ist ein Schema,
das für Drama und Epos, in Verlängerung aber vermutlich für alle mimetischen Künste, gleichermaßen
gilt“ (ebd.: 78).
28
Campbell entlehnt den Begriff aus James Joyces Werk Finnegans Wake (vgl. Estés 2004: xxv).
29
Dies schließt die innere Reise des Helden in Form eines Reifeprozesses, einer Selbstentdeckung, insofern mit ein, als die Struktur der Heldenreise mit ihren Verwirklichungsstufen und Prüfungen die seelische Wandlung in der persönlichen Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen widerspiegelt (vgl.
Campbell 1994: 150).
18
Analyse mythischer Geschichten aus der ganzen Welt schlussfolgert Campbell, dass die
erzählten Geschichten stets diese Form haben.30 In The Hero with a Thousand Faces
(1949) beschreibt er die Struktur des Monomythos als eine siebzehn Stadien umfassende Heldenreise. Die Anwendung dieser Grundstruktur auf Homers Odyssee (vgl. Anhang A) verdeutlicht ihre Variabilität: Weder müssen alle Phasen narrativ entwickelt
sein – eine Vielzahl von Geschichten konzentriert sich laut Campbell (vgl. ebd.: 228)
auf die umfassende Darstellung von ein oder zwei Stationen der Reise –, noch müssen
sie zwingend in der beschriebenen Reihenfolge auftreten. Episoden können außerdem
miteinander verschmelzen oder in vielfacher Variation wiederkehren.
Das zyklische Handlungsschema der Heldenreise ist das strukturelle Gerüst einer jeden Geschichte. Es ist universell, existiert unabhängig von Ort und Zeit und ermöglicht
die umweltspezifische Ausgestaltung unter vielfältigen kulturellen und historischen Bedingungen. Campbell spricht deshalb von einem „archetypal pattern” (ebd.: 36) mit
„archetypal stages“ (ebd.: 355). Für ihn sind Mythen nicht nur Manifestationen des Unbewussten, sondern kontrollierte und vorsätzliche Äußerungen geistiger Prinzipien, die
im Laufe der Menschheitsgeschichte ebenso konstant geblieben sind wie die Form der
menschlichen Psyche selbst (vgl. ebd.: 239).
Mit dieser psychologischen Interpretation des Mythos und dem Begriff des Archetypus nimmt Campbell Bezug auf die Lehre des analytischen Psychologen Carl Gustav
Jung. Jung (vgl. 1995: 14) bestimmt Archetypen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als seit jeher vorhandene allgemeine Bilder, die Inhalt des kollektiven Unbewussten sind. Dieses ist im Gegensatz zum persönlichen Unbewussten „in allen Menschen
sich selbst identisch und bildet damit eine in jedermann vorhandene, allgemeine seelische Grundlage überpersönlicher Natur“ (ebd.: 13f.). Inhalte und Verhaltensweisen entstammen nach Jung nicht der persönlichen Erfahrung und Erwerbung, sondern sind angeboren und daher allen Individuen gemeinsam. Als psychisches Konstrukt sind Archetypen lediglich formal als gegebene Möglichkeit einer Vorstellungsform bestimmt, insofern sie noch keiner bewussten Bearbeitung unterliegen. Inhaltlich greifbar wird der
Archetypus erst durch seine Wahrnehmung, dadurch dass er mit bewusster, individueller Erfahrung ausgefüllt und dadurch gleichsam verändert wird (vgl. ebd.: 95). Ihren
symbolischen Ausdruck finden die unbewussten Archetypen unter anderem in Träumen
30
Gleiches beschreibt der russische Formalist Wladimir Propp bezüglich russischer Volksmärchen. In seiner Analyse der Morphologie des Märchens (1928) weist er deren einheitliche Handlungsstruktur nach,
die er als eine Abfolge von einunddreißig invarianten Funktionen bestimmt.
19
und Mythen, die als psychische Manifestationen das Wesen der Seele darstellen.31 In
Erzählungen beständig wiederkehrende Personentypen (Mutter, Narr) betrachtet Jung
demnach als Signifikanten eines seelischen Signifikats.
Ein Archetyp im Sinne Jungs ist auch die von Campbell ausführlich beschriebene Figur des Helden, die, wie der Titel seines Buches suggeriert, lediglich in ihrer historischen und kulturellen Erscheinung mannigfaltig ist: „Im Kern, könnte man sogar sagen,
gibt es nur einen einzigen archetypischen mythischen Helden, dessen Leben in vielen
Ländern von vielen, vielen Menschen nachgestaltet worden ist“ (Campbell 1994: 161).
Hieß der Held vor knapp dreitausend Jahren Odysseus oder Achilles, so nimmt er heute
die Gestalt von Indiana Jones oder Harry Potter an. Für das zeitgenössische Erzählen in
Film und Fernsehen erweist sich Campbells Mythenforschung in der Folgezeit als äußerst fruchtbar.
Ausgehend von den Überlegungen Campbells und Jungs erarbeitet Christopher
Vogler in Anlehnung an seine Tätigkeit in der Entwicklungsabteilung von „The Walt
Disney Company“ ein wenige Seiten umfassendes Handbuch für Filmautoren und -regisseure. A Practical Guide to The Hero with a Thousand Faces (1985) wird 1992 unter
dem Titel The Writer's Journey: Mythic Structure for Storytellers and Screenwriters32
zu einer umfangreichen Veröffentlichung ausgearbeitet, die in der amerikanischen Filmszene hohen Rang und Einfluss genießt (vgl. Schneider 2007: 332). Den Campbellschen
Entwurf leicht modifizierend beschreibt Vogler (vgl. 21998: 54-75) die Dramaturgie der
Heldenerzählung als eine zwölf Stadien umfassende Reise33, mit deren Hilfe sich eine
Geschichte so konstruieren lässt, „daß sie sich nahezu jeder Gegebenheit anpasst und
obendrein noch dramatisch, unterhaltsam und psychologisch stimmig ist“ (Vogler 21998:
50). Das Erfolgspotenzial des mythischen Narrationsmusters wurde insbesondere von
der amerikanischen Filmindustrie erkannt und umgesetzt: Hollywood-Produktionen
31
Den theoretischen Grundstein für die Interpretation literarischer Werke auf der Grundlage wiederkehrender Archetypen legt der Literaturkritiker Northrop Frye mit Anatomy of Criticism (1957). Unter Archetypen versteht Frye (1964: 102) „ein Symbol, das ein Gedicht mit einem anderen verbindet und so dazu beiträgt, unsere literarische Erfahrung zu größerer Einheit und Ganzheit zu führen“. Von Interesse ist
für Frye nicht der Ursprung solcher Archetypen, sondern ihre Effekte und Funktionen.
32
Zwei überarbeitete Fassungen wurden 1998 und 2007 jeweils unter dem Titel The Writer's Journey:
Mythic Structure For Writers veröffentlicht.
33
Das Schema fasst Vogler (vgl. 21998: 74f.) wie folgt zusammen: Der Held wird in seinem Leben in der
gewohnten Welt vorgestellt und erhält einen Ruf des Abenteuers. Er zögert und verweigert den Ruf, wird
aber von einem Mentor ermutigt, die erste Schwelle zu übertreten, woraufhin Bewährungsproben, Verbündete und Feinde auf ihn warten. Der Held dringt zur tiefsten Höhle vor, wobei er eine zweite Schwelle
überschreiten muss, und hat dann die entscheidende Prüfung zu bestehen. Er nimmt die Belohnung an
sich und ist auf seinem Rückweg in die gewohnte Welt Verfolgungen ausgesetzt. Danach hat er noch eine
dritte Schwelle zu überschreiten, erlebt seine Auferstehung und wird von dieser Erfahrung grundlegend
verändert. Nun kann er mit dem Elixier, dem Schatz oder einer Wohltat in die gewohnte Welt zurückkehren.
20
lassen sich weltweit vermarkten, da sich in den audiovisuell vermittelten Geschichten
vertraute Formen und Symbole manifestieren, die in jeder Kultur latent vorhanden sind
und mit denen sich die meisten Menschen identifizieren können (vgl. hierzu Röll 1998:
152; Görden/Meiser 1994: 39). Tatsächlich lässt sich das narrative Muster der Heldenreise in Filmen aller Genres und nicht nur in amerikanischen Produktionen identifizieren, wie eine exemplarische Analyse des Thrillers MATCH POINT (GB/USA/L 2005,
Woody Allen; vgl. Anhang B) sowie des Dramas VINCENT WILL MEER (D 2010, Ralf
Huettner; vgl. Anhang C) zeigt.
Wie Campbell konzipiert auch Vogler sein Handlungsschema als einen zyklischen
Dreischritt, Akt I-III, und folgt damit dem in der Drehbuchtheorie etablierten Paradigma
des idealen Aufbaus der Filmhandlung. Die Drei-Akt-Struktur der Filmdramaturgie
steht in der Tradition sowohl des aristotelischen Mythos als auch der klassizistischen
Konzeption des geschlossenen Dramas: Die formalen Grundlagen der klassischen Tragödie wurden in der Neuzeit standardisiert und zu einer Norm erhoben. Aus der aristotelischen Poetik, „dem Grundbuch der europäischen Dramentheorie“ (Hofmann 2013:14),
wurde das geschlossene Drama abgeleitet, dessen Bauform mit fünf Akten 34 Gustav
Freytag in dem dramaturgischen Lehrbuch Die Technik des Dramas (1863) festschreibt.
Die Drei-Akt-Struktur des Spielfilms stellt sich als eine komprimierte Form des Fünfakters mit Exposition, Verwicklung (steigende Handlung mit Höhepunkt und Peripetie)
und Katastrophe bzw. Lösung dar (vgl. Ryssel 2012).35
Im Zeitalter der elektronischen Medien manifestiert sich die dramatische Stofforganisation in der Darstellung des Geschehens vor der Kamera. Dabei handelt es sich jedoch
lediglich um eine Ebene, auf der Film und Fernsehen ihre narrativen Inhalte36 innerhalb
des konstitutiven Rahmens Anfang, Mitte und Ende gestalten. Die narrative Vermittlung umfasst darüber hinaus die in die Kamera eingeschriebenen Formen des Erzählens
(Perspektive, Standpunkt) sowie die Montage und den Schnitt des filmischen Materials.
Audiovisuelles Erzählen meint demnach in Analogie zum mündlichen Erzählen die Erfindung und Gestaltung eines Geschehens durch den Erzähler bzw. durch die Zusam34
Die Strukturierung der Handlung in fünf Akte entspricht einem pyramidalen Spannungsaufbau mit Exposition, steigender Handlung mit erregendem Moment, Höhepunkt und Peripetie, fallender Handlung
mit retardierendem Moment und Katastrophe.
35
Die Gründe für die Entwicklung vom Fünf- zum Vier- und schließlich zum Dreiakter in populären
Lustspielen sowie dessen Adaption auf die Filmdramaturgie sind nicht eindeutig benennbar (vgl. Ryssel
2012).
36
Gemeint sind Spielfilme. Letztere sind seit der Erfindung von Fernsehen und Video nicht mehr ausschließlich dem Kino zugeordnet: Zum einen werden Kinofilme auch im Fernsehen ausgestrahlt, zum anderen werden Filme eigens für das Medium Fernsehen produziert. Auch haben Fernsehfilme die Erzählformen der fiktionalen Narrationen des Mainstreamkinos zu ihrem Standard gemacht. Hickethier (2000b:
157) spricht dementsprechend von einer „Filmisierung des Fernsehens“.
21
menarbeit von Drehbuchautor, Regisseur und Produzent. Auch wird die Handlungsstruktur eines Spielfilms nicht nur als Fabel oder Plot, sondern in Anlehnung an die aristotelische Definition auch als Mythos (vgl. Hickethier 32001: 114) bezeichnet. Die bestehende formale Homologie zwischen Rhapsoden sowie Film und Fernsehen operiert
demnach auf zwei Ebenen: auf der Ebene des Mediums selbst und dessen Darstellungsmitteln sowie auf der Ebene der narrativ vermittelten Inhalte, die sich strukturell als ein
geschlossenes Ganzes darstellen, innerhalb dessen die Geschehnisse in einer funktionalen Beziehung zueinander stehen.
Die im Vorherigen vorgenommenen Bestimmungsversuche des vielschichtigen Mythosbegriffs37 lassen sich in der Art zusammenführen, dass die Allgegenwart des Mythos in jeder Kultur und zu jeder Zeit deutlich wird. Die poetologische Bestimmung des
Mythos als nachahmende Handlung geht zwar von der Prämisse der Schrift und der Forderung einer dramatischen Wirkung aus. Gültigkeit besitzt sie jedoch für jede Art von
Geschichte, auch für die im Medium des gesprochenen Wortes konstruierte, insofern alle Narrationen über eine Handlung im Sinne eines bestimmten Arrangements des zugrunde liegenden Stoffes verfügen. Diese Betrachtungsweise macht ersichtlich, weshalb
der Begriff ‚Mythos’ gemeinhin mit den Erzählungen des antiken Griechenlands assoziiert wird: Die frühesten Zusammenstellungen von Geschehnissen sind mündliche, im
Gesang des Aoiden tradierte Mythen38, die mit der Erfindung der griechischen Alphabetschrift erstmals schriftlich fixiert, dauerhaft erhalten und als Stoffvorlage nutzbar gemacht werden. Diese früheste inhaltliche Ausgestaltung einer Handlungsstruktur fungiert demnach als Bezugsgröße sowohl für die formale als auch für die inhaltliche Deutung des Mythos.
Die formale Bestimmung des Mythos als Handlung erweist sich als äußerst fruchtbar,
da sie auf zwei für den Nachweis der Kontinuität zwischen Rhapsoden sowie Film und
Fernsehen wesentliche Aspekte verweist. Zunächst bildet die Handlung in ihrer jeweiligen inhaltlichen Ausgestaltung das strukturelle Gerüst der Geschichte: Mythos als Form
organisiert den narrativen Inhalt zu einem in sich geschlossenen Ganzen, das von Rhapsoden sowie Film und Fernsehen narrativ vermittelt wird. Des Weiteren stellt der Mythos ein universales Grundmuster des Erzählens dar. Das Konzept des Monomythos rekurriert auf eine von Archetypen bevölkerte, biologisch vorprogrammierte Denkweise,
37
Als ein zeitloses, „sich eindeutigen Zuschreibungen immer wieder entziehendes Phänomen“ bezeichnen Krüger/Stillmark (2013: 10) den Mythos. Bestimmungsversuche variieren hinsichtlich wissenschaftlicher Disziplinen und Denkschulen.
38
Eric Havelock (vgl. 1982: 181) und Berry Powell (vgl. 2002: 18ff.) betonen die enge Verbindung zwischen Mythos und Oralität.
22
ohne die kulturelle Geprägtheit konkret ausgestalteter Plots zu negieren. Hinsichtlich
dieses Aspekts stellt sich der Mythos nicht nur als ein narratives Vermittlungssystem,
sondern ebenfalls als ein narratives Erkenntnissystem (vgl. Bleicher 1999) dar, welches
durch die Struktur von Heldenreise und Archetypen organisiert ist und sich in verschiedenen Medien artikuliert.
So unterschiedlich der Mythos definitorisch auch gefasst wird, in Bezug auf seinen
Leistungswert und seine Funktion haben sich einander ähnelnde Konzepte herausgebildet. In ihnen wird der Mythos als ein Modell für das menschliche Verhalten und Denken in Auseinandersetzung mit der Umwelt aufgefasst (vgl. hierzu Bartel 2004: 16,
Görden/Meiser 1994: 48): Indem Menschen ihre Erfahrungen in bestimmte – narrative –
Strukturen, in einen Zusammenhang aus konkreten Objekten und miteinander verbundenen Ereignissen einordnen, werden diese sinnhaft organisiert. Infolgedessen scheint die
Annahme gerechtfertigt, dass sich die Formgleichheit von antiken Mythen und zeitgenössischen Spielfilmen aus einer funktionalen Notwendigkeit ihrer Vermittlung speist.
Die Beantwortung der Frage, worin diese Notwendigkeit besteht, wird im folgenden
Kapitel eingeleitet durch eine Analyse der Effekte, die die Vermittlung von Erzählungen
durch Film und Fernsehen sowie Rhapsoden auf die Rezipienten hat.
23
3.
Lernen durch Geschichten: Mythen und Spielfilme als Enzyklopädien des
sozialen Verhaltens
Die audiovisuellen Medien Film und Fernsehen aktualisieren in der narrativen Ver-
mittlung ihrer Inhalte sowohl die Darstellungsweisen der rhapsodischen Darbietung als
auch die Struktur mythischer Erzählungen. In der formalen Homologie zwischen den erzählenden Medien der Antike und der Gegenwart deutet sich insofern eine ebenfalls
vergleichbare Wirkungsweise an, als die formalen Gestaltungsmittel des Mediums dessen Effekte auf den Rezipienten bedingen. Für die Frage nach den Wirkungen eines bestimmten Mediums sind unter anderem die mediale Darstellung und die Rezeptionssituation (vgl. Lukesch 1996: 24f.) bedeutsame formale Charakteristika. Da bei der Rezeption audiovisuell vermittelter Inhalte die gleichen Wahrnehmungskanäle aktiviert werden
wie während der rhapsodischen Darbietung, können vergleichbare Effekte von Rhapsoden sowie Film und Fernsehen auf den Rezipienten angenommen werden. Einem tiefgreifenden Wandel unterliegt hingegen der situative Kontext der Rezeption: Während in
oralen Gesellschaften die Präsenz des Sängers und die des Publikums einander bedingen,
lösen technische Entwicklungen den Rezeptionsvorgang aus seiner örtlichen und zeitlichen Gebundenheit an den Produktionsvorgang. Mit der Erfindung technischer Apparaturen zur Aufzeichnung von bewegten Bildern und von Tönen wird es nicht nur möglich,
ästhetische Inhalte beliebig oft zu reproduzieren (vgl. Benjamin 1939), sondern auch
Filmaufnahmen aus der ganzen Welt im Kino oder im heimischen Wohnzimmer etliche
Jahre später zu rezipieren. Neben der formalen Umsetzung von Inhalten durch ein bestimmtes Medium sind auch die Inhalte selbst relevant für die Medienwirkung (vgl.
Schenk 2007: 40). Im Rahmen dieser Untersuchung gilt das den Inhalt betreffende Forschungsinteresse in Entsprechung zum vorangegangenen Kapitel jedoch lediglich der
Struktur der vermittelten Inhalte.
Die Frage nach der Medienwirkung gründet sich auf die Annahme, dass die Nutzung
von Medien nachweisbare Effekte auf das Individuum hat. Wirkung in diesem Sinne
meint die ursächliche, eindeutig identifizierbare und nachweisliche Veränderung, die
von einem Objekt oder Subjekt auf ein anderes ausgeht (vgl. Kübler 2010: 18).39 Über
die Qualität der Wirkung sowie ihr Ausmaß herrscht hingegen kein wissenschaftlicher
Konsens (vgl. McQuail 62010: 454). Auch ist der eindeutige Nachweis von Medienef39
Die Abgrenzung von Effekten und Funktionen der Medien ist aufgrund von Überschneidungen häufig
schwierig. In Anlehnung an den Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten (vgl. 1994: 293) wird die
Wirkung eines Mediums als bezogen auf ein Individuum verstanden, während die Funktion eines Mediums die Gesellschaft betrifft.
24
fekten in der Praxis problematisch, da die aussagekräftigsten Resultate gewöhnlich innerhalb spezifischer Versuchsreihen und somit unter höchst künstlichen Bedingungen
erbracht werden (vgl. Perse 2001: 22). Umfassende Erklärungen für die Wirkung von
Medien stehen bislang aus.
In den vergangenen Jahrzehnten verschob sich der Fokus des Untersuchungsinteresses von den Gefahren des Medienkonsums und seinen negativen Folgen hin zu den positiven Effekten des Medieneinflusses: Während in der Frühphase der Medienwirkungsforschung in der ersten Hälft des 20. Jahrhunderts das Medium und die Suche nach
Kausalbeziehungen zwischen den Darstellungen in den Massenmedien und den Einstellungen der Zuschauer im Mittelpunkt stehen40, rückt in den siebziger Jahren der Rezipient als aktiver Konstrukteur von Bedeutung im Prozess der Mediennutzung in den
Vordergrund (vgl. McQuail 62010: 456-459). Der rezipientenorientierte Ansatz in der
Medienwirkungsforschung41 untersucht die kommunikationsrelevanten Motive der Mediennutzung (vgl. Bonfadelli 2004: 33) und ist eng verknüpft mit konstruktivistischen
Überlegungen. Letztere beziehen sich sowohl auf das Medium als ein Wirklichkeit
konstruierendes und vermittelndes als auch auf den Rezipienten, der sich die Medienwirklichkeit vor dem Hintergrund und in Wechselwirkung mit seiner subjektiv konstruierten Realität sinnhaft aneignet (vgl. McQuail 62010: 459). Die sinnliche Erfassung und
kognitive Verarbeitung von Medienbotschaften wird in der vorliegenden Arbeit in diesem Sinne begriffen als ein subjektiver, aktiver und konstruktiver Prozess.
Die in die Medienrezeption involvierte „psychologische Trias“ (Trepte/Reinecke
2013: 16) aus Emotion, Kognition und Verhalten spiegelt sich auch auf der Ebene der
Medieneffekte wider.42 Die Medienwirkungsforschung unterscheidet entsprechend zwischen affektiven und kognitiven Effekten sowie Wirkungen auf der Ebene des Verhaltens (vgl. McQuail 62010: 467; Schenk 2007: 41; Perse 2001: 3). Obgleich sich die psychologischen Aspekte des Erlebens und Verhaltens einzeln benennen und auf jeweils
unterschiedliche Wirkungsdimensionen beziehen lassen, sind sie im Prozess der Mediennutzung doch unmittelbar aneinandergekoppelt.
40
Die Annahme, dass Massenmedien unmittelbar und in gleicher Weise auf Individuen wirken, visualisiert das Stimulus-Response-Modell. Die Theorie einer monokausalen Wirkung von Massenkommunikation entstand mit dem Aufkommen der modernen Massenpresse und beruft sich auf die Macht von Medien, Verhalten zu steuern und Meinungen zu beeinflussen (vgl. Bonfadelli 2004: 29f.).
41
Modelliert wird diese Theorie im Uses-and-Gratifications-Ansatz, als dessen Manifest der 1959
veröffentlichte Aufsatz Mass Communications Research and the Study of Popular Culture von Elihu Katz
gilt (vgl. Mehlig 2007: 11).
42
Die Beschreibung und Erklärung des mit der Medienrezeption und -wirkung verbundenen Erlebens und
Verhaltens ist Gegenstand der medienpsychologischen Forschung (vgl. Trepte/Reinecke 2013: 15f.).
25
Wenn im Folgenden der Versuch unternommen wird, Rhapsoden sowie Film und
Fernsehen im Hinblick auf ihre Effekte auf den Rezipienten zu erforschen, geht es weniger um die Abgrenzung und Darstellung unterschiedlicher Wirkungsebenen, als vielmehr um die Analyse des Zusammenspiels von Fühlen, Denken und Verhalten im Rahmen der Rezeption medialer Narrationen. In der Rezeption von Mythen und Spielfilmen,
so die These, wirken die medialen sowie inhaltlichen Strukturen in der Art auf die Emotionen und die Kognition des Rezipienten, dass dieser neues Wissen erlangt und bereits
vorhandenes Wissen bekräftigt oder modifiziert wird. Die Untersuchung der Gestalt des
mündlich und audiovisuell vermittelten Wissens, dessen Relation zur Wirklichkeit des
Rezipienten sowie der Prozess des Wissenserwerbs durch selbigen sind Gegenstand dieses Kapitels.
3.1
Wissen als soziales Konstrukt
Die Charakterisierung von Film und Fernsehen als Enzyklopädien wirft die Frage auf,
inwiefern sich der traditionell auf Schrifterzeugnisse bezogene Gattungsbegriff auf die
audiovisuellen Medien übertragen lässt. In der Literaturwissenschaft meint Enzyklopädie „die Gattung von Werken der Wissensliteratur […], die die Gesamtheit des theoretischen und praktischen Wissensstoffs und/oder den Zusammenhang und die Anordnung
des Wissens, seine Gliederung und Klassifikation enthält“ (Meier 32007: 192). Die in
dieser Definition enthaltenen Bedeutungskomponenten verweisen auf einen semantischen Wandel in der Begriffsgeschichte. Die definitorische Betonung des Zusammenhangs und der Anordnung von Wissen hat ihren Ursprung in der Etymologie des Wortes:
In der griechischen Antike bedeutet enkýklios paideía ‚Kreis der/kreisförmige Erziehung/Bildung’. Das Bild des Kreises bezieht sich zunächst auf die Einheit der Bestandteile der chorischen Erziehung43 und wird erst im 19. Jahrhundert auf das im Kreisbild
implizite Moment der Gesamtheit und damit auf die umfassende Darstellung des Wissens ausgeweitet (vgl. Dierse 1977: 2-6).
Die gegenwärtige, an ein schriftlich fixiertes und vermitteltes Wissen geknüpfte Bedeutung von ‚Enzyklopädie’ gründet sich auf eine Form der Wissensvermittlung, die ursprünglich oraler Natur ist: Bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ist der Begriff
enkýklios paideía eng mit dem griechischen Mousike, dem Dreiklang aus Rhythmus,
43
Ulrich Dierse (vgl. 1977: 6) widerlegt die Annahme, dass sich das griechische enkýklios paideía von
Beginn an auf die Freien Künste (artes liberales) bezieht. Dies sei erst seit dem 1. Jahrhundert infolge der
Wiederbelebung des Begriffs durch die Neopythagoreer der Fall.
26
Melodie und Sprache (vgl. ebd.: 6; Havelock 1982: 186; Murray/Wilson 2004: 1), verbunden. Mousike ist das Curriculum der griechischen Oberklasse (vgl. Havelock 1990:
80) und beinhaltet die mündliche Unterweisung junger Griechen in instrumenteller Musik, Rezitation und rhythmischer Bewegung. Zum Zwecke der musischen Bildung werden mündliche Dichtungen älterer Sänger memoriert und wiedergegeben (vgl. Havelock
1982: 14), währenddessen die rhythmischen Memorialtechniken eingeübt und angewandt. Diese Unterrichtskomponenten verlieren erst mit der Durchsetzung der Schrift
und der institutionellen Vermittlung der Lese- und Schreibfähigkeit an Bedeutung.
Die durch das gesprochene Wort wirkenden Kräfte Rhythmus und Harmonie sind
nach griechischem Verständnis die seelenformenden Kräfte schlechthin (vgl. Jaeger
2
1936: 18), insofern die geistige Tätigkeit von zentraler Bedeutung für die Wirkung der
Paideia ist (siehe Kapitel 2.2). Rhythmus und Melodie des gesprochenen Wortes sind
nicht Inhalt und Ziel der griechischen Erziehung, sondern vielmehr deren Vehikel. Im
Medium der mündlichen Dichtung manifestiert sich der eigentliche Gegenstand der Paideia: der griechische Mythos. Mythen exemplifizieren das Ideal griechischer Erziehung
in Form von Geschichten und sind deshalb für die Ausbildung der Arete von vitaler
Notwendigkeit. Der Begriff ‚Arete’, die Vortrefflichkeit einer Person bezeichnend, ist
seit Sokrates eng mit der Paideia verknüpft, die somit zum Inbegriff des idealen körperlichen und seelischen Geformtseins wird (vgl. ebd.: 362). In seinem Denken um die
richtige Lebensführung 44 bezeichnet Sokrates mit Arete das sittlich Gute, für dessen
Hervorbringung allein die richtige Vorstellung genügt (vgl. Plat. Men.: 97a-98c).
Verkörpert in den homerischen Epen, manifestiert sich die Arete des Helden in dessen Tapferkeit und Klugheit sowie seiner körperlichen Stärke und Anmut (vgl. Jaeger
2
1936: 27). Diese Eigenschaften befähigen etwa Achill zu überragenden und ruhmrei-
chen Taten im Trojanischen Krieg. Indem der epische Held verschiedenste Herausforderungen besteht und an diesen kontinuierlich wächst, erweist er sich letztendlich als ideale Verkörperung eines tugendhaften Lebens, wodurch ihm die Rolle des heroischen
Vorbildes zuteil wird. „So fällt die Geschichte der griechischen Bildung im Wesentlichen zusammen mit der sogenannten Literatur. Sie ist im ursprünglichen Sinne ihrer
Schöpfer der Ausdruck der Selbstformung des griechischen Menschen“, schreibt Wer44
Ausgangspunkt für Sokrates’ Betrachtungen im Dialog mit Menon von Pharsalos, Gegenstand des von
Platon verfassten Werkes Menon, bildet Menons Frage, ob Tugend erlernt oder eingeübt werden könne
oder angeboren sei (vgl. Plat. Men.: 70a). Sowohl der sokratische Tugendbegriff als auch die Frage nach
der Lehrbarkeit der Arete sind von zentraler Bedeutung für die Forschung, die sich darüber hinaus mit
dem Problem der Unterscheidung zwischen der Philosophie des historischen und des platonischen Sokrates konfrontiert sieht. Auf vertiefende und hinsichtlich des Wissensbegriffs sicherlich aufschlussreiche
Ausführungen wird an dieser Stelle zugunsten der weiteren Untersuchung verzichtet.
27
ner Jaeger (ebd.: 18; vgl. hierzu auch Havelock 1963: 47) in seinem Standardwerk Paideia. Die Formung des griechischen Menschen (1934-1947). Im griechischen Denken
der Antike geht das Ästhetische der Dichtung mit dem Ethischen der Erziehung einher.
Die homerischen Epen erklärt Jaeger (vgl. ebd.: 73) aufgrund ihrer idealbildenden Qualität zur Wurzel der griechischen Bildung schlechthin.
Diese These vertritt auch Eric Havelock (vgl. 1963: 87). Platons Kritik an den poetischen Qualitäten der Erziehung in der Politeia als Ausgangspunkt seiner Betrachtung
nehmend, untersucht der Philologe unter anderem die Form und den Inhalt des in den
homerischen Epen bewahrten Wissens. Letzteres ist derart umfassend, dass Havelock
(1963: 27) die Ilias und die Odyssee als Enzyklopädien der griechischen Paideia bezeichnet: „a sort of encyclopedia of ethics, politics, history and technology which the
effective citizen was required to learn as the core of his educational equipment”. In oralen Kulturen, die weder über in Gesetzen schriftlich fixierte Normen noch über Handbücher verfügen, sind sowohl das Wissen um moralische45 Gebote und Regeln des Zusammenlebens als auch Kenntnisse und Fertigkeiten der praktischen Lebensführung relevant. Wenn Homer beispielsweise im ersten Buch der Ilias (vgl. Havelock 1963: 81)
ausführlich das Beladen, Ab- und Anlegen sowie Entladen eines Schiffes beschreibt,
dient dieser Bericht nicht nur der narrativen Ausgestaltung zur Steigerung der Anschaulichkeit, sondern auch, und entscheidender, der Vermittlung praktischer Kenntnisse der
Seemannskunst.
Die richtige Vorstellung von einem Leben im Sinne der Arete wird in mündlichen
Erzählungen nicht im Hinblick auf grundlegende Prinzipien oder dahinter stehende
Ideen beschrieben. Narrationen als Enzyklopädien des sozialen Wissens zu begreifen,
bedeutet nicht, dass Geschichten eine präzise Definition eines Wissensbereiches geben
oder Verhaltensregeln formulieren. Wissen offenbart sich in ihnen vielmehr in der
Schilderung bestimmter Situationen und der Interaktion von Figuren: Geschichten illustrieren sittliche Verhaltensweisen durch die Handlungen von Figuren (vgl. Havelock
1986: 77; Robinson/Hawpe 1986: 124) und lediglich im Hinblick auf ihre Effekte im
Kontext bestimmter Figurenkonstellationen. Havelock (1963: 223) exemplifiziert dies
am Beispiel der Ilias: „We learn the importance of piety, or its reverse sacrilege, from
what happens to Agamemnon and to the army in the opening of the Iliad. We are not
treated to the notion, still less to the definition, of ‚piety per se’.”
45
Moral bezeichnet in der Soziologie die Gesamtheit der Anschauungen und Normen, von denen der
Mensch in seinem praktisch-sittlichen Verhalten gesteuert wird (vgl. Rammstedt 42007: 443f.).
28
Mythen organisieren die tradierten Verhaltensmuster der Mitglieder einer Gemeinschaft narrativ, sodass sich im Handeln und in der Rede von Figuren die Normen und
Werte der Gemeinschaft manifestieren (vgl. ebd.: 77). Demnach fungiert die narrative
Darstellung des Handelns, der Haltung sowie der Rede von Figuren als situativ angemessenes im Kontrast zu einem unangemessenen Verhalten als Modell. An diesem
orientieren sich junge Griechen, um eine Vorstellung darüber zu erlangen, welches Verhalten in der Gemeinschaft akzeptiert ist und welches nicht. Als Beispiel kann auch hier
Achill herangezogen werden: Dessen Erziehung befähigt ihn, sich sowohl in einer
Gruppe, gegenüber Agamemnon, einem gleichrangigen Gefährten oder einem Sklaven
angemessen zu verhalten (vgl Robb 1994: 165). Durch die Aneinanderreihung zahlreicher Episoden liefert das Epos vielfältige Beispiele für sittliche Verhaltensweisen in den
unterschiedlichsten sozialen Situationen (vgl. Havlock 1963: 186).
Das innerhalb des erzählerischen Rahmens vermittelte Wissen umfasst demzufolge
die Gesamtheit der Kenntnisse, über die ein Grieche verfügen muss, um erfolgreich mit
der Gemeinschaft zu interagieren und sich hierdurch als ihr Mitglied zu erweisen. Dieses Wissen beinhaltet im Sinne der Arete die Kenntnis der in der Gruppe herrschenden
Werte und Normen. Nach soziologischem Verständnis bezeichnen Werte bewusste oder
unbewusste Vorstellungen des Gewünschten und Guten, die sich bei der Wahl zwischen
Handlungsalternativen als Präferenz niederschlagen (vgl. Friedrichs 42007: 725). Aus
ihnen lassen sich Normen ableiten, die die Einhaltung des jeweiligen Wertes als das
Richtige vorschreiben (Kettner 2004: 222) und die somit als Verhaltensregeln fungieren.
Durch die narrative Darstellung handelnder Figuren definieren und veranschaulichen
Mythen situationsbezogene Verhaltensregeln, die das Leben in der Gemeinschaft orientieren. Für das gemeinschaftliche Miteinander sind Mythen deshalb unabdinglich.
Obwohl der Rhapsode als Träger und Übermittler der Paideia eine Sonderstellung innehat, ist Erziehung in der griechischen Antike ein gemeinschaftlicher Prozess (vgl. Jaeger 21936: 2): Die Wertvorstellungen, nach denen Heranwachsende über den Umweg
der epischen Dichtung geformt werden, wurden in der Gemeinschaft durch das gemeinschaftliche Zusammenleben entwickelt und sind daher für die Gemeinschaft konstitutiv.
Die narrativ geformte Sprache repräsentiert dieses gemeinschaftliche Wissen, welches
die kollektiven Erfahrungen und die aus ihnen abgeleiteten kollektiven Erwartungen,
wie in der Gemeinschaft gehandelt werden soll, umfasst.
Das im Vorhergehenden in Bezug auf die dichterische Sprache Dargelegte, formuliert der Sozialpsychologe George Herbert Mead (vgl. 1973: 187ff.) im Hinblick auf die
29
Sprache als solche. Sprache begreift Mead als Symbol, welches innerhalb einer Gemeinschaft auf einen generellen Sinnzusammenhang verweist. Die sich im Symbol der
Sprache manifestierenden Bedeutungen leiten ihm zufolge nicht nur das menschliche
Handeln, sie konstituieren sich überhaupt erst durch die Interaktion von Menschen. Im
Bemühen um eine Synthese zwischen Behavorismus, der den Menschen als auf seine
Umwelt reagierendes soziales Wesen betrachtet, und Pragmatismus, eine Sozialphilosophie, die das Wesen des Menschen in seinem Handeln erkennt, begreift Mead Menschen
als Wesen, die auf Reize in Form von Verhalten reagieren und somit wechselseitig aufeinander einwirken (vgl. Abels 2010: 73f.).
Auf äußere Reize, körperliche oder lautliche Gebärden, reagiert der Mensch in der
Art, dass er, die Haltung des Anderen einnehmend, in Gedanken dessen Handlung als
Reaktion auf die eigene Aktion antizipiert (vgl. Mead 1973: 300). Diesen interaktiven
Prozess wechselseitiger Verschränkung der eigenen mit der Perspektive anderer, bei
dem die individuelle stets die soziale Perspektive involviert, nennt Mead (ebd.) die Fähigkeit zur „Übernahme der Rolle anderer“. Sie lässt Reize zu Symbolen werden, zu
Zeichen also, die auf den auf Erfahrungen basierenden Sinn von Dingen verweisen und
auf die Menschen reagieren. Dass sie letzteres im Wissen um den Unterschied zwischen
dem Ding und seiner Bedeutung tun, zeichnet die Menschen als denkende Wesen aus
(vgl. ebd.: 161ff.). Üben Gebärden auf das ausführende Individuum die gleichen Effekte
aus wie auf dasjenige, an das sie sich richten, handelt es sich um signifikante Symbole
(vgl. ebd.: 85). In diesem Sinne stellt Sprache für Mead ein komplexes Symbolsystem
dar, dem die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft die gleiche Bedeutung beimessen,
das bei ihnen die gleichen Reaktionen auslöst und das somit ihr Verhalten leitet.
Die Bedeutung der durch den Menschen wahrnehmbaren Dinge, die als Symbole
fungieren, ist jedoch keineswegs starr und auf Dauer festgelegt. Vielmehr unterliegen
die in der sozialen Interaktion entstehenden oder aus ihr abgeleiteten Bedeutungen einem interpretativen Prozess, der sie modifiziert. Unter dieser Prämisse systematisiert
Herbert Blumer, ein Schüler Meads, dessen Ansatz und gibt ihm den Titel Symbolischer
Interaktionismus. Indem Individuen Dingen und Handlungen bestimmte Bedeutungen
beimessen, so die theoretische Überlegung, definieren sie den Sinn der Situation. Da sie
dies fortlaufend und in Reaktion auf die Interpretation der anderen tun, legen sie den
Rahmen der gemeinsamen Situation kontinuierlich neu fest (vgl. Abels 2010: 94ff.).
Verdeutlichen lässt sich diese Überlegung im Hinblick auf die soziologische Diskussion
des Normbegriffs (vgl. Peters 2008: 207): Soziale Normen lassen sich zwar sprachlich
30
formulieren, aber sie liegen nicht als objektive Regeln vor. Vielmehr sind sie Vorstellungen Handelnder, die die wechselseitige Interpretation von Handlungen leiten, die dabei aber ebenso je nach Kontext in ihrer Bedeutung aktualisiert werden. Die aufgezeigte
narrative Darstellung lediglich der Effekte sittlich guten Handelns in den homerischen
Epen illustriert diesen Umstand.
Meads theoretische Verknüpfung von sozialem Handeln mit der Entstehung von
geistiger Bedeutung eröffnet einen neuen Zugang zum komplexen Begriff des Wissens.
Wissen erscheint nun nicht mehr als etwas außerhalb des Menschen Liegendes, das diesem lediglich vermittelt wird oder der Erkenntnis durch individuelle Wahrnehmungsund Denkprozesse bedarf. Von der erkenntnistheoretischen Betrachtungsweise unterscheidet sich Meads Zugang insofern, als er den Menschen als Teil eines sozialen Zusammenhangs betrachtet. Erkenntnis und soziales Handeln sind für ihn eng miteinander
verknüpft. Mead und der Symbolische Interaktionismus gelten damit innerhalb der Wissenssoziologie, deren zentrale These eben die Sozialität von Wissen und Erkennen ist
(vgl. Knoblauch 2005: 14), als Vorläufer des von Peter Berger und Thomas Luckmann
begründeten Sozialkonstruktivismus.
In The Social Construction of Reality (1966; dt. Die gesellschaftliche Konstruktion
der Wirklichkeit, 1969) entwerfen Berger/Luckmann im Anschluss an Alfred Schütz,
der seinerseits den Ansatz des Symbolischen Interaktionismus aufgreift (vgl. Knoblauch
2005: 138), und unter von Mead beeinflussten sozialpsychologischen Voraussetzungen
(vgl. Berger/Luckmann 1969: 18) eine Theorie, nach der Wirklichkeit nur in und durch
gesellschaftliches Handeln besteht. In dieser Wirklichkeit kommt dem Wissen eine zentrale Rolle zu, denn es „bildet die Bedeutungs- und Sinnstruktur, ohne die es keine
menschliche Gesellschaft gäbe“ (ebd.: 16). Berger/Luckmann beziehen sich damit auf
jenes „Allerweltswissen“ (ebd.), welches das menschliche Verhalten in der Alltagswelt
reguliert (vgl. ebd.: 21).46 Wie Schütz vertreten Berger/Luckmann die Ansicht, dass der
überwiegende Teil des Wissens im menschlichen Bewusstsein nicht durch eigene Erfahrungen begründet und demnach kein Erfahrungswissen ist, sondern von anderen Menschen vermittelt wird und deshalb sozial abgeleitet ist (Knoblauch 2005: 148).
Das gesellschaftlich entwickelte, vermittelte und bewahrte Wissen gerinnt für die Individuen einer Gemeinschaft zu der Wirklichkeit (vgl. Berger/Luckmann 1969: 3), die
als eine objektivierte, d.h. als eine durch die Anordnung der Objekte konstituierte, erscheint. Durch Objektivation, die Typisierung von Erfahrungen und Erwartungen in der
46
‚Wissen’ definieren Berger/Luckmann (1969: 1) allgemein als „die Gewissheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben“.
31
menschlichen Interaktion, entsteht aus subjektiv sinnvollen Vorgängen eine intersubjektive Welt (vgl. ebd.: 22) und mit ihr ein kollektiver Wissenshorizont. Das wichtigste
Medium solcher Objektivationen ist auch für Berger/Luckmann (vgl. ebd.: 41) die Sprache. Sprache vergegenständlicht – typisiert – Erfahrung, indem sie ihr Kategorien zuteilt,
mittels derer sie nicht nur für das Individuum, sondern auch für seine Mitmenschen
sinnhaft erscheint: „Sie [die Sprache] wird so zugleich Fundament und Instrument eines
kollektiven Wissensbestandes“ (ebd.: 72f.). Sprache hat dadurch institutionalen Charakter. „Durch die bloße Tatsache ihres Vorhandenseins halten Institutionen menschliches
Verhalten unter Kontrolle. Sie stellen Verhaltensmuster auf, welche es in eine Richtung
lenken“, schreiben Berger und Luckmann (ebd.: 58). Indem dieses Verhalten von den
Individuen einer Gemeinschaft akzeptiert und fortlaufend in den Interaktionen des Alltags, die auf eben diesen von der Gesellschaft bereitgestellten Institutionen beruhen, bestätigt wird, verfestigt es sich zu sozialem Wissen, das permanent soziale Ordnung
schafft. Die Gesellschaft stellt nun die objektive, geordnete Wirklichkeit dar, die im
Denken und Handeln ihrer Mitglieder fortlaufend produziert wird.
Als ‚Wissen’ bezeichnen Berger/Luckmann (ebd.: 75) also „die objektivierte Sinnhaftigkeit institutionalen Handelns“. Das wichtigste Medium zur Weitergabe des Wissens einer Gemeinschaft ist die Sprache (vgl. ebd.: 73). Jedoch erfolgt die Weitergabe
nicht voraussetzungslos: Sie erfordert einen gesellschaftlichen Apparat, in dem einige
Menschen zu Vermittlern, andere zu Empfängern des Wissens bestimmt sind (vgl. ebd.:
75). Der Charakter dieses Apparates und mit ihm die Prozeduren der Wissensvermittlung variieren je nach Gesellschaftsform. So liegt es nahe, in oralen Kulturen, die in
räumlich voneinander getrennte und dadurch mehr oder weniger geschlossene Gemeinschaften zerfallen, fahrende Sänger mit der Weitergabe des Wissens zu betrauen. Während in den zwar vernetzten, aber in Bezug auf den zahlenmäßigen Umfang und die
räumliche Ausdehnung viel weiter gefassten Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts ein Medium benötigt wird, welches die Reichweite von Film und Fernsehen hat.
Insofern Wissen symbolisch vermittelt ist, stellt sich im Folgenden die Frage, in welche Beziehung das in den Kontext mündlich und audiovisuell vermittelter Geschichten
eingebundene Wissen zur unmittelbaren Erfahrungswelt des Zuschauers und Hörers tritt.
32
3.2
Mediale Wirklichkeit und Beobachtung von Verhalten
Wie die antiken Sänger vor mehr als 2500 Jahren haben die audiovisuellen Medien
Film und Fernsehen in der Gegenwart die Aufgabe, Kenntnisse über alle Lebensbereiche (vgl. Hickethier 1999: 349) zu vermitteln. Dass Film und Fernsehen bilden, darüber
herrscht in der Forschung weitestgehend Konsens (vgl. Ball/Palmer/Millward 1986: 130;
Hartley 1999: 7; Hoggart 1960: 41; Hickethier 1992: 84). Auch im Programmauftrag
der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ist dieses Ziel festgeschrieben. In seinen
Richtlinien für die Sendungen und Telemedienangebote vom 11. Juli 1963 in der Fassung aus dem Jahr 2009 formuliert das ZDF wie folgt: „Die Angebote [Programme und
Telemedien] sollen umfassend informieren, anregend unterhalten und zur Bildung beitragen.“ Insbesondere in ausgewiesenen Wissenssendungen für Erwachsene wie TERRA
X (ZDF) oder W WIE WISSEN (ARD) und WISSEN MACHT AH! (WDR) für Kinder manifestiert sich der Bildungsauftrag öffentlich-rechtlicher Programme. Darüber hinaus verfolgt eine Vielzahl von Kindersendungen das Ziel der Wissensvermittlung sehr viel subtiler, etwa mittels spielerischer Elemente. Diese als Edutainment (vgl. Hochschule der
Medien o. J.) bezeichnete Strategie des unterhaltsamen Lernens verwirklicht beispielsweise die SESAMSTRAßE, der das ZDF in seiner Sendungsinformation den Titel „Lernen
mit Spaß für Kinder“ (ZDF 2014) verleiht.
An den Edutainmentprogrammen wird eine Entwicklung deutlich, die sich pessimistisch als Abnahme des audiovisuellen Bildungsangebots öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten beschreiben lässt, der die kontinuierliche Zunahme des Unterhaltungsangebots komplementär gegenübersteht (vgl. Hickethier 1988: 5). Allerdings bedeutet dies
nicht zwangsläufig, dass das Fernsehen seinen Bildungsauftrag vernachlässigt. Bildung,
sofern man darunter nicht nur den Erwerb des akademischen Wissenskanons, sondern
die Ausbildung der für das Leben in einer Gemeinschaft notwendigen Kompetenzen
versteht, findet zu einem Großteil gerade nicht in den ausgewiesenen Sendeformaten
statt. Wissen über gesellschaftlich relevante Verhaltensmuster vermitteln gerade Filme
mit fiktionalen Handlungen, die „anregend unterhalten“ (ZDF 2009). Mit ihren Unterhaltungsangeboten verfolgen Film und Fernsehen einen „heimlichen Lehrplan“47, der in
Analogie zur rhapsodischen Darbietung auf die Erziehung des Individuums zu einem
Mitglied der Gesellschaft zielt.
47
Der von Philip Jackson geprägte Begriff „hidden curriculum“ (Life in Classrooms, 1968) meint die als
Beiprodukt der offiziellen Schulbildung verstandene Vermittlung sozialer Regeln. Hinsichtlich der Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit dem Unterhaltungsangebot des Fernsehens vgl. auch Lukesch 1996: 29; Hickethier 1999: 350.
33
Die Vermittlung von Individuum und Gesellschaft ist Gegenstand und Ziel des lebenslangen Prozesses der Sozialisation (vgl. Abels 2010: 9). Im Mittelpunkt des Interesses der Sozialisationsforschung stehen der soziale Lernprozess und die Frage, wie sich
Individuen die Werte und Normen der Gemeinschaft aneignen, um als deren Mitglieder
am sozialen Leben teilzuhaben. Bei George Herbert Mead verbinden sich das Individuelle und das Soziale im Begriff der Kommunikation – für Mead (1973: 299) „das
Grundprinzip der gesellschaftlichen Organisation des Menschen“. Diese zentrale Rolle
fällt der Kommunikation zu, da die Erzeugung von Bedeutung und damit von Wissen
aus der menschlichen Interaktion resultiert.
Obwohl Mead diese Verbindung nicht explizit macht, erweist sich sein theoretischer
Ansatz auch für das sozialwissenschaftliche Grundthema der Sozialisation als fruchtbar.
Kommunikation bedingt die Entwicklung des Menschen als soziales Wesen insofern,
als die in der Sprache zum Ausdruck kommenden kollektiven Vorstellungen die gegenseitige Anpassung der Individuen innerhalb einer gesellschaftlichen Handlung garantieren (vgl. ebd.: 86): Individuen lernen, wie sie sich in einer Gemeinschaft richtig verhalten, indem sie ihr Verhalten wechselseitig beobachten, die gesellschaftlichen Symbole,
die hinter diesem Verhalten stehen, in gleicher Weise interpretieren und sich damit auf
das für eine soziale Gruppe typische Verhalten beziehen. Indem in der Interaktion durch
die Übernahme der Rolle des anderen dessen mögliche Reaktionen wechselseitig mitgedacht werden, unterliegt das situative Verhalten der sozialen Kontrolle:
Diese Kontrolle der Reaktion des Einzelnen durch die Übernahme der
Rolle des anderen ist es, was, vom Standpunkt der Organisation des
Gruppenverhaltens aus gesehen, den Wert dieser Art der Kommunikation ausmacht. […]Und so kommt es, daß diese gesellschaftliche Kontrolle, die mittels der Selbstkritik wirkt, das Verhalten des Einzelnen
so eindringlich und umfassend beeinflußt und dazu dient, den Einzelnen und seine Handlungen im Hinblick auf den organisierten gesellschaftlichen Erfahrungs- und Verhaltensprozeß zu integrieren (ebd.:
301).
Sozialisation als Integration des Individuums in einen derart organisierten Verhaltensprozess stellt jedoch keinen unterdrückenden Zwang dar. Vielmehr funktioniert der
Mechanismus der gesellschaftlichen Kontrolle gerade aufgrund der Beteiligung des Individuums als reflektierender Akteur (vgl. ebd.: 301f.): Während der Einzelne sein eigenes Verhalten sowie das des anderen in der Interaktion beobachtet, unterzieht er es
sogleich einer an den „verallgemeinerten gesellschaftlichen Haltungen“ (ebd.: 307)
orientierten Kritik. Unter „verallgemeinerten gesellschaftlichen Haltungen“ versteht
Mead Handlungsweisen, die allen Mitgliedern einer Gesellschaft gemeinsam sind, inso34
fern diese auf bestimmte Situationen identisch reagieren. Solche überindividuellen Haltungen erlauben es dem Einzelnen, aus den beobachteten Reaktionen Schlüsse über ein
in der Gesellschaft angemessenes Verhalten zu ziehen, das eigene Verhalten daran zu
orientieren und die Reaktionen anderer entsprechend zu bewerten.
Die generalisierten Haltungen der Gemeinschaft sowie die Fähigkeit zur Rollenübernahme48 erwirbt das Individuum im Prozess der Sozialisation durch die Orientierung am
„verallgemeinerten Anderen“ (ebd.: 302). Dieses Konstrukt beinhaltet die Summe aller
Perspektiven in einem bestimmten Handlungszusammenhang. Im generalisierten Anderen kondensieren sich die kollektiven Vorstellungen, Haltungen, Erwartungen (vgl. ebd.:
196) und somit auch die Normen und Werte einer Gesellschaft:
In der Form des verallgemeinerten Anderen beeinflußt der gesellschaftliche Prozeß das Verhalten der ihn abwickelnden Individuen, das
heißt, die Gemeinschaft übt Kontrolle über das Verhalten ihrer einzelnen Mitglieder aus, denn in dieser Form tritt […] die Gemeinschaft als
bestimmender Faktor in das Denken des Einzelnen ein (ebd.: 198).
Sozialisation vollzieht sich nach der Theorie Meads allgemein als Kommunikation zwischen dem Individuum und dem generalisierten Anderen und konkret als fortlaufende
Interaktion zwischen Individuen mit bestimmten Erwartungen. Durch die Verwendung
der sozialen Symbole, etwa der Sprache, integriert sich der Einzelne in die geregelte
Gesellschaft (vgl. Abels 2010: 84).
Die theoretischen Überlegungen Meads finden Eingang in die Konzeption eines zwei
Phasen umfassenden Sozialisationsprozesses durch Berger/Luckmann (vgl. 1969: 141).
Die Ausbildung der Fähigkeit zur Rollenübernahme bezeichnen sie als Primärsozialisation49: die Einführung eines Individuums in die objektive Welt einer Gesellschaft (vgl.
ebd.: 140f.). Ziel der Sozialisation ist die Aneignung der objektiven Wirklichkeit durch
das Individuum oder, wie Berger/Luckmann (ebd.: 139) es nennen, deren Internalisierung: „das unmittelbare Erfassen und Auslegen eines objektiven Vorgangs oder Ereignisses, das Sinn zum Ausdruck bringt, eine Offenbarung subjektiver Vorgänge bei einem Anderen also, welche auf diese Weise für mich subjektiv sinnhaft werden“. Internalisierung bildet die Grundlage sowohl für das Verstehen anderer Menschen als auch
für das Erfassen der Welt als eine sinnhafte Wirklichkeit (vgl. ebd.: 140).
48
Mead (vgl. 1973: 192-206) beschreibt zwei Phasen, in denen das Kind die Fähigkeit zur Übernahme
der Perspektive anderer als Voraussetzung für die Entwicklung eines Bewusstseins der eigenen Identität
entwickelt: im freien Rollenspiel und im organisierten Spiel.
49
Sekundäre Sozialisation meint entsprechend jeden späteren Prozess, durch den eine bereits sozialisierte
Person in neue Ausschnitte der objektiven Welt ihrer Gesellschaft eingeführt wird (vgl. Berger/Luckmann
1969: 141).
35
Die Anpassung des Individuums an seine soziale Umgebung stellt sich in den skizzierten Theorien als ein natürlicher Prozess dar, den jedes Mitglied der Gesellschaft in
der Kommunikation mit anderen Individuen durchläuft. Angesichts der den Medien zugeschriebenen Rolle, Wissen mitzuteilen (vgl. Knoblauch 2005: 325), stellt sich die Frage, auf welche Weise die vermittelten Inhalte in den Sozialisationsprozess hineinwirken.
In Bezug auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand – fiktionale rhapsodische sowie audiovisuelle Narrationen – betrifft diese Frage insbesondere auch die Interaktion
des medialen Realitätsentwurfes mit der sozialen Wirklichkeit. Denn neben die objektiv
geordnete Wirklichkeit der Alltagswelt tritt die mediale, narrative Wirklichkeit als eine
weitere symbolische Ordnung. In ihr ist Wissen im Sinne Meads in Form von lautlichen
und körperlichen Gebärden, dem menschlichen Verhalten, objektiviert. Das mediale
Wissen ist für die Aneignung durch den Rezipienten in besonderem Maße zugänglich,
da sich in den fiktionalen Darstellungen häufig die handlungsleitenden Themen der gesellschaftlichen Wirklichkeit widerspiegeln.
Schon Aristoteles thematisiert das Verhältnis von künstlerischer und außerkünstlerischer Wirklichkeit mit dem Begriff der Mimesis: Dichtung definiert er (vgl. Poet. [Kap.
2]) als Nachahmung menschlicher Handlungen. Im Kontext der sozialkonstruktivistischen Theorie Berger/Luckmanns, nach der Wirklichkeit nur in und durch menschliches
Handeln existiert, müsste es entsprechend heißen, dass die narrativ erschaffene Welt einen weiteren Wirklichkeitsentwurf hervorbringt. Dichtung beschränkt sich für Aristoteles allerdings nicht auf das genaue Abbild dessen, was wirklich geschehen ist, dies entspräche vielmehr der Geschichtsschreibung. Der Dichter solle stattdessen darstellen,
„was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche“ (ebd. [Kap. 9]). Die Freude an der dichterischen Nachahmung
der Wirklichkeit erscheint für Aristoteles eng verknüpft mit der menschlichen Lust am
Lernen: Die narrative Darstellung von Dingen, die in der Realität unerträglich sind, wie
etwa unansehnliche Tiere oder Leichen, bereitet deshalb Freude, weil die Menschen
durch sie „etwas lernen und zu erschließen suchen, was ein jedes sei“ (ebd. [Kap. 4]).
Dinge, zu denen Menschen in der Wirklichkeit keinen Zugang haben, sei es aufgrund
von mangelnden Möglichkeiten oder Unlust, werden in der Narration erfahrbar. Dichtung fungiert in aristotelischer Sicht somit als ein Mittel der Erkenntnis.
Die Betrachtung von Medien als Instrumenten der Wirklichkeitskonstruktion tritt mit
der zunehmenden Dominanz massenmedialer Inhalte im Alltag des 20. Jahrhunderts einerseits und der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft andererseits in den Mittel36
punkt kommunikations- und sozialwissenschaftlicher Forschungen. So befasst sich die
Wissenssoziologie der siebziger Jahre zunehmend mit den kommunikativen Prozessen
der Wissensvermittlung. Im Anschluss an die soziale Konstruktion der Wirklichkeit
wendet sich etwa Luckmann der kommunikativen Konstruktion derselbigen zu. Unter
Kommunikation versteht er zunächst jede Form der Informationsvermittlung. Erst wenn
dieser auf Zeichen, beispielsweise der Sprache, basierende Prozess Teil von sozialen
Handlungen ist, handelt es sich entsprechend um kommunikative Handlungen. 50 In
kommunikativem Handeln konstruiert sich nach Auffassung Luckmanns (vgl. 2006: 2225) gesellschaftliche Wirklichkeit.
Auch der Umgang mit Medien, die Rezeption von Medieninhalten, lässt sich als
kommunikatives Handeln begreifen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie dieses sich konkret gestaltet, da zwar der Rezipient auf das Medium reagiert, etwa emotional, das Medium sich umgekehrt aber nicht auf das Verhalten des Rezipienten beziehen kann, da es
über keinen Rückkanal verfügt. Im Rahmen der Rezeption mündlich oder audiovisuell
vermittelter Geschichten meint kommunikatives Handeln daher nicht die wechselseitige
Beobachtung und Reaktion von Medium und Rezipient mittels Zeichen, sondern die Beobachtung medialer menschlicher Interaktion durch den Rezipienten. Wie mit Aristoteles gezeigt wurde, erzählen Geschichten von miteinander interagierenden Menschen.
Menschliche Handlungen werden entweder in der Vorstellung, wie im Falle mündlich
vermittelter Geschichten, oder als audiovisuelle Darstellung durch den Zuschauer und
Hörer beobachtbar. Da sich der Einzelne nicht selbst in der Interaktion beobachtet, sondern beobachtet, wie sich miteinander interagierende Individuen selbst beobachten, handelt es sich bei der Rezeption fiktionaler Geschichten gewissermaßen um eine Beobachtung zweiter Ordnung. Erst durch die Beobachtung, wie andere Menschen beobachten,
handeln und kommunizieren, wird dem Individuum die Konstruiertheit seiner Wirklichkeit bewusst: Wirklichkeitsentwürfe variieren, da sie sich gemäß den biologischen, kognitiven und soziokulturellen Bedingungen der individuellen Lebensumwelt herausbilden
(vgl. Schmidt 1994: 5). Dementsprechend versteht sich der Konstruktivismus auch als
eine Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung (vgl. ebd.).
Für Niklas Luhmann, Vertreter des operativen Konstruktivismus, bedeutet Erkennen
Beobachten und somit Unterscheiden 51. In Die Realität der Massenmedien bestimmt
50
Soziales Handeln muss keineswegs kommunikativ sein. Knoblauch (vgl. 2005: 173) führt ein entsprechendes Beispiel an: Einem anderen Menschen Essen zu geben ist eine soziale Handlung, in der nicht
kommuniziert wird, insofern das Essen nicht als Zeichen gedeutet wird.
51
Beobachten heißt, etwas durch Unterscheidung zu bezeichnen. Luhmann bezieht sich in seiner Systemtheorie auf die Arbeit des Neurobiologen Humberto Maturana. Dessen systematischer Ansatz definiert
37
Luhmann (vgl. 42009: 104) die Gewöhnung des Menschen an den Modus der Beobachtung zweiter Ordnung als eine wesentliche Aufgabe der Massenmedien und speziell des
Programmbereiches Unterhaltung. Fiktionale Geschichten, die sämtliche Aspekte des
menschlichen Lebens darzustellen vermögen, verleihen dem Rezipienten den Standpunkt eines uneingeschränkten Beobachters und gewähren ihm einen umfassenden Einblick in eine Variante einer narrativen Wirklichkeitskonstruktion.
Dieser Einblick wiederum lässt deswegen individuelle Rückschlüsse auf die soziale
Wirklichkeit zu, weil letztere durch die narrative Realität repräsentiert wird. Die fiktionalen Narrationen der Massenmedien bilden für Niklas Luhmann einen Realitätsausschnitt, in dem mit optischen und akustischen Mitteln eine zweite Welt konstituiert wird.
In dieser Welt gilt eine eigene fiktionale Realität, die Luhmann mit der Welt des
Spiels52 gleichsetzt. Gerade die Differenz von realer und fiktionaler Realität produziert
den Unterhaltungswert von Unterhaltungskommunikation (vgl. ebd.: 78f.). Gleichzeitig
muss die dargebotene zweite Realität auf bereits vorhandenes Wissen des Rezipienten
Bezug nehmen: Um aus den Narrationen Rückschlüsse auf die individuelle Wirklichkeit
ziehen zu können, muss die fiktionale an die reale Realität anknüpfen. „Unterhaltung
hat insofern einen Verstärkungseffekt auf schon vorhandenes Wissen. Aber sie ist nicht,
wie im Nachrichten- und Berichtsbereich, auf Belehrung ausgerichtet“, schreibt Luhmann (ebd.: 75).
Ihren „heimlichen Lehrplan“ tarnen orale und audiovisuelle Erzählungen, indem sie
dem Rezipienten in vergleichbarer Weise Vergnügen bereiten wie die Situation des
Spiels53. Unbewusst werden Zuschauer und Hörer dazu gebracht, sich selbst als Beobachter von Beobachtungen zu begreifen und ähnliche Einstellungen und Verhaltensweisen in sich selbst zu entdecken (vgl. ebd.: 76): „Man lernt Beobachter beobachten
und zwar im Hinblick auf die Art, wie sie auf Situationen reagieren, also: wie sie selber
beobachten.“ (ebd.: 78). Somit bilden die medial angebotenen Verhaltensmodelle für
den Rezipienten einen Orientierungsrahmen, in dem er sein eigenes Verhalten in dem
Bewusstsein ausrichten kann, dass dieses gesellschaftlich akzeptiert ist. Geschichten erWirklichkeit als ausschließlich durch die Operationen eines Beobachters konstituierten Wirklichkeitsbereich (vgl. Riegler 2008: 323f.).
52
Im Konzept des Spiels treffen sich Luhmanns (vgl. 42009: 74) These, im Programmbereich Unterhaltung werde die Beobachtung zweiter Ordnung erlernt, und Meads (vgl. 1973: 192f.) Vorstellung, dass das
Kind durch das Spiel die Fähigkeit zur Rollenübernahme und damit zur wechselseitigen Beobachtung erlernt.
53
Aktuelle medienpsychologische Ansätze bestimmen Unterhaltung als eine besondere Form des Spiels
nach der Definition Johan Huizingas (vgl. Schwab 2008: 243). In seinem Werk Homo ludens (1938) untersucht Huizinga die Rolle des Spiels in verschiedenen Bereichen der Kultur und kommt zu dem Schluss,
dass der Mensch seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel entwickelt (vgl. hierzu auch die funktionale
Bestimmung des Spiels bei Luhmann und Mead).
38
möglichen und gewährleisten so die Selbstverortung des Individuums in der dargestellten Welt. Auch wird dieses sich hierdurch seiner eigenen Identität im Kontext der gesellschaftlichen Wirklichkeit gewahr: „Unterhaltung re-imprägniert das, was man ohnehin ist“ (ebd.: 75).
Es gibt keine Geschichte, die sich zur Illustration dieser These nicht als Beispiel anführen ließe; ebenso wie umgekehrt keine Facette des menschlichen Verhaltens denkbar
ist, die narrativ noch nicht inszeniert worden wäre. Dies betrifft so alltägliche Situationen wie das Verhalten in Liebesbeziehungen54, aber auch aktuelle Zustände, die bedeutend für die Zukunft einer Gemeinschaft sind und zu welchen sich das Individuum positionieren muss. So ist etwa im Kontext der Debatte um die Zukunft Deutschlands als
Immigrationsland das sogenannte Migrantenkino, Filme über und von Migranten, relevant. Filme wie 40 QM DEUTSCHLAND (D 1985, Tevfik Başer) und IN THIS WORLD (GB
2002, Michael Winterbottom) zeigen das Schicksal von Arbeitsmigranten und Flüchtlingen in einer Gesellschaft, die ihnen fremd ist und in der sie als Fremde gelten. Durch
die erzählerische Gegenüberstellung von Fremden und Einheimischen stellen diese Narrationen eine Aufforderung an den Zuschauer dar, sich in einer der beiden Gruppen zu
verorten. Zu der ihm unmittelbar zugewiesenen Rolle kann der Rezipient in Auseinandersetzung etwa mit den afghanischen Flüchtlingen Jamal und Enayat im Film IN THIS
WORLD Stellung beziehen und eigene Denk- und Verhaltensweisen gegenüber der anderen Gruppe hinterfragen.
Zwar ermöglichen Unterhaltungsangebote dem Zuschauer, Rückschlüsse auf die eigene Person vorzunehmen, dieser Effekt lässt sich laut Luhmann (42009: 78) jedoch
nicht mit dem Konzept der Analogiebildung und der Nachahmung erfassen: „Man wird
nicht zur Angleichung eigenen Verhaltens motiviert“55. Da die psychologischen Effekte
der Rezeption fiktionaler Narration zu komplex und individuell verschieden sind, um
vorhersehbar zu sein, lässt Luhmann sie in seiner Theorie der massenmedialen Kommunikation außen vor.56 Dass mediale Unterhaltungsangebote Gelegenheiten zum Lernen
bieten (vgl. ebd.: 75), ist dadurch nicht ausgeschlossen. Dies muss sogar der Fall sein,
54
Liebesgeschichten sind ein elementarer Bestandteil von Erzählungen. Während sie in Action- und Kriminalfilmen häufig Nebenhandlungen sind, kreisen etwa romantische Komödien ausschließlich um die
Annäherung, Trennung und das erneute Zueinanderfinden zweier Menschen. Filme wie FRIENDS WITH
BENEFITS (USA 2011, Will Gluck) und NOTTING HILL (GB/USA 1999, Roger Michell) prägen und geben
Auskunft über die gesellschaftlichen Konventionen in Liebesbeziehungen.
55
In einer ergänzenden Fußnote (vgl. 42009: 78) schließt Luhmann nicht aus, dass gewisse Nachahmungseffekte, vor allem in Bezug auf das Aussehen und Auftreten, aus der Rezeption von Unterhaltungsangeboten resultieren.
56
Im Rahmen eines operativen Konstruktivismus geht es Luhmann (vgl. 42009: 78) um die Tatsache, dass
jede im fiktionalen Bereich der Imagination ablaufende Operation auch auf die reale, gewusste Realität
referenziert.
39
da nach Luhmann (vgl. ebd.: 105) die Realität der Massenmedien – die Realität der Beobachtung zweiter Ordnung – die Wissensvorgaben ersetzt, die in früheren Gesellschaftsformen etwa durch Weise oder Priester bereitgestellt wurden. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, lautet Luhmanns (ebd.: 9) programmatische Formel. In ihren Darstellungen
machen Massenmedien die Gesamtheit des sozialen Wissens erfahrbar, welches sich der
individuellen, unmittelbaren Erfahrung in der realen Wirklichkeit größtenteils entzieht.
In der Aneignung medialer Wirklichkeitskonstruktionen durch den Rezipienten wirken
dann mediale und reale Wirklichkeit derart ineinander, dass das medial Wahrgenommene einer Konsistenzprüfung mit der individuellen Wirklichkeitsannahme unterzogen
wird (vgl. ebd.: 83) und es hiernach im besten Fall Bedeutung im Leben des Rezipienten erlangt (vgl. Keppler 2005: 102f.).57
Die Luhmannsche Formel deutet eine Entwicklung an, die mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft ihren Anfang nahm und die gegenwärtig durch die Komplexität derselbigen sowie die Individualisierung ihrer Mitglieder geprägt ist. Da die alltägliche Wirklichkeit von ihrer Kommunizierbarkeit abhängt, entsprechen elektronische
Medien dem gegenüber antiken Gemeinschaften erhöhten Bedarf an sozialer Koordination, indem sie mit Hilfe technischer Mittel zur Überbrückung von Distanzen und zur
Verteilung von Wissen beitragen (vgl. Hejl 1994: 58). Darüber hinaus nehmen Medien
im Alltag, zumindest der westlichen Gesellschaften, eine derart zentrale Rolle ein, dass
sie als integraler Bestandteil desselbigen betrachtet werden müssen. Für die Realität der
sozialen Verhältnisse sind Massenmedien konstitutiv. Die Wechselwirkung von sozialer
und medialer Wirklichkeit wird demnach als eigenständiger Prozess der Wirklichkeitskonstruktion bestimmt (vgl. Keppler 2005: 95). Nichts anderes meint eine mögliche
Lesart des Luhmannschen Titels Die Realität der Massenmedien.
Insofern in den vermittelten Geschichten das Wissen einer Gesellschaft beobachtbar
ist, fungieren Medien als Instrumente der kommunikativen Verknüpfung zwischen Individuum und Gesellschaft. Medienrezeption als kommunikatives Handeln ist zugleich
sinnvermittelnd und strukturbildend (vgl. Knoblauch 2005: 173). Die aktive Aneignung
des oral und audiovisuell vermittelten Wissens bewirkt in Abhängigkeit von der individuellen Entwicklungsphase des Rezipienten den Aufbau kognitiver Strukturen, etwa in
der Primärsozialisation des Heranwachsenden, die Festigung kognitiver Strukturen im
57
Keppler (vgl. 2005: 104) bezeichnet die im Gebrauch von Medien hervorgebrachten Bedeutungen als
wirklichkeitsrelevantes Orientierungswissen.
40
lebenslangen Prozess der Sozialisation oder auch die Modifikation kognitiver Muster
durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse.
Fiktionale Geschichten eignen sich zur Beobachtung und Aneignung des sozialen
Wissens in besonderem Maße, wie von Luhmann in Bezug auf den massenmedialen
Programmbereich Unterhaltung illustriert. Die vermittelnde Form des innerhalb einer
Gemeinschaft Wissbaren, „ein Sammelsurium von Maximen, Moral, Sprichwortweisheit, Werten, Glauben […], dessen Integration eine beträchtliche geistige Kraft benötigt“ (Berger/Luckmann 1969: 70), ist heute dieselbe wie zu Zeiten Homers. Begründen
lässt sich dies mit der Wirkung, die sowohl auditive und visuelle Reize als auch Erzählstrukturen auf die Kognition haben. Dass das Unterhaltungserleben, welches die Medienrezeption begleitet, die Aneignung narrativer Wirklichkeiten begünstigt, wird im
Folgenden dargelegt.
3.3
Sinnliches Erleben und Wissenserwerb
„Die Kunst hat in sich eine unbegrenzte Fähigkeit der geistigen Übertragung […].
Nur sie besitzt gleichzeitig jene Allgemeingültigkeit und erlebnishaft unmittelbare Sinnfälligkeit, die die beiden wichtigsten Bedingungen der erzieherischen Wirkung sind“,
schreibt Werner Jaeger (21936: 65) unter Würdigung der homerischen Epen. In dieser
Fähigkeit übertrifft die Kunst nach Ansicht Jaegers (vgl. ebd.) sogar das wirkliche Leben, welches sich zwar durch Sinnfälligkeit auszeichnet, dessen Erlebnisse jedoch der
Allgemeingültigkeit entbehren. Dem Mythos hingegen wohnt etwas Allgemeingültiges
inne (vgl. ebd.: 70f.): Als unerschöpflicher Vorrat an heroischen Vorbildern ist er die
maßgebende Instanz für das menschliche Handeln. Die „erlebnishaft unmittelbare Sinnfälligkeit“ (ebd.: 65) von Narrationen ist längst nicht nur ein Produkt ihrer Form58, sondern resultiert auch aus der Form ihrer Vermittlung.
Menschliches Erleben, und somit auch die Medienrezeption als eine spezifische Art
des Erlebens, involviert sowohl kognitive als auch emotionale Prozesse (Trepte/Reinecke 2013: 77). Die Aneignung und kontinuierliche Festigung von Wissen durch die
kognitive Wahrnehmung, Verarbeitung und Speicherung von Geschichten wird von der
rhapsodischen und audiovisuellen Darstellung insofern begünstigt, als diese das sinnli58
„Erzählen bedeutet […], eine sinnhaft, phantasiegeleitete Organisation von Ausschnitten des Geschehens herzustellen und damit Sinn zu stiften, Anfang und Ende eines Geschehens zu bestimmen […]. Sinnstiftung besteht gerade darin, daß Anfang und Ende in einen Bezug zueinander gesetzt werden, und daß
die einzelnen Elemente in ein beziehungsreiches Gefüge eingeordnet werden“ (Hickethier 32001: 120).
Vgl. Kapitel 4.2.
41
che Erleben in den Mittelpunkt stellen. Aus der auditiven und visuellen Wahrnehmung
der Stimme und des Körpers von Sänger und Schauspieler resultieren in Verbindung
mit der Handlungsstruktur der verkörperten Geschichte emotionale Reaktionen aufseiten des Rezipienten. Befinden sich die hervorgerufenen Emotionen in Einklang mit den
individuellen Zielen der Mediennutzung, etwa Stimmungsausgleich, Entspannung oder
sozialer Kontakt, empfinden Rezipienten Vergnügen. Diesen Gefühlszustand, der starke
Verbindungen zwischen emotionalen und kognitiven Prozessen herzustellen vermag,
bestimmt die medienpsychologische Forschung als Unterhaltungserleben (vgl. ebd.: 96).
Unterhaltung und Lernen schließen sich demnach keineswegs aus. Für den Erwerb geistiger und sozialer Kenntnisse ist die emotionale Einbindung des Lernenden in den Prozess der Aneignung wesentlich. Wird der Rezipient in einen positiven Gefühlszustand
versetzt, wie dies von Narrationen intendiert wird, erfolgt die Aneignung der vermittelten Inhalte fast beiläufig, ohne dass sich der Rezipient dessen bewusst ist.59 Diese Art
des Lernens hat demnach eine völlig andere Qualität als die bewusste Aneignung eines
enzyklopädischen Wissenskanons, wie ihn etwa die Schulbildung vermittelt.
In der oralen griechischen Kultur meint Lernen die ständige Abfolge von Einprägen,
Wiederholen und Erinnern epischer Dichtung (vgl. Havelock 1963: 157). Nicht nur der
Rhapsode eignet sich im Rahmen seiner Ausbildung auf diese Weise den Inhalt seiner
Darbietungen an. Alle Griechen durchlaufen diesen Prozess etwa im Kontext musikalischer Agone: Spiele, bei denen Rhapsoden gegeneinander antreten und beispielsweise
Homerverse rezitieren (vgl. Rachet 2002: 245). Solche Agone sind ein wesentlicher Bestandteil des öffentlichen Lebens im antiken Griechenland und häufig eingebettet in
größere Feierlichkeiten wie etwa die Panathenäen, ein zu Ehren der Göttin Athene von
den Athenern begangenes Fest (vgl. ebd.: 224). In der ausgelassenen und freudvollen
Atmosphäre des Festes entfaltet die Dichtung ihre erzieherische Wirkung, indem sich
das Publikum mit dem Inhalt und der Performanz der rhapsodischen Darbietung emotional identifiziert. Die Verschmelzung der Perspektive, der Gefühle und Einstellungen
des Rezipienten mit denen des Rhapsoden, der sich seinerseits vollständig mit der Narration identifiziert, ist ein Produkt des emotionalen Involvements60 (vgl. Havlock 1963:
159) des Rezipienten in das Geschehen. Das Denken und Fühlen des Publikums geht
vollständig in der rhapsodischen Darbietung auf.
59
Diese Strategie verfolgen die im Vorherigen benannten televisuellen Edutainmentprogramme.
Das Involvement beschreibt die Intensität der Auseinandersetzung mit einem Medienstimulus in der
Rezeption (vgl. Trepte/Reinecke 2013: 106).
60
42
Die hohe Intensität der emotionalen und kognitiven Interaktion zwischen Medium
und Rezipient beruht zum einen auf der medialen Darstellung – der rhythmischen Bewegung von Sängerkörper, musikalischer Begleitung und Stimme – und zum anderen
auf der Form des Mythos. In der dramatischen Handlung reiht sich ein Ereignis an das
andere. Das geistige Durchleben der ereignisreichen Handlung im Prozess des Erinnerns
ruft zunächst entsprechende Körperreflexe des Rhapsoden hervor, die sich während der
Darbietung auch auf das Publikum übertragen: „The oral audience participated […] by
active participation in the language used. They clapped and danced and sang
collectively, in response to the chanting of the singer” (ebd.: 78). Die rhythmischen
Körperbewegungen setzen das Unbewusste der menschlichen Psyche frei und entlasten
das Bewusstsein somit von Spannungen, Sorgen und Ängsten. Havelock (vgl. ebd.: 152)
bezeichnet diesen Zustand als Hypnose. In ihm liegt das sinnliche Vergnügen begründet,
ohne das der Mythos und damit die griechische Paideia wirkungslos sind, garantiert es
doch die unmittelbare Akzeptanz (vgl. ebd.: 157; Robb 1994: 166f.) des enzyklopädischen Wissens durch das Publikum und damit die unreflektierte Nachahmung der narrativ vermittelten Verhaltensmuster.
Im Gegensatz zu nachfolgenden und in der Gegenwart vorherrschenden Lernmethoden 61 ist die moralische und praktische Unterweisung der Mitglieder oraler Gemeinschaften untrennbar mit deren persönlichen Neigungen und mit einem positiven Gefühlszustand, einem Unterhaltungserleben, verbunden: „The pull between the
pleasurable inclination to act in one way and the unpleasant duty to act in another way
was relatively unknown” (Havlock 1963: 158). Doch schon Platon kritisiert die Verschränkung von Erziehung und Dichtung, und damit die sinnliche Erkenntnisform überhaupt, aufgrund des epischen Vermögens, die Gefühle und damit das Irrationale, Unbewusste, der menschlichen Seele anzusprechen (vgl. ebd.: 26). All jene Qualitäten der
Vermittlung der griechischen Paideia, gegen die sich Platon wendet, verdichten sich in
seiner Definition des Begriffs Mimesis in der Politeia: „The term mimesis is chosen by
Plato as the one most adequate to describe both re-enactment and also identification,
61
Insofern der Prozess des Lernens, des Wissenserwerbs, die individuelle Wirklichkeitskonstruktion betrifft, hinterfragt die moderne Wissenspsychologie auch die Methoden des Lehrens. Vor dem Hintergrund
einer konstruktivistischen Didaktik wird Lehren als Versuch gesehen, die Umwelt des Lernenden so zu
verändern, dass dieser die kognitiven Strukturen aufbaut, die ihm vermittelt werden sollen (vgl. Müller
1996a: 62). Als eine Spielart einer „konstruktivistisch fundierten Lernumgebung“ (Müller 1996b: 87) beschreibt Müller (vgl. ebd.: 87f.) etwa die simulierte Situiertheit, also die Einbettung lernrelevanter Situationen in mediale Darstellungen. Durch die Integration von Problemsituationen in den authentischen, kohärenten Sinnzusammenhang narrativer Formen etwa, wird Wissen sogleich im Anwendungskontext erworben. Daher sind auch handlungsorientierte Arbeitsformen wie Rollenspiele lernfördernd.
43
and as one most applicable to the common psychology shared both by artist and by
audience” (ebd.: 160).
Aristoteles hingegen misst nicht nur dem Mimetischen eine positive Bedeutung bei
(vgl. Kapitel 2.2), auch betont er die entlastende Wirkung der Kunst: Die Handlung der
Tragödie etwa soll so konstruiert sein, dass sie Jammer und Schaudern hervorruft und
hierdurch „eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirk[t]“ (Aristot. poet.
[Kap. 6]). Aus der Erregung von Affekten und der anschließenden seelischen Reinigung
(Katharsis) resultiert zum einen die Freude der Zuschauer an der tragischen Mimesis,
zum anderen spricht Aristoteles diesen Kräften eine bildende Wirkung zu.
Der Zusammenhang von Wirkungsabsicht und Affekterregung bleibt in der Geschichte der Dramentheorie von zentraler Bedeutung (vgl. Schiewer 32007: 7). Insbesondere in der Aufklärung und der Klassik wird er unter Rückbesinnung auf die Antike
aktualisiert. In dieser Zeit entwickelt sich das Theater zu einem Leitmedium der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft. Theatertheoretiker und -praktiker des 18. Jahrhunderts rühmen das Theater als unverzichtbares Mittel zur Erziehung des Menschen (vgl.
Hentschel 2005: 1). Für Johann Christoph Gottsched, mit dem die Entwicklung des
Theaters zu einer bürgerlichen Institution ihren Anfang nimmt, soll die dramatische
Handlung jeweils einen moralischen Lehrsatz veranschaulichen (vgl. Dörr 2009: 8).
Dass „das Theater die Schule der moralischen Welt sein soll“ (Lessing 31978: [2.
Stück]) ist auch der zentrale Gedanke von Lessings Theaterreform, die er in seinem periodisch erscheinenden Journal Hamburgische Dramaturgie (1767/68) formuliert. Wie
Gottsched orientiert sich auch Lessing am antiken Vorbild der aristotelischen Poetik
und interpretiert sie vor dem Hintergrund der Aufklärungsphilosophie (vgl. Hentschel
2005: 5). Im Mittelpunkt seines Interesses steht die poetische Wirkungsästhetik, die bei
der Ausübung der sozialen Funktion des Theaters zielführend sein soll (vgl. ebd.: 4f.).
Erst im Gefühlserlebnis der Zuschauer erfüllt sich für Lessing die ethische und politische Funktion des Bühnengeschehens. Die aristotelischen Affekte Phobos und Eleos
übersetzt Lessing mit Furcht und Mitleid.62 Im Mitleiden mit dem Schicksal der Charaktere und der Furcht des Rezipienten, von einem ähnlichen Schicksal ereilt zu werden,
erfüllt sich für Lessing die Reinigung (Katharsis) des Menschen von seinen Leidenschaften und damit seine moralische Besserung (vgl. Dörr 2009: 10ff.). Um diesen Zu-
62
Lessing verleiht dem Begriffspaar Phobos und Eleos mit seiner Übersetzung eine moralische Konnotation, die außerhalb des aristotelischen Verständnisses von zwei lediglich starken Affekten liegt. Erst die
Übersetzung der Poetik durch Manfred Fuhrmann (vgl. 1982: 162f.) rehabilitiert die intendierte Bedeutung der Begriffe, indem sie mit Jammer und Schaudern übersetzt werden.
44
stand zu erreichen, sind Charaktere notwendig, mit denen sich der Zuschauer identifizieren kann. Die darstellenden Figuren müssen sich deshalb durch Eigenschaften auszeichnen, die dem Rezipienten aus seiner Alltagswelt bekannt sind. Lessing entwirft daher das Konzept der ‚vermischten Charaktere’, die in ihrem sittlichen Verhalten nicht
vollkommen sind und dadurch der Lebenswelt des Zuschauers nahe stehen (vgl. Hentschel 2005: 5): „diese Vermischung muß sich in jedem dramatischen Gemälde von Sitten finden, weil es zugestanden ist, daß das Drama vornehmlich das wirkliche Leben abbilden soll“ (Lessing 31978: [92. Stück]).
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts legitimiert auch Friedrich Schiller das Theater als
Träger von Religion und Gesetz in einer Rede vor der Kurfürstlichen Deutschen Gesellschaft. In der daraufhin erscheinenden Abhandlung Die Schaubühne als eine moralische
Anstalt betrachtet (1802) betont Schiller unter Bezugnahme auf die Bedeutung des Theaters im antiken Griechenland auch das Vermögen der Bühne, den Nationalgeist eines
Volkes zu formen. Nur die Schaubühne kann „die Ähnlichkeit und Übereinstimmung
seiner [des Volkes] Meinungen und Neigungen“ (Schiller 1906: 60) bewirken, „weil sie
das ganze Gebiet des menschlichen Wissens durchwandert, alle Situationen des Lebens
erschöpft und in alle Winkel des Herzens hinunter leuchtet; weil sie alle Stände und
Klassen in sich vereinigt und den gebahntesten Weg zum Verstand und zum Herzen
hat“ (ebd.). In der beschriebenen Wirkung der Bühne auf Verstand und Herz deutet sich
an, dass der moralisch erziehende Effekt im schillerschen Denken einhergeht mit einer
Gefühlsregung. Unterhaltung und Erziehung gehen im Theater eine Allianz ein:
Die Schaubühne ist die Stiftung, wo sich Vergnügen mit Unterricht,
Ruhe mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung gattet […]. Wenn Gram
an dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsre einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seele drücken und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu
ersticken droht, so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen
Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wieder
gegeben, unsre Empfindung erwacht (ebd.: 61).
Die rhapsodische Darbietung und das Theater stehen somit in einer wirkungsästhetischen Tradition, die sich in der medialen Gegenwart in den Audiovisionen von Film
und Fernsehen fortsetzt.
Lessing stellt die handelnden Charaktere in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur
Affekterregung im Drama und verweist damit auf einen Zusammenhang, der in Versuchen, die Effekte von Medienangeboten zu beschreiben, von zentraler Bedeutung ist.
Wie mit den Vertretern des Sozialkonstruktivismus gezeigt wurde, ist die individuelle
45
Aneignung symbolisch vermittelten Wissens in einen personalen Interaktions- und
Kommunikationszusammenhang eingebettet. Der Darstellung handelnder Personen
kommt in der Narration daher eine besondere Bedeutung zu. Obgleich die sinnliche
Wahrnehmung der Körperlichkeit des Handelnden durch die technische Vermittlung
stark beeinträchtigt wird, verstärkt die „Parzellierung des ganzheitlichen Ausdrucks“ (Hickethier 32001: 171) die Intensität des Darstellens: Ausdrücke des Schauspielerkörpers, etwa ein von Tränen überströmtes Gesicht oder die vor Wut geballte
Faust, wirken in der Großaufnahme unmittelbar und intensivieren die Wahrnehmung
des Geschehens.
Ebenso wie die mediale Inszenierung beeinflusst auch die Figurengestaltung die Intensität der Interaktion zwischen Rezipient und Medienfigur. Nur wenn letztere einen
kohärenten Charakter erkennen lässt, werden ihre Handlungen für den Zuschauer nachvollziehbar. Die Glaubwürdigkeit der Medienfigur entscheidet darüber, ob der Rezipient
gewillt ist, an ihrem Schicksal teilzuhaben. Beispielsweise wird es dem Zuschauer leicht
gemacht, Vincents (vgl. VINCENT WILL MEER, D 2010, Ralf Huettner) Erkrankung, seine durch sie bedingten Tics und ausfallenden Verhaltensweisen nachzuvollziehen, da
das Spiel dieser Figur auch und vielleicht vor allem dann überzeugt, wenn der Zuschauer selbst nicht vom Tourette-Syndrom betroffen ist. Obgleich dieser selbst keine persönliche Erfahrung mit der Erkrankung haben mag, sich vielleicht kaum etwas unter ihr
vorstellen kann und Betroffene im alltäglichen Leben möglicherweise meiden würde,
entspricht Vincents Verhalten womöglich der Vorstellung, die der Rezipient sich mittels
anderer Quellen von Menschen mit Tourette-Syndrom gemacht hat, und überzeugt
durch seine Konsistenz.
Entwickelt der Zuschauer oder Hörer affektive Anteilnahme mit den Protagonisten
fiktionaler Narrationen, verschmelzen die Perspektiven, sodass sich der Rezipient für einen begrenzten Zeitraum in verringertem Maße selbst und als eigenständigen sozialen
Akteur wahrnimmt (vgl. Trepte/Reinecke 2013: 102).63 Die temporäre Übernahme der
Eigenschaften und Gefühle der medialen Figur im Prozess der Identifikation lässt den
Rezipienten auch deren Werte und Verhaltensweisen, ihre Art der Weltsicht, entdecken
und bewerten. Das durch die charakterliche Vielfalt der handelnden Figuren entworfene
„Tableau verschiedener Verhaltensdimensionen“ (Hickethier 32001: 128) bietet vielfäl-
63
In der Kognitionsforschung wird die Identifikation des Individuums mit anderen Personen im Rahmen
der Theory of Mind behandelt. Diese beruft sich auf die Fähigkeit des Menschen, sich vom Innenleben anderer Personen eine Vorstellung machen zu können, sodass deren Erleben in ihm die Emotionen auslöst,
von denen er annehmen kann, dass es diejenigen der anderen Person sind (vgl. Schwender 2001: 78ff.).
46
tige Anreize für die Reflexion eigener Handlungsentwürfe. 64 Hierfür besonders anregend ist die Gegenüberstellung von angemessenem und normwidrigem Verhalten, die
vor allem in Kriminalfilmen, etwa aus der Fernsehreihe TATORT, deutlich ausgeprägt ist.
Indem eine Tat von der Polizei zu einem Normverstoß der Täter erklärt wird, geben Kriminalgeschichten Auskunft über die Werteauffassung einer Gesellschaft. Sie zeigen auf,
welche Art des Verhaltens der geltenden Ordnung zuwiderläuft. Auch in dem Fall, dass
der Zuschauer die Motive des Verbrechers nachvollziehen kann und an seinem Schicksal Anteil nimmt, wird ihm dadurch, dass der Täter am Ende gefasst und sein Verbrechen durch die Polizei geahndet wird, suggeriert, dass das Bestreben, regelwidrig zu
handeln, nicht lohnenswert ist.
Während die emotionale Totalidentifikation mit einem heroischen Vorbild für die
Beziehung zwischen dem Rhapsoden und der griechischen Gemeinschaft prägend ist,
stellen audiovisuelle Medienfiguren lediglich Identifikationsangebote dar: In der medialen Gegenwart ist der Modus des Beobachtens vorherrschend. Wie mit Luhmann gezeigt wurde, nimmt sich das Individuum in der Rezeption von Unterhaltungsangeboten
als Beobachter von Beobachtungen und demnach vorwiegend als einen von der Medienfigur getrennten sozialen Akteur wahr. Insofern die Medienrezeption aber ein kommunikatives Handeln darstellt, kann in ihr die Illusion einer wechselseitig aufeinander bezogenen Reaktion zwischen Zuschauer und Figur entstehen. Etwa wenn sich in dem Film
LA
VIE D’ADÈLE
(F/B/E 2013, Abdellatif Kechiche) Emma von ihrer Freundin Adèle
trennt, weil diese sie aus Einsamkeit betrogen hat. In diesem Moment kann die Perspektive des Zuschauers so stark mit der Adèles verschmolzen und der Eindruck einer direkten Interaktion mit Emma so stark sein, dass der Zuschauer ebenso in Tränen ausbricht
wie die Medienfigur Adèle.
Seit Donald Horton und Richard Wohl (Mass Communication and Para-social
Interaction, 1956) wird diese Art der Auseinandersetzung mit einer Medienfigur als parasoziale Interaktion bezeichnet. Ausgehend von ihrer Beobachtung, dass Moderatoren
von Fernsehnachrichten die Illusion eines Face-to-Face-Kontaktes vermitteln, übertragen sie das Konzept der sozialen Interaktion auf die Mediensituation (vgl. Trepte/Reinecke 2013: 98). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass mediale Figuren, Personae genannt, in der Wahrnehmung ähnliche kognitive und emotionale Prozesse auslösen, wie
64
Heike Klippel (1997: 174) beschreibt das Kino als einen Ort, „an dem an tausend Handlungsmöglichkeiten gerührt wird, wobei der Zuschauer in Ruhe gelassen und zu nichts verpflichtet wird. Es ist damit
ein Ort der Reflexion.“
47
die personale Interaktion (vgl. Hartmann/Schramm/Klimmt 2004: 26).65 Die Adressierung des Rezipienten durch die Personae erfolgt entweder direkt, mit einer Mitteilungsabsicht wie im Falle eines Nachrichtensprechers, oder aber indirekt in der Beobachtung
interagierender Personae durch den Zuschauer. In letzterem Fall gründet sich die Adressierung auf implizite Handlungsaufforderungen, die den interagierenden Medienfiguren
insofern inhärent sind, als sich ihr Handeln immer an ein Publikum richtet (vgl. ebd.:
39).66
Indem der Zuschauer das Kommunikationsangebot annimmt, löst er sich aus seiner
Beobachterposition und reagiert auf das mediale Angebot in Form parasozialer Interaktionen. Diese beinhalten nach der Konzeptualisierung von Hartmann/Schramm/Klimmt
(ebd.: 30) affektive (ausgelöste Emotionen), konative (beobachtbare Verhaltensäußerungen) sowie perzeptiv-kognitive (Aspekte der Wahrnehmung und des Denkens) Prozesse.
Letztere stellen eine Beziehung zwischen Personae und Rezipient her sowie infolgedessen einen unbewussten Vergleich zwischen dem beobachteten Verhalten der Medienperson und den Fähigkeiten und Eigenschaften, dem Selbst(bild), des Rezipienten (vgl.
ebd.: 33).
Selbstbilder können durch die in der Narration erfolgreich oder nicht erfolgreich handelnden Personae entweder bestätigt oder erschüttert werden. Auch die Verwicklung
des Rezipienten in ihm bisher unbekannte Verhaltensweisen und somit die Generierung
neuen sozialen Wissens ist denkbar. Aus der Beziehung zu Medienpersonen können
Muster 67 erwachsen, in denen Selbstbild, Personae und situatives Interaktionsschema
derart verschmelzen, dass sie das künftige Handeln des Zuschauers in alltäglichen Situationen beeinflussen. Medienpersonen können somit, wie etwa Claudia Wegener (vgl.
2007: 197) hinsichtlich der Medienrezeption Jugendlicher bemerkt, regelrecht zu Sozialisationsagenten werden.68
65
Verschiedene Eigenschaften sowohl der Rezipienten als auch der Medienpersonen beeinflussen die Intensität parasozialer Beziehungen, etwa die Art der Adressierung durch die Medienfigur, deren mediale
Präsenz sowie die Motivation des Publikums (vgl. Hartmann/Schramm/Klimmt 2004: 37).
66
Umgekehrt kann die Reaktion des Zuschauers aufgrund des fehlenden Rückkanals keinen Einfluss auf
das Verhalten der Personae nehmen.
67
Durch die wiederholte parasoziale Interaktion mit einer Personae im Laufe mehrerer Rezeptionssequenzen, wie etwa im Falle einer Fernsehserie oder eines mehrteiligen Films, speichert der Zuschauer Informationen über die Medienperson. In der kognitiven Repräsentation der Personae stabilisieren sich die Interaktionsmuster und nehmen die Form einer parasozialen Beziehung an (vgl. Hartmann/Schramm/
Klimmt 2004: 10f.).
68
Hartmann/Schramm (vgl. 2007: 216) betonen die Bedeutung der parasozialen Interaktion für die Identitätsentwicklung bei Jugendlichen. Eine Analyse parasozialer Interaktionen und deren Stimulation neuer
Verhaltensmuster im Kontext eines indischen Radio-Edutainment-Programms legten Michael Papa et al.
(vgl. 2000) vor.
48
Ein Beispiel stellt der international erfolgreiche Spielfilm HIGH SCHOOL MUSICAL
(USA 2006, Kenny Ortega) dar, der zweimal mit derselben Besetzung fortgesetzt wurde
(vgl. HIGH SCHOOL MUSICAL 2, USA 2007; HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR,
USA 2008). Während die ersten beiden Teile in Deutschland erstmals im Disney
Channel ausgestrahlt wurden, wurde der dritte Teil für das Kino produziert. In Deutschland belegt er unter den erfolgreichsten Kinofilmen des Jahres 2008 Platz 15 (vgl.
InsideKino 2012). Im Mittelpunkt der Filmhandlung stehen Troy Bolton, Kapitän des
Basketballteams Wildcats der East High School, und die Musterschülerin Gabriella
Montez. Während eines Karaoke Singens entdecken beide ihre Leidenschaft für den Gesang sowie füreinander und bewerben sich daraufhin für die Hauptrolle des alljährlich
stattfindenden Schulmusicals. Gesangseinlagen und Tanzperformances sind wesentliche
Elemente des Films und seiner Fortsetzungen. Wie bei einer Serie erleben die jugendlichen Zuschauer die Entwicklung der Protagonisten über einen langen Zeitraum hinweg.
Gegenstand des letzten Teils ist schließlich das Abschlussjahr von Troy und Gabriella.
Thematisiert wird in diesem Zusammenhang die Frage nach der richtigen Studienwahl,
die sich auch der jugendliche Zuschauer einmal stellen wird. Letzterer lernt anhand der
Interaktion der handelnden Figuren, dass Entscheidungen, die die persönliche Zukunft
beeinflussen, nicht voraussetzungslos sind, sondern im Spannungsfeld zwischen den
persönlichen Neigungen und den Erwartungen der Gesellschaft erfolgen. So ist Troy,
für den aus Sicht seines Vaters nur das Basketballstipendium der University of
Albuquerque in Frage kommt, zwischen den Erwartungen seiner Familie, seiner Leidenschaft sowohl für den Sport als auch für das Musical sowie seiner Freundin Gabriella,
die in Stanford studieren wird, hin- und hergerissen. Letztendlich entscheidet sich Troy,
in Berkeley zu studieren, wo er nicht nur Basketball, sondern auch Theater spielen kann
und wo er nur eine Autostunde vom Studienort seiner Freundin entfernt sein wird. Für
den Rezipienten hält der Film folglich die Botschaft bereit, dass man sich nicht zwangsläufig für das eine und gegen das andere entscheiden muss, sondern mit Hilfe von Kompromissen eine Lösung finden kann, die sowohl den gesellschaftlichen Erwartungen als
auch den persönlichen Ansprüchen gerecht wird. Darüber hinaus exemplifiziert HIGH
SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR viele weitere Verhaltensdimensionen, die das Erwachsenwerden markieren und dem Zuschauer als Anknüpfungspunkt dienen können.
Etwa wenn Troys bester Freund Chad ihm gegenüber äußert „Das weiß man doch, dass
man nicht mit seiner High School-Freundin zusammen bleibt“ (01:19:40), Troy aber bewusst ist, dass Gabriella ihm so viel bedeutet, dass er sich entgegen des gesellschaftli49
chen Konsens für ein Studium in ihrer Nähe und die Fortführung der Beziehung entscheidet. Nachdem der Zuschauer nach zwei Vorgängerfilmen bereits eine Beziehung
zur Personae Troy aufgebaut hat, kann deren Handeln ihm in einer vergleichbaren realen Situation durchaus als Vorbild dienen.
Die Übertragung der Prämissen des Sozialkonstruktivismus auf die mediale Rezeptionssituation untermauert die Annahme, dass das von einem Unterhaltungserleben begleitete Hören von Geschichten und Sehen von Spielfilmen als leiblich-sinnliche, affektive sowie pragmatische Erfahrung begriffen werden kann. Es handelt sich bei dieser
Art der Rezeption um einen aktiven Prozess sowohl der Wissenserzeugung als auch der
Bestätigung oder Revision bereits vorhandener Verhaltensweisen. In diesen theoretischen Kontext fügt sich auch die Sozial-kognitive Lerntheorie Albert Banduras. Auch
für Banduras Theorie ist die Annahme grundlegend, dass Wissen nicht aus der direkten
Erfahrung, etwa aus der Interaktion mit Familienmitgliedern, Freunden oder Lehrern,
hervorgehen muss, sondern dank der kognitiven Fähigkeiten des Menschen auch in der
Beobachtung des Verhaltens anderer erworben werden kann:
Observers can acquire cognitive skills and new patterns of behavior by
observing the performance of others. The learning may take varied
forms, including new bahavior patterns, judgemental standards,
cognitive competencies, and generative rules for creating behaviors.
Observational learning is shown most clearly when models exhibit
novel patterns of thought or behavior which observers did not already
possess but which, following observation, they can produce in similar
form (Bandura 1986: 49).
Auch symbolisch, etwa sprachlich oder audiovisuell, repräsentierte Interaktionen anderer fungieren demnach als Modell69 für individuelle Handlungsentwürfe.
Durch kognitive Modellierungsprozesse können Individuen die aus den beobachteten
Verhaltensweisen abstrahierten Verhaltensregeln verinnerlichen (vgl. Bandura 1971: 6).
Ob aus den erlernten, in der Kognition symbolisch repräsentierten Handlungsmodellen
tatsächlich manifestes Verhalten resultiert, hängt in der Folge davon ab, welche Konsequenzen das beobachtete Verhalten für das Modell hat (vgl. ebd.: 8): Positive Reaktionen seitens der beobachteten Handlungspartner motivieren dazu, erlerntes Verhalten in
69
Banduras Theorie wird auch bezeichnet als Theorie des Modelllernens, Beobachtungslernens oder des
sozialen Lernens. Für die Erklärung von Medieneffekten auf das menschliche Verhalten wird diese Theorie häufig herangezogen (vgl. Perse 2001: 190; McQuail 62010: 491). Eine Frage, die in diesem Zusammenhang vielfach diskutiert wurde, ist die nach den Effekten medial dargestellter Gewalt auf den Rezipienten. Bandura selbst untersuchte solche Effekte in verschiedenen Verhaltensexperimenten mit Kindern
(vgl. Bobo Doll- und Rocky-Experiment). Zwar sieht er in den medialen Gewaltdarstellungen eine wesentliche Quelle für das Erlernen entsprechender Verhaltensmuster, deren Ausführung in der Realität unterliegt wiederum sowohl hemmenden als auch stimulierenden Effekten (vgl. Bonfadelli 32004: 130;
Kunczik/Zipfel 52006: 152-155).
50
der Realität umzusetzen, während negativ sanktioniertes Verhalten dessen Ausführung
hemmt. Gelangt der Rezipient zu einer positiven gedanklichen Stellungnahme hinsichtlich der Gerechtfertigtheit sowie Erwünschtheit des beobachteten Verhaltens und tritt
ein der beobachteten Situation ähnelnder Umstand ein, wird die wirkliche Ausführung
des Verhaltens wahrscheinlich. Ist letzteres auch in der Realität erfolgreich, führt dies
wiederum zu seiner Verstärkung, die die wiederholte Ausübung motiviert und die langfristige Speicherung des Verhaltensmusters bewirkt.
Aufgrund der langen Zeitdauer, die Menschen in der westlichen Welt Fernsehen
schauend verbringen, misst Bandura (vgl. ebd.: 10) insbesondere den symbolischen Repräsentationen der Massenmedien eine einflussreiche Rolle hinsichtlich der Formung
von Verhaltensweisen und Einstellungen bei. Der Psychologe formuliert diesen Gedanken in seiner Jahrzehnte später erscheinenden Abhandlung Social Cognitive Theory of
Mass Communication (2001), in der er das Prinzip des Modelllernens auf die Medienwirkung überträgt. Bandura betont auch hier den wesentlichen Unterschied zwischen
dem Erwerb und der konkreten Ausführung erlernten Wissens und bestimmt Massenmedien dementsprechend einerseits als Lehrer, andererseits als ein bestimmtes Verhalten stimulierende Motivatoren (vgl. Bandura 32009: 113). Die Effekte massenmedialer
Kommunikation resümiert Bandura wie folgt: “In sum, modeling influences serve
diverse functions – as tutors, motivators, inhibitors, disinhibitors, moral engagers and
disengagers, social prompters, emotion arousers, and shapers of values and public
conceptions of reality” (ebd.: 108).
Die Befunde Banduras belegen, dass Medien eine wichtige Sozialisationsinstanz70
darstellen. In der Rezeption von Spielfilmen, ebenso wie im Hören von Geschichten,
erfolgt Lernen im Kontext eines positiven Gefühlszustandes inzidentell (vgl. Lukesch
1996: 55ff.). Sinnliche Wahrnehmung und Kognition gehen in der Rezeption mündlicher und audiovisueller Narrationen eine machtvolle Allianz ein. Diese vermag es, soziales Verhalten zu imprägnieren und fortlaufend zu re-imprägnieren. Der Einzelne wird
somit befähigt, soziale Situationen richtig zu lesen, im Hinblick auf ihre impliziten Normen zu verstehen und angemessen zu reagieren. Mit dem Effekt der „Behavioral
Literacy“ (Wittrock 2005) erbringen Film und Fernsehen sowie Rhapsoden eine wesent70
Für Fritz/Sting/Vollbrecht (vgl. 2003: 13) sind Medien nach der Familie, der Schule und den Gleichaltrigen die vierte wichtige Sozialisationsinstanz. McQuail (vgl. 62010: 492) betont, dass die Theorie der
Mediensozialisation zwei Aspekte umfasst: Einerseits behandelt sie Medien als Unterstützer der Arbeit
anderer Sozialisationsagenten, andererseits besteht die Gefahr, dass Medien die von der Familie und der
Schule gesetzten Werte und Normen unterwandern. Es gilt als wahrscheinlich, dass das soziale Umfeld
eines Kindes über die Art und Stärke der Wirkung von Medienbotschaften und -formen bestimmt (vgl.
Hurrelmann 1994: 399).
51
liche Funktion für die Gesellschaft, nämlich die Integration des Individuums in die soziale Wirklichkeit unter Erarbeitung seiner persönlichen Identität.
Die Sozialisation des Einzelnen als eine lebenslange Notwendigkeit findet zwar im
Hier und Jetzt statt, zugleich ist ihr eine historische Perspektive eingeschrieben: Da sich
der Kontext des sozialen Handelns kontinuierlich ändert und Wissensbestände in der
menschlichen Interaktion fortlaufend aktualisiert werden, unterliegen die Verhaltensregeln einem ständigen Wandel. Die Werte und Normen westlicher Gesellschaften des 18.
Jahrhunderts besitzen in der Gegenwart keine Gültigkeit mehr, gleichwohl haben sich
aus ihnen die aktuellen gesellschaftlichen Regeln entwickelt, sodass sie ein bedeutender
Teil der gesellschaftlichen und individuellen Identität sind. Historische Spielfilme wie
BARRY LYNDON (GB 1975, Stanley Kubrick) und Epen wie die Ilias halten historisches
Wissen präsent und machen es der individuellen Erfahrung zugänglich. Die Leistung
von Film und Fernsehen sowie der antiken Rhapsoden, tradiertes Wissen zu vermitteln,
speist sich aus ihrer Speicherkapazität, deren Untersuchung sich im Folgenden anschließt.
52
4.
Rhapsoden, Film und Fernsehen als Archivare sozialen Wissens
Die formale und infolgedessen wirkungsästhetische Homologie von Rhapsoden, Film
und Fernsehen liegt in der gemeinsamen Funktion dieser Medien begründet, soziales
Wissen zu speichern und zu vermitteln. Medien sind Instrumente, die Bedeutung in
Form von auditiven und visuellen Narrationen codieren, um sie als Sinnangebote verfügbar zu machen. Gewährleistet wird hierdurch die Teilhabe des Einzelnen an einem
kollektiven Wissen, welches die aktuellen sozialen Verhaltensdimensionen beinhaltet
und sich darüber hinaus auch „auf die Erinnerung an eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit stützt“ (Assmann 1992: 17). Da diese Vergangenheit nicht persönlich erfahrbar ist, konstituieren Medien mit der Vielzahl und Vielfältigkeit ihrer Narrationen eine
wesentliche Quelle für die historische Verortung der Gesellschaft. Medien fungieren,
dies wird im folgenden Kapitel ausführlich betrachtet, als Träger des kollektiven Gedächtnisses. Für dieses narrativ strukturierte Gedächtnis stellt der Mythos eine sinnstiftende Grundform bereit.
4.1
Träger des kollektiven Gedächtnisses
Symbolische Objektivationen wie die Sprache binden den Einzelnen an einen gemeinsamen Handlungsraum mit bestimmten Regeln und schaffen hierdurch Vertrauen.
Die für die Kohärenz der sozialen Wirklichkeit notwendige Weitergabe dieser Regeln
begründet das Wissen um eine geteilte Vergangenheit, welches wiederum Erinnerung
stiftet. Beide Aspekte, sowohl die Sozial- als auch die Zeitdimension, die „in einen fortschreitenden Gegenwartshorizont Bilder und Geschichten einer anderen Zeit einschließt
[…], fundieren Zugehörigkeit oder Identität, ermöglichen dem Einzelnen, ‚wir’ sagen
zu können“ (ebd.: 16). Sie konstituieren die Kultur71 einer Gruppe von Menschen. Eine
Kultur zeichnet sich für Jan Assmann durch ihre konnektive Struktur aus, deren charakteristische Grundprinzipien die Vergegenwärtigung und Wiederholung von Handlungen
sind (vgl. ebd.: 17). Einzelne Handlungen ordnen sich hierdurch zu wiedererkennbaren
Mustern, die als Wesenszüge einer Kultur beschreibbar werden.
71
Obgleich das Konzept ‚Kultur’ in vielfältigen Bedeutungen gebraucht wird, beinhalten die verschiedenen kulturtheoretischen Ansätze zumeist die von Assmann herausgearbeiteten Dimensionen. Ein konstruktivistisch geprägter Kulturbegriff beschreibt den Gesamtkomplex der sich in symbolischen Objektivationen materialisierenden Vorstellungen, Denkformen und Empfindungsweisen als einen von Menschen
erzeugten (vgl. Nünning, A. 2013: 28).
53
Den Zusammenhang von Erinnerung, Identität und Traditionsbildung erforscht Assmann in Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (1992). Den mit der Erfindung der Schrift einsetzenden mediengeschichtlichen Umbruch bestimmt er als einen kulturellen Übergang von der Dominanz
der Wiederholung kultureller Überlieferung hin zur Dominanz ihrer Vergegenwärtigung:
Da Wissen in oralen Kulturen in Form mündlicher Narrationen weitergeben wird, müssen die entsprechenden Geschichten beständig vorgetragen werden. Die Schrift hingegen erlaubt die dauerhafte Fixierung sozialen Wissens, wodurch dessen kontinuierliches
Durchleben in der Identifikation hinfällig wird. Mit dem Entstehen dieser neuen konnektiven Struktur wandelt sich die Art und Weise, in der sich die Gemeinschaft an ihre
Gegenwart und Vergangenheit bindet: Erfolgt dies im Rahmen mündlicher Überlieferungen durch Nachahmung und Bewahrung, so setzt mit Einführung der Schrift der Modus der Auslegung und Erinnerung ein (vgl. ebd.: 18). Die mentale Vergegenwärtigung
der Vergangenheit wandelt sich hierdurch zu einem interpretativen Akt, weshalb die
kulturelle Identität72 des Einzelnen nunmehr von individuellen Voraussetzungen beeinflusst ist.
Da verschiedene Medientechnologien unterschiedliche Formen der Kommunikation
und der Wahrnehmung erzeugen, übt die Medienevolution Einfluss auf die Wissensorganisation aus (vgl. Holl 2003: 183). Wie mit den Vertretern des Sozialkonstruktivismus gezeigt wurde, entsteht Wissen in der Interaktion, wobei die menschliche Fähigkeit,
Sinneswahrnehmungen zu speichern und wieder in das Bewusstsein zu rufen, eine
Grundvoraussetzung für diesen Vorgang ist. Bewusstsein und individuelles Gedächtnis
wiederum bilden sich erst in sozialem Handeln und damit in Abhängigkeit von der Gemeinschaft. Der französische Soziologe Maurice Halbwachs, in seinem Wirken beeinflusst von Émile Durkheim, Henri Bergson, Marcel Mauss und Carl Gustav Jung, stellt
zu Beginn des 19. Jahrhunderts als erster Forscher die These der sozialen Bedingtheit
des individuellen Gedächtnisses auf. Ausgangspunkt für die Entwicklung seiner Theorie
einer „mémoire collective“ bildet die Abhandlung Les cadres sociaux de la mémoire
(1925).
72
Das Hineinwachsen des Einzelnen in die Kultur der ihn umgebenden Gesellschaft, seine Enkulturation
als ein Teilprozess der Sozialisation, steigert sich erst in der Bewusstwerdung dieser Zugehörigkeit zu einer kollektiven Identität. Als kulturelle Identität begreift Jan Assmann (vgl. 1992: 134) entsprechend die
reflexiv gewordene Teilhabe an einer Kultur.
54
Halbwachs beruft sich für den Nachweis der sozialen Geprägtheit individueller Erinnerung auf das Konzept der „sozialen Rahmen“73. Sozial vorgegebene Rahmen der Bedeutsamkeit organisieren menschliche Wahrnehmung und konstituieren sowie stabilisieren die Erinnerung des Einzelnen: „il n'y a pas de mémoire possible en dehors des
cadres dont les hommes vivant en société se servent pour fixer et retrouver leurs
souvenirs“ (Halbwachs 1994: 79). Insofern Erinnern die Sinngebung für Erfahrungen in
einem durch die Gesellschaft definierten Rahmen meint, muss das sich konstituierende
Gedächtnis ein überindividuelles, kollektives sein:
nos souvenirs demeurent collectifs, et ils nous sont rappelés par les
autres, alors même qu'il s'agit d'événements auxquels nous seuls avons
été mêlés, et d'objets que nous seuls avons vus. C'est qu'en réalité nous
ne sommes jamais seuls (Halbwachs 1950: 6).
Demnach ist die Gegenwart der individuellen Erinnerung ebenso wie die wirkliche Gegenwart eine soziale Konstruktion einer bedeutsamen Welt des Erlebens und Handelns.
„Ces souvenirs […] ce sont, en même temps, des modèles, des exemples, et comme des
enseignements. En eux s'exprime l'attitude générale du groupe ; ils ne reproduisent pas
seulement son histoire, mais ils définissent sa nature, ses qualités et ses faiblesses“,
schreibt Halbwachs (1994 : 151) und verweist damit auf die identitätsstiftenden Effekte
der kollektiven Gedächtnisinhalte.
Das Gedächtnis als ein soziales Konstrukt entfaltet sich in der menschlichen Interaktion, in der Teilhabe an kommunikativen Prozessen. Bricht die Kommunikation ab oder
ändern sich die Bezugsrahmen der kommunizierten Wirklichkeit, ist laut Halbwachs
(vgl. 1925: 279) Vergessen die Folge. Den Begriff der „mémoire collective“ weitet
Halbwachs damit auf den Bereich der kulturellen Überlieferung und Traditionsbildung
aus. Diese Phänomene verbinden sich in der Terminologie Jan und Aleida Assmanns im
Begriff des kulturellen Gedächtnisses. 74 Während sich das kollektive Gedächtnis in
nicht intendierter Weise, etwa in kommunikativen Praktiken oder der Architektur, nie73
Der amerikanische Soziologe Erving Goffman hat sich eingehend mit diesem Konzept befasst. In
Frame-Analysis (1974; dt. Rahmen-Analyse, 1980) erforscht er die Organisation von Erfahrungen.
Goffman (1980: 19) geht davon aus, „daß wir gemäß gewissen Organisationsprinzipien für Ereignisse –
zumindest für soziale – und für unsere persönliche Anteilnahme an ihnen Definitionen einer Situation
aufstellen; diese Elemente […] nenne ich ‚Rahmen’“. Soziale Rahmen liefern einen Verständigungshintergrund für Ereignisse, an denen das intentionale, orientierte Tun eines Menschen beteiligt ist (vgl. ebd.:
32).
74
Jan Assmann übernimmt von Halbwachs die sozialkonstruktivistische Konzeption der Vergangenheit,
der zufolge sich die Beschaffenheit letzterer aus den Sinnbedürfnissen und Bezugsrahmen der jeweiligen
Gegenwarten her ergibt. Laut Assmann (vgl. 1992: 46) sind die von Maurice Halbwachs erarbeiteten Thesen von großer Bedeutung für die Kulturanalyse, da sie weithin für Mechanismen kultureller Überlieferung überhaupt gelten können. In Das kulturelle Gedächtnis führt Assmann (vgl. ebd.: 48-56) die Unterscheidung zwischen zwei Formen des kollektiven Gedächtnisses ein: dem kulturellen Langzeitgedächtnis
und dem kommunikativen Kurzzeitgedächtnis.
55
derschlägt (vgl. Welzer 2001: 12), realisiert sich das kulturelle Gedächtnis intentional
(vgl. Assmann 1992: 24), etwa in eigens geschaffenen Institutionen. Denn obgleich
Kulturen ebenso wie Individuen ihr Gedächtnis in der Interaktion aufbauen und die Notwendigkeit der generationenübergreifenden Weitergabe kollektiven Sinns besteht, entbehrt das Gruppengedächtnis einer neuronalen Basis (vgl. ebd.: 89). Um dauerhaft gespeichert und von Generation zu Generation überliefert zu werden, müssen die Objektivationen intersubjektiver Erfahrungsablagerungen mit Hilfe eines Zeichensystems vollzogen werden. Dieses ermöglicht es, die Objektivationen gemeinsamer Erfahrungen zu
wiederholen (vgl. Berger/Luckmann 1969: 72).75
Grundlegend für die gesellschaftliche Erfahrungsablagerung ist zunächst das Zeichensystem Sprache. Nach Berger/Luckmann (vgl. ebd.: 72f.) ist sie Medium und konstitutives Moment von Wissen und Gedächtnis. Auch unter den von Aleida Assmann in
Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (1999) benannten „Gedächtnismedien“ (ebd.: 20) rangiert die Sprache bzw. die Schrift unter den
wichtigsten Fundamenten und Instrumenten des kollektiven Gedächtnisses. Als „materielle Stütze“ (ebd.) gewährleistet die Schrift die Speicherung kollektiven Wissens sowie dessen Vermittlung in der Interaktion mit dem Gedächtnis des Einzelnen. Zeichensysteme sichern somit die Wiedererkennbarkeit und Kontinuität einer Kultur (vgl. Assmann 1994: 114f.).
In ihrer Funktion als Träger des kollektiven Gedächtnisses entscheiden die technischen Möglichkeiten von Gedächtnismedien darüber, was und wie erinnert wird. Der
medientechnische Wandel bedingt die Verfasstheit des kollektiven Gedächtnisses. Folgerichtig definiert die Theorie Jan und Aleida Assmanns eine Kultur als den „historisch
veränderliche[n] Zusammenhang von Kommunikation, Gedächtnis und Medien“ (ebd.:
114). Bei Assmanns löst der Gedächtnisbegriff, ein komplexes Handlungs- und Institutionengefüge bezeichnend, das Konzept der Tradition ab. Ihre in den Kulturwissenschaften äußerst wirkmächtige Theoriebildung zum Verhältnis von Gedächtnis und Gesellschaft kann insofern auch als Medientheorie bzw. Medienanthropologie (vgl. Erll
2008: 3) gelesen werden.
Ihre sinnliche Konkretisierung erfahren kollektive Gedächtnisinhalte nicht nur in der
Sprache, sondern auch in Bildern und Körpern. Die Analyse der formalen Homologie
75
Berger/Luckmann (vgl. 1969: 72) räumen zwar ein, dass in der Theorie auch gemeinsames Handeln die
Grundlage für Überlieferungen bilden könnte. Empirisch sei dies jedoch unwahrscheinlich, da sich Erfahrung leichter übertragen lässt, wenn sie von der konkreten Einzelexistenz gelöst und in ein allgemein zugängliches Zeichensystem überführt wird.
56
von Rhapsoden sowie Film und Fernsehen hat gezeigt, dass sowohl die antiken Sänger
als auch die audiovisuellen Medien dieses Repertoire externer Speichermedien in ihrer
Darstellung vereinen. Jedoch tun sie dies unter medientechnologisch völlig anderen
Voraussetzungen. In Kulturen primärer Oralität ist das kulturelle Gedächtnis ein im
doppelten Sinne lebendiges: Zunächst ist es an einen lebenden Organismus, den Sänger,
gebunden, dessen individuelles Gedächtnis das kollektive Wissen organisiert. Die Multimedialität der Wissensvermittlung, eine Inszenierung von Stimme, musikalischen
Klängen, Mimik und Gestik, ist ein direktes Resultat der rhapsodischen Verkörperung
der griechischen Tradition. In der „lebendigen Inszenierung des sozialen Gedächtnisses“ (Assmann 1994: 133) reproduziert sich die kulturelle Identität der Gemeinschaft.
Des Weiteren speist sich das Wissen um die gemeinsame kulturelle Identität aus einer
Erinnerung, die lebendig ist, die lediglich bewahrt, was für die Gegenwart relevant ist:
„It [the living memory] prefers to remodel rather than discard. New information and
new experience are continually grafted on to inherited models” (Havelock 1963: 122).
Das zeitlich Spezifische wandelt sich kontinuierlich zum Typischen der Gegenwart. Ein
historisches Zeitbewusstsein ist folglich unmöglich (vgl. ebd.).
Während es in oralen Kulturen kein Wissen und kein Gedächtnis außerhalb menschlicher Körper gibt, wird es mit der Erfindung der Schrift möglich, kollektives Wissen
auf materiale Träger auszulagern und den Einzelnen von der Aufgabe der Bewahrung
des Gruppengedächtnisses zu entlasten. Zwar ist der antike Sänger im Übergang von der
Mündlichkeit zur Schriftlichkeit weiterhin damit beauftragt, soziale Werte und Normen
zu vermitteln. Mit der Entwicklung des griechischen Alphabets besteht jedoch erstmals
die Möglichkeit, Wissen abzulagern und kontinuierlich neues Wissen zu schaffen, ohne
bestehendes Wissen dadurch zu modifizieren. So bildet sich neben dem beständig in der
Interaktion aktualisierten Wissen ein Gedächtnis heraus, das weitaus komplexer ist, als
dass es im Bewusstsein des Einzelnen präsent sein könnte. Es lässt sich schlicht mehr
schriftlich aufzeichnen, als die menschliche Psyche erinnern kann. Für dieses Gedächtnis, welches über den in einer bestimmten Epoche tradierten und kommunizierten Sinn
hinausgeht, prägen Jan und Aleida Assmann (vgl. 1994: 122) in Abgrenzung zum kulturellen Funktionsgedächtnis den Begriff des kulturellen Speichergedächtnisses. Dessen
Bewahrung ist nicht die Aufgabe einzelner Subjekte, sondern die ganzer Institutionen,
etwa von Archiven und Bibliotheken. Das sich in vielfältigen Zeichen manifestierende
Funktionsgedächtnis hingegen repräsentiert als „gleichmäßig ausgeleuchteter Erinne-
57
rungsraum“ (Assmann 1999: 408) die Gesamtheit des orientierenden Erfahrungswissens,
welches an die nächste Generation weitergegeben werden soll.76
Die homerischen Epen begründen demnach gewissermaßen die Herausbildung des
Speichergedächtnisses der westlichen Kultur. Havelock (1982: 167) betrachtet sie als
das früheste Schriftzeugnis einer bis dahin mündlich überlieferten Tradition:
In ‚Homer’ we confront a paradox unique in history: two poems we
can read in documented form, the first ‚literature’ of Europe; which
however constitute the first complete record of ‚orality’, that is, ‚nonliterature’.
Ihre identitätsstiftende Funktion entfalten die mündlich vorgetragenen Epen Homers in
der archaischen griechischen Gesellschaft: Die in der Ilias kodifizierten Erinnerungen
an die mykenische Zeit fundieren eine gemeinsame Vergangenheit, die es den Griechen
erlaubt, sich ungeachtet sowohl ihrer unterschiedlichen Stämme und Stände als auch des
kulturellen und gesellschaftlichen Bruchs zwischen Vergangenheit und Gegenwart als
Einheit zu begreifen. Als zentrales Erinnerungsmoment für die Integration auf Grundlage der Ilias identifiziert Assmann (vgl. 1992: 273) die Geschichte einer Koalition gegen den gemeinsamen Feind Persien.
Mit dem Entstehen literaler Gesellschaften verlagert sich die „enzyklopädische Verantwortung“ (Havelock 1990: 16) des Rhapsoden nach und nach auf gleich mehrere Institutionen: Soziale Normen und Werte werden in Gesetzestexten kodifiziert und in religiösen Praktiken vermittelt. Im Laufe der Jahrhunderte begründen und legitimieren insbesondere Religionen langfristig kulturellen Sinn und erweisen sich für die individuelle
Identitätssuche als richtungsweisend (vgl. Reichertz 2007: 161). In den zunehmend säkularisierten Gesellschaften der westlichen Welt wird die Bedeutung von Religionen gegenwärtig jedoch zugunsten massenmedialer Sinnstifter wie Film und Fernsehen zurückgedrängt.77
Audiovisuelle Medien fundieren das Gedächtnis einer Gesellschaft in einer den antiken Rhapsoden vergleichbaren Art, indem sie in ihren auditiven und visuellen Darstellungsweisen die materiellen Speichermöglichkeiten kollektiven Sinns aktualisieren: Das
verkörperte Wissen ist zwar nicht länger unmittelbar durch den Sänger wahrnehmbar,
76
Beim Funktionsgedächtnis handelt es sich im Sinne Aleida Assmanns (1999: 137) „um ein angeeignetes Gedächtnis, das aus einem Prozeß der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstitution […] hervorgeht. Die strukturlosen, unzusammenhängenden Elemente treten ins Funktionsgedächtnis als komponiert,
konstruiert, verbunden ein. Aus diesem konstruktiven Akt geht Sinn hervor, eine Qualität, die dem Speichergedächtnis grundsätzlich abgeht.“
77
Bezugspunkt für Wertangebote, bemerkt Reichertz (vgl. 2007: 163), ist im Medium Fernsehen nicht
mehr das Jenseits, sondern der diesseitige Mensch. Zu den religiösen Funktionen des Fernsehens vgl.
auch Hickethier 2000a.
58
jedoch gewährleistet das elektronische Bild eine vergleichbare Qualität der sinnlichen
Wahrnehmung der Schauspielerkörper (vgl. Kap. 1.1; Kap. 3.3). Das kollektive Gedächtnis konstituiert sich in der Interaktion des Mediennutzers mit den medialen Botschaften. Zwar stellen audiovisuelle Massenmedien lediglich einen von vielen möglichen Zugängen zum Gedächtnis einer Gesellschaft dar. Aufgrund ihrer Omnipräsenz im
Alltag des Einzelnen und ihres umfangreichen Angebots handelt es sich aber um die
einfachste, bei Spielfilmen sogar von einem Unterhaltungserleben begleitete, Art der individuellen Teilhabe an der Erfahrungswelt einer Gesellschaft. Zudem stehen die sinnlichen Qualitäten audiovisueller Zeichen der unmittelbaren Erfahrungswelt des Zuschauers ungleich näher als etwa schriftliche oder architektonische Gedächtnisträger.
Insofern die von Film und Fernsehen präsentierte fiktive Realität soziales Wissen
verfügbar macht und dieses Wissen als authentische Wirklichkeits- und Vergangenheitsversion aufgefasst wird, prägen mediale Darstellungen auch die individuelle Erfahrung historischer Ereignisse, also die Erinnerung. Dies betrifft insbesondere Erinnerungen an eine historische Vergangenheit, die nicht Gegenstand der persönlichen Erfahrung
ist. In Erinnerungsfilmen haben sie zurzeit Hochkonjunktur: Kulturelle Erinnerung
identifiziert Astrid Erll (vgl. 2008: 1) als Leitthema des Films; zugleich ist der Film das
Leitmedium der Erinnerungskultur. Für den amerikanischen Bildungswissenschaftler
Sam Wineburg (vgl. 2001: 181) deutet einiges darauf hin, dass etwa das Geschichtsbild
von Schülern nicht durch die Schule, sondern zunehmend durch die Massenmedien vermittelt wird. Er beruft sich unter anderem auf das Beispiel eines Schülers, namentlich
John, in dessen Erinnerung der Vietnamkrieg zu einer filmisch vermittelten Vergangenheit gerinnt, in der sich Fiktion und Fakten mischen, die für John aber eine historische
Tatsache darstellt.
Doch auch wenn die historische Vergangenheit eine selbst erfahrene ist, ist Erinnerung nicht ein bloßes Abbild dieser, sondern selbst eine Form der Wirklichkeitskonstruktion. Erinnern verfährt Aleida Assmann (1999: 29) zufolge grundsätzlich rekonstruktiv, denn „es geht stets von der Gegenwart aus, und damit kommt es unweigerlich
zu einer Verschiebung, Verformung, Entstellung, Umwertung, Erneuerung des Erinnerten zum Zeitpunkt seiner Rückrufung“. Die individuellen Erinnerungen sind perspektivisch und existieren nicht isoliert (vgl. Assmann 2001: 117). Auch die Bilder und Handlungsdarstellungen audiovisueller Medien formen die Erinnerung aufgrund ihrer Allgegenwart unweigerlich mit. Das Beispiel des Schülers John hat gezeigt, dass mediale Bilder als getreues Abbild der realen Wirklichkeit rezipiert werden, obgleich sie historische
59
Inhalte nach ästhetischen Gesichtspunkten transformieren.78 Medien fungieren nicht als
neutrale Träger des kollektiven Gedächtnisses. Aus konstruktivistischer Sicht müssen
sie vielmehr als Erzeuger von Wirklichkeit betrachtet werden: Indem sie den Rahmen
des Erinnerns bereitstellen, wirken Medien als eine „gedächtnisbildende Macht“ (Erll
2005: 142). Die kollektive Geprägtheit des individuellen Gedächtnisses versteht Astrid
Erll (vgl. ebd.: 140) entsprechend als eine inhärent mediale Geprägtheit.
Die besondere Leistung audiovisueller Massenmedien besteht darin, den Wissenshorizont einer Kultur beständig zu aktualisieren. Neue Film- und Fernsehnarrationen sind
häufig in der Gegenwart verortet und stets das Produkt in der Gegenwart lebender Individuen. Sie erweitern den Bestand des kollektiven Gedächtnisses kontinuierlich und halten den Einzelnen damit stets „auf dem Laufenden“. Den Lernprozess der Verhaltensmodellierung begreift Hickethier (1999: 351) entsprechend als eine Flexibilisierung der
Wahrnehmung: „Das Fernsehen macht die eingefahrenen kulturellen Sehgewohnheiten,
die kulturellen Wertsetzungen und Sichtweisen auf Welt flexibel, d.h. veränderbar im
Sinne der langfristigen Umstrukturierung von Gesellschaft.“ Die Bereitschaft zu einer
flexiblen Wahrnehmung erzeugt das Fernsehen strukturell, indem es in seinen Darstellungen Muster variiert und die Bereitwilligkeit schult, sich auf Neues einzulassen und
anzupassen:
In der Vielfalt der Spielfilme, Fernsehfilme, Fernsehspiele und Serien
können immer wieder neue Verhaltensvarianten kennengelernt werden.
Akzeptables und nichtakzeptables Verhalten wird demonstriert. Hier
werden langfristig Modernisierungsanforderungen an das Alltagsverhalten plausibel und verständlich gemacht und als akzeptabel durchgesetzt. Angemessenes Verhalten stellt sich oft als das ‚moderne’ gegenüber dem ‚verschrobenen’ und ‚altmodischen’ Verhalten dar (ebd.:
350).
In ihrer Funktion als „Modernisierungsagenturen“ (ebd.: 349) betreiben Film und Fernsehen nicht nur die Anpassung an neue Verhaltensmuster, die mit gesellschaftlichen
Wandlungsprozessen notwendig werden. Im Gegensatz zu den Sängern mündlicher
Überlieferungen hält das Fernsehen auch die „altmodischen“ Verhaltensformen präsent
und gewährleistet hierdurch, dass alle Generationen kontinuierlich in den Rezeptionszusammenhang integriert werden.
Indem Film und Fernsehen ebenso wie Rhapsoden die relevanten Inhalte des Funktionsgedächtnisses beständig erneuen, erweisen sie sich als sehr viel funktionaler als eine gedruckte Enzyklopädie. Im Gegensatz zu dieser wie auch zu den antiken Sängern
78
Dies betrifft selbst die Form des Dokumentarfilms.
60
halten audiovisuelle Medien aufgrund ihrer unbegrenzten Speicherkapazität zugleich
ältere Produktionen als historische Vergangenheitserinnerung präsent. Gleichwohl lässt
sich die Metapher der Enzyklopädie in Beziehung zu der Funktion von Rhapsoden,
Film und Fernsehen setzen, das kollektive Gedächtnis zu tragen und zu vermitteln: Die
Gesamtheit der Mythen und Spielfilme fundiert als Enzyklopädie des sozialen Verhaltens die Gesamtheit des kulturellen Wissensbestandes und sichert somit die kulturelle
Identität einer Gemeinschaft.
Film und Fernsehen sind in der Gegenwart ebenso wenig willkürliche Trägermedien
wie die Rhapsoden des antiken Griechenlands. Sie erweisen sich als ausgezeichnete Bewahrer der Tradition einer Kulturgemeinschaft, da sie einen geeigneten Sinnrahmen bereitstellen, in dem Erfahrungen organisiert und als Erinnerungen dauerhaft bewahrt
werden (vgl. Halbwachs 1994: 79). Den ältesten und nach wie vor wirkmächtigsten sozial vorgegebenen Rahmen der Bedeutsamkeit stiften Narrationen. Rhapsoden sowie
Film und Fernsehen als deren Vermittler beziehen ihr Sinnpotenzial aus der Struktur
von Erzählungen. Der griechische Mythos scheint die sinnstiftende Grundform von Erfahrung und Erinnerung darzustellen. Dies gilt es im Folgenden zu ergründen.
4.2
Mythos als sinnstiftende Organisationsform
Erinnerungen sind flüchtig, labil und bedürfen, da sie darüber hinaus fragmentarisch
und ungeformt sind, einer Struktur, die sie konserviert. Zwar unterliegen auch stabilisierte Erinnerungen einem beständigen Wandel, da sich deren Bewertung und Bedeutung für das Individuum mit der Zeit verändern. Doch schützt die Formgebung gegen
das Vergessen: „Der Akt des Speicherns“, schreibt Aleida Assmann (1999: 29), „geschieht gegen die Zeit und das Vergessen, deren Wirkungen mit Hilfe bestimmter Techniken außer Kraft gesetzt werden“. Eine solche Technik, die zugleich grundlegendste
und, ihrer langen Tradition nach zu urteilen, effektivste, ist die der Erzählung.
Der Zusammenhang zwischen Erzählen und Erinnern, Gedächtnis und Identität ist
ein in der Kulturwissenschaft und Psychologie vielfach erforschtes Phänomen (vgl.
Sommer 2009: 230; Schmidt 1993: 391). Wesentlich auch für diese Denkfigur ist die
Annahme, dass Bedeutung ein Konstrukt menschlicher Wahrnehmung ist. Erst der Gebrauch der Sprache und insbesondere die Erzeugung von Erzählungen verleihen dem
unstrukturierten menschlichen Erleben Sinn und eine kommunizierbare Form. Letztere
61
schafft die Grundlage dafür, sich an dieses Erleben erinnern zu können (vgl. Nünning, V.
2013: 148).
Mit der sinn-, wirklichkeits- und identitätserzeugenden Kraft des Erzählens befasst
sich die narrative Psychologie. Die in den achtziger Jahren eingeleitete methodische
Spezifizierung auf narrative Aspekte psychologischer Forschung dokumentiert der Sammelband Narrative Psychology. The Storied Nature of Human Conduct (1986) von
Theodore Sarbin. Unabhängig vom jeweiligen Forschungsgebiet, resümiert der amerikanische Psychologe (Sarbin 1986: xviii) einleitend, treffe folgende Erkenntnis hinsichtlich der Darstellung des Selbst auf alle versammelten Studien zu: „lives are
presented as narratives, and the form and content of the narratives are fashioned not
only by ‚facts’ but by the purpose, biases, interests, and moral posture of the storyteller”.
Identität konstituiert sich nach Auffassung narrativer Psychologen als eine konstruierte
Selbsterzählung, die den eigenen Handlungen und Lebenserfahrungen Bedeutung zu
verleihen vermag (vgl. Nünning, A. 2013: 28).
Die narrative Codierung von Erfahrung im individuellen und kollektiven Gedächtnis
betrifft zwei Ebenen: Zum einen ist das menschliche Erleben, die Wahrnehmung und
Interpretation eines Geschehens als Produkt gesellschaftlicher Konstruktionen, bereits
von narrativen Mustern vorgeprägt. Kulturen stellen ein Repertoire narrativer Plots zur
Verfügung (vgl. ebd.: 36), die innerhalb kognitiver Prozesse die Wahrnehmung strukturieren und in der Funktion eines Selektions- und Schematisierungsapparats darüber entscheiden, welche Wahrnehmungen überhaupt in das Bewusstsein gelangen (vgl. Erll
2005: 110f.). Damit dienen kulturspezifische Erzählmuster der kognitiven Bearbeitung
und psychischen Integration von Kontingenz (vgl. Straub 1998: 142). Zum anderen bildet sich handlungsleitendes Wissen – Lebenserfahrung als Gesamtheit der Erlebnisse eines Individuums – in der Erinnerung, die ihrerseits wiederum narrativ verfährt. Donald
Polkinghorne (1998: 23) spricht deshalb von narrativem Wissen, welches sich als „eine
reflexive Explikation der pränarrativen Qualität unreflektierter Erfahrung“ darstellt.
Durch die kognitive Integration vergangener Ereignisse in eine Narrationsstruktur konstruiert sich die Bedeutung der individuellen Lebensgeschichte in der Erinnerung.
Insofern Erzählungen zugleich als Fundament und Träger von Bedeutung fungieren,
stellt sich die Frage, weshalb gerade Narrationen für die Sinnstiftung prädestiniert sind.
Polkinghorne (vgl. ebd.: 16) definiert die Erzählung als eine Art der kognitiven Strukturierung, die das narrative Gestaltungsvermögen nutzt, um Handlungen und Geschehnisse zu temporalen Ganzheiten zu formen. Die narrative Strukturierung von Erfahrung be62
dient sich sozial konstruierter, kultureller Plots, durch welche Erlebnisse in ein einheitliches Gefüge aus benennbaren Objekten und aufeinanderfolgenden Ereignissen integriert
werden (vgl. ebd.: 17). Sowohl das Moment der zeitlichen Verknüpfung als auch die Interdependenz der narrativen Elemente innerhalb eines fest umrissenen Rahmens verleihen Handlungen und Ereignissen Bedeutung. In solcher Weise narrativ strukturierte Erfahrungen79 erscheinen sinnhaft organisiert und kohärent, wodurch sie für das handelnde Individuum erklär- und verstehbar werden.
Erzählungen erweisen sich somit als ein Medium der Erkenntnis. Ihre Relevanz erschöpft sich jedoch nicht in der individuellen Sinnstiftung. Kulturelle Erzählmuster
schaffen auch die Grundlage dafür, dass individuelle Erfahrungen innerhalb einer Gemeinschaft kommunizierbar sind. Albrecht Lehmann (vgl. 2007: 9) zufolge, der sich
dem Erzählen im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Bewusstseinsanalyse nähert,
lassen sich Erfahrungen nicht anders als erzählend vermitteln. Dem kognitionspsychologischen Konzept des Skripts vergleichbar, das die standardisierte zeitliche Abfolge von
Ereignissen und Handlungen bezeichnet (vgl. Schenk 2007: 281), bestimmen kulturell
geprägte narrative Muster die sinnhafte Abfolge von Ereignisschilderungen. Durch sie
lassen sich Erfahrungen in kulturell anschlussfähiger Weise vermitteln (vgl. Nünning, A.
2013: 37). Erzählen folgt somit einer sinnstiftenden Struktur, die an der Konstruktion
von sozialem Wissen mitwirkt. Die im Vorhergehenden beleuchteten Effekte der Narration (vgl. Kapitel 2) erklären die funktionale Bedeutung dieses „universelle[n] Modus
der Strukturierung […] von Kommunikation und Handeln“ (Neumann 2005: 34) für die
Fundierung und Vermittlung des sozialen Gedächtnisses mittels variierender Trägermedien. Umgekehrt indizieren die Universalität und Allgegenwart von Geschichten, ob
durch Worte oder Bilderfolgen geschaffen, deren fundamentale Notwendigkeit für den
Einzelnen und die Gesellschaft.
„Geschichten sind nie Ursache einer Erfahrung, sondern deren Abbildung. Es gibt
keine wahren Geschichten, dennoch ein Verlangen nach Geschichten, weil Erfahrung,
die sich nicht abbildet, kaum auszuhalten ist.“ Diese Worte Max Frischs (1975: 126),
von Uwe Johnson neben anderen Frisch-Zitaten unter dem Titel Stichworte zusammengetragen, verweisen auf ein vielfach betrachtetes Phänomen (vgl. Nünning, A. 2013: 32;
Straub 2013, 77; Lehmann 2007: 43), wonach das Erzählen von Geschichten ein anthro79
Der Kognitionspsychologe Jerome Bruner (vgl. 1998: 52-74) identifiziert weitere Universalien der narrativ konstruierten Erfahrung, um zu erklären, was daraus für die menschliche Auffassung der Wirklichkeit folgt. Gestalt verleihen die narrativen Konstruktionen den Wirklichkeiten, die sie schaffen, auch
durch ein Wechselspiel aus Kanon und Abweichung, durch das Prinzip der allgemeinen Besonderheit sowie der inhärenten Aushandelbarkeit.
63
pologisches Grundbedürfnis des Menschen ist. Sowohl Erfahrungen machen als auch
Geschichten erzählen sind Universalien menschlichen Handelns.80 Die enge Beziehung
zwischen dem Entwurf einer historischen Zeitperspektive und dem Erzählen von Geschichten hervorhebend, bestimmt Jürgen Straub (2013: 89) die Erzählung als eine
„überaus bedeutende Artikulationsform [Herv. i. Orig.] des Menschen“, die auch dessen
Lebensform charakterisiert. Für die Gattung Mensch, die sich in Geschichten artikuliert
und im Erzählen ihre Interpretation der Welt formuliert, prägt der Erzählforscher Kurt
Ranke in den sechziger Jahren den Begriff homo narrans (vgl. Lehmann 2007: 9).
Auf die anthropologische Qualität von Geschichten beruft sich auch Hans Blumenberg in seiner Studie Arbeit am Mythos (1979). In Blumenbergs Konzeption formieren
sich Geschichten gegen eine Wirklichkeit, die vom Menschen nicht mehr als eine ganzheitliche, in ihrer Bedeutung unmittelbar wahrnehmbare erfahren wird. Der von Blumenberg (51990: 9) als „Absolutismus der Wirklichkeit“ bezeichnete urgeschichtliche
Zustand korrespondiert mit einer Phase im Prozess der Bewusstseinsevolution, in der
die Existenz des Menschen vollständig in der Welt aufgeht: Noch sind Mensch und Natur undifferenziert; das Bewusstsein, welches sich erst entwickelt, dämmert in einem
traum- und erkenntnislosen Zustand (vgl. Heuermann 1994: 62). Mit der Bewusstwerdung seiner eigenen Existenz beginnt der Mensch schließlich, sich als von der Welt getrennt wahrzunehmen. Die nunmehr notwendig gewordene Beherrschung der Wirklichkeit birgt für die menschliche Psyche, die mit dem Verlust strikter Bedeutungen konfrontiert ist und sich gegen die Welt als Natur und deren Unmenschlichkeit wappnen
muss (vgl. ebd: 63), ein ungekanntes Unbehagen. Um für den Menschen ertragbar zu
sein, muss diese Angst fortwährend zu Furcht rationalisiert werden (vgl. Blumenberg
5
1990: 11). Dies leisten nach Blumenberg (vgl. ebd.: 11) nicht Erfahrung und Erkennt-
nis, sondern Geschichten. Sie setzen dem Absolutismus der Wirklichkeit Namen für das
Unbekannte und Bedeutsamkeit entgegen. Bedeutsamkeit schafft Distanz zur Unheimlichkeit der Wirklichkeit (vgl. ebd.: 132), indem sie der als fremd, willkürlich und indifferent empfundenen Welt Selbstverständlichkeit und Vertrautheit entgegensetzt (vgl.
ebd.: 78).
80
Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, entwickelt sich bereits bei Kleinkindern in der Interaktion mit
Eltern und anderen Spielgefährten. Brian Sutton-Smith (vgl. 1986: 70-89) erläutert die Entwicklung der
narrativen Kompetenz bei Kindern wie folgt: Während sich das Geschichtenerzählen in der Kleinkindphase noch ausschließlich als eine Variation prosodischer Muster gestaltet, erwerben Kinder bis zum
zehnten Lebensjahr die Kompetenz, Geschichten in Form konventionalisierter Handlungsmuster (Held
trifft während der Verfolgung eines Ziels auf ein Hindernis, das er zu überwinden sucht) zu erzählen. Ist
die hierfür grundlegende Aneignung der mentalen Konzepte von Zeit und Kausalität abgeschlossen, wird
jede Art von kognitivem Input narrativ strukturiert (vgl. Manuscom 1986: 100-106).
64
Bedeutsamkeit entsteht durch verschiedene Mittel, unter denen die Kreisschlüssigkeit
und Wiederkehr des Gleichen, von Blumenberg (vgl. ebd. 86f.) exemplifiziert an der
Odyssee, die für das Weltvertrauen grundlegenden sind: Sie verweisen auf die Zuverlässigkeit aller Lebenswege (vgl. ebd.: 97). Der Mythos stellt für Blumenberg die Verarbeitungsform von Wirklichkeit schlechthin dar, weshalb die Antithese von Mythos und
Logos für sein Denken hinfällig ist: „Der Mythos selbst ist ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos“ (ebd.: 18). Als ein Mittel der Strukturierung von Raum und Zeit – in ihrer Indifferenz für das menschliche Bewusstsein unerträglich – repräsentiert der Mythos
„eine Welt von Geschichten, die den Standpunkt des Hörers in der Zeit derart lokalisiert,
daß auf ihn zu der Fundus des Ungeheuerlichen und Unerträglichen abnimmt“ (ebd.:
131). Dem Absolutismus der Wirklichkeit setzt der Mythos die Prägnanz und anschauliche Ganzheit von Wörtern und Geschichten entgegen.
Sich auf seine anthropologischen Qualitäten der Selbsterhaltung und Weltfestigkeit
berufend, begreift Blumenberg (ebd.: 186) den Mythos als die „‚Form überhaupt’ der
Bestimmung des Unbestimmten“. Der menschliche Bedarf an Geschichten ist in der Gegenwart ungebrochen. Angesichts der Komplexität und Dynamik der sozialen Wirklichkeit konstatieren Forscher mehrheitlich eine „Mythenrenaissance“ (Bartel 2004: 15; Simonis 2004: 9; Krüger/Stillmark 2013: 10) in der Moderne. Es bleibt jedoch quantitativ
zu belegen, dass Phasen gesellschaftlicher Umbrüche mit einer signifikant stärkeren
Präsenz mythischer Wiederholungen einhergehen. Im Sinne Blumenbergs erwiese sich
ein entsprechender Befund bereits deshalb als unerheblich, weil der Mythos ohnehin ein
Phänomen kontinuierlicher Rezeption ist.
Voraussetzung für die von Blumenberg beispielhaft nachvollzogene fortwährende
Rezeption antiker Mythen ist sowohl die Beständigkeit ihres narrativen Kerns als auch
die ausgeprägte Variationsfähigkeit von Mythen: „ihre Beständigkeit ergibt den Reiz,
sie auch in bildnerischer oder ritueller Darstellung wiederzuerkennen, ihre Veränderbarkeit den Reiz der Erprobung neuer und eigener Mittel der Darbietung“ (51990: 40). In
den formalen Kennzeichen, die Blumenberg dem Mythos attestiert – eine variable, nur
in der Handlungsstruktur festgelegte Erzählung, die dem Schema der zyklischen Wiederkehr folgt (vgl. Blumenberg 1971: 48-51) – spiegelt sich insofern der aristotelische
Mythosbegriff wider, als dieser ebenfalls eine bestimmte, in sich geschlossene Abfolge
von Ereignissen bezeichnet. Seine formale Konstanz garantiert die uneingeschränkte
Ausbreitung des Mythos in Raum und Zeit; sie lässt ihn „als erratischen Einschluß noch
in Traditionszusammenhängen heterogener Art auftreten“ (51990: 165):
65
Gerade wegen seiner Elastizität, ja Porosität, der Umstellbarkeit seiner
Elemente, ihrer bloßen ‚Kontiguität’ konnte die Konstanz des Grundmythos zum Phänomen seiner Rezeption werden. Der Mythos ist kein
Kontext, sondern ein Rahmen, innerhalb dessen interpoliert werden
kann; darauf beruht seine Integrationsfähigkeit, seine Funktion als
‚Muster’ und Grundriß, die er noch als bloß durchscheinender Vertrautheitsrest besitzt (Blumenberg 1971: 51).
Für die formale Konstanz des Mythos gibt Blumenberg unter der Prämisse der Unerfindbarkeit des Mythos (vgl. 51990: 165) zwei Erklärungen: Die Stabilität der mythischen Form kann ihren Ursprung in der Integration archetypischer Erfahrungen und
Vorstellungen haben (vgl. ebd.: 166f.), aus der die unmittelbare und überindividuelle
Vertrautheit von Mythen hervorgeht81. Eine andere Begründung fokussiert die mündliche Überlieferung von Geschichten vor Homer und Hesiod, die gemeinhin als Urheber
mythischer Grundmuster gelten. Entgegen dieser Annahme begreift Blumenberg (1971:
28) den Mythos als „immer schon in Rezeption übergegangen“. Bereits die erstmals
schriftlich fixierte, als Bezugsgröße geltende Form des Mythos ist das Resultat eines
langen Selektionsprozesses, in dessen Verlauf die rezipierten Inhalte aoidischer Gesänge kontinuierlich optimiert wurden. Ergebnis dieses „Darwinismus der Verbalität“ (Blumenberg 51990: 176) ist ein tradierter Bestand mythischer Muster, die Blumenberg (ebd.: 165) als „Mythologeme“ bezeichnet.
Mythologeme als Formen früher Sinnfindung lassen sich nicht durch die Mittel der
Phantasie nachahmen. Ihre Variabilität macht dies auch nicht erforderlich. Insofern Bedeutsamkeit ein Resultat und kein angelegter Vorrat ist, bewährt sich der Mythos unter
wechselnden Belangen: „Mythen bedeuten nicht ‚immer schon’, als was sie ausgelegt
und wozu sie verarbeitet werden“, schreibt Blumenberg (1971: 66), „sondern reichern
dies an aus den Konfigurationen, in die sie eingehen oder in die sie einbezogen werden.“ Das sinnstiftende Potenzial von Erzählungen variiert demnach hinsichtlich der
kontextuellen Bedingungen ihrer Rezeption: Für die antiken Griechen ist die Ilias nicht
nur ein unverzichtbarer Fundus an Werten und Normen – der zentrale Streit zwischen
Achill und Agamemnon kreist um die Themen Ehre, Macht und den Gegensatz von Eigennutz und Gemeinwohl –, sie ermöglicht es ihnen auch, sich als Einheit zu begreifen.
Hingegen ist der Trojamythos in der Gegenwart vorrangig eine historische Darstellung.
Bedeutung kann er in der individuellen Rezeption erlangen, etwa wenn der Zorn des
Achill mit persönlichen Erfahrungen, wie der Auseinandersetzung mit Mitmenschen,
konfrontiert wird. Der Mythos begründet hierdurch ein spezifisches Verständnis von
81
Diese Erklärung deckt sich mit der Theorie Campbells (vgl. Kapitel 1.2).
66
Welt. Er verkörpert ein sich kontinuierlich wandelndes Bild der sozialen Wirklichkeit,
das den Einzelnen orientiert und integriert. Mythen lassen sich mit Hülk (2006: 7) folglich konzipieren als „Matrix eines subjektiven wie kollektiven, sich stets erweiternden,
komplexer werdenden Gedächtnisses aus Bildern und Narrationen“. Die Bedeutung der
narrativ abgelagerten Erinnerungsfiguren kann unter wechselnden historischen Vorzeichen abgerufen werden, wodurch sie jeweils neu konstruiert werden und dabei „ihre
Gültigkeit wie Sprengkraft aus der Spannung von Tradition und Innovation, Kontext
und Präsenz“ (ebd.) beziehen.
Handelt es sich in urgeschichtlicher und archaischer Zeit um ein der Mnemotechnik
dienendes Gestaltungsprinzip, welches aus einer anthropologischen und sozialen Notwendigkeit hervorgeht, ist der Mythos nunmehr eingebettet in ästhetische Zusammenhänge. Letztere scheinen seine ursprüngliche Funktion zwar weitestgehend zu verstellen
und dem Bewusstsein zu entziehen. Das im Selektionsprozess des mündlichen Vortrags
„gehärtete Grundmuster“ (51990: 166) des Mythos fungiert jedoch nach wie vor als universale Codierungs- und Organisationsform der Inhalte des kollektiven Gedächtnisses.
Insofern das kollektive Gedächtnis von verschiedenen Medien getragen und vermittelt
wird, findet auch die Form des Mythos in ihnen ihren jeweils spezifischen Ausdruck.
Die zu Beginn nachgewiesene formale Homologie zwischen antiken Mythen und Spielfilmen (vgl. Kapitel 1.2) wird hierdurch erklärbar: Der Mythos ist als ältestes, jahrhundertelang optimiertes und bewährtes Erzählmuster die sinnstiftende Organisationsform
schlechthin des kollektiven Gedächtnisses. Er variiert lediglich in Bezug auf seine inhaltliche Ausgestaltung sowie seinen medialen Ausdruck. Entsprechendes konstatiert
Havelock (1982: 279) ausgehend vom antiken Theater – ebenfalls unter Berufung auf
die Metapher der Matrix: „Greek drama is a disguised corpus of oral wisdom contained
within a narrative matrix, the mythos which preserves it”.
In der Gegenwart entfaltet der Mythos als Form seine Wirkung mittels neuer technischer Möglichkeiten. Die audiovisuellen Darstellungen von Film und Fernsehen sind
die mächtigsten Vermittler mythischer Formen: Indem die elektronischen Medien Wirklichkeit in Bild und Ton narrativ strukturieren, reduzieren sie sie zugleich in ihrer Komplexität und geben ihr insofern einen Sinn, als in der Struktur des Mythos ein entsprechendes Sinnpotenzial bereits angelegt ist. Die narrative Handlungsstruktur verknüpft
zusammenhangslose Ereignisse zu Kausalitäten, die Ordnung stiften und Welt dadurch
strukturieren und vereinfachen, dass sie gewichten und bewerten (vgl. Hickethier 1999:
348). Die Rezeption des vertrauten mythischen Grundmusters, das sich zur Strukturie67
rung und Kommunikation von Erfahrung im Leben des Einzelnen bewährt hat, bereitet
Sicherheit und Lust, zwei Empfindungen, denen sich der Mensch nicht entziehen kann.
68
5.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, eine Begründung für die andauernde Präsenz
des Mythos in der Gegenwart zu erbringen. Hierzu wurde der Mythos ausgehend von
seiner Definition in der aristotelischen Poetik als Struktur begriffen. Als Form der Organisation und Darstellung vermag es der Mythos, die zu vermittelnden Inhalte in einen
folgerichtigen und dramatischen Zusammenhang zu bringen und dem Handlungsgeschehen hierdurch Sinn zu verleihen. Sein Sinnpotential entfaltet der Mythos in der Rezeption. Um die Effekte und Funktionen dieser narrativen Vermittlungsform zu ergründen, wurde das Zusammenspiel von Individuum, Gesellschaft und Medium untersucht.
Der theoretische Rahmen des Sozialkonstruktivismus, wie ihn Peter Berger und Thomas
Luckmann in geistiger Kontinuität zu George Mead und dem Symbolischen Interaktionismus entwickelten, erwies sich hierfür als zielführend. Indem sie soziale Interaktionen
beobachtbar machen, Verhaltensmuster narrativ exemplifizieren, imprägnieren und reimprägnieren die rhapsodischen sowie die audiovisuellen Darstellungen der Massenmedien kontinuierlich soziales Wissen. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Integration des Individuums in die Gesellschaft, deren Kontinuität sie in ihrer Funktion als
kollektives Gedächtnis zugleich sichern.
Aus seiner poetologischen und funktionalen Leistung ergibt sich der Wert des Mythos für die Gegenwart. Angesichts der Komplexität der gesellschaftlichen Wirklichkeit
und der hieraus resultierenden Vielzahl potenzieller Erlebnisse sowie Identitätsentwürfe
speist sich die Allgegenwart der mythischen Form in verschiedenen, auch den audiovisuellen, Medien aus ihrer anthropologischen Qualität: Narrationen ordnen Erlebtes in
vertraute Kategorien ein, verleihen ihm Bedeutung und wirken hierdurch handlungsweisend. Die Konstanz des Mythos hat folglich zwei wechselseitig aufeinander bezogene
Ursachen: Sie erklärt sich zum einen aus dem Vermögen der mythischen Form, Sinn zu
geben, zum anderen ist das Sinnpotenzial des Mythos selbst eine Folge des menschlichen Bedürfnisses nach Bedeutsamkeit.
Obgleich die Bedeutung von Narrationen für das menschliche Leben hinlänglich bekannt ist und längst interdisziplinär erforscht wird, wurde mit der vorliegenden Arbeit
der Versuch unternommen, mittels der Verengung des mehrdimensionalen Mythosbegriffs auf seine formalen Charakteristika neben den Effekten und Funktionen auch die
formale Konstanz zweier Vermittlungsarten des Mythos, der mündlichen sowie der audiovisuellen, herauszuarbeiten. Hierdurch konnte gezeigt werden, dass die audiovisuel69
len Medien das gesprochene Wort wiederbeleben und der Dualismus von Mündlichkeit
und Schriftlichkeit das bestimmende Paradigma der medientechnischen Entwicklung ist.
In Zukunft wird die Frage interessant sein, ob audiovisuelle Narrationen als Ersatzreligion im digitalen Medienzeitalter Bestand haben. Zwar sind Film und Fernsehen seit
nunmehr einem Jahrhundert weltweit von größter Relevanz, doch zeigt sich am Beispiel
von Computerspielen, dass sich der Mythos längst andere Wege und Vermittlungsformen gesucht hat. Virtuelle Realitäten eröffnen zudem die Möglichkeit, Narrationen
nicht nur zu rezipieren, sondern sie aktiv mitzugestalten. In der virtuellen Welt wird jeder Mensch zum Geschichtenerzähler. Ob er Neues zu berichten weiß, bleibt fraglich.
70
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81
Anhang A
Die Reise des Helden in der Odyssee von Homer
nach Joseph Campbell (32004): The Hero with a Thousand Faces. Princeton/Oxford:
University Press, 227.
Aufbruch
1. Ruf des Abenteuers Odysseus, König von Ithaka, wird von Menelaos und
Agamemnon aufgefordert, mit ihnen in den Kampf um Troja
zu ziehen und die von Paris entführte Helena zu ihrem
rechtmäßigen Ehemann, Menelaos, zurückzubringen.
2. Weigerung
Odysseus möchte seine Familie, vor allem seinen
neugeborenen Sohn, nicht verlassen. Auch hat er erfahren, erst
nach langer Zeit sowie allein zurückzukehren. Er täuscht
deswegen einen Wahnsinnigen vor, wird aber von Palamedes
durchschaut. Dieser bedroht Odysseus’ Sohn Telemach,
woraufhin Odysseus einwilligt, zu gehen.
3. Übernatürliche
Hilfe
Athene unterstützt Odysseus auf seiner Reise, indem sie ihm
hilft und ihn anleitet.
4. Überschreiten der
ersten Schwelle
Der Trojanische Krieg. Odysseus erweist sich als Führer,
Ratgeber, Vermittler und als Helfer des Agamemnon.
5. Im Bauch des Wals Auf der Rückfahrt nach Ithaka gelangen Odysseus und seine
Männer zu den thrakischen Kikonen. Hier zeigt sich Odysseus
als beutegieriger Eroberer, der die Stadt plündert und die
erbeuteten Schätze und Frauen mit seinen Männern teilt. Die
mangelnde Disziplin der wein- und siegestrunkenen Truppe
gibt den Kikonen Gelegenheit, sich auf einen Gegenangriff
vorzubereiten. Viele Männer büßen diesen mit ihrem Leben,
mit den übrigen flieht Odysseus. Dieses Erlebnis führt
Odysseus seine Verfehlung vor Augen und bereitet den Weg
für seine innere Reise.
82
Initiation
6. Weg der Prüfungen Die Irrfahrt des Odysseus mit ihren vielen Proben: die
Begegnung mit den Kyklonen, den Laistrygonen, der Zauberin
Kirke, den Sirenen, der Skylla.
7. Begegnung mit der
Göttin
Odyssee begegnet unter anderem der Zauberin Kirke, die ihn
bezirzt.
8. Frau als
Verführerin
Trotz Kirkes Liebeswerben beschließt Odysseus nach einem
Jahr, die Heimreise fortzusetzen. Kirke rät ihm, im Hades den
Geist des Sehers Theiresias nach dem weiteren Schicksal
seiner Reise zu befragen.
9. Versöhnung mit
dem Vater
Im Hades trifft Odysseus auf seine während seiner
Abwesenheit verstorbene Mutter. Diese berichtet von den
Ereignissen in der Heimat. Auch seine verstorbenen
Mitkämpfer aus dem Trojanischen Krieg und seinen
verunglückten Gefährten Elpenor trifft Odysseus im Hades.
Theiresias gibt ihm Ratschläge für die Weiterfahrt.
10. Apotheose
Sieben Jahre lang hält die Nymphe Kalypso Odysseus fest.
Eine Zeit in der sie ihn liebevoll umsorgt, sogar unsterblich
wollte sie Odysseus machen. Für Odysseus ist es eine Zeit der
Ruhe, aber auch des Wartens.
11. Der endgültige
Segen
Athene setzt durch, dass Odysseus heimkehren kann. Im
Auftrag des Zeus kann Hermes Kalypso dazu bringen,
Odysseus loszulassen und ihm die Rückkehr zu ermöglichen.
Rückkehr
12. Weigerung zur
Rückkehr
Zwar ist Odysseus unglücklich über seine Gefangenschaft,
jedoch ist er auch Kalypsos Liebhaber. Er verweigert seine
Rückkehr, indem er trotz seiner Stärke und List nicht versucht
zu fliehen und stattdessen ein williger Gefangener bleibt.
13. Die magische
Flucht
Athene erinnert Odysseus an die Welt, die er zurückgelassen
hat und weckt erneut seinen Wunsch zur Rückkehr. Mit Hilfe
der Göttin Kalypso gelingt es ihm, die Insel zu verlassen: Sie
83
stattet ihn mit den Materialien für den Bau eines Floßes aus,
versorgt ihn mit Speisen für die Fahrt sowie mit Wind.
14. Rettung von Außen Poseidons Zorn lässt Odysseus in einen Sturm geraten, der
sein Floß zerstört. Die Meeresgöttin Ino-Leukothea leiht
Odysseus ihren Schleier und rettet ihn so vor dem Ertrinken.
15. Überschreiten der
Schwelle zur
Rückkehr
Odysseus erreicht nach zwei Tagen schwimmend das Land der
Phaiaken. Ihnen erzählt er die Geschichte seiner Irrfahrt,
woraufhin sie ihm voller Bewunderung die Heimkehr nach
Ithaka mit einem ihrer Zauberschiffe ermöglichen.
16. Herr der zwei
Welten
Nach zwanzig Jahren kehrt Odysseus als charakterlich
gestärkter König nach Ithaka zurück. Damit Odysseus
zunächst unerkannt bleibt, gibt Athene ihm das Aussehen
eines Bettlers. Abschließend muss sich Odysseus gegenüber
der ihm vertrauten Welt beweisen und das Vertrauen seines
Sohnes und seiner Frau erlangen. Es gelingt ihm, sich ebenso
als Herr seiner gewohnten Welt zu erweisen, wie auch das
während der Reise Erlernte klug einzusetzen und die Freier
seiner Frau zu töten.
17. Freiheit zu Leben
Odysseus Heimkehr ist vollendet, seine Reise abgeschlossen,
als Penelope in ihm ihren Ehemann wiedererkennt.
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84
Anhang B
Die Reise des Helden in MATCH POINT (GB/USA/L 2005, Woody Allen)
nach Christopher Vogler (21998): Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. Main: Zweitausendeins, 54-75.
I. Akt
1. Gewohnte Welt
Der ehemalige Tennisprofi Chris Wilton, aus einfachen
Verhältnissen stammend, verlässt seine Heimat Irland, um in
London als Tennislehrer zu arbeiten.
2. Ruf des Abenteuers
Chris schließt Bekanntschaft mit Tom Hewett, der aus einer
vermögenden Unternehmerfamilie stammt.
3. Weigerung
Chris bleibt zunächst den Prinzipien seiner Herkunft treu,
will für Opernkarten und Essen selbst bezahlen. In einem
teuren Restaurant bestellt er Grillhähnchen statt Kaviar.
4. Begegnung mit dem
Mentor
Toms Schwester Chloe fühlt sich zu Chris hingezogen. Auf
ihre Initiative hin beginnt Chloe, sich alleine mit Chris zu
treffen.
5. Überschreiten der
ersten Schwelle
Chris geht eine Beziehung mit Chloe ein; Chloes Vater
verhilft Chris zu einem Job in seinem Unternehmen. Chris’
sozialer Aufstieg beginnt.
II. Akt
6. Bewährungsproben,
Verbündete, Feinde
Chris lernt Toms Verlobte, die erfolglose und attraktive
Schauspielerin Nola Rice, kennen. Seit ihrer ersten
Begegnung fühlt Chris sich zu ihr hingezogen und sucht ihre
Nähe.
7. Vordringen zur
tiefsten Hölle
Chris und Nola schlafen miteinander. Nachdem Tom sich
wegen einer anderen Frau von Nola trennt, entwickelt sich
aus diesem Vorfall eine Affäre.
85
8. Entscheidende
Prüfung
Nola wird unerwartet schwanger, während Chris und Chloe
seit langem erfolglos versuchen, ein Kind zu bekommen.
Chris muss sich entscheiden zwischen seiner Frau, die ihn
langweilt, aber der Garant für ein Leben in Wohlstand ist,
und der Frau, zu der er sich hingezogen fühlt.
9. Belohnung
Nola setzt Chris unter Druck und droht, Chloe von ihrem
Verhältnis zu berichten. Schließlich fasst Chris den
Entschluss, seine soziale Position nicht aufs Spiel zu setzen
und statt in seine gewohnte, in die neue Welt
zurückzukehren. Er schmiedet deshalb einen Plan.
III. Akt
10. Rückweg
Chris bringt Nola um und tarnt ihren Tod durch einen zweiten
Mord an Nolas Nachbarin als Raubmord.
11. Auferstehung
Die endgültige Rückkehr in das Leben mit seiner inzwischen
schwangeren Frau Chloe ermöglicht Chris ein glücklicher
Zufall: Die ermittelnden Polizisten verdächtigen Chris
bereits, die Tat begangen zu haben. Doch dann wird der
Ehering von Nolas Nachbarin in der Tasche eines bei einem
Raubmord getöteten Drogenabhängigen gefunden. Der Ring,
den Chris bei Nolas Nachbarin zur Verschleierung seiner Tat
entwendet und danach in der Themse entsorgt hatte, ist nie in
den Fluss gefallen, sondern so am Ufergeländer abgeprallt,
dass er wieder auf den Gehweg fiel und von einem
Unschuldigen gefunden werden konnte.
12. Rückkehr mit dem
Elixier
Chris muss fortan mit seiner Schuld leben. Er erkennt, dass
seine Tat der Welt, in der er nun lebt, entspricht. In ihr gibt es
keine Gerechtigkeit; alleine das Glück entscheidet über
Erfolg und Misserfolg. Durch die Tatsache, dass er nicht des
Mordes überführt wurde, sieht sich Chris in seiner Weltsicht
bestätigt.
86
Anhang C
Die Reise des Helden in VINCENT WILL MEER (D 2010, Ralf Huettner)
nach Christopher Vogler (21998): Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. Main: Zweitausendeins, 54-75.
I. Akt
1. Gewohnte Welt
Der am Tourette-Syndrom erkrankte Vincent lebt bei seiner
Mutter.
2. Ruf des Abenteuers
Als seine Mutter plötzlich stirbt, beabsichtigt sein Vater,
Politiker und mit Vincents Krankheit überfordert, ihn in einer
Fachklinik unterzubringen.
3. Weigerung
Vincent möchte nicht ins „Heim“, lässt es aber mit sich
geschehen.
4. Begegnung mit
dem Mentor
In der Klinik begegnet Vincent der magersüchtigen Marie, die
ihn mit den Räumlichkeiten vertraut macht und ihn zu seiner
Krankheit befragt.
5. Überschreiten der
ersten Schwelle
Marie entwendet den Autoschlüssel der Klinikleiterin und
schlägt Vincent vor, gemeinsam aus der Klinik zu flüchten.
Vincent, der den letzten Wunsch seiner Mutter, noch einmal
das Meer zu sehen, erfüllen möchte, willigt ein. Die Asche
seiner Mutter bewahrt er in einer Bonbondose auf.
Gemeinsam mit Vincents Zimmergenossen Alex,
Zwangsneurotiker, machen sie sich auf die Reise in Richtung
Italien.
II. Akt
6. Bewährungsproben, Auf ihrer Reise müssen Vincent, Marie und Alex ohne Geld
Verbündete, Feinde und mit defekten Scheibenwischern auskommen. Zudem
werden sie von der Klinikleiterin und Vincents Vater verfolgt
und schließlich gestellt. In einem günstigen Moment gelingt
es den dreien, erneut zu flüchten, diesmal mit dem Auto von
Vincents Vater.
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7. Vordringen zur
tiefsten Höhle
Vincent und Marie nähern sich einander an, küssen sich und
werden intim. Alex beobachtet sie dabei. Marie bemerkt dies
und provoziert Alex.
8. Entscheidende
Prüfung
Daraufhin fährt Alex mit dem Auto davon. Als Vincent und
Marie ihn schließlich aufspüren, kommt es zur Krise: Alex
wirft Marie vor, nicht fähig zu sein, zu lieben und Vincent zu
benutzten, um sich dabei zusehen zu lassen, wie sie sich zu
Tode hungert. Vincent bezeichnet er als Spast, der feige vor
seinem Vater davon läuft. Daraufhin prügelt Vincent auf Alex
ein.
9. Belohnung
Nachdem sie sich ihrem Ärger Luft gemacht haben, sind die
Spannungen zwischen den dreien gelöst und die Verbindung
zwischen ihnen ist gestärkt. Gemeinsam setzen sie ihren Weg
fort und erreichen schließlich das Meer.
III. Akt
10. Rückweg
Kurz nach Erreichen des Zieles bricht Marie aufgrund ihrer
Herzschwäche zusammen und wird von einem Rettungswagen
ins Krankenhaus gebracht.
11. Auferstehung
Vincent erkennt, dass er Marie nicht retten kann und
verweigert ihr trotz seiner Gefühle zu ihr den Wunsch, sie von
ihrem Krankenbett losmachen. Vincent übergibt seinem Vater
die Asche seiner toten Mutter. Dieser erkennt Vincents
Selbstständigkeit an.
12. Rückkehr mit dem
Elixier
Vincent beschließt, nicht mit seinem Vater zurück nach
Deutschland zu reisen. Mit seiner erlangten Freiheit und
seinen gewonnenen Freunden Alex und Marie bleibt er in
Italien zurück. Vincents physischer Reise entspricht die innere
Reise seines Vaters.
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Eidesstattliche Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und eigenhändig sowie ohne unerlaubte fremde Hilfe und ausschließlich unter Verwendung der aufgeführten Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.
Ort, Datum
Unterschrift
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